Baccara Collection Band 444

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HEISS, HEMMUNGSLOS – UND EIN FEHLER? von DAIRE ST. DENIS
Der heiße, hemmungslose One-Night-Stand mit Rodeoreiter Dillon Cross war ein Fehler! Davon ist Innenarchitektin Gloria überzeugt. Warum sonst ergreift sie am Morgen danach eine Panikattacke? Trotzdem prickelt es gefährlich sinnlich, als sie Dillon zufällig wiedertrifft …

AUF DER INSEL DES BEGEHRENS von ANDREA LAURENCE
Nach einem Flugzeugabsturz strandet Finn Steele auf einer einsamen Insel – direkt in den Armen der betörenden Einsiedlerin Willow. Obwohl er an Amnesie leidet, schwört er: Willow berührt sein Herz wie keine Frau zuvor! Da kommt seine skandalöse Vergangenheit ans Licht …

GIANNAS GEHEIMNIS von CHARLENE SANDS
Um seinen Ruf als Bad Boy loszuwerden, verlobt Country-Superstar Gage Tremaine sich mit seiner guten Freundin Gianna. Natürlich nur zum Schein – die kluge Professorin ist einfach nicht sein Typ! Doch ist das erotische Knistern zwischen ihnen wirklich nur gespielt?


  • Erscheinungstag 19.04.2022
  • Bandnummer 444
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508285
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Daire St. Denis, Andrea Laurence, Charlene Sands

BACCARA COLLECTION BAND 444

DAIRE ST. DENIS

Heiß, hemmungslos – und ein Fehler?

Für Cowboy Dillon gibt es nichts Besseres, als neben einem warmen, weichen Frauenkörper aufzuwachen – nach einer Nacht voll sündhaft heißem Sex. Dumm nur, dass die süße, sexy Gloria ihn am Morgen danach plötzlich abblitzen lässt! Aber Dillon hat schon einen Plan, wie der kratzbürstige Rotschopf ihm nicht mehr widerstehen kann …

ANDREA LAURENCE

Auf der Insel des Begehrens

Nie hätte Willow gedacht, dass sie sich noch einmal verliebt. Bis ein umwerfend attraktiver Fremder auf der Insel strandet, auf die sie sich nach einer schweren Krankheit zurückgezogen hat. Doch kaum gewinnt Willow in leidenschaftlichen Liebesnächten den Glauben an das Glück zurück, kommt heraus: Ihr Verführer ist ein berüchtigter Playboy-Milliardär!

CHARLENE SANDS

Giannas Geheimnis

Spontan willigt Gianna ein, die Verlobte ihres guten Freundes Gage zu spielen. Natürlich nur auf Zeit! Allerdings entfachen seine gespielten Küsse und Berührungen bald ein ungeahntes Feuer in ihr. Doch so sehr die erotischen Funken zwischen ihnen fliegen, verhindert Giannas Geheimnis glücklicherweise, dass sie ihr Herz an Gage verliert. Oder?

1. KAPITEL

Oh mein Gott …

Gloria schnappte nach Luft. Sie hatte das Gefühl, eine tonnenschwere Last läge auf ihrer Brust. Ein Kloß von der Größe einer Faust steckte urplötzlich in ihrer Kehle, und ihr Blickfeld wurde kleiner.

Nein.

Nicht hier.

Nicht jetzt.

Vorsichtig schob sie die große, raue Hand von ihrer Hüfte und rollte sich zur Seite – zumindest versuchte sie es. Aber sie konnte ihre Beine nicht bewegen, weil sie gefangen waren zwischen zwei anderen Beinen, die so groß und so stark wie Baumstämme waren.

„Hm.“ Eine Hand legte sich um ihre Taille und zog sie noch enger an die breite Brust in ihrem Rücken.

„Ähm, Dillon?“, wisperte sie leise.

„Mhm.“ Er liebkoste mit seinem rauen Kinn ihren Nacken, dann hauchte er einen schläfrigen Kuss auf ihre zarte Haut. Seine großen, kräftigen Hände ließ er über ihren Bauch wandern, die eine glitt nach oben … die andere nach unten.

Resolut schob Gloria ihn schließlich von sich und setzte sich auf, indem sie all ihre Kraft zusammennahm. Dabei atmete sie so angestrengt, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Lag es an dem schummrigen Licht im Raum, dass sie kleine Punkte sah? Sie rieb sich die Augen.

Nein. Es lag an etwas anderem.

„Ich muss gehen“, keuchte sie.

„Auf die Toilette?“ Sanft strich er mit dem Finger über ihren nackten Rücken. „Okay, Darling. Aber komm schnell zurück zu mir.“

Oh Gott.

Nackt taumelte sie ins Bad, schnappte sich blindlings den Hotel-Bademantel, der an der Tür hing, und streifte ihn über. Ihre Clutch – die purpurrote, die farblich perfekt abgestimmt war auf ihr Brautjungfernkleid – lag offen auf dem Waschtisch. Schnell überprüfte sie deren Inhalt: Zimmerschlüssel, Handy, Lippenstift und eine Zwanzig-Dollar-Note.

Gut genug. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich gegen die Wand und saugte die Luft tief ein, krampfhaft bemüht, sich zu beruhigen. Als sie die Augen wieder öffnete, landete ihr Blick auf den in Zellophan verpackten Hotelschlappen. Rasch öffnete sie die Packung und schlüpfte mit den Füßen hinein – sie waren zwar viel zu groß, mussten aber genügen.

Als Gloria sich aufrichtete, drehte sich ihr alles um sie. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel, schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmen. Ein. Aus. Ganz langsam und bewusst. Dummerweise kamen ihr ausgerechnet in diesem Moment etliche Bilder vom Beginn der Nacht in den Sinn. Bilder, die sie zu verspotten schienen.

Dillons Hände auf ihrem Körper. Dillons geschickte Zunge in ihrem Mund. Dillons pralles, hartes Glied in ihr … so wundervoll.

Wundervoll? Wirklich?

Wenn es so wundervoll war, warum saß sie dann hier auf dem Toilettensitz und kämpfte gegen eine Panikattacke an? Schon seit Jahren hatte sie keinen dieser Anfälle mehr gehabt. Warum ausgerechnet jetzt?

Es musste an dem Cowboy nebenan liegen.

Hektisch fischte Gloria ihr Handy aus der Clutch, schaltete es ein und gab ihr Bestes, um die kurze Nachricht NOTFALL! an ihre beste Freundin Daisy zu verschicken. Doch ob ihre Finger die richtigen Buchstaben trafen, wusste sie nicht, weil sie das Handy nur verschwommen sah. Nachdem sie noch ein paar tiefe Atemzüge gemacht hatte, stand sie vorsichtig auf und schlich auf Zehenspitzen zur Hotelzimmertür.

Sobald sie draußen auf dem Gang war, fiel ihr das Atmen leichter. Dennoch war ihr immer noch schwindlig. Sie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, während sie sich den Hotelkorridor entlangtastete. Je weiter sie sich von diesem Zimmer entfernte, desto klarer wurde ihr Blickfeld. Klar genug, um nachzusehen, ob ihre beste Freundin ihr eine Antwort geschickt hatte. Nicht, dass sie damit rechnete.

Immerhin war dies Daisys Hochzeitsnacht.

Mist.

Gloria blieb vor dem Aufzug stehen und drückte wie ferngesteuert den Knopf. Als der Fahrstuhl auf ihrer Etage ankam, öffneten sich langsam die Türen. Ein Hotelpage schaute sie überrascht an.

„Heiße Nacht, was?“, bemerkte der junge Mann mit anzüglichem Grinsen.

Gloria ignorierte die Frage. Hocherhobenen Hauptes betrat sie den Lift und drehte sich so, dass sie nach vorne blickte. Unglücklicherweise befand sich auf der Innentür des Fahrstuhls ein Spiegel. Himmel, ihr Make-up war völlig verschmiert, und ihre hübsche Hochsteckfrisur hatte sich halb aufgelöst.

Sie stöhnte. Das war ja noch schlimmer als gedacht!

„Welches Stockwerk?“

„Die Hochzeitssuite.“ Sie wich dem Blick des Pagen aus, indem sie alle paar Sekunden auf ihr Handy schaute, ob Daisy ihr nicht vielleicht doch antworten würde.

Wie in aller Welt hatte sie sich nur in eine solche Lage manövrieren können?

Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass heute Valentinstag war und ihre beste Freundin gerade einen absolut umwerfenden Mann geheiratet hatte und dass dies die schönste Hochzeit der Welt gewesen war. Und auch wenn Gloria sich wahnsinnig für Daisy freute, so war sie auch ein bisschen …

Hm. Eifersüchtig?

Nein.

Bemitleidete sie sich selbst? Hatte sie deshalb mit dem Cowboy geschlafen?

Gott. Das war ja erbärmlich.

Es hatte alles damit angefangen, dass besagter Cowboy – ein Cousin des Bräutigams – aufgestanden war, um eine Rede zu halten. Nur, dass er gar keine Rede hielt. Oh nein. Stattdessen griff er nach einer Gitarre und sang „Remember When“ von Alan Jackson – einer ihrer absoluten Lieblings-Countrysongs. Seine Stimme war so tief und warm. Gloria hatte das Gefühl, er sänge nur für sie. Und dann war der Tanz eröffnet worden, und er hatte sie tatsächlich aufgefordert.

Sie hätte ablehnen sollen. Woher hätte sie wissen sollen, dass der Mann tanzen konnte?

Und wie er tanzen konnte!

Danach wusste Gloria einfach, dass er gut im Bett sein musste.

Verdammt. Verdammt. Verdammt.

Denn wenn er nicht gerade sang oder tanzte, dann trieb dieser Cowboy sie in den Wahnsinn. Schon als sie sich vor ein paar Monaten das erste Mal begegnet waren und er sich die allergrößte Mühe gegeben hatte, sie zu ärgern, hatte sie eine Abneigung gegen ihn verspürt. Er war schwierig und laut, unausstehlich und viel zu sehr von sich eingenommen. Jedes Wort, das aus seinem Mund kam, löste in ihr den Wunsch aus, zu schreien.

