Wenn Liebe Herzen heilt …

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Ein Blick in Sam Kellans goldbraun glitzernde Augen genügt, schon verspürt Cassidy ein verräterisches Kribbeln. Doch sie soll den gut aussehenden Bad Boy verarzten, statt sich nach ihm zu verzehren! Schließlich bedeutet jemand wie er Gift für ihr gebrochenes Herz …


  • Erscheinungstag 06.02.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505598
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Bezirksgefängnis war nun wirklich der letzte Ort, den Dr. Cassidy Mahoney bei ihrer Flucht aus Boston in die Cascades Mountains vor Augen gehabt hatte. Sie stand zum ersten Mal in einem Gefängnis und hoffte angesichts des Gestanks nach schalem Alkohol und etwas anderem, menschlichen Ursprungs, es möge auch das letzte Mal sein.

Nichts hätte sie auf ihn vorbereiten können – den ein Meter zweiundneunzig großen Mann mit breiten Schultern und festen Muskeln, der genügend Testosteron verströmte, um eine Truppe eingefleischter Feministinnen um den Verstand zu bringen.

Er hing lässig auf einer Pritsche, für die seine Schultern zu breit und seine Beine zu lang waren. Hingebungsvoll sang er von einer Señorita mit funkelnden Augen und weinroten Lippen. Der alte Mann in der Nachbarzelle fiel fröhlich mit ein. Sein Zellengenosse schnarchte ohrenbetäubend.

Cassidy verharrte auf der Schwelle zum Korridor, von dem die Zellen abgingen, und schaute sich mit großen Augen um. War sie etwa ohne Drehbuch in einer Filmkulisse gelandet? Eigentlich sah das gesamte Städtchen Crescent Lake wie eine Filmkulisse aus. Manchmal fiel es Cassidy noch schwer zu glauben, dass sie nicht träumte.

Doch nicht mal in ihren kühnsten Träumen war sie wie eine Kriminelle im Streifenwagen zur Polizeiwache kutschiert worden – auch nicht, um einen Gefangenen zu behandeln.

Am Ende des Korridors fluchte jemand und brüllte, die Sänger sollten gefälligst „das Maul halten“. Hazel Porter, eine winzige Frau, die Cassidy ins Ungewisse führte, stieß die Tür ganz auf und signalisierte der Ärztin, ihr zu folgen.

„Volles Haus heute Abend“, krächzte Hazel mit ihrer Dreißig-Zigaretten-täglich-Stimme. „Muss Vollmond sein.“ Sie nickte in Richtung einer Zelle mit älteren Herren: „Gar nicht beachten, Schätzchen. Die sind Stammgäste an den Wochenenden.“ Das Klappern ihres Schlüsselbunds zerrte an Cassidys ohnehin strapazierten Nerven.

„Lassen Sie auch den Kerl ganz hinten links liegen“, riet Hazel. „Der randaliert schon, seit er vor zwei Stunden eingeliefert wurde. Wir sollen ihn seinen Rausch ausschlafen lassen, sagt der Sheriff.“

„Und ich würde auch schlafen, du olle Krähe, wenn die beiden nicht so grölen würden!“

Hazel schüttelte den Kopf. „Gereizt wie ein in die Enge getriebener Dachs“, schnaubte sie und schloss die Tür hinter ihnen. „Sogar, wenn er nicht betrunken ist.“

Cassidy war nicht ganz wohl beim Gedanken, eingesperrt zu sein mit einem Haufen Straftätern – unter denen sich offenbar ein aggressives Exemplar befand – und einem schmächtigen weiblichen Hilfssheriff, dessen Alter irgendwo zwischen sechzig und hundertsechzig Jahren lag.

„Also … Der Patient?“, gab Cassidy unsicher das Stichwort und hoffte, es möge nicht der Mann ganz hinten sein. Hippokratischer Eid hin oder her, dessen Zelle betrat sie nicht ohne den Sheriff, ein paar kräftige Stellvertreter und einen voll aufgeladenen Elektroschocker.

„Crescent Lake’s Superheld.“ Zu Cassidys Erleichterung steuerte Hazel auf die Zelle des Baritons zu. „Noch nicht lange bei uns. Ein wilder Zeitgenosse, also sehen Sie sich vor.“ Diese Ergänzung war nicht gerade etwas, das Cassidy hören wollte.

