Unter dem hellen Stern der Versuchung

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Eines weiß Lady Wilhelmina genau: Heiraten wird sie niemals! Denn gewiss würde ein Ehemann sie zwingen, ihre große Leidenschaft, die Astronomie, aufzugeben. Um den Verkupplungsversuchen eifriger Verwandten zu entgehen, lässt sie sich daher auf ein gewagtes Spiel ein: Mr. Bram Townsend soll Interesse an ihr vortäuschen, bis sie endlich an ihr Erbe gelangt und ein eigenständiges Leben führen kann. Doch jedes Mal, wenn Bram sie in seine Arme zieht, schlägt das Herz der kühlen Lady schneller, und wenn er sie küsst, fühlt Wilhelmina sich dem hellen Stern der Versuchung ganz nah. Muss sie sich etwa zwischen Liebe und Unabhängigkeit entscheiden?


  • Erscheinungstag 16.11.2024
  • Bandnummer 409
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527026
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Megan Frampton

Dinge, denen Megan Frampton nicht widerstehen kann: der Farbe Schwarz, gutem Gin, dunkelhaarigen Briten und großen Ohrringen. Neben historischen Romanen schreibt sie unter dem Namen Megan Caldwell auch gefühlvolle Liebesromane. Die Autorin lebt mit Ehemann und Kind in Brooklyn, New York.

Männer, die ich nicht heiraten möchte:

eine ganz und gar unvollständige Liste von

Lady Wilhelmina Bettesford

Einen Mann, der glaubt, alles besser zu wissen als jede Frau in jeder Situation, unabhängig von ihren Kenntnissen. Die Sorte Mann, die einer Dichterin erklären würde, was ein Reimschema ist. Einer, der der Köchin sagen würde, dass sie das Essen nicht oft genug umrührt, obwohl er in seinem ganzen Leben noch nie etwas gekocht hat. Der davon überzeugt ist, dass eine Frau zufrieden sein kann, wenn sie zu Hause bleibt, während er die Welt kennenlernt, obwohl er sie nie danach gefragt hat, was sie sich wünscht, angefangen damit, wie sie ihren Tee trinkt, bis hin zu der Art und Weise, wie sie ihr Leben leben möchte.

1. KAPITEL

London 1850

London war abends nicht ungefährlich, wenn man Geld in der Tasche hatte.

Es war bereits dunkel, als Bram Townsend sein Büro verließ. Während er die Tür hinter sich zuzog, setzte er sich mit einem Schwung den Hut auf. Ein gewöhnlicher Mann, der klimpernde Münzen in der Tasche hatte, hätte sich wahrscheinlich eine Mietdroschke genommen, die ihn von hier, in der Tiefe des Herzens der Stadt, in die vornehmen Straßen von Mayfair brachte. Das war wesentlich sicherer, als zu Fuß zu gehen.

Dass er trotz seiner unrühmlichen Herkunft tatsächlich Geld hatte, machte ihn jedoch durchaus ungewöhnlich. Ausgefallen sogar. Einzigartig.

Bram betrachtete sein gnädiges Schicksal nicht als selbstverständlich. Er hatte sich seine Stellung als Advokat hart erarbeitet und jetzt sorgte er dafür, dass der Gerechtigkeit vor Englands Gerichtsbarkeit Genüge getragen wurde. Er hatte sich vorgenommen, irgendwann Richter zu werden, um der Gerechtigkeit noch weitreichender dienen zu können.

Er hatte für nichts anderes Zeit als für seinen Beruf und seine Freunde – vier andere Waisen, die er in Devenaughs Heim für mittellose Knaben kennengelernt hatte, das landläufig auch als Schule der Schurken bekannt war.

Deswegen ging er trotz der Gefahren zu Fuß. Seine langen Schritte und sein zügiges Tempo würden ihn viel schneller ans Ziel bringen als eine Droschke. Er war auf dem Weg zum monatlichen Treffen mit seinen Freunden, bei dem sie sich über Bücher und über das Leben unterhielten. Heute Abend wollten sie über Mary Barton von Elizabeth Gaskell diskutieren und er hatte sich seine Argumente bereits zurechtgelegt. Er hatte einige davon.

Bram kümmerte sich auf seinem Weg nicht um die Rufe gewisser Damen, die ihm anboten, sich mit ihnen zu vergnügen. Das lebhafte Geplänkel, das aus verschiedenen Pubs, in denen alle möglichen Leute verkehrten, bis zu ihm auf die Straße drang, überhörte er ebenso. Unter den Gästen waren bestimmt sogar Gentlemen, die so dreist waren, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, genau wie er.

Doch er hätte sich sonst nicht nur verspätet, es wäre auch nicht anständig gewesen, dort einzukehren. Sein Name trug ohnehin schon den dicken, schwarzen Makel der Illegitimität, deswegen bemühte er sich darum, die Regeln des Anstands stets einzuhalten.

„Benutzt Gaskell den Mord, um die Notlage der Bartons zu verdeutlichen?“, murmelte er vor sich hin. Als er Mary Barton gelesen hatte, hatte er das Gefühl gehabt, mit Mary zu leiden, während ihr Leben immer gefährlichere Wendungen nahm.

Es war ein kühler Abend, die sachte Wärme des Frühlingstages war abgeklungen, nachdem die Sonne untergegangen war. Bram mochte das Gefühl, ein wenig zu frösteln – in seinem Büro und in den Räumen des Gerichts konnte es unerträglich heiß werden von all den menschlichen Körpern, gewaschenen wie ungewaschenen, die sich hier auf der Suche nach Gerechtigkeit drängten.

Sein Weg führte über die Blackfriars Bridge, der Wind fühlte sich kälter an, sobald die Häuser ihn nicht mehr abschirmten. Er vergrub die Hände tiefer in seinen Taschen und senkte den Kopf. Auf diese Weise konnte er die vollkommen unerklärliche Gestalt einer Frau beinahe gar nicht sehen, die mit wehendem Umhang auf der Brüstung hockte. Sie trug keinen Hut, sodass ihr Haar ihr über den Rücken fiel, Mondlicht erleuchtete ihre Silhouette.

Der Fantast in ihm – von dem er bis zu diesem Augenblick nicht einmal gewusst hatte, dass er in ihm steckte – fragte sich flüchtig, ob sie ein Engel war, der auf die Erde herabgestiegen war, oder ein anderes Wesen, das nicht von dieser Welt war. Eine Fee vielleicht oder ein Göttin. Eine Flussnymphe.

Doch erstens glaubte er nicht an so einen Unsinn und warum sollte sich ein Wesen aus einer anderen Welt, zweitens, ausgerechnet die Blackfriars Bridge für sein Erscheinen aussuchen?

Und dann schwankte sie und ihm wurde klar, dass sie eine gewöhnliche Sterbliche war, die sich in akuter Gefahr befand, von der besagten Brücke in die eisigen Tiefen der Themse zu stürzen. Eine gewöhnliche Sterbliche, die ihr Schicksal herausforderte und vielleicht ein unrühmliches Ende finden würde.

„Halt!“, brüllte er, während er auf sie zueilte und seinen Arm um ihre Kniekehlen schlang, sodass er sie zurückreißen konnte. Sie schrie überrascht auf. Sie taumelte von der Brüstung. Dabei legte sich der Stoff ihres Umhangs um ihn, weil sie nach hinten sackte.