Als der Fahrstuhl endlich auf der obersten Etage des Drake Hotels ankam, betrat Gloria den Gang mit etwa so viel Würde wie eine Kakerlake, die eiligst aus dem Raum huschte, sobald das Licht eingeschaltet wurde.

„Genießen Sie den Rest des Abends“, rief ihr der Page hinterher.

Gloria ignorierte ihn von Neuem und schaute noch einmal auf das Display ihres Handys. Es war 3:17 Uhr, und natürlich hatte sie immer noch keine Antwort von Daisy bekommen.

Verdammt.

Sie lehnte sich gegen die Wand und überlegte, was sie nun tun könnte. Auf keinen Fall würde sie die Hochzeitsnacht ihrer Freundin unterbrechen, das war mal klar. Doch welche Möglichkeiten hatte sie? Sollte sie zurück in ihr Hotelzimmer gehen? Den Cowboy auffordern, es zu verlassen?

Schlagartig wurde ihr wieder schwindlig, und sie sah alles nur noch verschwommen. Das konnte doch nicht wahr sein! Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sie sich schon einer Panikattacke näherte, wenn sie nur an ihn dachte?

Wieder konzentrierte sie sich auf die Atmung. Damit befolgte sie den Rat ihrer Psychotherapeutin, den diese ihr vor über zehn Jahren gegeben hatte. Trotzdem schien das schrille Klingeln in ihrem Kopf immer lauter zu werden.

Moment mal. Das war ja gar nicht ihr Kopf, das war ihr Handy.

„Gloria?“ Daisys sanfte Stimme klang verschlafen. „Was ist los? Wo bist du?“

„Ich stehe vor deiner Tür.“

„Was? Was machst du da?“

„Ich weiß es nicht.“

Ihre Freundin legte auf. Gloria drehte sich in Richtung Wand und stieß ihren Kopf sanft dagegen. Das war lächerlich. Sie stand doch allen Ernstes vor der Hochzeitssuite ihrer besten Freundin – in deren Hochzeitsnacht!

Als sich die Tür öffnete, streckte Daisy den Kopf heraus. Zumindest sah ihre beste Freundin genauso zerzaust aus wie Gloria. Das tröstete sie gleich ein bisschen.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Daisy, verbarg ein Gähnen hinter der Hand, das verdächtig nach einem Lächeln ausschaute, und öffnete die Tür ein Stückchen weiter.

Also gut, ihre beste Freundin könnte sich etwas weniger amüsieren und dafür ein bisschen mehr Empathie zeigen, doch Hauptsache sie war überhaupt da. Daisy zog sie in die Suite, schloss die Tür hinter ihr und nahm sie in die Arme. Gloria erwiderte die Umarmung mit aller Kraft. Es tat so gut, eine beste Freundin zu haben, wenn man sie brauchte.

„Wie geht’s dem Cowboy?“

Wow, und was für eine beste Freundin! „Woher weißt du von ihm?“

Daisys Augen funkelten. „Nach all dem Dirty Dancing, das ihr auf die Tanzfläche gelegt habt? Da muss man kein Genie sein.“

Stöhnend ließ Gloria sich auf die große weiße Couch im Wohnbereich der Suite fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Als Daisy neben ihr Platz nahm, bemerkte sie, dass ihre Freundin genauso angezogen war wie sie – mit einem viel zu großen Hotelbademantel bekleidet.

„Jetzt erzähl schon …“, drängte Daisy und tätschelte ihrer Freundin das Knie. „Ist der Cowboy … überall so groß?“

„Daisy!“

Diesmal bemühte sich ihre Freundin nicht mal, ihr Kichern zu verbergen. „Ganz ehrlich, Glo. Wo ist das Problem?“

„Ich wollte nicht mit ihm schlafen!“

„Hm.“ Daisy legte den Kopf leicht schräg. „Sah von außen aber nicht so aus.“

„Ich mag ihn gar nicht.“

„Nicht?“

„Nein. Schon bei unserer ersten Begegnung war er mir unsympathisch. Erinnerst du dich nicht daran, wie idiotisch er sich bei dieser Spendenaktion im vergangenen Jahr verhalten hat?“

„Natürlich erinnere ich mich an die Veranstaltung. Allerdings erinnere ich mich nicht daran, dass er sich idiotisch verhalten hätte. Ich fand, er war …“

„Nein.“ Gloria hob den Finger, um Daisy zu stoppen. „Er ist ein Idiot. Er mag Jamies Cousin sein, aber er ist ein Idiot.“

Daisy kniff die Brauen zusammen. „Warum hast du dann mit ihm geschlafen?“

„Ich weiß es nicht.“ Gloria ließ die Hände in den Schoß fallen. Sie wusste nur, dass sie jedes Mal das Gefühl hatte, sich in einem klaustrophobisch engen Raum ohne Sauerstoff aufzuhalten, wenn sie an ihn dachte.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer, und Daisys Ehemann Jamie tauchte auf, die Haare zerzaust, die Augen voller Schlaf. „Hey, meine frisch angetraute Ehefrau … was machst du da?“ Er rieb sich die Augen. „Oh. Hi, Gloria.“

Gloria schlug wieder die Hände vors Gesicht und stöhnte. Es war eine Sache, sich vor der besten Freundin zu blamieren, eine ganz andere jedoch, vor ihrem fast nackten neuen Ehemann.

„Liebling“, entgegnete Daisy zuckersüß. „Geh und zieh dir was an.“

„Ich bin angezogen.“

„Ähm, du trägst Unterwäsche, und die verbirgt deine männlichen Attribute nicht sonderlich gut.“

Gloria wäre am liebsten im Boden versunken. Sie presste die Finger so fest auf die Augen, dass sie Sternchen sah. Erst als sie hörte, wie sich die Tür zum Schlafzimmer schloss, nahm sie die Hände vom Gesicht und ließ sich wieder gegen die Couch fallen. „Es tut mir so leid, Daisy. Ich weiß nicht, was ich hier eigentlich mache.“

„Ganz offensichtlich geht es dir nicht gut, also warum bleibst du nicht hier? Du kannst auf der Couch schlafen.“

„Bist du sicher?“

„Natürlich. Und wenn du dir morgen früh ein paar Kleider leihen willst, ist das auch kein Problem.“

„Aber ich will auf keinen Fall deine Flitterwochen stören.“

„Oh, das tust du nicht. Wir haben schon …“ Daisy zwinkerte, „… zweimal.“

„Gott!“

„Außerdem fliegen wir morgen nach Maui, dort wird es jede Menge davon geben.“ Daisy machte eine obszöne Geste.

„Ja, ja, ich verstehe schon. Viel Sex.“

Sehr viel Sex“, bestätigte Daisy mit breitem Grinsen.

Gloria seufzte. Ihre Freundin war glücklich, und sie freute sich für Daisy. Doch sie war auch ein bisschen traurig. Von nun an würde sich einiges ändern. Sie würde Daisy vermissen. Ein Gedanke, der große Traurigkeit in ihr auslöste.

Dennoch war das kein Grund dafür, mit jemandem zu schlafen, der Panikattacken in ihr auslöste, die sie lange überwunden geglaubt hatte.

„Außerdem würdest du dasselbe für mich tun.“ Daisy umarmte sie fest. „Ich verstehe nur nicht, warum du nicht einfach in dein Zimmer zurückkehrst? Bitte ihn, zu gehen. Es ist dein Zimmer.“

Gloria schaute ihrer Freundin direkt in die Augen, als sie sagte: „Weil ich mir in Gegenwart dieses Mannes selbst nicht über den Weg traue. Ich könnte denselben Fehler gleich wieder begehen.“

Dillon hatte schon ewig nicht mehr so gut geschlafen. Es gab doch nichts Besseres, als neben einem warmen, weichen Frauenkörper aufzuwachen – nach einer Nacht voll sündhaft heißem Sex. Genüsslich streckte er den Arm nach besagtem Frauenkörper aus, doch er griff ins Leere. Der Platz neben ihm war kalt.

Oha.

Überrascht setzte er sich auf und kratzte sich am Kinn. Helles Morgenlicht fiel durch die Vorhänge und auf etliche, wild im Zimmer verteilte Kleidungsstücke: ein sexy High Heel lag auf der Frisierkommode, der andere steckte im Eiskühler. Dillon grinste. Der kleine Rotschopf war ein regelrechter Vulkan!

Aber wo steckte sie nur?

Als er aus dem Bett stieg, stöhnte er leise, weil sich sein Rücken bemerkbar machte. Zu viele Rodeos, zu viel Bullenreiten. Er streckte und dehnte sich, um die Steifheit loszuwerden.

„Gloria?“

Keine Antwort.

Vielleicht war sie unter der Dusche.

Hitze erfasste ihn. Sex unter der Dusche hatte er schon immer geliebt.

Er ging zum Bad und klopfte. „Hey? Bist du da drin?“ Als keine Antwort kam, drehte er den Knauf und spähte hinein. Nichts. Niemand da.

Hm. Erneut kratzte er sich am Kinn. Vielleicht war sie schon zum Frühstück runtergegangen? Er wünschte, sie hätte ihn vorher geweckt. Sie hätten beim Zimmerservice bestellen und im Bett frühstücken können. Wie sehr er es genossen hätte, sie früh am Morgen betrachten zu können, noch schläfrig vom Sex.

Eine heiße Vorstellung. Liebend gern hätte er sie geküsst, hätte Schinken, Eier und Kaffee auf ihren Lippen geschmeckt, hätte seine Hand unter die Bettdecke geschoben und ihre warme Haut liebkost. Dann hätte er ihr das Tablett weggenommen und sie von Neuem geliebt.

Das klang doch nach einem verdammt guten Start in den Tag.

Nachdem er rasch in Boxershorts und Anzughose geschlüpft war, suchte er nach seinem Jackett und fand es über einer Stuhllehne. Er fischte sein Handy aus der Innentasche. Sie hatte ihm ihre Nummer gegeben, oder? Schnell scrollte er durch die Kontaktliste. Ja. Da war sie. Dillon tippte eine Nachricht ein: Wo bist du? Er hatte sie kaum abgeschickt, da hörte er die Key Card im Schlitz, und ein paar Sekunden später öffnete sich die Zimmertür.