Mrs Porter schob einen Schlüssel in das Zellenschloss und erzählte, als würde sie die junge Ärztin seit Jahren kennen: „Ich persönlich war ja kein bisschen überrascht, als er das Medizinstudium abgebrochen hat, um zur Navy zu gehen.“ Sie lachte erstickt. „Eigentlich hätte man ihm gleich nach seiner Geburt das Tattoo Born to be wild verpassen sollen.“

Cassidy blinzelte irritiert. Sollte sie etwas erwidern? Und wenn ja, was? In den letzten vierzehn Tagen hatte sie gelernt, dass die Angelegenheiten der Einwohner von Crescent Lake als öffentliches Eigentum galten. Es liefen sogar Wetten, wie lange sie es hier aushielt, bevor sie „wieder in die Großstadt abhaute“.

Hazel schloss die Zelle auf. Es quietschte unnatürlich laut. Cassidy biss sich nervös auf die Unterlippe, als die Zellentür aufglitt und gegen die Gitterstäbe prallte. Zittrig holte sie Luft. Dann wischte sie die feuchten Handflächen an ihren Oberschenkeln ab und musterte den Born to be wild – Typen.

Ein langes Bein hatte er angewinkelt. Das andere hing über die Seite der Pritsche, mit dem Stiefel auf dem Betonboden. Obwohl der Mann den rechten Arm über sein Gesicht gelegt hatte, spürte Cassidy, dass er sie beobachtete. Mensch, ist das ein Hüne, schoss es ihr durch den Kopf. Zwischen mir und Goliaths betrunkenem jüngeren Bruder steht lediglich eine kleine Oma.

„Ist er deswegen hier?“, erkundigte sie sich. „Weil er wild ist?“

„Nein“, krächzte Hazel. „Weil der Sheriff nur so sichergehen konnte, dass er nicht abhaut, bevor Sie kommen. Dieser Junge glaubt nämlich, ein harter Bursche wie er muss keine Schnittwunden nähen lassen und braucht auch keine Pflaster.“

Cassidy zögerte. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, dabei war sie hier nicht diejenige, die eine Straftat begangen hatte und der eine Gefängnisstrafe drohte. Sie hatte alles Mögliche über Leute gehört, die in den Bergen auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Eine seltsame Ahnung keimte in ihr auf, als würde ihr Leben nie wieder wie vorher sein, wenn sie jetzt über die Schwelle trat.

Sie merkte, dass Hazel sie musterte, und zuckte verlegen die Schultern. „Ist es denn sicher? Sollten wir nicht lieber auf den Sheriff warten? Auf ein paar weitere Hilfssheriffs?“ Auf einen Elektroschocker?

Hazels kleine braune Augen glitzerten. „Sicher?“ Sie gackerte, als hätte Cassidy einen Witz gerissen, dabei meinte die Ärztin es todernst.

„Tja.“ Hazel wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Ich weiß nicht, ob jemand den Jungen schon mal ‚sicher‘ genannt hat. Aber falls Sie sich fragen, ob er aggressiv werden könnte: Keine Sorge, Schätzchen. Er ist sanft wie ein Lamm.“

Cassidy blickte von ihrer Begleiterin zu dem „Jungen“ mit den breiten Schultern und langen Beinen. Gar nichts an ihm wirkte sanft, und ein „Junge“ war er schon ziemlich lange nicht mehr. Nicht mit diesem einschüchternden, durchtrainierten Körper, dieser explosiven Mischung aus Testosteron und einem überaus männlichen Duft. Seine Ausstrahlung schien die kleine Zelle förmlich zu sprengen und ließ Cassidy einen Schauer über den Rücken rieseln.

Obwohl er auf der schmalen Pritsche herumlümmelte, verströmte er genügend Sex-Appeal, um eine vorsichtige Frau einen Schritt zurückweichen zu lassen.

Offenbar deutete Hazel die Bewegung der jungen Ärztin korrekt, denn sie lachte vergnügt, legte ihr eine knochige Hand auf den Rücken und schob sie wenig zartfühlend in die Zelle.

Vor Schreck schoss Cassidys Puls in die Höhe. Fast hätte sie gekreischt. Lächerlich, wo der Mann doch nichts Gefährlicheres getan hatte, als in einem klangvollen Bariton zu singen.

