Baccara Exklusiv Band 150

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ZWISCHEN FURCHT UND BEGEHREN von ADAMS, AUDRA
Mit Reid James verbindet Rachel nur eine einzige Nacht - doch in dieser Nacht hat sie den Himmel gesehen. Nie wird sie seine Lippen, seine Hände und die Lust in seinen Armen vergessen - auch wenn er das Kind, das sie in jener Nacht gezeugt haben, niemals sehen wird …

SINNLICHE KÜSSE VOR DEM STURM von CHILD, MAUREEN
Als Debbie aus dem Urlaub abreisen will, verhaftet man sie als Juwelendiebin! Dahinter steckt ihre Jugendliebe Gabe Vaughn. Großzügig bietet er Debbie an, sie freizulassen. Um ihr dann in heißen Nächten zu beweisen, dass sie seinen Heiratsantrag damals hätte annehmen sollen?

HOCHZEITSNACHT IM HIMMELBETT von CROSBY, SUSAN
Seit Julianne auf dem Schloss des attraktiven Millionärs Simon Keller wohnt, beschwört er sie, das verbotene Zimmer zu meiden. Doch ihre Neugier siegt, und der Preis ist hoch: Simon verlangt, dass Julianne ihn heiratet. Nur so kann er verhindern, dass sie sein Geheimnis verrät!


  • Erscheinungstag 13.01.2017
  • Bandnummer 0150
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723484
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Audra Adams, Maureen Child, Susan Crosby

BACCARA EXKLUSIV BAND 150

PROLOG

Alles war weiß. Die Wände waren weiß, die Vorhänge, die sich leicht im Wind bauschten, die offenen Fenster. Auch das Bett war strahlend weiß – die Laken, die seidene Überdecke.

Sie lehnte sich gegen das weiche Kopfkissen. Ein leuchtender Mond tauchte das Zimmer in ein fahles Licht. Sie hielt die Augen weit geöffnet und betrachtete den Mann, der langsam auf sie zukam, eine Zigarette in der Hand. Er trug einen weißen Leinenanzug und ein halb aufgeknöpftes Hemd.

Er lächelte, und sie erwiderte sein Lächeln. Als er sich auf den Bettrand setzte, bewegte sie sich nicht. Er sah sie an, und sie hatte den Eindruck, als könne sie den Blick seiner leuchtendgrünen Augen körperlich fühlen.

Er drückte die Zigarette in dem weißen Aschenbecher aus, dann beugte er sich über sie und küsste sie. Sie schloss die Augen und rührte sich nicht. Es war ein wunderbares Gefühl. Er richtete sich wieder auf und blickte sie an, ernst und mit einem verheißungsvollen Glitzern in den Augen.

Verlangen.

Natürlich war ihr dieser Ausdruck in Männeraugen nicht fremd, aber diesmal war es ganz anders. Er sah sie mit einer Intensität an, dass sie innerlich zusammenfuhr, aber ob aus Furcht oder aus Erregung, hätte sie nicht sagen können. Sie hob die Hand, um ihm eine hellblonde Strähne aus der Stirn zu streichen, und er schmiegte die Wange in ihre Handfläche. Seine Haut war warm, trocken und glatt.

Er beugte sich wieder vor, bis sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. „Ich möchte mit dir schlafen“, flüsterte er.

„Ja.“ Mehr konnte sie nicht sagen, denn schon spürte sie seine Lippen auf den ihren. Mit einem leisen erregten Laut kam sie ihm entgegen und fühlte, wie er spielerisch und fordernd zugleich mit der Zunge vordrang. Noch nie war sie so geküsst worden, noch nie hatte sie einen derartig wilden, drängenden und dennoch kontrollierten Kuss erlebt.

Der Mann strich ihr sanft über die Arme, den Hals und schob ihr mit einer schnellen Bewegung die Träger ihres Kleides von den Schultern. Er zog das Oberteil bis zu ihrer Taille hinab, und nun waren ihre nackten Brüste seinem brennenden Blick ausgeliefert.

Er stöhnte kurz auf, berührte die Brustspitzen mit den Fingern und lächelte, als er sah, wie sich die Knospen fast unmittelbar danach aufrichteten. „Du bist so schön“, flüsterte er, und sie fühlte, wie sich tief in ihrem Inneren eine erregende Spannung aufbaute.

Als er die rosigen Spitzen mit Lippen und Zunge liebkoste, schloss sie die Augen. Dieser Mann war ein Meister der Verführung. Hingerissen bog sie sich ihm entgegen, und er strich ihr über die Hüften, dann spürte sie seine Fingerspitzen auf der zarten Haut ihrer Schenkel. Sie wusste genau, was er wollte, und als er sie ansah, spreizte sie langsam die Beine. Sie sehnte sich nach seiner Berührung, aber er ließ sich Zeit. Er fuhr mit der Fingerspitze unter das elastische Band ihres zarten Slips, tastete sich behutsam, doch zielstrebig weiter vor, bis er endlich ihre empfindlichste Stelle berührte. Dann streifte er ihr den Slip, der ihn störte, ab.

Sie schrie leise auf, und sofort war er wieder über ihr und küsste sie in wilder Begierde. Sie wand sich unter seinen Händen und presste sich immer wieder aufstöhnend an ihn. Je tiefer er mit den Fingern vordrang, desto hemmungsloser verlangte sie nach ihm.

Sie wollte mehr, viel mehr. Ungeduldig schob sie die Hände in sein offenes Hemd und streichelte seine nackte Haut. Mit den Fingernägeln fuhr sie durch das kräftige Haar und dann tiefer und tiefer, bis sie seinen Gürtel erreichte.

Sekundenlang hielt er inne und sah sie beinahe überrascht an, doch dann stöhnte er nur leise auf und beobachtete, wie sie mit zitternden Händen die Gürtelschnalle löste und den Reißverschluss öffnete. Und sie sah, wie erregt er war, wie heiß und hart.

Sie sahen sich in die Augen, während sie sich gegenseitig lustvoll streichelten, bis sie es nicht mehr aushielten. Sie musste als erste wegsehen. Fest schloss sie die Augen, als sie fühlte, wie ihr Körper sich seinen Forderungen anpasste, den Rhythmus seiner liebkosenden Finger übernahm und ihre Erregung sich in einem Maße steigerte, dass sie meinte, explodieren zu müssen.

„Jetzt“, sagte er, und sie nickte nur stumm.

In wenigen Sekunden lag er auf ihr und drang in sie ein. Noch nie hatte sie ein solches Gefühl der Erfüllung und der Übereinstimmung erlebt. Sie passte die Bewegung ihrer Hüften wie selbstverständlich dem süßen, erregenden Rhythmus seines Körpers an und versuchte gar nicht, den Höhepunkt zurückzuhalten, als sie ihn kommen fühlte. Sie drängte sich diesem Mann entgegen, der sie etwas so Wunderbares empfinden ließ, war glückselig und überrascht zugleich, dass sie so empfinden konnte. Und es steigerte noch ihre Lust, dass er das gleiche spürte, als er sich jetzt mit einem letzten Stoß aufbäumte und dann langsam auf ihr niedersank.

Erst lange danach stützte er sich auf und blickte ihr direkt ins Gesicht. Wieder lächelte er, und die Fältchen im Augenwinkel nahmen ihm etwas von seiner Ernsthaftigkeit. Er küsste sie auf die Nasenspitze, und jetzt musste auch sie lächeln.

Sie betrachtete sein Gesicht. Wie attraktiv er war mit der leicht gebräunten Haut, den hohen Wangenknochen, dem kräftigen Kinn und dem hellblonden Haar, das ihm in die Stirn fiel. Ein gutes Gesicht, dem man vertrauen, das man lieben konnte, dachte sie.

Ein Gesicht wie aus einem wunderschönen Traum …

1. KAPITEL

Blau. Rachel Morgan hob das Teststäbchen gegen das Licht, um sich zu vergewissern. Nein, kein Zweifel. Es war eindeutig blau.

Sie setzte sich langsam auf die Kommode im Badezimmer ihres winzigen Apartments. Sie ließ die Schultern sinken und atmete tief aus. Es hatte keinen Sinn, den Test ein drittes Mal zu machen. Ganz sicher würde das gleiche dabei herauskommen.

Sie war schwanger.

Aber wie hatte das passieren können?

Ihre Hände begannen zu zittern. Das durfte doch nicht wahr sein. Rachel hatte keine ernsthafte Beziehung gehabt, seit sie nach New York gezogen war. Das war zwei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter gewesen und zwei Jahre, nachdem sie ihre Verlobung mit Tom gelöst hatte. Es gab keinen Mann in ihrem Leben, wenn man das überhaupt Leben nennen konnte, was sie da führte. Sie biss sich auf die Unterlippe und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

Arbeitslos und jetzt auch noch schwanger.

Aber wie, um Himmels willen, hatte es passieren können? Sie war schließlich ein rational denkender Mensch. So etwas wie eine unbefleckte Empfängnis gab es nicht – zumindest hatte sie davon nie gehört. Es musste eine andere Erklärung geben.

Ihr Magen krampfte sich zusammen.

Es bedeutete, dass der Traum Wirklichkeit gewesen sein musste.

Das Telefon klingelte, und sie zwang sich aufzustehen und in den L-förmigen Raum zu gehen, der Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche zugleich war. Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm den Hörer ab.

