Amors Pfeil traf mitten ins Herz

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Hin- und hergerissen zwischen Herz und Verstand versucht Romy, nicht schwach zu werden. Jason O'Donoghue fasziniert sie wie kein Mann je zuvor, aber Romy befürchtet, dass der Besitzer eines stattlichen Anwesens nur aus einem Grund mit ihr flirtet: Er will ihr Land kaufen, das direkt an seine Ranch grenzt ...


  • Erscheinungstag 10.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755447
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Weißer Morgennebel lag über dem Pazifik und umhüllte die Skyline von San Francisco wie zarte Watte. Es war August, doch die Luft war kühl und feucht. Die Touristen in ihrer dünnen Kleidung fröstelten und versuchten, die berühmte Golden Gate Bridge zu fotografieren oder vielmehr das, was von der Brücke zu erkennen war, denn nur die Spitzen der Pylonen ragten aus dem Nebel. Die Küstenlinie war überhaupt nicht mehr zu sehen.

Mit einem Seufzer der Erleichterung bog Romy MacDonald vom Highway ab. Der ungewohnte Leihwagen und die amerikanischen Verkehrsregeln hatten sie nervös gemacht. Dazu noch der Nebel. Ihr erster Abstecher nach San Francisco war ihr wie eine Zerreißprobe vorgekommen. Um nicht in den Berufsverkehr zu geraten, war sie bereits in aller Frühe aufgebrochen, doch ihr Plan war schief gegangen. Auf dem sechsspurigen Highway hatte sie prompt die Ausfahrt verpasst. Dann war sie in den dichten Verkehr geraten und hatte Mühe gehabt, einen Parkplatz zu finden. All das hatte an ihren Nerven gezerrt. Doch jetzt, auf dem Heimweg, wurde Romy wieder ruhiger.

Sie lächelte und strich eine Strähne ihres schimmernden roten Haares aus der Stirn. Alles in allem war der Morgen doch recht gut verlaufen. Auf dem Rücksitz ihres Wagens stapelten sich ihre Einkäufe: Auslegepapier, Reinigungsmittel und viele Dosen mit weißer Farbe und Lack. Damit wollte sie das Häuschen renovieren, das sie geerbt hatte. Dazu hatte sie noch Obst und Lebensmittel besorgt.

Die Landstraße verlor sich jetzt in einem staubigen Weg. Bei dem Nebel würde es schwierig sein, die Stelle zu finden, an der Romy in die Bucht abbiegen musste, in der das kleine Haus war. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, irgendwelche Hinweisschilder zu erkennen. Es war ein sonderbares Gefühl, so allein durch die neblige Landschaft zu fahren.

Der Weg bog unerwartet scharf ab, und Romy stockte der Atem.

Im dichten Nebel sah sie einen Mann in T-Shirt und Shorts geradewegs auf sie zulaufen. Er hatte den Kopf gesenkt und schien den nahenden Wagen nicht zu bemerken.

„Passen Sie doch auf, Sie Idiot!“, schrie Romy auf und hupte. Der Kopf des Mannes rutschte hoch. Ihre Blicke trafen sich, kalte Angst stand in beider Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde schien der Mann wie erstarrt, und Romy trat hart auf die Bremse. Die Reifen quietschten, und der Wagen schleuderte. Dann gab es eine Reihe von dumpfen Schlägen, und die auf dem Rücksitz verstauten Einkäufe flogen in hohem Bogen nach vorn. Aus dem Augenwinkel heraus sah Romy noch, dass der Läufer zu Boden stürzte, während sie anhielt. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Zitternd umklammerte sie das Lenkrad, und ihr Atem ging schneller. Dann endlich fand sie die Kraft, aus dem Auto zu steigen und sich den Tatsachen zu stellen. Alles war so schnell gegangen. Hatte sie den Mann überfahren? Ihr Puls raste. Du lieber Himmel! Vielleicht lag der Mann mit zerschmetterten Gliedern am Wegrand, und Blut strömte aus seinen Wunden. Sie ging mit weichen Knien zu der Unfallstelle zurück.