„Was haben Sie für mich, Süße?“, fragte er mit einer tiefen Stimme, die Cassidy Angst einjagte. Jedenfalls hielt sie dieses Gefühl, als würde sie ganz schnell ganz tief fallen, für Angst, denn sie bekam eine Gänsehaut unter ihrem rosafarbenen Arztkittel. Der war mit kleinen Bären-Ärzten und Bären-Krankenschwestern bedruckt und fleckig, weil ein Arbeitstag mit Babys und Kleinkindern hinter ihr lag.

Nicht gerade ein Outfit, in dem sich eine Frau selbstbewusst fühlte, wenn sie es mit einem männlichen Alphatier zu tun bekam.

„Haben Sie meine Bestellung dabei? Steak und Pommes?“

Hazel prustete. „Dies ist kein Fünf-Sterne-Lokal, Junge“, wies sie ihn nachsichtig zurecht und betrachtete ihn über den Rand ihrer Brille hinweg. „Wenn du Steak und Pommes wolltest, hättest du daran denken sollen, bevor du dich mit Wes angelegt hast.“

Er verzog den geschwollenen Mund zu einem schiefen Lächeln. „Komm schon, Hazel.“ Sein leises Lachen klang, als hätte er es in letzter Zeit nicht oft bemüht – oder als wäre er eben aus einem tiefen Schlaf erwacht. „Wes war betrunkener als ein Matrose auf Landgang. Die Studentinnen, die er angemacht hat, waren völlig verängstigt. Außerdem musste ihn jemand davon abhalten, Hannahs Bar zu demolieren. Er hat einen Hocker nach ihr geworfen, als sie ihn zur Räson bringen wollte.“

„Deine Schwester kann auf sich selbst aufpassen.“

„Klar kann sie das“, meinte der Hüne schläfrig. „Wir haben ihr ein paar tolle Tricks gezeigt.“ Er gähnte, bis sein Kiefer knackte. „Ich habe bloß meine Pflicht als Bruder erfüllt.“

„Und jetzt guck mal, wo du damit gelandet bist.“

Der Mann hob den rechten Arm, um den ein blutiges Geschirrhandtuch gewickelt war, und spähte an sich hinunter. „Der Trottel hat mich auf dem falschen Fuß erwischt“, brummte er und verzog das Gesicht vor Schmerz, als er den Arm wieder sinken ließ. „Ist auf mich losgegangen, bevor ich die Mädels davon überzeugen konnte, sich eine andere Bar zu suchen.“ Er ächzte. „Besser ich als Hannah, oder?“

„Was bist du doch für ein guter Bruder“, lobte Hazel trocken.

„Hast du mir nicht beigebracht, den Unterdrückern dieser Welt die Stirn zu bieten?“

„Ja, genau.“ Ihre Stimme hatte einen ironischen Unterton, aber aus ihrem Blick sprachen Zuneigung und Stolz. „Schieb es ruhig auf eine hilflose alte Lady.“

Er lachte, und Cassidy wurde ganz anders. Prickelnde Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Das Blut stieg ihr in die Wangen, und ihre Kniekehlen kribbelten.

Kribbeln? Echt? Bestürzt von der Reaktion ihres Körpers, trat Cassidy einen Schritt zurück. Als ihr klar wurde, was sie tat, hielt sie inne, atmete durch und machte einen beherzten Schritt nach vorn. Dann stellte sie ihre Arzttasche zwischen die Oberschenkel des Fremden, den einzig freien Platz auf der Pritsche.

Welche Rolle spielten schon die Bärchen auf ihrem Hemd? Sie war eine reife, berufstätige Frau. Kein naives Schulmädchen, das sich von breiten Schultern, langen Beinen und einer sexy Stimme blenden ließ.

Jedenfalls normalerweise nicht. Außerdem hatte sie das schon hinter sich und würde den Fehler nie wiederholen. Kribbeln jeglicher Art fand nicht statt.

„Du bist alles andere als hilflos, Darling“, ertönte die sexy Stimme. Ihr Besitzer lächelte, und Cassidy sah gleichmäßige weiße Zähne aufblitzen, während sie ein Paar Latexhandschuhe aus der Arzttasche zog. Sie konnte die Augen ihres Patienten nicht erkennen, spürte aber, dass ihm keine ihrer Bewegungen entging.

„Spar dir das Süßholzraspeln, Junge. Und benimm dich. Miss Mahoney kann es sich nicht leisten, Zeit mit Idioten zu verplempern.“

Cassidy streifte einen Handschuh über und öffnete den Mund, um das „Miss“ zu korrigieren, da bewegte sich der Mann, und geschockt begriff sie, mit wem sie sich in einer Zelle befand.