Grinsend ging er auf sie zu. „Hey, Darling. Ich habe dir gerade eine SMS geschickt.“ Er beugte sich vor, um sie zu küssen, doch Gloria drehte den Kopf weg.

Dillon wich ein Stück zurück, um sie besser betrachten zu können. Ihr Gesicht war völlig ungeschminkt, das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Sie trug ein paar Sportklamotten, die mehrere Nummern zu groß schienen. Dadurch wirkte sie jung, frisch und unschuldig. Daran war absolut nichts verkehrt. Es war ihr Gesichtsausdruck, der nicht stimmte.

Sie war schrecklich blass, hatte die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, und ihre hellen Augen wirkten merkwürdig dunkel, so als ob die Pupillen das ganze Blau aufgefressen hätten.

„Ich dachte nicht, dass du noch hier sein würdest“, sagte sie.

„Warum?“

„Es ist schon spät.“ Sie blickte auf ihr Handy. „Halb zehn.“

„Halb zehn? Himmel, du hast mich echt gefordert.“ Er grinste bis über beide Ohren.

Sie runzelte die Stirn.

„Was ist los?“

„Ich denke, du solltest jetzt gehen.“ Ihr Blick war zwar auf sein Gesicht gerichtet, aber sie schaute ihm nicht in die Augen. Dann wanderte ihr Blick langsam nach unten, verharrte kurz auf seiner nackten Brust, ehe er noch tiefer glitt. Sie errötete. „Hör zu, was die vergangene Nacht angeht. Es war …“

Dillon machte einen Schritt auf sie zu und berührte ihre Wange. „Absolut atemberaubend.“

Den Bruchteil einer Sekunde ließ sie die Berührung zu, ehe sie zur Seite trat. Dann schüttelte sie den Kopf. „Es war nichts.“

„Nichts?“ Er ließ die Hand fallen.

„Es war einfach nur Sex.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Vermutlich hatte ich zu viel Champagner.“

Dillon ließ sich gegen die Wand fallen. Aufmerksam betrachtete er Gloria, dann fragte er: „Willst du damit sagen, dass du die vergangene Nacht bereust?“

Sie kniff die Augen zusammen. „Das beschreibt mein Bedauern nicht mal ansatzweise.“

Heilige Scheiße. Was zur Hölle war mit ihr los? „Als du also vor Lust geschrien hast, als du mit Macht gekommen bist, da hat dir das nicht gefallen, ja?“

Ihre Augen wirkten unnatürlich groß. Sie blickte ihn an wie ein verängstigtes Tier, das nach einem Fluchtweg suchte. „Ich habe nicht gesagt, dass der Sex nicht gut war.“

„Ah ja?“

„Ich meinte nur …“ Sie atmete langsam ein und aus. „Wir mögen uns nicht.“

„Ach, nein?“

„Nein.“ Sie gestikulierte mit der Hand. „Das war nur ein Nebenprodukt von Wut und Leidenschaft, verstehst du? Weil du mich in den Wahnsinn treibst.“

Er nickte. „Das hast du ein- oder zweimal erwähnt. Zum Beispiel als ich deine Muschi mit meiner Zunge verwöhnt habe.“

Diesmal ließ sie sich gegen die Wand fallen. Sie atmete abgehackt. „Hör auf.“

„Was ist hier eigentlich los?“

Flehend blickte sie ihn an. „Es war ein Fehler. Okay?“ Sie saugte Luft in ihre Lungen, als stünde sie kurz vor dem Ersticken. „Lass es uns einfach vergessen und …“ Sie atmete tief ein und aus. „Nach vorne blicken.“

Zur Hölle noch einmal. Sie gab ihm den Laufpass. Einfach so.

„Es ist ja nicht so, als wäre da irgendetwas zwischen uns“, fügte sie noch hinzu.

Da stieß er sich von der Wand ab und machte einen Schritt auf sie zu. Dann noch einen. „Ach, wirklich?“

„Wirklich“, hauchte sie atemlos, was ihm einiges verriet – genauso wie ihr panischer Blick.

Dillon stützte sich mit einer Hand über ihrem Kopf ab und lehnte sich zu ihr. Ihre Lider flatterten, und sie hob das Gesicht, so als wünschte sie, er würde sie küssen. „Das hier fühlt sich verdammt noch mal nicht nach nichts an“, raunte er.

„Es ist aber nichts“, wisperte sie.

„Und vergangene Nacht hat sich auch nach verdammt viel angefühlt.“ Er wollte ihr Gesicht berühren, weil da wieder dieses Erröten war und er wissen wollte, wie sich ihre Haut anfühlte.

„Hat sie nicht“, leugnete sie zwischen zwei abgehackten Atemzügen.

Da beugte er sich noch weiter vor, und für eine Sekunde – vielleicht sogar noch weniger – berührten sich ihre Lippen. Doch dann duckte sich Gloria unter seinem Arm hindurch und lief ans andere Ende des Raumes. „Das wird nicht noch einmal passieren.“

„Warum nicht?“

„Das habe ich dir doch gesagt.“

„Das ergibt aber keinen Sinn.“

Kurz schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, blickte ihn eine fremde Frau an. „Du lebst nicht mal in Chicago. Wo wohnst du? In Wyoming?“

„Montana.“

„Siehst du.“ Wieder gestikulierte sie mit der Hand. „Und was bist du? Ein Farmer? Ein Rancher? Was?“

„Ein professioneller Rodeoreiter.“

„Genau!“ Sie deutete auf sich. „Und ich bin Innenarchitektin und Dekorateurin.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich wette, du weißt nicht mal, was das bedeutet.“

„Du staffierst Häuser so aus, dass sie verkauft werden können.“ Seinem Tonfall war deutlich anzuhören, was er von ihrer Überheblichkeit hielt.

„Okay. Du weißt also, was ich mache. Das spielt keine Rolle. Wir haben nichts gemeinsam.“

Dillon hob die Augenbraue. Er dachte daran, wie verdammt gut sie im Bett miteinander harmoniert hatten.

Gloria runzelte die Stirn. „Im Leben geht es nicht nur um Sex, Dillon.“

Nein. Aber grandioser Sex war ein gutes Indiz dafür, dass das Leben mit dieser Person verdammt schön sein könnte.

Moment mal. Was machte er denn da? Rasch fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Wenn man es recht bedachte, tat sie ihm einen Gefallen. Er wollte doch gar kein „für immer und ewig“. Er wollte nur ein wenig Leidenschaft und Hingabe.

Die Frau vor ihm bückte sich – ein spektakulärer Anblick – und begann, seine Sachen einzusammeln: Schuhe, Hemd, Krawatte, Jackett. Als sie alles beisammenhatte, reichte sie ihm das Bündel. „Hier.“

Er nahm die Kleider entgegen. „Willst du mir jetzt beim Anziehen helfen, so wie du mir gestern Nacht beim Ausziehen geholfen hast?“

„Ich bin sicher, das schaffst du allein.“

Da ließ er das Bündel bis auf sein Hemd fallen. „Willst du zugucken?“

„Nein.“ Sie marschierte an ihm vorbei zur Tür und öffnete sie. „Sei in fünf Minuten von hier verschwunden. Nicht später.“

„Keine Sorge, das werde ich.“

„Gut.“ Sie wartete noch ein paar Sekunden, dann sagte sie: „Mach’s gut, Dillon.“

„Wir sehen uns, Rotschopf.“ Dillon ballte die Hände zur Faust, nachdem sie die Tür hinter sich zugeknallt hatte. Ein Teil von ihm war arg in Versuchung, immer noch hier zu sein, wenn sie zurückkehrte. Es juckte ihn, sie daran zu erinnern, wie viel Spaß sie in der vergangenen Nacht gehabt hatten. Der andere Teil von ihm war froh darüber, dass sie sich so klar geäußert hatte. Er musste sich nun wirklich nicht auf einen launischen, unberechenbaren Rotschopf einlassen, der ihn für minderbemittelt hielt.

2. KAPITEL

Faith, Glorias Assistentin, betrat das Schlafzimmer des Hauses, das sie gerade herrichteten, und reichte ihr das Telefon. „Da ist ein Mr. Cross für dich in der Leitung.“

„Cross?“ Warum kam ihr der Name so bekannt vor? Sie nahm das Handy entgegen. „Hallo?“

„Hallo, Rotschopf. Wie geht es dir?“

Dillon Cross.

Nein. Einfach nein.

Sie hängte auf und gab ihrer Assistentin das Handy zurück.

„Wer war das?“

„Irgendein dummer Cowboy aus Wyoming.“ Sie tat so, als würde sie wieder den Raum begutachten, während sie nur darüber nachdenken konnte, warum Dillon Cross sie angerufen hatte. Immerhin war es drei Monate her. Nicht, dass sie Buch geführt hätte oder sich wünschen würde, dass er sie anrief. Nein, das tat sie nicht.

Ganz bestimmt nicht.

Die Tatsache, dass er keine Anstrengung unternommen hatte, sich bei ihr zu melden, bestärkte sie in der Überzeugung, dass er ein idiotischer Macho war.

Faith hob eine Braue. „Und warum ruft ein dummer Cowboy aus Wyoming dich an?“

„Es gibt keinen Grund.“ Lässig winkte sie ab. „Könntest du mir bitte mit dem Bett helfen? Es soll gegenüber der Tür stehen.“

Doch so leicht ließ Faith sich nicht abwimmeln. „Und wenn es keinen Grund gibt, warum hast du dann einfach aufgelegt?“

Gloria warf ihrer Assistentin einen Blick zu, der jeder anderen Angestellten deutlich gemacht hätte, dass sie das Thema besser fallen ließ. Dummerweise war Faith keine typische Angestellte. „Warum hast du aufgelegt?“, bohrte sie weiter.

„Weil ich nicht mit ihm reden wollte.“

„Wieso nicht?“

„Ich denke, das habe ich bereits beantwortet. Er ist ein Cowboy. Aus Wyoming.“ Sie bückte sich und begann, an dem Bett zu zerren.

„Du hast mit ihm geschlafen“, sagte ihr ihre Assistentin auf den Kopf zu.

