Alle Frauen lieben Baron Ruthven

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Seit jeher liebt Antonia den umschwärmten Baron Ruthven. Nach Jahren der Trennung treffen sie sich erneut. Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Stiefmutter versucht sie, den unverbesserlichen Frauenhelden zur Ehe zu bekehren. Als sie sich endlich am Ziel ihrer Wünsche glaubt, kommt ihr jedoch plötzlich eine gefährliche Rivalin in die Quere …


  • Erscheinungstag 18.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755348
  • Seitenanzahl 224
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Vierunddreißig Jahre alt zu sein, mein lieber Hugo, ist ziemlich ernüchternd.“

„Wie bitte?“ Träge öffnete Hugo ein Auge und blinzelte den ihm gegenübersitzenden Freund an.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Harold und Jack miteinander wetteifern würden, wer als Erster die nächste Generation von Lesters in die Welt setzt.“

„Das lässt sich schwer abschätzen“, meinte Hugo und richtete sich auf. „Harold wollte mit Jack wetten, doch seine Frau ist ihm auf die Schliche gekommen und hat es ihm verboten. Sie sagte, sie wolle nicht, dass wir alle sie und Sophie beobachten und die Tage zählen.“

„Sie ist ungewöhnlich vernünftig“, erwiderte Philip schmunzelnd. „Und auch Jack hat mit der Wahl seiner Gattin viel Glück gehabt.“

„Nun, ich nehme an, du wirst der Nächste sein, der sich verheiratet“, äußerte Hugo süffisant. „Wahrscheinlich bist du deshalb neuerdings so düsterer Stimmung.“

Philip verengte die Augen und entgegnete unwirsch: „Sich freiwillig binden zu sollen, ist wahrlich kein angenehmer Gedanke.“

„Ich habe nicht vor, mich zu vermählen.“

Missmutig verzog Philip den Mund. Der Freund hatte gut reden, denn schließlich war er, im Gegensatz zu ihm, nicht genötigt, sich baldigst zu verheiraten. Hugo war unabhängig und hatte nur entfernte Verwandte.

„Ich begreife jedoch nicht, warum du so ein Aufhebens darum machst, dir eine Gemahlin suchen zu müssen“, fuhr Hugo achselzuckend fort. „Deine Stiefmutter wird dir mit dem größten Vergnügen geeignete junge Damen präsentieren, unter denen du dann wählen kannst.“

„Gewiss wird sie versuchen, mir eine Frau anzudienen, die sie für passend hält“, stimmte Philip zu. „Falls sie sich indes bei der Auswahl irrt, bin ich derjenige, der ein Leben lang für diesen Trugschluss büßen muss. Wenn also meine Zukunft durch einen Fehler ruiniert werden soll, dann ziehe ich es vor, derjenige zu sein, der ihn begeht.“

„Wenn dem so ist, musst du eine Liste für dich geeigneter Ehekandidatinnen aufstellen“, schlug Hugo vor. „Sieh dir die Debütantinnen an, befass dich mit ihrem familiären Hintergrund und achte darauf, dass sie sinnvoll sprechen und nicht nur kichern können. Welch langweilige Aufgabe!“

„Deprimierende Aussichten!“

„Schade, dass es nicht mehr Frauen wie Sophie und Lucinda gibt.“

„Ja, das ist sehr bedauerlich“, brummte Philip und überlegte, welchen Anforderungen seine zukünftige Gattin genügen müsse. Zumindest musste sie einigermaßen klug, hinreichend schön und treu sein. Darüber hinaus erwartete er noch etwas von ihr, das sich schwer in Worte fassen ließ.

Die Karosse hielt, und sobald der Wagenschlag geöffnet worden war, stieg Philip aus. Er wartete, bis der Freund sich ihm angeschlossen hatte, ging dann mit ihm die Freitreppe zum Portal hinauf und übergab dem ihm öffnenden Butler Hut und Handschuhe.

„Willkommen daheim, Mylord“, begrüßte ihn Samuel.

„Danke, Fenton. Lord Satterley wird wieder einige Tage mein Gast sein.“

Samuel verbeugte sich, nahm den Hut des Viscount entgegen und sagte beflissen: „Ich werde veranlassen, Sir, dass Ihnen die üblichen Räumlichkeiten hergerichtet werden.“

„Danke“, erwiderte Hugo freundlich.

„Wie geht es meiner Stiefmutter?“, erkundigte sich Philip.