Ach du liebe Güte. Ihre Augen weiteten sich. Er ist wirklich ein Superheld. Major Samuel J. Kellan, Mitglied der Spezialeinheit SEALs der United States Navy und größter Draufgänger von Crescent Lake.

Sie starrte ihn an und fragte sich, ob sie unter Halluzinationen litt. Major Kellan war doch ein Held dieser Stadt, oder? Sogar ein Nationalheld.

Was machte er im Gefängnis?

Er war verletzt worden, als er seine Schwester und mehrere Studentinnen beschützen wollte. Angeblich verehrten ihn hier alle. Frauen gerieten in Verzückung, wenn sein Name fiel, und Männer erzählten ehrfürchtig von seinen Einsätzen. Dabei konnte kein Mann dieser Welt auch nur die Hälfte jener Taten vollbringen, die Major Kellan angeblich vollbracht und überlebt hatte. Nicht außerhalb von Hollywood.

Obwohl er bei der Schlägerei einiges abbekommen hatte, war es offenkundig, dass er seinen Ruf als verwegen und mit Vorsicht zu genießen verdiente. In einem Punkt übertreiben die Leute nicht, stellte Cassidy fest. Mit seinen dichten, dunklen Haaren, den ausdrucksstarken Augen, den Bartstoppeln auf dem markanten Kinn und dem überraschend sinnlichen Mund sah dieser Mann tatsächlich so scharf aus, wie die Frauen behaupteten. Cassidy konnte dankbar sein, dass sie immun gegen Schönlinge war, die sich als verwundete harte Kerle ausgaben.

Ein weiterer Typ mit mehr Sex-Appeal als Gewissen war das Letzte, was sie brauchte. Sie brauchte überhaupt keinen Mann, basta – vor allem keinen, der den gesamten Sauerstoff aus einem Raum zu saugen schien und ihr den Schweiß ausbrechen ließ.

Hazel räusperte sich. „Brauchen Sie irgendetwas, um sein hübsches Gesicht zusammenzuflicken, Schätzchen?“

„Eigentlich gehört er ins Krankenhaus.“ Cassidy ignorierte den Bierdunst ebenso wie die dicht bewimperten Augen, die sie aufmerksam betrachteten. „Ich brauche mehr Verbandszeug, als ich dabeihabe. Das bekomme ich nur im Krankenhaus.“

„Kein Problem. Der Sheriff hat einen Vorrat angelegt, für den Fall, dass wir plötzlich einen Arzt rufen müssen. Ich gebe Larry Bescheid. Der bringt Ihnen in Nullkommanix alles, damit Sie hier eine Notaufnahme einrichten können.“

Bevor Cassidy einwenden konnte, dass eine Gefängniszelle alles andere als steril war, verschwand Hazel. Cassidy stand da und fragte sich, ob sie sich in ein Paralleluniversum verirrt hatte, in dem winzige Hilfssheriffs arglose Ärztinnen mit Straftätern allein ließen … Und mit ihm.

Ihr Herz raste. Eine Spritze war alles, was sie als Waffe aufbieten konnte. Und ihr Patient sah sogar in betrunkenem Zustand aus, als könnte er Cassidy mit dem kleinen Finger entwaffnen.

Sie spielte mit dem Gedanken, einfach Reißaus zu nehmen, da erklang Major Kellans Stimme, die sie an geschmolzene Schokolade erinnerte.

„Hey, Darling, was macht ein nettes Mädchen wie Sie an einem Ort wie diesem?“

Das kann doch nicht sein Ernst sein.

Cassidy übersah das träge, charmante Lächeln und fragte sich, ob seine Kopfwunde schlimmer war als gedacht. Angeblich war Major Hotshot, wie ihre Kolleginnen ihn nannten, ein wortgewandter Casanova. Und dann diese abgedroschene Anmache?

Gerade wollte sie ihm sagen, dass sie von sturzbetrunkenen und zugedröhnten Typen schon originellere Sprüche gehört hatte, da trafen sich ihre Blicke. Cassidy las den Humor und die Intelligenz in seinen Augen. Vielleicht lag es am Licht in der Zelle oder an der Spannung in seinem starken Körper – plötzlich vermutete sie, dass er keineswegs so betrunken war, wie er sich gab, obwohl er roch wie eine Brauerei an einem heißen Tag.

