Wilde Nächte in Las Vegas - 5 unvergessliche Liebesromane

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SAG JA ZUM PARADIES von MYRNA MACKENZIE
Als Parker ins Spielerparadies Las Vegas reist, um sein Erbe anzutreten, ist er erst mal ratlos: Was soll ein überzeugter Junggeselle wie er mit einer Hochzeitskapelle? Doch Daisy Lockett, die hübsche Betreiberin, zeigt es ihm: unerwartet und sehr romantisch …

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  • Erscheinungstag 14.11.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536103
  • Seitenanzahl 623
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Myrna Mackenzie

Sag Ja zum Paradies

1. KAPITEL

„Das war eigentlich nicht das, was ich mir unter ein bisschen Abstand von Boston vorgestellt hatte“, brummte Parker Sutcliffe vor sich hin, als er aus seiner schwarzen Edellimousine stieg.

Er hatte vor einem großen, alten weißen Holzgebäude in einer billigen Gegend von Las Vegas gehalten, wo es keine Casinos oder Touristenattraktionen gab. Die Worte ‚Hochzeitskapelle Für Immer Und Ewig‘ standen in grellem Neonrosa quer über dem Eingang. Das Haus daneben trug zwar keinen Namen, sah ansonsten jedoch genauso aus und schien mit der Kapelle verbunden zu sein. An der Tür war keine Hausnummer zu sehen.

Egal, dachte er. Das ist es. Die Eigentümerin dieser Gebäude war eine Verwandte gewesen, von der er nie zuvor gehört hatte. Aber man hatte ihm die Schlüssel ausgehändigt und ihm gesagt, dass er die beiden leer stehenden Häuser in Besitz nehmen könne. Die ganze Sache hatte ihn sehr überrascht, und Parker mochte normalerweise keine Überraschungen. Aber nach allem, was im vergangenen Jahr passiert war, kam ihm der Zeitpunkt gerade recht.

Mit einem Seufzer dachte er an Sutcliffe’s . Die Firma war sein Rettungsanker gewesen, solange wie er sich überhaupt erinnern konnte. Im Augenblick hatte deren Erfolg jedoch erheblich nachgelassen, und er wollte sie auf keinen Fall bankrott gehen lassen. Vielleicht brauchte er mal eine Auszeit. Herzukommen, um sein Erbe anzutreten, gab ihm die Gelegenheit, Abstand zu gewinnen, nachzudenken und eine Idee zu entwickeln, mit der Sutcliffe’s gerettet werden konnte. Außerdem war es ein willkommener Vorwand, um vor den unablässigen Forderungen des Firmenvorstands zu flüchten, Parker solle heiraten, um ein paar positive Schlagzeilen zu machen. Diese wären nach dem Tod seines Vaters jetzt dringend notwendig.

Ihre Anspielungen, dass er kein guter Ersatz als dynamischer Repräsentant der Firma war, sie aber durch eine Heirat retten könne, hatten in letzter Zeit für große Spannungen gesorgt. Die Reise nach Las Vegas bot ihm einen guten Grund für seine Abwesenheit, denn er brauchte unbedingt etwas Ruhe und Zeit für sich.

Er drehte den Türknopf der verlassenen Kapelle, doch die Tür war nicht verschlossen. Das Gebäude war auch nicht verlassen oder still.

Parker wurde von einer Geräuschkulisse voller falscher Töne empfangen. Während er hinten stehen blieb, fand vorne eine Hochzeit statt. Auf einer erhöhten Bühne schmetterte ein Elvis-Darsteller, der aussah, als wäre er mindestens zehn Jahre zu alt, das Ende von ‚It’s Now or Never‘. Eine Braut und ein Bräutigam, die offensichtlich nichts von der Musik mitbekamen, lächelten einander an.

Flüchtig glaubte Parker, in einer Reality Show gelandet zu sein. Oder vielleicht erlaubte sich jemand einen Spaß mit ihm. Aber wenn seine Teilhaber aus Boston meinten, sie könnten ihn zu einer Hochzeit überreden, indem sie ihn mitten in eine hineinwarfen, hatten sie sich auf jeden Fall die falsche Hochzeit ausgesucht.

Als die letzten Töne verklangen, eilte jemand ganz in Rosa aus dem Seitengang auf ihn zu. „Es tut mir so leid. Jetzt haben Sie den größten Teil verpasst.“

Parker blickte hinunter auf eine zierliche junge Frau mit langen, kupferfarbenen Locken und einem grauenvollen quietschrosa Kleid.

Sie musterte seinen dunklen Anzug. „Sie müssen ein Freund oder Verwandter des Brautpaars sein. Aber keine Sorge. Meistens sind sie so aufgeregt, dass ihnen ein verspäteter Gast gar nicht auffällt. Es sei denn, Sie gehören zur Familie?“

„Nein, gar nicht. Ich …“

„Dann ist es ja gut. Da kommen die beiden schon. Nehmen Sie das.“ Sie drückte ihm etwas in die Hand. „Der Empfang findet draußen statt. Den Flur entlang und durch die Tür.“

Parker zog die Brauen zusammen. „Empfang? Sie irren sich. Ich bin nicht …“

„Schnell“, meinte sie. „Sie kommen, und bei diesen kleinen Hochzeiten brauchen wir so viel jubelndes Publikum, wie wir kriegen können.“ Sie griff nach seiner Hand und versuchte, ihn hinter sich herzuziehen.

Er rührte sich nicht. „Hören Sie, Ms … Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber wir müssen miteinander reden.“

„Mr … Ich weiß auch nicht, wer Sie sind, aber das hier ist eine Hochzeit. Die Leute haben bezahlt. Es ist der wichtigste Tag in ihrem Leben, und reden können wir später immer noch.“ Die junge Frau wandte sich zum Gehen. Dann fuhr sie plötzlich wieder herum, einen ängstlichen Ausdruck in ihren großen braunen Augen. „Sie sind doch kein Geldeintreiber oder so was?“

Parkers Miene verfinsterte sich. „Nein, aber …“

„Von der Polizei?“

„Sehe ich etwa aus wie ein Polizeibeamter?“

Sie warf einen Blick auf seinen Anzug. „Richtig. Es sei denn, Polizisten tragen inzwischen italienische Designermode. Okay, dann los. Wir reden nachher. Und bringen Sie Ihre Seifenblasen mit.“

„Seifenblasen?“, murmelte er verständnislos. Doch da die Hochzeitsgesellschaft dicht hinter ihm war, folgte er der hübschen, wenn auch leicht verrückten Rothaarigen.

Kaum hatten sie eine winzige Rasenfläche von der Größe einer Briefmarke hinter den weißen Zwillingsgebäuden erreicht, da erschien auch schon das Brautpaar.

„Herzlichen Glückwunsch!“ Die hübsche Frau in Rosa öffnete ihr kleines weißes Röhrchen mit Seifenblasen und blies eifrig los, die Lippen auf eine Weise gespitzt, die manche Männer vermutlich sexy genannt hätten.

Parker war jedoch verärgert. Diese Frau brachte seinen sorgfältig geplanten Tag durcheinander, und besonders seine Flucht vor allem, was mit Hochzeiten zu tun hatte. Sie bedachte ihn mit einem strengen Blick, der noch einmal deutlich machte, was für erstaunlich ausdrucksvolle Augen sie besaß. Sofort unterdrückte Parker diesen Gedanken. Er war nicht auf der Suche nach einer Frau. Schon gar nicht nach einer zierlichen Piratin, die seine Gebäude geentert und übernommen hatte.

Verdammt, das Letzte, was er momentan gebrauchen konnte, war eine florierende Hochzeitskapelle. Oder sonstige Ablenkungen von den Problemen, die er dringend lösen musste. Ganz sicher wollte er sich nicht mit einem hübschen Eindringling mit vollen roten Lippen und Seifenblasen herumschlagen.

