Baccara Collection Band 466

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  • Erscheinungstag 23.12.2023
  • Bandnummer 466
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516426
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Zuri Day, Jules Bennett, Susannah Erwin

BACCARA COLLECTION BAND 466

1. KAPITEL

Es war eine stressige und lange Arbeitswoche gewesen. Doch jetzt begann endlich das Wochenende, und Reign Eddington hatte richtig gute Laune.

Sie hatte gerade eine erfolgreiche Geschäftsreise hinter sich gebracht und konnte stolz auf sich sein. Jetzt plante sie, ihren Erfolg zu krönen, indem sie mit ihrem Freund Trenton, einem erfolgreichen Basketballprofi, die Unterzeichnung seines neuen Vertrags feierte. Es war überall in den Nachrichten verbreitet worden – Trenton „Super Hot Jump Shot“ Carpenter war von den Chicago Bulls für fünf Jahre und fünfundfünfzig Millionen Dollar unter Vertrag genommen worden. Dazu hatte er noch eine Vertragsprämie von fünfzehn Millionen Dollar kassiert. Das Geld war nett, aber es war nicht der eigentliche Grund, warum Reign sich so für Trentons Glück freute. Der Fünfjahresvertrag bedeutete, dass er die nächsten Jahre in Chicago bleiben würde. Beziehungen mit Profisportlern waren schwierig genug, und Reign konnte gut auf eine Fernbeziehung verzichten.

Mit einem Basketball-Superstar zusammen zu sein, dessen Popularität weit über den Sport hinausging und ihn zu einer Art Promi machte, konnte schwer bis gar nicht erträglich sein. Das erste Jahr ihrer Beziehung hatte das klar gezeigt. All die Auswärtsspiele – über vierzig im letzten Jahr. All die Dinge, die zu seinem lukrativen Business gehörten – Deals mit Sportbekleidungsmarken, Sponsoring, das Investmentportfolio, das ihr Bruder Jake verwaltete. All die Frauen und Groupies. All die Hater. All der unnötige Mist.

Es hatte mehr als eine Situation gegeben, in der sie an seiner Treue gezweifelt hatte. Das letzte Mal war vor acht Monaten gewesen. Damals waren im Internet Bilder verbreitet worden, auf denen er sehr nah gewesen war mit einem gewissen, sehr verführerischen Popstar. Sein ehrliches Geständnis hatte ihn damals gerade noch gerettet.

Im Vorfeld dieser Affäre hatten Reign und er dauernd Streit gehabt. Es hatte Eifersucht, Unsicherheit und Misstrauen auf beiden Seiten gegeben. Er hatte sie beschuldigt, mit einem Teamkollegen zu flirten. Sie war zugegebenermaßen etwas zu freundlich zu einem von Jakes Kunden gewesen, hatte Trenton aber schnell daran erinnert, dass all ihre Flirts und Spielereien am Ende völlig unschuldig geblieben waren – was man von seinen ganz und gar nicht behaupten konnte.

Sie hatten gerade eine inoffizielle zweimonatige Beziehungspause eingelegt, als er die Affäre mit dem vollbusigen Popstar begonnen hatte. Wenn man es genau nahm, hatte er sie also nicht betrogen. Und auch Reign war in dieser Zeit nicht ganz untätig gewesen. Doch die Schäbigkeit des Ganzen hatte sie realisieren lassen, dass sie nicht die Richtige für so etwas war. Sie wollte absolute Treue. Trenton hatte sie schließlich mit extravaganten Geschenken, nächtlichen Telefonanrufen, dem Ausschütten seines Herzens und einem eisernen Bekenntnis zu exklusiver Monogamie zurückzugewonnen. Und Reign hatte die zweite Chance, die sie ihm gegeben hatte, mit einer Warnung verbunden: „Wenn du mich noch einmal betrügst, bin ich weg – und zwar für immer.“

Seitdem hatte er sich von seiner besten Seite gezeigt, und es hätte Reign absolut nicht überrascht, wenn Amors Pfeil demnächst mit einem Verlobungsring dekoriert gewesen wäre. Es war nicht immer einfach gewesen, eine Beziehung mit einem Mann zu führen, den so gut wie jede Frau auf diesem Planeten begehrte – aber es war die Anstrengung definitiv wert gewesen.

Auch aus diesem Grund sollte der heutige Abend etwas ganz Besonderes werden. Sie hatte gemeinsam mit ihrem Vater Derrick und ihrer Schwester Maeve geschäftlich nach New York fliegen müssen, und sie war sich nicht sicher gewesen, ob sie rechtzeitig zurück sein würde für Trentons Party. Trenton war nicht begeistert gewesen, aber er hatte es verstanden. Business ging vor, vor allem, wenn es wie in diesem Fall um ein Familienimperium ging.

Als das Geschäftsmeeting zwei Stunden früher als geplant geendet war, hatte Reign ihr Glück kaum fassen können. Auf dem Weg zum Flughafen hatte sie vergeblich versucht, Trenton anzurufen. Sie hatte ihm mehrere Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen und ihm schließlich getextet.

Es gab noch einen weiteren Grund, warum Reign sich auf den heutigen Abend freute. Heute war der offizielle Startschuss für ihr eigenes Unternehmen. Nachdem sie jahrelang davon geträumt hatte, als Lifestyle-Influencerin erfolgreich zu sein, hatte sie schließlich Jakes Rat befolgt und ihren ursprünglichen Traum so abgewandelt, dass er besser zu ihren eigenen Fähigkeiten und auch zu dem Schwerpunkt des Familienunternehmens passte. Sie gründete eine Branding-Agentur: Make It Reign. In diesem Bereich war sie extrem gut, und sie hatte sich bereits einen Namen als PR-Profi gemacht.

Trentons Party würde eine erste Fingerübung für Reigns neues Business sein. Die gesamte Deko würde sein Logo tragen – eine Zeichnung von Trentons Profil mit seinen kurzen, charakteristischen Dreads, seinem so sexy wirkenden düsteren Gesichtsausdruck und einer Hand, die in einer fließenden Bewegung einen Basketball wirft. Darunter fett die Buchstaben TC. Dazu kam eine ganze Reihe von Merchandising-Artikeln: T-Shirts, Basecaps, Gläser … Der Fotograf, den Reign engagiert hatte, würde die ganze Aktion dokumentieren, zusammen mit einer Reihe von Medienvertretern, die über die Feier zu Trentons Vertragsunterzeichnung berichten würden. Die Fotos mit dem neuen TC-Logo würden am nächsten Morgen auf der ganzen Welt zu sehen sein.

Trentons Management stand voll hinter der Idee, denn natürlich war diese Aktion nicht nur ein hervorragender Start für Make It Reign. Allein der an diesem Abend angekurbelte Umsatz würde die ohnehin schon prall gefüllten Taschen von Trenton um mehrere Millionen Dollar schwerer machen.

Als Reigns Flieger landete, stand eine Stretchlimousine auf der Rollbahn bereit, um sie direkt zum Verve zu bringen, dem zurzeit angesagtesten Club Chicagos. Es war immer noch keine Antwort von Trenton gekommen, aber Reign machte sich keine Gedanken darüber. Er hatte bestimmt alle Hände voll zu tun, während um ihn herum ein Meer von bewundernden Fans aufbrandete.

Auf der Fahrt zum Club tauschte sie ihren konservativen Nadelstreifenanzug gegen hippe Jeans und eines der exklusiven T-Shirts mit dem TC-Logo aus, die jeder geladene Gast erhielt. Sie hatte gerade ihr Haar gelöst, ihr Make-up aufgefrischt und ihre bequemen Pumps gegen ein Paar sexy Stilettos getauscht, als der Fahrer vor dem Eingang des Clubs hielt. Er stieg aus und öffnete die Wagentür für sie. Reign legte sich einen schwarzen Kunstnerz um die Schultern, stieg aus und gab dem Fahrer einen Hundert-Dollar-Schein als Trinkgeld.

„Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Ms. Eddington.“

Reign lächelte.

„Danke. Den werde ich sicher haben.“

Sofort hörte man die Auslöser von Kameras klicken. Reign ging lässig an den Fotografen und der Schlange der Wartenden vorbei und begrüßte den Manager des Clubs, der sie an der Tür in Empfang nahm und hineinbegleitete. Als sie an den über hundert Menschen vorbeiging, die auf ihre Chance hofften, in den Club zu kommen, war sie sich der Blicke und des Getuschels nur zu bewusst.

Die neidischen Blicke und Kommentare der Frauen. Die bewundernden Blicke und Komplimente der Männer.