Verdammt! Gloria richtete sich auf und wischte sich die Hände an der Hose ab. „Vielleicht. Und wenn schon?“

Faith begann, auf dem Handy herumzutippen, hielt es ans Ohr und sagte kurz darauf: „Oh, hi. Tut mir leid, aber die Verbindung ist vorhin abgebrochen. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Faith“, zischte Gloria.

„Gloria? Sicher. Sie steht neben mir.“ Faith reichte ihr wieder das Handy. „Rede mit ihm. Nur so kannst du das klären.“

Gloria verdrehte die Augen, nahm das Telefon aber entgegen und presste es gegen ihre Brust, während sie ihrer Assistentin bedeutete, zu verschwinden.

Faith salutierte und ging. Erst danach hob Gloria das Telefon ans Ohr, holte tief Luft und sagte: „Dillon? Was kann ich für dich tun?“

„Ist das eine ernst gemeinte Frage? Denn die Liste ist ziemlich lang.“ Seine Stimme klang tief und anzüglich. Außerdem schien er leicht außer Atem zu sein, was sie sofort an einen herrlich intimen Moment erinnerte, den sie nun schon seit drei Monaten zu vergessen suchte. Bislang ohne jeden Erfolg.

„Warum rufst du an?“ Sie biss sich auf den Daumen, merkte es und ließ es bleiben.

„Ich bin gerade in der Stadt, muss etwas Geschäftliches regeln und besuche meinen Cousin. Da dachte ich, ich melde mich mal. Vielleicht hast du ja Lust auf ein Treffen?“

„Ach, wirklich.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, bemerkte es und ließ es bleiben.

„Ja. Kaffee. Dinner. Oder … so was in der Art.“

„Ich bin keine Frau, die man einfach so abschleppt, falls du das im Sinn hast.“

„Ich habe nie behauptet, dass du das wärst. Nur hatten wir doch eine ganze Menge Spaß, als ich das letzte Mal hier war“, versetzte er gedehnt. Sofort musste sie an seine heißen Küsse und noch viel heißeren Liebkosungen denken.

MhmOh, nein!

„Ich dachte, daran könnten wir anknüpfen, wenn du verstehst, was ich meine?“

„Nein, vielen Dank.“

„Warum nicht?“

„Willst du eine ehrliche Antwort?“

„Ja.“

„Was da zwischen uns passiert ist, war Verzweiflung.“ Erneut kaute sie auf ihrer Unterlippe herum.

Er lachte. Nicht gerade die Reaktion, mit der sie gerechnet hatte.

Gloria schloss die Augen. Seine Stimme erinnerte sie an alles, was er ihr in jener Nacht ins Ohr geflüstert hatte. „Ich werde dir deine Kleider ausziehen, ganz langsam und genüsslich, während ich dich küsse. Ich werde jeden Zentimeter deines Körpers …“

Nein.

„Leb wohl, Dillon. Ruf mich nicht wieder an. Wenn du einen One-Night-Stand suchst, dann bist du bei mir an der falschen Adresse.“ Erneut legte sie auf, warf das Handy aufs Bett – das immer noch völlig falsch stand – und stieß den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte.

Wenige Sekunden später kam Faith herein. Ganz offensichtlich hatte sie alles mit angehört. Sie musterte Gloria von oben bis unten, dann schüttelte sie den Kopf und murmelte: „Du steckst in Schwierigkeiten, Mädchen.“

„Nein, tu ich nicht.“

Faith schaute sie skeptisch an. „Du willst ihn. Das ist eindeutig.“

„Nein, das stimmt nicht. Jetzt lass uns …“

„Ich verstehe nicht, wieso du das heiße Sex-Angebot des dummen Cowboys nicht annimmst? Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber du könntest es gebrauchen.“

„Was soll das denn heißen?“ Gloria funkelte ihre Assistentin empört an.

„Du bist so was von verspannt. Da klingt doch eine heiße Nacht mit einem sexy Cowboy geradezu göttlich.“ Faith klimperte mit den Wimpern und fächelte sich Luft zu. „Ich wette, er hat ein Lasso, mit dem er dich fesseln kann!“ Sie schloss die Augen und wiegte sich vor und zurück, so als stellte sie sich gerade irgendwelches Bondage-Zeug vor.

Gloria lehnte sich gegen das Bett und seufzte. „Genug.“

„Warum?“

„In seiner Nähe verliere ich die Kontrolle, okay? Bist du jetzt zufrieden?“

Faith schlang die Arme um sich. „Das ist doch toll.“

„Nein, ist es nicht. Die Art und Weise, wie ich die Kontrolle verliere, ist nicht toll.“ Das stimmte nicht ganz. Eine Erinnerung holte sie ein – eine gute. Dillon, der ihre Beine weit spreizte, damit er sich in ihr bewegen konnte … Gloria hatte sich so ausgefüllt und befriedigt gefühlt in diesem Moment. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie es ihr danach ergangen war: das Gefühl, nicht atmen zu können. Keine Luft zu bekommen. Ihr Puls, der raste.

Panik.

Das würde sie keinesfalls noch einmal zulassen.

Dillon gesellte sich zu seinem Cousin in die Umkleidekabine des privaten Boxclubs, den Jamie und sein Zwillingsbruder Colin führten. Der Club wurde von Chicagos Sportlerelite frequentiert. Jedes Mal, wenn Dillon in der Stadt war, schaute er hier vorbei, um mit seinen Cousins eine Runde in den Boxring zu steigen. Doch das war nicht der einzige Grund, warum er hier war. Er hatte einen Termin mit Jamie, weil der Experte für Familienrecht war.

„Also“, sagte Jamie, als er aus der Dusche stieg und sich ein Handtuch um die Hüften schlang, „Gloria hat also Nein gesagt?“

„Ach, was. Sie tut nur so, als wäre sie schwer zu haben.“ Dillon löste die Tapes von seinen Händen.

„Du hast wirklich keinen blassen Schimmer von Frauen, oder, Dill?“

„Machst du Witze? Frauen sind wie störrische Bullen, und diese hier tut ihr Bestes, um mich glauben zu lassen, sie wolle mich abwerfen. In Wahrheit wünscht sie sich aber, dass ich einen Weg finde, sie zu reiten.“

„Das hast du gerade nicht getan.“

„Was?“

„Gloria mit einem Bullen verglichen.“

„Ich mag Bullen.“

Jamie prustete los. „Kein Wunder, dass du kein Date kriegst.“

Dillon knüllte das Tape zu einem Knäuel zusammen und warf es quer durch den Raum in den Mülleimer. „Oh, ich kann ein Date bekommen.“

„Nicht mit Gloria. Wenn sie einmal entschieden hat, dass sie dich nicht mag, dann mag sie dich nicht.“

„Nur, dass sie mich sehr wohl mag.“

„Ja, klar.“

„Und sie will mich wiedersehen.“

„Glaube ich nicht. Diesmal nicht.“ Jamie stand vor dem Spiegel, sprühte etwas Rasierschaum in seine Hand und begann, sich einzuseifen. „Sie wird nicht mit dir ausgehen.“

„Willst du darauf wetten?“

„Ernsthaft? Du willst darauf wetten, dass du ein Date mit der besten Freundin meiner Frau kriegen kannst?“ Jamie lachte. „Ich denke nicht.“

Dillon riss den Vorhang der Dusche zur Seite, trat ein und zog ihn dann wieder zu. „Hundert Dollar“, rief er, als er das Wasser anstellte.

„Zweihundert“, brüllte Jamie zurück. „Das deckt ungefähr meinen Stundensatz.“

Dillon griff lachend zur Seife, duschte schnell und schlüpfte danach in seine Jeans und in ein frisches weißes Hemd. Sich im Spiegel betrachtend, fuhr er sich mit der Hand durchs Haar.

Was machte er hier eigentlich? Es gab genug kompetente Anwälte zu Hause in Montana. Dennoch handelte es sich um eine etwas sensible Angelegenheit. Insofern war es schon sinnvoll, dass er den Rat seines Cousins einholte.

Und dann war da noch der Rotschopf.

Er wollte sie wiedersehen. Nach der Hochzeit hatte er eigentlich vorgehabt, sie anzurufen, doch dann war der ganze Mist mit Kenny passiert, und er hatte andere Dinge zu tun gehabt. Jede freie Minute verbrachte er bei ihm im Krankenhaus, oder er kümmerte sich um Kennys Ranch. Es war schrecklich gewesen, mit ansehen zu müssen, wie sein bester Freund zugrunde ging. Die Schuldgefühle machten es nur noch schlimmer.

Doch hier in Chicago … Nun, als er gelandet war, hatte er nicht an das Testament gedacht, das er bei sich trug. Nein, sein erster Gedanke hatte dem Rotschopf gegolten. Gloria Rose Hurst. Er mochte den Klang ihres vollen Namens.

Dillon schnappte sich seine Jacke und die Aktenmappe aus dem Spind, dann machte er sich auf die Suche nach seinem Cousin, der in dem kleinen Büro im hinteren Teil des Boxclubs telefonierte.

„Die pinkfarbenen“, hörte er Jamie sagen. „Die mag ich am liebsten.“ Pause. „Ich weiß, dass sie nicht lange halten – das liegt daran, dass du ohne sie sogar noch besser aussiehst, aber …“

Dillon räusperte sich.

„Oh. Ich muss Schluss machen. Ich liebe dich auch.“

Sein Cousin war derart glücklich verheiratet, dass Dillon es kaum fassen konnte. Nicht, dass Jamie es nicht verdient hätte – Daisy war umwerfend –, aber Dillon war überzeugt, dass die Begeisterung seines Cousins zumindest teilweise gespielt sein musste. Niemand konnte derart verliebt sein.

„Bist du sicher, dass wir hier darüber reden sollen? Wir könnten auch in meine Kanzlei gehen“, sagte Jamie, nachdem er aufgelegt hatte.