Das war das Stichwort, auf das Antonia gewartet hatte. Sie umrundete das Treppengeländer, wo sie im Verborgenen gelauscht hatte, schritt gesenkten Blicks gemächlich die Stufen hinunter, um den Eindruck zu erwecken, die Herren bisher noch nicht bemerkt zu haben, und sagte kurz vor dem Erreichen des Entrees: „Ihre Ladyschaft wünscht, Fenton, dass Alice so schnell wie möglich zu ihr kommt.“ Nun richtete sie die Augen ins Vestibül und hauchte, wie sie es stundenlang vorher geübt hatte, Überraschung und Verlegenheit heuchelnd: „Oh!“

Das Bild, das sich ihr bot, war nicht so, wie sie es sich ausgemalt hatte. Unwillkürlich schlug das Herz ihr schneller, denn Lord Ruthven sah stattlicher und attraktiver aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Das braune Haar war künstlich zerzaust, wie es der Mode entsprach, und fiel dem Baron in die hohe Stirn. Er hatte eine schmale Nase, hochstehende Wangenknochen, fein modellierte Lippen und ein markantes Kinn. Der Frack aus dunklem Stoff und die schmalen Pantalons betonten die eindrucksvolle Figur; das kunstvoll geschlungene Cachenez, das weiße Hemd und das schräg gestreifte Gilet waren tadellos gearbeitet und entstammten gewiss dem Atelier eines exzellenten Schneiders. Die grauen Augen drückten einen Moment lang Irritation aus, die gleich darauf in unverhüllte Überraschung umschlug.

„Miss Antonia?“, fragte Philip verblüfft.

Sie raffte die Röcke, setzte den Weg fort und näherte sich langsam Seiner Lordschaft.

Sie hatte sich sehr verändert, seit er ihr zum letzten Mal begegnet war. Damals war sie sechzehn Jahre alt gewesen, etwas mager, aber doch bereits recht anmutig. Jetzt jedoch war sie der Inbegriff weiblichen Liebreizes, geschmeidig, graziös, wunderbar zu fraulicher Schönheit gereift. Philip entsann sich, dass sie bei den sommerlichen Aufenthalten in Ruthven Manor stets fröhlich, umgänglich und guter Dinge gewesen war. Auch jetzt lächelte sie gewinnend; in ihren grünen Augen entdeckte er jedoch einen wachsamen Ausdruck.

Sie reichte ihm die Hand und sagte höflich: „Guten Tag, Mylord. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich wusste nicht, dass Sie soeben eingetroffen sind.“

Galant hob er Miss Mannerings Hand zum Kuss an die Lippen und fragte dann mit flüchtigem Blick auf ihr modisch frisiertes Haar: „Haben Sie Ihre langen Locken abschneiden lassen, Miss Antonia?“

„Nein“, antwortete sie lächelnd. „Sie sind nur geschickt aufgesteckt.“

Jäh hatte Philip den Wunsch, nachzuprüfen, ob die Fülle ihres blonden Haars tatsächlich noch vorhanden war, bezwang ihn jedoch und sagte in sachlichem Ton: „Darf ich bekannt machen? Hugo, Viscount Satterley, ein guter Freund. Miss Mannering, die Nichte meiner Stiefmutter.“

„Sehr erfreut“, äußerte Hugo charmant und verneigte sich.

„Guten Tag, Sir“, erwiderte sie freundlich.

„Mir scheint, Sie haben endlich den anhaltenden Bitten meiner Stiefmutter nachgegeben“, sagte Philip trocken.

„Ja, da das Trauerjahr zu Ende war.“

„Es freut mich, dass Sie sich dazu entschlossen haben“, erwiderte Philip seltsam erleichtert. „Hoffentlich haben Sie einen längeren Aufenthalt vorgesehen. Meine Stiefmutter wird Ihre Anwesenheit bestimmt sehr begrüßen.“

„Nun, es hängt von mehreren Umständen ab, wie lange mein Bruder und ich verweilen werden“, entgegnete Antonia ausweichend. „Verzeihen Sie, dass ich Sie hier in der Halle aufgehalten habe. Vermutlich möchten Sie sich nach der Reise erfrischen. Tee im Salon?“

Philip sah den bestürzten Blick des Freundes und äußerte schmunzelnd: „Etwas Stärkeres wäre uns lieber, nicht wahr, Hugo?“

Antonia winkte den Butler herbei und trug ihm auf, im Gesellschaftszimmer Cognac für die Herren zu servieren.

Fenton verbeugte sich und ging würdevoll die Treppe hinauf.