Sie konnte die dunklen Ringe um seine topasbraune Iris erkennen. Im Schein der Deckenlampe wirkten seine Augen mit den winzigen bernsteinfarbenen Sprenkeln beinahe golden. Unwillkürlich dachte Cassidy an einen geschmeidigen Jaguar.

Ein Schauer der Lust lief ihr über die Haut, und sie brach den Blickkontakt ab. Krieg dich wieder ein. Der Mann ist ein Aufreißer. Er verführt Frauen, um sich die Zeit zu vertreiben. Auf so einen Typen lässt du dich nie wieder ein. Leider hatten ihre Hormone nach einem viel zu langen Tiefschlaf den denkbar schlechtesten Moment gewählt, um aufzuwachen.

Genervt und zugleich ein bisschen ängstlich nahm sie Major Kellans Hand. Schließlich war sie hier, um einen Job zu erledigen.

Als sie seine Haut berührte, zuckte etwas wie ein Blitz durch ihre Fingerspitzen und den Arm hoch bis zum Ellbogen.

Sie riss ihre Hand zurück und stolperte einen Schritt rückwärts. Ihr wurde schwindlig, und ihre Knie zitterten, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. Major Kellan spürte offenbar auch etwas, denn er keuchte überrascht, während Cassidy sich fragte, ob ihre Haare Feuer gefangen hatten.

Jetzt merkte sie, dass ihr der Mund offen stand. Schnell klappte sie ihn zu und sagte sich, es habe bloß an der Elektrostatik gelegen. Keine große Sache. Passiert ständig.

Verstohlen schaute sie den Patienten an. Der Held von Crescent Lake fiel kaum in die Kategorie bloß. Mit seinen fast schwarzen Haaren, den glänzenden goldfarbenen Augen und seiner Ausstrahlung war er ungefähr so alltäglich wie ein Hai im Goldfischteich.

Cassidy schüttelte den Kopf und blickte sich nach dem zweiten Latexhandschuh um. Er lag auf der Pritsche.

Genau zwischen Major Kellans Oberschenkeln, die in einer Jeans steckten.

Hitze durchflutete Cassidys Körper, und ihr Mund wurde trocken, denn diese Jeans schmiegten sich perfekt an … nun, einfach alles.

Bewusst vermied sie, dorthin zu gucken, wo es sich nicht gehörte, und griff nach dem Handschuh. In der nächsten Sekunde erstarrte sie, denn ihre Finger berührten die von Major Kellan. Er hielt ihr den Handschuh hin, doch als sie ihn nehmen wollte, ließ er nicht los. Das „Danke“ blieb Cassidy im Halse stecken, als sie registrierte, dass sein Blick auf ihren Mund geheftet war. Erst nach einer halben Ewigkeit sah er ihr in die Augen.

Nein. Oh nein. Daran darfst du nicht mal denken, Cassidy. Konzentrier dich auf die Arbeit.

Ärgerlich zog sie an dem Handschuh und redete sich ein, dass ihr nur wegen der dünnen Bergluft schwummrig war. Dr. Mahoney fiel nicht aus der Rolle, nur weil ein Draufgänger sie mit sexy Augen ansah oder in einem rauen Bariton sprach, der ihr bis in den Unterleib zu dringen schien.

„Darf ich?“ Ihre kühle Frage ging gerade noch als höflich durch.

„Ich beiße nicht“, sagte er mit seinem schiefen Lächeln. „Es sei denn, Sie bitten mich richtig nett darum.“

Cassidys Augen wurden schmal. Sie riss den Handschuh an sich und war drauf und dran, Major Kellan damit zu ohrfeigen. Ihr Job bestand nicht darin, Spielchen mit einem übermütigen Navy SEAL zu treiben.

Entschlossen streifte sie den Handschuh über und nahm die Hand ihres Patienten.

„Also“, brach er das Schweigen, während Cassidy das blutige Geschirrhandtuch entfernte, um seine Wunde zu untersuchen. „Wo haben Sie die niedliche weiße Uniform gelassen?“

Sie schaute hoch und bekam mit, wie er missbilligend ihren Bärchen-Kittel und die Jeans musterte. „Weiße Uniform?“

„Ja. Sie wissen schon … Weiß, kurz, mit vielen kleinen Knöpfen? Und wo sind die Boxen?“

„Boxen?“

„Na, die Stereoanlage“, antwortete er, als würden Cassidy ein paar IQ-Punkte fehlen. „Ohne Musik können Sie doch nicht tanzen.“

Wie bitte?

