Verrückt nach Kelly

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Ist das seine große Chance? Bei einer heißen Kussszene darf der Kameramann John für den Hauptdarsteller einspringen - und will noch viel mehr von der schönen Schauspielerin Kelly. Doch er ist jünger als sie, und Kelly will weg aus Atlanta, um in Hollywood Karriere zu machen …


  • Erscheinungstag 28.02.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739522
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Kelly Castelle kam sich vor, als wäre sie in der Hölle. Jedenfalls stellte sie sich die Hölle so vor, abzüglich des Straßenverkehrs, der Bürgersteige und Hochhäuser. Sie strich mit dem Handgelenk über ihre feuchte Stirn. Dies wäre nicht ihr erster schrecklicher Job, aber sie war sich absolut sicher, dass sie dieses Mal den Teufel hinter der Kamera vorfinden würde.

„Ist es hier immer so heiß?“

Der Chauffeur sah sie im Rückspiegel an. „Wir haben Mitte August, Miss“, sagte er. „Und wir sind hier in Atlanta. Was haben Sie denn erwartet?“

„Etwas wie Los Angeles.“ Drüben in L. A. war es auch sehr warm, aber solch eine feuchte Hitze hatte sie noch nie erlebt. Ihre Kleidung klebte am Körper, und in dem Moment, als sie aus dem Flugzeug trat, war ihr Haar schlaff hinabgesackt. Wenn sie auch nur halb so schlimm aussah, wie sie sich fühlte, würde man sie auf der Stelle feuern und eine andere Schauspielerin engagieren – eine, die die Kunst beherrschte, bei zweiunddreißig Grad frisch und fit auszusehen.

Vielleicht ist das ein Zeichen, dachte Kelly. Sie erwog in letzter Zeit immer öfter, Hollywood und dem Showbusiness den Rücken zu kehren und ein neues Leben zu beginnen. Obwohl sie fünfzehn Jahre hart an ihrer Karriere gearbeitet hatte, konnte sie keine Erfolge vorweisen. Sicher, sie war einige Male in Fernsehserien aufgetreten, sie hatte Werbespots gemacht und eine kleine Rolle in einem drittklassigen Horrorfilm gehabt. Sie hatte sogar zwei Jahre lang in einer Soap mitgespielt, bis die Figur, die sie darstellte, durch einen Meteoriteneinschlag in ihren Wohnwagen ums Leben kam. Aber nun näherte sie sich dem Alter, wo sie nicht einmal mehr für eine Sprechrolle angefordert werden würde.

Fünfunddreißig. Sicher, es gab jede Menge Schauspielerinnen, die einen Mord begehen würden, um noch einmal in ihrem Alter zu sein. Aber Kelly hatte in den letzten beiden Jahren gemerkt, dass ihre Karriere-Uhr immer lauter tickte.

Ihre Agentin hatte sie kürzlich gefragt, ob sie schon mal erwogen hätte, Softpornos zu machen. Kelly hätte Louise DiMarco sofort gefeuert, wenn die Frau ihr nicht gleich anschließend einen Werbespot für eine Hämorrhoidensalbe angeboten hätte. Kelly hatte beides abgelehnt. Darauf erwähnte Louise beiläufig einen kleinen Job. Eine Rolle in einem Sketch für die Talkshow „Just Between Us“.

Trotz der bescheidenen Gage hatte sie zugesagt. Es waren ein Gratistrip nach Atlanta, eine Nacht in einem guten Hotel und genug Geld, um eine Weile über die Runden zu kommen. Obwohl man diesen Job kaum den großen Glückstreffer nennen konnte, war es wenigstens kein Porno.