Sie landete auf ihm, während er auf dem harten Boden der Brücke aufschlug.

Sie stieß einen unverständlichen Laut aus und er stöhnte ebenso undeutlich auf.

Sie blieben beide für einen Augenblick bewegungslos liegen. Währenddessen machte er schon eine Liste, was ihm alles wehtat: alles.

Sie rappelte sich auf, traf ihn dabei mit Knien und Ellenbogen an empfindlichen Stellen und drehte sich dann so um, dass sie auf die Knie kam. Dann warf sie sich ihren Umhang über die Schulter.

„Was“, ergriff sie das Wort, „machen Sie denn? Wie können Sie es wagen?“

„Halt“, sagte er noch einmal und packte sie am Knöchel. „Ich kann nicht …“

„Lassen Sie mich los, Sie Frechling!“, erwiderte sie und versuchte, ihm ihren Fuß zu entwinden. Er hielt sie fest, umklammerte ihren Knöchel auch noch mit der anderen Hand.

„Das werde ich nicht tun“, sagte er leise und ernsthaft. „Ich kann nicht zulassen, dass Sie das tun.“

„Zulassen?“, wiederholte sie und ihre Stimme überschlug sich dabei. „Wer sind Sie denn, dass Sie mir irgendetwas zu sagen hätten?“

Er sah zu ihr auf. „Das ist es mit Sicherheit nicht wert“, sagte er mit einem Stöhnen und drehte sich auf die Seite. „Wir finden bestimmt jemanden, der Ihnen hilft. Falls es Geld ist, das Sie brauchen, kann ich Ihnen sofort welches geben, und ich kann versuchen, eine Anstellung für Sie zu finden. Wenn es etwas anderes ist“, sagte er und dachte dabei an seine eigene illegitime Herkunft, „gibt es sicher auch eine Möglichkeit.“

Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil der Mond hinter ihr stand. Schämte sie sich, weil jemand sie gesehen hatte? War sie entsetzt, weil sie ihre eigentlichen Absichten nicht verwirklicht hatte? Erleichtert, dass sie gerettet worden war?

„Mir helfen?“, sagte sie voller Entrüstung in der Stimme. Sie empfand also weder Scham noch Entsetzen oder Erleichterung. „Sie glauben, dass ich Hilfe brauche? Eine Anstellung?“ Sie drehte sich um und boxte ihm heftig gegen den Oberarm. Er wäre beinahe wieder auf den Rücken gefallen. Außerdem musste er ihren Knöchel loslassen. „Ich brauche keine Hilfe, Sie aufdringlicher Affe.“

Er sah blinzelnd zu ihr auf. „Sie …?“, setzte er an.

„Nein!“, unterbrach sie ihn. Sie sprach wie eine Lady, was ihn noch mehr überraschte. Keine Lady hätte sich jemals in eins der Viertel gewagt, die diese Brücke verband, und schon gar nicht allein. Damit hatte er die ganze Sache mit „auf einem schmalen Stück Mauerwerk stehen, das einen in die Themse rutschen ließ, wenn man einen falschen Schritt machte“ noch gar nicht erwähnt.

„Ich hatte nicht vor, mir etwas anzutun“, sagte sie in vorwurfsvollem Ton. „Was Sie hätten wissen können, wenn Sie einfach gefragt hätten.“

Seine Lippen zuckten. „Also hätte ich Sie fragen sollen, ob Sie Ihrem Leben ein Ende setzen wollen, bevor ich Sie rette? Und wenn die Antwort ja gelautet hätte, hätte ich dann sagen sollen ‚Bitte fahren Sie fort‘?“ Er fügte hinzu: „Und wenn die Antwort nein gelautet hätte, hätte ich Sie dann retten sollen? Aber was, wenn Sie noch unsicherer auf den Füßen geworden wären, während Sie meine Frage beantworten, und Sie hineingefallen wären? Sie wären mit Sicherheit ertrunken, obwohl ich gefragt hätte, und Sie nein gesagt hätten.“ Er schwieg. „In diesem Fall hätte ich gute Absichten gehabt, das ist wahr, aber das Ergebnis wäre katastrophal gewesen. Ich ziehe meine Vorgehensweise vor.“

Er drehte sich um, sodass er sich hinknien konnte, und zuckte zusammen, weil dabei ein heftiger Schmerz seinen Rücken durchfuhr. Er atmete tief durch, streckte der Lady, die immer noch auf dem Boden kniete, seine Hand hin.

„Ich brauche Ihre Hilfe nicht“, sagte sie und er brauchte ihr Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass sie seine Hand mit gerunzelter Stirn ansah.

„Ich muss dennoch darauf bestehen, dass Sie sie annehmen“, erwiderte er, packte ihren Unterarm und hievte sie hoch, ehe sie darüber nachdenken konnte. „Ihnen muss doch klar sein, wie gefährlich es hier spätabends ist, vor allem für jemanden wie Sie.“

Sie schob seine Hand weg. „Gefährlich, weil ich von fremden Männern überfallen werden könnte?“, fragte sie spitz und er zuckte zusammen, ehe er seine Hand tief in seine Tasche steckte.

Der Mond beschien ihr Gesicht, sodass er sie genauer erkennen konnte als vorher. Ihr Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern, nur die Farbe konnte er nicht wirklich ausmachen. Ihre Augenbrauen spannten sich wie dunkle Schwingen über ihre zusammengekniffenen Augen und ihr Mund war üppig. Sie sah aus, als ob sie gerne lachte. Auch wenn sie die Lippen gerade zu einem schmalen Strich zusammenpresste.

„Ich habe nicht … ich wollte nicht …“, stotterte er. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn wütend an.

„Sie haben den Beweis erbracht, dass diese Brücke gefährlich ist, schönen Dank auch“, sagte sie voller Sarkasmus in der Stimme. Er hätte ihre fehlgeleiteten Annahmen nur zu gerne widerlegt. „Dank Ihrer Hilfe bin ich beinahe ins Wasser gefallen!“, fügte sie hinzu.

Sie löste ihre Arme und holte ein Tuch aus ihrer Rocktasche. Ehe er begriff, was sie vorhatte, tupfte sie sein Gesicht ab. Er war so erschrocken, dass er es einfach zuließ, aber nicht so erschrocken, dass er nicht mehr widersprechen konnte.

„Was Sie bewiesen haben, indem Sie sich auf die Brüstung gestellt haben“, sagte er trocken. Währenddessen hielt er unwillkürlich den Kopf still, sodass er sie in ihrer Fürsorge nicht behinderte. „Ja, das ist mir klar.“

Sie gab statt einer Antwort ein Knurren von sich, woraufhin er in einer Geste der Kapitulation die Hände hob. „Ich schwöre Ihnen, dass ich nicht vorhabe, Sie zu überfallen. Ich weise lediglich auf den offensichtlichen logischen Fehler hin, den Sie gemacht haben.“

„Sind Sie immer so eine Nervensäge?“, fragte sie, dabei runzelte sie die Stirn, tupfte aber weiter sein Gesicht ab. Er musste zugeben, dass es sich angenehm – wenn auch ungewohnt – anfühlte, so umsorgt zu werden. „Oder bin ich eine Ausnahme?“

Bram lachte verhalten vor Belustigung. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie keine Ausnahme sind.“ Wenn seine Freunde dabei gewesen wären, hätten sie mit Sicherheit zugestimmt.

