Baccara Collection Band 425

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WIE VERFÜHRT MAN SEINEN EX? von JULES BENNETT

Wie soll sie bloß ihren Ex-Lover Sam davon überzeugen, sein Unternehmen an seinen schärfsten Konkurrenten zu verkaufen? Anwältin Maty steht vor einer unlösbaren Aufgabe. Aber bald interessiert sie etwas anderes: Wie gelingt es ihr, Sam zu einem Neuanfang zu verführen?

EIN SINNLICHER WEIHNACHTSWUNSCH von NICKI NIGHT

Als Jade bei einem Führungskräfte-Seminar dem attraktiven Nixon Gaines begegnet, verliebt sie sich Hals über Kopf. Nur einen sinnlichen Weihnachtswunsch hat sie - Nixon! Und er erwidert ihre Gefühle! Doch dann taucht seine intrigante Ex in Manhattan auf …

ZWISCHEN LUST UND LÜGE von BRENDA JACKSON

Bei seinem Lächeln überläuft Myra ein prickelnder Schauer. Plötzlich ist sie nicht mehr sicher, ob der Job als Nanny bei Pete Higgins so eine gute Idee war. Wie soll sie seine Nichte betreuen - und dem attraktiven Sheriff verschweigen, dass sie bei ihm untergetaucht ist?


  • Erscheinungstag 03.11.2020
  • Bandnummer 425
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726706
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jules Bennett, Nicki Night, Brenda Jackson

BACCARA COLLECTION BAND 425

JULES BENNETT

Wie verführt man seinen Ex?

„Hi Sam. Ich bin’s, Maty.“ Nach sechzehn Jahren meldet sie sich bei ihm und will ihn zum Verkauf seines Imperiums an seinen Erzrivalen bewegen? Als sie sich treffen, muss Sam zugeben, dass Maty immer noch wunderschön ist. Aber damals war sie ehrlich! Setzt sie jetzt etwa ihren Sex-Appeal ein, um ihre geschäftlichen Ziele zu erreichen?

NICKI NIGHT

Ein sinnlicher Weihnachtswunsch

Es gibt noch mehr Höhepunkte im Leben als beruflichen Erfolg, findet Selfmade-Milliardär Nixon Gaines. Zum Beispiel die, die er mit der aufregenden Jade genießt. Dennoch, die sexy Firmenerbin im weihnachtlichen Manhattan zu erobern, ist eine Sache – ihr die Wahrheit über seine heimlichen Pläne zur Firmenübernahme zu sagen, eine andere …

BRENDA JACKSON

Zwischen Lust und Lüge

Die Nanny, die Pete für seine kleine Nichte eingestellt hat, ist viel zu jung und viel zu sexy. Zwischen ihnen brennt das Verlangen mindestens so heiß wie die Kerzen am Weihnachtsbaum, den sie gemeinsam aufstellen. Doch noch gefährlicher als dieses sinnliche Feuer sind Myras Geheimnisse, denen Pete erst allmählich auf die Spur kommt …

1. KAPITEL

Sam nippte an seinem schwarzen Kaffee und betrachtete nachdenklich die Poststapel auf seinem Schreibtisch. Nach drei Wochen Abwesenheit hatte sich einiges angesammelt. Seine Sekretärin hatte sie nach zwei Kategorien sortiert: Müll und dringend. Sam entschloss sich, sich erst einmal dem sogenannten Müll zu widmen, damit das Unwichtige erledigt war.

Gerade hatte er nach dem ersten Briefbogen gegriffen, als sein Handy vibrierte. Die Nummer auf dem Display kam ihm nicht bekannt vor. Er legte das Papier beiseite und nahm den Anruf an.

„Sam Hawkins.“

„Hallo, Sam. Hier spricht Maty Taylor.“

Maty Taylor. Ein Name, der ihn tief in eine längst vergessen geglaubte Vergangenheit schleuderte. Maty Taylor – die Frau, die ihm einst das Herz gebrochen hatte. Mit der er seit sechzehn Jahren kein einziges Wort gewechselt hatte.

„Ich vertrete als Anwältin Rusty Lockwood“, erläuterte sie und klang völlig emotionslos und professionell. Als ob das, was damals zwischen ihnen gewesen war, nie existiert hätte. „Und ich rufe an, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren.“

Sam bemerkte, dass die Hand, mit der er das Handy hielt, zitterte.

„Maty.“

Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder ihren Namen auszusprechen, nach so langer Zeit. Er wünschte sich, sie würde diesen geschäftsmäßigen Ton ablegen und normal mit ihm reden, so, als wären sie sich zufällig auf der Straße begegnet.

„Entschuldigung, hast du Rusty Lockwood gesagt? Wegen eines Gesprächstermins?“

„Ja. Ich hatte vergangene Woche schon mal angerufen, aber da sagte deine Sekretärin, du wärst nicht in der Stadt. Deshalb wollte ich es gleich heute Morgen probieren, bevor du mit anderen Dingen überlastet bist.“

Was war mit dieser Frau los? Nach all der Zeit rief sie ihn einfach so aus dem Nichts heraus an und hatte nicht einmal ein einfaches „Hallo, wie geht es dir“ für ihn übrig? Das war unglaublich – und mächtig enttäuschend. Und dann vertrat sie noch so einen miesen Typen?

„Habe ich das richtig verstanden, du arbeitest für Rusty Lockwood?“, fragte er zur Sicherheit noch einmal nach. Der Tag fing ja gut an! Das Schmerzlichste und Unangenehmste aus der Vergangenheit und der Gegenwart im Doppelpack!

Als Maty und er sich damals getrennt hatten, war er schon im College gewesen. Sie hatte gerade anfangen wollen, Jura zu studieren, und hatte den Kopf voller Rosinen. Die Welt wollte sie verändern. Was heißt verändern – verbessern! Und wo war sie jetzt gelandet? Sie machte gemeinsame Sache mit dem miesesten Schuft, den Sam kannte.

Was zum Teufel war aus der Frau von damals geworden?

„Ja, ich bin seine neue Anwältin“, sagte Maty und klang immer noch so geschäftsmäßig wie vorhin. „Daher mein Anruf. Ich möchte ein Treffen vereinbaren, damit ich dir im Auftrag meines Mandanten ein überaus großzügiges Angebot unterbreiten kann. Betreffend den Erwerb deiner Schnapsbrennerei.“

Sam musste sich Mühe geben, nicht laut aufzulachen. „Ich verkaufe meine Spirituosenfabrik nicht, weder jetzt noch später, und das weiß dein Mandant sehr genau. Deshalb ist dein Anruf völlig sinn- und zweckfrei. Einen Gesprächstermin wird es nicht geben, weil er absolut aussichtslos wäre.“ Er nahm den Briefbogen wieder zur Hand. „Ist das alles, was es zu besprechen gibt?“

„Sam“, sagte sie, und plötzlich klang ihre Stimme, die eben noch so professionell und selbstbewusst gewesen war, fast flehentlich. „Ich bitte dich doch nur um fünf Minuten.“

Fünf Minuten? Lockwood bekam nicht einmal fünf Sekunden von ihm! Sam war das Spielchen leid. Er hatte Lockwood schon x-mal gesagt, dass er die Destillerie niemals verkaufen würde, aber dieser elende Kerl ließ einfach nicht locker.

„Zum Teufel, was ist los mit dir, Maty?“

„Wie bitte?“, fragte Maty verstört.

„Ich meine, wie kannst du dich mit einem Typen wie Rusty Lockwood einlassen?“, fragte er. „Jetzt mal unter uns, das ist doch ein Mistkerl!“

Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Augenblick Stille. Dann räusperte Maty sich. „Meine beruflichen Angelegenheiten und meine Beweggründe dürften für dich nicht von Belang sein“, belehrte sie ihn förmlich. „Es geht im Moment darum, einen Gesprächstermin zu vereinbaren.“

Schon wieder dieser Ton! Sam ballte die Hände zu Fäusten und schaute aus dem Fenster auf das weitläufige Betriebsgelände und die Berge dahinter. Die traditionsreiche Schnapsbrennerei war sein Ein und Alles, er würde sie niemals irgendeinem gewissenlosen Gierschlund überlassen. Und schon gar nicht Rusty Lockwood, selbst wenn der jetzt den miesen Trick probierte, Sams Ex-Geliebte einzuspannen.

„Was für ein Spielchen spielst du, Maty?“, fragte er.

„Von Spielchen kann keine Rede sein“, erwiderte sie sachlich. „Ich rufe im Auftrag meines Klienten an. Könnten wir uns vielleicht am Mittwoch um dreizehn Uhr treffen? Ich bin gerne bereit, zu dir in die Schnapsbrennerei zu kommen …“

Sam lachte auf und schüttelte den Kopf. „Ich werde mich nicht mit dir treffen, Maty, aber ich gebe dir einen guten Rat, ganz kostenlos: Such dir statt dieses skrupellosen Bastards einen anderen Mandanten.“

Sam beendete das Gespräch und steckte das Handy in die Hosentasche.

Was zum Teufel hatte das alles zu bedeuten? Warum war Maty Taylor wieder in der Stadt – und warum arbeitete sie für den Satan persönlich?

Mein Gott, damals mit achtzehn war er bis über beide Ohren verliebt gewesen. Er war dieser sexy Blondine, die vier Jahre älter als er war, geradezu verfallen gewesen. Es war naiv, aber damals hatte er geglaubt, sie würden immer zusammen bleiben. Was für ein Witz! Statt hier bei ihm zu bleiben, hatte sie sich entschlossen, Jura zu studieren, und zwar in einer anderen Stadt. Das hatte unendlich geschmerzt.

Aber wenn er jetzt zurückdachte, war es eigentlich eine wichtige Lektion für ihn gewesen, eine Lehre fürs Leben. Er hatte gelernt, sein Herz nicht mehr einfach so an jemanden zu hängen und sich mehr auf die Karriere und das Unternehmen zu konzentrieren.

Verflixt, der Anruf hatte ihn völlig durcheinandergebracht. Er sollte sich um die Post kümmern. Der Brief, den er erneut zur Hand nahm, war handgeschrieben, aber Sam konnte sich nicht darauf konzentrieren. Maty schwirrte ihm im Kopf herum. Er wusste hundertprozentig, dass sie sich wieder bei ihm melden würde. Sie würde es erneut versuchen und nicht nur einmal. Rusty Lockwood war ein hartnäckiger Bastard, und Maty gab auch nicht so leicht auf, das wusste er noch von früher!