Reign war eine schöne Frau, die von ihren Eltern Derrick und Mona die jeweils besten Eigenschaften geerbt hatte. Sie gehörte zu einer Familie, die in Illinois fast schon den Status einer königlichen Familie hatte, insbesondere in der Gemeinde Point du Sable, wo die Eddingtons lebten. Reign war klug, begabt und zog die Menschen mit ihrer Anziehungskraft in ihren Bann. Dabei war sie alles andere als eingebildet. Ihre Geschwister hatten die Messlatte für das Nesthäkchen der Familie sehr hoch gelegt, und es fiel ihr oft schwer, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Sie hoffte, dass ihre neu gegründete Branding-Agentur dafür sorgen würde, dass sie sich endlich genauso talentiert und erfolgreich fühlte wie ihre Schwester und ihre Brüder.

Als sie den Club betrat, wurde sie sofort von dem pulsierenden Leben im Inneren erfasst. Die Musik war laut und schnell, und die Bässe ließen die Wände erbeben. Alle tanzten, unterhielten sich, waren mittendrin im Geschehen. Sie sah mehrere ihr bekannte Gesichter, als sie zum Aufzug gebracht wurde, der in den abgetrennten VIP-Bereich im dritten Stock fuhr.

Die Menschen hier oben waren genauso aufgedreht wie die Menge unten. Reigns TC-Logo war überall zu sehen – die Jungs trugen die Basecaps, und eine ganze Reihe von Frauen die T-Shirts. Reign lächelte glücklich und sog die ausgelassene Stimmung geradezu in sich auf. Ihr Baby würde weitere fünf Jahre ein Chicago Bull sein!

Sie schlenderte zu den exklusiven, mit Samt ausgekleideten Nischen, die die Rückwand des Raums säumten. Ein Paar langer Beine ragte aus der letzten und größten Nische. Trenton.

Reign beschleunigte ihre Schritte, dabei bewegte sie sich in ihren schwindelerregend hohen Absätzen mit der Mühelosigkeit eines Laufstegmodels.

„Hey, Ba…“

Sie blieb abrupt stehen. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie zur Salzsäule erstarren.

Die Beine gehörten tatsächlich zu Trenton. Was sie nicht erwartet hatte, war die Art von Gesellschaft, die er hatte. Er – oder genauer gesagt, seine Zunge – war mit der knapp bekleideten Frau auf seinem Schoß in ein ziemlich intensives Kennenlernen verwickelt. Die Szene lähmte Reign nur für wenige Sekunden. Als sie die offene Champagnerflasche auf dem Tisch bemerkte, stellte sie sich bildlich vor, wie sie diese über die Köpfe der beiden leeren würde. Sie machte einen Schritt nach vorn, um diese Fantasie Wirklichkeit werden zu lassen. Doch bevor sie ihre Mission erfüllen konnte, umklammerte eine starke Hand ihren Arm.

„Lass mich los!“

Sie riss sich von dem entschlossenen Griff los, wirbelte herum und stand Donald gegenüber, dem Fotografen, den sie engagiert hatte, um Trentons Party und ihren Business-Launch zu dokumentieren.

„Hier sind überall Fotografen“, flüsterte er hastig. „Denk an deine Agentur.“

Seine Worte rissen den dichten Nebel von Wut, der vorübergehend ihren Verstand verdunkelt hatte, ein Stück weit auf. Plötzlich war sie sich der Kameras, die jede ihrer Bewegungen aufzeichneten, sehr bewusst.

Inzwischen war die Nachricht, dass seine Freundin den Schauplatz betreten hatte, scheinbar bis zu Trenton vorgedrungen. Mit erschrockenem Gesichtsausdruck schob er die andere Frau von seinem Schoß und stand mit einer einzigen fließenden Bewegung auf.

„Reign!“

Wie eine Ballerina in einer Spieluhr drehte sie sich auf dem Absatz eines Stilettos und ging so schnell sie konnte, auf den Aufzug zu.

„Hey Baby! Warte doch!“

Ach, jetzt bin ich also dein Baby? Reign lief noch schneller.

Sie erreichte den Aufzug, hielt ihre VIP-Karte gegen den Scanner und wartete ungeduldig darauf, dass sich die Türen öffneten.

Trenton erreichte sie mit weniger als einem Dutzend langer Schritte. „Reign!“ Er legte eine Hand auf ihre Schulter.

Sie zuckte zusammen, als hätte sie sich verbrüht.

„Fass! Mich! Nicht! An!“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Trenton folgte ihr dichtauf, als sie den zum Glück leeren Aufzug betrat.

„Raus!“

„Nein“, sagte er mit einem leichten Lallen in der Stimme.

Betrunken. Ergab Sinn. Offensichtlich war der Champagner, den sie auf dem Tisch gesehen hatte, nicht seine erste Flasche gewesen.

„Ich kann alles erklären.“

„Ich will es nicht hören.“

Die Türen des Aufzugs schlossen sich, und Reign trat zurück und drückte sich gegen die Wand. Fassungslos starrte sie den Mann an, dem sie in den letzten achtzehn Monaten ihren Kopf und ihr Herz geschenkt hatte.

„Wie konntest du nur?!“ Sie schaffte es, die Worte trotz des Kloßes in ihrem Hals herauszubekommen. „Dieser Abend bedeutet alles für mich!“

„Baby, ich dachte …“ Er fuhr sich mit beiden Händen über das Haar und über das Gesicht. Wahrscheinlich dachte er, dass ihn das etwas klarer im Kopf machen würde.

Träum weiter. Sie schüttelte angewidert den Kopf.

„Warum hast du nicht … wie … ich dachte, du bist in New York.“

„Ja, es ist offensichtlich, dass du mich nicht erwartet hast.“

„Warum hast du mich nicht angerufen?“

Ihre verpassten Anrufe würde er noch früh genug auf seinem Handy sehen.

„Trenton, du wusstest genau, wie wichtig dieser Abend für mich … für mein Business war. Aber es war dir egal!“

„Es war mir nicht … Es ist mir nicht egal! Alle lieben deine Sachen, Baby, sie …“

Reign hätte fast laut losgelacht, doch in diesem Moment öffneten sich die Aufzugstüren. Sie drängte sich hastig durch die wartende Gruppe von Menschen. Beifallsbekundungen für Trenton ertönten und bildeten eine Art Hintergrundmusik für ihren Streit.

„Spar dir das, Trenton. Viel Erfolg mit dem Logo.“ Sie holte ihr Handy aus der Tasche und schrieb dem Fahrer ihrer Limousine eine Nachricht. „Aber erwarte nicht, dass ich den Rest des Projekts durchziehe. Du bekommst die Rechnung für die bisherigen Leistungen per Mail.“

„Komm schon, Reign. Sei doch nicht so. Diese Mädchen bedeuten mir nichts.“

„Oh, es sind also Mädchen. Mehr als eins.“

„Nein, diese … Du weißt schon, wovon ich spreche.“

„Ich fürchte ja.“

Reign eilte zum Ausgang, doch als sie sich an die lange Schlange der Fans erinnerte, änderte sie ihren Kurs und steuerte auf eine Seitentür zu. Trenton folgte ihr. Ein paar Fans bemerkten ihn und riefen seinen Namen.

„Hör auf, mich zu verfolgen!“ Sie sprach leise und mit zusammengebissenen Zähnen. Dabei war sie sich der Blicke und der klickenden Handykameras nur zu bewusst.

Trenton ignorierte ihre Aufforderung und hielt problemlos mit ihr Schritt. „Warum bist du so sauer? Das Mädchen war nur ein Fan. Sie hat mir gratuliert. Mehr nicht.“

„Oh, so nennst du das also? Muss schwierig für sie gewesen sein mit deiner Zunge im Hals.“

„Wir haben nicht …“

„Oh doch! Ihr habt.“

„Süße …“

Reign versuchte, seine Worte auszublenden. Sie checkte ihr Handy. Keine Antwort des Fahrers, dem sie bereits für den Rest des Abends freigegeben hatte. Wahrscheinlich war er längst auf halbem Weg zurück nach Point du Sable. Sie schickte trotzdem eine weitere Nachricht und fügte ein Dringend! hinzu. Zum Glück antwortete er.

Bin in fünf Minuten da.

Sie riss die Seitentür auf, Trenton dicht auf ihren Fersen. „Süße, es war nichts. Bitte bleib. Diese Party ist auch deine Party!“

„Trenton, ich will nicht mit dir reden.“

„Komm schon, Reign“, flehte er. Sein alkoholisierter Zustand ließ ihren Namen wie Wayne klingen. „Das hier ist unsere Nacht! Der Moment, von dem wir geträumt haben. Für den wir so hart gearbeitet haben.“

„Was du gerade machst, ist Belästigung. Hör auf, meine Grenzen zu überschreiten, und lass mich einfach in Ruhe.“

Trenton versuchte, sie zu umarmen. Sie entwand sich mit aller Kraft seinen Armen und wandte sich zum Gehen. Er hielt ihren Arm fest.