„Hallo?“

„Rachel? Hier ist Trudy. Ich bin froh, dass ich dich endlich erwischt habe. Ich könnte dir vielleicht einen Job verschaffen. Einer unserer Lieferanten sucht …“

„Ich bin schwanger.“

„Was?“

„Du hast richtig gehört. Ich bin schwanger.“

„Aber wie konnte das passieren?“

„Wenn ich das bloß wüsste! Ich sitze gerade hier und zerbreche mir den Kopf deshalb.“

„Bleib, wo du bist“, sagte Trudy. „Ich komme sofort.“

Eine halbe Stunde später ging die Türklingel. Rachel drückte den Knopf für den automatischen Öffner und wartete dann hinter der geschlossenen Tür, bis sie die Fahrstuhltür hörte. Erst dann öffnete sie und sah ihrer besten Freundin entgegen.

Trudy Levin war schlank und groß und hatte wunderschöne rote Haare. Sie war ehrgeizig, übernervös und hatte nur eins im Sinn, nämlich in der hart umkämpften Welt der Kosmetikindustrie Karriere zu machen.

Als Rachel vor zwei Jahren nach New York gekommen war, konnte man ihr nur allzu deutlich ansehen, dass sie aus der Provenz kam. Sie war Trudy das erste Mal in der U-Bahn begegnet, als Rachel total die Orientierung verloren hatte und sich überhaupt nicht mehr zurechtfand. Trudy, die in Manhattan geboren war, war ihre letzte Rettung gewesen und hatte sie seitdem wie eine Glucke unter ihre Fittiche genommen.

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Trudy, als sie sich an Rachel vorbei in das Apartment drängte. Das war typisch, Trudy konnte gar nicht langsam gehen, sie war immer in Eile.

Rachel drehte sich um und machte die Tür hinter sich zu.

„Schließ ab.“ Trudy ließ ihre übergroße Tasche auf einen Küchenstuhl fallen.

Rachel lächelte und gehorchte. Trudy sagte ständig, was zu tun war, meist in Form von guten Ratschlägen, wie man in der großen, bösen Stadt überleben könnte. Aber Rachel wusste, dass sie es nur aus Zuneigung tat.

„Also, erzähl mir, was passiert ist.“

Rachel nahm das Messstäbchen vom Küchentisch und hielt es hoch, damit Trudy sich selbst überzeugen konnte. „Blau.“

„Ich kann es nicht glauben“, wiederholte Trudy.

„Was soll ich erst sagen?“

Um ihr Zittern zu verbergen, drehte sich Rachel schnell zu der Spüle um, füllte den Kessel mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. Mit einer hastigen Bewegung zündete sie die Flamme an.

„Ich bin enttäuscht von dir, Rachel. Warum hast du mir nicht erzählt, dass du jemanden hast? Ich habe dir doch auch immer alles über Jake erzählt.“ Trudy sah erstaunt und ein wenig gekränkt aus.

„Aber ich habe doch niemanden.“

„Wer ist dann …?“

Rachel schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“

„Das ist unmöglich.“

„Nein, es ist die Wahrheit. Ich habe keine Ahnung, wer der Vater ist.“

Trudy trat auf Rachel zu. Sie nahm die Freundin bei den Schultern und drehte sie mit einer schnellen Bewegung zu sich herum.

„Sieh mich an.“ Rachel hob den Kopf, und Trudy dämpfte die Stimme, als sie sah, dass Rachel kurz davor war zu weinen. „Mein Liebes, ich weiß, du kommst vom Land und so weiter und so fort, aber selbst du solltest wissen, dass eine Schwangerschaft nichts ist, was man sich von einer fremden Klobrille holt.“

Rachel versuchte zu lächeln. „Ich weiß …“

„Also, wer …“

Der Kessel fing an zu pfeifen, und Rachel nahm ihn vom Herd und drehte das Gas ab. „Es muss der Traum gewesen sein.“

„Der Traum?“

„Erinnerst du dich? Ich habe dir doch mal von einem Traum erzählt, den ich hatte, als ich schwer erkältet war.“

„Der weiße Traum?“

Rachel lächelte nur kurz. „Ja, der weiße Traum.“

Trudy ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Okay. Dann wollen wir uns diesen Traum mal näher ansehen.“

„Möchtest du eine Tasse Tee?“, fragte Rachel.

„Ja. Gern.“

Rachel sah kurz zu Trudy hinüber und fühlte sich gleich ein bisschen besser. Wie gut, dass ihre Freundin da war.

Als sie einander gegenüber saßen und den ersten Schluck getrunken hatten, beugte Trudy sich vor und strich Rachel über die Hand.

„So, nun erzähl mal von Anfang an.“

„An den Anfang kann ich mich nicht mehr erinnern. Nur an das Ende.“

„Dann erzähl mir von dem Ende.“

Rachel nahm wieder einen kleinen Schluck von der heißen Flüssigkeit. „Es muss in der Nacht passiert sein, als ich krank wurde. Weißt du noch?“

„Ja“, sagte Trudy. „Du warst mit mir zu dieser Promotion-Party für das neue Parfum gegangen. Du warst schlimm erkältet.“

„Und ich nahm Antibiotika. Ich hätte nicht ausgehen sollen, aber du hast darauf bestanden.“

„Also bin ich schuld.“

Rachel schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Du meintest, ich sollte nicht so viel zu Hause sitzen, sondern lieber unter Menschen gehen. Nur so könnte ich vielleicht auch einen Job finden.“

„Stimmt. Wir sind ziemlich lange auf der Party geblieben und gingen wohl beinahe als letzte. Ich erinnere mich, dass der Saal so voll war, dass ich dich nicht finden konnte. Ich habe wohl hundertmal alles abgesucht, aber du warst einfach verschwunden.“

„Daran kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern.“

Trudy nickte. „Ich habe dich dann schließlich draußen vor dem Gebäude gefunden. Du saßt auf der Treppe und hattest den Kopf gegen das Geländer gelehnt. Du warst eingeschlafen. Als ich dich aufweckte, sahst du bleich aus wie ein Gespenst, und dir war übel. Ich rief sofort ein Taxi, brachte dich hier rauf und legte dich ins Bett. Kannst du dich an gar nichts mehr erinnern?“

Rachel schüttelte unglücklich den Kopf. „Nein, ich weiß nur, dass ich mit dir zu der Party ging. Ich betrat den Saal, trank irgendetwas … Bowle, glaube ich …“

„In die Bowle hat man was reingetan.“

Rachel starrte gedankenverloren vor sich hin. „Auch daran kann ich mich nicht mehr erinnern.“

Trudy nahm ihre Hand. „Erzähl mir von dem Traum.“

„Das ist schwierig.“

„Versuch es.“

Rachel holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. „Da war ein Mann, und wir haben miteinander …“

„Geschlafen.“

„Ja.“ Rachel errötete.

„In dem weißen Zimmer?“

„Ja.“

„Und wann hattest du diesen Traum das erste Mal?“

„Als ich die Grippe hatte. Ich war zwei Wochen krank und habe immer wieder dasselbe geträumt. Dann hörte es plötzlich auf.“

„Und wie lange ist das jetzt her?“

„Sechs Wochen.“

„Wie lange bist du schon überfällig?“, fragte Trudy.

„Sechs Wochen.“

„Dann ist doch alles klar.“

„Oh, Trudy, das kann nicht wahr sein!“

„Mein liebes Kind, du warst für mindestens eine Stunde verschwunden, vielleicht auch länger. Du musst mit irgendjemandem weggegangen sein. Nun brauchen wir nur noch herauszufinden, mit wem.“ Sie rieb sich nachdenklich die Schläfen. „Versuch, ihn mir zu beschreiben. Vielleicht kann ich dir helfen.“

„Er war ganz in Weiß gekleidet.“

„Das bringt uns nicht sehr viel weiter“, sagte Trudy. „Es war Mitte Juni. Nahezu alle Männer waren weiß angezogen.“

„Er war groß. Und blond.“ Sie hielt kurz inne. „Und er hatte grüne Augen.“

„Das ist schon besser.“

Rachel schloss die Augen. Sie fühlte ein leichtes inneres Zittern. „Er rauchte. Und er hatte ein wunderbares Lächeln. Er hatte Lachfältchen …“ – sie öffnete die Augen und zeigte mit den Fingerspitzen auf ihre äußeren Augenwinkel – „… genau hier. Und seine Stimme war leicht rau. Sie erinnerte mich ein bisschen an Rod Stewart.“ Sie blickte Trudy an. „Nun, hast du irgendeine Idee?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht. Und sonst?“

„Sein Mund. Er hatte einen wunderbaren Mund.“

„In welcher Hinsicht?“

Rachel sah zu Boden. „Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll.“ Sie hob den Kopf und sah die Freundin an.

Trudy machte eine wegwerfende Handbewegung. „Jetzt hat es keinen Sinn, schüchtern zu sein, Rachel. Los, versuch es.“

„Sein Mund war so … heiß.“

Trudy neigte den Kopf und lächelte leicht. „Du scheinst sehr viel mehr zu erinnern, als du anfangs dachtest. Noch etwas?“

„Nein, mehr fällt mir nicht ein.“ Rachel biss sich auf die Unterlippe. „Warte, da ist noch eine Sache. Er hatte einen leichten Akzent, allerdings kaum zu hören. Ich kann nicht genau sagen, was für einen. Britisch. Vielleicht Französisch.“

„Französisch-kanadisch.“

„Was? Du weißt, wer es ist?“ Rachel packte Trudy aufgeregt beim Arm.