Ihm ging auf, dass sie wahrscheinlich hübsch war, wenn sie einen nicht gerade finster ansah.

Jetzt gerade sah sie ihn finster an.

Sie reichte gerade bis zur Mitte seiner Brust heran, für eine Frau war sie also durchschnittlich groß. Sie war jung, aber nicht so jung, dass er auf die Idee kommen könnte, dass er es mit jugendlichem Ungehorsam zu tun hatte. Sie sah aus, als wäre sie ungefähr so alt wie er, Ende zwanzig, und ihm drängte sich die Frage auf, wie es sein konnte, dass eine Frau ihr Alter erreichte, ohne dass jemand für sie verantwortlich war. Genau die Sorte Frau, von der du dich fernhalten solltest, sagte eine Stimme in seinem Kopf.

Er hatte ohnehin nicht vor, sich irgendeiner Frau zu nähern – dafür hatte er keine Zeit. Auch wenn ein Teil von ihm ganz genau wissen wollte, wer sie war und was sie vorgehabt hatte.

So war das eben, wenn man zum Beruf hatte, Informationen zu beschaffen.

„Nun ja, Sie haben mir das Leben gerettet, warum gehen Sie dann nicht Ihrer Wege?“ Sie drückte ihm das Tuch, das sie benutzt hatte, in die Hand, dann versuchte sie, ihn mit einer Handbewegung zu verscheuchen.

„Ich kann Sie hier nicht alleine lassen“, sagte er verärgert. „Was, wenn Sie es noch einmal versuchen?“

„Vielen Dank, Mr. Hilfreich.“ Schon wieder dieser sarkastische Tonfall. „Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass so etwas nicht meine Absicht gewesen ist. Und wenn es das wäre, müssten Sie schon den Rest Ihres Lebens mit mir verbringen, um mich daran zu hindern. Es ist ja nicht so, dass ich – falls ich denn so etwas vorgehabt hätte – für immer daran gehindert wäre, nur weil irgendein Fremder sich auf mich gestürzt hat.“

„Ich habe mich nicht auf Sie gestürzt“, erwiderte er steif. Diese Frau war eindeutig direkter als jede Lady, der er bis jetzt begegnet war, und das gefiel ihm nicht. Überhaupt nicht. „Ich dachte, dass Sie in Gefahr sind – und ich habe Sie einfach nur aus dieser Lage befreit.“

„Indem Sie sich auf mich gestürzt haben“, setzte sie hinzu und in ihrem Tonfall schwang mit, dass sie dachte, dass sie ihm damit einen Schlag verpasst hätte.

Er hob entnervt die Hände. „Na schön. Ich habe mich auf Sie gestürzt. Gestatten Sie mir jetzt bitte, dass ich Sie von der Brücke herunter begleite, um Sie in Sicherheit zu bringen?“ Er konnte es nicht fassen, dass er diese Diskussion mit einer Frau führen musste, deren Urteilsvermögen so getrübt war, dass sie aus einem anderen Grund auf die Brüstung einer Brücke stieg, als sich etwas anzutun. Einer Frau, die etwas so Ungehöriges tat, dass sie damit Aufmerksamkeit auf sich ziehen musste.

„Wenn Sie mich einfach in Ruhe gelassen hätten, wäre mir nichts passiert und ich hätte mir beim Fallen nicht wehgetan“, entgegnete sie. Offenbar gab sie genauso ungern auf wie er.

Also hatten sie etwas gemeinsam.

Selbst wenn es etwas Nervtötendes war.

„Und was hatten Sie überhaupt da oben verloren, wenn Sie nicht …?“, fragte er.

„Ich wollte“, sagte sie herablassend, „einfach nur die Plejaden besser sehen.“

Bram runzelte verwundert die Stirn. „Was in Gottes Namen ist das? Sind die? Der?“

„Plejaden“, wiederholte sie. „Manchmal werden sie auch Siebengestirn genannt. Das ist ein Sternbild. Ich bin Astronomin“, sagte sie voller Stolz. Aber auch ein wenig spöttisch.

Eine Wissenschaftsdame, die es für angebracht hielt, für ihr akademisches Hobby in gefährliche Höhen hinaufzusteigen. Eine Person, von der er sich unter allen Umständen fernhalten musste. „Ach, ein Sternbild“, sagte er in übertrieben verständnisvollem Ton. „Es ist ja völlig klar, dass Sie ein paar Fuß über der Brücke einen viel besseren Blick gehabt hätten. Es ist natürlich vollkommen üblich, dass man wegen so etwas hinaufklettert, um ganz oben zu stehen, wo man keinen festen Halt hat.“

„Sie machen sich über mich lustig“, sagte sie tadelnd. Und außerdem zutreffend. „Ich möchte nicht verspottet werden. Und auch nicht weiter hier stehen und mich mit Ihnen streiten. Ich mache mich jetzt auf den Weg – ich danke Ihnen vielmals dafür, dass Sie mich von der Brücke gezerrt haben, sodass ich hingefallen bin.“

Sie sind auf mich gefallen“, stellte er fest. „Ich bin derjenige, der den Schlag abbekommen hat.“ Er sah sie herausfordernd an. „Es ist ganz und gar ausgeschlossen, dass ich Sie ohne Begleitung weitergehen lasse.“ Er schwieg und wartete darauf, dass seine Worte Wirkung zeigten. „Ich lasse Sie nicht allein, da wir ja nun festgestellt haben, dass ich nicht vorhabe, Sie zu überfallen, und ich das nicht von jedem Menschen sagen kann, den Sie hier draußen möglicherweise treffen werden. Wohin soll ich Sie bringen?“

Er wollte sie nicht noch einmal wiedersehen, auch keine andere Frau wie sie, aber er hatte nicht vor, seine eigenen Grundsätze zu missachten, indem er sie nicht sicher nach Hause brachte. Das war eine Frage des Anstands.

Wilhelmina sah mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf. Wenn er nur nicht so groß gewesen wäre und, wenn sie ganz ehrlich war, so eindrucksvoll.

Ganz abgesehen davon, dass er auch nervtötend, starrköpfig und pedantisch war.

Worte, mit denen man sie auch schon beschrieben hatte, das musste sie zugeben.

Sie hatte nicht vorgehabt, sich auf die Brüstung zu schwingen, aber die Wolken waren für ein paar Minuten vor dem Mond fortgefegt und sie hatte die Plejaden so gut wie möglich sehen wollen. Zu diesem Zeitpunkt war es ihr sinnvoll vorgekommen, so weit wie sie konnte nach oben zu steigen. Sie hatte allerdings fünf Fuß weiter oben auch nicht viel mehr gesehen. Aber es hatte sich anders angefühlt.

Zum einen hatte es sich wackelig angefühlt, dort oben zu stehen. Es war nicht das Gefühl, auf das sie aus gewesen war, als sie sich zum Hinaufklettern entschlossen hatte, das musste sie zugeben. Manchmal sorgte ihre Impulsivität dafür, dass sie etwas tat, das sie vorher nicht zu Ende gedacht hatte.