Die Brauen zusammengezogen, wartete Parker darauf, dass dieses Hochzeitsfiasko endlich vorbei war, damit er herausfinden konnte, was hier überhaupt vor sich ging. Der Elvis-Imitator, der Mann, der die Trauung vollzogen hatte und die Frau, die Klavier gespielt hatte, kamen nun auch nach draußen. Die rosafarbene Schönheit verteilte ebenfalls Plastikröhrchen an alle, sodass ein Regenbogen aus Seifenblasen über dem Brautpaar schwebte, die langsam zerplatzten, während Braut und Bräutigam sich küssten.

Unterstützt von einer älteren Frau mit einem Gehstock, schaltete die junge Frau sanfte Musik an und enthüllte eine kleine Hochzeitstorte. Dann holte sie eine Kamera und machte Fotos, während das Brautpaar Torte aß und tanzte. Irgendwann wurden die Dokumente unterschrieben, das Brautpaar ging, und Parker fand sich neben der rosafarbenen Märchenfee wieder.

„Also.“ Sie schaute zu ihm auf, und ihr Lächeln schwand. „Wenn Sie niemanden von der Hochzeitsgesellschaft kennen und weder Geldeintreiber noch Polizist sind, wer sind Sie dann?“ Plötzlich hellte sich ihre Miene wieder auf. „Ach, ich weiß, Sie sind wohl ein zukünftiger Bräutigam. Sie möchten, dass wir Ihre Hochzeit ausrichten. Entschuldigen Sie, dass ich nicht gleich daran gedacht habe. Es war nur … Ihr Anzug. Eine solche Qualität sehen wir hier nicht oft. Aber keine Sorge, wir wissen, wie man eine elegante Hochzeit durchführt. Ich garantiere Ihnen, Sie werden es nicht bereuen, zur ‚Hochzeitskapelle Für Immer Und Ewig‘ gekommen zu sein.“

„Zu spät“, erklärte er. „Ich bereue es jetzt schon.“ Parker blickte auf seinen Ärmelaufschlag, wo etwas Seifenblasenflüssigkeit hingetropft war.

„Ups, das tut mir schrecklich leid.“ Die Frau begann, den Fleck abzureiben. Dabei berührten ihre schlanken Finger seinen Handrücken. Als sie näher kam, um den Schaden zu beheben, nahm er einen zarten Lavendelduft wahr. Den Duft einer Frau. Sein ganzer Körper war plötzlich angespannt. Wie albern. Schließlich kannte er sie ja überhaupt nicht. Außerdem hatte er schon viel zu viele Fehler bei Frauen gemacht. Schwere Fehler, die ihm beinahe den Boden unter den Füßen weggezogen hatten. Also nein. Definitiv nein.

Der schönen Frau ging es offenbar ähnlich, denn sie zog schnell ihre Hand zurück. Ein Fleck aus rosa Zuckerguss war auf Parkers Ärmel zu sehen.

Sie erschrak und wurde rot. „Ich bin zu neunundneunzig Prozent sicher, dass das wieder rausgeht“, meinte sie sofort. „Sie könnten mir das Jackett geben, dann bringe ich es in Ordnung.“

Parker war plötzlich zum Lächeln zumute, er hielt sich jedoch zurück. „Ich glaube nicht. Wir sind hier fertig.“

Verblüfft sah sie ihn an. „Wie bitte? Soll das heißen, dass Sie Ihre Hochzeit nicht hier feiern wollen?“

„Falls ich in diesem Leben jemals heiraten sollte, und das habe ich nicht vor, dann nicht hier. Nein.“

„Weil wir nicht Ihrem Stil entsprechen?“

„Weil ich das Gebäude verkaufen werde und bezweifle, dass es unter dem nächsten Besitzer so erhalten bleibt, wie es ist.“

In ihren großen braunen Augen lag ein Ausdruck der Bestürzung. „Das Gebäude verkaufen?“, flüsterte sie. „Aber es ist doch Tillies Haus.“

Seine Lippen wurden schmal. „Ich nehme an, Sie sprechen von meiner Tante Mathilda, und sie ist …“

„Gestorben“, sagte die Frau leise. „Sie sind Ihr Erbe? Sie hatte einen Erben, einen echten Erben?“

„Ich bin Parker Sutcliffe“, erwiderte er. „Ich habe meine Tante nie kennengelernt. Und Sie sind?“

„Ich … Äh … Na ja, ich bin …“

An ihrem Gesicht erkannte Parker, dass sie überlegte, was für eine Geschichte sie ihm am besten auftischen sollte. Daher bedachte er sie mit einem eisigen, aristokratischen Blick, der besagte: ‚Versuch nicht mal, mich anzulügen.‘ Ein Blick, den er schon von klein auf bei Bediensteten angewendet hatte, noch bevor er überhaupt sprechen konnte.

Sie stieß den Atem aus, sodass sich ihr hübscher, kupferfarbener Pony hob, holte tief Luft und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, mit der sie kaum bis zu seiner Schulter reichte. „Ich bin Daisy Lockett. Ich wohne hier.“ Herausfordernd hob sie das Kinn. „Wir alle wohnen hier.“ Damit wies sie auf die Frau mit dem Gehstock, den Standesbeamten und die Klavierspielerin, die mit besorgten Mienen auf der anderen Seite des Raumes standen.

„Sie wohnen hier?“, wiederholte Parker erstaunt. Er hatte ein leeres Gebäude erwartet, und als es nicht leer gewesen war, hatte er angenommen, jemand würde es einfach benutzen. Aber Mieter? Nicht nur irgendwelche, sondern eine viel zu attraktive junge Frau mit Augen wie geschmolzene Schokolade und drei gebrechliche alte Leute?

Seine Augen wurden schmal. Diese Wendung der Dinge gefiel ihm ganz und gar nicht. Für unvorhersehbare und womöglich chaotische Situationen hatte er absolut nichts übrig. Nach all den dramatischen Ereignissen des letzten Jahres und seinen katastrophalen Beziehungen mit Frauen wollte er lieber etwas Langweiliges.

Allerdings war ihm das anscheinend nicht vergönnt. Parker schaute hinunter in diese beunruhigten dunklen Augen. Daisy Locketts Haar sah weich und zerzaust aus, wie bei einer Frau im Bett. Sie hatte den Zeigefinger zwischen den Lippen, entweder weil sie nervös daran knabberte oder weil sie sich Zuckerguss von den Fingerspitzen leckte.

Parker ertappte sich dabei, dass er überlegte, was von beidem sie wohl tat. So ein Unsinn. Das spielte keine Rolle. Hier ging es darum, dass sie unter seinem Dach lebte. Ein Dach, von dem er zugegebenermaßen bis letzte Woche nichts gewusst hatte, was ihm aber jetzt gehörte. Das bedeutete, dass alles, was in diesem Gebäude stattfand, mit ihm in Verbindung gebracht werden könnte. Und im Moment konnte er es wirklich nicht gebrauchen, dass irgendwelche seltsamen oder fragwürdigen Geschichten über ihn in der Presse auftauchten.

„Meine Tante ist bereits vor zwei Monaten verstorben“, stellte er fest. „Warum sind Sie dann noch hier? Und wieso wussten weder die Behörden noch die Immobilienmaklerin, dass jemand in dem Gebäude wohnt? Könnten Sie mir das alles vielleicht erklären, Ms Lockett?“

Mit vor der Brust verschränkten Armen und zusammengezogenen Augenbrauen sah er Daisy Lockett an. Dieser Blick hatte schon viele Leute eingeschüchtert. Zu seiner Überraschung hielt sie ihm jedoch stand. Sie richtete sich noch höher auf und verschränkte ebenfalls die Arme. Vermutlich, um entschlossener zu wirken. Wegen der üppigen Rundungen ihrer Brüste sah sie dadurch allerdings nur besonders erotisch und reizvoll aus.

Schluss damit, Sutcliffe, rief er sich zur Vernunft. Der Erotikfaktor dieser Frau war das Letzte, woran er jetzt denken sollte. Immerhin würde ihre flüchtige Bekanntschaft sehr schnell wieder beendet sein. Sobald er sie hier verscheucht hatte, wäre sie aus seinem Leben verschwunden. Dann würde er nach Boston und zu seiner Firma zurückkehren. Eine Firma, auf die er sich trotz der gegenwärtigen Probleme verlassen und die er kontrollieren konnte.