„Wir sind da“, sagte der Chauffeur, während er an den Straßenrand fuhr und hielt. „Die CATL-Studios. Brauchen Sie Hilfe mit Ihrem Gepäck?“

„Nein, danke. Mit dem kleinen Trolley komme ich selbst zurecht.“ Kelly reichte ihm einen Zwanziger nach vorn. „Vielen Dank.“

Der Fahrer winkte ab. „Die Fahrt übernimmt der Sender. Das Trinkgeld auch.“ Er betätigte den Hebel zum Öffnen des Kofferraums, sprang aus der Limousine und half Kelly beim Aussteigen. Sie trat in die Hitze hinaus und starrte zum Gebäude des Senders, einem modernen Bau aus Glas und rotem Klinker. Die silbernen Lettern CATL glänzten in der Mittagssonne.

„Die Show muss weitergehen“, murmelte sie, während die Limousine davonfuhr. Den Trolley hinter sich her ziehend, durchquerte Kelly einen kleinen Hof und trat durch die breiten Glastüren in eine kühle, stille Lobby. Eine hübsche Rezeptionistin saß an einem modernen Empfangspult. Sofas und Sessel waren in Gruppen über die Halle verteilt, und hinter dem Empfangstresen hing eine Reihe von Fernsehmonitoren von der Decke.

Kelly setzte ein Lächeln auf. „Hallo, ich bin …“

„Miss Castelle“, vervollständigte die Rezeptionistin den Satz und drückte einen Knopf auf ihrer Schalttafel. „Hi, Jane. Hier Mindy. Miss Castelle ist da.“ Zu Kelly gewandt sagte sie: „Sie kommt gleich.“

„Könnte ich mich hier irgendwo frisch machen?“

„Das müssen Sie nicht. Jane wird Sie gleich zum Umziehen und Schminken in die Garderobe bringen.“

„Umziehen und schminken?“

„Ja. Der Dreh beginnt in einer halben Stunde.“

„Ich … ich dachte, wir würden erst mal ein Meeting haben oder die Rollen lesen. Ich hab nicht gewusst, dass …“

„Hier wird mit einer ziemlich straffen Terminplanung gearbeitet“, sagte Mindy in einem entschuldigenden Ton.

Kelly ließ sich in einen Sessel fallen und durchsuchte ihre Bordtasche nach dem Drehbuch. Sie hatte während des Flugs hineingeschaut, aber wenn sie in dreißig Minuten vor der Kamera stehen sollte, war noch einiges zu tun. Über die Figur, die sie spielen sollte, über deren Ziele und Motive, hatte sie überhaupt noch nicht nachgedacht.

Ach, zum Teufel, was kümmerte sie das? Es war doch nur ein kurzer Sketch für eine regionale Talkshow. Das Zeug würde ein einziges Mal gesendet werden und dann in der Versenkung verschwinden.

„Miss Castelle?“

Kelly sprang auf, das Drehbuch an ihre Brust gepresst. „Ja?“

Die Frau, die vor ihr stand, trug schwarze Jeans und eine schrille Bluse im Stil der Sechzigerjahre. Ihr gebleichtes Haar war zu einem asymmetrischen Bob geschnitten, den nur Stylisten beim Film zustande bringen konnten.

„Ich bin Jane Kurtz“, sagte die Frau. „Willkommen in Atlanta. Ich nehme Sie jetzt zur Garderobe mit, und dann machen wir uns an Ihr Make-up.“ Sie schaute auf ihre Uhr. „Wie war Ihr Flug? Atlantas Flughafen ist ein Albtraum, aber Sie haben dieses Inferno offenbar unbeschadet überstanden.“

Jane hielt eine Tür auf, ließ Kelly vorbeigehen und führte sie durch ein Labyrinth von Fluren. Schließlich betraten sie einen großen Raum, dessen Wände vom Boden bis zur Decke mit Kleiderstangen bedeckt waren. Eine schwarzhaarige Frau war dabei, Kleider zu sortieren und aufzuhängen.

„Dies ist meine neue Assistentin Karen Carmichael“, stellte Jane sie vor.

Kelly lächelte der Frau zu, die sie auf Ende zwanzig schätzte. Karen trug einen wild gemusterten Kittel und in einem Nasenflügel einen winzigen Diamanten. Ihre langen Ponyfransen schimmerten violett.