„Ich bin mir nicht sicher. Aber das hört sich alles so an, als würde ich ihn kennen.“

„Wer ist es? Trudy, um Himmels willen, sag mir, wer?“

„Mein Chef.“

„Doch nicht Reid James?“

„Doch, Reid James. Der Robert Redford der neunziger Jahre.“

Rachel schlug die Hand vor den Mund. „Du liebe Zeit! Und ich dachte, es war ein Traum.“

Trudy zog die Augenbrauen hoch und blickte kurz auf Rachels Bauch. „Ganz offensichtlich nicht.“

Reid sehnte sich danach, die Sitzung endlich verlassen zu können. Warum konnten diese Leute bloß kein Ende finden? Warum sagten sie nicht einfach das, was sie zu sagen hatten, und gingen anschließend?

Wenn er ehrlich war, waren es nicht nur diese Leute, die ihn zu Tode langweilten. Es war jeder und alles in seinem Leben.

Mit fünfunddreißig hatte er schon alles gesehen und getan, was man tun konnte. In zehn verrückten und stressigen Jahren hatte er einen Konzern aus verschiedenen Gesellschaften und Firmen aufgebaut, der viele Millionen Dollar wert war und ihm Kritik wie Bewunderung eingebracht hatte.

Aber nun war er müde. Und er hatte genug. Es war Zeit, dass jemand anderes die Geschäfte übernahm. Er wollte aussteigen. Schon lange dachte er darüber nach, im Grunde seit seine Mutter vor drei Jahren gestorben war. Er hatte ihr alles bewiesen, was er ihr beweisen musste. Das galt auch für seinen Vater, der ihn erst richtig als seinen Sohn akzeptierte, als Reid seine erste Million verdient hatte.

Doch auszusteigen und alles zu verlassen war einfacher gesagt als getan. Der richtige Zeitpunkt schien nie dazu sein. Immer wieder gab es wichtige Messen und Sitzungen, an denen er teilnehmen musste. Immer wieder musste eine Krise überwunden, ein Problem gelöst werden.

Doch damit musste jetzt Schluss sein.

Etwas brauchte er allerdings, um alles hinter sich lassen zu können, und das, so fürchtete er, würde nicht so leicht zu finden sein.

Er brauchte etwas, das seinem Leben einen Sinn gab.

„Entschuldigen Sie bitte.“ Reid unterbrach den Redner mitten im Satz. „Ich muss gehen“, sagte er und schob den Stuhl zurück.

Er konnte ihre Blicke buchstäblich auf seinem Rücken fühlen, als er auf die Tür zuging, aber keiner sagte ein Wort.

Niemand stellte sein Verhalten infrage. Alle taten, was er wollte.

Langsam schlenderte er zurück zu seinem Büro. Er hatte es nicht eilig, und so blieb er immer wieder stehen, um die Grüße von Angestellten zu erwidern. Er kannte sie alle bei Namen, jeden einzelnen von ihnen, vom Büroboten an.

Charlotte Mercier, seine persönliche Assistentin, saß an ihrem Schreibtisch in seinem Allerheiligsten. Im Grunde leitete sie sein Büro, beantwortete seine Post, unterschrieb in seinem Namen die Briefe. Er vertraute ihr blind und würde keinerlei Bedenken haben, ihr die Geschäfte zu übergeben, wenn er aufhörte.

Sie sah hoch, als er eintrat, und gab ihm einen Stapel rosa Zettel mit Telefonnotizen. Er sah sie schnell durch und ließ den größten Teil wieder auf ihren Schreibtisch fallen, zur Beantwortung oder für den Papierkorb. Das war schon reine Routine geworden, denn er beantwortete nur noch wenige Anfragen selbst.

Ein Zettel erregte seine Aufmerksamkeit. „Wann hat Mazelli angerufen?“

„Ungefähr vor einer halben Stunde.“

Er nickte. Eddy Mazelli war Privatdetektiv und ihm wärmstens empfohlen worden. Doch in den sechs Wochen, die er jetzt für Reid James arbeitete, hatte er noch nichts herausgefunden.

Allerdings gab es auch nicht viel, worauf er seine Nachforschungen stützen konnte.

Reid war ausgesprochen frustriert. Er wünschte, er könnte diese Nacht vergessen, aber das war nicht möglich. Vielleicht deshalb nicht, weil er schon so lange nicht mit jemandem wie dieser Frau zusammengewesen war. Halt, das stimmte nicht ganz. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er noch nie mit einer Frau wie ihr zusammen gewesen war, ja, dass er nicht einmal jemanden wie sie gekannt hatte. Sie war so entspannt, so ungehemmt, lustig, sanft, weiblich, schön, aufregend, sexy und … irgendwie liebevoll gewesen. All das hatte er noch nie bei einer Frau erlebt, auch wohl nicht erwartet.

Es hatte ihn zu Tode erschreckt.

Sie hatten sich geliebt, und rein technisch betrachtet, war an dem Akt selbst nichts Außergewöhnliches gewesen. Außergewöhnlich war jedoch das, was sich dabei auf der gefühlsmäßigen Ebene zwischen ihnen abgespielt hatte.

Er hatte sich ihr vollkommen mit Herz und Sinnen gegeben und konnte seitdem an nichts anderes mehr denken. Er wusste natürlich, dass so etwas passierte, aber ihm selbst war es noch nie widerfahren. Anfangs war er nur verwirrt gewesen, und das hatte ihn geängstigt. Aber bald danach empfand er ein unglaubliches Glücksgefühl, und noch später tiefe Frustration, die ihn nicht wieder losließ.

Seine geheimnisvolle Geliebte war verschwunden. Er hatte sie nur wenige Minuten verlassen, um etwas zu trinken zu holen, und als er zurückkam, war sie fort, als hätte sie sich einfach in Luft aufgelöst.

Aber sie war wirklich gewesen. Ihren Duft nahm er noch tagelang wahr, wenn er sich auf sein Kopfkissen legte, und albern, wie er war, hatte er sich mit seiner Haushälterin angelegt, die die Bettwäsche wechseln wollte.

Nein, alles war nur zu wirklich gewesen, und seitdem konnte er bei Tag und bei Nacht an nichts anderes mehr denken.

„Bitte verbinden Sie mich mit Mazelli“, sagte er zu Charlotte und ging auf seine Bürotür zu.

„Trudy Levin wartet da drinnen auf Sie“, sagte Charlotte und nahm den Hörer ab.

„Worum geht es denn?“

Charlotte zuckte mit den Schultern. „Das wollte sie mir nicht sagen. Nur, dass sie mit Ihnen sprechen müsse. Es sei wichtig.“

Er nickte kurz. „Okay, ich spreche mit ihr. Denken Sie an Mazelli.“ Er öffnete die Tür.

„Oh, und sie hat eine andere Frau mitgebracht“, rief Charlotte noch hinter ihm her.

Reid trat in sein Büro. Der Raum war groß, er nahm fast das ganze obere Stockwerk des Reidschen Bürogebäudes ein. Er hatte große Fenster und war sehr hell, denn Reid liebte es, wenn der ganze Raum von Sonnenlicht erfüllt war.

Trudy stand am Fenster und drehte sich um, als Reid in den Raum trat. Sie lächelte. „Hallo, Reid.“

Auch er lächelte. Er mochte sie. Sie war eine seiner besten Mitarbeiterinnen. Klug. Loyal. Ehrgeizig.

Er trat näher an seinen Schreibtisch heran. „Tag, Trudy. Was kann ich für Sie tun?“

Und dann erst erblickte er die dunkelhaarige Frau, die am Eckfenster stand. In diesem Moment drehte sie sich halb um und sah ihn über die Schulter hinweg an. Reid kniff die Augen leicht zusammen, weil das Licht ihn blendete.

Dann erkannte er sie und hatte den Eindruck, der Boden würde ihm unter den Füßen weggezogen.

„Rachel.“ Es war nur ein heiseres Flüstern.

Trudy seufzte. „Ich sehe schon“, sagte sie. „Ich brauche euch einander nicht vorzustellen.“

2. KAPITEL

„Sie wissen, wie ich heiße?“

Reid trat einen Schritt vor. „Nur, dass Ihr Vorname Rachel ist.“

Sie sah so aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Nur hatte sie damals gelächelt und sorglos und frei gewirkt. Jetzt war sie nervös und verkrampft. In ihren dunklen Augen las er Angst und Unsicherheit.

Der Summer ertönte, und Charlottes Stimme kam aus dem Lautsprecher. „Mazelli auf eins.“

Wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht wieder verschwinden würde, sah Reid Rachel unverwandt an, während er zu seinem Schreibtisch ging und den Hörer abnahm.

„Bleiben Sie bitte.“ Dann drückte er den Knopf von Leitung eins. „Ja.“ Er trommelte mit den Fingern auf die lederne Schreibunterlage und lauschte. „Gut. Schicken Sie mir Ihre Rechnung.“ Er sah hoch und suchte Rachels Blick. „Ja. Das stimmt. Ich brauche Sie nicht länger.“

Reid legte den Hörer wieder auf. Dann blieb er bewegungslos stehen und starrte Rachel an, als sei sie ein Phantom. Auch Rachel blickte ihn nur an. Trudy räusperte sich kurz. „Vielleicht sollte ich euch doch einander vorstellen. Rachel Morgan. Reid James.“

„Hallo“, sagte Rachel leise.