Zum anderen hatte er sie gepackt, sodass sie nach hinten umgekippt und auf ihm gelandet war. Und dann hatte sie ihr Taschentuch hervorgeholt, um sich um die Schürfwunden in seinem Gesicht zu kümmern. Was in Gottes Namen hatte sie sich dabei gedacht? Dem Mann zu helfen, der ihre Pläne durchkreuzt hatte?

Es wäre viel schlimmer gewesen, wenn sie direkt auf dem Pflaster gelandet wäre. Aber wenn er sich gar nicht erst eingemischt hätte, wäre sie auch nicht gefallen. Sie war allerdings immer noch wackelig auf den Beinen.

Sie musste also zu dem Schluss kommen, dass seine Einmischung die Situation insgesamt gesehen verschlimmert hatte.

„Wohin soll ich Sie bringen?“, fragte er noch einmal. Es klang ungeduldig. „Miss?“, bohrte er weiter nach.

„Lady“, verbesserte sie ihn unwillkürlich und verfluchte sich gleichzeitig. Sie wollte nicht, dass dieser aufdringliche Gentleman mehr über sie wusste als ohnehin schon.

Nämlich, dass sie gerne auf Brücken kletterte und jedem widersprach, der versuchte, sie daran zu hindern. Und jetzt wusste er außerdem, dass sie einen Adelstitel hatte.

Wenn ihr nicht alles wehgetan hätte, weil sie auf ihn gefallen war, wäre sie auf die Brücke geklettert und hätte es noch einmal versucht. Der Mond leuchtete immer noch hell und die Plejaden waren da oben. Sie bekam nie genug davon, in die Sterne zu schauen. Es war einfacher, sich zu konzentrieren, wenn sie nichts außer dem Himmel sah. Es war einfacher, nur das zu tun, was sie wollte, anstatt das, was sie tun sollte.

Es ging nicht einmal um das Thema für den Aufsatz, an dem sie gerade schrieb, aber es war so gut wie unmöglich, die Nebel, die sie gerne gesehen hätte, ohne Teleskop zu erkennen. Sie besaß zwar eines, aber dessen Vergrößerung reichte bei Weitem nicht aus. Es war frustrierend, denn ihr Vater würde niemals damit einverstanden sein, dass sie ein besseres kaufte, und sie war vollkommen von ihm abhängig, was … nun ja, was alles betraf.

Wenn sie ihre Überlegungen jedoch in einem Aufsatz vorstellen konnte, der von anderen Astronomen gelesen wurde, bekam sie vielleicht eine Einladung, in Irland beim Earl of Rosse zu studieren. Sein brandneues Teleskop war stark genug, um fast alles zu sehen, was sie sehen wollte.

Sie seufzte, als sie sich die Möglichkeiten ausmalte, und vergaß darüber vollkommen, wo sie sich gerade befand.

„Mylady dann also.“ Der Tonfall, mit dem der Mann sie aus ihren Gedanken riss, klang belustigt. Er drückte sich gewählt aus und sie fragte sich, was ein Gentleman so spät am Abend auf den Straßen von London verloren hatte.

Offenbar stellte er sich dieselbe Frage, was sie betraf. Hatten sie die Furcht vor Transportmitteln auf Rädern gemeinsam? Nun ja, nein, denn diese Furcht hatte sie nicht, also beantwortete sich die Frage von allein.

„Gestatten Sie, dass ich die Frage angemessener formuliere. Wo bringe ich Sie hin? Denn ich werde Sie irgendwohin bringen, das kann ich Ihnen versichern, Mylady.“ Den letzten Satz hatte er in übertrieben freundlichem Ton gesagt, einer, der darauf ausgelegt war, sie auf die Palme zu bringen.

Sie war auf der Palme. Was für eine Nervensäge.

„Es ist gut für Sie, dass Sie das Kinn eines Adonis haben, wo Ihr Charakter doch so viel zu wünschen übrig lässt“, murmelte sie.

„Das Kinn eines Adonis?“ Offenbar war sein Gehör nicht so schwach wie sein Charakter.

Sie seufzte genervt auf, von ihnen beiden gleichermaßen, und legte den Kopf zur Seite, um an ihm vorbeischauen zu können. Vielleicht fand sie so irgendwo einen Ausweg. Verflucht. Nur ein paar langsame Karren, die wahrscheinlich mit Waren bestückt waren, die auf dem Markt nicht verkauft worden waren. Ein einzelner Reiter, der für die Straßenverhältnisse viel zu schnell galoppierte, und eine rumpelnde Kutsche, die wahrscheinlich jemandem gehörte, den sie kannte, sodass sie es nicht riskieren konnte, sie anzuhalten.

Und dann sah sie sie. Das Geschirr klirrte, als sie näherkam, die beiden Pferde in gleichmäßigem Tempo, der Kutscher saß auf dem Bock. Eine Mietdroschke, so eine konnte man auf jeden Fall anhalten, auch wenn sie das noch nie getan hatte.

Sie kaute an ihrer Lippe, während sie überlegte, wie sie es anstellen sollte, und beschloss dann, es einfach zu machen. Im schlimmsten Fall würde er sich noch einmal auf sie stürzen, nur dass er dieses Mal keine Entschuldigung für sein Verhalten hatte. Sie fand es deswegen gerechtfertigt, zu schreien. Schreien würde Aufmerksamkeit erregen, Aufmerksamkeit, die sie nicht gebrauchen konnte, aber es war unwahrscheinlich, dass dieser hergelaufene Mann, der irrtümlich glaubte, sie davor zu bewahren, sich etwas anzutun, hierbleiben würde, bis der Constable kam.

Es war trotzdem riskant, denn wenn ihr Vater davon erfuhr … Sie schauderte bei dem Gedanken an seine Reaktion.

Falls sich der Gentleman nicht auf sie stürzte, verfolgte er sie vielleicht, wenn sie in der Droschke saß; er war ziemlich groß und hatte lange Beine. Er konnte mit Sicherheit eine Weile mithalten.

Aber warum sollte er? Sie überlegte.

Wenn sie in einer Droschke saß, war er nicht mehr für sie verantwortlich, ganz gleich, was er vielleicht dachte.

Da. Die Droschke war nur noch drei Yards von ihnen entfernt. Sie musste sofort etwas unternehmen, sonst musste sie ihm erlauben, sie irgendwohin zu begleiten, als ob sie nicht selbst auf sich aufpassen könnte. Das konnte sie nicht gebrauchen.

Sie war Lady Wilhelmina Bettesford, berüchtigt für ihre Eigenwilligkeit, von ihrer Impulsivität ganz zu schweigen, und sie weigerte sich, irgendjemanden irgendetwas für sich tun zu lassen.

Und mit diesem Gedanken drängelte sie sich an ihm vorbei, eilte an den Straßenrand und hob die Hand. Sie wedelte durch die Luft, um den Kutscher auf sich aufmerksam zu machen. „Hallooo!“, rief sie.

Es klang albern in ihren Ohren. Warum hatte sie nie daran gedacht, so etwas zu üben?

Vielleicht weil eine Mietdroschke anzuhalten nicht zu den Fähigkeiten gehörte, die von einer jungen Frau aus gutem Hause erwartet wurden.