„Hör auf!“ Sie versuchte, sich von seinem Griff zu befreien. Doch der wurde nur fester.

„Hey! Du hast gehört, was die Lady gesagt hat!“

Die männliche Stimme sprach mit großer Autorität und Selbstsicherheit. „Deine Anwesenheit ist nicht mehr erwünscht.“

Es gab ein kurzes Handgemenge, dann hatte der Fremde, zu dem die Stimme gehörte, Trentons Arme hinter dessen Rücken fixiert. Es war so schnell geschehen, wie er aus dem Nichts aufgetaucht war.

Reign konnte nicht glauben, dass es jemand gewagt hatte, sich mit Trenton anzulegen. Sie sagte nichts, aber sie war sich sicher, dass ihre Dankbarkeit und Neugier ihr deutlich ins Gesicht geschrieben standen.

„Lass mich los, Mann!“, brüllte Trenton. Dabei versuchte er vergeblich, sich aus dem offensichtlich eisernen Griff zu befreien.

„Nur wenn du dich beherrschst und freundlicherweise tust, worum die Lady dich gebeten hat. Dass du sie in Ruhe lässt“

„Ich bin okay“, sagte Reign mit zitternder Stimme. In ihr kämpften Wut, Verlegenheit und ihr gebrochenes Herz um die Vorherrschaft.

Der Fremde warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Er schien ihren Worten nicht wirklich zu glauben, aber er löste seinen Griff um Trentons Arme.

Der fast zwei Meter große Trenton rieb sich den rechten Arm und drehte sich um, um den einen Kopf kleineren Mann genauer anzuschauen. In diesem Moment war der Größenunterschied zwischen den beiden irrelevant. Der kompakte Körper des Fremden strahlte eine ungewöhnliche Kraft aus. Hinzu kam, dass dieser Mann wie jemand klang, der es gewohnt war, dass seine Befehle befolgt wurden.

„Wer zum Geier bist du überhaupt?“, murmelte Trenton.

„Momentan bin ich vor allem der Beschützer dieser Frau.“

Jemand musste Wind bekommen haben von dem Tumult. Ein paar Schaulustige kamen um die Ecke. Mit seinem Fanpublikum in der Nähe schaffte Trenton es, ein lässiges Grinsen aufzusetzen.

Der Beschützer? Wo kommst du denn bitte her? Wakanda? Kümmere dich besser um deinen eigenen Kram.“

Der Gesichtsausdruck des Fremden änderte sich nicht, und auch seine Stimme blieb leise und gelassen. „Ich komme aus Ghana. Ich bin außerdem jemand, den du besser nicht verärgerst. Lass die Frau bitte in Ruhe.“

Reigns Gefühle wegen Trentons schrecklichem Verrat wurden überlagert von ihrer Faszination über das heldenhafte Szenario, das sich hier vor ihren Augen abspielte.

Wer ist dieser Typ?

Trenton und der andere Mann warfen sich finstere Blicke zu. Ein paar Fans zückten ihre Handys, und Reign beobachtete, wie der Fremde in den Schatten trat, um nicht fotografiert zu werden. Sie tat es ihm nach. Jetzt wurde die Seitentür aufgerissen, und Trentons Freund Luke kam mit zwei Leibwächtern und Reigns Fotografen Donald im Schlepptau auf sie zu.

„Gibt es ein Problem, Boss?“, fragte einer der muskulösen Bodyguards und blickte von Trenton zu dem Fremden und wieder zurück.

Doch bevor Trenton antworten konnte, meldete sich Luke zu Wort. „Alter! Komm, wir gehen zurück in den Club. Es ist besser, wenn morgen dein neuer Vertrag in den Schlagzeilen steht. Und nicht irgendein bescheuerter Faustkampf.“

Trenton versuchte noch immer, den Fremden in Grund und Boden zu starren. „Du hast Glück, dass ich heute in Feierlaune bin und wir Publikum haben. Das nächste Mal wird es anders laufen.“

Der andere wirkte nicht besonders beeindruckt. „Es wird kein nächstes Mal geben“, antwortete er mit ruhiger Stimme.

Trenton stieß ein unwilliges Knurren aus, wandte sich aber zum Gehen.

Die Augen des Fremden blieben auf Trenton gerichtet, als der schließlich mit den anderen zurück in den Club ging. Dann wanderte sein Blick langsam zu Reign. In seinen Augen lag Wärme und irgendetwas, das Reign das Gefühl gab, beschützt und in Sicherheit zu sein.

„Bist du sicher, dass du okay bist?“

Sie war sich überhaupt nicht sicher, aber sie nickte trotzdem. Sein Blick ruhte noch immer auf ihr.

Faszinierend.

Das war das passendste Wort, um seine Augen zu beschreiben. In dem spärlichen Licht hier draußen sahen sie sehr dunkel aus, fast so schwarz wie Obsidian. Mit einem hellen Funkeln. Er war nicht im klassischen Sinne gutaussehend, aber er hatte etwas Atemberaubendes an sich. Wären sie sich zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort begegnet, wäre Reign vielleicht interessiert gewesen. Aber nicht jetzt.

Ihre Limousine bog um die Ecke und hielt direkt hinter einem älteren Wagen, der gerade vor ihnen geparkt hatte. Der Mann in dem Wagen signalisierte dem Fremden, dass er einsteigen solle. Es war merkwürdig, weil dieses offensichtlich ein paar Jahrzehnte alte Fahrzeug überhaupt nicht zu der Ausstrahlung des Fremden passte. Sie hätte sich den gut gekleideten Mann eher in einem schicken Sportwagen oder einer Luxuslimousine vorgestellt. Er gab dem anderen ein Zeichen zu warten und drehte sich wieder zu ihr. Seine Augen verengten sich leicht, als er sie mit diesem merkwürdig intensiven Blick ansah.

„Wie heißt du?“

„Reign.“

Er lächelte, und es war, als hätte er sie in eine warme Umarmung gezogen. Es war nicht nur der sanfte und fürsorgliche Ausdruck in seinen Augen – es war auch eine Art unwiderstehliche Energie, die er ausstrahlte.

„Ich mag deinen Namen.“

Der Mann im Inneren des Wagens kurbelte jetzt das Beifahrerfenster herunter. „Komm schon, Mann, wir müssen los!“

„Bist du sicher, dass du okay bist?“, wiederholte der Fremde. „Brauchst du ein Taxi?“

„Mir geht es gut, wirklich. Und dein Freund wartet auf dich.“

„Es war mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen, Reign.“

„Wie heißt du?“

Er zögerte kurz. Dann sagte er: „Das ist nicht wichtig. Ich bin nur ein guter Samariter, der froh ist, dass er helfen konnte.“

„Na gut. Dann … alles Gute.“

Der Mann verbeugte sich leicht, ging dann zu dem Wagen seines Freundes und stieg ein. Er winkte ihr noch einmal zu, als der Fahrer den Motor startete und begann, die Straße hinunterzufahren.

Reign schaute den Rücklichtern nach, bis der Wagen am Ende des nächsten Blocks abbog und verschwand.

Sie fühlte plötzlich eine merkwürdige Leere in sich. Und die kam nicht daher, dass sie gerade ihren Freund mit irgendeinem austauschbaren Mädchen erwischt hatte. Nein, es war dieser Typ. Der Fremde. Der Ritter in glänzender Rüstung.

Zu dumm, dass sie gerade erst gelernt hatte, dass Ritter und Märchenprinzen nicht wirklich existierten.

2. KAPITEL

„Aldric!“ Sein Cousin Nolan fädelte sich in den Verkehr ein und gab Gas. „Kannst du mir mal erklären, was da eben los war? Was bitte hast du gerade getan?“

„Das Gleiche, was ich zu Hause getan hätte“, antwortete er. „Und denk bitte daran, solange ich in Chicago bin, ist mein Name Abe. Ich will nicht, dass die Konkurrenz weiß, dass ich hier bin.“

Nolan verdrehte genervt die Augen. „Hör zu, Abe!“ Er sprach Aldrics Spitznamen aus, als brächte er es kaum über sich. „Du bist hier nicht zu Hause.“

Sie hielten an einer roten Ampel, und Nolan schwieg, bis es grün wurde. „Das hier ist nicht das Königreich Kutoka. In deiner Heimat ist dein Onkel der König, und deine Familie ist sehr angesehen. Das heißt, du bist sicher, egal was du tust. Hier in Chicago kannst du für weit weniger verletzt werden als für so eine Aktion eben. Verletzt … oder Schlimmeres.“

„Ich habe keine Angst vor dem Tod.“

„Ja, mir ist es auch egal, wenn du stirbst. Ich denke nur an die Reaktion meiner Tante und meines Onkels, wenn ich ihnen erzählen muss, dass du tot bist.“

„Weil Überbringer schlechter Nachrichten geköpft werden?“

„Ganz genau.“ Beide lachten.