„Meine Tante hat geschlafen, ist vorhin jedoch wach geworden“, wandte Antonia sich an Lord Ruthven. „Ich werde ihr mitteilen, dass Sie hier sind, Sir.“

„Gut! In einer halben Stunde mache ich ihr die Aufwartung.“

„Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen würden, meine Herren.“

„Ich freue mich darauf, Sie bei Tisch wiederzusehen, Miss Mannering“, sagte Hugo strahlend.

Klopfenden Herzens drehte Antonia sich um und kehrte in die Bel Etage zurück. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so viel Haltung bedurfte, ihre List in die Tat umzusetzen. Sie ermahnte sich, standhaft zu sein und dem nun begonnenen Anfang die nächsten Schritte folgen zu lassen.

Sie liebte Ruthven Manor und hatte, als sie es wiedersah, das Gefühl gehabt, nach Haus zu kommen, eher hierher zu gehören denn nach Mannering Park. Dieses Bewusstsein, dazu die für die Tante empfundene Zuneigung und vor allem die Erkenntnis, dass es mit vierundzwanzig Jahren für sie an der Zeit war, sich zu vermählen, waren ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen, die Einladung nach Ruthven Manor anzunehmen.

Da für sie nur magere Aussichten bestanden, eine gute Partie zu machen, der Jugendfreund hingegen noch ledig war, hatte sie beschlossen, ihn zu umgarnen. Sollte er sich nicht in sie verlieben, hatte sie sich damit abzufinden. Einen Versuch musste sie jedoch zumindest wagen.

Verdutzt schaute Philip den ihr unverhohlen hingerissen hinterhersehenden Freund an. Hugo war jedoch derart in ihren Anblick versunken, dass er den befremdeten Blick nicht bemerkte.

Hugo bewunderte ihre grazile Erscheinung, bis sie seiner Sicht entzogen war, räusperte sich dann und fragte grinsend: „Also, genehmigen wir uns jetzt einen guten Schluck, Philip?“

Stirnrunzelnd nickte Philip und suchte mit ihm das im oberen Stockwerk gelegene Gesellschaftszimmer auf. Fenton hatte den Cognac schon serviert und sich zurückgezogen. „Nimm Platz“, forderte er den Freund auf, setzte sich in einen Sessel und ergriff eines der bereitgestellten Gläser.

Hugo ließ sich auf dem Sofa nieder, prostete Philip zu und sagte, nachdem er einen Schluck getrunken hatte: „Der Name Mannering ist mir geläufig, aber ich weiß nicht, wo die Familie ansässig ist.“

„In Yorkshire.“

„Kein Wunder, dass mir entfallen war, wo sie lebt, wenn sie in dieser Wildnis hausen“, erwiderte Hugo grinsend.

„Nun, so wüst, wie du Yorkshire hinstellst, ist es dort nicht“, widersprach Philip. „Und der Stammsitz der Mannerings soll, wie mir berichtet wurde, sehr stattlich sein.“

„Weshalb ist die entzückende Miss Mannering dann hier?“

„Ihr Vater war der einzige Bruder meiner Stiefmutter und kam seine Schwester jedes Jahr im Sommer mit seiner Gattin und seiner Tochter besuchen. Miss Antonia blieb dann bei uns, wenn ihre Eltern weiterreisten.“

Sie hatte viel gelacht und geplappert, war jedoch nie störend gewesen. Philip war zehn Jahre älter als sie, doch das hatte sie nicht abgeschreckt. Und bei ihr hatte er nie seine höhere gesellschaftliche Stellung ausgespielt. Er hatte sie sich von einem entzückenden Kind in ein bezauberndes, schlagfertiges Mädchen entwickeln gesehen, musste sich nun jedoch erst noch an die Veränderung gewöhnen, die inzwischen mit ihr vorgegangen war.

„Nach dem Tod ihres Vaters vor acht Jahren kam sie nicht mehr zu uns“, fuhr er fort, „weil ihre im letzten Frühjahr gestorbene Mutter nicht in der Stimmung war, sich unter Menschen zu begeben. Meine Stiefmutter hat sie sehr gern und sie gebeten, bei uns zu sein, wann immer sie möchte. Ihre Nichte hatte die Einladung bisher jedoch stets mit dem Hinweis abgelehnt, sie wolle in Mannering Park bleiben und sich dort um ihren sehr viel jüngeren Bruder kümmern. Ich habe keine Ahnung, wie groß der Altersunterschied zwischen ihnen ist, und entsinne mich nicht einmal, wie ihr Bruder heißt.“

„Nun, offenbar ist sie anderen Sinnes geworden“, warf Hugo ein.

„Das halte ich für unwahrscheinlich, es sei denn, sie hat sich innerlich sehr verändert. Aber möglicherweise befindet ihr Bruder sich jetzt zum Studium in Oxford.“

„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ganz bestimmte Absichten hat“, meinte Hugo bedächtig.