Andererseits könnte es auch interessant sein, sie mal wiederzusehen. Nach all den Jahren. Wenn er ehrlich war, freute er sich sogar darauf. Allerdings hoffte er in ihrem Interesse, dass sie sich vernünftig auf dieses Treffen vorbereitete. Er war nicht mehr der naive Jüngling von damals. Er war stärker, besaß mehr Macht, mehr Erfahrung. Und so kannte sie ihn noch nicht.

„Verdammt!“

Die schlimmeren Flüche verkniff Maty sich. Sie war entnervt, geradezu schockiert. Was bitte war denn das eben gewesen? Sam hatte ihr förmlich ins Gesicht gelacht und ihre Bitte um einen unverbindlichen Gesprächstermin rundweg abgelehnt. Führte er so seine Geschäfte?

Er war dreist gewesen, unverschämt. Aber er hatte noch immer diese tiefe Stimme, die sie damals so sexy gefunden hatte. Das hatte sich nicht geändert.

Der ganze Mann war immer noch sexy – das wusste sie, weil sie im Lauf der Jahre immer wieder Fotos von ihm in der Presse gesehen hatte. Die Zeit hatte ihm nichts anhaben können, hatte ihn eher reifen lassen, noch attraktiver gemacht. Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, sie so auflaufen zu lassen, als ob sie ihm nie etwas bedeutet hätte. Sie hatten doch eine nicht ganz unwichtige Vorgeschichte – und trotzdem fand er nicht die Zeit für einen kurzen Termin mit ihr?

So viel stand fest: Mit seinem Nein würde sie sich nicht abfinden. Zu viel stand auf dem Spiel. Natürlich, er konnte nichts für ihre Situation, aber nur er konnte die Lösung bieten. Hätte Maty einen anderen Weg gekannt, ihrem Bruder zu helfen, hätte sie den beschritten, statt mit Sam Kontakt aufzunehmen. Aber Rustys Erpressung war leider wasserdicht; sie hatte keine andere Wahl, als diesem Mann zu gehorchen. Also musste sie Sam dazu bringen, sich mit ihr zu treffen. Und dann musste sie ihn – wie auch immer – dazu überreden, seine Schnapsfabrik an Rusty Lockwood zu verkaufen.

Rusty Lockwood war gnadenlos. In klaren Worten hatte er ihr gesagt, was er von ihr als seiner neuen Anwältin erwartete. Was sie im Interesse ihres Bruders tun musste.

Natürlich ließ sie sich nicht gerne erpressen, aber sie hatte keine Wahl – sie musste für Rusty Lockwood die Drecksarbeit erledigen. Seit sie nach Green Valley gekommen war, um für die Spirituosenfabrik Lockwood Lightning zu arbeiten, hatte sie viel Übles über ihren Mandanten gehört. Zum Beispiel machte er viel Getöse darum, dass er eine Wohltätigkeitsorganisation für Kinder unterstützte – aber Gerüchten zufolge unterschlug er einen Teil der Spenden, die er bei seinen Angestellten einsammelte.

Sie war froh, dass sie mit diesem Teil seiner Unternehmungen nichts zu tun hatte; dafür beschäftigte er andere Anwälte. Korrupte Anwälte vermutlich.

Nein, mit ihr verfolgte Rusty andere Pläne. Er hatte sie nicht engagiert, weil sie als Anwältin so herausragend war, sondern weil sie eine gemeinsame Vergangenheit mit Sam Hawkins teilte.

Sie waren sehr verliebt gewesen damals, hatten eine gemeinsame Zukunft geplant. Dann entschloss sie sich, Jura zu studieren, und dafür musste sie die Stadt verlassen. Aber Sam wollte unbedingt in Green Valley bleiben. Er wollte nicht gehen, sie konnte nicht bleiben – am Ende hatte Maty die Stadt verlassen. Und niemals zurückgeblickt.

Doch jetzt war sie wieder hier. Nach sechzehn Jahren. Und wenn sie Sam nicht dazu brachte, seine Schnapsfabrik zu verkaufen, würde Rusty seine Zahlungen für Matys jüngeren Bruder einstellen. Seine Betreuung, die vielen Behandlungen, das alles war kostspielig.

Wenn das Geld dafür fehlte … Nein, das durfte einfach nicht geschehen. Maty hatte keine nennenswerten Ersparnisse mehr, keine Rücklagen, niemanden, der ihr helfen würde, der sie unterstützen konnte. Sie war ja nicht in einer Situation wie Rusty oder Sam, die beide mehr Geld hatten, als sie je brauchen würden. Nein, sie war zum ersten Mal in ihrem Leben völlig allein – und verwundbarer als je zuvor.

Nervös strich Maty sich ihr Kleid glatt. Die Sache mit Sam – das würde nicht einfach werden. Wenn es einfach wäre, ihm seine Destillerie abzukaufen, hätte Rusty sie ja nicht um Hilfe gebeten.

Sie lachte auf, aber es war ein verzweifeltes Lachen. Um Hilfe gebeten! Er hatte ihre Hilfe eingefordert. Er hatte ihre Notlage ausgenutzt und sie aus der Kanzlei, in der sie vorher tätig gewesen war, abgeworben. Er hatte sie sogar wieder in dem alten Apartment einquartiert, mit dem so viele Erinnerungen verbunden waren. Und er hatte ihr klargemacht, dass ihr Bruder alle Betreuung und Pflege erhielt, die er brauchte – solange sie die Drecksarbeit für ihn erledigte.

Rusty hatte sich ganz offensichtlich tief in Sams Vergangenheit eingearbeitet, um Maty zu finden. Seit Collegezeiten hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt – obwohl sie ihn auch nie vergessen hatte.

Sie war vier Jahre älter als er. Daher war sie damals schon reifer gewesen und hatte sich mit ihrer Zukunft auseinandergesetzt. Sie hatte den Grundstein ihrer Karriere legen wollen, während er noch damit beschäftigt war, seine erste Unabhängigkeit am College auszuprobieren. Und dann war da noch seine spielsüchtige Mutter, die er nicht hatte allein lassen wollen.

Ja, es war eine ernste Liebesgeschichte gewesen, aber sie hatte dem Druck von außen nicht standgehalten.

Maty bemühte sich, die Erinnerungen beiseitezuschieben. Sie war nicht mehr wie damals mit zweiundzwanzig. Sie war achtunddreißig und hatte einiges erlebt. Das Herz war ihr in dieser Zeit mehr als einmal schwer gewesen. Der Verlust ihrer ersten Liebe war schlimm gewesen, aber sie hatte seither weit mehr durchgemacht.

Dennoch hatte sie immer wieder an Sam denken müssen. Hier in Tennessee wurde man ohnehin immer wieder an ihn erinnert. Seine Karriere war im ganzen Land bekannt. Er war der jüngste Brennmeister in der Geschichte Tennessees und erfolgreich obendrein: In einem Jahr machte er mit seiner Schnapsfabrik einen Umsatz von einer Milliarde Dollar. Man konnte in kein hochklassiges Restaurant gehen, in kaum einen Pub, ohne auf seine markanten Spirituosenflaschen zu stoßen.

Nur hier in Green Valley war es bemerkenswerterweise anders. Hawkins Gin – und bald auch Hawkins Bourbon – konnte man nur in der Fabrik selbst erwerben. Für den Verkauf am Tresen brauchte man eine Ausschankkonzession für harte Drinks und auf die hielt hier in der Gegend Rusty Lockwood den Daumen. Er hatte die hiesigen Bars und Restaurants gewissermaßen unter seiner Knute. Und er wollte unbedingt Sams Betrieb erwerben. Sam standen harte Zeiten bevor, denn Maty konnte sich nicht erlauben zu versagen. Zu viel stand für sie auf dem Spiel.

Natürlich war Erpressung ein Verbrechen, aber Rusty war raffiniert; er hinterließ keine Spuren. Sie war ihm auf den Leim gegangen und nun war sie in seinem Spinnennetz gefangen.

Das alles war ihr zuwider, aber sie musste Rusty Lockwoods Interessen vertreten. Sam war wegen ihres Anrufs verwirrt gewesen, das hatte sie gemerkt. Jetzt durfte sie nicht nachlassen. Sie musste nachschießen. Weitermachen, immer weiter, so schnell wie möglich, bevor die Gewissensbisse und die Erinnerung an schöne Zeiten sie überwältigten und sie dazu brachten, die Sache abzublasen.

2. KAPITEL

Sam saß an seinem Schreibtisch und starrte auf den handgeschriebenen Brief, den er nun nach Matys Anruf erneut in der Hand hielt.

Dabei konnte es sich eigentlich nur um einen Scherz handeln. Ungläubig las er ihn zum zweiten und dann sogar zum dritten Mal, Wort für Wort. Doch danach war er immer noch so schockiert wie beim ersten Lesen.

Unzählige Fragen tauchten auf – so viele, dass er nicht einmal wusste, wo er anfangen sollte. Eines jedoch stand fest: Er musste seine Gefühle unter Kontrolle bekommen.

Dieser rätselhafte Brief hätte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Aber Sam glaubte nicht an Zufälle – und er war fest entschlossen, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen.

Ob Maty von diesem Brief wusste? Oder Rusty Lockwood? War Rusty jetzt noch versessener auf Sams Destillerie, weil in Kürze ihr erster zehn Jahre gereifter Bourbon auf den Markt kommen würde?

Er konnte wirklich nicht verstehen, wie Maty sich auf einen solch zwielichtigen Geschäftsmann hatte einlassen können!

Nach so langer Zeit ihre Stimme zu hören – das hatte Sam in eine Zeit zurückversetzt, in der die Welt noch in Ordnung war. In den wenigen Jahren, in denen sie zusammen gewesen waren, hatte er noch an eine Zukunft geglaubt, von der er heute wusste, dass sie Illusion gewesen war.

Natürlich, damals war er jung und naiv gewesen – und bis über beide Ohren verliebt. Aber das war längst Vergangenheit. Und er hatte daraus gelernt. So leicht vertraute er heute niemandem mehr. Heute mussten sich die Menschen sein Vertrauen erst verdienen, und das machte er ihnen nicht leicht. Wer dann zu seinem Kreis von Vertrauten gehörte, hatte dort eine Lebensstellung. Freundschaft und vertrauenswürdige Kollegen waren ihm wichtig.