Als Romy um die Kurve bog, atmete sie erleichtert auf. Der Läufer saß am Wegrand und betastete seine Wade. Er war anscheinend unverletzt. Das einzige, was auf seinen Sturz hinwies, waren vereinzelte Grashalme, die an seinen Kleidern und in seinem Haar hafteten.

„Alles in Ordnung?“, fragte Romy und versuchte ein ermunterndes Lächeln.

Ein vernichtender Blick traf sie. „Nichts ist in Ordnung. Mich hat’s ganz schön am Bein erwischt. Dank Ihrer Fahrkünste. Ich bin es langsam leid, dass dieser Weg hier wie eine Grand Prix-Strecke benutzt wird.“

„Aber ich …“ Romy wollte protestieren und ihm erklären, dass sie erst vor kurzem nach Kalifornien gekommen war. Sie brach jedoch mitten im Satz ab, als sie merkte, dass der Fremde gar nicht zuhörte. Er massierte noch immer sein Bein, dann blickte er auf die Taucheruhr an seinem Handgelenk.

„Wissen Sie eigentlich, was Sie getan haben?“, fragte er, und der Blick seiner blauen Augen verhieß nichts Gutes.

Romy schluckte. Hatte er sich etwa doch eines seiner stattlichen Beine gebrochen? „Was denn?“

„Sie haben meine Jogging-Zeit total durcheinander gebracht.“ Verdutzt starrte sie ihn an.

„Ihre Jogging-Zeit?“ Mühsam unterdrückte sie ein Lachen. Das war doch nicht zu fassen! Sie hatte große Angst ausgestanden, dass sie diesen Fremden möglicherweise für den Rest seines Lebens in den Rollstuhl verbannt hatte, und ihn interessierte nur sein dämlicher Morgenlauf! Das musste ja ein richtiger Fitness-Spinner sein!

„Das tut mir aber leid.“ Sie versuchte, überzeugend zu klingen.

„Das sollte es auch.“ Der Fremde erhob sich und klopfte sich umständlich ab. Er war hoch gewachsen, hatte breite Schultern und schmale Hüften. Er mochte Anfang Dreißig sein. Jetzt war er ziemlich verärgert. „Früher einmal war es in dieser Gegend hier richtig schön und friedlich, aber es wird jeden Tag schlimmer. Es gibt Leute, die auf meinem Grundstück picknicken, und Wanderer klopfen an meine Tür, um nach dem Weg zu fragen.“ Als er merkte, dass sie das nicht besonders schlimm fand, fügte er hinzu: „Und die Straßen sind voll von Verrückten wie Ihnen!“

Nachdem feststand, dass sie dem Fremden keinen nennenswerten Schaden zugefügt hatte, wollte Romy die Situation erläutern. „Sie liefen mir geradewegs ins Auto und haben gar nicht darauf geachtet, wo Sie waren“, erklärte sie mit zuckersüßer Stimme. „Es soll ja so etwas wie Regeln im Straßenverkehr geben.“

Der Mann stemmte die Hände in die Seiten und beugte sich vor. „Ich war auf der richtigen Straßenseite“, knurrte er.

Seine feindselige Art rief in Romy heftigen Widerstand hervor. „Oh nein, das waren Sie nicht.“

„Dann denken Sie mal nach!“

Romy musste sich geschlagen geben. Sie erinnerte sich, dass sie für einen kurzen Augenblick in ihre alte Fahrgewohnheit verfallen und auf der linken Seite gefahren war wie in England.

„Es tut mir wirklich leid.“

„Sie sind wohl Engländerin.“ Der Fremde musterte eingehend ihren rosafarbenen Freizeitdress, als suchte er das „Made in England“-Etikett. „Jetzt verstehe ich, warum Sie auf der falschen Straßenseite gefahren sind. Hat der britische Geheimdienst Sie als Geheimwaffe eingesetzt, um die Bevölkerung der Vereinigten Staaten Stück für Stück umzulegen?“

In Romy stieg Zorn auf. Die Amerikaner, die sie bisher kennen gelernt hatte, waren sehr freundlich und entzückt von ihrem Akzent gewesen. Die männlichen Vertreter waren ganz besonders hingerissen von ihrem ovalen Gesicht und ihrem feuerroten Haar. Heute jedoch wollte es das Pech, dass sie einen traf, der offenbar kein Interesse daran hatte, die angloamerikanischen Beziehungen zu verbessern.