„Und welche?“, fragte Philip verständnislos.

„Nun, du hast sie doch gesehen“, antwortete Hugo schmunzelnd. „Sie ist eine Schönheit und nicht verheiratet. Letzteres wundert mich ein wenig. Da sie aus gutem Haus stammt, müsste sie in ihrem Alter eigentlich längst vermählt sein.“

„Du hast recht“, stimmte Philip nachdenklich zu. „Offenbar hat in der besseren Gesellschaft Yorkshires niemand sie zu Gesicht bekommen, denn sonst wäre sie bestimmt nicht mehr frei. Mannering Park liegt ziemlich einsam, und ihre Mutter hat ein sehr zurückgezogenes Dasein geführt. Vermutlich ist das der Grund, weshalb sie noch keinen Gatten hat. Und nun entschuldige mich bitte“, fügte Philip hinzu, stellte das leere Glas auf den Tisch und stand auf. „Ich gehe jetzt zu meiner Stiefmutter.“

„Ich weiß, man soll nicht schlecht über Tote sprechen, doch meine Schwägerin hat ihre Tochter wirklich sehr schäbig behandelt“, erregte sich Henrietta. „Wären die Damen der Nachbarschaft nicht so entgegenkommend gewesen, hätte Antonia bis heute keine Erfahrung in gesellschaftlichen Umgangsformen. Noch schlimmer finde ich, dass Araminta nichts unternommen hat, um ihre Tochter zu verheiraten. Im Gegenteil, sie hat ihr die Leitung des Haushaltes aufgebürdet, die Verwaltung des Besitzes und die Verantwortung für Geoffrey. Ich wundere mich, dass Antonia unter der Last der ihr zugemuteten Pflichten nicht vorzeitig gealtert ist! Es ist eine Schande, dass sie immer noch nicht offiziell in die Gesellschaft eingeführt worden ist. Doch nun, da meine Nichte hier ist, bin ich entschlossen, ihr den Weg ins Leben zu ebnen. Ich werde mit ihr die Nachsaison in London verbringen.“

„Es würde mich nicht überraschen“, warf Philip ein, „wenn du mit ihrem Aufenthalt gewisse Pläne verbindest.“

„Selbstverständlich habe ich vor, ihr zu einem Gatten zu verhelfen“, bestätigte Henrietta schmunzelnd.

Philip bemühte sich, eine reglose Miene zu wahren, stand auf und sagte entschuldigend: „Sei mir nicht böse, aber ich habe Hugo zu Gast. Es wäre unhöflich, ihn zu lange allein zu lassen.“

Henrietta nickte, schaute dem Stiefsohn hinterher, bis er das Boudoir verlassen hatte, und lächelte dann zufrieden. „Das war kein schlechter Anfang“, äußerte sie fröhlich.

Alice legte die Stickerei beiseite, erhob sich und ging zu Ihrer Ladyschaft. Sie schüttelte ihr die Kissen auf und half ihr, sich bequemer hinzusetzen.

„Wie gut, dass meine Nichte Sie zu mir geschickt hat, damit ich nicht zu lange schlafe“, fuhr Henrietta heiter fort. „Ich betrachte es als eine glückliche Fügung des Schicksals, dass mein Stiefsohn zur gleichen Zeit eingetroffen ist und sie wiedergesehen hat.“

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass er sonderlich angetan von ihr war, Mylady“, sagte Alice bedenklich. „Sie sollten sich nicht zu große Hoffnungen machen, ihn mit ihr zu vermählen. Falls Ihr Plan keinen Erfolg hat, wären Sie nur bitter enttäuscht.“

„In den sechzehn Jahren, die ich ihn nun kenne, habe ich begriffen, dass man seinem Verhalten keinen allzu großen Wert beimessen darf“, entgegnete Henrietta selbstsicher. „Selbst wenn er sich plötzlich verliebte, würde er sich nie begeistert äußern, höchstens eine Augenbraue hochziehen und irgendetwas Belangloses von sich geben. Nein, ich bin entschlossen, ihn und Antonia zusammenzubringen. Sie müssen zugeben, Alice, dass sie die ideale Gemahlin für ihn wäre. Ich muss nur dafür sorgen, dass er das erkennt. Aber leicht wird das nicht werden. Schließlich ist er nicht auf den Kopf gefallen, nicht wahr?“

„Ich habe keinen Anlass, Ihnen in irgendeinem Punkt zu widersprechen, Madam“, erwiderte Alice, kehrte zum Sessel zurück und nahm wieder Platz. „Ich befürchte jedoch, dass er Ihnen, sollte er merken, was Sie im Schilde führen, einen Strich durch die Rechnung macht.“

„Warum?“, wunderte sich Henrietta.