Viele kannten die Geschichte von damals, und der eine oder andere unterstellte ihm einen Mutterkomplex – immerhin war Maty vier Jahre älter als er. Aber das konnte kaum stimmen, schließlich hatte er zu seiner Mutter ein eher zwiespältiges Verhältnis.

Natürlich war Sam damals wütend und verletzt gewesen. Aber rückblickend musste er sich eingestehen, dass sie wahrscheinlich beide nicht glücklich geworden wären, wenn Maty geblieben wäre. Weil sie nämlich beide ihre Karriere über ihre Beziehung gestellt hätten.

Als sie ihn verließ, wollte Sam sie eigentlich hassen. Stattdessen hatte er nicht aufhören können, sie zu lieben. Ob er noch heute etwas für sie empfand? Er wusste es nicht. Sah sie immer noch so gut aus wie damals, hatte sie vielleicht sogar noch mehr Sexappeal? Er hatte nie in den sozialen Medien nach ihr gesucht, hatte nicht zurückblicken wollen, lieber hatte er hart an seiner beruflichen Zukunft gearbeitet.

Nein, dass seine Ex nach so langer Zeit zurückgekehrt war, würde keinen Einfluss auf ihn haben. Egal, was sie tat – seine Firma würde er niemals verkaufen, schon gar nicht an diesen Dreckskerl Rusty! So, und jetzt war es auch genug mit Maty. Es gab schließlich noch anderes, worum er sich kümmern musste, Wichtigeres.

Den Brief nämlich. Den handgeschriebenen Brief, dem er zunächst überhaupt keine Bedeutung beigemessen hatte. Dieser Brief, wenn er denn die Wahrheit enthielt, würde alles ändern, was er bisher als die Wahrheit angesehen hatte.

Sam war ohne Vater aufgewachsen. Immer wieder hatte er seine Mutter gefragt, wer sein Vater war. Ein Bastard, ein Mistkerl, ohne den sie besser dran waren – so lautete ihre Antwort in der Regel. Sam war hochgewachsen und kräftig, ganz im Gegensatz zu seiner zierlichen Mutter. Das musste wohl ein Erbteil seines Vaters sein, wer immer er auch war. Und dann dieses Grübchen. Seine Mutter hatte keines, also musste es ebenfalls von seinem Vater kommen.

All das hatte ihn immer wieder beschäftigt.

Hielt er jetzt mit diesem Brief die Wahrheit in den Händen? Natürlich wollte er gerne Klarheit – aber er war sich nicht so sicher, ob es diese Gewissheit war, die er sich erträumt hatte.

Sam nahm sein Handy und schrieb seinem Freund Nick Campbell eine Nachricht. Er bat ihn um ein Treffen, so schnell wie möglich. Sam und Nick waren nicht nur im Kampf gegen Rusty vereint. Nick schien auch in die Geschichte dieses Briefs verwickelt zu sein.

Sam hatte Nick erst vor einem Monat kennengelernt, aber sich bald mit ihm angefreundet. Jetzt war das Leben der beiden unentwirrbar miteinander verwoben.

Er griff nach dem Umschlag und schaute auf den Poststempel. Er war fast auf den Tag genau drei Wochen alt. Der Brief musste also direkt nach seiner Abreise eingegangen sein. Vermutlich hatte seine Sekretärin ihn versehentlich auf den Stapel mit der unwichtigen Post getan.

Plötzlich flog die Tür zu seinem Büro auf. Joe, seine rechte Hand im Büro, blickte ihn kopfschüttelnd an. „Es tut mir leid, Sam, ich konnte sie nicht aufhalten, sie ist einfach …“

„Hallo, Sam.“

Maty Taylor wirbelte herein und nahm sofort alles in Augenschein. Temperamentvoll wie früher, dachte Sam. Das also hatte sich nicht geändert.

Aber ihr Aussehen war verändert. Sie trug ihr Haar jetzt länger, war etwas runder geworden, insgesamt weiblicher, fraulicher. Neutral betrachtet ein erfreulicher, geradezu verführerischer Anblick.

Nimm dich zusammen, Sam! Sie macht gemeinsame Sache mit dem Feind – also ist auch sie ein Feind!

Sam erhob sich vom Schreibtisch und warf Joe einen beruhigenden Blick zu. „Ist schon in Ordnung, vielen Dank.“

Etwas verunsichert verließ Joe den Raum. Sam stand da, gegen den Schreibtisch gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Er wollte sich nichts anmerken lassen. Wollte nicht zeigen, dass er Maty immer noch verdammt attraktiv fand.

Vielleicht hätte er im Internet kurz Nachforschungen über sie anstellen sollen, dann hätte er sich auf die Wiederbegegnung mit dieser traumhaften Frau besser vorbereiten können. Er hätte sich denken können, dass sie bei ihm aufkreuzen würde. Vor einer Konfrontation, das wusste er von früher, schreckte Maty nie zurück.

Erinnerungen an sie, an die alten Zeiten, überfluteten ihn. Sie war noch genauso sexy! Nur gut, dass er nicht mehr so leicht zu beeindrucken war. Schon vor Jahren hatte er einen Schutzwall um sein Herz errichtet.

Es war raffiniert von Rusty gewesen, Maty einzuspannen, das musste Sam ihm lassen! Trotzdem, auch mit diesem Trick würde der Dreckskerl nicht durchkommen.

„Ich verkaufe nicht.“ Sam hielt Maty fest im Blick. „Du kannst deinem Chef ausrichten, dass meine Antwort so lautet wie immer. Wie vor Wochen, als er mir deinen Vorgänger auf den Hals gehetzt hat, und wie vorhin, als du mich angerufen hast.“

„Vielleicht können wir ja eine Lösung finden, die beide Seiten glücklich macht“, schlug sie vor und lächelte ihn an.

Dieses Lächeln! Verdammt, warum hatte es immer noch so eine Wirkung auf ihn? Er musste sich zusammenreißen, kämpferisch bleiben.

„Die beide Seiten glücklich macht?“, fragte er. „Wozu? Ich bin zufrieden mit dem, wie es ist. Und wenn Rusty irgendwelche großen Pläne im Kopf hat, ist das nicht mein Problem.“

Maty nahm seine Antwort schweigend zur Kenntnis. Statt etwas zu entgegnen, schaute sie sich in seinem Büro um, ging zu der Fotowand, an der er Stationen seiner Karriere angepinnt hatte, beginnend mit seinen bescheidenen Anfängen als Hobby-Bierbrauer. „Du hast es weit gebracht“, murmelte sie anerkennend.

„Freut mich, dass du das auch so siehst“, erwiderte er. „Aber jetzt wollt ihr, Rusty Lockwood und du, mir genau das abknöpfen, was ich mir aufgebaut habe.“

War es Maty nicht genug, dass sie ihm damals sein Herz geraubt hatte? Musste es jetzt auch noch sein Lebenswerk sein?

„Es ist ja nicht so, dass dir jemand etwas abgaunern will“, erwiderte sie. „Ich bin im Auftrag meines Mandanten hier, um dir sein neues, höheres Kaufangebot zu unterbreiten. Du kennst die Summe ja noch gar nicht. Ich bin der Meinung, sie ist durchaus eine Überlegung wert …“

Sam hasste ihren geschäftsmäßigen Ton, hasste es, dass sie ihn wie irgendeinen normalen Geschäftskontakt behandelte. Er hasste es, dass sie mit einem Halsabschneider und Banditen wie Rusty gemeinsame Sache machte. Vielleicht hatte sie sich in all den Jahren geändert. Vielleicht besaß sie keinen moralischen Kompass mehr. Die junge Frau, die er einst geliebt hatte, war ihren Prinzipien treu gewesen. Und loyal – Freunden ebenso wie ihrer Familie gegenüber. Ihre Eltern und ihr Bruder hatten ihr viel bedeutet.

Nein, die Maty von damals hätte sich nie, in welcher Form auch immer, mit Rusty Lockwood verbrüdert!

„Wie geht’s eigentlich deiner Familie?“, fragte er, um vielleicht noch einmal die Maty von damals in ihr zu erwecken.

Einen Moment lang wurde sie blass. Dann sagte sie leise: „Meine Eltern sind vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mein Bruder ist noch in Virginia.“

Nun erblasste auch Sam. „Oh, Maty, das habe ich nicht gewusst. Das … das tut mir wirklich sehr leid.“

Sein erster Impuls war, sie tröstend in die Arme zu schließen, aber natürlich hielt er sich zurück. Obwohl ihn die Nachricht wirklich schockierte. Sam hatte Will und Monica Taylor immer bewundert. Sie waren mustergültige Eltern gewesen, hatten ihre beiden Kinder mit Liebe und Umsicht erzogen, sodass eigentlich nur etwas Gutes aus ihnen werden konnte.

„Carter ist wahrscheinlich auch Jurist geworden wie du?“

Ohne zu antworten, wandte sie sich wieder der Bildergalerie zu. „Wie ich sehe, hattest du schon einige Promis in deinem Unternehmen zu Gast.“ Sie wies auf das Foto, das einen bekannten Countrysänger zeigte.

Interessant, über ihren Bruder wollte sie wohl nicht sprechen? Das Ablenkungsmanöver war ihr nicht geglückt. Früher hatten Maty und Carter sich sehr nahegestanden, wie beste Freunde. Na, in dieser Sache würde Sam bei passender Gelegenheit noch einmal nachbohren.

Sie wandte sich wieder zu ihm um. „Ich muss schon sagen, du hast wirklich was erreicht, Sam.“

„Danke für dein Lob. Nicht, dass ich Wert darauf legen würde.“

Er gab sich bewusst kühl, regelrecht abweisend, dabei berührten ihn ihre Worte. Und das ärgerte ihn.