Nolan schüttelte den Kopf und seufzte laut.

„Ich bin nicht ihr einziger Sohn“, erinnerte Abe seinen Cousin. „Und nicht mal ihr Lieblingssohn.“

„Kann sein. Aber du bist trotzdem in der Lage, dieses monströs große Unternehmen zu leiten, das dein Großvater gegründet und dein Vater mit aufgebaut hat. Dein Bruder wird höchstwahrscheinlich der nächste Präsident Ghanas. Dein Cousin und bester Freund ist Anwärter auf den Thron von Kutoka. Verglichen mit den meisten Menschen ist dein Leben ein Traum.“

Abe schwieg und starrte finster vor sich hin. Er verstand, warum sein Cousin so dachte. Nolan hatte keine Vorstellungen von den Herausforderungen, mit denen Abe zu kämpfen hatte. Der ständige Druck seiner Mutter, dass er heiraten und sesshaft werden sollte. Die Spannungen zwischen ihm und seinem Vater. Abes Entscheidung, nach dem College Profifußballer zu werden, statt direkt in die Firma einzusteigen, hatte einen jahrelangen Bruch zwischen ihnen beiden verursacht. Erst jetzt, wo er sich aus dem Profisport zurückgezogen hatte, um für das Familienunternehmen zu arbeiten, hatte das Eis zwischen ihm und seinem Vater zu tauen begonnen. Seine Reise nach Amerika, wo er die Expansion des Unternehmens vorantreiben sollte, war ein wichtiger Teil seiner neuen Verpflichtungen.

Dass er einen älteren Bruder hatte, der scheinbar alles richtig machte, half auch nicht besonders. Danso hatte seit seinem dreizehnten Lebensjahr für Kutoka Global gearbeitet und das Unternehmen fast zwei Jahrzehnte später verlassen, um ein erfolgreicher Politiker zu werden. Dieser Schritt hatte die Verbindungen zwischen Danso und der einflussreichen, politisch gut vernetzten ghanaischen Familie seiner Frau Felicia nachhaltig gestärkt. Trotz Dansos kometenhaftem politischen Aufstieg in der Regierung von Ghana blieb er weiter Vorstandsmitglied des Familienunternehmens und leistete einen aktiven Beitrag zu dessen künftiger Ausrichtung. Dadurch war der ältere Sohn der klare Favorit ihres Vaters. Auch dass er aus strategischen Gründen geheiratet hatte, begeisterte die Eltern. Er hatte all ihre ungeschriebenen, aber trotzdem sehr klar definierten Regeln befolgt.

Abe war anders. Er hatte sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene gegen die Tradition verstoßen. Und heute, mit fast dreißig Jahren zahlte er noch immer den Preis dafür.

„Wie lange bleibst du in Amerika?“, fragte Nolan.

Abe zuckte mit den Schultern. „Bin nicht sicher. Drei bis sechs Monate, vielleicht auch länger.“

Auf jeden Fall länger, wenn es nach ihm ginge. Seine Rückkehr nach Kutoka und seine Entscheidung, für das Familienunternehmen zu arbeiten, hatten die Erwartungen seiner Mutter bestärkt, dass er so bald wie möglich heiraten würde. Und zwar vorzugsweise jemanden aus einer Familie, die sie kannte und die ihr gefiel. Doch Frauen, die aus strategischen Gründen heirateten, waren nach Abes Erfahrung oft oberflächlich und materialistisch. Und wenig interessiert an dem Charakter ihres Ehemanns. Sollte Abe sich irgendwann entschließen zu heiraten, würde er selbst entscheiden, wer seine Frau werden sollte.

„Wenn du die meiste Zeit in Chicago verbringen wirst“, fuhr Nolan fort, „muss ich dir, glaube ich, ein paar Sachen beibringen.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass du dich besser nicht in Situationen einmischst, die dich nichts angehen.“

„Ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.“

„Hör zu, Alter, ich will dir nicht auf die Füße treten. Aber wie ich bereits gesagt habe, sind wir hier nicht in Kutoka. Wenn du so etwas in meinem Viertel abziehst, kann es sein, dass du die Sache nicht überlebst.“

„Ich war schon mal in deinem Viertel. Es ist … nicht komplett schrecklich.“

Nolan kicherte. „Okay. Aber auch nicht gerade toll.“

Er schaute Abe mit funkelnden Augen an. „Gib es einfach zu, Cousin. Wir beide sind komplett unterschiedlich aufgewachsen. Jedes Viertel hat hier seine eigenen Regeln. In meiner Hood helfen wir uns gegenseitig, wenn wir können. Aber wenn es um private Dinge geht, mischen wir uns nicht ein.“

„Nolan, ich habe in London gelebt, und ich bin um die ganze Welt gereist. Ich hätte definitiv kein Problem, in deinem Viertel zurechtzukommen. Ich könnte dort ohne Weiteres leben.“

„Nein, du könntest niemals leben, wo ich lebe. Oder tun, was ich tue.“

„Sorry, Nolan, aber du reinigst Gebäude. Das ist keine Wissenschaft. Und was dein Viertel angeht? Ja, die Leute hier haben nicht viel Geld. Aber das spielt keine Rolle. Ich kann überall leben.“

Nolan lachte laut auf.

Abe verschränkte wütend die Arme vor der Brust. „Glaubst du, ich komme in einer schwierigen Gegend nicht klar?“

„Allerdings. Und mit einem Staubsauger würdest du noch weniger klarkommen.“

„Du irrst dich. Ich würde beides hinkriegen“, sagte Abe.

„Du würdest keinen Tag durchhalten.“

„Ich würde viel länger durchhalten.“

Das Gespräch verstummte. Beide Männer waren in Gedanken versunken.

„Okay. Beweise es“, sagte Nolan schließlich.

„Pah …“

„Aha! Habe ich’s mir doch gedacht. Nur Worte und nichts dahinter.“

Nolans Worte waren wie ein hingeworfener Fehdehandschuh, den Abe natürlich sofort aufheben musste.

„Gut. Ich werde es tun.“

„Was wirst du tun?“

„In deine Wohnung ziehen.“

„Und was ist mit den reichen Snobs, die du als neue Kunden gewinnen willst? Wie soll das bitte laufen?“

„Die meisten Meetings finden erstmal über Zoom statt. Es spielt absolut keine Rolle, wo ich wohne.“

„Das heißt, wir tauschen? Ich kann in deiner Villa wohnen?“

Abe zuckte mit den Schultern. „Wie du willst.“

„Kraaaaaass …“ Nolan zog das Wort in die Länge, als hätte es mehrere Silben. „Das wäre so cool. Und was noch besser ist – meine Freundin würde es so richtig abfeiern.“

Abe hatte irgendwie das Gefühl, dass er reingelegt worden war. „Okay, wie lange?“, fragte er stirnrunzelnd. „Eine Woche?“

„So lange werde ich etwa brauchen, bis ich dir beigebracht habe, alle Reinigungsgeräte zu bedienen.“

„Wovon redest du?“

„Reinigungsservice, Mr. Businessman. Die Wette bestand darin, dass du in meiner Wohnung lebst und meinen Job machst.“ Nolan grinste breit.

„Freut mich, dass du dich amüsierst.“ Abes Stirnrunzeln vertiefte sich.

„Oh ja, das tue ich. Und wie!“ Nolan verlangsamte den Wagen und fuhr vom Highway ab.

„Zwei Wochen“, sagte er dann. „Du wohnst in meiner Wohnung und arbeitest für Clean Up Crew. Wenn du die zwei Wochen schaffst, schulde ich dir einen Hunderter. Wenn du es nicht schaffst, schuldest du mir einen Tausender.“

„Soll das etwa fair sein?“

„Der Wettgewinn richtet sich nach dem Einkommen, Mann!“ Nolan verstummte plötzlich und schaute finster auf die Straße. „Vergiss es“, murmelte er schließlich. „Geht nicht.“

„Wieso?“

„Du kannst nicht für mich arbeiten. Deine Identität müsste von den Behörden überprüft werden. Und du willst sicher nicht, dass jemand erfährt, dass du Aldric Baiden bist, oder?“

Abe griff nach seinem Handy. „Ich kümmere mich darum.“

„Erzähl mir nicht, dass du einen Ausweis auf den Namen Abe bekommen kannst.“

„Wenn man die richtigen Leute kennt, kann man alles bekommen.“

Abe schickte eine Nachricht an einen guten Freund aus Kindertagen, der jetzt in Washington arbeitete, und erhielt innerhalb weniger Sekunden grünes Licht.