„Nein, ist schon in Ordnung.“ Dillon setzte sich ihm gegenüber und reichte ihm die Aktenmappe. „Das ist praktisch alles. Der Letzte Wille von Kenny Wells.“

Jamie nahm die Mappe entgegen, suchte aber Dillons Blick. „Es tut mir wirklich leid, Dill. Ich erinnere mich an Kenny. Ihr zwei kanntet euch ja schon seit Ewigkeiten.“

„Ja.“ Dillon lehnte sich zurück. Er wünschte, er trüge seinen Cowboyhut, damit er ihn sich tief ins Gesicht ziehen konnte. Kenny und er waren beste Freunde gewesen, obwohl beste Freunde nicht das taten, was er gemacht hatte.

„Was war es?“

Er holte tief Luft. „Nierenkrebs. Irgendeine seltene Art, die eigentlich nur Männer über sechzig bekommen. Es war sehr aggressiv.“

„Mein Gott. Und er war innerhalb eines Monats tot?“

Dillon nickte. „Es wurde viel zu spät diagnostiziert.“ Kenny hatte ein ganzes Jahr lang über Rückenschmerzen geklagt, aber welcher Rodeoreiter tat das nicht? Als die Diagnose gestellt war, dauerte es nur noch vier Wochen. Es war, als würde Kenny von irgendetwas innerlich aufgefressen werden. Und das Schlimmste war, dass Dillon nur noch das Bild von Kenny vor sich sah, wie er bis zum Skelett abgemagert im Bett des Hospizes gelegen hatte.

„Und du bist also der Nachlassverwalter?“, fragte Jamie und blätterte die ersten Seiten des Testaments durch.

„Ja.“

Nachdem er auch noch den Rest gelesen hatte, bildete sich eine kleine Furche auf seiner Stirn. „Ähm, Dill? Du weißt schon, dass du ein bisschen mehr bist als der Nachlassverwalter, oder?“

Dillon zuckte die Achseln.

„Er hat dir die Ranch hinterlassen.“

„Ja.“

„Wofür brauchst du mich dann?“

„Ich will sie nicht.“

„Warum nicht? Du warst doch total unglücklich, als deine Eltern damals die Familienranch verkauft haben. Ich dachte immer, dass du auch eine Ranch willst, sobald du den Rodeo-Kram aufgibst.“

Wieder zuckte Dillon die Achseln. Jamie und er standen sich nahe, aber es gab Dinge, die man nicht mal den engsten Menschen um sich herum erzählte. „Nein. Zu viel Arbeit.“

Jamie sah ihn zweifelnd an, doch es spielte keine Rolle, ob sein Cousin ihm glaubte oder nicht. „Du musst mir helfen, die Ranch loszuwerden.“

3. KAPITEL

Die gewohnte Angst begleitete Gloria zu dem monatlichen Besuch ihres Vaters. Als sie noch zehn Minuten entfernt war, machten sich die allzu vertrauten Symptome bemerkbar: Ihre Haut begann zu kribbeln, und ihre Brust schnürte sich zu.

Zwei Blocks von ihrem Elternhaus in Oak Park entfernt, fand sie einen Parkplatz. Es war schon Jahre her, dass sie direkt vor dem Haus geparkt hatte – es war ihr einfach zu peinlich. Wie immer brauchte sie ein paar Minuten, um genug Mut zu sammeln, auszusteigen. Schließlich griff sie nach ihrer Handtasche, setzte Strohhut und Sonnenbrille auf, schnappte sich die riesige Tüte voller Tiefkühlgerichte und verließ den Wagen.

Selbst nach all den Jahren, die sich das Haus nun schon in diesem Zustand befand, schockte sie der Anblick jedes Mal aufs Neue. In ihrer Vorstellung sah das Haus immer noch so aus wie zu Lebzeiten von Mom – damals war Gloria dreizehn gewesen. Unzählige hübsche Blumenkästen und – töpfe zierten die Veranda vor dem Haus. Der Vorgarten war immer gepflegt, auch wenn es vielleicht ein Vogelhäuschen oder eine Keramikfigur zu viel gab. Das Innere des Hauses war mit Schätzen gefüllt, die Sammlung ihrer Mom. Aber alles war immer ordentlich, immer einladend.

Jetzt stand sie am Zaun und starrte voller Entsetzen auf das Bild, das sich ihr bot. Der Vorgarten war völlig zugemüllt mit rostigen Fahrrädern, uralten Gerätschaften, Autoreifen, Toilettenschüsseln, Müllsäcken voll unbekannten Inhalts, halb leeren Farbeimern, Rasenmähern, Hunderten zerbrochenen Pflanzentöpfen sowie einem zerfledderten Trampolin, das aussah, als wäre es von einem Tornado dorthin geschleudert worden. Kein einziger Grashalm war mehr sichtbar, und der Weg zwischen Gartentor und Haustür wurde mit jedem ihrer Besuche schmaler.

Und dann war da noch der Gestank.

Gloria legte die Hand über Mund und Nase, während sie sich mit tränenverschleiertem Blick den Weg durch den Unrat zur Haustür bahnte. Die Veranda, auf der sie an heißen Sommertagen immer gesessen hatten, war genauso zugemüllt wie der Garten. Gloria sah kaputte Möbelstücke, Regenschirme, einen Einkaufswagen und zerbeulte Abfalleimer.

Oh Gott.

Sie streckte den Arm aus, um zu klingeln, doch die Türglocke war nicht mehr angeschlossen. Nackte Kabel starrten aus der klaffenden Öffnung. Also pochte sie mit der Faust gegen die Tür.

„Dad?“ Poch, poch, poch. „Dad, ich bin’s. Mach auf. Hier ist Gloria.“

Sie hielt den Blick starr auf die Tür gerichtet, voller Angst, sich umzudrehen und von irgendjemandem mit diesem Messie-Haushalt in Verbindung gebracht zu werden. All die Scham und die Demütigung ihrer Teenagerjahre kamen wieder hoch. Nie hatte sie Freunde mit nach Hause gebracht – nicht mal Daisy –, geschweige denn ein ernsthaftes Date. Was hätte der Junge von ihr auch denken sollen?

Ein riesiger Kloß breitete sich in ihrem Magen aus.

Poch, poch, poch.

Ihr Vater war zu Hause. Das wusste sie. Er war zu einem Nachtmenschen geworden, der tagsüber in seinem Müllhaufen saß und erst nachts aus seiner Höhle kroch, um die Container der Gegend zu inspizieren und nach „völlig intakten Sachen zu suchen, die andere Leute einfach wegwerfen.“

„Dad“, rief sie laut. Sie hasste es, Aufsehen zu erregen.

Ein Riegel wurde gelöst, mehrere Kettenschlösser geöffnet und dann schließlich die Tür einen Spalt geöffnet. Die wässrig-blauen Augen ihres Vaters blickten sie hinter großen Brillengläsern an. „Oh, Gloria Rose. Du bist es. Was machst du hier?“

Eine gute Frage. Sie schluckte die Bitterkeit hinunter und hob die Einkaufstasche in die Höhe. „Essen auf Rädern“, antwortete sie mit künstlichem Lächeln.

Das Lächeln ihres Vaters dagegen war echt. Seine Augen leuchteten derart auf, als würde sie dies nicht einmal im Monat tun. Der Anblick brach Gloria das Herz.

„Du bist ein wahrer Schatz. Komm herein!“ Er öffnete die Tür weiter, wodurch Gloria ein Blick auf den völlig zugestellten Flur erhaschen konnte. Hauptsächlich waren es Zeitungen, Broschüren und alte Bücher, die sich vom Boden bis zur Decke stapelten. Ihr Vater lebte in einer wahren Feuerfalle. Ein Sarg voller Zeugs.

„Oh Dad.“ Wie in aller Welt konnte er nur so leben?

„Du musst erst hereinkommen, damit ich die Tür schließen kann.“

Gloria schüttelte den Kopf. Sie schaffte das einfach nicht. Die Stapel waren klaustrophobisch. „Können wir uns heute draußen treffen, Dad? Ich fühle mich nicht so gut.“

Er kaute auf seiner Unterlippe, rieb sich das Gesicht und richtete seine Brille. Sein nervöses Verhalten war über die Jahre immer schlimmer geworden. Ehe er jedoch die Chance hatte, zu antworten, ertönte am Ende der Straße eine Sirene, die immer näher kam. Ihr ohnehin schon blasser Vater wurde kalkweiß. „Komm rein, Glo. Sofort!“

Erneut schüttelte sie den Kopf und hielt ihren Dad an der Hand fest. Sie hatte keinen Schimmer, was hier vor sich ging, aber sie ahnte, dass sie jetzt für ihn da sein musste.

Der Streifenwagen hielt vor dem Gartentor, gefolgt von einem städtischen Fahrzeug mit dem Logo des Gesundheits- und Ordnungsamts.

„Diese Mistkerle“, zischte ihr Vater leise. „Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?“

Zwei uniformierte Officer stiegen aus dem Streifenwagen. Als sie das Haus und den Garten betrachteten, war ihren Gesichtern der Abscheu deutlich anzusehen. „Mr. Andrew Hurst?“, fragte der Größere der beiden, während er versuchte, bis zur Haustür vorzudringen. An mehreren Stellen musste er dem Gerümpel ausweichen.

„Wer will das wissen?“

Gloria drückte die Hand ihres Vaters. Wieder einmal verengte sich ihr Blickfeld. Sie sah Pünktchen und spürte Panik aufkeimen.

„Das Sheriffs-Department von Cook County. Sie stehen unter Arrest.“

Gloria saß an ihrem Schreibtisch und starrte blicklos auf den Bildschirm. Sie sollte einfach nach Hause fahren und schlafen, nur dass sie das nicht konnte, weil ihr Vater dort war und „arbeitete“. Es bedeutete, dass er Anwälte anrief und wütende Briefe über seine Bürgerrechte ans Justizministerium schickte. Und wenn er das nicht tat, dann schrie er vermutlich übers Telefon irgendeinen armen Sachbearbeiter an, welch schreckliches Unrecht ihm widerfuhr.

Ihm widerfuhr ein Unrecht? Was war denn eigentlich mit dem Unrecht, das sie erdulden musste? Ihre kompletten Ersparnisse – siebzigtausend Dollar – waren dafür draufgegangen, um die Strafgelder zu bezahlen, die wegen Störung der öffentlichen Ordnung über ihren Vater verhängt worden waren. Wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, zu zahlen, hätte er diesmal ins Gefängnis gemusst.