„Ich glaube, wir beide hatten einen schlechten Start, Sam“, sagte sie leise. „Ist es wegen unserer gemeinsamen Vergangenheit? Weil wir beide …“

„Wenn ich ein bisschen gereizt wirke, hat das nichts mit unserer Vergangenheit zu tun, sondern mit deinem arroganten Mandanten. Er glaubt, er könnte alles kriegen, wenn er nur lange genug mit dem Fuß aufstampft wie ein kleines Kind. Aber bei mir beißt er auf Granit. Es gibt doch genug andere Destillerien, die er sich einverleiben könnte.“

„Das ist wohl wahr.“ Maty nickte zustimmend. „Aber er möchte nun mal deine.“

„Ja, das habe ich schon gemerkt. Und unter Tausenden möglicher Rechtsbeistände hat er ausgerechnet dich zur Verhandlungsführerin erkoren. Was für ein entzückender Zufall.“

„Mr. Lockwood weiß Bescheid über unsere Vergangenheit, wenn du das meinst.“

„Und wofür genau hat er dich engagiert?“ Sam kam ihr näher. „Damit wir uns treffen? Damit wir über alte Zeiten plaudern – wie jetzt gerade?“

Maty sah ihm in die Augen, als er sich mit seiner Hand ihrem Gesicht näherte und ihr eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn strich. „Könnte ja sein, dass ich dich küsse, dass alte Leidenschaften wieder aufflammen.“ Er kam ihr noch näher. Es war ihm bewusst, dass er Maty quälte und auch sich selbst, aber er konnte nicht anders. „Könnte ja sein, dass das sexuelle Verlangen meinen Geist so benebelt, dass ich mich mit deinen Bedingungen einverstanden erkläre.“

Was gar nicht so weit hergeholt war. Die sexuelle Spannung zwischen ihnen war schier unerträglich. Nur mit Mühe konnte Sam sich davon abhalten, sie zu küssen.

„Sam …“, flüsterte sie.

„Sollte die Sache so laufen, Maty? Ein bisschen Wiedersehenssex – und dann der Vertragsabschluss?“

Er war ihr nun so nahe, dass seine Lippen fast ihre Lippen berührten. In letzter Sekunde riss er sich zusammen und wandte sich von ihr ab. Er ging zurück hinter seinen Schreibtisch, um Distanz zwischen sie und sich zu bringen.

„Du kannst zu deinem Auftraggeber zurückgehen“, sagte er, er knurrte es fast, „und ihm ausrichten, dass es ein netter Versuch war, aber leider fruchtlos. Nicht mal du bringst mich dazu, die Destillerie zu verkaufen. Und vielleicht solltest du dir lieber einen anderen Mandanten suchen, einen, der nicht so charakterlos und abgrundtief böse ist. Es sei denn, das wäre dir egal, weil es dir sowieso nur ums Geld geht.“

Früher war sie nie auf materiellen Gewinn versessen gewesen, aber die Zeiten konnten einen Menschen ändern. Die Zeiten – und die Umstände. Vielleicht hatte der Unfalltod ihrer Eltern etwas in ihr zerbrechen lassen …

Aber das war nicht sein Problem, er konnte sich nicht um alles kümmern. Er hatte eine Firma zu führen und ein wichtiges Event vorzubereiten – eine Gala, die in weniger als zwei Wochen stattfinden würde. Drei Wochen war er fort gewesen, und dies war sein erster Tag zurück im Büro. Da war es nicht besonders klug, sich von seiner Ex sexuell ablenken zu lassen. Es gab Erfolg versprechendere Starts in die Woche.

Sie lächelte und er hatte das Gefühl, sie wusste ganz genau, dass sie noch immer Einfluss auf ihn hatte. Sie war ja nicht dumm. Er würde sich sehr zusammenreißen müssen. Aber er wusste auch, dass er dazu in der Lage war.

„Ich bleibe mit dir in Kontakt“, versicherte sie ihm. „Vielleicht kriegst du ja ein Angebot, das du einfach nicht ablehnen kannst.“

Sie wandte sich um. Während sie das Büro verließ, fiel sein Blick auf ihr langes blondes Haar und den verlockenden Po. Grundgütiger, wie sollte ihn das kaltlassen?

Er brauchte dringend eine Ablenkung. Schnell griff er wieder zu dem geheimnisvollen Brief. Konnte wirklich stimmen, was darin stand? Er las ihn noch einmal.

Sam,

Du kennst mich nicht, und wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich nicht mehr am Leben. Mein Name ist Lori Campbell. Ich bin Nick Campbells Mutter. Glaub mir, es ist nicht meine Absicht, Dein Leben durcheinanderzubringen, aber ich kann diese Welt nicht verlassen, ohne einiges aufzuklären.

Rusty Lockwood ist Nicks leiblicher Vater – das habe ich Nick erst vor Kurzem erzählt. Rusty hat noch zwei weitere Söhne, und Du bist einer von ihnen. Es tut mir leid, dass Du das auf diese Weise erfährst.

Wenn ich nicht mehr bin, hat Nick keine Familie mehr, und ich bete dafür, dass er jemanden findet, der ihn in dieser schwierigen Zeit unterstützt. Ich würde mir wirklich sehr wünschen, dass Du ihn kontaktierst und ihm hilfst.

Ich kann nur hoffen, dass Rusty keinen Ärger macht. Auch dem anderen Bruder habe ich einen Brief geschrieben. Ich wünsche Euch allen das Beste.

Lori

Sam konnte es einfach nicht fassen.

Rusty Lockwood sollte sein leiblicher Vater sein? Woher zum Teufel konnte diese Frau das wissen?

Sam kannte Nick Campbell schon länger, wie man sich in der Branche eben kannte. Aber im vergangenen Monat hatte Nick näheren Kontakt zu Sam gesucht. Sein Vorschlag: sich gegen Rusty Lockwood zu verbünden und sein regionales Monopol über den Ausschank harter Drinks zu beenden.

Sam hatte zwar gehört, dass Nicks Mutter vor Kurzem verstorben war, aber mehr wusste er über die Frau nicht.

Hatte Nick vor einem Monat schon gewusst, dass Rusty sein Vater war? Wollte er sich deshalb mit dem Großunternehmer anlegen? Wusste er, dass Rusty angeblich auch Sams Vater war? Hatte er ihm deshalb vorgeschlagen, sich zusammenzutun?

Sam lehnte sich zurück und starrte zur Decke. Eine komplizierte Situation. Was sollte er tun?

Sollte er sich an Nick wenden? Oder sollte er alles auf sich beruhen lassen?

Was war mit seiner Mutter? Sie hatte ihm nie verraten, wer sein Vater war – aber war es überhaupt denkbar, dass sie sich mit so einem Mann eingelassen hatte?

Und noch eine Frage stellte sich ihm plötzlich: Wusste Rusty von seinen Söhnen? Falls ja – hatte er dieses Geheimnis mit Maty geteilt? Hatte er sie deshalb gerade jetzt ins Spiel geholt – um einem angeschlagenen Sam den Rest zu geben, um ihn so zum Verkauf zu treiben?

Fest stand: Sam musste sich jeden weiteren Schritt genau überlegen. Er musste wachsam bleiben.

Und er musste herausbekommen, was zum Teufel hier überhaupt genau ablief.

3. KAPITEL

Rusty Lockwood musste Maty irgendwie in der Hand haben, musste sie erpressen. Das war die einzige Erklärung, die einen Sinn ergab.

Sicher, sie hatte Sam damals verlassen, trotzdem konnte dieses wunderbare, herzensgute Geschöpf von damals doch keine Hundertachtzig-Grad-Wendung hingelegt haben. So bösartig, so skrupellos konnte sie nicht sein, dass sie sich freiwillig bei Sams Feind in Lohn und Brot stellte.

Sam hatte einen harten Arbeitstag voller Meetings und Besprechungen hinter sich, jetzt war er zu Hause und hatte Muße zum Nachdenken. Ja, Rusty musste Maty irgendwie in der Hand haben.

Maty hatte ja zugegeben, dass Rusty von ihrer Vergangenheit mit Sam wusste. Natürlich, das war für den skrupellosen Rusty der Aufhänger gewesen. Aber was verlieh ihm Macht über Maty? Nur mit Geld konnte er sie nicht gelockt haben, so prinzipienlos war sie ganz sicher nicht …

Plötzlich summte Sams Handy. Auf dem Display tauchte Nicks Name auf. Er nahm ab.

„Sam, ich bin’s, Nick. Du hast mir eine Nachricht geschickt. Tut mir leid, dass ich mich jetzt erst melde, aber Sylvia und ich waren den ganzen Tag auf der Baustelle.“

Nick Campbell hatte Silvia Lane eigentlich nur als Architektin für ein Resort in den Bergen angeheuert. Was dann alles vorgefallen war, wusste Sam nicht so genau – aber auf jeden Fall waren die beiden inzwischen verheiratet und erwarteten ein Kind.

„Stimmt irgendwas nicht?“, fragte Nick. „Die Nachricht hat sich ziemlich dringend angehört …“

„Ja, ich halte es tatsächlich für ziemlich dringend, aber ich möchte das nicht am Telefon besprechen.“ Sam nippte an seinem Whiskey. „Hättest du morgen früh Zeit?“

„Hört sich ja wirklich ernst an.“

„Da möchte ich nicht widersprechen.“

„Dann habe ich natürlich Zeit“, verkündete Nick. „Soll ich in dein Büro kommen?“

„Ja, am besten gleich morgens um acht Uhr. Meine Sekretärin kommt erst um neun, da sind wir ungestört.“

„Muss ich mir Sorgen machen?“, fragte Nick.

Das war schwer zu beantworten! „Ich habe gerade interessante Informationen über Rusty erhalten. Und weil wir gerade gemeinsam gegen diese Ausschankkonzession kämpfen, wollte ich dich darüber so schnell wie möglich in Kenntnis setzen.“

„Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Ich bin morgen Punkt acht Uhr da.“

Sam beendete das Gespräch und kippte den Rest seines Whiskeys in einem Zug herunter. Was für ein verrückter Tag!

Maty kam ihm wieder in den Sinn. Sie war immer noch betörend schön, aber die jugendliche Unbeschwertheit von damals schien verschwunden zu sein. Maty war so förmlich gewesen, so ernst, als ob sie unter Druck stand.

Unter Druck gesetzt von Rusty. Er benutzte sie, um Sam dranzukriegen, also fühlte Sam sich indirekt für ihre Lage verantwortlich.

Und dieser Unhold sollte sein Vater sein?

Die große Frage war, ob das stimmte. Normalerweise wäre es der naheliegende Schritt gewesen, seine Mutter zu fragen. Aber sie hatte sich immer dagegen gesträubt, ihm seinen Vater zu verraten, sie würde sich auch weiterhin weigern, da war er sich sicher. Vielleicht brachte das Gespräch mit Nick morgen neue Erkenntnisse.

Maty hatte gerade ihre Boxhandschuhe abgestreift, als ihr Handy klingelte. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff nach dem Gerät.