„Gut, das wäre also geklärt. Wann soll ich anfangen?“

„Sobald deine Papiere in Ordnung sind. Dein Einkommen wird sich allerdings drastisch verringern. Ich kann nicht mehr als den Mindestlohn zahlen.“

„Du musst mich überhaupt nicht bezahlen. Weil ich die Wette gewinnen werde. Und dann …“ Abe strich sich nachdenklich über das bärtige Kinn. „Dann wirst du mich Reign vorstellen.“

„Der Frau von eben? Klingt so, als ob du sie schon kennen würdest.“

„Nicht wirklich. Ich habe sie nach ihrem Namen gefragt. Aber ich will ihr offiziell vorgestellt werden.“

„Du glaubst scheinbar, dass sich alle Chicagoer untereinander kennen. Das tun wir aber nicht. Das hier ist eine große Stadt.“ Nolan schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Doch als er Abes enttäuschtes Gesicht sah, fing er an zu grinsen. „Hey, hey, alles gut. Ich kenne sie tatsächlich.“

„Warum hast du das nicht gleich gesagt?!“

„Weil ich dich gern ärgere. Ich kenne sie nicht wirklich, aber ich weiß, wer ihre Familie ist. Die sind hier ungefähr so wichtig wie deine Familie in der Heimat.“

„Was machen sie?“

„Finanzdienstleistungen. Ein internationales Unternehmen. Sie ist eine der Führungskräfte. Aber in der letzten Zeit kennt man sie vor allem als die Freundin von Trenton Carpenter.“

„Dem Basketballspieler?“

Nolan nickte.

„Okay … Deshalb kam er mir so bekannt vor.“

„Tja, du hast heute fast gegen einen Basketball-Weltstar – und außerdem Chicagos aktuellem Liebling – gekämpft.“

„Es hätte keinen Kampf gegeben. Ein leichter Druck auf einen ganz bestimmten Nerv an seinem Handgelenk hätte ihn vollkommen außer Gefecht gesetzt. Zusätzlich zu der Menge an Alkohol, die er offensichtlich schon intus hatte.“

„Trenton mag betrunken gewesen sein, aber seine Bodyguards ganz bestimmt nicht. Die übrigens mit Sicherheit bewaffnet waren. Und glaub mir, es hilft beim Überleben, wenn man im Kopf behält, dass Schusswaffengebrauch hier beliebter ist als Faustkämpfe.“

Sie erreichten die Villa, in der Abe seit fünf Tagen lebte. Nolan fuhr die Einfahrt hoch und parkte vor dem Eingang.

„Die Frau von Reigns Bruder ist übrigens eine meiner Kundinnen.“

„Sie ist Kundin der Reinigungsfirma?“

„Nein, des FBIs.“ Nolan lachte. „Ja, Mann, natürlich der Reinigungsfirma! Ivy leitet eine Privatschule etwa zwanzig Meilen von hier. In einer Stadt, die ein bisschen eurem reichen Königreich ähnelt. Sie heißt Point du Sable.“

Abe strich sich über den Bart, den er sich seit zwei Wochen wachsen ließ, und dachte über diese neue Information nach. Ihm kam eine Idee. „Was genau macht deine Firma denn für sie?“

„Was wir für all unsere Kunden tun. Wir reinigen ihre Räumlichkeiten, bis sie von oben bis unten glänzen. Genauer gesagt, wir fegen, wischen, staubsaugen, entstauben, polieren die Böden, putzen die Fenster … und alles, was noch so anfällt.“

„Und das macht ihr täglich?“

„Für die meisten unserer Kunden täglich von Montag bis Freitag. Für Unternehmen mit kleineren Budgets nur an den Wochenenden.“

„Ich verstehe.“ Abes Gedanken überschlugen sich, und sein Herz klopfte plötzlich wie wild. „Und du hast Reign dort gesehen? In dieser Schule?“

„Nur ein- oder zweimal.“

Auf Abes Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Perfekt!“

„Was?“ Nolan schaute ihn skeptisch an. „Aldric – ich meine, Abe – komm nicht auf dumme Gedanken.“

„Nicht dumm. Genial!“ Abe legte jetzt Autorität in seine Stimme. „Mein Job wird sein, in dieser Schule zu putzen.“

„Hast du mich nicht gehört, als ich gesagt habe, dass du nicht auf dumme Gedanken kommen sollst? Ivy ist ein wichtiger Kunde. Hier ist absolute Perfektion gefragt. Nichts für dich leider.“

Abe öffnete die Wagentür und ließ einen eisigen Luftzug herein. „Ich schätze, du willst doch nicht hier wohnen?“

„Warte! Lass uns vielleicht kurz darüber reden.“

Abe sah seinen Cousin fest an. „Da gibt es nichts zu reden. Ich werde in deiner Wohnung wohnen und für deine Firma arbeiten. Im Gegenzug wirst du dafür sorgen, dass ich Reign kennenlerne.“

„Wie soll ich das bitte tun?“, fragte Nolan. „Meinst du, ich kenne ihren Terminkalender?“

„Ich gebe der Sache einen Monat Zeit. Wenn ich sie bis dahin nicht kennengelernt habe, ist die Wette vorbei. Dann ziehe ich zurück in meine Villa, fahre in meinem Mercedes Maybach durch Chicago und finde eine andere Prinzessin. Reign ist wunderschön, aber ich bin sicher, dass sie nicht die einzige schöne Frau in Chicago ist.“

Nolan schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, Abe. Ivy ist wirklich eine sehr wichtige Kundin. Und Point du Sable ist eine kleine Stadt. Wenn etwas schiefgeht, wird sich das schnell herumsprechen.“

„Was kann schon schiefgehen?“

„Alles! Du hast in deinem Leben noch nie irgendetwas geputzt. Du würdest bei einem Wischmopp nicht mal wissen, wo oben und unten ist!“

„Ich kann das alles lernen“, antwortete Abe ruhig. „Und diese Arbeit ist nicht nur eine Möglichkeit, dass sich unsere Wege wieder kreuzen. So kann ich auch testen, was für eine Art Mensch sie ist – ob eine verwöhnte Erbin oder eine Frau mit Rückgrat. Ob sie mich als den Menschen mag, der ich bin, oder nur für die Dinge, die ich besitze.“

„Wer sagt denn, dass sie dich überhaupt mögen wird?“

„Sie wird mich mögen. Zwischen uns beiden war sofort eine Verbindung zu spüren.“

Nolan brummte unwillig. „Du bist auf der ganzen Welt als Profifußballer bekannt. Woher willst du wissen, dass du nicht erkannt wirst?“

„Der hier wird helfen“, antwortete Abe und zeigte auf seinen Bart. „Und dass ich mich unauffällig verhalte. Als Teil der Putzkolonne in einer Privatschule außerhalb von Chicago zu arbeiten, ist das perfekte Cover.“

Nolan stöhnte. Dann sagte er widerwillig: „Wenn ich dich das machen lasse, nimmst du dir dann die Zeit, zu lernen, wie man die Geräte bedient und ein Gebäude professionell reinigt?“

„Natürlich.“

„Und du hast keine Angst, dir die Hände schmutzig zu machen?“

Abe warf ihm einen Blick unter hochgezogenen Augenbrauen zu. „Ich habe mit zwei Jahren angefangen, Fußball zu spielen. Glaub mir, ich bin in meinem Leben oft genug schmutzig gewesen. Wenn Reign sieht, wie ich einen Fußboden putze, und trotzdem einen Kaffee mit mir trinken geht, ist das der Beweis dafür, dass sie mich nicht nur aufgrund von Äußerlichkeiten beurteilt.“

„Ich sag’s dir nur ungern, Bruder, aber eine Frau wie Reign geht nicht mit Typen aus, die beruflich Bürogebäude putzen.“ Das hat nichts mit ihrem Charakter zu tun. So ist einfach die Realität.

„Wir werden sehen.“

„Gut, du kriegst den Job“, brummte Nolan. „Aber nur, dass das klar ist: Ich tue das wider besseres Wissen.“

Abe lächelte breit. „Danke, lieber Cousin.“

Nolan schüttelte den Kopf. „Bitte komm mir nicht mit lieber Cousin. Irgendetwas sagt mir, dass das nicht gut enden wird.“

Abe ignorierte seine Worte. Er war fest entschlossen, mehr über diese Frau zu erfahren, die mit einem einzigen Blick seinen Herzschlag beschleunigt hatte. Diese wunderschöne Frau namens Reign.

3. KAPITEL

Eine Woche war seit dem schrecklichen Abend im Verve vergangen … seit Trentons öffentlichem Verrat an ihr.