„Er wird wieder Anstoß daran nehmen, dass Sie ihn erneut mit einer von Ihnen ausgesuchten Dame vermählt sehen wollen. Seine Abneigung dürfte dann weniger auf Ihre Nichte zurückzuführen sein, sondern mehr auf den Umstand, dass er sich von Ihnen wie eine Schachfigur behandelt fühlt.“

„Ihr Einwand ist nicht unbegründet, Alice“, räumte Henrietta seufzend ein. „Mir ist noch sehr gut in Erinnerung, dass er, als ich Miss Locksby und ihre Eltern eingeladen hatte, nach einem Blick auf Lady Worrall vorgab, er habe etwas Dringendes in Belvoir zu erledigen, und abgereist ist. Wie peinlich! Tagelang war ich genötigt, Ausflüchte zu erfinden, bis Worrall mit seinen Angehörigen endlich den Besuch beendet hat. Zum Schluss war ich sogar froh, dass Philip sich so unhöflich betragen hat. Die Vorstellung, Lady Worrall zu meiner Familie zählen zu müssen, war mir unerträglich geworden.“

„Mit Verlaub, Madam, aber ich bin skeptisch, wie Ihre Nichte reagieren wird, falls sie herausfindet, was Sie mit ihr beabsichtigen“, sagte Alice warnend.

„Natürlich darf sie nicht ahnen, was ich mit ihr vorhabe. Ich werde bei ihr ebenso vorsichtig zu Werk gehen müssen wie bei meinem Stiefsohn. Sonst könnte es sein, dass sie, milde ausgedrückt, sehr widerspenstig wird. Ich werde die Fäden diskret aus dem Hintergrund ziehen, sodass beide nicht merken, was ich bezwecke. Ich kann Philip natürlich keine Vorschriften machen, finde jedoch, dass er sich mit vierunddreißig Jahren endlich der Verpflichtung bewusst zu werden hat, einen Hausstand gründen zu müssen. Seine Gleichgültigkeit in dieser Hinsicht hält bereits schon viel zu lange an.“

2. KAPITEL

Beim Betreten des Gesellschaftszimmers stellte Philip fest, dass er sich als Erster vor dem Dinner hier eingefunden hatte. Aus Erfahrung wusste er jedoch, dass die Stiefmutter zumeist im letzten Augenblick erschien, bevor der Butler verkündete, es sei angerichtet. Im Begriff, im Pilasterspiegel den Sitz des Cachenez zu überprüfen, sah er die Tür sich öffnen und einen blonden Burschen eintreten, der bei seinem Anblick verdutzt stehen blieb.

„Pardon, Sir, wer sind Sie?“, erkundigte Geoffrey sich verblüfft.

„Das könnte ich dich fragen“, erwiderte Philip und drehte sich zu ihm um. „Ich nehme jedoch an, du bist Miss Antonias Bruder, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete Geoffrey nickend.

„Ich bin der Hausherr“, stellte Philip sich lächelnd vor und registrierte erstaunt, dass der Junge sehr hellhäutig war.

„Meine Schwester hat mich mitgebracht, weil sie nicht wollte, dass ich in Mannering Park allein bin“, erklärte Geoffrey. „Dort hätte ich mich bestimmt zu Tode gelangweilt.“

„Bist du vom College hergekommen?“

„Noch habe ich mit dem Studium nicht angefangen.“

„Aber du hast die Aufnahmeprüfung bestanden?“

„Ja“, sagte Geoffrey stolz. „Ab dem nächsten Semester bin ich in Oxford. Das hat ziemliches Aufsehen erregt, denn ich bin erst sechzehn Jahre alt.“

„Von einem Mannering habe nichts anderes erwartet“, äußerte Philip schmunzelnd.

„Danke, Sir“, erwiderte Geoffrey beeindruckt. „Ich merke, dass Sie sich nicht mehr an mich erinnern. Ich war schon vor vielen Jahr hier. Damals haben meine Eltern Antonia und mich zurückgelassen, als sie ihre Reise fortsetzten. Da ich noch klein war, befand ich mich viel im Kinderzimmer oder bei meiner Tante, die sich oft mit mir befasst hat.“

„Ihre mütterliche Art ist mir noch gut in Erinnerung“, warf Philip belustigt ein. „Du hast keine Ahnung, Geoffrey, wie froh ich war, dass sie deine Schwester und dich mit ihrer Fürsorge überhäuft hat. Ich mag sie gern, bin jedoch sicher, dass meine Beziehung zu ihr weniger herzlich wäre, hätte sie mir zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.“

„Sie müssen doch schon ziemlich erwachsen gewesen sein, als sie Ihren Vater heiratete“, wandte Geoffrey stirnrunzelnd ein.