„Ich bin Schottin“, erklärte sie ihm, und ihre grünen Augen funkelten.

„Das glaube ich nicht. Ich kann die britischen Akzente sehr wohl voneinander unterscheiden, und Sie, Kindchen, kommen nicht aus Schottland.“

Romy hatte keine Lust, ihre Herkunft weiter zu erläutern. „Ihr Pech, aber so ist es nun einmal“, stieß sie hervor.

„Wie Sie meinen.“

Der Fremde zuckte die Achseln, und nach einem weiteren Blick auf seine Uhr zählte er leise bis drei und lief los. Sekunden später war er im Nebel verschwunden.

Romy eilte zu ihrem Wagen zurück und riss die Tür auf. Durchdringender Geruch von Desinfektionsmittel stieg ihr in die Nase. Bei der Vollbremsung war eine der Flaschen zerbrochen und ausgelaufen. Romy verfluchte den Jogger und schob ihm die ganze Schuld zu.

Als sie weiterfahren wollte, stellte sie fest, dass sie die richtige Abzweigung verfehlt hatte. Sie versuchte, den Wagen auf dem schmalen Weg zu wenden, was ihr nach einigen Rangierversuchen endlich gelang. Sie war schweißgebadet, als sie schließlich vor ihrem kleinen Haus anhielt. Sie hatte den Tag voller Schwung und Zuversicht begonnen, doch nun fühlte sie sich dem Weinen nahe.

Ihr Vater hatte sie ja gewarnt. Doch Romy war fest entschlossen gewesen, England und Peter hinter sich zu lassen und in Kalifornien neu anzufangen.

„Ich gebe ja zu, dass es ziemlich aufregend ist, wenn man plötzlich ein Haus erbt, aber wie ich Prudence kenne, hat die Sache bestimmt einen Haken“, hatte ihr Vater erklärt und gemütlich an seiner Zigarre gezogen.

„Sei doch kein Spielverderber“, hatte Romy gekontert. „Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein. Die Nachricht von Tante Prudences Vermächtnis kam gestern völlig unerwartet, und am selben Tag noch erklärt mir mein Chef, dass ich mich besser nach einer anderen Stelle umsehen solle, weil man Arbeitskräfte einsparen wolle.“

„Hübsche Sekretärinnen, die auch was von Rechtschreibung verstehen, sind immer gefragt. Du wirst schnell eine neue Stelle finden“, hatte ihr Vater sie beruhigt.

Dem hatte Romy nichts entgegenzusetzen. Sie beharrte jedoch auf ihrem Standpunkt, dass das Schicksal hier die Hand im Spiel hatte.

Außerdem wollte sie ihrem Vater nicht auch noch erzählen, dass ihr am Vorabend Peter einen Heiratsantrag gemacht hatte – noch ein Grund mehr, England zu verlassen.

Mr. MacDonald hatte nur das Gesicht verzogen. „Auch das Schicksal kann sich mal irren. Ich gehe jede Wette ein, dass die Sache einen Haken hat. Prudence war ziemlich verschroben, auch schon vor dreißig Jahren. Ich habe nie verstanden, was Onkel Alex dazu bewogen hat, sie zu heiraten. Mich erinnerte sie immer an Medusa, weißt du, so fürchterlich anzusehen, dass jeder, der sie zu Gesicht bekam, zu Stein erstarrte.“

„Es ist nicht nett von dir, so über sie zu reden.“

„Du hast sie nie gesehen.“

„Dad, so schlimm kann sie nicht gewesen sein. Außerdem sind die meisten in unserer Familie ein wenig verschroben, auch wenn ihr Aussehen nicht ganz so abschreckend ist. Wie du, zum Beispiel.“ Romy lächelte den stattlichen Mann mit dem grauen Backenbart liebevoll an.

„Ich? Ich bin doch nur der freundliche Diplomat von nebenan.“

„Du bist ein ganz und gar unsteter Mensch und hast mich immer mitgeschleift, solange ich denken kann. Ich habe Visa in meinem Pass gesammelt wie andere Kinder Autogramme. Aber jetzt ist Schluss damit! Jetzt kann ich mich endlich niederlassen und mir ein Zuhause schaffen.“ Romys Blick hatte sich getrübt.