„Ich bin keine Stripperin, Major Kellan“, erwiderte sie frostig. „Außerdem kleiden sich Krankenschwestern heutzutage nicht mehr so.“ Sie war daran gewöhnt, für eine Pflegerin gehalten zu werden. Manchmal sogar für einen Engel. Mit einer Stripperin hatte sie allerdings noch niemand verwechselt. Cassidy wusste nicht, ob sie lachen oder mit der Spritze zustechen sollte.

Resolut strich sie Major Kellan eine dunkle Strähne aus der Stirn, um die Kopfwunde zu untersuchen. Er musste innere Blutungen haben, wenn er sie für eine Stripperin hielt. Sie trug einen unordentlichen Pferdeschwanz, und ihr Make-up hatte sich schon vor Stunden verabschiedet.

Ganz anders als bei einer Stripperin.

„Nicht?“

Cassidy überhörte den enttäuschten Unterton. Für die Wunde auf der Stirn reichten Klammerpflaster. Morgen früh würde Major Kellan nicht nur einen Kater, sondern auch heftige Kopfschmerzen haben. Das ist die Strafe, wenn man einer Frau ohne ihre Zustimmung weiche Knie beschert, Major Hotshot.

Das linke Auge ihres Patienten war fast zugeschwollen, die Haut durch den Bluterguss dunkelrot. Behutsam tastete Cassidy sie ab. Keine Knochenbrüche, aber ein beeindruckendes Veilchen, und der Schnitt in der Unterlippe sah schmerzhaft genug aus, um Samuel Kellans Liebesleben einen Dämpfer zu verpassen.

Keine Küsse bis auf Weiteres.

Cassidy wunderte sich, weil ihr ausgerechnet dieser Gedanke kam. Sie zog ein paar mit Alkohol getränkte Kompressen aus der Arzttasche. „Ihr Gegner hat ganze Arbeit geleistet“, murmelte sie, während sie die Wunde betupfte.

Seine Miene verfinsterte sich kurz. Zu kurz, als dass Cassidy die Veränderung hätte deuten können. „Sie sollten die anderen Typen sehen“, antwortete er.

Typen? Mehrere?

Vielleicht hatte er zu viele Geschichten über seine eigenen Einsätze gehört.

„Das Messer war vermutlich nicht sauber?“

„Zerbrochene Bierflasche. Und nein, ich brauche keine Tetanusimpfung. Meine liegt erst ein paar Monate zurück, also ist alles in Ordnung.“

Alles in Ordnung? Wohl kaum.

Samuel Kellan musste Cassidy die Skepsis angesehen haben, denn er versicherte: „Ich bin nicht betrunken.“

„Nicht?“

Er schüttelte den Kopf und gähnte erneut. „Nur müde. Außerdem ist Freitag.“

„Also sind Sie mit Ihren Kumpels um die Häuser gezogen?“

Vorwurfsvoll sah er die Ärztin an. „Freitags ist immer viel los, und Hannahs Barkeeper liegt mit einer Lebensmittelvergiftung flach.“

„Heißt das, Sie haben Whiskey und Erdnüsse für den Weltfrieden serviert?“, erkundigte sie sich ironisch.

Er lächelte leicht. „Wenn Sie sich Sorgen um mich machen, können Sie gern über Nacht bleiben. Nur, um sicherzugehen, dass ich nicht an etwas Lebensbedrohlichem leide.“

Cassidy knipste eine Taschenlampe an und beugte sich vor. „Nicht nötig, Major“, meinte sie und überprüfte die Reaktion seiner Pupillen. Das einzig Lebensbedrohliche, an dem dieser Mann litt, war ein Übermaß an Testosteron.

Sie nahm noch eine mit Alkohol getränkte Kompresse und säuberte den blutigen Schnitt über seinem Auge. Als er scharf einatmete, drückte sie etwas sanfter zu. „Wie viel haben Sie getrunken?“

„Ein paar Gläser.“ Er quittierte Cassidys argwöhnischen Blick mit einem harmlosen Lächeln, das nicht zu seinem Ruf passte. „Mineralwasser.“ Für einen Mann, der roch, als hätte er in Bier gebadet, war sein Blick überraschend klar.