Daisy Lockett hingegen war offensichtlich komplett außer Kontrolle. Er musste sie loswerden, nicht etwa näher kennenlernen.

„Nun, Ms Lockett, was ist Ihre Erklärung hierfür?“ Parker deutete auf die traurigen Überreste der Hochzeitstorte mit dem umgestürzten Plastik-Brautpaar oben drauf, mehrere halb leere Seifenblasen-Röhrchen, eine Pfütze Seifenblasen-Flüssigkeit auf dem billigen Papiertischtuch sowie einen MP3-Player, der dringend neue Batterien benötigte.

„Sie mögen keine Hochzeiten, stimmt’s, Mr Sutcliffe?“, fragte Daisy unvermittelt. „Solche Männer sind mir schon öfters begegnet.“

Er zog die Brauen hoch. „Sie haben recht. Ich bin kein Anhänger der Ehe, aber das ist völlig nebensächlich. Der springende Punkt ist: Sie leben in meinem Haus, und zwar unbefugterweise. Was dachten Sie denn, was passieren würde, wenn jemand Sie hier antrifft?“

Sie hob das Kinn. „Ich habe einfach gehofft, dass es nicht passiert.“

Parker war verblüfft. „Aber ich bin da. Das heißt, es ist passiert“, entgegnete er. „Und jetzt, da sich trotz Ihrer Hoffnungen unsere Wege gekreuzt haben, stellt sich die Frage: Was soll ich mit Ihnen machen?“

Es würde noch einige Monate dauern, bis Daisys Geburtsvorbereitungskurs beginnen sollte. Aber sie wusste, dass es dabei vor allem um das richtige Atmen ging, was ihr im Moment ausgesprochen schwerfiel.

Daher griff sie nach dem erstbesten Strohhalm. „Tillie hat Sie nie erwähnt.“ Tillie, die ihr Mutter und Freundin zugleich gewesen war, hätte ihr bestimmt erzählt, dass sie einen Neffen hatte.

Ein Neffe, der geradezu verboten attraktiv war. Mit seinen breiten Schultern und einer tiefen Stimme, die … Energisch schob sie den Gedanken beiseite. Was war bloß los mit ihr? Dieser Mann war noch nicht mal nett.

„Ich meine nur, sicher hätte Tillie mal von ihrem Neffen gesprochen, wenn Sie ihr Erbe sind“, fügte sie hinzu.

„Meine Tante und ich sind uns nie begegnet“, antwortete der große, dunkelhaarige Unbekannte. „Aber ihrem Anwalt zufolge ist sie gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen, und ich bin der einzige lebende Verwandte.“

Oh nein, das kann doch nicht wahr sein, dachte sie. Andererseits, der markante Kiefer, die geschwungenen Augenbrauen sahen denen von Tillie durchaus ähnlich. Dennoch brauchte Daisy dringend Zeit zum Nachdenken.

„Tut mir leid, aber dafür müsste ich schon einen besseren Beweis haben als bloß Ihre Aussage.“ Sie war schon so oft von Männern angelogen und verletzt worden. Kampflos würde sie sich jedenfalls nicht auf die Straße setzen lassen. Der Ausdruck in Parker Sutcliffes grünen Augen zeigte ihr, wie überzeugt er davon war, dass er gewinnen würde.

Sie unterdrückte den Impuls, schützend die Hand auf ihren Bauch zu legen. Die aufsteigende Panik machte ihr das Atmen noch schwerer, und ihre Hände fühlten sich kalt und feucht an. Obwohl der Mann entschieden gereizt wirkte, sah er trotzdem umwerfend gut aus. Das Leben war manchmal wirklich sehr unfair.

„Ich trage solche Dokumente normalerweise nicht mit mir herum“, erklärte er in gebieterischem Ton.

Ein winziger Hoffnungsfunke stieg in ihr auf. Vielleicht konnten sie ja doch alle noch ein Weilchen länger hier in Sicherheit bleiben.

„Tillie war meine allerbeste Freundin“, antwortete Daisy. „Sie wollte mich hier haben. Das kann ich beweisen. Es gibt Nachbarn, die für mich bürgen.“ Mit all dem Mut, den sie noch aufbringen konnte, reckte sie das Kinn.

Parker Sutcliffe fuhr sich mit der Hand durchs Haar, dessen Schnitt offensichtlich einem teuren Stylisten zu verdanken war. Der Blick seiner dunkelgrünen Augen wirkte kalt. „Okay, da haben Sie mich erwischt. Ich bin meiner Tante nie begegnet, und in Las Vegas kenne ich niemanden. Ich bin nicht von hier, aber ich versichere Ihnen, Ms Lockett, das Gesetz ist auf meiner Seite. Ich beabsichtige, wiederzukommen und die Vermögenswerte meiner Tante zu verkaufen. Irgendetwas wird mit dem Gebäude geschehen, und ich fürchte, Sie werden nicht bleiben können. Es sei denn, Sie legen Unterlagen vor, die meine ausstechen. Und zwar solche, die real existieren. Morgen komme ich zurück mit dem Beweis, dass ich der neue Eigentümer bin. Und wenn ich Sie dann immer noch antreffe, erwarte ich einen rechtlich gültigen Grund dafür.“

Als Daisy ihm in die Augen schaute, fand sie dort nichts, was ihr Hoffnung machte. Tillie war ein Schatz gewesen, eine Ersatzmutter und Freundin, aber sie hatte auch dazu geneigt, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Sie hatte eine Antipathie gegen Rechtsanwälte und Autoritäten gehabt.

Wie so viele Menschen hatte sie geglaubt, sie würde ewig leben, und deshalb vermutlich niemals auch nur darüber nachgedacht, ein Testament zu verfassen. Wahrscheinlich hatte sie nichts hinterlassen, was ihre Freunde jetzt retten könnte. Und Daisy war nicht die Einzige, die das betraf. Die anderen waren zu alt und zu gebrechlich, um sich mit solchen Angelegenheiten auseinanderzusetzen. Also musste Daisy nun die Starke, die Anführerin sein.

Sie schloss die Augen, biss sich auf die Lippen und schickte ein rasches Stoßgebet zum Himmel, ehe sie Parker am Ärmel fasste. „Bitte setzen Sie uns nicht auf die Straße. Wir wissen nicht, wo wir unterkommen sollen.“

Obwohl sie seine Haut gar nicht berührte, kam es ihr vor, als wäre sie von einem Blitz durchzuckt worden, der lauter elektrische Funken in der Luft um sie herum verursachte. So als wäre sie auf eine seltsame Weise mit diesem Mann verbunden, der sie anblickte, als hätte sie gerade erklärt, dass sie gleich ihr Kind direkt vor ihm zur Welt bringen würde. In etwa sieben Monaten wäre das sogar durchaus denkbar. Daisy wurde unwillkürlich blass, blieb jedoch beharrlich.

„Bitte“, wiederholte sie. „Irgendwie werde ich einen Beweis über Tillie und uns alle auftreiben.“

„Sie alle?“, fragte Parker erstaunt. „Gibt es etwa noch mehr von Ihnen?“

„Bloß uns vier.“ Sie beschloss, den Hund lieber erst mal nicht zu erwähnen. Genauso wenig wie ihre Schwangerschaft. „Wir brauchen nur ein bisschen Zeit.“

„In diesem Gebäude leben vier Leute?“

„Ja. Es tut mir leid, dass Sie das nicht wussten, bevor Sie gekommen sind. Wir haben nicht versucht, es zu verheimlichen.“ Natürlich hatten sie gewusst, dass das Haus nicht ihnen gehörte und es nicht immer so weitergehen konnte. Sie hatten auch einen Brief mit einer Räumungsaufforderung bekommen, waren aber einfach nicht gegangen. Doch das wollte Daisy dem Mann nicht auf die Nase binden. Womöglich würde er sie festnehmen und abführen lassen, und was sollte dann aus den anderen werden? Schon allein ihretwegen musste sie unbedingt etwas Zeit gewinnen.