„Oh, so alt war ich noch nicht“, entgegnete Philip amüsiert. „Ich war damals erst achtzehn. Und solltest du glauben, dass du in deinem Alter ihrer Bemutterung schon entwachsen bist, wirst du von ihr bestimmt eines anderen belehrt werden.“

„Das habe ich längst festgestellt“, sagte Geoffrey missmutig. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich in ihren und Antonias Augen immer noch ein Kind bin.“

„Nimm es nicht so schwer“, erwiderte Philip beschwichtigend. „Sie werden dich bald nicht mehr bevormunden können.“

„Ich befürchte, dass ich immer unter ihrer Fuchtel stehen werde“, murrte Geoffrey. „Bisher durfte ich nie vom Haus fort, nicht einmal zur Schule. Meine Mutter bestand darauf, dass ein Hauslehrer mich unterrichtete.“

Die Tür ging auf, und Miss Mannering betrat in einem ihrer Figur schmeichelnden gelben Chemisenkleid den Salon. „Guten Abend, Miss Antonia“, begrüßte Philip sie und bewunderte ihr entzückendes Aussehen.

„Guten Abend, Sir“, erwiderte sie lächelnd. „Oh, mein Bruder hat sich Ihnen offensichtlich schon vorgestellt“, setzte sie hinzu und hoffte, Geoffrey möge keine Abneigung gegen Seine Lordschaft gefasst haben.

„Ja, wir haben uns über seinen bevorstehenden Eintritt ins College unterhalten“, sagte Philip schmunzelnd. „Dort wird er dann auch die Erfahrungen sammeln, die man braucht, um sich in jeder Situation wie ein Weltmann zu benehmen. Das Leben mit meinen Studiengenossen hat mir sehr geholfen, so aufzutreten, wie ich es heute tue.“

Antonia lag eine süffisante Bemerkung auf der Zunge, doch angesichts des verschmitzten Lächelns in Lord Ruthvens grauen Augen erschien es ihr ratsamer, die Boshaftigkeit nicht auszusprechen. „Ich bin überzeugt“, erwiderte sie trocken, „dass mein Bruder sich mit größter Hingabe allen Abwechslungen widmen wird, die sich ihm im College bieten.“

Im gleichen Moment wurde die Tür geöffnet, und Ihre Ladyschaft betrat, gefolgt von Lord Satterley, das Gesellschaftszimmer. Gleich darauf erschien der Butler und bat die Herrschaften zu Tisch.

„Gestatten Sie?“, fragte Philip und reichte Miss Mannering den Arm.

Da der Viscount sich mit Lady Ruthven unterhielt, nickte Antonia, legte dem Baron die Hand in die Armbeuge und ging mit ihm ins Speisezimmer voran.

„Wie angenehm, der Hausherr zu sein“, bemerkte Philip amüsiert, half ihr, sich neben seinem Stuhl an der Stirnseite der Tafel zu setzen, und wartete, bis die Stiefmutter sich ihm gegenüber, der Freund an der linken Seite und Geoffrey sich neben seiner Schwester niedergelassen hatten. Dann nahm er Platz und gab Fenton einen Wink, mit dem Servieren zu beginnen.

Zunächst drehte die Unterhaltung sich um den neuesten Londoner Klatsch. Schließlich fand Philip es angebracht, dem Gespräch eine Wende zu geben, und warf in einem günstigen Moment ein: „Wie ich höre, Miss Antonia, haben Sie in den verflossenen acht Jahren sehr zurückgezogen gelebt.“

„Meiner Mutter ging es nicht gut“, erwiderte sie und zuckte leicht mit den Schultern. „Folglich hatten wir keinen Anlass, uns zu amüsieren. Nachdem ich volljährig geworden war, wurde ich jedoch von den Damen der Nachbarschaft eingeladen oder zu Veranstaltungen in Harrogate mitgenommen.“

„Hat Ihre Mutter denn nie ein Fest gegeben?“, wunderte er sich.