„Warum hast du Peter nichts davon gesagt, dass du dich nach einem häuslichen Herd sehnst?“, hatte ihr Vater mit verschmitztem Lächeln gefragt, jedoch schnell das Thema gewechselt, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkt hatte. „Blödsinn, was soll das Gerede vom heimischen Herd. Sieh mich an, ich werde bald sechzig und bin immer noch quicklebendig. Und das bleibe ich hoffentlich noch lange. Du wirst bald dein neues Leben in der Fremde leid sein, glaube mir, du wirst schon sehen.“

Romy war das neue Leben schon leid, obwohl sie erst seit einer Woche in den Vereinigten Staaten war. Als sie ihre Einkäufe aus dem Wagen lud, hielt sie inne und starrte auf das kleine Holzhaus, das sie geerbt hatte. „Haus“ war übertrieben, der reinste Schuppen war das!

Im Flugzeug hatte sie sich in rosigen Farben ausgemalt, welch ein hübscher Bungalow sie wohl erwartete, mit einer Rosenhecke davor und einem sauber gemähten Rasen. Doch als sie dann davor stand, zerplatzte ihr schöner Traum wie eine Seifenblase. Früher einmal mochte das kleine Haus recht schmuck gewesen sein, jetzt war es vom Zerfall bedroht. Ihre Großtante war kein Heimchen am Herd gewesen, das konnte man sehen. Das Haus musste innen gründlich renoviert werden, und auch die Außenwände hatten Farbe bitter nötig. Der gepflegte Rasen, den sie vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte, stellte sich als undurchdringliches Dickicht heraus.

Als Romy die zwei Stufen zur Veranda hinaufging, lachte sie bitter auf. Der gelangweilte Notar, der ihr das Testament der Tante verlesen hatte, hatte auf den wunderbaren Meerblick des Hauses hingewiesen. Doch alles, was Romy bisher durch den Nebel hatte erkennen können, war ein blauer Fleck, wo vermutlich der Pazifik lag. Sie war gerade dabei, die letzten Pakete ins Haus zu tragen, als das Telefon läutete. Das laute Schrillen betonte noch die Stille, von der sie umgeben war. Das konnte nur Mrs. Klein sein, die Schwester von Tante Prudence, eine verdrießliche alte Dame mit einem enormen silbergrauen Haarknoten.

„Ist bei dir alles in Ordnung?“, tönte es aus dem Hörer. Romy musste lächeln. Mrs. Klein schien der Auffassung zu sein, dass das Leben in dem Häuschen am Pazifik ebenso gefährlich war wie irgendwo in Afrika. Sie rief Romy jeden Tag an und stellte jedes Mal dieselbe Frage. Es war gut gemeint, denn schließlich kannten sie sich kaum. Sie machte keinen Hehl daraus, dass ihr das Häuschen nicht gefiel und dass sie Romys Entschluss, darin zu leben, nicht gut fand.

„Danke, es ist alles in Ordnung. Ich war gerade in der Stadt und habe Farbe gekauft. Jetzt kann es losgehen.“

„Du wirst den Geruch von den Katzen nie aus dem Haus bekommen, da kannst du so viel streichen, wie du willst.“ Mrs. Klein lachte höhnisch. „Wenn ich mir das vorstelle, die gute alte Prudence lebte in einem Haus voller Katzen. Na ja, es liegt ja auch ziemlich einsam. Nur Felder und der Pazifik. Der Typ, der das Haus oberhalb von deinem Grundstück hat, ist sowieso selten da, er arbeitet im Ausland. Zwischen ihm und Prudence gab es übrigens immer böses Blut. Als ihr Mann Alex noch lebte, war es nicht so schlimm, aber nach seinem Tod ist Prudence wirklich verrückt geworden. Einfach war der Umgang mit ihr ohnehin nie.“ Dann wechselte Mrs. Klein das Thema. „Wenn es dir zu langweilig wird, kannst du immer noch zu uns nach Oakland kommen, Kindchen.“

Romy ging nicht auf die Einladung ein. Nach allem Ärger, den sie heute Morgen bereits gehabt hatte, war ihr die Zurückgezogenheit in ihrem Häuschen ganz willkommen. Sie hatte auch keine Lust, sich bei dem Nebel noch einmal ins Auto zu setzen. Außerdem hatte sie bereits zwei Tage bei den Kleins verbracht, bevor sie ihr Häuschen bezogen hatte. Es gab zu unterschiedliche Auffassungen, die nichts mit dem Altersunterschied zu tun hatten.