Es war auch nicht so, dass sie Aquarelle malen, mehr als ein paar Brocken Französisch sprechen oder irgendetwas anderes mit einer Nadel zustande bringen konnte, als sich beim Sticken in den Finger zu stechen.

Wenn sie jungen Damen einen Rat geben sollte, was sie lernen sollten, hätte sie das Anhalten einer Mietdroschke vorgeschlagen. Dazu noch, wie man einen Heiratsantrag ablehnte, wie man sich beim Tee unauffällig einen zweiten Keks nahm und wie man sich an einer unangenehmen Stelle kratzte, wenn man in Gesellschaft war. Das hatte sie sich alles selbst beibringen müssen.

Es sah so aus, als ob die Mietdroschke einfach an ihr vorbeifahren würde, obwohl sie noch einmal hallo rief, doch dann stieß der Mann, der neben ihr stand, einen ohrenbetäubenden Pfiff aus und die Droschke hielt mit einem plötzlichen Ruck an, sodass der Kutscher auf dem Bock schwankte.

Sie spürte eine Hand an ihrem Ellenbogen und zog die Nase kraus. Verflucht. Natürlich war dieser Mann in der Lage, eine Droschke anzuhalten. Wahrscheinlich hatte er Unterricht darin gehabt.

„Wenn Sie möchten, dass ich Sie in einer Droschke nach Hause bringe, hätten Sie das auch einfach sagen können“, sagte der Gentleman, anscheinend immer noch belustigt.

Sie schnaubte, stieg aber in die Kutsche ein und sah zu, wie er hinter ihr elegant hereinschlüpfte, um sich auf den Sitz ihr gegenüber zu setzen.

„Also?“, fragte er schließlich.

„Was also?“

„Ihre Adresse.“ Er nickte ihr zu. „Der Kutscher muss wissen, wo er hinfahren soll. Es sei denn, Sie möchten noch eine Weile hier auf der Brücke bleiben.“

„Na schön“, murmelte sie. „Sagen Sie ihm Grover Street 55.“

Er rief dem Kutscher die Adresse zu und die Droschke setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, sodass sie auf ihn geschleudert wurde.

Schon wieder.

Er hielt ihren Arm fest, um ihr Halt zu geben.

Und dann ließ er sie eilig los, wahrscheinlich weil sie ihm vorhin schon vorgeworfen hatte, dass er sie unsittlich berührt hatte. Aber was hätte sie denn auch denken sollen, wenn er so grob mit ihr umging?

Sie konnte immer noch nicht wirklich erkennen, wie er aussah, aber was sie sah, reichte aus, um dankbar zu sein, dass er kein Leichtfuß war. Er war nämlich bemerkenswert und erstaunlich gut aussehend.

Falls man sich für so etwas interessierte. Leichtfüße taten das; Wilhelmina nicht.

Trotzdem.

Abgesehen von seinem markanten Kinn hatte er dunkles, beinahe schwarzes Haar, das er streng aus dem Gesicht gekämmt trug. Seine Wangenknochen waren hoch und zeichneten sich deutlich ab. Er hatte eine römische Nase und überraschend sinnliche Lippen.

Seine Augenbrauen waren kräftig und dunkel, aber das Bemerkenswerteste an ihm waren seine Augen. Sie leuchteten im Dunkel der Droschke und dann fiel plötzlich das Licht einer Laterne herein und verriet, dass sie ein helles, strahlendes Blau hatten.

Oh je. Er sah geradezu lächerlich gut aus.

„Warum waren Sie eigentlich ganz allein?“, fragte er und unterbrach damit seine Begutachtung durch sie. „Es ist ja einigermaßen ungewöhnlich …“

„Ja, selbstverständlich ist es das“, unterbrach sie ihn. Ihr war klar, dass sie brüsk und wahrscheinlich auch ausgesprochen unhöflich war. Sie hätte gerne damit aufgehört, aber wenn sie sich in einer unangenehmen Situation befand – zum Beispiel wenn sie unerwartet von einer Brücke gezerrt wurde –, zog sie sich auf eine barsche Überheblichkeit zurück, mit der sie jede schmerzhafte Verlegenheit bemänteln konnte, die sie empfand.

Die jetzt im Augenblick beträchtlich war. Und seine Frage hatte so… bieder geklungen. Genau wie alle anderen Menschen, denen sie bis jetzt begegnet war, wenn sie herausgefunden hatten, dass eine brave Lady zu sein das Letzte war, was sie wollte. Alle hatten sie mit einem Schnauben und mit ihrem Tonfall abgeurteilt.

Das war auch der Grund dafür, dass sie so wenige Heiratsanträge bekommen hatte, obwohl sie aus einer guten Familie kam und eine große Mitgift zu erwarten hatte. Wenn sie ehrlich war, war das eine Erleichterung. Sie wollte nicht den Rest ihres Lebens in schmerzhafter Verlegenheit verbringen. Oder, genauer gesagt, war es sicherer und bequemer, wenn sie unverheiratet blieb, was sie sich fest vorgenommen hatte.

Wahrscheinlich hatten Ehemänner nicht besonders viel für Frauen übrig, die lieber durch ein Teleskop schauten, als die Großartigkeit ihres Gatten zu bewundern.

Und nach allem, was sie selbst gesehen hatte, bestanden die Pflichten einer Gattin zu ungefähr vierzig Prozent darin, die Großartigkeit ihres Ehemannes zu bewundern. Zum Rest gehörten das Aufziehen von Kindern, das Einkaufen von Schnickschnack und das Trinken von enormen Mengen Tee.

So ein Leben wollte sie nicht führen. Auch wenn sie eine gute Tasse Tee zu schätzen wusste.

„Sie hätten mich einfach in Ruhe lassen sollen“, sagte sie und kaute anschließend auf ihren Lippen.

„Das konnte ich nicht.“ Er sprach mit fester Stimme, als ob er eine einfache Wahrheit verkündete. „Ich kann nicht tatenlos zusehen, wenn ich sehe, dass ein Unrecht geschieht. Und ich habe angenommen – fälschlich, wie Sie inzwischen mehr als deutlich gemacht haben –, dass Sie drauf und dran waren, ein Unrecht an sich selbst zu verüben.“

„Oh“, sagte sie. Wenn sie bloß nicht so verlegen gewesen wäre! „Wahrscheinlich sollte ich mich bei Ihnen bedanken.“ Jetzt, nachdem sie Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken, war ihr klar, wie er zu diesem Schluss gekommen war.

„Nicht wenn Sie das nicht möchten.“ Inzwischen schien er ihr nicht mehr widersprechen zu wollen; es klang vielmehr, als ob er ernst meinte, was er sagte.

„Ich möchte es.“ Zu ihrer eigenen Überraschung. „Vielen Dank, dass Sie mich gerettet haben, auch wenn es unnötig war. Ich verstehe, warum Sie die Situation missverstanden haben“, sagte sie zögernd. Sie war es nicht gewöhnt, sich zu entschuldigen, schon gar nicht bei einem Mann, der so gut aussah wie er.

Du bist kein Leichtfuß, rief sie sich selbst zur Ordnung.