„Hallo? Ist das alles, was Sie zu sagen haben, nach dem, was vorgefallen ist?“

Rachel sah kurz zu Trudy hinüber. „Was meinen Sie damit? Was ist vorgefallen?“

„Soll das ein Scherz sein?“

Rachel schüttelte langsam den Kopf. „Nein.“

Reid drehte sich zu Trudy um. „Würden Sie uns bitte einen Augenblick allein lassen?“

Trudy zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich das tun sollte. Sie ist Ihre Temperamentsausbrüche nicht gewohnt. Sie sehen aus, als wollten Sie gleich jemanden umbringen.“

„Keine Sorge, Trudy. Ich habe schon seit Jahren keine Frau mehr umgebracht.“

Trudy schüttelte den Kopf und lächelte. „Vielleicht sollte ich doch lieber bleiben.“

„Nein. Es gibt Dinge, die gehen keinen Fremden etwas an.“

„Ich glaube, ich weiß schon, worum es sich handelt.“

„So?“ Reid zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Das ist interessant. Dann wissen Sie mehr als ich.“

Trudy war klar, dass er aufgebracht war und sich nur noch schwer beherrschen konnte. Sie blickte zu Rachel hinüber, die zitternd an der Wand stand.

„Ist schon in Ordnung, Trudy“, sagte Rachel mit unsicherer Stimme. „Bitte, lass uns allein.“

Trudy ging zur Tür. „Okay. Aber ich warte draußen. Schrei, wenn du mich brauchst.“

Nachdem Trudy die Tür hinter sich geschlossen hatte, kam Reid hinter seinem Schreibtisch hervor. Er ging zu der Sitzecke hinüber und legte die Hand auf die Lehne eines zierlichen antiken Stuhls.

„Setzen Sie sich“, sagte er leise, und als sie sich nicht rührte, fügte er hinzu: „Bitte.“

Reid James bat höchst selten um etwas, und deshalb kam ihm das Wort jetzt nur mühsam über die Lippen. Aber auf keinen Fall wollte er Rachel so verängstigen, dass sie wieder verschwand. Er musste endlich erfahren, wer sie war und was passiert war. Das Schicksal hatte es so gut mit ihm gemeint, dass sie jetzt hier vor ihm stand, und er wollte dieses Glück keinesfalls aufs Spiel setzen.

„Bitte“, wiederholte er, und diesmal kam sie seiner Bitte nach.

Er setzte sich ihr gegenüber auf das Sofa, und nur der niedrige Couchtisch stand zwischen ihnen.

Rachel legte die Hände auf ihre Knie und sah Reid an. „Können Sie mir sagen, was in der Nacht passiert ist?“

Reid zog die Augenbrauen hoch. „Das wollte ich Sie gerade fragen.“

Rachel schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich habe immer geglaubt, ich hätte das alles geträumt.“

„Geträumt?“

„Ja. Wissen Sie, ich wurde danach ziemlich krank. Grippe oder irgendein anderer Virus. Wie auch immer, es ging mir nicht sehr gut. Ich bin an dem Abend ohnmächtig geworden, und ich kann mich leider nicht mehr an viel erinnern. Trudy sagte, Sie seien der Gastgeber der Party gewesen.“

„Ja. Es war eine Einführungsparty für unser neues Parfum. Wir sind uns da begegnet“, sagte er langsam. „Wir haben uns unterhalten …“

„Und dann?“

Meinte sie das ernst? Dachte sie wirklich, er würde ihr glauben, dass sie sich an nichts mehr erinnern konnte?

„Wir haben die Party zusammen verlassen.“ Rachels Augen weiteten sich. Sie lehnte sich vor und forderte ihn mit einem kurzen Nicken auf weiterzusprechen. „Wir gingen eine Zeitlang spazieren“, fuhr er fort, „bis wir zu meinem Haus kamen. Können Sie sich jetzt erinnern?“

„Nein“, sagte sie leise. „Und was geschah dann?“

„Dann kamen Sie mit mir.“

„In Ihr Haus?“

„Ja.“

„Und dann?“

„Dann gingen wir in mein Schlafzimmer.“

Rachel senkte den Blick. Das Blut stieg schoss ihr ins Gesicht.

„Sieh mich an“, sagte er, und sie tat es. „Du kannst das wirklich nicht mehr erinnern?“

„Nein, ich hatte ziemlich schwere Medikamente eingenommen. Und ich hatte etwas getrunken. Die Bowle, glaube ich …“

„Die Bowle bestand fast nur aus Wodka.“

„Das hat Trudy auch gemeint. Ich weiß nicht, ob die Kombination von Alkohol und Tabletten etwas damit zu tun hatte, aber ich habe einen totalen Blackout, was den Rest des Abends angeht.“

„Aber du wirktest vollkommen in Ordnung.“ Er hielt kurz inne. „Mehr als in Ordnung.“

„Es ging mir wirklich nicht gut.“

„Und du erinnerst dich nicht, dass wir uns geliebt haben?“

„Nein … ja … aber erst hinterher. Ich dachte erst, es sei ein Traum.“

„Und jetzt?“

Rachel atmete bewusst langsam aus. Sie zitterte so sehr, dass sie sich zurücklehnen musste und die Stuhlkante fest umklammerte.

„Es ist etwas passiert.“

„Was?“

„Ich bin schwanger.“

Reid starrte sie an. Er hatte gedacht, nichts hätte ihn mehr schockieren können als ihr plötzliches Erscheinen. Aber er hatte sich geirrt. Sein Herz klopfte so wild, dass er fürchtete, die Hemdknöpfe würden jeden Moment abspringen.

„Und du willst behaupten, dass ich der Vater bin?“

„Es gibt keine andere Erklärung“, sagte sie.

„Mir würden schon noch ein paar einfallen.“

Rachel ballte die Hände zu Fäusten. Sie durfte auf keinen Fall die Beherrschung verlieren. Die ganze Situation war auch so schon schwierig genug. Natürlich war er misstrauisch. Das war normal.

Sie befeuchtete kurz die Lippen. „Ich weiß, was Sie denken.“

„Irrtum. Du hast nicht die leiseste Ahnung“, bemerkte er knapp.

„Doch, ich weiß es. Sie denken, ich bin hinter Geld her. Das stimmt nicht. Ich möchte nichts von Ihnen.“ Sie stand auf. „Als Trudy und ich schließlich herausgefunden hatten, was passiert sein musste, bat ich sie, mich hierher mitzunehmen. Ich war der Meinung, dass Sie ein Recht darauf hätten, die Wahrheit zu erfahren. Nicht mehr, nicht weniger.“ Rachel ging zur Tür. „Ich werde Sie nicht mehr belästigen.“

„Bleib stehen“, sagte er.

„Ich bin keine von Ihren Untergebenen, Mr. James. Sie haben mir gar nichts zu befehlen.“

„Komm zurück.“ Als sie sich nicht rührte, presste er zwischen den Zähnen hervor: „Bitte.“

Rachel drehte sich um und blickte direkt in klare grüne Augen. Sein Blick war so überwältigend und zwingend, dass sie einfach auf Reid zugehen musste. Wenige Meter vor ihm blieb sie stehen. „Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen.“

„Aber ich möchte dir einiges sagen, wenn du nichts dagegen hast.“

Reid stand auf. In seinem Kopf drehte sich alles. Mit der Anmut und der Leichtigkeit eines Mannes, der gewohnt ist, alle Wünsche erfüllt zu bekommen, ging er zu seinem Schreibtisch. Er griff nach einem goldenen Zigarettenetui.

„Zigarette?“, fragte er und fügte dann schnell hinzu, „ach nein, ich vergaß, du rauchst ja nicht. Mit sechzehn hast du es mal probiert, und dir ist danach fürchterlich schlecht geworden.“

Rachel lief ein Schauer über den Rücken. Ganz offensichtlich hatte sie ihm von sich erzählt. Doch von ihm wusste sie nicht mehr als das, was Trudy ihr erzählt hatte und was in den Zeitungen stand. Alles aus zweiter Hand.

Das einzige, was sie mit Sicherheit wusste, war, dass sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trug.

Plötzlich wurde ihr schwindelig, und sie schwankte leicht. „Ich möchte mich gern setzen“, meinte sie leise und machte einen Schritt in Richtung des ledernen Schreibtischsessels.

„Wie wäre es mit einem Kaffee oder einem Tee?“, fragte er.

„Tee wäre wunderbar.“

Reid drückte auf die Gegensprechanlage und gab Charlotte den Auftrag.

„Du siehst schlecht aus“, sagte er ernst.

„Mir geht es gut. Mir ist nur ein bisschen schwindelig.“ Sie sah zu ihm auf. „Das soll unter diesen Umständen normal sein.“

Er nickte knapp, zündete sich die Zigarette an und inhalierte tief. Es klopfte an der Tür, und Charlotte kam mit einem Tablett herein. Sie lächelte geheimnisvoll, und er erkannte, dass sie offenbar im Bilde war. Diese Trudy … Er musste den Klatsch im Keim ersticken, andernfalls würde das ganze Haus noch vor Dienstschluss über alles genau informiert sein.

„Danke.“ Rachel nahm die Teetasse entgegen.

„Bitte, meine Liebe“, sagte Charlotte. „Wenn Sie noch etwas brauchen, sagen Sie nur Bescheid.“

„Das ist alles, Charlotte“, sagte Reid und wies auf die Tür.

Sie lächelte wieder, und Reid schüttelte leicht warnend den Kopf.

Während Rachel sich Zucker in den Tee tat, beobachtete Reid sie durch den Zigarettenrauch, der seine Augen verbarg. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Er versuchte, sich die fragliche Nacht wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, diesmal nüchterner und ohne dieses warme verwirrende Gefühl, das normalerweise die Erinnerung begleitete.