Sie wagte ein hoffnungsvolles Lächeln. „Ich denke, dann sind Sie jetzt wohl unser neuer Hausbesitzer, Mr Sutcliffe. Wir könnten Ihnen ja Miete zahlen.“ Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie gemeinsam genug Geld dafür zusammenkratzen sollten.

Einen Moment lang spielte ein flüchtiges Lächeln um seine Mundwinkel. „Das hört sich an, als wäre es eine ganz neue Idee. Haben Sie meiner Tante Miete gezahlt?“

„Wir haben für Tillie gearbeitet. Jeder hat seinen Teil beigetragen. Wir sind eine Art Wohngemeinschaft gewesen.“

„Eine Wohngemeinschaft? Verstehe.“ Die Vorstellung schien ihm nicht zu gefallen.

„Wir könnten uns nützlich machen, indem wir die Hochzeitskapelle weiter betreiben“, meinte Daisy. „Wir machen Menschen glücklich. Wir lassen sozusagen ihre Träume wahr werden, und es wirft ein bisschen Geld ab.“

Parker wirkte noch beunruhigter als zuvor. „Ich glaube nicht an Träume, und ich habe kein Interesse daran, ins Hochzeitsgeschäft einzusteigen“, antwortete er. „Aber ich bin auch nicht vollkommen herzlos. Ich werde mir heute Abend die Dinge durch den Kopf gehen lassen. Und ab morgen fangen wir an, eine geeignete Wohnung für Sie zu finden, damit Sie nicht alle obdachlos werden.“

Damit wandte er sich zum Gehen. Da Daisy noch immer seinen Ärmel festhielt, hörte sie ein leises Reißgeräusch. Hastig ließ sie los und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Oh, das tut mir schrecklich leid. Aber ich könnte es wieder für Sie in Ordnung bringen.“

„Sie wissen sich immer irgendwie zu helfen, nicht wahr?“

Das klang zwar nicht gerade wie ein Kompliment, doch Daisy hatte schon viel Kritik in ihrem Leben einstecken müssen. Mehr als einmal war sie von Männern im Stich gelassen worden. Männer, denen sie eigentlich hätte vertrauen sollen. Mit erhobenem Kinn sah sie Parker an. „Sie haben ja keine Ahnung, Mr Sutcliffe.“

„Richtig“, stimmte er ihr zu. „Ich weiß nicht das Geringste über Sie, aber ich weiß alles, was ich wissen muss.“

Sie öffnete den Mund.

„Morgen, Daisy.“ Er schnitt ihr das Wort ab, und das war im Grunde sogar ganz gut. Sonst wäre ihr vielleicht etwas herausgerutscht, was die Situation noch verschlimmert hätte. Falls das überhaupt möglich war.

Während er davonging, dachte Daisy bei sich, dass die meisten Frauen sich über die Aussicht, Besuch von einem Mann wie Parker Sutcliffe zu bekommen, freuen würden.

Unter anderen Umständen wäre das bei ihr wohl auch der Fall gewesen, oder zumindest hätte sie ihn sich gerne angeschaut. Doch das nächste Treffen mit Parker würde ihr Leben noch mehr durcheinanderbringen als das von eben. Deshalb sollte sie sich gut vorbereiten. Hatte sie diesem reichen Kerl tatsächlich vorhin ein Seifenblasen-Röhrchen in die Hand gedrückt und ihm Zuckerguss auf seinen superteuren Anzug geschmiert?

Daisy stöhnte. Trotz der schwierigen Lage musste sie dann aber doch lächeln, als sie an Parkers entsetzten Gesichtsausdruck dachte.

„Der Mann hat in seinem ganzen Leben wahrscheinlich noch keine einzige Seifenblase in die Luft gepustet“, murmelte sie vor sich hin. „Ich könnte ihm so einiges darüber beibringen, wie man ein bisschen Spaß hat.“

Schlagartig wurde sie wieder ernst. Eine Aussage der Nachbarn, dass Tillie für ihre Mitbewohner kein solches Schicksal gewollt hätte, würde ihn bestimmt nicht erweichen, das war klar.

Während Daisy überlegte, was Tillie an ihrer Stelle getan hätte, fielen ihr nur Dinge ein, die entweder absurd oder illegal waren.

Aber vielleicht geschah ja noch ein Wunder, und sie hatte einen Geistesblitz, wie sie Parker Sutcliffe austricksen konnte.

Um ihre kleine Wahlfamilie zu retten, brauchte sie einen Plan, und zwar schnell.

2. KAPITEL

Parker rief seine Sekretärin an, um sie darüber zu informieren, dass sein Aufenthalt in Las Vegas sich noch etwas länger hinziehen würde. Fran, die schon seit vielen Jahren für seine Familie arbeitete, tadelte ihn.

„Sie könnten doch einfach jemanden engagieren, der sich um diese Mathilda-Sache kümmert.“

Obwohl die Rettung von Sutcliffe’s höchste Priorität hatte, musste er den Nachlass seiner Tante regeln. Irgendetwas stimmte hier nicht, und das hatte nichts mit der attraktiven, unerschrockenen Daisy Lockett zu tun.

„Nein, das ist meine Sache“, erwiderte er. „Denn ganz offensichtlich hat sich irgendjemand anders vor Jahren um Mathildas Situation gekümmert. Sonst hätte ich nämlich von der Existenz meiner Tante gewusst, bevor sie gestorben ist.“

„Parker, ich bin sicher, Ihre Eltern hatten gute Gründe dafür“, begann sie.

„Vermutlich.“ Er konnte sich auch gut vorstellen, was für Gründe das waren. „Aber sie sind jetzt beide tot, und ich werde hier nicht weggehen, ohne mir das zu holen, weshalb ich ursprünglich hergekommen bin. Mir hat diese Überraschung nicht gefallen, und ich werde dafür sorgen, dass es keine weiteren gibt. Wenn ich aus Las Vegas abreise, will ich alles über meine Tante Mathilda wissen. Vor allem, warum meine Familie ihre Existenz ignoriert hat.“

Er holte tief Luft. „Und ich werde mich selbst darum kümmern. Falls ich jemanden engagiere, könnten möglicherweise wichtige persönliche Informationen verloren gehen. Sollte etwas Verfängliches dabei herauskommen, wovon ich ausgehe, könnte es womöglich an die Öffentlichkeit gelangen. Und ich möchte nicht riskieren, dass irgendwelche Gerüchte da draußen herumschwirren, die Sutcliffe Industries schaden könnten.“ Nur ein kleiner Schubs würde genügen, um die Firma in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen.

Der Gedanke, dass Daisy vielleicht Dinge über seine Tante wusste, die er nicht kannte, war ihm unangenehm. Gewisse Informationen in den falschen Händen konnten sich fatal auswirken.

Daisy hatte etwas Faszinierendes und Verführerisches an sich, aber das machte sie umso gefährlicher. Parker wollte weder fasziniert noch verführt werden. Er hatte sein ganzes Leben der Firma gewidmet, die ihn bis jetzt niemals im Stich gelassen hatte. So sollte es sein. Er musste nur eine Lösung für die Probleme von Sutcliffe’s finden. Dann würde seine Welt wieder ihren ereignislosen, aber befriedigenden Gang gehen.

„Wissen Sie“, unterbrach Fran seine Gedankengänge. „Jarrod glaubt, Ihre Reise ist bloß ein Vorwand, und Sie wären nur deshalb geflüchtet, weil er und die übrigen Vorstandsmitglieder angefangen haben, potenzielle Ehefrauen für Sie zu suchen.“

Fran kam immer direkt auf den Punkt. Zu dumm, dass sie Parkers finstere Miene nicht sehen konnte, denn natürlich hatte sie zum Teil durchaus recht. Erst letzte Woche hatte Jarrod ihm eine Verwaltungsassistentin empfohlen, die zum Bostoner Adel gehörte und eindeutig keinen blassen Schimmer von ihrem Job hatte.