Zuerst hatte Romy geargwöhnt, dass die Kleins ihr die Erbschaft neideten, doch bald stellte sie fest, dass sie erleichtert darüber waren, sich nicht um das kleine Haus kümmern zu müssen. Sie hatten sie zu dem Notar gebracht, der das Testament der Tante verwaltete und ihr die Schlüssel für das Haus aushändigte. Sie hatten ihr den Mietwagen besorgt und ihr bei den Einkäufen geholfen. Bei alldem hatten sie jedoch durchblicken lassen, dass sie nicht verstehen konnten, warum eine junge Frau sich mit so einem schäbigen Haus abgeben wollte.

„Ich würde es verkaufen“, hatte Jim Klein vorgeschlagen und dabei den Blick nicht vom Fernsehschirm genommen. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wer das Haus kaufen sollte, aber das Grundstück hat bestimmt seinen Wert.“

„Ich will gar nicht verkaufen“, hatte Romy erklärt.

Nun mischte sich Mrs. Klein ein. „Aber was ist denn schon dran an dem Haus? Gut, es gibt immerhin Telefon, aber das ist auch schon alles. Du bist dir da draußen wirklich selbst überlassen. Du hast kein Fernsehen, keine befestigte Straße, keine Straßenbeleuchtung. Der einzige Nachbar ist nie da, und die nächste Ortschaft ist kilometerweit entfernt. Du kannst nicht einmal auf einen Schwatz zum Nachbarn oder zum Kaufmann gehen.“

„Das macht mir nichts aus“, hatte Romy mit einem Lächeln beteuert. Sie spürte, dass die Kleins sie für ebenso versponnen hielten wie ihre Tante Prudence. Vielleicht war sie es sogar.

Jason O’Donoghue trank einen tiefen Schluck Bier und wischte sich den Schaum vom Mund. „Ah, der erste Schluck ist immer der Beste.“ Er setzte noch einmal sein Glas an. „Selbst wenn ich im Ausland ein Bier bekomme, schmeckt es nie so gut wie zu Hause.“

Sein Gegenüber musste lächeln. „Ist doch gut, wieder hier zu sein, was? Diesmal warst du aber auch besonders lange fort. Fünf Monate, stimmt’s?“

„Sechs. Aber das bedeutet auch längeren Urlaub, mein Lieber. Ich habe acht Wochen Ferien vor mir.“

„Du bist zu beneiden“, sagte Stuart Beazley.

„Ich freue mich, dass ich wieder hier bin und meine geliebte Bucht wieder habe.“ Jason streckte sich wohlig. „Aber was ist bloß mit dem Wetter los? Gut, im Juli gibt es hin und wieder schon mal Nebel, aber gegen Mittag ist er gewöhnlich verschwunden. So etwas habe ich um diese Jahreszeit hier noch nie erlebt.“ Er furchte die Stirn und starrte in sein Bierglas. „Dieses Wetter macht mich ganz krank und andere Dinge auch.“

„Was denn noch?“

Stuart lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück und blickte seinen Freund an. Er freute sich, Jason wieder zu sehen und von seinem Einsatz im Mittleren Osten zu hören. Als Tiefseetaucher kam Jason weit in der Welt herum, und Stuart lauschte immer fasziniert, was der Freund von fernen Ländern zu erzählen wusste. Er hätte allerdings nicht mit Jason getauscht. Er war in San Francisco geboren und aufgewachsen und arbeitete jetzt hier als Anwalt. Er hatte nie den Wunsch verspürt, seinen Horizont zu erweitern und zu reisen. Stuart liebte das Familienleben. Stolz blickte er sich in dem gemütlichen Wohnzimmer um, dessen Einrichtung vom Geschmack seiner Frau Ginette geprägt war. Sie war ihm eine liebevolle Partnerin und Mutter seiner zwei Kinder, es konnte ihm gar nicht besser gehen. Um nichts in der Welt würde er dieses Leben für Jasons exotische Abenteuer aufgeben.