„Ich trinke nicht während der Arbeit“, ergänzte er, hakte den rechten Zeigefinger unter den Saum ihres Kittels und zog leicht daran. Seine Knöchel streiften ihre Haut. Cassidy bekam schon wieder eine Gänsehaut. „Bier und Dummheit sind keine gute Mischung.“

„Hm.“ Sie wandte sich ab, um die Reaktion ihres Körpers auf die flüchtige Berührung zu verstecken. „Brauchen Sie Hilfe, um Ihr Hemd auszuziehen?“, fragte sie, während sie die gebrauchten Kompressen wegräumte. „Ich will Ihren Oberkörper sehen.“

Er schwieg, aber die Temperatur in der Zelle schien sprunghaft anzusteigen. Cassidy blickte hoch. „Die … äh … Wunde an Ihrem Oberkörper, meine ich.“ Kein Wunder, dass Frauen im ganzen Bezirk seinetwegen in Ohnmacht fielen.

Major Kellan lächelte, als könnte er Gedanken lesen. Der sinnliche Mund und die langen, schwarzen Wimpern hätten bei diesem Bild von einem Mann lächerlich feminin aussehen sollen, aber irgendwie ließen sie ihn nur noch männlicher wirken.

„Sollte ich nicht derjenige sein, der solche Bemerkungen macht?“

Cassidy verfluchte ihre helle Haut. Sicher glühten ihre Wangen. „Wie bitte?“, spielte sie die Frage eisig zurück.

Samuel Kellan lachte leise. „Ich mag, wie Sie das sagen. So cool und patzig und ein bisschen arrogant.“

Sie warf ihm den Blick zu, den sie normalerweise für Teenager mit schlechten Manieren aufhob. „Flirten Sie etwa mit mir, Major?“

„Ich?“ Er grinste jungenhaft. „Wenn Sie das fragen müssen, bin ich wohl aus der Übung.“

„Sieht ganz so aus.“ Cassidy fasste den Saum seines zerrissenen, blutigen T-Shirts und zog es ganz aus der Hose. Die weiche Baumwolle war warm von seinem Körper und roch nicht nur nach Bier, sondern auch nach etwas durch und durch Männlichem. Rasch streifte Cassidy ihm das Shirt über den Kopf, ließ es auf die Pritsche fallen und verzog keine Miene angesichts seines muskulösen Oberkörpers. Sie war schon lange keinem Mann mehr so nahe gewesen, der in ihr die Sehnsucht weckte, das Gesicht in seine Halsbeuge zu schmiegen und den Duft seiner Haut einzuatmen.

Doch Ärztinnen pflegten nicht an den Hälsen ihrer Patienten zu schnuppern oder die Fassung zu verlieren angesichts trainierter prächtiger Bizeps, Trizeps oder Bauchmuskeln, die ihnen in der Notaufnahme begegneten. Ganz sicher spürten sie auch nicht den Drang, mit den Lippen jener Spur aus kurzen, seidigen Haaren zu folgen, die unter dem Bauchnabel begann und hinter einem auf der Hüfte sitzenden Jeansbund verschwand.

Zumindest sollten sie es nicht tun, rief sich Cassidy zur Ordnung. Nicht, wenn ihr letzter Freund sie betrogen hatte und sie entschlossen waren, nie wieder auf harte Bauchmuskeln und ein charmantes Lächeln reinzufallen.

Heilfroh, sich auf etwas anderes als seidige Haare und warme Männerhaut konzentrieren zu können, tastete sie die Wunde an Major Kellans Bauch ab. Der Schnitt war fast acht Zentimeter lang und endete unter der linken Brust. Um ihn herum zeichnete sich ein dunkler Bluterguss in Form einer Faust ab. Vorsichtig berührte Cassidy den Erguss mit ihren Fingerspitzen, da schwang die Zellentür auf und krachte gegen die Wand.

Der unerwartete Knall war laut wie ein Schuss. Blitzschnell glitt Major Kellan von der Pritsche, schob Cassidy zur Seite, dass sie rückwärts stolperte, und hockte sich hin.

Erschrocken schnappte sie nach Luft und starrte auf den perfekt proportionierten, sonnengebräunten, muskulösen Rücken, der sich nur Zentimeter vor ihrem Gesicht befand.

Autor

Lucy Ryder
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