„Jarrod und der Vorstand mögen ja glauben, dass sie wissen, was gut für mich und Sutcliffe’s ist“, meinte Parker. „Aber sie liegen vollkommen falsch. Eine Hochzeit wäre gar keine gute Idee.“

„Da bin ich nicht so sicher. Denken Sie nur dran, wie die Aktien von Ensign Corporated in die Höhe geschossen sind, als Lloyd Ensign und seine Verlobte auf ihrer Website die Leute dazu eingeladen haben, sich an der Hochzeitsplanung zu beteiligen. Die Firma war über Nacht in jedem Haushalt bekannt.“

„Ich erinnere mich. Und ich weiß auch, dass ich ihn damals für einen noch größeren Trottel hielt als sowieso schon. Für Geld meine Gefühlswelt der gesamten Öffentlichkeit preisgeben? Nein, das ist nicht mein Stil, Fran.“

„Ich weiß, und so weit müssten Sie ja auch nicht gehen. Aber die Menschen lieben nun mal Märchengeschichten, Parker. Sie wissen schon: Milliardär findet die Liebe seines Lebens und feiert eine romantische Hochzeit mit allem Drum und Dran. Sie und der Vorstand haben sich immerhin darauf geeinigt, dass Sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen, wenn der neue Wellness-Komplex eröffnet wird.“

Das stimmte. Die Eröffnung des Sutcliffe Wellness-Hotels stellte die erste große Veränderung in der langen und erfolgreichen Geschichte der Firma dar. Vor allem die erste, seit Parker nach Galen Sutcliffes Tod die Leitung der Firma übernommen hatte.

Parkers Vater war eine starke Persönlichkeit gewesen. Einer, der gerne im Fernsehen auftrat. Mit seinem Bild und seiner Stimme waren hundert Hotels auf dem Markt eingeführt worden, und die Leute hatten immer noch mehr gewollt. Er hatte eine große Lücke hinterlassen, und Parker war keineswegs sicher, dass der neue Wellness-Komplex diese Lücke schließen würde. Aber der Plan, ihn für die Firma als Märchenprinzen auf der Suche nach der perfekten Braut zu stilisieren, war sicher nicht die Lösung.

„Sie auch, Fran? Aber Sie kennen mich doch.“

Sie seufzte. „Ja.“

Parker hatte kein Interesse an emotionalen Bindungen. Er hatte eine einsame Kindheit erlebt, bis er Trost in der Arbeit fand. Und sein Einzelgängertum hatte seine Beziehungen als Erwachsener nicht gerade gefördert. Die Frauen fanden ihn zu distanziert, aber sie wollten sein Geld und seinen Namen.

Nachdem Evelyn versucht hatte, ihn zu einer Hochzeit zu drängen, indem sie behauptet hatte, er sei der Vater ihres ungeborenen Kindes, hatte ihn das endgültig abgeschreckt. Abgesehen von dem Betrug und den Lügen, war der Gedanke, ein Kind großzuziehen, für Parker unvorstellbar. Nein. Auf gar keinen Fall. Kinder brauchten so viel mehr, als er zu geben in der Lage war.

„Sie wollen nicht heiraten, und das verstehe ich auch“, sagte Fran. „Aber Jarrod wird sich nicht so leicht davon abbringen lassen. Er hat den anderen Vorstandsmitgliedern die Idee einer großen Sutcliffe-Hochzeit eingeimpft, und sie fängt an, sich bei ihnen festzusetzen.“

Parker hatte sogar selbst darüber nachgedacht, was er ihr gegenüber jedoch nicht zugeben mochte. Die Persönlichkeit seines Vaters war das Erfolgsgeheimnis von Sutcliffe’s gewesen, und jetzt wurde etwas Neues verlangt.

„Ich muss Schluss machen, Fran. Um die Sache mit dem Wellness-Komplex werde ich mich von hier aus kümmern und melde mich bei Ihnen“, versprach er.

„In Ordnung. Ich werde Sie auch über alles Wesentliche auf dem Laufenden halten. Aber ich denke, Sie sollten diese Mathilda-Sache nicht ganz allein in Angriff nehmen. Mit den Fremden, die da in dem Haus wohnen, könnte es Probleme geben. Irgendwelche schmutzige Wäsche, die der Firma schaden könnte.“

Er lachte. „Von dem Moment an, als ich von der Existenz einer unbekannten Verwandten erfuhr, habe ich mit etwas in dieser Art gerechnet. Gerade zur Schadensbegrenzung bin ich doch hergekommen. Wenn alles gut geht, kann ich irgendwelche unappetitlichen Dinge unterdrücken, bevor die Klatschreporter was herausfinden.“

„Dann wünsche ich Ihnen viel Glück. Sie wissen ja, wie die Medien sich auf die Scheidung Ihrer Eltern gestürzt haben.“

Ja, die Scheidung war hässlich und brutal gewesen und hatte seine ganze Kindheit zerstört. Parker war daher fest entschlossen, der Presse nicht die geringste Angriffsfläche zu bieten.

Was sollte er bloß mit seinen Hausbewohnern anfangen, dieser impulsiven Rothaarigen und ihren drei alten Kumpanen? Gab es bei ihnen womöglich etwas, das Sutcliffe’s Schaden zufügen könnte, wenn es ans Licht käme?

Wahrscheinlich nicht. Schließlich hatte er bisher auch nichts von ihrer Anwesenheit gemerkt. Trotzdem war die Sache heikel. Parker wollte niemandem schaden, aber immerhin hatte er die Absicht, eine ganze Gruppe älterer Leute umzusiedeln.

Er atmete tief durch. „Gut, es ist nicht einfach“, brummte er. Außerdem war es zum Lachen, dass ausgerechnet er, der fürs Heiraten so gar nichts übrig hatte, eine Hochzeitskapelle geerbt hatte.

„Also los“, sagte er sich. „Tu das, wozu du gekommen bist.“ Sich einen schnellen Überblick über den Besitz seiner Tante verschaffen; jemanden engagieren, der eine neue Wohnung für Daisy und ihre Mitbewohner suchte; dafür sorgen, dass sie aus seinem Leben verschwanden, und das Gebäude verkaufen. Danach konnte er sich beruhigt wieder der Firma zuwenden.

Das Wellness-Hotel sollte in einem Monat eröffnet werden. Parker hatte also genug zu tun. Wieso musste er dann ständig an Daisy Lockett und ihr Lächeln denken? Diese Frau würde jedem Mann auffallen, auch wenn er es gar nicht wollte.

Daisy war wie immer in Eile. Sie verbrachte viel Zeit im Laufschritt: von ihrem Teilzeitjob als Reiseführerin zu ihrem Job als freie Reporterin für eine Lokalzeitung und von dort zu ihrer Tätigkeit als Hochzeitsplanerin. Außerdem achtete sie darauf, ihre Hausgemeinschaft gut zu betreuen und sicherzustellen, dass niemand hungern musste oder vergaß, irgendwelche Rechnungen zu bezahlen. Und wenn doch einmal etwas vergessen wurde, war sie sich nicht zu schade dafür, den Geldeintreiber zu umschmeicheln. Heute sollte das eigentlich nicht anders sein als sonst.

Doch Parker Sutcliffe war kein gewöhnlicher Geldeintreiber. Er hatte sie in flagranti erwischt, und nun würde er sie auf die Straße setzen. Was bedeutete, dass es Daisys Aufgabe war, ihn umzustimmen.

Dummerweise hatte sie jedoch letzte Nacht im Traum keinen genialen Geistesblitz gehabt. Nur ein paar erotische Bilder von Parker.

Leider half ihr das keinen Schritt weiter.

„Lydia, hilf mir, damit die Schleifen ein bisschen hübscher aussehen. Als Mr Sutcliffe gestern vorbeigekommen ist, waren wir nicht gerade in Bestform. Deshalb muss alles perfekt sein, wenn er nachher wiederkommt.“

„Glaubst du, er wird uns heute netter finden?“, fragte Nola.