Bye-bye, Rücklagen.

Dennoch war sie auch froh. Nicht nur, weil das Ordnungsamt den Garten als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eingestuft und einen Termin festgelegt hatte, um das Haus zu inspizieren. Auch das würde man zum Abriss freigeben. Das ganze Anwesen stand kurz vor dem Einsturz.

Es bedeutete, dass ihr Vater nicht dorthin würde zurückkehren können.

Faith betrat ihr Büro und brachte ihr eine Tasse Tee, dann ließ sie sich auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder. Gloria hatte ihr erzählt, was geschehen war. Schlussendlich hatte sie sich jemandem anvertrauen müssen.

„Und nun?“, fragte ihre Assistentin. „Was hast du vor?“

„Ich habe keine Ahnung.“ Gloria schüttelte den Kopf. „Ich liebe meinen Dad. Ich will ihm helfen. Aber er ist krank, und er braucht professionelle Hilfe. Diese Art von Hilfe kann ich allerdings nicht bezahlen, und seine Lehrer-Pension reicht dafür auch nicht.“

„Hm.“ Faith trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Wo wir gerade von Geld sprechen, hast du den Vertrag gesehen, der heute Morgen reinkam?“

„Welchen?“

Sie stand auf, umrundete Glorias Tisch, zog die Tastatur heran und tippte kurz darauf herum. Im nächsten Moment las Gloria die E-Mail eines Immobilienmaklers aus irgendeinem Ort namens Half Moon Creek, Montana. Eine große Ranch sollte auf den Markt gehen und brauchte eine erfahrene Innenarchitektin, die sie für den Verkauf vorbereitete. Das Schreiben des Maklers besagte, dass sein Kunde eine ganz bestimmte Art Käufer finden wollte, weshalb er um Glorias Expertise gebeten hatte.

„Was zur Hölle?“, murmelte Gloria und klickte den angehängten Vertrag an.

„Kennst du jemanden in Montana?“, fragte Faith.

„Nein.“

„Woher haben sie dann deinen Namen?“

„Keine Ahnung.“ Noch einmal las sie die Mail. „Und was meinen sie mit eine ganz bestimmte Sorte Käufer? Das klingt wie ein Code für irgendwas.“

„Ich habe gerade einen Artikel über all die Promis gelesen, die sich derzeit Ranches in Montana kaufen.“

„Wer zum Beispiel?“

„David Letterman, Dennis Quaid, Michael Keaton, Harrison Ford …“

Überrascht blickte Gloria ihre Assistentin an.

„Was?“ Faith lächelte verschmitzt. „Ich lese einfach gerne Klatschgeschichten. Promis besitzen schöne Häuser, und Leute mit schönen Häusern heuern Leute wie uns an.“

„Ich wette, es war einer der Typen von der Spendenaktion, die ich vergangenes Jahr für Daisys Bäckerei veranstaltet habe“, sagte Gloria, die sich immer noch den Kopf zerbrach, wer sie für diesen Job in Montana empfohlen haben könnte.

„Möglich.“ Faith deutete auf die geöffnete E-Mail. „Du hast das Beste noch gar nicht gelesen. Geh mal zur letzten Seite.“

Gloria scrollte hinunter und las den Rest der Vertragsvereinbarung. „Hier heißt es, sie wollen 2,5 Prozent der Verkaufssumme an uns zahlen“, murmelte sie. „Machen die Witze? Keine Pauschalvergütung?“

„Nein.“

„Weißt du, für welche Summe Farmen dieser Größenordnung so verkauft werden?“

Erneut griff Faith nach der Computermaus und öffnete eine Datei, an der sie noch vor einer Viertelstunde gearbeitet hatte. Es handelte sich um eine Marktpreisanalyse.

„Heilige Scheiße“, murmelte Gloria.

Sie lehnte sich zurück und überdachte ihre Möglichkeiten. Mit diesem einen Auftrag konnte sie genug verdienen, um die Firma die nächsten sechs Monate über Wasser zu halten und sich selbst und Faith einen netten kleinen Bonus auszuzahlen. Und wenn der Auftrag zu weiteren, ähnlich lukrativen Engagements führte, wären sie aus dem Schneider. Aber dazu müsste sie ihren Vater allein lassen … Keine gute Idee.

In diesem Moment legte ihr Faith eine Hand auf die Schulter. Es war, als könnte ihre Assistentin Gedanken lesen. „Dein Vater ist ein erwachsener Mann, Glo“, sagte sie. „Er hat sich selbst in diese Lage gebracht, und es ist auch an ihm, sich da wieder herauszukämpfen.“

„Ich weiß, aber …“

„Ich werde ein Auge auf deinen Dad werfen und auch auf deine Wohnung. Versprochen.“

Gloria dachte über das Angebot nach. Sie wusste, dass sie es ablehnen sollte, doch andererseits … Ach, Himmelherrgott! „Ich schätze, es kann nicht schaden, wenn ich mal nach Montana fliege, um nachzuschauen, ob das ein ernst gemeinter Auftrag ist.“

„Ja, das sehe ich auch so.“

Gloria grinste. „Also gut, dann mache ich das.“

„Yeehaw!“ Faith klopfte ihr auf den Rücken. „Montana – hier kommt Gloria!“

Dillon wartete auf Max Ozarks Ankunft. Er war der einzige Immobilienmakler in Half Moon Creek – außerdem der Bürgermeister und Besitzer des Gold Dust Hotels. Nicht etwa, weil er besonders ehrgeizig gewesen wäre, sondern weil keine seiner drei Tätigkeiten allein ihn ausfüllte. Max hatte ihn vor einiger Zeit angerufen, um Dillon mitzuteilen, dass Gloria im Hotel eingecheckt hatte und er sie heute Nachmittag zur Ranch bringen würde.

Dillon selbst arbeitete schon seit dem Morgengrauen auf der Ranch und hatte sich eine Pause verdient. Deshalb sattelte er einen jungen Hengst, um einen Ausritt zu machen. Für Mai war es ein ungewöhnlich heißer Tag. Die Hitze führte unweigerlich dazu, dass er an den feurigen Rotschopf denken musste. Zwischen den sanften Hügeln Montanas, den grünen Wiesen und plätschernden Bächen konnte er sich das City-Girl kaum vorstellen. Hier grenzte der Beaverhead National Forest an das Land und nicht der Lake Michigan. Es würde interessant sein zu sehen, wie sie damit klarkam.

Genauso interessant wie die Frage, wie sie mit ihm, Dillon, umgehen würde.

Ob sie überrascht sein würde, ihn zu sehen? Nein. Sie musste eins und eins zusammengezählt haben, als sie den Vertrag las. Wen kannte sie sonst schon in Montana?

Die Tatsache, dass sie den Vertrag sofort unterzeichnet hatte und kaum eine Woche später herkam, sagte einiges. Grinsend betrachtete er das Anwesen seines Freundes Kenny. Die Silver Tree Ranch war nicht ganz so groß wie die Ranch, auf der Dillon aufgewachsen war, aber sie lag malerisch zwischen Hügeln und Tälern, Wäldern und Bächen. Die Berge der Rocky Mountains zeichneten sich in der Ferne ab. Kenny und er waren Nachbarn gewesen. Sie gingen zusammen zur Schule, heckten die typischen Teenager-Streiche aus und begannen gemeinsam, auf Bullen zu reiten. Ab da fing der Konkurrenzkampf an. Sie stritten um bessere Zeiten, Titel und Frauen.

Char, zum Beispiel.

Dillon und Char waren zuerst miteinander ausgegangen, doch ehe Dillon sich versah, hatte Kenny sie geheiratet. Was ihn mehr verletzt hatte, als er zugeben wollte. Vermutlich wäre er immer noch auf Kenny sauer gewesen, wenn Char sich nicht zwei Jahre nach der Hochzeit plötzlich von Kenny getrennt hätte. Char war einfach abgehauen, und Kenny und Dillon nahmen ihre Freundschaft wieder auf, ohne jemals wieder über sie zu reden.

Als Dillon den alten Aussiedlerhof erreichte, den sie liebevoll Hundehütte nannten, zügelte er den Hengst. Sie standen auf einer Anhöhe, von der aus man einen guten Blick über die Ranch-Gebäude in der Ferne hatte – vor allem auf das große Blockhaus am Rande des Teichs. Dahinter wand sich der Bach, und im Westen lag der Wald.

Dillon reckte den Kopf, um die Straße zu überblicken. Mehrere Wagen brausten über die Schotterpiste, die zur Ranch führte. Wenn er die Abkürzung über den Bach nahm, würde er kurz nach ihrer Ankunft dort eintreffen. Mit sanftem Fersendruck und Zungenschnalzen trieb er den Hengst an. Sobald die Gebäude ins Blickfeld gerieten, ritt er direkt auf den Stall zu, stieg ab und führte das Pferd zu Curtis, einem der Stallburschen. „Kannst du ihn für mich übernehmen?“, bat Dillon. „Max ist hier.“

„Sicher.“ Curtis, ein junger Mann, der wenig Worte machte, schien nicht sonderlich begeistert, als er den Namen des Maklers hörte. Dillon konnte es ihm nicht verdenken. Immerhin stand Curtis’ Job auf dem Spiel, sobald Dillon die Ranch verkaufte.

Kurz tätschelte er den Hals des Pferdes, dann übergab er es an Curtis und machte sich auf den Weg zum Waschbecken am Ende des Stalls. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und in den Nacken. Beinahe sah er Glorias Verachtung vor sich angesichts des Bildes, das er abgab. Warum zur Hölle amüsierte ihn der Hochmut des kleinen Rotschopfs nur so?

Verdammt, aber er benahm sich wie ein junger Mann kurz vor seinem ersten Date.

Eines war klar: Er konnte es nicht abwarten, sie wiederzusehen.

4. KAPITEL

Mit dem Smartphone in der einen und dem Laptop in der anderen Hand machte Gloria Fotos von dem riesigen Ranch-Gebäude. Es war umwerfend und zum Glück viel neuer, als sie erwartet hatte, denn es würde eine Menge Arbeit werden, das ganze Gebäude auszustatten. Rasch machte sie eine weitere Aufnahme von der Küche, ehe sie Max Ozark ins Wohnzimmer folgte. Nein. Kein Wohnzimmer, das hier war schon ein Salon!