„Größe sechsunddreißig“, bemerkte Karen. „Eins dreiundsechzig.“

„Stimmt genau. Toll geschätzt“, sagte Kelly.

Jane grinste. „Siehst du, Karen, ich hab gewusst, dass es einen Grund gab, dich einzustellen. Obwohl deine Fähigkeit, mein Gewicht bis aufs Gramm genau zu schätzen, mir nicht so besonders gefällt.“

„Dreiundfünfzigeinhalb Kilo“, sagte Karen mit einem Blick auf Kelly.

Kelly sog hörbar die Luft ein. „Wow. Das ist ja unglaublich.“

Karen sah bedeutungsvoll zu Jane. „Sollte man sie nicht einfach umbringen? Als ich das letzte Mal dreiundfünfzig wog, war ich in der siebten Klasse.“

Jane lachte. „Ich werde ihr den Garaus machen, wenn wir mit dem Dreh fertig sind.“

Kelly blickte zwischen den beiden hin und her und sah das belustigte Glitzern in ihren Augen. „Vielleicht tröstet euch die Tatsache, dass ich fünf bis zehn Jahre älter bin als ihr.“ Sie hielt erst drei Finger hoch, dann fünf.

„Nicole wird ausflippen“, sagte Karen. „Sie sehen überhaupt nicht aus wie fünfunddreißig. Und dabei sollen Sie die ältere Frau in diesem Sketch sein.“

„Machen Sie sich deswegen keine Gedanken“, beruhigte Jane sie. „Ihr Filmpartner sieht unglaublich jung aus. Und die Scheinwerfer lassen jede Frau fünf Jahre älter wirken.“

Sie gingen in den Schminkraum. Jane verstaute Kellys Tasche unter dem Tresen und ließ Kelly auf einem Stuhl vor der Spiegelwand Platz nehmen.

Kelly starrte ihr Spiegelbild an. „Mein Haar sieht entsetzlich aus.“

„Ich hab ein Haarspray, das Wunder bewirkt. Und ich werde etwas mit dem Lockenstab zaubern.“ Jane fuhr mit den Fingern durch Kellys Haar. „Schöne Farbe. Wer färbt es?“

„Keiner.“

„Machen Sie es selbst?“

„Nein, ich färbe meine Haare nicht. Finden Sie, dass ich es tun sollte?“

„Bloß nicht! Die Farbe ist fantastisch. Es wundert mich nur, dass Sie noch kein Grau gefunden haben, wo doch Ihr Haar so dunkel ist.“

Die Wahrheit war, dass Kelly schon etliche graue Haare an ihren Schläfen entdeckt hatte. Sie zupfte sie alle sorgsam aus, statt sich einzugestehen, dass es an der Zeit war, mit dem Färben anzufangen. Aber nun, da sie mit der Schauspielerei aufhören würde, brauchte sie sich wegen ihres Haars keine Gedanken mehr zu machen. In der wirklichen Welt hatten Frauen graue Haare.

Während Jane sie schminkte, ging Kelly nochmals das Drehbuch durch. „Just Between Us“ war eine interessante Mischung aus den besten Elementen diverser Talkshows. Die Gastgeberin Eve Best brachte sexy Themen, die von Klatsch über Prominente bis hin zu den neuesten Modetrends und zu Beziehungsproblemen reichten. Seit Kurzem wurden kleine Sketche in die Sendung eingestreut, um die Zuschauer auf das nächste Thema einzustimmen. Der Titel ihres Stücks lautete: „Ein Loblied auf die jüngeren Männer“. Die einzelnen Szenen illustrierten die Reize und Probleme einer Affäre mit einem jüngeren Mann.