„Gern geschehen.“ Er schwieg eine Weile und räusperte sich. „Und es tut mir leid, dass ich aufgrund meiner Schlussfolgerungen übereilt gehandelt habe.“

Es klang, als wäre er genauso wenig daran gewöhnt, sich zu entschuldigen wie sie. Noch etwas, das sie gemeinsam hatten.

„Nun ja“, sagte sie nach einem Moment des Schweigens, „es sieht so aus, als hätten wir uns in gewisser Hinsicht geeinigt.“

„In der Tat.“ Zumindest klangen seine Worte jetzt nicht mehr missbilligend. „Gestatten Sie mir, mich vorzu…“

„Nein, halt“, unterbrach sie ihn und hob schnell die Hand. „Wenn Sie sich vorstellen, weiß ich, wer Sie sind …“

„Das ist Sinn und Zweck des Vorstellens“, sagte er trocken.

„… und dann sind wir verpflichtet, einander zu kennen und wir wissen beide, dass diese ganze Situation hier ungehörig ist und keiner von uns möchte dazu gezwungen sein …“

„Lieber Gott, nein“, sagte er heftiger, als höflich gewesen wäre.

Nun gut. Zumindest waren sie sich auch darin einig. Auch wenn die Schnelligkeit seiner Antwort schmerzte.

„Bis auf Weiteres sind Sie also Mr. Hilfreich und ich bin …“

„Sie sind Lady Mondlicht“, schlug er so bereitwillig vor, als ob ihm der Gedanke nicht eben erst gekommen wäre. „Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mylady“, fügte er hinzu und streckte ihr die Hand hin.

Sie nahm sie und stellte fest, dass er einen festen Händedruck und einen aufmerksamen Blick hatte. „Mich freut es auch sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Hilfreich“, sagte sie und schenkte ihm ein schiefes Lächeln. Lady Mondlicht. Sie musste zugeben, dass ihr das gefiel.

Er ließ sie los, lehnte sich in die Sitzkissen und verschränkte die Hände locker zwischen seinen Knien. Er wirkte vollkommen sicher, seine Erscheinung stand in so starkem Kontrast dazu, wie sie sich fühlte, dass ihr unbehaglich wurde.

Vielleicht machte er so etwas ständig – junge Damen retten, die auf Brücken hockten. Vielleicht war er ein gewohnheitsmäßiger Retter und wenn sie es nicht gewesen wäre, hätte er eine andere gerettet.

Vielleicht musste sie mit solchen Gedanken aufhören, weil sie sich überhaupt keine Gedanken über ihn machen sollte. Dieses Intermezzo war vorbei, sobald sie aus dieser Kutsche ausgestiegen war.

Sie konnte wirklich erleichtert sein, wenn es vorbei war.

Warum war sie es dann nicht?

Männer, die ich nicht heiraten möchte:

eine ganz und gar unvollständige Liste von

Lady Wilhelmina Bettesford

Edward Oxford.

Edward Oxford hat im Jahre 1840 versucht, einen Anschlag auf Königin Victoria zu verüben. Er hatte dankenswerterweise keinen Erfolg damit, aber wenn er solche Absichten gegen ein Mitglied des Königshauses hegte, möchte man sich nicht vorstellen, wie er zu einer gewöhnlichen Ehefrau stand!

2. KAPITEL

Bram sprang aus der Kutsche und reichte seine Hand der Frau – Lady Mondlicht –, um ihr beim Aussteigen zu helfen.

Sie sah über seine Hand hinweg, hielt sich stattdessen am Türrahmen fest und sprang hinunter. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, richtete sie sich auf und warf ihren Umhang über die Schulter.

Sie war offensichtlich ein sehr unabhängiger Mensch, der überhaupt nichts von gesellschaftlichen Regeln hielt. Ein Mensch, der sich wegen seines gesellschaftlichen Ranges keine Sorgen um seinen guten Ruf zu machen brauchte.

Ihr Kleid war schlicht und hochgeschlossen. So etwas zog eine Wissenschaftsdame wohl an, wenn sie die Sterne beobachten ging. Er konnte jedoch auch deutlich sehen, dass es sich um gute Qualität handelte, auch wenn er nicht genug über Frauenkleider wusste, um sagen zu können, woher er das wusste. Es hatte wahrscheinlich etwas mit dem Stoff zu tun oder dem Schnitt oder was auch immer.

Hier, wo das Licht besser war, konnte er auch endlich ihr Gesicht erkennen. Sie hatte eine winzige Stupsnase, zu der ihr breiter Mund und ihre vollen Lippen in deutlichem Kontrast standen. Dazu hatte sie dunkle Augen, braun, wenn er hätte raten sollen, und ihr Haar war ebenfalls braun. Es fiel ihr wirr über die Schultern.

„Vielen Dank, Mr. Hilfreich“, sagte sie und es klang steif. „Hoffentlich begegnen wir uns nicht noch einmal.“ Sie nickte ihm zu, doch dann sah sie ihm über die Schulter und fing an, an ihren Lippen zu kauen. „Warten Sie“, sagte sie mit viel leiserer Stimme. „Nicht bewegen.“

Sie trat dicht an ihn heran, hob den Saum ihres Umhangs zu ihm herüber und duckte sich an seine Brust.

„Mylady?“, sagte er überrascht. Er hatte keine Ahnung, was sie vorhatte und warum. Daran hatte sich eigentlich nichts geändert, seitdem er sie das erste Mal gesehen hatte.

„Bleiben Sie einfach stehen, ich möchte nicht, dass mich jemand sieht“, zischte sie.

„Ah“, erwiderte er.

Sie schlang die Arme um ihn und er zuckte erschrocken zusammen, ehe er bei ihr dasselbe tat und sie fest an sich zog. Die Droschke rollte inzwischen davon. „Wie lange müssen wir so stehenbleiben?“, fragte er. Er hatte das Gefühl, eine große Sünde zu begehen. Auch wenn es sich gut anfühlte, sie an sich zu drücken – warm und weich und duftend wie irgendeine Blume.

„So lange, bis die …“, sagte sie und neigte den Kopf, um an ihm vorbeisehen zu können. „Verflucht!“, rief sie und kehrte so schnell sie konnte an seine Brust zurück.

„Wollen Sie weitergehen?“, fragte er. „Ich weiß allerdings nicht, wie wir das machen sollen. Wir könnten versuchen, dort …“

„Pssst!“, unterbrach sie ihn mit der Nase an seinem Brustbein.

Er sah auf ihren Scheitel hinab. „Ich glaube, Sie sind gerade nicht in der Position, den Ton anzugeben“, sagte er mit leiser Stimme.

„Nur ein paar Minuten“, flüsterte sie wütend. „Irgendwann gehen sie schon wieder ins Haus.“

„Wer?“, fragte er.

„Meine Tante und Bär“, erwiderte sie.

„Bär?“

„Mein Hund?“

„Nicht Orion? Oder Sirius?“, entgegnete er.

„Er heißt so nach dem großen Bären“, erwiderte sie in leisem, pedantischem Tonfall.