Der Tag damals war die reine Hölle gewesen. Um fünf Uhr nachmittags hatte er bohrende Kopfschmerzen gehabt, und ihm stand der Sinn nach allem anderen, nur nicht danach, auf dieser Party zu erscheinen und den üblichen Smalltalk zu machen. Aber er hatte sich erweichen lassen und hatte zugesagt. Er war ein paarmal in dem Saal hin und her gegangen, hatte viele Hände geschüttelt und mit den Medienleuten geplaudert. Für diesen besonderen Anlass hatten sie das „Armory“ gemietet, das nur wenige Straßen von seinem Stadthaus entfernt lag. Er hatte sich gerade entschlossen zu gehen, als er Rachel erblickte.

Wie in der Szene eines alten Films nahm er die Menschenmenge überhaupt nicht mehr wahr, als sie sich über den ganzen Saal hinweg in die Augen sahen. Ohne viel nachzudenken, änderte er die Richtung und ging auf die junge Frau zu. Sie hatte gelächelt, und das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf schien augenblicklich nachzulassen. Sie hatten miteinander geredet, wie es auf solchen Partys üblich ist, und sie hatte ihn zum Lachen gebracht. Das war schon unter günstigen Umständen nicht einfach, aber in dieser Nacht grenzte es an ein Wunder.

Er hatte sie gefragt, ob sie ein wenig an die frische Luft gehen wollten, und sie hatte zugestimmt. Ganz langsam waren sie zum Ausgang geschlendert und hatten es tatsächlich geschafft, unbemerkt die Party zu verlassen. Es war eine schwüle Nacht, und schon nach wenigen Minuten klebte ihnen die Kleidung am Körper. Ohne dass er es bewusst geplant hatte, standen sie schließlich vor seinem Haus. Er bot ihr etwas Kühles zu trinken an, und sie nahm an.

Die Erinnerung überfiel ihn mit neuer Heftigkeit, als er beobachtete, wie sie jetzt ihren Tee trank. Sie sah ihn über den Rand der Tasse hinweg an.

Das warme Gefühl war wieder da, dasselbe Gefühl, das er während der ganzen Nacht damals empfunden hatte. Sie hatten miteinander gesprochen, als hätten sie sich schon ihr ganzes Leben gekannt. Als sie etwas über die Einrichtung äußerte, zeigte er ihr das ganze Haus, und schließlich landeten sie in seinem Schlafzimmer im obersten Stockwerk. Sie hatte sich über die Größe seines Bettes lustig gemacht, und er hatte ihr lachend vorgeschlagen, es doch einmal auszuprobieren. Ohne sich viel dabei zu denken, hatte sie sich auf dem Bett ausgestreckt und die Berührung der kühlen weißen Laken sichtlich genossen.

In diesem Moment hatten sie sich wieder angesehen, und wieder spürte er, dass er gar nicht anders konnte, als sich auf den Bettrand zu setzen, so wie er früher am Abend hatte auf sie zugehen müssen. Sie hatte so sicher und entspannt gewirkt, dass es die normalste Sache von der Welt zu sein schien, sie zu küssen.

Und ab dann hatte er jede genaue Erinnerung verloren, ebenso wie das Gefühl für Zeit, Ort und Wirklichkeit. Er wusste nur, dass sie sich mit einer solchen Selbstverständlichkeit, Hemmungslosigkeit und Freude geliebt hatten, als würden sie sich schon seit Jahren kennen.

Und genau deshalb konnte er diese Nacht nicht vergessen. Und wenn diese Nacht für ihn so etwas Besonderes gewesen war, dann musste sie das auch empfunden haben. Und so konnte er ihr einfach nicht abnehmen, dass sie nichts mehr erinnerte.

Machte sie ihm nur etwas vor? Er musste sie unbedingt näher kennenlernen. Sie kannte Trudy Levin, und das sprach immerhin für sie. Aber er war sich dieser Art von „Baby-Falle“ wohl bewusst. Als er in den Zwanzigern war, hatte man versucht, ihm eine Vaterschaftsklage anzuhängen. Und obgleich er durch Bluttests nachweisen konnte, dass die Frau sich geirrt hatte, und die Klage fallengelassen wurde, war das Ganze eine teure und peinliche Angelegenheit gewesen.

Seitdem war er in Bezug auf engere Bindungen doppelt vorsichtig geworden. In den letzten Jahren hatte es immer weniger Frauen in seinem Leben gegeben, obgleich die Zeitungen natürlich das Gegenteil behaupteten. Wenn er mit einer Frau zusammen war, achtete er stets darauf, dass er sich schützte. Das hatte er natürlich auch in der Nacht mit Rachel getan. Aber Kondome sind eben kein hundertprozentiger Schutz, sagte er sich.

„Geht es dir besser?“, fragte er, als sie die Tasse auf das Tablett zurückstellte.

„Ja, danke, viel besser.“ Sie sah zu ihm hoch. „Was wollten Sie mich fragen?“

„Wenn das stimmt, was du sagst …“

„Es stimmt.“

„Dann werde ich dich vermutlich fragen müssen, was du nun tun wirst.“

„Es gibt verschiedene Möglichkeiten“, sagte sie leise.

„Ja. Hast du schon irgendeine Entscheidung getroffen?“

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein, das habe ich nicht.“

Reid drückte die Zigarette in einem Aschenbecher aus. „Ich würde gern in diesen Entscheidungsprozess mit einbezogen werden.“

„Dann glauben Sie mir?“

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Nicht unbedingt.“

„Warum wollen Sie sich dann damit belasten? Wenn ich diesen Raum hier verlasse, müssen Sie mich nie mehr wiedersehen. Ich verspreche Ihnen, Sie nicht in irgendetwas hineinzuziehen.“

„Aber es besteht die Möglichkeit, dass du die Wahrheit sagst“, antwortete er. „Und wenn das der Fall ist, dann, Rachel, ist das auch meine Sache. Ich nehme meine Verantwortung ernst.“

„Ich gehöre nicht in Ihren Verantwortungsbereich. Ich kann auf mich selber aufpassen.“

„Das werden wir dann sehen“, sagte er. Er stand auf. „Rachel, sei doch bitte nicht so förmlich. Dazu ist es jetzt ein bisschen zu spät, meinst du nicht auch? Sag Reid zu mir.“ Er schwieg kurz und hielt sie mit seinem Blick fest. „Das hast du auch damals in der Nacht getan, und nicht nur einmal.“

Rachels Mund wurde trocken. Sie räusperte sich. „Ich kann mich nicht erinnern.“

Reid stand jetzt vor ihr, und sie sah zu ihm auf. Sein Gesicht war ernst. Er beugte sich vor und stützte sich auf den beiden Armlehnen ihres Stuhles ab, sodass sie wie in einer Falle gefangen war.

„Dann werde ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.“

Sein Mund war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Rachel blieb vollkommen ruhig sitzen und dachte nicht daran, Widerstand zu leisten. Sie schloss langsam die Augen, als seine Lippen sie berührten. Sie öffnete leicht den Mund, als sei das die natürlichste Sache von der Welt. Reid stöhnte leise auf und drang weiter vor.

Jetzt spürte sie auch wieder, was ihr damals in der Nacht schon aufgefallen war, die ganz besondere Leidenschaft, mit der er küsste. Dann erkannte sie seinen Duft, seinen Geschmack, und mit einem Mal war alles wieder da, was sie damals gefühlt hatte. Die Leidenschaft, mit der Reid sie küsste, schien ihren ganzen Körper zu entflammen, und beinahe schmerzhaft spürte sie die drängende Macht der Begierde.

Reid fühlte sich wie ein Alkoholiker, der lange abstinent geblieben war und sich nun einen Schluck erlaubte, einen und nicht mehr. Und diesen Schluck wollte er voll auskosten. Er hörte sie leise stöhnen, und dieser Laut traf ihn bis in die Seele. Er begann vor Erregung zu zittern, aber es war da auch etwas anderes, und plötzlich empfand er wieder Angst.

Er richtete sich auf. Sie starrten sich an, schwer atmend, als hätten sie einen Dauerlauf hinter sich.

„Es tut mir leid“, sagte er leise.

Rachel befühlte kurz ihre geschwollenen Lippen. „Warum hast du das getan?“, fragte sie.

Mit geballten Fäusten trat Reid einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf, als wolle er sich selbst über etwas klarwerden. Er drehte sich halb um und sah sie an. „Ich musste herausfinden, ob das alles nur ein Hirngespinst von mir war.“

Rachel nickte langsam. Sie wusste, was er meinte, und verstand, dass er sich vergewissern wollte, ob sie tatsächlich zusammengewesen waren. Von dem Baby einmal abgesehen, das auch ihr selbst noch ziemlich unwirklich vorkam, brauchte sie ebenso wie er einen Beweis dafür, dass der Traum tatsächlich Wirklichkeit gewesen war.

Und der Kuss vorhin war Beweis genug.

Für beide.

Die Initiative war von Reid ausgegangen, aber Rachel hatte genau gefühlt, wie sie seinen Kuss erwidern musste. Diese instinktive Vertrautheit konnte einfach keine Täuschung sein.

Es klopfte, und Trudy steckte den Kopf durch die Tür. „Ist alles in Ordnung mit euch?“

„Ja“, sagte Reid und trat wieder hinter seinen Schreibtisch. „Es geht uns gut.“

„Kann ich hereinkommen?“

„Bitte“, sagte Rachel. Sie stand auf. „Wenn das alles ist …“

„Darf ich dich anrufen?“, fragte er.