„Hallo. Sie müssen die ältere Frau sein.“

Kelly blickte auf und sah ihren Filmpartner in der Tür stehen. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber den typischen Hollywoodschönling zu sehen versetzte ihr einen Stich der Enttäuschung. Der Bursche war nicht nur entnervend hübsch, sondern hatte ein Gesicht, das ihn auf dem Bildschirm noch wesentlich besser aussehen lassen würde. Neben ihm würde sie geradezu hässlich erscheinen.

„Hi“, sagte sie und lächelte verkrampft. „Ich bin Kelly Castelle.“

„Bryan Lockwood“, entgegnete er mit einem strahlenden Zahnpastalächeln. „Sagen Sie, könnten wir diese Sache vielleicht ein wenig beschleunigen? Ich hab für heute Abend um acht meinen Rückflug nach Kalifornien gebucht und darf ihn nicht verpassen. Morgen früh treffe ich mich mit Hanks’ Leuten, wegen einer Rolle in seinem neuen Film.“

„Tom Hanks?“, fragte Kelly.

„Es ist eine große Rolle. Mein Agent meint, ich sei perfekt dafür. Und dann habe ich diese Woche noch ein Meeting mit dem Chef der Produktionsfirma von Cruise. Das sind lauter tolle Sachen, die ich mir auf keinen Fall wegen dieses albernen Jobs vermasseln will.“

„Wir sind gleich fertig“, sagte Jane.

„Cool. Wir sehen uns dann auf dem Set.“ Er warf Kelly nochmals ein strahlendes Lächeln zu.

„Was für ein Blödmann“, murmelte Jane, nachdem er gegangen war. „Dieser Typ war auf dem Stuhl ein Albtraum. Ich musste sein Gesicht drei Mal grundieren, bis ich die kalifornische Strandbräune hingekriegt hatte, die er wollte.“ Jane legte Kelly die Hände auf die Schultern und sah sie im Spiegel an. „Ich verrate Ihnen jetzt ein kleines Geheimnis. Sein Haaransatz ist auf dem Rückzug. Ich gebe ihm noch zwei Jahre, bis er Implantate braucht.“

„Vielen Dank“, sagte Kelly. „Dieser Job macht meinem Ego ziemlich zu schaffen.“

„Sie sind wunderschön“, versicherte Jane ihr. „Schauen Sie doch mal. Dieses klassische Profil, diese perfekte Nase, diese Wangenknochen, die kein bisschen höher sein könnten.“ Sie ergriff einen Tiegel und einen feinen Pinsel. „Und sehen Sie sich diesen Mund an. Alle Frauen, die sich ihre Lippen aufpolstern lassen, werden vor Neid grün werden, wenn sie Ihren Mund sehen.“

„Schon gut, schon gut. Mein Ego ist besänftigt.“ Kelly lachte. „Bitte keine Übertreibungen.“

Jane trug sorgsam Lippenstift auf und reichte Kelly ein Zellstofftuch zum Abtupfen. „So. Fertig. Ich bringe Sie jetzt ins Studio und stelle Sie Nicole vor. Sie ist die Produzentin der Show.“

Kelly betrachtete sich im Spiegel. Ja, sie sah noch immer gut aus. Es gab eine Menge Schauspielerinnen in ihrem Alter, die älter wirkten. Sie holte tief Luft und klärte ihre Gedanken. Dies war einfach nur ein kleiner Filmjob. Und obwohl es wahrscheinlich ihr letzter war, würde sie ihre Rolle mit vollem Einsatz spielen.

John Haas starrte durch das Objektiv der Kamera die Frau auf der Parkbank an. Er hatte den Blick nicht von ihr lassen können, seit sie auf dem Set erschienen war.

Er zoomte ihr Gesicht nah heran und betrachtete es eingehend. Jetzt arbeitete er schon ein halbes Jahr für diese Show, aber solch eine außergewöhnliche Frau hatte er hier noch nie gesehen. Jeder ihrer Gesichtszüge war mit den anderen in harmonischem Gleichgewicht. Sie ist vollkommen, dachte er. Leicht exotisch. Die Kombination von dunklem mahagonifarbenen Haar, grünen Augen und glatter Porzellanhaut war faszinierend. Er konnte ihre Abstammung nicht benennen.