Die Presse war unerbittlich gewesen und hatte den Vorfall natürlich so sehr aufgebauscht, wie es nur ging. Die schlechten Lichtverhältnisse hatten verhindert, dass draußen gute Fotos gemacht werden konnten, aber es gab ein paar Fotos, auf denen Reign die Lobby entlanglief, und diese hatten sich wie ein Virus verbreitet. Reign, die Trenton anschrie. Trenton, wie er sie verfolgte. Das Eingreifen einer „unbekannten Person“.

Trentons Betrug hatte Reign tief ins Herz getroffen, zu tief, als dass er diese klaffende Wunde durch ein einfaches Es tut mir leid! hätte heilen können. Der einzige Lichtblick dieser dunklen Nacht war der scheinbar gelungene Launch von Make It Reign. Die Berichte über Trentons Party waren nicht zu trennen von den Fotos des von ihr entworfenen Logos und der Erwähnung ihrer neu gegründeten Agentur. Es hieß, dass jede Publicity gute Publicity sei. Nun ja, sie würde herausfinden, ob das stimmte.

Trenton hatte ihr lange Sprachnachrichten mit seinen Entschuldigungen hinterlassen. Sie hatte nur ein einziges Mal geantwortet und dann seine Nummer gesperrt. Es ergab keinen Sinn, weiter mit ihm zu kommunizieren. Sie hatte ihn damals deutlich gewarnt. Wenn er noch einmal fremdgehen würde, wäre es aus. Er hatte versprochen, dass es nicht mehr vorkommen würde. Er hatte sein Wort nicht gehalten – sie würde es tun.

Es fiel ihr schwer, sich von dem desaströsen Ende einer märchenhaften Beziehung abzulenken, aber zum Glück hielten das Familienunternehmen Eddington Enterprise und ihre eigene Agentur sie auf Trab. Als das Wochenende näher rückte, war sie diesmal nicht ganz so dankbar dafür wie in der Woche davor. Ihr Plan war es, die arbeitsfreie Zeit im Winterschlaf zu verbringen, in ihrem Schmerz zu versinken und herauszufinden, wie es ging, zum ersten Mal seit fast zwei Jahren wieder Single zu sein.

Als sie an diesem Freitagabend im Ostflügel des Eddington-Anwesens ankam, traf sie auf unerwarteten und in diesem Moment alles andere als erwünschten Besuch. Ihre Schwester Maeve und ihre Schwägerinnen Ivy, Sasha und Avery warteten vor der Eingangstür zu ihren Räumlichkeiten auf sie.

„Hallo, Leute.“

Die vier erwiderten ihren Gruß und folgten ihr in den geschmackvoll eingerichteten Wohnbereich, wo Reign sich auf die Couch plumpsen ließ und die hochhackigen Stiefel auszog.

„Ihr seht alle aus, als wolltet ihr ausgehen. Ich wünschte, ihr hättet vorher angerufen. Mir ist absolut nicht nach Gesellschaft zumute.“

„Genau aus dem Grund haben wir dich nicht angerufen“, sagte Maeve. „Reign, wir waren alle schon mal da, wo du jetzt bist. Wir wollen seine Taten, deinen Schmerz oder den Mist, den er angerichtet hat, nicht verharmlosen. Die Medien sind gnadenlos, und die ganze Sache ist einfach nur furchtbar. Aber wir können leider nicht zulassen, dass du dich vor der Welt versteckst. Vor uns.“

„Wir wissen, dass du leidest“, fügte Ivy hinzu. „Trotz deines professionellen Auftretens. Deshalb wollen wir, dass du mit uns zu Abend isst. Du musst vor deinen Grübeleien gerettet werden.“

„Danke, ihr seid lieb. Aber ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, das Ganze zu verarbeiten. Ich hatte nicht mal Zeit, mich einfach nur aufs Bett zu setzen und auszuheulen. Ich muss jetzt erstmal allein sein, glaube ich.“

„Ach, Schwesterchen, ich versteh dich total.“ Maeve setzte sich zu Reign auf die Couch und legte einen Arm um sie. „Meine letzte Trennung war brutal. Das weißt du. Du warst schließlich dabei. Du brauchst unbedingt Zeit, um das alles zu verarbeiten. Versuch einfach, nicht zu lange über den ganzen Mist nachzudenken.“

„Werde ich nicht“, antwortete Reign, obwohl sie nicht sicher war, ob das stimmte.

„Wenn ich leide, hilft es mir oft, anderen zu helfen“, sagte Ivy.

„Ja, das ist eine gute Idee“, antwortete Reign.

„Schön, dass du es so siehst! Ich brauche nämlich deine Hilfe.“

Reign musste wider Willen lachen. „Das gibt es doch nicht! Ich bin direkt in deine Falle getappt!“

Ivy nickte grinsend. „Wir haben kürzlich ein neues Schulprogramm gestartet. Wir nennen es Mentorship Monday. Dabei essen Profis aus verschiedenen Berufen mit unseren Schülerinnen zu Mittag, beantworten Fragen und geben Ratschläge zu allen möglichen Themen. Von der Kleidung bis hin zu Karriereentscheidungen.“

„Das Ganze ist sehr informell und niedrigschwellig“, fügte Maeve hinzu, „so dass die Mädchen einen ganz persönlichen Zugang zu erfolgreichen Menschen haben. So lernen sie, große Träume für ihre eigene Zukunft zu entwickeln.“

„Es ist nur eine Stunde“, fuhr Ivy fort und ignorierte, dass Reign unwillig den Mund verzogen hatte. „Und du kannst einem kleinen Mädchen die Sonne bringen, auch wenn es in deinem eigenen Leben gerade regnet.“

Als die vier ohne Reign zu ihrem Abendessen gegangen waren, hatte sie nicht vor, sich an diesem Mentorship Monday zu beteiligen. Aber nachdem ihre große Schwester sie den gesamten Sonntag über sanft, aber unerbittlich gedrängt hatte, stimmte Reign schließlich doch zu, mitzumachen.

Der Montagmorgen darauf war stressiger als sonst, und sie verbrachte überraschend viel Zeit mit der Beantwortung von E-Mails, in denen sie um Informationen zu Make It Reign und den Leistungen der Agentur gebeten wurde. Die Zeit verging wie im Flug. Reign fühlte sich, als hätte sie einen Kaffee getrunken, kurz geblinzelt, und schon war der Vormittag vorbei. Kurz darauf lenkte sie ihren Bentley Continental Speedster auf einen reservierten Parkplatz vor der Schule und eilte dann den Weg zum Eingang entlang, als würde sie nicht in fünfzehn Zentimeter hohen High Heels durch den Schnee laufen.

Als sie die Schule betrat, war sie sich nicht sicher, wo sie hin musste. Sie ging den Gang entlang, bis sie zu einer Gabelung kam.

Mist! Rechts oder links?

Sie entschied sich für rechts und las im Gehen die Wegbeschreibung, die Ivy ihr aufs Handy geschickt hatte. Noch immer aufs Handy blickend bog sie um die nächste Ecke und lief direkt gegen eine Wand. Zumindest dachte sie das, bis sie spürte, wie ein Paar starker Arme sie daran hinderte zu fallen. Verwirrt schaute sie auf und erkannte, dass die vermeintliche Wand die harte Brust eines gutaussehenden Mannes war. Eines gutaussehenden Mannes mit unvergesslichen, seltsam dunklen Augen … die ihr sehr bekannt vorkamen … Der Fremde, der sie im Nachtclub gerettet hatte, hier in Ivys Schule? Was für ein krasser Zufall! Und warum war er hier?

„Vorsicht!“

„Sorry“, stieß Reign atemlos hervor. Es war ihr ein bisschen peinlich, dass sie so in ihn hineingelaufen war.

„Alles okay?“, fragte er und beugte sich gleichzeitig mit ihr hinunter, um die aus ihrer Tasche gefallenen Gegenstände einzusammeln.

Sie stießen mit den Köpfen aneinander.

„Au!“ Reign wich zurück und legte eine Hand auf ihre schmerzende Stirn.

Der Fremde sog scharf den Atem ein und rieb sich ebenfalls die Stirn.

Ihre Blicke trafen sich. Er lächelte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Es war definitiv ihr Ritter in glänzender Rüstung, der Mann mit dem melodischen Akzent. Der Mann, der Trenton dazu gebracht hatte, sie in Ruhe zu lassen. Aus seinen Augen leuchtete dieselbe Wärme wie in der Nacht vor einer Woche. Auch sein Gesicht war dasselbe, aber seine Ausstrahlung war heute ganz anders als die des kosmopolitischen Fremden, den sie vor dem Verve getroffen hatte. Er hatte an dem Abend einen teuer aussehenden Mantel getragen. Der Overall, den er jetzt trug, war schlicht und saß nicht besonders gut. Offensichtlich eine Art Uniform. Er wirkte komplett fehl am Platz.