„Nicht mehr nach dem Tode meines Vaters“, antwortete Antonia ernst. „Hin und wieder bekamen wir Besuch, doch meistens war meine Mutter zu schwach, um sich in den Empfangssalon zu begeben. Sie sollten jetzt jedoch nicht denken, Sir, dass ich mich nach Vergnügungen verzehrt habe. Die mir von ihr übertragene Führung des Haushaltes und Leitung des Gutes haben mich sehr beschäftigt gehalten, und natürlich auch die Aufsicht über Geoffrey. Meine Mutter war immer in Angst, er könne ihre schlechte Konstitution geerbt haben, was zum Glück nicht der Fall ist. Davon konnte ich sie indes nie überzeugen.“

„Wie haben Sie Erzieher gefunden, die den Wissensdrang Ihres Bruders befriedigen konnten?“, fragte Philip lächelnd. „Ich vermute, er war ein sehr lerneifriges Kind.“

„In der Tat“, bestätigte Antonia stolz. „Als er neun Jahre alt war, meinte Mr. Smothingham, unser Kurat, er könne ihm nicht mehr viel beibringen.“

Aufmerksam lauschte Philip den folgenden Schilderungen von Geoffreys Wissbegier und Streichen und zog daraus Schlussfolgerungen über das Leben, das der Junge und seine Schwester in Mannering Park geführt hatten. Erstaunlicherweise nahm Mr. Smothingham in den Erzählungen ziemlich breiten Raum ein. „Er scheint seine Aufgabe sehr wichtig genommen zu haben“, warf Philip stirnrunzelnd ein.

„Ja“, antwortete Antonia und lächelte verhalten. „Er war mir eine große Stütze, stets sehr zuvorkommend und hilfsbereit.“

Sie schien diesen Mr. Smothingham gemocht zu haben, und unwillkürlich war er Philip unsympathisch. „Meine Stiefmutter hat heute erwähnt, sie trage sich mit dem Gedanken, zur Nachsaison nach London zu fahren“, äußerte er, um das Thema zu wechseln.

„Das weiß ich, Sir. Sie hat mich gebeten, sie zu begleiten. Hoffentlich ist Ihnen das recht.“

„Warum sollte es mich stören? Im Gegenteil, es freut mich, dass Sie ihr Gesellschaft leisten werden. Ich bin sicher, Sie werden den ton im Sturm erobern.“

„Glauben Sie?“, fragte Antonia und schaute Seiner Lordschaft in die Augen. „Ich bin nicht so davon überzeugt. Sind Sie der Ansicht, dass ich es amüsant finden werde, in Gesellschaft zu verkehren?“

Mit ausdrucksloser Miene ließ Philip den Blick auf Miss Mannerings Lippen verweilen, atmete tief durch und sagte leichthin: „Was das betrifft, Miss Antonia, werde ich mich hüten, Behauptungen aufzustellen.“

Philip sagte sich, beim Essen habe er aus einem gänzlich uneigennützigen Grund herausfinden wollen, welche Vorstellungen Miss Mannering mit ihrem Londoner Aufenthalt verband. Allen Anzeichen nach zu urteilen trug die Stiefmutter sich mit der Absicht, sich um die Zukunft ihrer Nichte zu kümmern, und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie sehr beharrlich sein. Folglich hatte er erkunden wollen, ob Miss Mannering mit den Plänen ihrer Tante einverstanden war. Nicht in der Stimmung, den Damen lange fernzubleiben, schlug er, nachdem er sein Glas Portwein im Herrensalon geleert hatte, in bestimmendem Ton vor, unverzüglich zu ihnen zurückzukehren.

Schmunzelnd schaute Hugo ihn an, sträubte sich jedoch nicht und folgte ihm in das Nebenzimmer.

„Oh, wie schön, dass wir jetzt Gesellschaft haben“, sagte Henrietta lächelnd. „Sing etwas für uns, Geoffrey. Antonia wird dich begleiten.“

Willig erhob sich Antonia, nahm auf der Klavierbank Platz und fragte den Bruder, was er vortragen wolle.

Er schlenderte zu ihr, blätterte die auf dem Ständer liegenden Noten durch und entschied sich für ein volkstümliches Duett.

Philip gesellte sich zu ihnen, lehnte sich an das Instrument und beobachtete Miss Mannering, während sie mit dem Bruder musizierte. Plötzlich richtete sie die Augen auf ihn, lächelte versonnen und schaute dann wieder in die Noten. Er schloss die Lider, gab sich dem Genuss ihrer warmtimbrierten, weich und sinnlich klingenden Stimme hin und fiel, sobald sie und Geoffrey das Lied beendet hatten, in den Beifall der anderen Zuhörer ein.