„So, wir können loslegen“, sagte Nicole Reavis. „Wir gehen das Stück rasch durch, während George die Beleuchtung einstellt. Dann fangen wir mit den Aufnahmen an. Wir haben vier kurze Szenen – kultureller Hintergrund, Lebenserfahrung, sexuelle Vereinbarkeit und Zukunftsaussichten. In diesem ersten Abschnitt habt ihr euch gerade in einem Park kennengelernt und redet über Musik. Dabei stellen Sie fest, Kelly, dass Bryan einen völlig anderen Musikgeschmack hat als Sie. Und das verursacht Ihnen Unbehagen.“ Nicole trat zurück und ging in den Kontrollraum. „Und jetzt die Rollenproben“, rief sie.

Sie filmten mit zwei Kameras, und John wartete darauf, Nicoles Befehle durch seine Kopfhörer zu bekommen. Sie würde ihm und seinem Kollegen Steven die Anweisungen für Nahaufnahmen und Weitwinkeleinstellungen geben.

„Okay, lasst uns das filmen“, rief Nicole, nachdem die Schauspieler ihren Text gesprochen hatten.

Kelly blickte nervös zu den Kameras hinüber. „Ich … ich bin es gewohnt, etwas mehr zu proben. Können wir es vielleicht noch mal durchgehen?“

„Machen Sie sich keine Gedanken. Etwaige Mängel korrigieren wir beim Schneiden.“

John fokussierte Kelly und lächelte in sich hinein, als sie ihren Part sprach. Er hatte unzählige Male Menschen durch ein Kameraobjektiv betrachtet. Während seines Studiums in Colorado und New York war ihm aufgegangen, dass längst nicht jeder gut in einem Film aussah. Aber diese Frau war eine Schönheit – sie sah aus wie eine der Filmgrößen aus den Dreißigern, glamourös und verführerisch.

Heißes Begehren durchzuckte ihn. Seit er nach Atlanta gekommen war, hatte er ernsthafte Beziehungen vermieden. Sicher, er war mit Frauen ins Bett gegangen. Schließlich hatte ein Mann Bedürfnisse. Aber er mied alles, was einer echten Beziehung auch nur nahekam.

Ja, ja, meine Bedürfnisse, dachte er. Die waren es, die ihn in Schwierigkeiten gebracht hatten. Dann hielt er inne und grübelte. Er war sich nicht sicher, ob es ihm vielleicht nicht nur um den Kick gegangen war, eine ältere Frau zu verführen, besonders eine Frau mit Macht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie diese Macht gegen ihn verwenden würde. Das brachte ihn um alles, wofür er jahrelang gearbeitet hatte.

„John!“

„Ich bin da“, murmelte er.

„Geh ein bisschen zurück.“

John befolgte Nicoles Anweisung, wobei der Klang von Kellys Stimme ihm als weicher Kontrapunkt zu seinen Gedanken diente. An dem Tag, als er New York verließ, hatte er beschlossen, seine Vorliebe für ältere Frauen aufzugeben. Nun aber überdachte er seine Entscheidung. Kelly Castelle war die erste Frau seit Langem, die eine sofortige und starke Reaktion bei ihm auslöste. Obwohl sie nicht viel älter sein konnte als er. Er schätzte sie auf höchstens dreißig, und was waren schon sechs Jahre Unterschied?

„Entschuldigung“, sagte Kelly und rieb sich die Stirn. „Können wir das noch mal machen?“

„Wenn Sie Ihren Vers gleich richtig gesprochen hätten, könnten wir jetzt alle gehen!“

Kelly drehte sich zu Lockwood um. „Ich finde einfach nur, dass das Tempo für diese Szene etwas zu schnell ist.“

„Stopp!“, rief Nicole.