Daisy kamen beinahe die Tränen. Am liebsten hätte sie mit beiden Fäusten auf Parkers breite Brust eingeschlagen.

„Vielleicht findet er uns netter, wenn wir mit ein paar Dollarscheinen wedeln.“ Daisy bemühte sich um einen zuversichtlichen Ton. „Ich kenne solche Typen. Männer, die es gewohnt sind, ihren Willen durchzusetzen. Falls wir ihn davon überzeugen, dass die ‚Für-Immer-Und-Ewig‘-Kapelle ihm einen Gewinn einbringen könnte, wird er möglicherweise alles so lassen, wie es ist. Vielleicht würde er uns einstellen und weiter hier wohnen lassen.“

Sie betrachtete die fröhlichen, aber billigen Schleifen, die sie mit Lydia zusammen an den Bänken befestigte, und sah sie unwillkürlich mit Parkers Augen. Beeindrucken würde ihn das alles hier nicht.

Aber er sollte auch nicht darüber spotten, das schwor sie sich. Wenn er sich über Lydia, John oder Nola lustig machte, würde sie ihm eine Ohrfeige verpassen. Die drei hatten ein hartes Leben hinter sich. Jetzt waren sie alt, hatten jedoch auch ihren Stolz. So wie Tillie ihren Stolz gehabt hatte. Daisy würde nicht zulassen, dass irgendein eingebildeter reicher Kerl auf sie alle herunterblickte.

Bloß weil sie sich in seinem Gebäude eingenistet hatten und damit gegen das Gesetz verstießen, wie ihr plötzlich nur allzu bewusst wurde. Parker Sutcliffe hatte das Recht auf seiner Seite und konnte die ganze Gruppe ohne Weiteres hinauswerfen.

Drei alte Leute waren abhängig von ihr. Und ihr Baby. Noch immer fiel es ihr schwer zu glauben, dass sie bald Mutter wurde. Eine beängstigende Vorstellung, doch Daisy war fest entschlossen, es hinzukriegen. Kein Heim für ihr Kind zu haben, wäre eine Katastrophe. Also, was nun?

Jedenfalls durfte sie keine Dummheit begehen. Irgendwie würde sie es schon schaffen.

Als Parker mit seinen Unterlagen in der Hand in die Kapelle kam, bemerkte er, dass jemand sich Mühe gegeben hatte, den Raum zu verschönern. Die rosa Schleifen auf den Bänken sahen hübscher aus als die von gestern. Zwei Topfpflanzen standen auf der kleinen Bühne vorne, und die Vorhänge waren zurückgezogen, sodass die Morgensonne hereinschien. Obwohl die Kapelle durch das Licht viel heller wirkte, zeigte es jedoch auch, dass die Bänke mit ihren glänzend abgewetzten Polstern ziemlich alt waren.

„Wir werden die Polster erneuern, sobald wir das Geld dafür haben. Aber wir wollten Ihnen zeigen, dass dies ein schöner Ort für eine gute altmodische Hochzeit ist. Mit ein bisschen Kapital könnte die Kapelle noch besser aussehen. Wir bedienen hier eine Nische, die die großen, bombastischen Kapellen nicht ausfüllen können. Leute, die etwas Gemütliches, Liebevolles, nicht allzu Teures suchen, kommen zu uns.“ Durch den Mittelgang ging Daisy auf ihn zu. Obwohl sie lächelte, wirkte ihr Blick misstrauisch.

„Daisy, ich habe Ihnen doch gesagt …“

„Ich weiß. Sie sind nicht am Hochzeitsgeschäft interessiert. Ich habe gestern Abend noch im Internet über Sie nachgeforscht. Ich weiß, was Ihre Firma macht, welche Grundstücke Sie besitzen und mit welchen Frauen Sie zusammen waren. Mit kleineren Geschäftszweigen geben Sie sich gar nicht erst ab, richtig?“

„Ich habe nichts gegen kleine Geschäftszweige.“ Von links irgendwo hörte Parker ein leises Kichern. Daisy drehte sich halb um und schüttelte tadelnd den Kopf. „Ich habe bloß kein Interesse daran, der Eigentümer einer Hochzeitskapelle zu werden. Das ist nicht der Geschäftsbereich, in den ich investiere.“

„Sie wollen damit nicht in Verbindung gebracht werden, habe ich recht? Das meine ich nicht als Kritik. Wir sind nicht besonders vornehm, das ist mir schon klar. Aber ich möchte Ihnen zeigen, dass wir echtes Potenzial haben, und wir sind auch nicht allzu kitschig. In unserer Kapelle machen wir nicht alles, was manche Leute wollen. Zum Beispiel halbnackte Hochzeiten oder so. Hier heiratet keiner im Bikini, nicht mal, wenn er weiß ist“, erklärte sie. „Zumindest jetzt nicht mehr.“

Ein rosiger Hauch überzog Daisys helle Haut, und jede Zelle in seinem Körper schien völlig unangemessen darauf zu reagieren, was Parker äußerst unangenehm empfand.

Die ganze Situation war einfach absurd und unmöglich. Er bemühte sich, seine strenge Miene beizubehalten, auch wenn ihm beinahe ein Lächeln entschlüpft wäre. Um Daisy zu stoppen, hielt er die Hand hoch. Denn schon schweiften seine Gedanken in verbotenes Territorium ab, da er sich fragte, wie sie wohl in einem knappen weißen Bikini aussehen würde.

„Der Kitschfaktor stört mich nicht“, meinte er.

Ungläubig sah sie ihn an. „Ihre Familie ist mit der Mayflower nach Amerika gekommen, und Sie tragen Anzüge, die vermutlich mehr kosten als das gesamte Gebäude.“

„Es stört mich nicht, weil Sie nicht mehr lange Hochzeiten hier abhalten werden. Ich dachte, da hätte ich mich deutlich genug ausgedrückt. Ich verkaufe den Besitz, kehre wieder zurück in mein Leben und zu meiner Firma, und dann …“

„Sie werden uns vertreiben“, erwiderte sie erschrocken. „Aber Sie haben doch gesagt, dass Sie nicht vollkommen herzlos sind.“

„Ich habe auch gesagt, dass ich Ihnen helfen werde, etwas Neues zu finden.“

„Ja, schon. Aber wo? Glauben Sie wirklich, es wäre so leicht, eine Wohnung für uns alle zu finden, die wir uns leisten könnten? Geben Sie uns wenigstens noch ein bisschen Zeit.“ Daisy verschränkte die Arme, was seine Aufmerksamkeit erneut auf die Wölbung ihrer Brüste lenkte.

Parker zog die Brauen zusammen. Was war nur mit ihm los? So kannte er sich gar nicht.

„Ich werde Ihnen helfen, etwas Passendes zu finden.“ Er schaute weg, wobei sein Blick auf ihre Füße fiel. Sie trug Flipflops mit lila Plastikblümchen zwischen den hübschen, rosa lackierten Zehen. Keine der Frauen in seinem Bekanntenkreis würde sich jemals in der Öffentlichkeit mit so etwas sehen lassen.

Energisch schüttelte sie den Kopf, sodass ihre langen roten Locken flogen. „Ich hatte gehofft, Sie würden es sich noch einmal anders überlegen, nachdem Sie Ihren ersten Schock überwunden haben. Aber da dies nicht der Fall ist …“ Daisy schaute zur Wand hinüber. „Okay, ihr drei, kommt rein.“ An Parker gewandt, sagte sie: „Wir sind wie eine Familie, und es betrifft sie genauso wie mich.“

Als die drei alten Leute herausgeschlurft kamen, drehte er sich um. Das grelle Sonnenlicht schmeichelte ihnen nicht gerade, aber er konnte erkennen, dass sie ihre beste Kleidung angezogen hatten, um ihn zu beeindrucken. Nola hatte eine rote Schleife um ihren Gehstock gebunden. Lydia trug eine Seidenblume im grauen Haar, die ein wenig seitlich verrutscht war. Und John hatte einen anderen abgetragenen Anzug an als gestern.