Als sie in das kleine Apartment gezogen war, hatte sie als Erstes den Sandsack aufgehängt. Einige Menschen tranken, wenn sie gestresst waren, andere aßen – Maty schlug und trat zu, nur gegen unbelebte Objekte natürlich. Sie malte auch gerne, aber eher, wenn sie in ruhiger, gelassener Stimmung war. Und das traf auf ihre derzeitige Verfassung absolut nicht zu.

Auf dem Display stand Rusty Lockwoods Name. Sieben Uhr in der Frühe und schon ein Anruf dieses unheilvollen Quälgeistes? Nicht die ideale Art, den Tag zu beginnen …

„Hallo“, sagte sie.

„Miss Taylor, ich habe mich etwas gewundert, dass ich gestern nichts mehr von Ihnen gehört habe. Wie ist der Termin mit Sam gelaufen?“

Maty holte tief Luft und griff nach ihrer Wasserflasche. „Wir, äh, hatten ein gutes Gespräch.“

„Soll das heißen, dass er mit meinem Vorschlag einverstanden war?“

Maty zwang sich, ruhig zu bleiben. „Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass er beim ersten Treffen garantiert nicht gleich zustimmen würde. Sam hat diese Firma aufgebaut und hängt daran. Es wird Zeit brauchen, ihn von einem Verkauf zu überzeugen …“

„Aber Zeit ist genau das, was Sie nicht haben, Miss Taylor. Ein Monat ist schnell um.“

Ja, die Uhr tickte, das wusste sie. Rusty Lockwood hatte ihr einen überaus engen Zeitplan vorgeschrieben. Deswegen fühlte sie sich enorm unter Druck gesetzt. Am liebsten hätte sie ihm alles vor die Füße geworfen, aber das ging nicht. Rusty Lockwood bezahlte die Pflege- und Betreuungskosten für ihren Bruder, deshalb hatte er sie in der Hand.

Dass Lockwood sie gegen ihren Ex-Freund Sam einsetzte, war besonders perfide. Aber so war dieser charakterlose Mensch nun mal.

„Gestern war ja erst der erste Tag“, erklärte sie betont freundlich. „Sie haben doch schon andere Anwälte auf das Geschäft angesetzt, und alle sind gescheitert. Auch Sie selbst hatten doch keinen Erfolg. Da dürfen Sie von mir am ersten Tag nicht gleich ein Wunder erwarten.“

„Ich erwarte Resultate, Miss Taylor. Kein Gerede. Sie wissen, wer die Konsequenzen trägt, wenn Sie versagen.“

Drohen, das konnte er! Menschen unter Druck setzen. Wahrscheinlich war er so zu dem großen Unternehmer geworden, der er heute war …

Mit Adleraugen hatte er ihre schwache Stelle erkannt und die Daumenschrauben angezogen. Sie kam sich vor, als ob sie für den Teufel persönlich arbeitete.

Was sie besonders belastete: Sam musste denken, dass sie zu einer gewissenlosen, eiskalten, nur von Profit besessenen Anwältin mutiert war. Als ob sie ihm noch mehr Gründe liefern müsste, sie abzulehnen, nachdem sie ihn damals verlassen hatte! Ihr wurde fast schlecht bei dem Gedanken, er könnte sie hassen. Es war ihr beileibe nicht egal, wie er über sie dachte, ganz im Gegenteil …

Sie konnte nur zu gut verstehen, dass er die Spirituosenfabrik nicht verkaufen wollte. In ihr steckte sein Herzblut, er hatte sie zum Erfolg geführt. Und die Chancen standen nicht schlecht, dass in ein paar Jahren die ganze Welt seine Marke kennen würde.

Ja, Sam lebte seinen Traum. Warum sollte er verkaufen?

Es ging Sam nicht um Geld. Er hatte seine Leidenschaft zu seinem Beruf gemacht, und das war für ihn der größte Lohn. Und genau das würde Rusty nie verstehen.

Rusty Lockwood ging es nur um Dollars, Dollars, Dollars. Prall gefüllte Bankkonten, das trieb ihn an. Und das würde, wenn es Gerechtigkeit gab, auch irgendwann seinen Niedergang bedeuten.

Bisher sah es allerdings noch nicht danach aus. Und Maty befand sich in seinen Fängen. Höchstens ein riesiger Lottogewinn hätte sie daraus befreien können.

„Sie sollten ihre frühere Verbindung nutzen, um ihn einzuwickeln“, sagte Rusty streng.

Maty mahlte mit den Zähnen. Wie gerne hätte sie Rusty Lockwood ihre Meinung gesagt. Hätte sie nur genug Geld, um für ihren Bruder zu sorgen! Dann könnte sie nach Virginia zurückkehren und ihr altes Leben wieder aufnehmen.

Aber davon konnte sie im Moment nur träumen. Sie musste freundlich bleiben und nicken. Und das Schlimmste war: Selbst wenn sie Rustys Auftrag erledigte, konnte sie nicht hundertprozentig sicher sein, dass er anschließend weiter für ihren Bruder aufkommen würde. Vielleicht würde sich alles für sie als fruchtlos erweisen. Trotzdem konnte sie nicht aufgeben.

„Ich weiß nicht, was Sie von mir denken oder von anderen Frauen, die in Ihren Diensten stehen“, sagte sie, und ihr Ton war nun etwas schärfer. „Aber ich werde auf keinen Fall mit Sex versuchen, Sie an Ihr Ziel zu bringen. Und was die frühere Verbindung angeht – die ist Ewigkeiten her. Sam und ich haben uns sechzehn Jahre lang nicht gesehen.“

„Alte Liebe rostet nicht“, erwiderte Rusty und lachte höhnisch. „Machen Sie was draus, Miss Taylor! Ich erwarte, dass Sie mich auf dem Laufenden halten, nach jedem Telefonat, jedem Treffen!“ Ohne ein Abschiedswort legte er auf.

Maty nahm einen Schluck aus der Wasserflasche. Dann zog sie die Boxhandschuhe wieder an und boxte gegen den Sandsack. Um den Stress nach diesem Telefonat abzubauen, waren noch ein paar Runden nötig.

Um ihres Bruders willen musste sie Sam weiter bearbeiten, musste ihn dazu bringen, all das aufzugeben, wofür er so lange voller Begeisterung gearbeitet hatte. Und dafür blieben ihr jetzt nur noch neunundzwanzig Tage.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel Angst gehabt.

„Danke, dass du so früh gekommen bist“, sagte Sam zu Nick.

„Du hast mich neugierig gemacht.“

„Dann will ich auch gleich zur Sache kommen.“ Sam beugte sich an seinem Schreibtisch nach vorn und griff nach dem Umschlag. „Dieser Brief ist kurz nach meiner Abreise angekommen. Deshalb wusste ich drei Wochen lang nichts von seiner Existenz.“

Nick richtete sein Augenmerk auf den Umschlag. „Es geht um Rusty Lockwood?“

Sam nickte. „Der Brief ist von deiner Mutter.“

„Von meiner Mutter?“, fragte Nick erstaunt.

„Ja. Vielleicht möchtest du ihn lieber selber lesen.“

Sam überreichte seinem Freund den Brief, und Nick begann zu lesen. Als er ihn einmal durch hatte, las er ihn zur Sicherheit noch einmal. Dann ließ er das Blatt sinken.

„Glaubst du, was da steht?“, fragte Nick.

„Sollte ich es glauben?“, fragte Sam zurück.

Nick massierte sich nachdenklich den Nacken. „Ja“, sagte er dann. „Du solltest es glauben.“

Mit dieser Antwort hatte Sam gerechnet. Er hatte Lori Campbell zwar nie persönlich kennengelernt, aber warum hätte sie in der letzten Phase ihres Lebens so etwas in die Welt setzen sollen, wenn es nicht der Wahrheit entsprach? Er verschränkte die Arme vor der Brust. Noch immer wusste er nicht recht, wie er mit der ganzen Angelegenheit umgehen sollte.

„Ich weiß gar nicht, was mich mehr schockiert“, sagte er. „Dass du mein Halbbruder bist oder dass Rusty Lockwood unser Vater ist.“

„Dass Rusty Lockwood mein Vater ist, wusste ich schon“, erwiderte Nick. „Meine Mutter hat mir auch einen Brief hinterlassen. Darin hat sie geschrieben, dass Rusty zwei weitere unbekannte Söhne hat – Namen hat sie nicht genannt. Dass ich einen meiner Halbbrüder schon kenne, hat sie auch verschwiegen. Über dich weiß ich jetzt Bescheid – aber wer ist der andere? Wenn der auch einen Brief bekommen hat, wie meine Mutter hier schreibt, dann hat er sich noch nicht zu erkennen gegeben.“

„Wie lange weißt du es schon?“, fragte Sam.

„Ich habe meinen Brief am Grab meiner Mutter geöffnet.“

„Oh Mann“, murmelte Sam. „Das muss hart gewesen sein.“ Sam wurde bewusst, dass er seine Mutter zur Rede stellen musste, so unangenehm das auch war. „Hast du Rusty Lockwood damit konfrontiert?“

Sein Freund nickte. „Ja, habe ich. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie dieser Dreckskerl reagiert hat. Es hat ihm kein bisschen leidgetan, dass meine Mutter als alleinerziehende Frau finanziell kaum über die Runden gekommen ist. Und er schien auch nicht mal sonderlich überrascht zu sein, dass ich sein Sohn bin.“

„Ich will die Worte deiner Mutter nicht anzweifeln – aber sollten wir nicht einen Vaterschaftstest machen lassen?“

Nick zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter hatte keinen Grund, sich so etwas auszudenken. Außerdem will ich ja kein Geld von Rusty, deshalb brauche ich keinen gerichtsfesten Beweis. Mir reicht ihr Wort. Und mein Verhältnis zu Rusty wird so oder so nicht besser.“

Sam sah das ähnlich. Egal, wie so ein Test ausfiel, Rusty Lockwood würde die beiden niemals mit offenen Armen in seinem Leben willkommen heißen. Und das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Es war schlimm genug, nach all den Jahren zu erfahren, dass sein Vater alles andere als der Held war, den er sich als Junge immer erträumt hatte. Jahrelang hatte er die Wahrheit erfahren wollen, jetzt hätte er die Unwissenheit vorgezogen.