„Ja, das dachte ich mir“, sagte Bram mit Belustigung in der Stimme. „Bei Ihrer heftigen Liebe zu den Sternen.“

„Oh, Gott sei Dank“, sagte sie, nachdem sie noch einmal an ihm vorbeigespäht hatte. „Sie sind weg.“ Sie löste sich von ihm und setzte sich dabei die Kapuze ihres Umhangs auf. Sie hob den Kopf, um ihn anzusehen, und kaute dabei wieder auf ihren Lippen. Er musste zugeben, dass der Anblick ihn beunruhigte. „Vielen Dank. Noch einmal.“ Und dann reckte sie sich und küsste ihn sanft auf den Mund.

Ehe er etwas erwidern konnte, ehe er irgendetwas anderes tun konnte, als dazustehen, war sie schon an ihm vorbeigeeilt und er hörte, wie eine Tür geschlossen wurde.

In jeder Hinsicht vollkommen ungehörig.

Er berührte seinen Mund mit den Fingern. Legte sie an die Stelle, an der sie ihn berührt hatte. Ein Teil von ihm wäre ihr gerne gefolgt, hätte von ihr verlangt, dass sie ihm ihren Namen verriet und warum sie … warum sie ihn um Gottes willen geküsst hatte, nachdem sie sich vorhin noch über auf sie stürzen oder nicht auf sie stürzen gestritten hatten. Nachdem sie versucht hatte, ihm in einer Droschke zu entkommen, und sie seine Hilfe nur widerwillig angenommen hatte.

Doch dann zuckte er mit den Schultern und sah sich auf der Straße um. Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen, etwas, das nur dann etwas zu bedeuten hatte, wenn er es zuließ. In seinem Leben gab es keinen Platz für Komplikationen, nicht einmal für so wunderbare Komplikationen wie einen Kuss – einen sanften, zärtlichen Kuss, den er mit sanften, zärtlichen Lippen bekommen hatte.

Im Grunde genommen gab es in seinem Leben Platz für nichts, was nicht bereits da war.

Und er hatte schon gar keine Zeit für eine Person, die die allgemeinen Regeln des Anstands mit solchem Nachdruck missachtete.

Die Straße, in der sie wohnte, war nicht weit entfernt von dem Club, in dem er mit seinen Freunden verabredet war. Er war nur etwa dreißig Minuten zu spät dran und würde wahrscheinlich trotzdem noch vor Fenton dort sein, der sich oft so sehr in seine Arbeit vertiefte, dass er vergaß zu essen, zu schlafen und alles andere zu tun, was die meisten Menschen lebenswichtig fanden.

Er wollte lieber weiter über Mary Barton nachdenken und darüber, was Gaskell über das Klassensystem zu sagen hatte, darüber, wer wen liebte, aber er konnte nicht. Jetzt noch nicht.

Er sah zum Haus hinauf. Ganz offensichtlich gehörte es einer aristokratischen Familie und einer wohlhabenden noch dazu. Hinter den meisten Fenstern brannte Licht und aus einem geöffneten Fenster im Erdgeschoss waren Stimmen zu hören. Dann konnte er ihre Stimme und die einer anderen Frau ausmachen. Und schließlich das Japsen eines aufgeregten Hundes. Das musste wohl Bär sein.

Er verzog den Mund zu einem Lächeln und machte sich zu Fuß auf den Weg in den Club. Er hatte ganz bestimmt nicht damit gerechnet, dass der Abend sich so entwickelte, aber er musste zugeben, dass es ein anregendes Erlebnis gewesen war. Wenn auch nicht ohne. Morgen früh würde er allerdings den Schmerz zu spüren bekommen, weil sie auf ihn gefallen war, so viel war sicher. Und die Wirkung des sanften Kusses wahrscheinlich noch viel länger.

Wilhelmina schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, während sie sich in der Eingangshalle umsah. Zum Glück hatte sich Tante Flora bereits auf den Weg in die Küche gemacht, wie es ihre Gewohnheit war, nachdem sie mit Bär vor die Tür gegangen war, wo er sein Geschäft verrichten konnte.

Die Lakaien, die normalerweise stets bereitstanden, um Mitgliedern der Familie zu helfen, die sich auf den Weg machten oder nach Hause kamen, waren ebenfalls in der Küche, denn es war gerade Zeit für das Personalessen. Das hatte Wilhelmina schon einkalkuliert, als sie sich vor ein paar Stunden aus dem Haus geschlichen hatte.

Und sie hatte vor der Tür einen Gentleman geküsst. Warum hatte sie das getan?

Sie hatte keine Antwort auf diese Frage, nicht einmal, wenn sie tief in ihre Seele hineinhorchte. Sie musste es wohl derselben Impulsivität zuschreiben, die sie überhaupt erst auf die Brücke geführt hatte. Sie war ihm dankbar gewesen und er war zweifellos der bestaussehende Gentleman, den sie je gesehen hatte, warum sollte sie ihn also nicht küssen?

Es war ja so, dass sie ansonsten nicht vorhatte, jemanden zu küssen. Da konnte sie sich diese Erfahrung zumindest einmal im Leben gönnen. Zufrieden mit ihrer Begründung legte sie das Thema zu den Akten.

„Zum Glück hat mich niemand gesehen“, murmelte sie. Sie wusste genau, wie knapp es gewesen war. Sie fand, dass sie zu alt für eine Anstandsdame war, aber ihr Vater, ihre Tante und die gesamte vornehme Gesellschaft waren natürlich anderer Ansicht.

Ein paarmal war sie auch erwischt worden, aber sie hatte es immer geschafft, denjenigen, der sie erwischt hatte, davon zu überzeugen, dass es gute Gründe dafür gab, dass sie ausgegangen war. Das war ebenfalls ein gutes Thema für die Unterrichtung von jungen Damen: sich aus Schwierigkeiten herausreden, auch wenn man sich selbst hineingebracht hatte. Vielleicht war das sogar noch wichtiger, als eine Mietdroschke anhalten zu können.

Ihr Vater, der Earl of Croyde, war geschäftlich auf Reisen und Tante Flora war nicht ganz so sehr darauf erpicht, dass Wilhelmina sich benahm, wie sich eine anständige Lady wohl benehmen musste. Wilhelmina selbst war offensichtlich auch nicht so sehr darauf erpicht, denn sie hatte immerhin gerade eben einen Fremden geküsst.

Auch wenn es ein gut aussehender Fremder gewesen war, dessen Augen dieselbe Farbe hatten wie der vor Kurzem entdeckte Planet Neptun.

So viel dazu, das Thema zu den Akten zu legen, dachte sie und verzog das Gesicht.

„Da bist du ja“, sagte Tante Flora, die gerade die Eingangshalle betrat. „Ich dachte, du bist vielleicht im Garten, aber Bär und ich waren draußen und du warst nicht da. Aber wem sage ich das“, fuhr sie fort.

Tante Flora neigte dazu, alles auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging. Wie ihre Nichte, im Grunde genommen.

Im Augenblick waren Wilhelmina und Tante Flora gleichermaßen auf die Gunst des Earl angewiesen, ihnen ein Zuhause zu geben – Floras Mitgift war ihrem verstorbenen Ehemann zugutegekommen, der sie bis aufs Letzte verprasst hatte, ehe er praktischerweise jung gestorben war. Praktisch vor allem für Tante Flora, weil ihr Ehemann ein Taugenichts gewesen war.