John runzelte die Stirn und trat hinter der Kamera hervor.

Bryan Lockwood warf theatralisch die Hände in die Luft. „Das ist lächerlich! Wie soll ich mit solch einer Partnerin etwas fühlen? Es kommt überhaupt nichts von ihr rüber. Sie gibt mir nichts, womit ich arbeiten kann. Was motiviert mich, mit ihr anzubändeln? Warum würde ich mich überhaupt für eine Frau in ihrem Alter interessieren?“

„Es tut mir leid“, murmelte Kelly betreten. „Ich … ich bin einfach an mehr Proben gewöhnt. Lasst uns die Szene noch mal machen. Ich bin sicher, dass ich es richtig hinkriege und …“

„Nein!“, unterbrach Bryan sie. „Ich bin es gewohnt, mit Profis zu arbeiten. Es ist offensichtlich, dass Sie nicht wissen, was Sie tun.“

Heiße Wut stieg in John hoch. Für wen hielt dieser Dreckskerl sich? Er hatte kein Recht, so mit Kelly zu sprechen. Bevor John ihn in die Schranken weisen konnte, stand Kelly auf und knallte dem Burschen ihr Drehbuch auf den Kopf.

„Hör zu, du … du kleiner dummer Fatzke. Ich habe bei einem der besten Schauspiellehrer von New York gelernt, als du noch Sesamstraße geguckt hast. Ich habe im Central Park Shakespeare gespielt, als du noch in Schüleraufführungen aufgetreten bist. Wage es nicht noch einmal, meine Professionalität oder mein Talent infrage zu stellen. Ich mache das seit fünfzehn Jahren. Wenn du genauso lange als Schauspieler gearbeitet hast, können wir noch mal miteinander reden, Freundchen.“

„Ich heiße Bryan“, brummelte er. „Bryan Lockwood. Merk dir den Namen. Du wirst in den nächsten Jahren viel über mich hören.“

„Der einzige Mensch, der in zehn Jahren noch deinen Namen kennt, wird deine Mutter sein.“

„Ich hab solch einen läppischen Job nicht nötig“, verkündete er. „Heuert für die Rolle jemanden von einer Laienspielbühne an.“ Damit drehte Bryan Lockwood sich auf dem Absatz um und stelzte vom Set.

„Und du solltest dich schleunigst über Haarimplantate informieren!“, rief Kelly ihm hinterher. „Du kriegst nämlich eine Glatze!“

Die Tür schlug hinter Lockwood zu, und im Studio wurde es gespenstisch still. Sichtlich zerknirscht blickte Kelly zwischen Nicole und deren Assistentin hin und her. Sie schluckte schwer und setzte dann ein gezwungenes Lächeln auf. „Entschuldigen Sie bitte. Ich … ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. So habe ich noch nie mit einem Kollegen gesprochen.“ In ihren Augen erschienen Tränen. „Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bitte verzeihen Sie mir. Ich … ich gehe jetzt wohl am besten.“

„Halt, stopp“, bremste Nicole sie. „Sie werden nirgendwohin gehen.“

„Ich … ich dachte, Sie würden mich feuern.“

„Wir lassen einen anderen Schauspieler kommen. Jemanden von hier, damit es schnell geht. Herrje, was für ein Widerling.“

„Ja, aber ich hätte mich nicht so gehen lassen dürfen. Und Sie haben jetzt den Ärger. Das tut mir schrecklich leid.“

„Hören Sie auf, Kelly. Sie haben keine Schuld. Wäre ich an Ihrer Stelle gewesen, hätte ich ihm wahrscheinlich einen Tritt gegeben, dass er aufgeheult hätte.“

John unterdrückte ein Grinsen. Er hatte seine Produzentin von Anfang an gemocht, aber jetzt mochte er sie noch mehr. Und Nicole schien Kelly zu mögen, die jetzt wieder ruhig sprach.