„Rusty hat eine neue Anwältin angeheuert, um mich zum Verkauf zu treiben“, erzählte Sam. „Maty Taylor. Meine Ex-Freundin aus Collegezeiten.“

„Unglaublich, was der sich alles einfallen lässt. Und wie läuft es?“

„Ich habe das Gefühl, dass er sie mit irgendetwas unter Druck setzt. Sonst hätte sie sich auf einen Typen wie ihn nicht eingelassen.“ Er hatte sich vorgenommen, sie heute noch aufzusuchen und zur Rede zu stellen. Und wenn sie Hilfe gegen Rusty brauchte – dann würde sie sie bekommen.

„Komische Geschichte, das alles“, murmelte Nick.

„Nimm es mir nicht übel“, sagte Sam, „aber ich bin noch nicht hundertprozentig von dieser ganzen Vaterschaftsgeschichte überzeugt. Ich meine, wäre cool, wenn du mein Bruder wärst – aber gleichzeitig hoffe ich, dass dieser Dreckskerl von Rusty nicht mein Vater ist.“

„Wie geht’s jetzt weiter?“, fragte Nick. „Willst du zu Rusty gehen?“

„Nein. Jedenfalls nicht sofort. Ich will erst seinen nächsten Zug abwarten. Und ich will rauskriegen, was er mit Maty anstellt.“

Nick zog eine Augenbraue hoch. „Magst du sie immer noch?“

„Ich mag immer noch die junge Frau, an die ich mich erinnere. Die Frau, die gestern hier war, schien mir irgendwie verändert … Aber ich weiß, dass Rusty skrupellos genug ist, sie unter Druck zu setzen und zu allem Möglichen zu zwingen.“

Nick legte den Brief zurück auf Sams Schreibtisch.

„Möchtest du den Brief behalten?“, fragte Sam.

Nick schüttelte den Kopf. „Nein, der ist an dich gerichtet, und ich habe ja auch einen. Ich hoffe, dass wir weiterhin gemeinsam gegen Rusty zusammenarbeiten.“

„Jetzt noch mehr als je zuvor“, bestätigte Sam.

„Wenn du ihn wegen der Vaterschaft zur Rede stellen willst, komme ich gerne mit.“

Sam schwieg. Natürlich hätte er gerne handfestere Beweise gehabt als den Brief einer Verstorbenen. Aber es gab Wichtigeres. „Danke, aber ich will erst einmal abwarten.“

Er musste Maty aus Rusty Lockwoods Dunstkreis befreien. Die Situation würde sich noch zuspitzen, vielleicht kam es sogar zur Katastrophe. Und bevor es so weit war, musste sie aus der Schusslinie sein.

„Ich muss jetzt los“, sagte Nick seufzend. „Treffen wir uns am Freitag zum Kartenspielen?“

Seit einigen Wochen trafen sie sich bei der wöchentlichen Pokerrunde in einem nahe gelegenen Pub. Bisher hatten einige Lokalpolitiker und ihr Erzfeind Rusty Lockwood dort den Ton angegeben. Jetzt mischten Sam und Nick die Runde auf.

„Ich werde da sein“, sagte Sam. „Aber können wir die Sache mit dem Brief und all dem erst mal für uns behalten?“

„Schämst du dich jetzt schon dafür, dass ich dein Bruder bin?“, scherzte Nick.

„Dass du mein Bruder bist, ist der einzige Teil der Geschichte, der mir gefällt“, antwortete Sam ernst. „Der ganze Rest bereitet mir Kopfschmerzen. Ich will in aller Ruhe über alles nachdenken, bevor ich reagiere.“

Sein Freund nickte. „Das kann ich gut verstehen. Ich habe es genauso gehalten.“

Nachdem Nick gegangen war, las Sam zum x-ten Mal den Brief durch. Seine Vergangenheit und seine Zukunft – alles schien sich plötzlich zu verbinden.

Eines war ihm klar: Er musste sehr, sehr vorsichtig agieren. Er durfte in keine Falle tappen – auch keine Verführungsfalle. Sonst verlor er unter Umständen alles, wofür er sein Leben lang gearbeitet hatte.

Das Schlimme war: Er musste erkennen, dass Maty ihm alles andere als gleichgültig war. Ihre neue Selbstsicherheit, ihre reife Weiblichkeit – das alles übte eine schier unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus, die sogar noch stärker war als vor sechzehn Jahren.

Würde es ihm gelingen, dieser Anziehungskraft zu widerstehen?

Er musste einen Feind bekämpfen und gleichzeitig sein Unternehmen schützen. Und eine Frau, die er mehr begehrte als alles andere, war imstande, all seine Pläne zu torpedieren.

4. KAPITEL

Maty fuhr in die Auffahrt ein. Eigentlich überraschte es sie, dass es keine Sicherheitsleute oder sonst etwas gab, um ungebetene Besucher fernzuhalten.

Nein, es gab freie Bahn zu Sams Haus. Es war nicht schwer gewesen, seine Adresse herauszufinden, aber sie hatte erwartet, dass die Zufahrt zumindest mit einem Gitter abgesperrt war.

Auch dass er kein Haus in den Bergen hatte, wunderte sie. Stattdessen lebte er unten im Tal in einem Haus am See. Uralte Bäumen schirmten das Grundstück ab. So lebte ein Mann, der es schätzte, seine Ruhe zu haben.

Dann endlich bekam sie volle Sicht auf das Haus. Ein beeindruckendes dreistöckiges Gebäude aus Naturstein und Holz. Passend zu den Smoky Mountains und der Landschaft zu Füßen der Berge. Und auch passend für einen Mann, der so mächtig und stark wie Sam war. Solide, massiv und dominierend.

Schon von außen sah das Ganze aus wie aus einem Lifestyle- oder Wohnmagazin, von innen würde es sicher ebenso sein. Maty prägte sich einige Details ein. Später, wenn sie wieder zu Hause war, wollte sie aus dem Gedächtnis ein paar Skizzen machen.

Wenn sie das, wo sie im Moment hauste, überhaupt ein Zuhause nennen konnte. Es war ein heruntergewirtschaftetes kleines Apartment, in dem sie sich mehr als unwohl fühlte. Nicht nur, weil es mies und billig war. Auch weil sie Erinnerungen daran hatte, an jedes einzelne Zimmer. Wenn Sam je herausfinden würde, wo Rusty sie einquartiert hatte …

Sicher konnte Sam theoretisch Mittel und Wege finden, ihre Adresse ermitteln zu lassen. Aber warum sollte er? Wenn, wäre es allerdings wirklich eine Überraschung für ihn.

Er kannte das Apartment in dem abbruchreifen Mietshaus nämlich von früher. Von ganz früher. Er hatte mit seiner Mutter selbst darin gewohnt, damals, als er mit Maty zusammen gewesen war. Wieder so eine Schikane von Rusty, sicher zuerst einmal gegen Maty gerichtet, aber wer wusste schon, was dieser Sadist so alles plante? Ein Zufall war es jedenfalls gewiss nicht, dafür war Rusty Lockwood viel zu raffiniert.

Sie spürte, wie sie immer nervöser wurde. Vielleicht war es ein wenig dreist, Sam einfach so aufzusuchen – aber es musste sein. Sie musste an seine private Seite appellieren, nicht an ihn als Geschäftsmann. Früher hatte sich Sam immer von Gefühlen leiten lassen, und sie glaubte nicht, dass er sich in dieser Hinsicht wesentlich geändert hatte. Das zeigte sich schon daran, wie er auf Rustys Kaufangebote reagierte. Rusty hatte ihm wirklich viel Geld für die Destillerie geboten, man konnte auch sagen, unvernünftig viel Geld. Doch Sam war standhaft geblieben. Weil es ihm nämlich nicht um Geld ging. Die Destillerie war sein Herzensprojekt, war für ihn etwas, das mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen war.

Oh, sie hatte auch versucht, das Rusty begreiflich zu machen. Aber ihre Worte waren auf taube Ohren gestoßen, auf dumme, taube Ohren.

Sie parkte vor dem Haus. Ein paar Stufen führten auf eine großzügige und einladende Veranda. Die Haustür war aus Mahagoniholz. Sie hatte sich schon gedacht, dass Sam ein schönes Zuhause hatte, aber dass es sie richtiggehend einschüchtern würde, hatte sie nicht erwartet.

Sie war nervös. Immerhin ging es um das Wohlergehen ihres Bruders. Aber auch wegen Sam. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er nach sechzehn Jahren, einer halben Ewigkeit, immer noch so viele Gefühle in ihr wecken würde. Gefühle der Zuneigung, vor allem aber auch Gefühle des Begehrens. Wurde so etwas im Gedächtnis nicht nach einer gewissen Zeit einfach ausgelöscht, abgewischt wie Kreideschrift von einer Schultafel? Offenbar nicht, jedenfalls nicht in diesem speziellen Fall.

Denn die Wirkung, die Sam immer noch auf sie ausübte, war geradezu magisch.

Was, wenn er nicht zu Hause war? Was, wenn er ihr die Tür vor der Nase zuknallte? Was, wenn er sie immer noch hasste, weil sie ihn verlassen hatte? Was, wenn er sie jetzt neuerdings aus anderen Gründen hasste – weil sie für seinen Feind arbeitete, weil sie im Kern damit beschäftigt war, ihm das abzuluchsen, was sein Lebensinhalt war?

So viele Fragen – und keine Antworten. Kein Wunder, dass sie immer nervöser wurde. Aber sie musste ihn jetzt aufsuchen und mit ihm reden, sie hatte keinen Plan B. Sie musste sich auf sich selbst konzentrieren, auf ihren Mut, ihre Stärke, all das zusammenraffen, jedes kleine bisschen davon. Sie würde es brauchen.

Maty griff nach ihrer Handtasche und ihrem Handy. Das Bild auf dem Sperrbildschirm zeigte ein älteres Foto von ihr gemeinsam mit ihrem Bruder. Carter, ihr geliebter Bruder Carter. Alles, was sie tat – so sehr es ihr auch persönlich widerstreben mochte –, tat sie nur für ihn, für sein Wohlergehen. Er war schlimm genug dran, da war es das Mindeste, dass sie für ihn sorgte, so gut es eben ging. Für ihn hatte sie sich in diesen Kampf zweier Alphatiere geworfen, hatte für eine Seite Partei ergriffen, die sie freiwillig nie im Leben unterstützt hätte. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie einigermaßen unbeschädigt daraus hervorging. Und mit den finanziellen Mitteln, ihrem Bruder die Betreuung und Pflege zu ermöglichen, die er brauchte.