„Ich komme zu spät zu diesem Mittagessen.“

„Ah, das ist also los hier. Ich habe vorhin eine Gruppe von Frauen in den Speisesaal gehen sehen.“ Der freundliche Fremde deutete auf eine Flügeltür am Ende des Flurs.

„Danke“, rief Reign schon im Gehen.

„Gern geschehen.“ Er machte eine kurze Pause, dann rief er ihr hinterher: „Mein Name ist übrigens Abe!“

Reign winkte ihm zu, ohne sich umzudrehen, und öffnete die Flügeltür.

Zum Glück herrschte im Speisesaal organisiertes Chaos. Von jedem Tisch hallten Gespräche wider. Die Mädchen unterhielten sich angeregt mit ihren Mentoren, während sie Pilzlasagne, Salat und frisch gebackenes Brot aßen.

Ivy winkte Reign zu sich und setzte sie sofort mit einem Mädchen namens Lilah zusammen. Das Kind war sehr ruhig, fast verschlossen. Ihre Antworten auf die Fragen von Reign waren anfangs knapp, aber als Reign eine Bemerkung über die Lasagne machte, öffnete sich das Mädchen. Sie hatte ihrer Uroma – sie nannte sie Big Mama – immer beim Kochen geholfen und das über alles geliebt. Reign erzählte Lilah von ihrem Freund Quinn, der ein Restaurant besaß. Von da an kam das Gespräch in Fahrt.

Zum ersten Mal seit jenem schrecklichen Abend war weder Reigns Arbeit noch die Trennung von Trenton ein Thema. Ivy hatte Recht damit gehabt, dass eine Ablenkung ihr guttun würde, und zu Reigns Überraschung hatte sie richtig Spaß bei dem Mittagessen. Schließlich ertönte die Glocke, die das Ende ankündigte, und Reign ermutigte Lilah zum Abschluss, ihren Träumen zu folgen und Köchin zu werden. Als sie kurz darauf auf den Ausgang zuging, entdeckte sie Ivy und ging zu ihr.

„Es tut mir so leid, dass ich zu spät gekommen bin“, sagte sie und umarmte ihre geliebte Schwägerin.

„Nicht schlimm“, sagte Ivy. „Wie war es mit Lilah?“

„Ich glaube, es lief gut. Sie wirkte ziemlich schüchtern, bis das Gespräch auf das Thema Essen kam und ich von Quinns Restaurant erzählt habe. Ab da war sie voll bei der Sache.“

„Ich bin überrascht, dass sie überhaupt geredet hat. Ihre geliebte Urgroßmutter ist vor sechs Monaten gestorben.“

„Big Mama?“

„Ja, so wurde sie von allen genannt. Sie war die Matriarchin der Familie, und Lilah war ihr Liebling. Scheinbar hatten die beiden eine ganz besondere Beziehung zueinander. Seitdem haben wir alles Mögliche versucht, um Lilah aus diesem Panzer von Traurigkeit, der sie umgibt, herauszuholen. Ihre Liebe zum Kochen könnte da tatsächlich die Lösung sein.“

„Vielleicht kann ich sie mal mit zu Tasty Vegan nehmen und sie mit Quinn bekannt machen. Ihr zeigen, wie eine professionelle Küche funktioniert. Wir könnten alle drei hingehen. Zusammen zu Mittag essen und danach vielleicht ins Kino gehen.“

„Ich spreche mal mit ihren Eltern. Nach dem, was du erzählt hast, würde sich Lilah bestimmt wahnsinnig freuen.“

Reign sah auf ihre Uhr. „Danke, dass du das vorgeschlagen hast. Es hat Spaß gemacht.“ Sie beugte sich vor, um Ivy zu umarmen. „Ich hab dich lieb, Schwägerin.“

„Ich dich auch.“

Reign holte ihr Handy aus der Tasche, um ihre Nachrichten zu checken. Aber dieses Mal achtete sie darauf, wohin sie ging. Sie hatte gerade die Flügeltür des Speisesaals geöffnet, als sie jemanden ihren Namen rufen hörte.

„Reign!“

Es war ihr Ritter. Abe. Er stand im Flur, und stellte etwas unbeholfen einen Besen ab, als er sie sah. Dabei griff er suchend in seine Tasche.

Sie fragte sich, ob er mit vollem Namen Abraham hieß und warum ihr Bauch die Frechheit besaß, einen kleinen Salto zu machen bei seinem Anblick.

Er kam auf sie zu und hielt ihr einen dünnen, goldenen Armreif hin, eines ihrer Lieblingsstücke. „Ich glaube, das gehört dir.“

„Ja! Danke!“ Sie nahm den Armreif entgegen. „Der muss vorhin aus meiner Tasche gefallen sein. Sorry nochmal für den Zusammenstoß.“

„Gar nicht schlimm. So was passiert.“

Wieder dieses Lächeln. Für einen flüchtigen Moment sah Reign wieder den selbstbewussten Mann, dem sie im Club begegnet war. Er hatte etwas Faszinierendes an sich, auch wenn ihr Herz sie gleichzeitig daran erinnerte, dass es gerade erst gebrochen worden war.

„Was machst du hier eigentlich?“

„Ich arbeite hier.“ Er machte eine ausladende Geste mit seinem Arm.

„Als Reinigungskraft?“

Er richtete sich auf, griff sich wieder seinen Besen und erklärte mit strenger Stimme: „Reinigungsfachkraft bitte! So steht es in meinem Vertrag.“

Dann grinste er breit, und Reign musste lachen.

„Was hat dich eigentlich hergeführt?“

Er machte eine Bewegung mit dem Besen. „Ich brauchte einen Job.“

Reigns Augenbraue hob sich.

„Die Reinigungsfirma gehört meinem Cousin. Ich bin hier, um ihm zu helfen.“

„Sehr großzügig von dir“, antwortete Reign, wobei sie nicht verbarg, dass seine Antwort sie nur halb überzeugt hatte. Ihr Handy gab einen Nachrichtenton von sich. Die Nachricht kam von einer unbekannten Nummer. Wahrscheinlich Trenton. Sie ließ das Handy achtlos in ihre Tasche gleiten.

„Du bist wegen dieses Mentorship Monday hier, oder?“

„Ja.“

„Darf ich fragen, was dein Beruf ist?“

„Marketing und PR“, sagte sie und blieb mit Absicht vage.

„Klingt interessant.“

„Manchmal ist es das.“

„Ich würde gern mehr darüber erfahren. Würdest du dieses Gespräch vielleicht bei einem Abendessen fortführen wollen?“

„Wie bitte?“ Ihre Ungläubigkeit war ihr deutlich anzuhören. Dann merkte sie, wie überrascht – fast schockiert – der Fremde über ihre Reaktion war.

„Oh!“, sagte er zerknirscht. „Bitte entschuldige, falls meine Frage unangemessen war!“

Er senkte den Kopf und ließ die Schultern hängen, und sofort meldete sich das Mitgefühl in Reign. Was eher eine Seltenheit war bei ihr. „Entschuldigung angenommen! Ich bin zurzeit einfach nicht an Verabredungen interessiert. Bitte nimm es nicht persönlich.“

Abe zuckte nachlässig mit den Schultern. „Ich dachte, mein Vorschlag wäre keine große Sache. In deinem Land mag das anders sein, aber in meinem Land muss jeder essen.“

Reign kicherte und entspannte sich etwas. Sein Akzent war umwerfend. Und sein Gesicht und sein Körper waren auch nicht schlecht.

„Ich weiß das zu schätzen, Abe, danke. Trotzdem muss ich bei meinem Nein bleiben.“ Reign bemerkte, dass es zu schneien begonnen hatte. Sie zog die Kapuze ihrer Lederjacke über den Kopf und wandte sich dem Ausgang zu.

Abe beeilte sich, mit ihr Schritt zu halten. „Warte, ich öffne dir die Tür.“

„Danke.“ Ihr Lächeln war echt. „Tschüss, Abe.“

Abe trat ins Freie. „Wo hast du geparkt? Erlaube mir bitte, auch die Autotür für dich zu öffnen.“

Seine Bemerkung löste einen kleinen Lachanfall bei ihr aus. „Danke“, sagte sie, noch immer lachend. Sie war richtig gerührt von seiner Ritterlichkeit. „Aber ich übernehme ab hier.“

Abe lächelte sie an. „Pass auf dich auf, Reign. Auf Wiedersehen. Und hoffentlich bis bald.“

Auf dem ganzen Weg zurück nach Hause dachte Reign an Abe. Er war ein Mann der Gegensätze. In der Nacht, in der sie sich kennengelernt hatten, hatte er einen eleganten Ledermantel und eine teure Uhr getragen, war dann aber in ein Auto gestiegen, das ziemlich alt und klapprig war. Heute trug er die Uniform einer Reinigungsfirma, sprach aber mit der Intelligenz eines gebildeten Mannes aus guter Familie.