Wie von selbst wanderte der Blick zunächst zu der grandiosen Decke mit ihren massiven Holzbalken. Der Raum war bestimmt fünf Meter hoch. Die komplette Westseite bestand aus Panoramafenstern, die die Aussicht auf den angrenzenden Teich, den Wald und die Berge im Hintergrund freigaben.

„Wow, das ist ja spektakulär“, sagte Gloria, bevor sie weitere Fotos schoss.

„Ja, es hat Potenzial“, erwiderte Max, der während der ganzen Tour auf einem Zahnstocher herumkaute.

Gloria lehnte sich gegen die Wand, öffnete ihren Laptop und vervollständigte die wachsende To-do-Liste. Rasch fertigte sie eine grobe Skizze des Raumes an und markierte die Stellen, an denen neue oder wieder aufgearbeitete Möbel stehen sollten. Von den acht Schlafzimmern – ja, acht an der Zahl! – und den sich daran anschließenden Badezimmern hatte sie bereits Skizzen gemacht. Und dann war da ja noch die riesige Küche, das mindestens ebenso große Esszimmer, das Arbeitszimmer, das Foyer … Seufzend schloss sie den Laptop. „Wofür braucht jemand acht Schlafzimmer?“, murmelte sie.

„Der vorherige Besitzer wollte das Ganze als Gäste-Ranch betreiben.“

„Was ist passiert?“

„Er ist gestorben.“

„Oh, das tut mir leid. Haben Sie ihn gekannt?“

„Ja. Er war noch jung. Krebs.“ Max schüttelte traurig den Kopf. „Jeder hielt ihn für verrückt, dass er so etwas baut.“ Seine Geste umfasste das ganze Haus. „Mein Kunde eingeschlossen. Er hat alles geerbt und findet es vermutlich zu groß, um es selbst zu behalten.“

Gloria blinzelte. Plötzlich sah sie das Gebäude mit ganz neuen Augen. Als Gäste-Ranch wäre es perfekt. „Nach welcher Art Käufer suchen wir denn dann? Nach jemandem, der das Ganze als Business betreiben will?“

„Entweder das oder wir finden einfach jemanden mit Geld wie Heu. Es könnte ein Promi sein oder ein Firmenboss, der ein paar Wochen im Jahr den Cowboy spielen will. Solange der Käufer bereit ist, die Ranch wie bisher zu betreiben – mit allen Angestellten. Das ist meinem Kunden wichtig.“

„Hm.“ Gloria legte den Bleistift gegen die Lippen. „Es wird verdammt viel Arbeit werden, einen Käufer von der Sorte, die Sie im Sinn haben, zu finden.“

„Wovon reden wir genau?“

„Nun …“ Gloria öffnete wieder den Laptop. „Alles ist ziemlich neu, dennoch würde ich gern ein paar High-End-Geräte in die Küche integrieren. Außerdem muss alles neu gestrichen werden, damit es frisch wirkt. Die meisten Möbel müssen raus, und dann werden wir tonnenweise neue reinbringen müssen, um das Haus zu füllen.“

Sie blickte sich um. „Ein neues Lichtkonzept könnte nicht schaden. Und dann müssen wir natürlich noch Akzente setzen: Teppiche, Kunst, Deko-Objekte.“ Sie schloss den Laptop. „Wenn Sie einen High-End-Käufer wollen, dann müssen Sie auch High-End-Materialien verwenden. Es wird teuer werden, und es gibt keine Garantien.“

Max nickte. „Ich bespreche das mit meinem Kunden, aber ich bin ziemlich sicher, dass er das absegnen wird.“

„Und was ist, wenn wir die Sachen nicht mieten können? Ist Ihr Kunde finanziell so aufgestellt, dass er die Sachen notfalls auch kaufen kann?“

„Wir können ihn fragen.“

Nicht zum ersten Mal fragte Gloria sich, wer der mysteriöse Kunde war.

„Also“, sagte Max. „Was meinen Sie?“

Sie lächelte. „Ich finde, es ist ein verdammt aufregendes Projekt!“

„Gut, das freut mich zu hören. Sie wurden wärmstens empfohlen.“

Tatsächlich? Sie wollte gerade fragen, wer sie denn empfohlen hatte, als Max in Richtung Fenster nickte. „Ich habe den Kunden gerade vorbeireiten sehen. Was halten Sie davon, wenn wir zu ihm gehen und die Details mit ihm besprechen? Dann kann er Ihnen den Rest des Anwesens zeigen.“

„Klingt gut.“

Gloria gingen bereits unzählige Ideen durch den Kopf. Sie wollte das Ganze im South-Western-Stil einrichten, der aber immer wieder durch moderne Akzente aufgebrochen wurde. Das Blockhaus mit seinen warmen Honig-Tönen war ideal geeignet für farbenfrohe Möbel und Dekorationen. Während sie Max hinaus in den Hof folgte, notierte sie Ideen in ihren Laptop, ehe sie sie wieder vergaß.

Als sie schließlich aufblickte, war alles, was sie sah, ein großer Mann, der auf sie zukam. Die Sonne in seinem Rücken blendete sie, sodass sie seine Gesichtszüge nicht ausmachen konnte.

„Hi, Gloria. Schön, dass du gekommen bist.“

Diese Stimme. Sie löste sofort Erinnerungen aus.

Oh nein.

Als sie die Augen gegen die Sonne abschirmte, erkannte sie ihn. „Dillon?“

„Ja, das bin ich.“

„Was zur Hölle tust du hier?“

Als er ein paar Schritte auf sie zumachte, taumelte sie zurück.

„Was meinst du damit?“

„Das, was ich sage: Was. Tust. Du. Hier?“

Er runzelte die Stirn. „Die Ranch gehört mir. Zumindest im Moment. Bis du mir hilfst, sie zu verkaufen.“ Er breitete die Arme aus. „Herzlich willkommen.“

Gloria konnte es nicht fassen. Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast mich ausgetrickst, damit ich hierherkomme?“

„Dich ausgetrickst?“ Dillon legte den Kopf leicht schräg. Die weite Krempe seines Cowboyhuts verbarg seine Augen. „Das denkst du?“

„Ja, genau das denke ich.“ Gloria reckte trotzig ihr Kinn vor. Himmel, der Mann war wirklich groß. Das hatte sie ganz vergessen. „Aus welchem Grund, kann ich allerdings nur vermuten.“

Der Makler räusperte sich, woraufhin Dillon sich zu ihm umdrehte. „Max, gibst du uns bitte ein paar Minuten?“

„Na klar.“

Dillon wartete, bis Max außer Hörweite war. „Was hast du denn geglaubt, wer hinter dem Vertrag steckt?“

Gloria biss sich auf die Lippe. „Nun …“

„Wen kennst du in Montana außer mir?“

„Oh, ähm …“

„Irgendjemanden?“ Mit jedem Schritt, den er auf sie zu machte, wurde seine Stimme tiefer.

„Ich dachte, du lebst in Wyoming“, verteidigte sie sich schwach.

„Wie kommst du denn darauf?“

Ehe sie antwortete, überlegte sie kurz. Sie hatte eine vage Erinnerung, dass Dillon ihr erzählt hatte, wo er lebte – zweimal sogar –, also warum war ihr das nicht mehr eingefallen? Sie versuchte, sich einzureden, dass es ihr einfach nicht wichtig gewesen war, doch das stimmte nicht.

Gott, ich bin eine solche Idiotin!

Erneut runzelte er die Stirn. „Pass auf, Gloria, ich will diese Ranch verkaufen, und dazu brauche ich jemanden wie dich. Du bist die einzige geeignete Innenarchitektin, die ich kenne.“

Sie legte den Kopf so weit in den Nacken, dass es fast wehtat. Das machte er absichtlich! Er kam immer näher, sodass sie das Gefühl hatte, winzig zu sein. Ihr Instinkt drängte sie zurückzuweichen, doch das tat sie nicht. Nein, sie würde hier ihre Frau stehen.

„Es gibt da eine ganz erstaunliche Sache namens Internet. Alles, was du tun musst, ist, das Wort Innenarchitektin in die Suchmaschine einzutippen, und schon kriegst du eine ganze Liste von Leuten. Es ist wirklich fantastisch.“

Vielleicht war sie nicht in der Lage, seinen Blick zu lesen, aber es war unübersehbar, dass er die Zähne zusammenbiss. Schließlich entgegnete er: „Ich mag nicht in der großen Stadt aufgewachsen sein, aber deshalb bin ich nicht blöd.“

„Das habe ich nie …“

„Nein, aber du hast es unterschwellig angedeutet.“

Gloria öffnete bereits den Mund, um es abzustreiten, doch dann hielt sie inne. Auch wenn sie seine Augen nicht sehen konnte, so spürte sie die Intensität seines Blickes. Er forderte sie geradezu heraus, die Beleidigung zu leugnen.

„Es tut mir leid.“

Wieder biss er die Zähne zusammen. Aus irgendeinem Grund musste sie gegen den irrationalen Drang ankämpfen, seine Wange zu berühren. Rasch ballte sie die Hände zu Fäusten, um nur ja nichts Dummes zu tun.

„Hör zu, Gloria, ich habe keine Ahnung, warum du der Ansicht zu sein scheinst, ich wäre ein Arschloch mit Hintergedanken, aber das ist der Deal: Ich habe gesehen, wie effizient du letztes Jahr die Spendenaktion für Daisy organisiert hast. Laut Jamie hast du das in weniger als einem Monat geschafft. Du bist strukturiert, professionell und erfahren. Du kannst diesen Job erledigen, und das ist es, was ich brauche.“

Den letzten Teil sagte er so leise, dass sie nicht sicher war, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Sie wusste nur, dass die Worte ein Prickeln in ihrem Körper auslösten.

Dillons Blick glitt von ihr zu der sie umgebenden Landschaft. „Und ich will diese Ranch so schnell wie möglich verkaufen.“

Gloria stieg in ihren Wagen, startete den Motor und fuhr los. Gott, was stimmte bloß nicht mit ihr? Warum verhielt sie sich wie eine Närrin?