„Ich …“ Rachel sah zu Trudy hinüber und blickte dann Reid wieder an. „Wenn du möchtest.“

„Ja, ich möchte.“

„Gut.“

„Ich bringe dich nach Hause“, sagte Trudy und drehte sich dann zu Reid um. „Es sei denn, Sie brauchen mich noch.“

Reid schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er und begleitete dann die beiden Frauen zur Tür.

Rachel wandte sich zu ihm um. Sie war verlegen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie streckte die Hand aus. „Auf Wiedersehen, Reid.“

„Ich danke dir, dass du gekommen bist“, sagte er höflich und schüttelte ihr die Hand. Diese Geste drückte Zurückhaltung aus, aber in seinen Augen las Rachel etwas ganz anderes. Ob ihr beides galt? Sie lächelte zurück.

Nachdem Rachel und Trudy gegangen waren, blieb Reid noch eine ganze Zeit im Türrahmen stehen und starrte vor sich hin. Charlotte beobachtete ihn und wartete darauf, dass er etwas zu ihr sagte. Als er schwieg, setzte sie sich schließlich wieder an die Schreibmaschine. Das Klappern schreckte ihn auf.

„Charlotte“, sagte er. „Bitte, verbinden Sie mich noch mal mit Mazelli.“

Rachels Besuch beim Arzt bestätigte nur, was sie bereits wusste. Die erste Augustwoche verbrachte sie überwiegend damit nachzudenken. Verschiedene Möglichkeiten, hatte sie zu Reid gesagt. Es stand vieles zur Auswahl heutzutage, aber sie hatte den Eindruck, dass ihre Wahlmöglichkeiten begrenzt waren.

Sie war dreißig Jahre alt. Das war nicht alt, aber auch nicht jung. Im Grunde genau das Alter, in dem man Verantwortung als Mutter übernehmen konnte. Wenn sie Tom geheiratet hätte, würden sie jetzt etwa anfangen, eine Familie zu gründen. Aber sie hatte Tom nicht geheiratet. Und es war auch kein Heiratskandidat in Sicht.

Ganz plötzlich kam ihr Reid James in den Sinn, und sie versuchte, diesen Gedanken zu unterdrücken. Er glaubte ihr nicht, und sie hatte nicht die Kraft und die Energie, ihn zu überzeugen.

Vor ihrem geistigen Auge sah sie immer noch die Schlagzeile in einer Illustrierten, die Trudy ihr gegeben hatte: New Yorks begehrtester Junggeselle. Sie zuckte zusammen. Und er dachte, sie wolle Geld von ihm. Wenn sie zu diesem Typ Mensch gehörte, hätte ein kurzer Anruf bei der Boulevard-Presse sie um Tausende reicher machen können.

Nein, sie ganz allein musste ihr Leben in die Hand nehmen, und ob es Reid James nun gefiel oder nicht, sie musste den Entschluss ohne seine Hilfe fassen.

Sie wollte das Kind, das stand für sie fest.

Die anderen Entscheidungen waren nicht so einfach zu treffen. Sie besaß zwar noch den größten Teil des Geldes, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, aber ohne einen Job würde sie damit nicht weit kommen. Und sosehr sie New York auch liebte, das Leben hier war sehr teuer, auch wenn sie Reid um Hilfe bat.

Aber das würde sie nicht tun. Eine warnende Stimme in ihrem Inneren sagte ihr, dass er sich dann höchstwahrscheinlich nicht nur in ihr Leben, sondern auch in das des Kindes einmischen würde. In dem Abglanz von Reid James’ Berühmtheit zu leben, war für sie alles andere als erstrebenswert. Sie liebte ihre Unabhängigkeit viel zu sehr, und deshalb wäre es das Beste, wenn sie nach Ohio zurückkehrte und zu ihrem Vater zog.

Ihr Magen verkrampfte sich bei diesem Gedanken. Bereits zwei Monate nach dem Tod ihrer Mutter hatte er sich wieder verheiratet, für Rachel damals unbegreiflich. Obwohl sich ihr Verhältnis inzwischen wieder gebessert hatte und sie miteinander sprachen, war ihre Beziehung zueinander nicht frei von Spannungen.

Rachel saß auf der Bettkante, den Kopf in die Hände gestützt. Sie hatte sich damals nicht beherrschen können. Ihre Mutter war zwei Jahre schwer krank gewesen, und Rachel hatte sie bereitwillig und gern gepflegt. Dass die Ehe ihrer Eltern nicht ideal war, hatte sie immer gewusst, aber die Krankheit der Mutter machte die unangenehmen Charakterzüge des Vaters besonders deutlich. Er konnte mit der Krankheit nicht umgehen, die auf ihnen allen lastete, und so verbrachte er die meiste Zeit außer Haus und überließ Rachel die Pflege.

Das war ihr zwar selbstverständlich, aber sie hatte auch teuer dafür bezahlen müssen. Toms anfängliche Geduld und Bereitschaft, das Hochzeitsdatum immer wieder zu verschieben, ließ nach, und schließlich hatte er eine andere gefunden, die so für ihn dasein konnte, wie er es wollte.

Das hatte er ihr an dem Tag nach der Beerdigung erzählt. Dass Tom sie verließ, war ein zweiter schwerer Schlag für sie nach dem Tod der Mutter. Und dann hatte ihr Vater ihr seine neue Freundin vorgestellt und erklärt, dass er diese Frau heiraten und mit ihr in Rachels Elternhaus leben wollte.

Im Haus ihrer Mutter.

Das war mehr, als Rachel ertragen konnte. Sie war noch am selben Tag ausgezogen und hatte bis zu der Übersiedlung nach New York bei einer alten Schulfreundin gewohnt.

New York war eine riesige Stadt, in der man sich verlieren und unauffindbar bleiben konnte. Aber sich nur zu verstecken, befriedigte Rachel nicht. Sie hatte bereits mit ihrer ersten Bewerbung Erfolg. Später machte sie eine Ausbildung als Modedesignerin und Textilkauffrau. In der Zeit fand sie auch eine Wohnung, lernte Trudy kennen und führte endlich wieder ein normales Leben.

Doch das war nicht von langer Dauer. Als die Firma Leute entlassen musste, hatte Rachel ihren Job verloren, denn da sie als letzte eingestellt worden war, wurde sie als erste entlassen. Das war nun vier Monate her. Seitdem hatte sie alles Mögliche versucht, um eine neue Stellung zu finden, und hatte zwischendurch immer wieder als Kellnerin gejobbt.

Obwohl sie es mit ihrem Stolz nur schwer vereinbaren konnte, wieder reumütig nach Hause zurückzukehren, blieb ihr keine andere Wahl. Zumindest, wenn sie das Baby behalten wollte. Und sie wollte das Kind. Das war das einzige, was sie ganz sicher wusste.

Die Entscheidung war gefallen.

Der Summer ertönte, und Rachel stand langsam auf. Trudy hatte versprochen, nach Dienstschluss bei ihr vorbeizukommen und etwas zu essen mitzubringen.

Sie drückte den Türöffner und deckte den Tisch, während Trudy mit dem Fahrstuhl unterwegs war. Als es klopfte, öffnete Rachel und starrte auf die Freundin, die eine Riesentüte auf beiden Armen trug.

„Hast du das China-Restaurant leergekauft?“, fragte Rachel und starrte sie an.

„Nein, aber ich habe so viel bestellt, dass noch etwas übrig bleibt. Ich bin ziemlich sicher, dass du für dich allein nicht kochst.“

„Du bist unmöglich.“ Rachel musste lächeln.

Trudy strich ihr über die Wange und stellte die Tüte auf den Tisch. „Aber du liebst mich trotzdem.“

Sie setzten sich zum Essen, und Trudy strahlte Rachel an. „Haben wir es nicht gut?“

„Wunderbar.“ Etwas abwesend stocherte Rachel in dem gebratenen Reis herum.

„Hast du dir schon überlegt“, begann Trudy, „was du machen wirst?“

„Ja, so ungefähr.“

„Und was?“

Rachel richtete sich wieder auf und blickte auf ihren Teller. Sie ließ sich mit der Antwort Zeit, denn wenn sie die Entscheidung erst einmal verkündet hatte, würde sie daran auch gebunden sein.