Trotz ihrer selbst auferlegten Dating-Pause musste Reign überrascht feststellen, dass sie sich von ihm angezogen fühlte. Er war nicht der Typ Mann, mit dem sie normalerweise ausging. Und er war ganz und gar nicht wie der Mann, der ihr gerade das Herz gebrochen hatte. Sie spielte sogar mit dem Gedanken, Abes Einladung zum Abendessen anzunehmen. Ihm ein paar Dinge über Marketing zu erzählen, war schließlich – um es mit seinen Worten auszudrücken – keine große Sache. Außerdem war es ein sicheres und angenehmes Thema. Ein Thema, das nichts mit Schmerz zu tun hatte.

Doch als sie kurz darauf ihren Wagen vor dem Firmensitz von Eddington Enterprise parkte, hatte sie jeden Gedanken an ein Abendessen mit Abe – oder irgendjemand anderem – komplett verworfen. Es tat weh, es zuzugeben, aber Reign war noch lange nicht über Trenton und seinen Betrug hinweg.

Trotzdem verfolgten die Erinnerungen an den freundlich lächelnden Fremden sie für den Rest des Tages.

4. KAPITEL

„Sie hat nein gesagt!“, rief Abe und ging erregt in dem kleinen Wohnzimmer seines Cousins auf und ab. „Ich kann es nicht glauben!“ Sie hatten am vergangenen Sonntag ihre Wohnsitze getauscht, und Nolan war vorbeigekommen, um ein paar Dinge, die er brauchte, aus seinem Apartment zu holen. Jetzt diente er Abe als eine Art Klagemauer. Allerdings musste er immer wieder lachen, während Abe seiner Ungläubigkeit Luft machte.

Abe fand das Ganze überhaupt nicht lustig, und das sah man ihm deutlich an. „Das passiert mir so gut wie nie!“

„Für mich klingt es, als würdest du meine Kunden belästigen, Aldric.“

„Abe.“

„Du kannst von Glück reden, dass ich dich nicht sofort feuere.“

„Reign ist keine Kundin, sondern eine Besucherin der Schule.“

„Das macht keinen Unterschied.“

Abes Blick wurde noch finsterer.

„Es wirkt fast so, als hättest du noch nie einen Korb bekommen.“ Nolan grinste breit und stieß Abe spielerisch mit dem Ellbogen an.

„Ich finde das überhaupt nicht witzig!“

„Hey, Mann. So fühlt es sich an, wenn man ein ganz normaler Typ ist. Für den nächsten Monat bist du nun mal Abe Wetherbee, Reinigungskraft.“

„Reinigungsfachkraft“, erinnerte Abe seinen Cousin trocken.

Nolan ignorierte ihn. „Und Reign ist hier so etwas wie eine Prinzessin. Sie würde Aldric Baiden vielleicht eine Chance geben, aber für Abe, die Reinigungsfachkraft, ist sie definitiv eine Nummer zu groß. Frauen wie Reign gehen nicht mit Typen wie dir und mir aus.“

„Nicht alle reichen Frauen gehen nur mit reichen Männern aus.“

„Frauen wie Reign Eddington schon.“

„Eddington? Wie Eddington Enterprise?“

„Aha, du kennst das Unternehmen ihrer Familie also schon.“

„Mein Buchhalter arbeitet mit Software der Firma. Was weißt du noch über Reign?“

„Was willst du wissen?“ Nolan ging ins Schlafzimmer und kam mit einer gefüllten Ledertasche zurück, die er neben der Eingangstür abstellte, bevor er in die Küche ging.

Abe folgte ihm, lehnte sich an die Küchentheke und schaute zu, wie Nolan sich ein Sandwich machte. „Wie lange sind Reign und der Basketballspieler schon zusammen?“

„Ein Jahr? Vielleicht auch länger.“

„Nach dem, was ich neulich Abend gesehen habe, ist es vorbei.“ Abe musste unwillkürlich lächeln, denn er hatte wieder das Bild von Reigns Gesicht vor Augen. „Nolan, du kannst es mir wirklich nicht übel nehmen, dass ich sie unbedingt kennenlernen will. Sie ist eine wunderschöne Frau, und dass sie für Eddington Enterprise arbeitet, zeigt, dass sie außerdem sehr intelligent sein muss.“

„Das ist sie offensichtlich. Schließlich hat sie dich abgewiesen.“

Abe ignorierte Nolans Stichelei. „Sie muss mich nur kennenlernen. Der Rest passiert dann von ganz allein.“

„Ich verstehe dich, Mann, aber sie ist nicht die einzige schöne Frau in der Stadt.“ Nolan belegte sein mit Mayo bestrichenes Sandwich mit Salat, Tomaten und Putenstreifen. Dann setzte er sich mit dem fertigen Werk an den Küchentresen.

„Ich sag dir was. Einer der lokalen Künstler gibt am Samstagabend eine Vernissage mit Party. Im Verve, dem Club, vor dem du Reign getroffen hast. Ich bin eingeladen, und ich könnte dich mitnehmen. Die tollsten Babes der Stadt werden da sein. Da kannst dich mal als stinknormaler Typ anbaggern lassen.“

„Wusstest du, dass Reign im Marketing arbeitet?“

„Mann, ich erzähle dir von tollen Frauen, und du redest immer noch von Reign?“

Abe nickte ungeduldig. Ein Grund, warum er nach Amerika geflohen war, waren all die tollen Frauen, von denen seine Mutter schwor, dass sie genau die Richtigen für Abe wären. Lauter potentielle zukünftige Ehefrauen.

„Reign ist die Einzige, an der ich momentan Interesse habe. Also, was kannst du mir noch über sie erzählen?“

„Ich weiß, dass sie ihrer Familie sehr nahe steht.“

„Erzähl mir von der Familie.“

„Ihr Vater ist eine große Nummer. Ihre Brüder auch.“

„Wie viele Brüder hat sie?“

„Zwei. Desmond und Jake. Und bevor du fragst – ja, sie arbeiten für das Familienunternehmen, genauso wie Reigns Schwester Maeve. Die übrigens genauso schön ist wie Reign. Leider ist sie nicht mehr zu haben. Sie hat diesen unglaublich erfolgreichen Anwalt namens Victor Cortez geheiratet.“

„Du weißt eine ganze Menge über ihre Familie.“

Nolan schwieg und konzentrierte sich auf sein Sandwich.

Abes Handy klingelte. Der Anruf kam von seinem Vater.

„Du hast kein Update geschickt“, sagte Daniel, ohne Zeit mit einer Begrüßung zu verschwenden.

„Papa, ich bin gerade mal eine Woche hier.“

Abe nickte Nolan stumm zu, der zur Tür ging, sich die Tasche, die er dort abgestellt hatte, über die Schulter warf und zum Abschied die Hand hob.

„Du bist auf einer Geschäftsreise, nicht im Urlaub“, fuhr sein Vater fort. „Vergiss das nicht.“

„Wie könnte ich das vergessen? Die Reise war meine Idee.“

„Pass auf, was du sagst, Aldric. Ich dulde keine Respektlosigkeit.“

Abe holte tief Luft und biss die Zähne zusammen, um eine Reihe von sarkastischen Antworten zu unterdrücken. „Ich habe bereits mehrere Treffen mit unseren Businesspartnern in den Staaten vereinbart. Außerdem recherchiere ich ein paar Start-ups, die wir vielleicht aufkaufen können. Ich werde alle zwei Wochen ein Update schicken. So wie ich es in meinem Report angekündigt habe.“

Sein Vater blieb stumm.

„Also, wenn das alles ist, Papa …“

„Ist es nicht.“

Abe kontrollierte seinen Ärger und wappnete sich innerlich für die nächsten herablassenden Kommentare seines Vaters.

„Es geht um Kbaba.“

Abe war sofort in Alarmbereitschaft. Er bewunderte und liebte seinen Großvater. Als Abe vor vielen Jahren zwischen der gefühlten Verpflichtung, für das Familienunternehmen zu arbeiten, und seinem Traum, Fußballprofi zu werden, hin- und hergerissen war, war es sein Großvater gewesen, der ihn zu Letzterem ermutigt hatte. Etwas in der Stimme seines Vaters ließ Abe vermu...

Autor

Zuri Day
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Seit jeher liebt Susannah Erwin gute Geschichten. Sie arbeitete für bekannte Filmstudios, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte, der den Golden Heart Award der Romance Writers of America gewonnen hat. Mit ihrem Mann sowie ihrer eigensinnigen und liebenswerten Katze lebt sie in Nordkalifornien.
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