„Mr Sutcliffe, Sir. Ich habe gehört, was Sie darüber gesagt haben, dass wir gehen müssen. Aber können Sie bitte dafür sorgen, dass wir zusammenbleiben?“, fragte Nola. „Wir sind nämlich ein Team. Wir bleiben immer zusammen, egal, was passiert. Das hat Daisy gesagt.“

„Ja.“ Lydia nickte unaufhörlich. „Daisy leitet unsere Gruppe und schreibt Artikel, damit wir was zu essen haben. Und wir sind wirklich gut darin, Hochzeiten mit ihr zu veranstalten. Sie organisiert alles und macht Fotos. Ich backe und spiele Klavier, Nola näht Kostüme, arrangiert die Blumen und singt. Und John …“

„John leitet die Trauzeremonie“, ergänzte Parker. „Ja, ich weiß.“

„Und manchmal ist Romeo auch unser Ringträger“, setzte John hinzu. „Er ist sehr wohlerzogen.“

„Romeo?“

„Mein junger Hund“, antwortete Nola. „Romeo, komm her, mein Süßer.“

„Nein!“, rief Daisy. Doch zu spät. Ein tiefes „Wuff!“ hallte von den Wänden wider, gefolgt von dumpfen Laufgeräuschen auf der Treppe. Dann stürmte ein großer deutscher Schäferhund in den Raum, lief zu Parker und schaute mit schief gelegtem Kopf zu ihm auf.

„Romeo?“, wiederholte dieser.

„Er gehörte einem Bräutigam, aber die Braut mochte ihn nicht, obwohl Romeo sein Bestes getan hat, um sie für sich zu gewinnen“, berichtete Daisy. „Er ist einer der Gründe, weshalb wir nicht einfach irgendwo unterkommen können.“

„Er ist ziemlich groß“, bestätigte John. „Zu groß.“

„Sag ja nichts Böses über meinen Romeo!“ Nola sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Daisy warf John einen Blick zu, woraufhin er sich schnell entschuldigte und Romeo den Kopf tätschelte.

„Wir sind wirklich ein Team“, betonte Daisy. „Wir gehen überall zusammen hin.“

„Das ist ja sehr schön.“ Widerstrebend bewunderte Parker ihre Loyalität zu ihren alten Mitbewohnern. „Aber das geht mich eigentlich nichts weiter an.“

„Mr Sutcliffe.“ Daisy kam auf ihn zu, und plötzlich war ihr erotischer Körper viel zu nah. Die Brust wurde ihm auf einmal etwas eng.

Vergiss es, ermahnte er sich. In der Vergangenheit hatte Parker in Bezug auf Frauen einige Fehler gemacht. Sich näher auf Daisy einzulassen, wäre ein noch größerer Fehler als alle anderen zuvor. Abgesehen davon mochte sie ihn nicht besonders, und das würde sich auch kaum ändern. Denn er war nach wie vor entschlossen, das Gebäude zu verkaufen. Letztendlich würde sie seinetwegen ihr Zuhause verlieren.

In ihren braunen Augen lag ein unglücklicher Ausdruck. Seine eigenen Augen dagegen wirkten kalt, das hatte Parker schon häufiger gesagt bekommen.

Daisy seufzte niedergeschlagen, ehe sie sich umdrehte und John etwas zuflüsterte. Gemeinsam gingen die drei alten Leute und der Hund in den anderen Teil des Hauses zurück.

„Sie können nicht einfach irgendwohin“, erklärte sie. „Die drei hätten gar nicht genug Geld, um allein zu überleben.“

„Sie sind also diejenige, die das Geld verdient?“

„Ich arbeite in zwei Teilzeitjobs, und zusammen mit der Kapelle haben wir genug, dass wir nicht zu hungern brauchen. Aber wenn wir woandershin müssten, wäre das nicht mehr so. Außerdem verleiht die Kapelle ihrem Leben einen Sinn.“

Parker blickte sich in dem ganz in Rosa und Weiß gehaltenen Raum um.

„Eine Hochzeitskapelle passt nicht zu Ihrem Image, oder?“, meinte Daisy.

„Das gehört jedenfalls definitiv nicht zu meinem Erfahrungsbereich. Mein Vater hat Sutcliffe Industries Stück für Stück aufgebaut. Ich konzentriere mich auf den Erfolg der Firma. Ursprünglich kommen wir aus der Getränkeindustrie und haben noch in zahlreiche andere Geschäftsbereiche expandiert. Aber das Herzstück des Konzerns ist die Tochtergesellschaft, die Luxushotels für solche Leute betreibt, die sich gerne abschirmen.“

„Von allem, was gewöhnlich ist?“ Sie wies auf die leicht kitschige Kapelle.

„Ich verurteile Sie nicht, Daisy. Ich will damit nur sagen, dass ich nicht beabsichtige, mein Metier zu wechseln. Im Augenblick bin ich gerade im Begriff, ein neues Territorium auszuprobieren. Das ist das Einzige, was mich momentan interessiert. Aber ich werde Ihnen zwei Wochen Zeit lassen. Das sollte reichen, um ein neues Zuhause zu finden und neue Pläne zu machen.“

Sie sah ihn an, als wäre er tatsächlich ein Vampir, der ihr das Blut aussaugen wollte. Noch nie hatte eine Frau ihn mit solcher Abneigung betrachtet.

Eigentlich hätte es ihm nichts ausmachen sollen.

Und doch war es so, auch wenn die Dinge sich dadurch nicht änderten. Parker hatte schon sehr früh gelernt, wie gefährlich es war, seinen eigenen Gefühlen und Impulsen zu nachzugeben. Nie wieder würde er das tun.

„Zwei Wochen mietfrei“, fuhr er fort. „Und ich werde einen Makler beauftragen, der etwas Geeignetes für Sie finden soll.“

Daisy ließ die Schultern hängen. „Ich dachte, Sie würden es sich vielleicht doch anders überlegen. Meine Mitbewohner sind sehr gebrechlich.“

„Das sehe ich, und ich habe nicht vor, ihnen zu schaden.“

Trotz seines Wunsches, unbeteiligt zu bleiben, rührten ihn ihre Traurigkeit und die Sorge um ihre Freunde.

„Dies ist seit Jahren das einzige Zuhause, das sie überhaupt kennen“, erklärte Daisy. „Hier passen sie her. Sie sind keine auswechselbaren Dinge, die man überall hinschieben kann.“

„Wir werden eine passende Wohnung finden. Oder zwei“, erwiderte Parker. „In einem Monat werden Sie sich dort alle zu Hause fühlen. Besser als hier.“

Mit großen vorwurfsvollen Augen schaute sie ihn an, und es traf ihn tiefer als gedacht. „Ich möchte Ihnen helfen“, sagte er. „Sie können nicht hierbleiben. Ich werde bald wieder abreisen. Und wenn es so weit ist, wird das Gebäude verkauft.“

Stumm und reglos stand sie da. Dann nickte sie. „Sie sind nicht unseretwegen nach Las Vegas gekommen, sondern wegen Tillie. Sicher wollen Sie sehen, was sie Ihnen hinterlassen hat. Ich werde es Ihnen zeigen. Allerdings fürchte ich, dass nicht allzu viel an persönlichen Wertsachen vorhanden ist.“

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund zögerte er, ihr zu folgen, obwohl er ja hergekommen war, um alles über seine Tante herauszufinden. Er sah Daisy an, die unwillkürlich errötete. Eine entzückende Röte, die ihre Wangen, ihren Hals und die bloßen Schultern überzog und unter dem Mieder ihres luftigen Sommerkleides verschwand.

„Parker?“

Er fuhr zusammen. Ertappt. „Verzeihung. Ich war mit meinen Gedanken gerade woanders.“

Belustigt hob sie die Brauen.