Er dachte an Juliette, die gewöhnlich bei diesen Willkommen-Partys dabei war. Sie hatte eine große Karriere bei einer bedeutenden Werbeagentur vor sich und war heute Abend durch geschäftliche Verpflichtungen verhindert. Er fragte sich, wie Jason dazu stand, dass ihr Beruf an erster Stelle kam. Aber vielleicht machte er sich nichts daraus.

Jason legte ein Bein auf die Sessellehne. „Mein Jogging gefällt mir gar nicht“, erklärte er mürrisch. „Sonst konnte ich meine Laufzeiten immer einhalten, aber gestern war ich weit unter …“

„Weißt du, was das bedeutet?“, mischte Ginette sich aus der Küche ein, wo sie gerade nach dem Essen gesehen hatte.

Jason blickte sie misstrauisch an. Stuart hatte ja Verständnis für seinen Kummer, Ginette jedoch hatte einen Hang, sich über ihn lustig zu machen. „Was denn?“

„Ob du es hören willst oder nicht, Jason, du kommst in die Jahre. Mit fünfunddreißig geht es nur noch bergab.“

„Oh, ich danke!“

„Andererseits sollte es dich freuen zu wissen, dass du nun für das Amt des Präsidenten kandidieren kannst.“

Ginette war eine Zumutung, fand er. Sie war zwar auch fünfunddreißig Jahre alt, aber er wollte es ihr ersparen, sie darauf hinzuweisen, dass auch sie in die Jahre kam. Außerdem wusste er, dass sie sich nichts daraus machte. Sie ging auf in ihrer Familie, kümmerte sich hingebungsvoll um Stuart und die Kinder und besuchte dazu noch verschiedene Kurse oder Arbeitskreise. Altern war für sie kein Thema, dafür hatte sie einfach keine Zeit.

Ginette ließ sich neben Stuart auf dem Sofa nieder und griff nach ihrer Handarbeit.

„Ist unser Junggeselle jetzt froh, wieder zu Hause zu sein?“, fragte sie freundlich, doch Jason war sich nicht sicher, ob sie es so meinte oder ob sie ihn nur aufziehen wollte.

Er entschloss sich, aufrichtig zu sein. „Ja, ich bin froh, obwohl ich zugeben muss, dass es seltsam ist, in ein leeres Haus zurückzukommen. Die Alltagsroutine ist kein Problem, aber ich vermisse Paddys Gesellschaft, ja sogar unsere Streitereien.“

Es war einer jener seltenen Momente, in denen Ginette etwas von Verletzlichkeit hinter Jasons lässiger Fassade zu erkennen glaubte. Sie empfand das starke Bedürfnis, ihn zu trösten, obwohl sie ihm sonst lieber eine Ohrfeige verpasst hätte. Was für ein arroganter Kerl er doch ist, dachte sie. Sie musterte ihn verstohlen von der Seite. Man konnte ihn nicht gerade als besonders gut aussehend bezeichnen. Sein Kinn war zu kräftig, und seine Gesichtszüge waren unregelmäßig. Doch er hatte eine männliche Ausstrahlung, die auf Frauen wirkte. Außerdem konnte er gut mit Kindern umgehen, war handwerklich geschickt und ein ausgezeichneter Koch. Trotz dieser häuslichen Qualitäten war seine maskuline Ausstrahlung enorm. Was für eine Verschwendung! Ginette seufzte leise. Hier saß ein Traum von einem Ehemann und war doch ungebunden.

„Wäre es nicht eigentlich an der Zeit, dass ihr beide, du und Juliette, heiratet?“, fragte sie und übersah geflissentlich den Blick ihres Mannes. „Ihr beiden seid doch schon eine Ewigkeit zusammen.“

Jason hatte so eine Frage erwartet und war gut vorbereitet. „Sei doch mal ehrlich, Ginette. Du meinst, weil ich nun schon seit sieben Jahren mit Juliette schlafe, soll ich endlich eine ehrbare Frau aus ihr machen?“, gab er zurück.