„Nun?“

Rachel sah hoch und blickte in Trudys ernstes Gesicht. „Ich gehe wieder nach Hause zurück.“

„Das kannst du nicht tun. Du wirst dort todunglücklich.“

„Ich habe schon das Reisebüro angerufen.“

„Aber hast du dich auch mit deinem Vater in Verbindung gesetzt?“

„Nein. Aber ich werde es bald tun. Morgen.“ Sie sah, dass Trudy mit ihrer Entscheidung keineswegs einverstanden war. „Ich habe keine andere Wahl.“

„Doch, die hast du.“

„Welche denn?“

„Reid.“

Rachel schüttelte energisch den Kopf. „Nein.“

„Warum nicht? Er hat mehr Geld, als gut für ihn ist. Er kann dir helfen, kann dir einen Job verschaffen …“

„Nein. Daran darfst du noch nicht einmal denken. Ich werde kein Geld von ihm annehmen. Nicht jetzt zumindest. Vielleicht später, wenn das Kind älter ist. Fürs College.“

„Aber warum denn nicht?“

„Weil ich den Eindruck hätte, mich und das Baby zum Verkauf anzubieten. Ich würde mich ihm verpflichtet fühlen. Von der Publicity ganz zu schweigen. Kannst du dir vorstellen, was in den Zeitungen los ist, wenn sie das herausfinden? New Yorks begehrtester Junggeselle und ich. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir.“

„Das wirst du schon überstehen.“

„Aber ich will das nicht durchmachen. Ich möchte mein Baby in Ruhe und Frieden zur Welt bringen. Ich möchte nichts mit dem ganzen Medienzirkus um Reid James zu tun haben. Ich könnte es nicht tun, Trudy, selbst wenn er es anbieten würde.“ Sie hielt kurz inne. „Und er hat es doch nicht angeboten, oder?“

Trudy schüttelte langsam den Kopf. „Nein, aber er würde, wenn …“

„Wenn ich ihn fragte? Oh, Trudy, kannst du nicht begreifen, wie ich mir dann vorkommen würde?“

Trudy stand auf, ging auf Rachel zu und legte ihr den Arm um die Schultern. „Warum bist du so eigensinnig? Er kann einiges für dich tun.“

„Er hat schon genug für mich getan, findest du nicht?“

„Das ist nicht fair. Er ist wirklich ein anständiger Mensch. Vielleicht manchmal ein bisschen barsch, aber das ist bei seiner Vergangenheit ja kein Wunder.“

„Was hat er denn für eine Vergangenheit?“

Das Telefon klingelte. Rachel atmete einmal tief durch, bevor sie den Hörer abnahm.

„Hallo.“

„Rachel? Wie geht es dir?“

Es war Reid. Rachel ließ sich auf die Bettkante sinken, sah Trudy an und formte mit den Lippen lautlos seinen Namen. „Danke. Es geht mir gut.“

„Ich hoffe, dass du mir den Anruf nicht übel nimmst. Trudy gab mir deine Nummer.“

„Nein, das ist schon in Ordnung. Warum rufst du an?“

„Ich möchte mich mit dir treffen und mit dir sprechen.“

Rachel schloss die Augen und presste kurz die Lippen aufeinander. „Mein Entschluss steht bereits fest, Reid.“

Er zögerte. „Und …?“

„Ich werde das Baby behalten.“

Er atmete erleichtert aus. „Ich bin froh darüber.“

„Wirklich?“, fragte sie.

„Ja, sehr. Wirst du dich mit mir treffen?“

„Ich wüsste nicht, warum, Reid.“

„Um zu überlegen, wie wir weiter vorgehen.“

„Wir müssen nichts überlegen. Ich habe mich entschlossen, wieder nach Hause zurückzukehren.“

„Nach Hause?“

„Nach Ohio.“

„Oh. Ist das endgültig?“

„Ja, ich habe schon alles vorbereitet“, log sie.

Reid schwieg eine lange Zeit. Dann sagte er schließlich: „Ich verstehe. Nun, dann ist dies vermutlich …“

„Der Abschied“, vollendete Rachel den Satz für ihn.

Sie hatte nicht geglaubt, dass ihr das so schwerfallen würde. Sie kannte ihn doch schließlich kaum. Wenn diese eine gemeinsam verbrachte Nacht keine Folgen gehabt hätte, wären sie sich wahrscheinlich nie wieder begegnet. Aber sie hatten etwas ganz besonderes miteinander erlebt. Sie empfand etwas für ihn, und konnte es nicht benennen.

Der Mund wurde ihr trocken, und die Tränen traten ihr in die Augen. Sie musste dieses Gespräch schnell zu einem Ende bringen.

„Ich muss jetzt gehen.“

„Gut“, sagte er leise. Und als sie nicht gleich auflegte, fügte er hinzu, „Rachel, bist du noch da?“

„Ja“, flüsterte sie.

„Wirst du mir Nachricht geben, wenn … und überhaupt …“

„Ja, natürlich. Auf Wiedersehen, Reid.“

Diesmal legte sie den Hörer auf, hielt ihn aber noch lange fest, nachdem die Verbindung schon unterbrochen war.

„Nun, das war das“, sagte Trudy und seufzte. „Schade.“

„Ja“, sagte Rachel. „Es ist vorbei.“

3. KAPITEL

Es war nicht vorbei. Zumindest nicht, was Reid betraf.

Rachel konnte doch nicht wirklich glauben, sie könnte in sein Leben treten, dort eine Art Zeitbombe legen und ihn dann wegscheuchen wie eine lästige Fliege an einem heißen Sommertag.

Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, starrte er noch eine lange Zeit auf das Telefon. Sie wollte also nach Hause zurückkehren, wie sie sagte. Nach Ohio, immerhin. Nicht, dass er etwas gegen Ohio hatte. Aber in Ohio war er nicht zu Hause. Er lebte hier, in New York. Und genau hier sollte auch sie sein.

Besonders jetzt, wo sie sich entschieden hatte, das Kind zu behalten.

Er hatte kaum glauben können, wie begeistert, ja überglücklich er über diese Entscheidung gewesen war. Sie durfte nicht wieder aus seinem Leben verschwinden, das war das wichtigste. Und nun musste er eine Strategie entwickeln, wie er das erreichen konnte.

Er würde für sie sorgen. Ein Apartment an der Upper West Side vielleicht, in der Nähe des Parks, wäre das Beste, damit sie mit dem Baby an schönen Tagen spazieren gehen konnten. Er würde ein Kindermädchen anstellen. Das Beste war gerade gut genug für seinen Sohn … oder seine Tochter, das war ihm egal. Es war sein Kind. Das wusste er genau, was auch Mazelli herausfinden mochte.

Richtig oder falsch, gut oder schlecht, Rachel Morgan und Reid James hatten in jener Nacht ein Kind gezeugt.

Irgendetwas hatte sie an dem bewussten Abend zusammengeführt. Ob Gott, ob das Schicksal oder die Sterne, irgendeine größere Macht als sie beide hatte es so bestimmt, und instinktiv wusste er, dass es einen Grund dafür gab.

Er hatte seinem Instinkt immer vertraut, auch wenn sein Verstand nein sagte und die Leute ihn für verrückt erklärten, und niemals hatte er sich getäuscht. Und das war auch diesmal nicht der Fall. Rachel und er hatten ein Kind gezeugt, und damit war er automatisch Teil ihres Lebens.

Das bedeutete, dass sie nicht nach Ohio zurückkehren durfte.

Reid strich sich über die Schläfen, während er überlegte, was als nächstes zu tun war. Das Telefon klingelte, und er nahm den Hörer ab.

„Ja?“

„Hier ist Mazelli. Ich habe etwas für Sie.“

„Das ging schnell.“

„Nachdem ich den Namen hatte, war alles andere ein Kinderspiel, Mr. J. Es gibt keine großen Geheimnisse.“

Das sagst du so leicht. „Schießen Sie los.“

„Dreißig Jahre alt. Typische Kleinstadt-Vergangenheit. Schule, Kirche, na, Sie wissen schon. Die Mutter starb vor zwei Jahren. Der Vater heiratete wieder.“

„Wann?“, fragte Reid.

„Wenige Monate, nachdem die Mutter starb.“

„Interessant.“

„Ja, ein aufrichtig trauernder Witwer.“

„Noch etwas?“

„Sie war mit einem Tom Walcott verlobt. Versicherungsvertreter. Er löste die Verlobung und heiratete jemand anderes. Hat ein Kind.“ Mazelli machte eine kleine Pause. „Er verließ sie wohl etwa in der Zeit, als ihre Mutter starb.“

„Noch so ein liebenswerter Zeitgenosse.“

„Danach kam sie nach New York“, fuhr Mazelli fort. „Sie arbeitete eineinhalb Jahre für Forster Fashions und wurde dann entlassen. Von da an war sie arbeitslos, arbeitete nur hin und wieder als Kellnerin.“ Als Reid schwieg, fügte Mazelli hinzu: „Die junge Dame hat schon allerlei durchmachen müssen.“

„So sieht es aus. Sonst noch etwas?“

„Eigentlich nicht. Das Übliche. Adresse, Telefonnummer, Kreditlimit.“

„Geben Sie mir die Adresse.“

Mazelli gehorchte. „Und noch etwas. Sie hat einen einfachen Flug nach Ohio gebucht.“

„Für welchen Tag?“

„Für den letzten Freitag im August.“

Reid trug das Datum in seinen Kalender ein. „Das ist der Freitag des Laborday-Wochenendes.“

„Ja.“

„Vielen Dank, Mazelli. Sie haben mir sehr geholfen.“

Reid legte den Hörer auf und starrte auf die Adresse, die er auf dem weißen Block notiert hatte. Er riss das Blatt Papier ab, faltete es zusammen und steckte es in seine Hemdtasche. Dann nahm er sein Jackett von der Stuhllehne und zog es über.

Viel Zeit blieb ihm nicht. Aber er hatte immer besonders gut unter Zeitdruck arbeiten können.

Er hinterließ Charlotte eine Nachricht. Morgen würde er nicht ins Büro gehen. Vielleicht den darauf folgenden Tag auch nicht. Eine freudige Erregung ergriff ihn, als ihm klar wurde, dass er das gefunden hatte, wonach er suchte – einen verdammt guten Grund, das Geschäft Geschäft sein zu lassen, eine neue Herausforderung, etwas Aufregendes, Wichtiges.

Einen Sinn im Leben.

Ein Kind und … Rachel.