Egal, wie nervös sie war, egal wie verängstigt – sie musste mit Sam reden, musste ein Ergebnis erzielen, das Rusty gefiel. Carters Wohlergehen hing davon ab.

Sie stieg aus dem Wagen aus und sog die warme Bergluft ein. Der späte Frühling hier in Green Valley war einfach wunderbar, die gute Luft beruhigte sie sogar ein wenig. Harmonie und Frieden lagen in der Luft – jedenfalls solange sie nicht daran dachte, warum sie nach Green Valley zurückgekehrt war.

Wie es der Zufall wollte, trat Sam gerade jetzt auf die Veranda. Zu ihrem Erstaunen schien er über ihr Kommen kein bisschen überrascht zu sein. Es war fast, als ob er sie erwartet hätte.

„Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte sie.

„Kommt darauf an, was du willst.“

Sie versuchte ein freundliches Lächeln. „Ich will reden. Dass wir uns auf den neuesten Stand bringen. Irgendwie haben wir uns gegenseitig auf dem falschen Fuß erwischt.“

„So kann man es natürlich auch nennen. Du arbeitest für den Mann, den ich aus ganzem Herzen verabscheue. Und du beleidigst mich, indem du davon ausgehst, dass ich meine Herzenssache, meinen ganzen Stolz verkaufe, nur weil du nett fragst. Das ist natürlich wirklich nicht gerade der bestmögliche Start.“

Okay – er würde es ihr nicht leicht machen, so viel war klar. Natürlich war sie in ihrem Beruf harte Verhandlungen gewohnt, aber hier kam eine weitere Komplikation ins Spiel: ihre Zuneigung zu Sam. Alte Liebe rostet nicht, hatte Rusty Lockwood höhnisch zu ihr gesagt. Wie recht er gehabt hatte!

„Dein Haus ist wunderschön“, sagte sie, während sie die Stufen zur Veranda hochstieg. „Rustikal und inmitten dieser herrlichen Natur. Wohnst du schon lange hier?“

„Ich habe es vor fünf Jahren gebaut“, erwiderte er.

Sie musterte ihn und schmolz förmlich dahin. Verdammt, musste er so ein enges T-Shirt tragen? „Das Haus ist ganz schön groß für eine Person.“

„Ist das deine Art zu fragen, ob ich hier mit jemandem zusammenlebe?“

„Nein, nein, absolut nicht. Ich dachte nur …“

Sam sah sie nachdenklich an. „Wenn du den ganzen Weg hier rausgefahren bist, nehme ich an, dass du jetzt Zeit hast.“

„Ja, ich habe heute nichts mehr vor.“

„Dann komm rein. Ich zeige dir alles.“

Sam ging durch die Eingangstür und hielt sie für sie auf. Kaum hatte Maty die Schwelle überschritten, raubte es ihr fast den Atem. Hatte sie schon das Äußere des Gebäudes als überaus eindrucksvoll empfunden, war es der geräumige Wohnbereich im Erdgeschoss umso mehr. Der Raum erstreckte sich bis zur hinteren Seite des Hauses.

Die großen Fenster erlaubten einen Rundumblick nach draußen in den üppigen, wunderschön angelegten Garten. Von der Decke hingen drei eiserne Kronleuchter. Die Fußbodendielen waren aus dunklem Holz. Aber all das wirkte nicht protzig, sondern zeugte von erlesenem Geschmack.

An einer Seite ging der Wohnbereich in die Küche über. Alles war offen und überaus großzügig gestaltet.

„Ich könnte mir nicht vorstellen, in so einem Gebäude zu wohnen“, murmelte sie vor sich hin. Das kleine Apartment, in dem sie derzeit wohnte, hätte alleine ins Erdgeschoss schon mehrfach hineingepasst.

Es musste eng gewesen sein für Sam und seine Mutter, fast schon erdrückend. Das erklärte wahrscheinlich, warum er sich jetzt, wo er es sich leisten konnte, für ein Haus entschieden hatte.

Schon früh hatte er von so etwas geträumt, daran konnte sie sich noch gut erinnern. Erst wollte er seine Destillerie gründen und dann ihnen beiden ein großes Haus bauen, einen Palast.

Ja, ihnen beiden. Sam und Maty zusammen.

Große Träume hatten sie damals gehabt, gemeinsame Träume. Aber diese Zeiten waren vorbei. Und die blauäugige junge Frau von damals hatte mittlerweile erkennen müssen, dass die Realität manchmal hart und unerbittlich war. Und dass Träume durchaus nicht für jeden in Erfüllung gingen.

Oh ja, sie hatte große Pläne für ihr Leben gehabt! Aber dann war der Unfall passiert, sie hatte ihre Eltern verloren und musste nun die Betreuung ihres Bruders finanzieren. Ihre Ersparnisse waren aufgebraucht. Die Zukunft, der sie erwartungsvoll entgegengeblickt hatte, hatte sich verdüstert.

Maty hätte alles aufgegeben, ihre Träume, ihre Karriere, wenn sie dafür ihre intakte Familie zurückbekommen hätte. Doch das war unmöglich. Sie war gerade dabei, alles, was sie sich aufgebaut hatte, zu verlieren. Und es war ungewiss, wie es mit Carter weitergehen sollte.

Es sei denn, sie könnte Sam zum Verkauf seiner Destillerie überreden.

„Ich wollte, dass ich, wenn ich das Haus betrete, sofort in so einem Riesenraum stehe“, erläuterte er. „Ich bin in einem beengten Apartment aufgewachsen, deswegen wollte ich Platz, große Zimmer, Bewegungsfreiheit bis zum Abwinken.“

Sam wandte sich um und ging auf die große Treppe zu. „Im ersten Stock habe ich drei Gästezimmer, jeweils mit angeschlossenem Badezimmer. Wenn ich Freunde zu Besuch habe, sollen sie ihre Privatsphäre genießen und genug Platz für sich haben.“

Maty hatte Mühe, mit seinen großen Schritten mitzuhalten. Oben angelangt, zeigte er ihr die Gästezimmer. Der Platz und die Ausstattung, die er seinen Gästen zugedacht hatte, hätte jeder luxuriösen Hotelsuite alle Ehre gemacht.

Dann gingen sie noch ein Stockwerk höher. „Hier oben habe ich noch einmal einen großen Wohnbereich für mich, dazu mein Schlafzimmer, außerdem einen Fitnessraum und ein großes Medienzimmer. Das alles habe ich hier oben untergebracht, damit ich für mich sein kann, selbst wenn ich Gäste beherberge.“

Sie fragte sich, was das wohl für Gäste waren. Freunde? Oder eher Freundinnen?

Sie spürte, wie Eifersucht in ihr hochkroch. Dabei hatte sie keinen Grund, eifersüchtig zu sein – nicht einmal die Berechtigung dazu. Schließlich war sie es, die damals Sam verlassen hatte, nicht umgekehrt. Außerdem lag die Geschichte sechzehn lange Jahre zurück. Es war ja nicht so, dass sie sich in dieser Zeit nicht mit Männern getroffen hätte. Und sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass jemand wie Sam, gut aussehend, gut gebaut und obendrein enorm reich, auch nicht die ganze Zeit über allein gewesen war.

Dennoch, die Vorstellung, dass er mit einer anderen Frau das Bett teilte, bereitete ihr Unbehagen.

Komisch, eigentlich hatte sie sich nie als besonders eifersüchtig eingestuft … Aber bis zu diesem Moment hatte sie auch nicht erwartet, dass sie Sam aufs Neue begehren würde. Aber es war so. Sie konnte ihr Verlangen kaum unterdrücken.

Sam öffnete eine große Doppeltür. Hatte er Fitnessraum gesagt? Das war ja fast ein komplettes Studio! An Equipment war alles vorhanden, was ein Fitnessfreak sich wünschen konnte. Verschiedene Geräte, Gewichte, und in der Ecke hing sogar ein Sandsack. Zumindest das hatten sie offensichtlich gemeinsam, wie Maty erstaunt feststellte. Damals, als sie zusammen gewesen waren, hatten sie beide noch nichts mit Boxen anfangen können.

Maty wollte gerade die reichhaltige Ausstattung kommentieren, als er die Türen schon wieder schloss und sie zum nächsten Raum bat. Auch hier gab es eine Doppeltür, die er mit einem gewissen Stolz öffnete. Sie lächelte, als sie die Einrichtung sah: Ein riesiger bequemer Ledersessel war vor einen Bildschirm gerückt, der eine ganze Wand einnahm.

„Ich weiß noch, wie sehr du Filme magst“, merkte sie an.

„Ja, nur dass damals meistens das Geld gefehlt hat, um ins Kino zu gehen“, erwiderte er. „Wenn im Haushalt einmal etwas Geld übrig war – und das kam selten genug vor –, hat Mom es sofort verspielt. Heute habe ich diese Geldprobleme natürlich nicht mehr, und ich muss mich auch nicht im Kino an der Kasse anstellen. Ich habe mit einem Filmverleih eine spezielle Regelung getroffen, dass ich sofort Zugriff auf alle Filme habe, sobald sie ins Kino kommen. War nicht ganz einfach, aber ich habe es hinbekommen.“

Maty erinnerte sich an den jungen Mann von damals, und noch im Nachhinein tat ihr sein Schicksal leid. Sie hatte gewusst, dass seine Mutter spielsüchtig und das Geld mehr als knapp war. Aber in der Zeit, als sie zusammen waren, hatte sie nicht weiter darauf geachtet. Sie hatte nicht bedacht, wie sehr diese Umstände Sam geprägt hatten. Nur ganz selten einmal waren sie seine Mutter besuchen gegangen, denn Maty war immer davon ausgegangen, dass Sam alles ein wenig peinlich gewesen war.

„Ich weiß noch, wie gerne ich dich zu den neuesten Blockbustern ins Kino eingeladen hätte“, sinnierte Sam. „Aber das war bei mir finanziell einfach nicht drin, was ich dir natürlich nicht gestehen wollte. Ich habe dann immer irgendeine Ausflucht erfunden, statt dir die Wahrheit zu beichten.“

Maty lächelte gerührt. Es war ihr durchaus klar gewesen, dass Sam es sich nicht leisten konnte, sie einzuladen. Aber es war ihr völlig egal gewesen, ob er wenig Geld hatte oder viel. Mit Sicherheit hätte sie sich von ihren Eltern Geld leihen und Sam ins Kino einladen können. Aber sie hatte geahnt, dass ihn das beschämen und seinen Stolz verletzen würde.