„Genau das meine ich“, konterte Ginette. „Du kommst alle Jubeljahre mal nach Kalifornien zurück, wo die gute Juliette geduldig auf dich wartet. Sie hat nicht nur einen Ehering, sondern auch eine Medaille verdient.“

Jason trank einen Schluck aus seinem Glas. „Wie kommst du eigentlich darauf, dass Juliette sich binden will?“, fragte er.

„Sie ist immerhin zweiunddreißig und hängt an dir. Obwohl ich nicht verstehen kann, wie man es mit einem Kerl aushält, der neun Monate im Jahr weg ist.“ Ginette warf ihm einen fragenden Blick zu. „Ich wette, sie hat am Flughafen auf dich gewartet.“

„Sie hatte zwanzig Minuten Verspätung. Natürlich ist sie im Büro aufgehalten worden.“ Jason klang gekränkt. „Seit ihrer Beförderung im letzten Jahr hat sich alles verändert. Sie wird noch einmal richtig arbeitssüchtig. Aber für Juliette ist die Karriere nun einmal wichtig.“

„Das kann ich nicht glauben.“ Ginette schüttelte den Kopf. Sie war der festen Überzeugung, dass die sanfte Blonde nicht so karrieresüchtig war. Tief in ihrem Innern sehnt sich jede Frau nach einem Ehemann, nach einem Heim und einer Familie, dachte sie. Juliettes Unabhängigkeitsbedürfnis ist bestimmt nur gespielt. Sobald Jason ihr einen Heiratsantrag macht, wird sie nichts Eiligeres zu tun haben, als sich ein Hochzeitskleid zu bestellen.

Jason spielte mit der Goldkette, die er um den Hals trug. Er hatte keine Lust, sich mit Ginette auf eine Auseinandersetzung über Juliette und eine mögliche Heirat einzulassen. Er ärgerte sich über Juliettes Verhalten. Er akzeptierte, dass sie ihren Beruf liebte, aber es gab schließlich Grenzen.

„Heute Morgen bin ich doch beinahe von so einem verrückten Huhn in einem Buick überfahren worden“, sagte er, um das Thema zu wechseln. „Wie sich dann herausstellte, kommt sie aus England und ist deswegen auf der falschen Straßenseite gefahren. Ich konnte mich nur noch mit einem großen Satz zur Seite retten. Allerdings hat es mich am Bein erwischt, und das hat meine Jogging-Zeit völlig durcheinander gebracht.“

„Der arme Jason!“ Ginette versuchte mitleidig zu klingen und erntete nur einen vernichtenden Blick.

„Die Gegend hier ist schon bevölkert genug, da müssen nicht auch noch Engländer kommen“, sagte Jason ärgerlich.

„Du übertreibst, so schlimm ist es nun auch wieder nicht“, beschwichtigte Stuart und stand auf, um Bier zu holen.

Jason war anderer Meinung. „Es ist wirklich wahr. Wo immer man hinkommt, überall sind Campingwagen oder Tramper. Der Postbote hat mir erzählt, dass weiter unten an der Küste ein Windsurfing-Betrieb eröffnet werden soll. Es wird also nicht mehr lange dauern, bis meine Bucht voller Badegäste und Surfer ist.“

„Deine Bucht?“, entrüstete sich Ginette. „Es ist doch nicht deine Bucht.“

„Das ist dichterische Freiheit“, erklärte Stuart und schenkte neues Bier aus. Er musste oft zwischen Ginette und Jason vermitteln. Ein falsches Wort, und es entbrannte ein hitziger Streit. Doch Stuart war sicher, dass die beiden ihre Wortgefechte genossen, denn Ginette lud Jason immer wieder ein, wenn er nach Kalifornien kam, und er nahm ihre Einladungen stets an.

„Die Bucht gehört so gut wie mir allein bis auf diesen Schandfleck der guten alten Prudence“, stieß Jason säuerlich hervor.