Das war einer der vielen Gründe dafür, dass Wilhelmina beschlossen hatte, nicht zu heiraten. Tante Flora hatte ihr, wenn auch vage, genügend schaurige Details verraten, um Wilhelmina davon zu überzeugen, dass nur der fragliche Gentleman von einer Ehe profitierte. Tante Flora war in den meisten Dingen flatterhaft, aber erstaunlich fest davon überzeugt, dass Wilhelmina sich niemals von einem Mann abhängig machen durfte.

Wilhelmina durfte erst in sieben Monaten über das Geld verfügen, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, aber dann wollte sie mit ihrer Tante Flora zusammenziehen, an einen Ort, an dem Wilhelmina die Sterne beobachten konnte und Tante Flora Menschen traf, die ihre Interessen teilten: Gärtnern, Klatschgeschichten und Spiele. Bis dahin waren sie beide noch von Wilhelminas Vater abhängig.

Sie war mit achtzehn in die Gesellschaft eingeführt worden, was eine Katastrophe gewesen war – sie hatte mehrere Tanzpartner mit Wein bekleckert, ein paar andere Gentlemen für ihre allgemeine Unwissenheit getadelt und kam mit den meisten anderen Debütantinnen nicht gut zurecht.

„Und ich wollte nicht, dass er sein Geschäft im Garten verrichtet“, fuhr Tante Flora fort, „deswegen bin ich mit ihm durch die Vordertür nach draußen gegangen.“

Bär kam hereingeflitzt, rannte auf Wilhelmina zu und japste ein paarmal, um gleichzeitig „Schön, dass du wieder da bist!“ und „Ich bin schwer enttäuscht, weil du mich nicht mitgenommen hast“ zu sagen, was wohl nur Hunde gleichzeitig vermitteln konnten.

Sie beugte sich vor, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, und er umkreiste ihre Beine, ehe er weiterrannte, um eine besonders interessante Ecke der Halle zu inspizieren.

„Ich hatte zu tun“, erwiderte Wilhelmina unbestimmt. Damit, jemanden zu küssen, den ich eigentlich gar nicht kenne. „Wir müssen uns knapp verpasst haben.“ Beide Feststellungen waren wahr, wenn auch irreführend.

„Nicht so wichtig“, sagte Tante Flora und machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich habe eine Nachricht von deinem Vater bekommen – er kommt früher zurück. Heute Abend noch, schreibt er.“

Wilhelmina sah sie blinzelnd an. Ihr Vater wich sonst nie von seinen Plänen ab – das war eins von den Dingen, die er und seine Schwester Flora nicht gemeinsam hatten. Er hätte niemals spontan jemanden geküsst.

Dass er so wenig spontan war, war vielleicht einer der Gründe dafür, dass Wilhelmina ihre Tante ihrem eigentlichen Elternteil vorzog.

„Bist du sicher?“, fragte sie. Flora neigte nämlich auch dazu, Dinge misszuverstehen. Für einen Augenblick ging ihr durch den Kopf, dass er vielleicht von ihren abendlichen Abenteuern erfahren hatte – dass sie sich hinausgeschlichen hatte, auf die Balustrade einer Brücke geklettert war und dann einen Fremden geküsst hatte –, aber das konnte unmöglich sein. Trotzdem stockte ihr der Atem, wenn sie nur daran dachte.

Ihr Vater war kein nachsichtiger Mensch.

„Absolut. Ich habe Mrs. Windham gebeten, die Nachricht ebenfalls zu lesen, nur um sicherzugehen, dass ich alles verstanden hatte.“

Mrs. Windham war ihre Haushälterin, eine bemerkenswert gesetzte Frau, die alles ganz genau nahm. Wie es sich für eine gute Haushälterin gehörte.

Dass sie Wilhelmina bei ihren häufigen Eskapaden deckte, passte mit Sicherheit nicht zu den durchaus strengen Ansichten der Haushälterin, aber sie hatte nicht vor, das zu hinterfragen, solange es bedeutete, dass sie sich mit einiger Regelmäßigkeit aus dem Haus flüchten konnte. Vielleicht hing ihre Nachsichtigkeit mit Mrs. Windhams eigener Vergangenheit zusammen, über der ein Mantel des Schweigens lag, die aber nicht frei von Fehltritten gewesen zu sein schien.

Wilhelmina wollte diese Geheimnisse genauso dringend lüften, wie sie die Geheimnisse der Sterne ergründen wollte, aber letztere waren viel einfacher zu durchschauen.

„Ach, Mylady“, sagte Mrs. Windham, die gerade aus dem Korridor hereinkam, der zur Küche führte. „Mir war gar nicht klar, dass Sie schon fertig sind. So weit ich weiß, will Ihr Vater bald nach Hause kommen – soll ich im Salon etwas vorbereiten?“

Wilhelmina nickte. „Ja, bitte. Er kann nach seiner Reise mit Sicherheit eine Erfrischung gebrauchen. Wo war er noch gleich?“, fragte sie an Tante Flora gewandt.

„Auf dem Anwesen in Derbyshire, glaube ich“, warf Mrs. Windham ein.

„Ach ja, richtig. Er musste einen neuen Verwalter einstellen.“

Wilhelminas Vater war der sechste Earl und hatte den Titel geerbt, als sein Bruder vor dreißig Jahren unerwartet verstorben war. Ihr Vater war durch seine Erziehung nicht auf alles vorbereitet worden, was dazu gehörte, diesen Titel zu tragen, und er gab sich große Mühe, in allem korrekt zu sein, deswegen kümmerte er sich so oft wie möglich persönlich um seine Ländereien und seine Finanzgeschäfte.

„Ich möchte allerdings wissen, warum er seine Reise vorzeitig abgebrochen hat“, überlegte Wilhelmina. Sie nahm Tante Floras Arm und die beiden gingen langsam in den Salon hinüber. Bär folgte ihnen auf dem Fuße. „Er wollte doch noch eine ganze Woche bleiben.“

Ihr Vater reiste nicht gerne und nahm sich deswegen immer genügend Zeit, um für größtmögliche Bequemlichkeit zu sorgen. Er fand es inakzeptabel, sich eine Woche Zeit nehmen zu müssen, um irgendwohin zu kommen, nur um ein paar Tage später wieder abzureisen. Deswegen waren seine Reisen normalerweise ziemlich lang.

Wilhelmina war froh darüber, dass er so oft lange fort war, auch wenn sie sich ein wenig schuldig fühlte, weil ihr Wohlbefinden für ihren Vater Unannehmlichkeiten bedeutete. Doch wenn er auf Reisen war, war es einfacher für sie, ihr Leben so zu leben, wie sie es sich vorstellte, ohne sich vor einem wachsamen Elternteil verantworten zu müssen.

Sie hatte ihrem Vater schon öfter gesagt, dass sie mit ihren vierundzwanzig Jahren schon weit über das Alter hinaus war, wo die meisten Frauen ihren eigenen Haushalt führten, woraufhin der erwidert hatte, dass diese Ladys Ehemänner hatten, Wilhelmina hingegen nur einen Hund.

Darauf wusste Wilhelmina keine Antwort. Allerdings hatte sie einmal vorgeschlagen, dass sie Bär heiraten könnte, wenn ihr Familienstand das Problem wäre.

Ihr Vater hatte das nicht witzig gefunden.

Sie und Tante Flora setzten sic...

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