Und was bedeuteten schon Kinos, Bars und Pubs. Die Hauptsache war, mit Sam zusammen zu sein, auch wenn man vielleicht nur auf der Couch herumlümmelte oder im Park saß – weil sie ihn wirklich liebte. Er brachte sie zum Lachen, machte ihr Komplimente, schaffte es, dass sie sich lebendig und rundum wohlfühlte. So glücklich wie damals war sie später nie wieder gewesen.

„Das ist wirklich ein toller Medienraum“, lobte sie und zwang sich, mit den Gedanken in die Gegenwart zurückzukehren. „Ist das da hinten eine Bar mit einer Popcornmaschine?“

„Meinst du etwa, ich hätte keine Hausbar?“, fragte er lachend. „Ich habe insgesamt fünf. Na ja, und die Popcornmaschine … die verschafft doch erst das richtige Kinofeeling. Popcorn macht den Film erst schön.“

„Mit einer Extraportion Butter“, begann sie zu schwärmen.

Er lächelte sie an. „Die Extraportion Butter ist Pflicht.“

Irgendetwas änderte sich gerade. Bisher war es ihr vorgekommen, als ob Sam mutwillig einen großen Eisklotz als Barriere zwischen sie geschoben hatte, so kühl hatte er sich gegeben. Dieser Eisklotz schien nun zu schmelzen, sich geradezu in Luft aufzulösen.

Nostalgie, die Erinnerung an frühere unbeschwerte schöne Zeiten, damit würde sie ihn vielleicht weichbekommen. Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. Es war unerträglich, schöne Gefühle und Gedanken an früher zu instrumentalisieren. Eine kurze Zeit hatte sie Rusty und seine Forderungen vergessen und einfach den Rundgang mit Sam in seinem Haus genossen. Die gemeinsamen Erinnerungen waren so angenehm gewesen. Doch jetzt tauchte wieder diese dunkle Wolke über ihr auf, das Damoklesschwert, die Notwendigkeit, sich Rusty Lockwoods Willen zu beugen. Sie durfte nicht den Grund aus den Augen verlieren, aus dem sie wirklich hier war.

Egal, was sie für Sam empfand, was sie früher für ihn empfunden hatte oder was jetzt an Gefühlen für ihn vorhanden war – sie hatte einen Auftrag zu erledigen. Und dieser Auftrag war es nicht, wieder in seinen Armen zu landen. Oder in seinem Bett.

Sam wandte sich um und ging zum Ende des Flures, wo er eine weitere Doppeltür öffnete. Dahinter lag sein Schlafzimmer. In der Mitte des Zimmers befand sich ein riesiges Doppelbett, zwei der vier Wände bestanden ausschließlich aus Fenstern.

Auch wenn sein Haus im Tal lag und nicht in den Bergen, war der Ausblick einfach atemberaubend. Man hatte den Blick auf den See und das umgebende Grün, im Hintergrund leuchteten die Berge eindrucksvoll in der untergehenden Sonne. Ein oranges Licht erfüllte den Raum.

„Ich wollte das Gefühl haben, inmitten der Natur zu sein“, sagte Sam schwärmerisch. „Ich wollte in einem Zimmer schlafen, das mir den Eindruck vermittelt, dass keine Wände mich einengen, keine Barrieren.“

Ja, deshalb das Bett mitten im Raum, deshalb die riesigen Fensterfronten. Seine schwierige Kindheit hatte ihn geprägt, dennoch war es ihm gelungen, sich zu Höherem aufzuschwingen, der erfolgreiche Unternehmer zu werden, der er heute war. Sie war verdammt stolz auf ihn.

Aber das konnte sie ihm nicht sagen. Wenn sie auch nur ein Wort in dieser Richtung äußerte, würde er nicht mehr lockerlassen und sie ausquetschen, bis er wusste, warum sie sich mit Rusty gegen ihn verbündete.

Sam sah sie an. „Ja, das ist der Grund, warum ich so ein großes Haus habe“, sinnierte er. „Weil ich es kann. Weil ich mich nie mehr von irgendetwas oder irgendwem einschränken lassen will. Ich will die Kontrolle haben, über meine Umgebung und über mein Leben.“

Sie verstand ihn nur zu gut, aber sie bezweifelte, dass er wirklich die völlige Kontrolle über sich und sein Leben hatte. Über ihnen beiden lauerte Rusty, bedrohlich, wie eine finstere Macht. Und es gab nicht viel, das sie oder Sam dagegen tun konnten.

Am liebsten hätte Maty ihn in die Arme geschlossen, hätte ihn getröstet für den Fall, dass ihn die Erinnerungen an seine schlimme Kindheit immer noch schmerzten. Und sie hätte es nicht nur für ihn getan, sondern auch für sich. Sie wollte ihn berühren, ihn umarmen. Und weil er heute noch mehr Sinnlichkeit und Sex ausstrahlte als damals, wollte sie mehr. Sie wollte, dass er sie in seine starken Arme nahm, vielleicht wollte sie auch, dass er ihr Trost spendete. Ach, warum konnten sie sich nicht gegenseitig trösten? Früher, ja früher hätten sie das getan!

Seine breiten Schultern schienen sein T-Shirt fast zu sprengen. Sein Haar wirkte etwas zerzaust. Auch das kannte sie noch von früher. Sam Hawkins strahlte eine wilde und doch so schwer zu definierende Erotik aus. Leute, die ihn nicht kannten, ahnten sicher nicht, dass er so reich war, dass er der Besitzer einer der bedeutendsten Destillerien der Welt war. Mit seinem Gin machte er schon seit Jahren glänzende Geschäfte. Nun warteten Kenner in aller Welt auf die erste Flasche seines zehn Jahre alten Bourbons.

Aber sie begehrte ihn nicht wegen seines Geldes. Nein, das Geld war ihr völlig gleichgültig. Sie begehrte ihn, weil sie sich noch so gut daran erinnerte, was sie beide einst geteilt hatten. Wenn es doch noch einmal so wäre! Vielleicht hätte sie diesem Mann widerstehen können, wenn sie ihn nicht gekannt hätte. Wenn Sie nicht genau wüsste, wie perfekt sie beide zusammenpassten, wie magisch seine Berührungen waren, was für ein großzügiger, selbstloser Liebhaber er war.

Plötzlich fragte sich Maty, ob es nicht ein Riesenfehler gewesen war, ihn zu verlassen. War das Jurastudium es wert gewesen, den Mann zu opfern, den sie liebte? Doch sie konnte sich auch keinen Vorwurf machen. Schließlich hatte sie ihre Träume verwirklichen wollen, genau so, wie er in Green Valley geblieben war, um seine Träume zu verwirklichen.

„Und um auf die Frage zurückzukommen, die du dich nicht zu stellen getraut hast: Ich bin Single.“

Ein Riesenstein fiel ihr vom Herzen, am liebsten hätte sie vor Freude gesungen und getanzt. Es ging sie zwar überhaupt nichts an, aber trotzdem war es schön zu wissen …

„Und du?“

„Ich? Was soll mit mir sein?“

Er trat auf sie zu. „Ich vermute mal, du bist auch Single.“

„Und warum vermutest du das?“

Er kam noch einen Schritt näher. „Wenn du einen Freund hättest, würde er bestimmt nicht zulassen, dass du dich beruflich auf Rusty einlässt. Und er würde auch nicht zulassen, dass du deinen Ex-Lover besuchst. Sagen wir so: Ich würde es auf jeden Fall nicht zulassen, wenn ich dein Freund wäre.“

Jetzt war er ihr gefährlich nahe. So nahe, dass er sie küssen könnte.

„Du bist aber nicht mein Freund“, murmelte sie.

Er strich ihr übers Haar und sah ihr tief in die Augen. „Nein“, stimmte er ihr zu. „Das bin ich nicht.“

Er ließ den Arm wieder sinken, wich aber keinen Schritt zurück.

„Ist das dein Plan?“, fragte er. „Hast du mich hier zu Hause aufgesucht, um mich zu verführen?“

Im Moment hatte sie eher das Gefühl, dass er vielmehr sie verführen wollte. Warum sonst kam er ihr so nah? Und er war erregt, das spürte sie. „Ich habe keinen Plan“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich bin gekommen, um in Ruhe mit dir zu reden. Mehr nicht.“

Er musterte sie skeptisch, schien ihr nicht zu glauben. Dabei hatte sie wirklich keinen Plan – sie hatte darauf gehofft, dass ihr schon etwas einfallen würde. Doch inzwischen war sie viel zu verwirrt, viel zu erregt, als dass ihr eine Idee kommen könnte.

Ja, es war eindeutig. Er wollte sie und sie wollte ihn. Aber Sex würde keines ihrer Probleme lösen. Ganz im Gegenteil, Zärtlichkeiten würden Erinnerungen an früher auslösen, und alles wäre noch komplizierter als zuvor.

Wenn er doch nur einen Schritt zurücktreten würde! Seine Nähe machte sie nervös.

„Ich habe es gespürt, du hast dir gewünscht, dass ich dich küsse“, sagte er. „Und wahrscheinlich hast du dir noch mehr gewünscht, viel mehr …“

Maty reckte das Kinn und hielt seinem Blick stand. „Du kannst spekulieren, so viel du willst“, sagte sie gereizt. „Ja, vielleicht habe ich an einen Kuss gedacht. Aber vielleicht habe ich auch nur …“

In dieser Sekunde presste Sam seine Lippen auf ihre, und ihr Satz blieb unvollendet.

Sie hatte in Ruhe mit ihm sprechen wollen. Über Geschäftliches. Doch in diesem Moment war das Hauptthema, der Verkauf seines Unternehmens, in weite Ferne gerückt.

5. KAPITEL

Sam wusste selbst nicht, was er da gerade tat, aber eines wusste er: Er wollte auf keinen Fall damit aufhören.

Er umfasste Matys Hüften und vertiefte den Kuss. Sie atmete schwer. Mit beiden Händen fuhr sie ihm durchs Haar.

Sie waren begierig, wie in Ekstase. Unglaublich – es war, als hätten sich die sechzehn Jahre seit ihrer Trennung in Luft aufgelöst, als wären nur ein paar Minuten vergangen. Konnte es sein, dass bei ihm wie bei ihr die Leidenschaft füreinander nie erloschen war?

Autor

Nicki Night
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Brenda Jackson

Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...

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Jules Bennett
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