Ginette legte ihre Handarbeit zur Seite. „Mrs. MacDonald hat ebenso viel Anspruch auf die Bucht wie du.“

„Und wie!“ Jetzt wurde Jason erst richtig wütend. „Vor Jahren schon galt es als ausgemacht, dass sie das Grundstück verkauft, wenn ihr Mann einmal stirbt. Paddy sollte eine Option haben. Und was für ein Grundstück das ist – ein halbes Dutzend verrotteter Holzplanken und ein Morgen Wildnis!“

„Dann hat sie es sich eben anders überlegt.“ Ginette wandte sich zur Küche, um nach dem Essen zu schauen. „Ich kann verstehen, dass so eine alte Dame nicht mehr umziehen möchte.“

„Aber zehn Jahre lang allein zu leben in ihrem Alter? In einem Seniorenheim wäre sie viel besser aufgehoben. Sie ist plemplem, Ginette! Ich habe sie noch gar nicht gesehen, seit ich zurück bin. Sie erinnert mich mit ihrem schlohweißen Haar und der brüchigen Stimme an eine der Hexen aus Macbeth. Ich weiß wirklich nicht, warum sie allein da unten leben muss. Sie könnte doch auch zu ihrer Schwester nach Oakland ziehen. Aber was macht sie?“ Jason wandte sich an Stuart, der das Thema bereits seit langem kannte. „Sie kümmert sich nicht um die wirklich großzügigen Angebote, die mein Vater und ich ihr gemacht haben.“

„Wart’s ab, eines Tages wird sie ihr Haus mit den Füßen voran verlassen“, scherzte Stuart. „Die alte Dame geht doch schon stramm auf die achtzig zu.“

„Die wird mich noch überleben“, meinte Jason düster. „Ich werde mein Tauchzentrum nie bekommen.“ Er dachte an die Pläne, die er schon vor Jahren mit seinem Vater zusammen geschmiedet hatte. Sie wollten ein Tauchsport-Zentrum in der Bucht errichten. Das war aber nur möglich, wenn sie das Grundstück von Mrs. MacDonald dazubekamen. Es lag an der flachsten Stelle der Bucht. Genau dort hatten sie den Swimmingpool geplant, der den Mittelpunkt der gesamten Anlage bilden sollte. Der Plan würde wohl ein Luftschloss bleiben, denn bislang hatte sich die zänkische Mrs. MacDonald geweigert, ihr Grundstück aufzugeben.

„Alles war genau geplant, bis auf den letzten Stein, nur Prudences Bosheit nicht.“

„Es lohnt sich wohl nicht, ihr noch einmal ein Angebot zu machen?“ Jason blickte Stuart, der ihm als Rechtsanwalt half, fragend an.

„Das wäre Zeitverschwendung. Sie beantwortet keine Briefe. Aber könnten wir es nicht über ihre Anwälte versuchen?“, überlegte Jason. „Ich selbst werde keine Chance haben, mit ihr zu verhandeln. Sie würde nur ihre Katzen auf mich hetzen, weil sie mich nicht ausstehen kann.“

Stuart schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht einmal, wer jetzt ihre Angelegenheiten regelt. Mit der letzten Anwaltskanzlei hat sie sich überworfen. Außerdem wird sie ohnehin nicht verkaufen, das weißt du doch.“

„Ja, das befürchte ich auch.“ Jason stieß einen Seufzer aus. Ginette kam aus der Küche zurück, um die Männer zum Essen zu bitten.

„Hast du noch mehr Beschwerden, mein Lieber?“, fragte sie und blickte Jason herausfordernd an. „Weißt du, was mit dir los ist, Jason? Du kommst langsam in die Wechseljahre. Lach nicht, so was gibt es bei Männern auch. Wirklich.“

Am nächsten Morgen fühlte sich Jason schon viel besser. Der Nebel hatte sich endlich aufgelöst, und der Pazifik glitzerte einladend. Während er am Strand entlang joggte, musste er über Ginettes letzte Bemerkung lächeln. Er hätte ihr beinahe Recht gegeben. Heute war er jedoch wieder guter Laune, seine Jogging-Zeit war besser als zuvor. Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte er keuchend am Briefkasten vor seinem Haus, als der Postwagen vorfuhr. Jason nahm seine Post entgegen und wechselte ein paar freundliche Worte mit dem altgedienten Postboten.

Autor

Elizabeth Oldfield
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