Antonia sah ihn an und fragte lächelnd: „Haben Sie Lust, Sir?“

Die Frage war zweideutig, und im Stillen grinsend entschied er sich, sie ebenso anzüglich zu beantworten. „Ich werde versuchen, mein Bestes zu geben“, sagte er schmunzelnd, stellte sich hinter Miss Mannering und wartete, bis ihr Bruder sich in einen Sessel gesetzt hatte. Dann stimmte er sich mit ihr über das zu wählende Lied ab, holte tief Luft und gab mit sonorem Bariton die erste Strophe zum Besten. Beim Refrain fiel der Freund ein, nach dem zweiten Teil schließlich auch Geoffrey. Die restlichen Strophen wurden zur allgemeinen Heiterkeit abwechselnd gesungen, und zum Schluss brach jeder in unbeschwertes Gelächter aus.

Begeistert klatschte Henrietta Beifall.

Antonia drehte sich um und schaute Seine Lordschaft an. Seine Miene war fröhlich, der Ausdruck in seinen Augen jedoch seltsam verhangen. Sie zog eine Braue hoch und ergriff die Hand, die er ihr reichte. Unvermittelt schloss er die Finger um die ihren, und die Berührung verursachte ihr einen wohligen Schauer.

Er führte sie zu einem Fauteuil, half ihr beim Platznehmen und händigte ihr die von der Stiefmutter eingeschenkte Tasse aus.

Nie zuvor hatte jemand sie derart aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Sie hatte Herzklopfen und musste sich zwingen, die unerwartete innere Erregung nicht zu erkennen zu geben. Es irritierte sie, dass sie dermaßen empfänglich für Lord Ruthvens Nähe war, und sie wünschte sich, bald wieder ausgeglichen zu sein. Zu ihrer Erleichterung wurde er von ihrer Tante abgelenkt, die ihm vorschlug, ein Fest zu veranstalten.

„Wir haben jahrelang keins gegeben“, setzte Henrietta hinzu. „Da Antonia nun hier ist, kann sie mir bei den Vorbereitungen helfen.“

„Wie du meinst“, erwiderte Philip gedehnt.

Antonia entging nicht, dass er nicht begeistert war.

„An sich hatte ich einen Ball im Sinn, zu dem ich nur Nachbarn einladen wollte“, fuhr Henrietta fort. „Antonia hat mich jedoch darauf hingewiesen, nach der langen Zeit sei es angebracht, unseren Pächtern etwas Unterhaltung zu bieten.“

Philip tauschte einen Blick mit dem Freund und sah dann zu Miss Mannering hinüber. Sie hatte die Lider gesenkt und nippte an ihrer Tasse.

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass sie recht hat“, meinte Henrietta.

„Und welcher Art soll dieses Fest sein?“, erkundigte Philip sich misstrauisch.

„Ich denke an eine Lustbarkeit im Park“, antwortete sie eifrig, „und zwar möglichst bald, damit das Wetter uns keinen Streich spielt. Was hältst du von Samstag in einer Woche? Es versteht sich von selbst, dass du anwesend sein musst!“

Philip war nicht von der Aussicht angetan, zahllose Pächter mit ihren Familien willkommen heißen, zu einfältigen, albernen Mädchen höflich sein und die überall herumtobenden, kreischenden und Unfug treibenden Kinder ertragen zu müssen. Irgendwann fiel dann auch noch unweigerlich jemand in den See, und es gab einen schrecklichen Aufruhr.

„Meinst du nicht, dass die Anforderungen, denen du dich als Gastgeberin eines so umfangreichen Gartenfestes stellen musst, dich überfordern könnten?“, fragte er skeptisch.

„Ich würde meine Tante selbstverständlich in jeder Hinsicht unterstützen“, warf Antonia ein.

Philip sah sie an und zog eine Braue hoch.

„Wie du gehört hast, musst du dir um mich keine Sorgen machen“, erwiderte Henrietta zufrieden. „Antonia kann mich bei den meisten meiner Pflichten vertreten. Ich gehe davon aus, dass ich mit den älteren Damen auf der Terrasse sitzen werde und von dort alles im Auge behalten kann.“

„Wie bequem für dich!“, bemerkte Philip trocken. „Miss Antonia hingegen wird nicht wissen, wo ihr der Kopf steht.“

„Sie werden feststellen, Sir“, schaltete sie sich gekränkt ein, „dass ich der mir zugedachten Aufgabe gut gewachsen bin.“

Autor

Stephanie Laurens
Stephanie Laurens wurde in Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) geboren. Sie begann mit dem Schreiben, um ihrem wissenschaftlichen Alltag zu entfliehen. Bis heute hat sie mehr als 50 Romane verfasst und gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesgeschichten. Die preisgekrönte New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Melbourne.
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