„Meinen Sie denn, Sie finden so schnell einen passenden Ersatzmann?“

„Ich muss einen finden.“ Nicole rieb sich die Schläfen, als müsste sie gegen eine Kopfschmerzattacke ankämpfen. „Wir werden unseren Terminplan niemals einhalten, wenn wir lange auf einen anderen Schauspieler warten müssen.“

„Ich mach es“, hörte John sich sagen. Die Worte waren ihm herausgerutscht, ohne dass es ihm bewusst gewesen war.

Nicole sah ihn verdutzt an. „Du, John?“

„Warum nicht? So schwer sieht es eigentlich nicht aus. Und am College hab ich ein paar Schauspielkurse mitgemacht. Ich bin hier, du bezahlst mich ohnehin schon und kannst es mich zumindest mal versuchen lassen.“

Er begegnete Kellys Blick und sah in ihren grünen Augen einen Ausdruck von Dankbarkeit. Ein kleines Lächeln spielte um ihren sinnlichen Mund, und John fragte sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, sie zu küssen. Glücklicherweise würde er das bald herausfinden, da im Drehbuch ein Kuss vorkam.

„Hm, ich schätze, wir haben nichts zu verlieren“, sagte Nicole. „Bist du sicher, dass du statt hinter der Kamera davor agieren willst?“

„Es wird eine interessante Erfahrung sein“, sagte er. „Und Larry wartet schon lange auf eine Gelegenheit, hinter die Kamera zu kommen. Er kann meinen Platz einnehmen.“

„Na gut. Versuchen wir’s.“ Nicole blickte auf ihre Uhr. „Ich gebe euch beiden eine Stunde, die ganze Sache durchzuarbeiten. Dann filmen wir das Stück. Falls es nicht gut aussieht, bestellen wir für morgen einen Schauspieler.“ Sie lächelte und reichte John ihr Drehbuch.

Einen Moment später waren John und Kelly allein im Studio. Sie seufzte leise. „Es ist sehr entgegenkommend von Ihnen, dass Sie so spontan Ihre Hilfe angeboten haben. Vielen Dank.“

„Kein Problem“, sagte John. Er wagte es nicht, sie anzusehen, weil er sie dann wahrscheinlich angestarrt hätte. „So. Ich schätze, wir sollten mit der Probe starten.“

Sie streckte ihm eine Hand hin. „Ich bin Kelly Castelle. Beschämte Schauspielerin.“

Er ergriff sie, und sobald er sie berührte, ging sein Puls schneller. Sie hatte schöne Hände. Lange schlanke Finger und zartrosa lackierte Nägel. In Johns Kopf blitzte eine Vorstellung von ihren Fingern auf, die über seine Brust strichen, dann über seinen Bauch glitten und noch tiefer … Er unterdrückte ein Stöhnen. „John Haas. Entgegenkommender Kameramann.“

Dann schwiegen sie. Die Stille zwischen ihnen dehnte sich.

„Lassen Sie uns anfangen“, sagte Kelly endlich. „Wir haben nicht viel Zeit.“

Während sie ihre Zeilen für den ersten Abschnitt lasen, ertappte John sich immer wieder dabei, wie er Kellys Gesicht betrachtete. Trotz des klischeehaften Dialogs brachte sie es fertig, echte Gefühle zu zeigen. Ihr Spiel wirkte natürlich und mühelos, aber John spürte, wie sie jeden Satz analysierte und der Situation anpasste. Bryan Lockwood war nicht klug genug gewesen, um ihre schauspielerischen Fähigkeiten zu erkennen.

„Sie sind dran.“

„Was?“ John hatte keine Ahnung, was sie meinte.