Dillon. Das stimmte nicht mit ihr. Der Mann hatte irgendetwas an sich, das sie in den Wahnsinn trieb. Ja, irgendetwas an ihm ging ihr dermaßen unter die Haut, dass sie noch verrückt wurde. Sie holte tief Luft und atmete dann langsam wieder aus.

Wenigstens hatte sie diesmal keine Panikattacke erlitten. Das war ein gutes Zeichen. Warum sie beim letzten Mal so heftig reagiert hatte, wusste sie immer noch nicht, denn es gab ja wirklich keinen Grund dafür. Immerhin war es schon vier Jahre her, dass sie ihre letzte Panikattacke gehabt hatte.

Als sie in den Rückspiegel blickte, sah sie, wie die Ranch-Gebäude im Staub der Schotterpiste immer kleiner wurden. Gloria trat das Gaspedal durch, woraufhin der Mietwagen über eine kleine Brücke schoss und dann wieder auf der Straße aufsetzte. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie Felder, Wiesen, Hügel und den blauen Himmel.

Für den Bruchteil einer Sekunde kam sie sich wild und frei vor.

Bis der Wagen auf der Schotterpiste ins Schlingern geriet. Es fühlte sich an, als wäre Winter und sie würde auf Glatteis fahren.

„Mist!“

Gloria riss zu heftig am Lenkrad, woraufhin das Heck des Wagens ausbrach. Die Zeit schien stillzustehen, alles wurde überdeutlich klar: das Geräusch des aufspritzenden Schotters, ihr heftig pochender Herzschlag, das intensive Blau des Himmels.

War das der Augenblick der Klarheit, der dem Tod vorauseilte?

Falls ja, dann war er erstaunlich friedlich. Was gar nicht zu dem Chaos passte, das um sie herum herrschte.

5. KAPITEL

„Ich kann es so auf den Markt bringen, wie es ist“, sagte Max Ozark, während er mit seiner Handykamera ein paar Fotos vom Hof und von der Scheune schoss.

Dillon hörte ihn kaum. Er sah der Staubspur hinterher, mit der der Mietwagen von der Ranch verschwand.

„Dillon?“

„Wie bitte?“ Er wandte sich wieder dem Makler zu.

„Willst du, dass ich die Ranch so auf den Markt bringe?“

Dillon rieb sich das Kinn, während er den Blick über das Anwesen schweifen ließ. „Ja, ich schätze schon.“

Max sah ihn neugierig an. „Womit hast du die Rothaarige so verärgert?“

„Keine Ahnung.“

„Frauen!“

Max sprach aus Erfahrung. Er hatte fünf Töchter, von denen drei mittlerweile verheiratet waren und Kinder hatten. Ausnahmslos Mädchen. Dillon war mit der ältesten Tochter zur Schule gegangen.

„Beende in aller Ruhe deine Arbeit“, sagte Dillon und reichte ihm den Ersatzschlüssel, den er hatte anfertigen lassen. „Ich fahre jetzt zurück in den Ort. Muss noch ein paar Dinge erledigen.“

„Du bleibst nicht hier, bis die Ranch verkauft ist?“

„Nein.“

Max sah so aus, als wolle er noch etwas sagen, doch ausnahmsweise hielt er mal den Mund. Er war ein guter Kerl, aber er tratschte unheimlich gern. Die Tatsache, dass Kenny Wells seinem Freund Dillon die Ranch vermacht hatte, dürfte die Gerüchteküche im Ort ohnehin schon ordentlich befeuern.

Als Dillon in seinen Jeep stieg, wanderten seine Gedanken unweigerlich zu Gloria. Er erinnerte sich noch zu gut, wie sie unter ihm gelegen hatte: das tizianrote Haar weit ausgebreitet, die sinnlichen Lippen leicht geöffnet und die Augen voller Verlangen. Und dann war da ja noch die Erinnerung an ihr ansteckendes Lachen, als er sie über die Tanzfläche gewirbelt hatte. Dieses Bild war vielleicht noch klarer, weil er in jenem Moment gewusst hatte, dass er sie ins Bett kriegen musste.

Allerdings verstand er nicht, was aus dieser Frau geworden war. Wohin war sie verschwunden? Es war, als hätte er sich diese Frau nur eingebildet. Denn als er neben ihr aufgewacht war – nein, falsch, sie war ja verschwunden, ehe er aufwachte –, da war plötzlich alles ganz anders. Sie war kalt. Distanziert und überheblich.

Sie war …

„Mist!“

Dillon schaltete zwei Gänge runter und fuhr rechts ran, weil die fragliche Frau in einem Graben neben ihrem Wagen stand. Sie hielt ihr Handy in die Luft, als hoffte sie, von einem Blitz getroffen zu werden.

Er stieg aus. „Alles in Ordnung?“

Ohne auf seine Frage einzugehen, erwiderte sie: „Ich habe hier draußen keinen Empfang.“

Er deutete auf das endlose Grasland um sie herum. „Hier gibt es ja auch nicht gerade viele Funkmasten.“

Gloria fluchte leise. Dillon verbarg sein Grinsen, indem er dem Vorderrad, das in einem merkwürdigen Winkel abstand, einen leichten Tritt verpasste. Dann bückte er sich, um die Front zu begutachten. Als er sich wieder aufrichtete, klopfte er den Staub an der Jeans ab und sagte: „Deine Frontachse ist verbogen. Du musst abgeschleppt werden.“

Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und starrte ihn an, als wäre das alles seine Schuld. Oder vielleicht auch nicht. Ihm fiel auf, wie blass sie war. In ihren klaren blauen Augen zeichnete sich Furcht ab.

Ganz langsam und vorsichtig ging er auf sie zu – so wie er sich einem neugeborenen Fohlen nähern würde. „Ich nehme dich mit in die Stadt“, sagte er. „Walt hat einen Abschleppwagen in seiner Werkstatt. Er kann sich um dein Auto kümmern.“

Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. „Bist du sicher? Ich will dir keine Umstände bereiten.“

„Darling, entweder das oder du läufst zurück.“ Er ging zur Fahrerseite. „Ich muss sowieso in die Stadt. Steig ein.“

Ganz so, als hätte sie die Wahl – die sie natürlich nicht hatte –, schien Gloria nach Alternativen zu suchen.

Verdammt, die Frau machte ihn allmählich verrückt.

Dillon kletterte auf den Fahrersitz, startete den Motor und kurbelte das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. Dann beugte er sich zu ihr. „Jetzt komm schon, Gloria. Ich beiße nicht.“

Endlich schnappte sie sich ihre Sachen und stieg ein. Während sie starr geradeaus blickte, murmelte sie leise: „Danke.“

„Gern geschehen.“

Als er losfuhr, warf sie ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Das war eine Lüge. Ich erinnere mich nämlich sehr genau, weißt du. Du beißt!“

Dillons leises Lachen ging ihr durch und durch. Was in aller Welt war nur in sie gefahren, so etwas zu sagen? Sie hatte sich doch geschworen, ihre gemeinsame Nacht nicht zu erwähnen, und was tat sie? Bei der allerersten Gelegenheit erinnerte sie ihn – und sich selbst – an das, was geschehen war. Nicht, dass sie eine Erinnerung gebraucht hätte. Es wäre besser, wenn sie es endlich vergessen würde.

„Ich war in jener Nacht nicht der einzige Beißer“, erwiderte er amüsiert.

Da musste Gloria lachen. Nur ganz kurz. Dann verstummte sie abrupt. Das war nicht witzig. Rasch blickte sie wieder aus dem Fenster und bemühte sich, etwas zu finden, womit sie das unangenehme Schweigen füllen konnte. Im Kopf ging sie alle Möglichkeiten durch, nur dass keine davon geeignet war: Hast du eine Freundin? Denkst du noch an mich? Warum hast du nicht angerufen? Schließlich stürzte sie sich auf das Erstbeste, was ihr in den Sinn kam. „Warum willst du deine Ranch verkaufen?“

Ohne den Blick von der Straße zu wenden, entgegnete er: „Es ist nicht meine Ranch.“

Hatte sie sich vorhin verhört? „Ich dachte, sie gehört dir.“

„Sie gehörte meinem Freund. Als er starb, hat er sie mir vermacht.“

„Dein Freund hat dir die Ranch vererbt?“ Sie drehte sich im Sitz um. „Wow. Ihr müsst wirklich gute Freunde gewesen sein.“

„Seit unserer Kindheit“, erwiderte er völlig emotionslos.

In diesem Moment brach die Sonne aus der Wolkendecke hervor, und sie sah Dillon in einem Licht wie noch nie zuvor. Aufmerksam studierte sie seine Gesichtszüge – zumindest die, die sie sehen konnte. Sein markantes Kinn zierte ein deutlicher Bartschatten. Seine volle Unterlippe war sehr sinnlich, die Nase gerade, und unter dem Cowboyhut quoll dunkles Haar hervor. Welche Augenfarbe hatte er noch mal? Sie konnte sich nicht erinnern.

„Bist du fertig?“

„Wie bitte?“

Dillon blickte weiterhin starr geradeaus. „Ob du damit fertig bist, mich anzustarren?“

Mist. Gloria überspielte ihren Fauxpas, indem sie rasch eine weitere Frage stellte. „Warum willst du die Ranch nicht behalten?“

Ein Muskel an seiner Wange zuckte. „Solch eine Ranch ist eine Menge Arbeit. Diese hier besitzt über 150 Rinder und gut ein Dutzend Pferde. Die müssen alle versorgt werden, und ich bin das ganze Jahr über im Rodeo-Zirkus unterwegs.“

„Oh.“

„Hinzu kommen die Steuern und die Kosten für die Unterhaltung eines solchen Anwesens. Die sind astronomisch.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen.“

„Die Preise für Rinder gehen ständig auf und ab. Es ist schwer, davon zu leben.“

„Ich verstehe.“ Doch das stimmte nicht ganz. Gloria hatte das Gefühl, Dillon versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass er die Ranch nicht behalten konnte.

Sie räusperte sich und sagte leise: „Das mit deinem Freund tut mir sehr leid.“

Autor

Daire St Denis
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