„Ich habe an den Makler gedacht“, redete er sich schnell heraus. „Morgen schicke ich jemanden her. Dafür sollten Sie eine Liste an Anforderungen erstellen über alles, was ein Makler über Ihre Bedürfnisse wissen muss.“

„So wie die Anzahl der Schlafzimmer?“

„Ja, zum Beispiel. Und ob Treppen für Nola ein Problem sind.“

„Solche Dinge sind Ihnen wichtig? Das überrascht mich.“

„Sie sind mir nicht wichtig“, widersprach Parker. „Das ist einfach gesunder Menschenverstand. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es bei mir immer ums Geschäftliche geht, nicht um Gefühle.“

„Sie wollen also Tillies private Sachen nicht durchsehen, bevor Sie das Haus abreißen?“

Im Gegenteil, er musste sich Tillies Sachen sogar unbedingt anschauen, vor allem aus geschäftlichen Gründen. Aber das würde er Daisy nicht verraten. Sie war mit Tillie eng befreundet gewesen und wollte sicher nicht hören, dass Parkers Hauptinteresse darin bestand, seine Firma zu schützen. Vor dem, was seine Eltern dazu veranlasst hatte, sich von seiner Tante abzuwenden.

Hier gab es irgendetwas Verborgenes, Unannehmbares. Was konnte das sein? Was hatte Mathilda verbrochen, dass sie so geschnitten wurde? Da er seine Eltern kannte, wäre alles Mögliche denkbar. Beide hatten sich geradezu darin überboten, andere Menschen zu schneiden. Selbstverständlich würde es daher irgendwelche schmutzige Wäsche geben, aber vielleicht nichts besonders Schlimmes.

„Zeigen Sie es mir“, meinte er. Da er merkte, wie herrisch das klang, fügte er hinzu: „Bitte.“

„Gut. Es ist oben.“ Daisy ging voran in einen Flur, der die beiden Gebäudeteile miteinander verband, und von hier aus eine Treppe hinauf.

Das Wiegen ihrer Hüften löste in Parker Gefühle aus, die er so schnell wie möglich unterdrückte. Stattdessen versuchte er sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel Daisys Haltung. Ihr Rücken war sehr gerade, sehr steif, ein Zeichen dafür, dass ihr die ganze Angelegenheit außerordentlich widerstrebte. Ihm zu gestatten, die Habseligkeiten seiner Tante durchzugehen, gefiel ihr gar nicht.

„Daisy“, sagte er leise. „Ich werde heute nichts Drastisches unternehmen, das verspreche ich Ihnen.“

Unvermittelt hielt sie auf der Stufe vor ihm inne, sodass er mit ihr zusammenprallte und sie beinahe zu Fall brachte. Automatisch streckte er den Arm aus, um sie aufzufangen. Dadurch wurde ihr Körper eng an seinen gedrückt, und als er ihre weiche Haut unter seinen Händen spürte, beschleunigte sich sofort sein Pulsschlag. Ihr knackiger kleiner Po war an ihn gepresst, viel zu intim.

Hastig ließ Parker sie los. „Alles in Ordnung?“

Daisy nickte, versteifte sich jedoch noch mehr. „Ich hatte nicht daran gedacht, dass Sie Tillies Sachen wahrscheinlich alle auf den Müll werfen werden.“

Er hätte ihr gerne gesagt, dass sie die Dinge behalten konnte, aber falls es sich um irgendetwas Zweifelhaftes handelte, war das nicht so einfach.

„Wir schauen erst mal, was überhaupt da ist. Und ich werde sowieso nicht gleich etwas damit machen. Heute will ich mir erst mal einen Überblick verschaffen, einverstanden?“

Wieder nickte sie, wirkte allerdings äußerst angespannt. Oben angekommen, stieß sie eine quietschende Tür auf. Dann schaltete sie das Licht an und winkte Parker herein. Etwas Glitzerndes lenkte seine Aufmerksamkeit auf die gegenüberliegende Seite des Zimmers, wo sich mehrere volle Kleiderständer befanden. Auf einem hing unscheinbare Kleidung für eine Frau mittleren Alters von billiger Qualität. Auf den beiden anderen befanden sich dagegen Stücke, die nur so von Pailletten und unechten Glitzersteinen funkelten. Einige davon waren sogar mit Federn geschmückt, und alle mehr als knapp.

Parker fuhr herum. „Diese Sachen gehörten meiner Tante? Sie war eine …“

Die Hände in die Hüften gestemmt, erwiderte Daisy: „Tillie war ein Showgirl. Unter anderem.“

Auf seinen verblüfften Blick hin meinte sie: „Hm, das wird in Boston wohl nicht sonderlich gut ankommen. Oder bei luxusverwöhnten Kunden, die es gerne ordentlich haben.“

„Wollen Sie mir etwa drohen, Daisy?“

„Drohen?“ Die Verwunderung in ihren großen Augen zeigte ihm, dass er sich geirrt hatte.

Wieder einmal war er ihr viel zu nah. Das musste aufhören.

„Nein, natürlich nicht.“ Parker wich zurück. „Aber Sie sagten ‚unter anderem‘. Was ist sie denn noch gewesen?“

Daisy hob die Hand, als wollte sie ihn berühren. Oder wegschieben. „Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich erklären kann, was Tillie war.“ Sie trat zwei Schritte zurück. Noch einer, und sie würde rückwärts die Treppe hinunterfallen.

Vorsorglich streckte Parker den Arm aus, um sie erneut festzuhalten. Doch sie schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab. „Ich muss arbeiten“, sagte sie auf der Treppe. „Ich betreue eine Reisegruppe, und wir haben zwei Hochzeiten. Eine heute Abend, die andere morgen.“ Damit verschwand sie nach unten.

Kurz darauf saß Parker in dem Zimmer und starrte auf ein recht neues Tagebuch. Obwohl große Teile davon noch frei waren, vermittelte es einen Einblick in den ungewöhnlichen Lebensstil seiner Tante und einige ihrer Fehltritte. Er fragte sich, was er mit dem verfänglichen Buch tun sollte.

Am besten wegwerfen, verbrennen oder zerreißen.

Der Piepton seines Handys erinnerte ihn daran, dass sowohl diese Reise als auch Daisy lediglich ein kleiner Abstecher von seinem normalen Leben waren. In ihrer SMS teilte Fran ihm mit, dass Jarrod versuchte, Parkers private Handynummer von ihr zu erschleichen, um mit ihm über einige der weiblichen Gäste zu sprechen, die der Vorstand zu dem alljährlichen Ball von Sutcliffe Industries einladen wollte. Ein weiterer Beweis dafür, wie sehr der Vorstand, in dem mehrere seiner Verwandten saßen, darauf erpicht war, Parker zu einer Werbe-Ikone der Firma zu machen. Sie beabsichtigten, ihn in einen Märchenprinzen zu verwandeln, der demnächst eine Traumhochzeit feiern würde. Und alles nur fürs Marketing.

Falls er eine andere Lösung finden wollte, um Sutcliffe’s aus seiner gegenwärtigen Krise zu führen, brauchte er einen genialen Plan, und zwar schnell. Nur zwei Dinge hinderten ihn daran, seine gesamte Zeit und Energie in dieses Projekt zu stecken: seine Tante und eine zierliche junge Frau mit karamellfarbenen Augen und Blümchen zwischen ihren rosa Zehen.

„Also geh Mathildas Sachen durch, such ein vernünftiges Zuhause für Daisy und sieh zu, dass du hier wieder verschwindest“, befahl er sich.

Richtig. Mit etwas Glück un...

Autor

Myrna Mackenzie
<p>Myrna Mackenzie wusste in ihrer Jugend zunächst nicht, was sie später einmal beruflich machen wollte. Aber sie wusste, dass sie Geschichten und Happy Ends liebte. Und so war der Schritt zur Liebesroman-Autorin nahezu unvermeidlich. Die inzwischen preisgekrönte Autorin von über 35 Romanen wurde in einer kleinen Stadt in Dunklin County...
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