„Sie sind an der Reihe. Das ist Ihre Zeile.“ Kelly sah ihn einen Moment an. „Mir tut diese Sache wirklich sehr leid. Sie müssen nicht mitmachen, wenn Sie es nicht möchten.“

„Doch, doch“, sagte John schnell. „Ich will.“

Sie klappte ihr Drehbuch zu und strich über das Deckblatt. „Ich weiß nicht, was da vorhin in mich gefahren ist. Normalerweise bin ich ein ruhiger Mensch. So bin ich noch nie auf jemanden losgegangen.“

John legte eine Hand auf ihre. Ohne lüsterne Absichten, ohne Hintergedanken. Einfach nur, um sie zu beruhigen. „Falls es ein Trost für Sie ist – er hat die Abreibung verdient.“

Den Blick auf seine Hand geheftet, lächelte sie. „Trotzdem ist das keine Entschuldigung.“ Sie seufzte und schloss einen Moment die Augen. „Vielleicht habe ich eine Midlifecrisis. Nicht, dass ich erwäge, meinen Mann zu verlassen und eine Affäre anzufangen oder etwas in der Art. Nein, ich fühle mich einfach nur so rastlos. Als müsste ich mein Leben total verändern, um nicht verrückt zu werden.“

„Sie sind verheiratet?“ Diese Möglichkeit hatte John überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Sie trug keinen Ehering. Andererseits hätte jede verheiratete Schauspielerin ihren Ehering abgenommen, wenn sie eine ledige Frau spielte.

„Nein, ich bin nicht verheiratet.“

„Gut.“ Er lächelte und strich mit der Fingerspitze ihren Arm hinauf. „Ich meine, es ist gut, dass Sie Ihr Eheversprechen nicht brechen wollen. Aber ich finde es nicht gut, dass Sie nicht verheiratet sind. Es sei denn, Sie wollen nicht heiraten. Dann ist es gut.“ Sie lächelte, und John fühlte sich gebannt von ihrem sinnlichen Blick.

„Wie alt sind Sie?“, erkundigte Kelly sich.

„Sehr alt. Nach Teenagermaßstäben bin ich antik.“

„Ich bin alt.“

„Wie alt?“, fragte er.

„In Hollywood ist jede Frau neunundzwanzig. Außerdem ist es unhöflich zu fragen.“

John lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Ich finde, das Alter spielt keine Rolle.“

„Das sagen nur die, die zu jung sind, um es besser zu wissen.“

Er griff sich ans Herz. „Autsch. Das war grausam.“

„Das Alter spielt eine sehr große Rolle. Jedenfalls in meinem Umfeld.“

„Sie sind eine der schönsten Frauen, denen ich in meinem jungen Leben begegnet bin. Und das sage ich aus voller Überzeugung. Egal, wie viele Kerzen auf Ihrer nächsten Geburtstagstorte angezündet werden.“

Kelly wurde rot. „Sie mögen blutjung sein, aber für Ihr Alter sind Sie erstaunlich charmant.“

„Wie wär’s, wenn wir einfach so täten, als wären wir gleichaltrig?“

„Das wäre in Anbetracht unserer Rollen etwas schwierig.“ Sie blickte auf ihr Drehbuch. „Wir müssen weitermachen. Den letzten Teil haben wir noch nicht geübt.“

„Die Schlafzimmerszene? Ich hab mir gleich gedacht, dass Sie das Beste für den Schluss aufheben wollen.“

Dieses Mal lachte sie, es war ein leichtes, melodisches Lachen.

„Sie sind ganz schön aufgeblasen.“

Er fasste ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. „Ich liebe es, wenn Sie unanständig mit mir reden. Das macht mich ganz …“

„Neue Planung!“

Nicoles Ruf unterbrach John. Kelly zog ihre Hand aus seiner und stand hastig auf. Nicole musterte sie beide neugierig.

Autor

Kate Hoffmann
Seit Kate Hoffmann im Jahr 1979 ihre erste historische Romance von Kathleen Woodiwiss las – und zwar in einer langen Nacht von der ersten bis zur letzten Seite – ist sie diesem Genre verfallen.
Am nächsten Morgen ging sie zu ihrer Buchhandlung, kaufte ein Dutzend Liebesromane von verschiedenen Autorinnen und schmökerte...
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