Alles war gepackt. Als Rachel die wenigen Kartons betrachtete, fühlte sie sich noch deprimierter als sowieso schon. Bei ihrer Ankunft damals in New York war es klüger und billiger gewesen, sich Möbel zu leihen, wenigstens für den Anfang. Dabei war es dann auch geblieben, und so besaß sie kaum etwas, was es wert war, mitgenommen zu werden.

Die Mietfirma hatte die wenigen Möbel wieder abgeholt, und nun gab es nur noch diese Kartons mit ihren persönlichen Sachen. Keine große Ausbeute für die Zeit in New York, dachte sie. Und derselben Meinung waren wohl auch die Umzugsleute, die sie bestellt hatte. Sie konnten ihre Sachen höchstens als Beipack mitnehmen, hatten sie gesagt.

So saß sie da, auf einem Karton in der Mitte ihres leeren Apartments, und wartete auf den Umzugswagen. Sie hatte eigentlich den letzten Abend in New York mit Trudy verbringen wollen, aber nun musste sie unerwarteterweise schon an diesem Nachmittag fliegen. Ein anderer Termin passte ihrem Vater nicht. Sie und Trudy hatten sich also nur heute Morgen telefonisch verabschieden können, und das war beiden sehr schwer gefallen.

Sie würde ihre Freundin sehr vermissen. Trudy verkörperte für sie alles, was sie an der Stadt liebengelernt hatte, die ihr zum Zuhause geworden war. Wie würde sie ohne Trudys Witz und ihre Klugheit zurechtkommen? Rachel musste lächeln, als sie an Trudys letzte Worte dachte. „Du darfst nie vergessen, dass du hier bei mir immer ein Zuhause hast.“

Doch wenn sie die Stadt erst einmal verlassen hatte, das wusste Rachel, würde sie nie wieder zurückkehren, noch nicht einmal auf Besuch. Sie würde es nicht ertragen können. Ihr wurde ganz elend bei dem Gedanken, dass sie in ein paar Stunden bei ihrem Vater sein würde.

Es ist merkwürdig, dachte sie, irgendwann in den zwei Jahren, die ich weg war, ist das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, immer mehr Vaters Haus geworden. Es gehörte jetzt ihrem Vater und seiner Frau Sally.

Der Telefonanruf hatte sie große Überwindung gekostet.

Rachel richtete sich auf. Sie versuchte, die trüben Gedanken abzuschütteln und sich ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren. Du hast die richtige Entscheidung getroffen, sagte sie sich wohl schon zum hundertsten Mal.

Sie sah auf die Uhr. Sie hatte noch Zeit, wenn auch nicht mehr viel. Und wenn schon. Wenn die Packer nicht kamen, bevor sie zum Flugplatz musste, würde der Hausverwalter sie hereinlassen.

Der Summer ertönte. Rachel seufzte erleichtert auf, stand auf und drückte auf den Türöffner. Sie machte die Eingangstür auf, damit die Männer gleich hereinkommen konnten, und sah sich noch einmal in dem L-förmigen Raum um, ob sie auch nichts vergessen hatte.

Es klopfte, gerade als sie versuchte, den Deckel des einen Kartons zu schließen. „Kommen Sie herein“, rief sie. „Alles ist fertig.“

„Rachel?“

Als sie seine Stimme hörte, fuhr sie herum. Reid stand im Eingang, die Hand auf der Türklinke, einen Fuß auf der Schwelle.

„Reid! Was machst du denn hier?“

„Darf ich hereinkommen?“

„Ja, natürlich.“ Sie richtete sich auf und strich das Haar zurück. „Ich ziehe heute um“, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln und wies auf die Kartons.

„Das sehe ich.“ Er schloss die Tür hinter sich und ging auf Rachel zu. „Da bin ich ja gerade noch zur rechten Zeit gekommen.“

„Zur rechten Zeit? Wofür?“

„Um dich zu überreden, nicht zu gehen.“

Nach Trudys Anruf hatte er sich in Windeseile angezogen und seinen Wagen kommen lassen. Er wusste zwar, dass er ihr leicht nach Ohio folgen konnte, falls sie schon fort war. Aber sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass seine Chancen sehr viel besser stünden, wenn er mit ihr sprach, bevor sie einen Fuß ins Flugzeug setzte. Wenn sie erst einmal zu Hause war, würde es sehr viel schwieriger sein, sie zur Rückkehr nach New York zu bewegen.

Schwieriger, aber nicht unmöglich.

Rachel lächelte. „Ich fürchte, dazu ist es zu spät. Mein Flug geht in …“ – sie sah wieder auf die Uhr – „zwei Stunden.“

„Das Flugzeug kann mit dir oder ohne dich fliegen, Rachel.“

„Es wird nicht ohne mich fliegen.“

„Willst du mich nicht wenigstens anhören, bevor du gehst?“

Rachel schloss die Augen und atmete tief durch. Dann blickte sie Reid wieder an. „Bitte nicht, Reid. Ich habe dir alles, was zu sagen war, am Telefon gesagt. Es ist alles schon schwierig genug, auch ohne dass du fünf Minuten vor zwölf noch alles komplizierter machst.“

„Gibt dir denn die Tatsache, dass alles so schwierig ist, nicht zu denken?“

„Inwiefern?“

„Dass du vielleicht lieber hierbleiben solltest.“

Rachel schüttelte den Kopf. „Es gibt keine andere Möglichkeit.“

„Doch. Aber du willst sie wohl nicht weiter verfolgen.“

„Du meinst dich.“

„Ja, mich.“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich von dir kein Geld will. Ich … das Baby ist nicht käuflich.“

„Ich würde niemals auf eine solche Idee kommen. Es gibt auch andere Möglichkeiten, außer Geld. Du brauchst Hilfe und Unterstützung, damit du nicht reumütig zu deinem Vater zurückkehren musst.“

„Wer hat dir das erzählt?“

„Keiner. Es ist eine reine Vermutung.“

„Hast du Erkundigungen über mich eingezogen?“, fragte sie.

„Ja. Du hast es nicht so ganz einfach gehabt im Leben, was?“

Gegen ihren Willen stiegen ihr die Tränen in die Augen, und nur mit großer Anstrengung gelang es ihr, nicht die Beherrschung zu verlieren. Sie sah ihn an. Er wirkte geschäftsmäßig, kühl, nachdenklich. „Warum tust du das?“

„Weil ich will, dass du bleibst.“

„Du meinst wohl, du willst das Baby.“

„Das ist dasselbe.“

„Nicht für mich.“

Reid presste die Zähne aufeinander und starrte Rachel an. Plötzlich ertönte der Summer. Rachel rührte sich nicht. Wieder summte es.

„Ich muss aufmachen.“ Sie ging um ihn herum und drückte auf den Knopf. Dann drehte sie sich wieder zu ihm um. „Das sind die Packer.“

„Schick sie wieder weg.“

„Ich kann nicht.“

„Doch, du kannst.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“

Reid trat auf sie zu und packte sie bei den Schultern. „Gib mir Gelegenheit, dir das auszureden.“

„Das Flugzeug …“

„In Ordnung. Mein Auto steht unten. Ich bringe dich zum Flughafen. Wenn ich deine Meinung nicht ändern kann, bevor das Flugzeug startet, komme ich zurück und kümmere mich persönlich darum, dass deine Sachen nach Ohio geschickt werden. Einverstanden?“

„Warum solltest du …?“

„Die Zeit vergeht, Rachel. Ich habe nur zwei Stunden, um dich zu überzeugen, dass du bleiben musst. Die musst du mir wenigstens zugestehen.“

Das Klopfen ersparte ihr die Antwort. „Die Packer sind da.“

Reid zwang sie, ihn anzusehen. Sie protestierte nicht, als er sie von der Tür wegschob und selbst öffnete.

„Wir brauchen Sie nicht mehr“, sagte er zu dem stämmigen Mann, der im Flur stand.

„Was? Ich habe hier einen Auftrag und soll …“

„Ja, ich weiß, aber der Auftrag ist storniert.“ Reid steckte die Hand in die Tasche und holte eine größere Banknote heraus. Er reichte sie dem Mann. „Für Ihre Mühe.“

Der Mann betrachtete die Banknote und sah dann Reid an. „Wie Sie wollen“, sagte er, drehte sich um und ging zurück zum Fahrstuhl.

Reid schloss die Tür und sah dann Rachel wieder an.

„Das ist ja reizend“, sagte sie. „Ich hätte sowieso schon eine Woche auf meine Sachen warten müssen. Wer weiß, wann ich sie jetzt wiedersehe.“

„Ich verspreche dir, dass du alles innerhalb einer Woche haben wirst. Und wenn ich mir einen Lastwagen miete und selbst fahre.“

Rachel wandte sich ab. Sie konnte seinem Blick nicht länger standhalten. Bevor er gekommen war, war ihr nicht klargewesen, wie unsicher sie noch war. Sie hatte geglaubt, die Sache mit dem Umzug sehr gut zu regeln. Selbst das schwierige Telefongespräch mit ihrem Vater war gut gelaufen. Sally war freundlich und mitfühlend gewesen, und die Stimme ihres Vaters hatte liebevoll und einladend geklungen.

Sie hatte geglaubt, sie stände jetzt voll hinter der Entscheidung, nach Hause zurückzukehren. Sie hatte sich beinahe selbst davon überzeugt, dass es Spaß machen könnte, wieder in ihrem alten Zimmer zu wohnen und die alten Freunde wiederzusehen.

Aber sie hatte nicht mit Reid gerechnet, der nun all ihre Vorbehalte wieder hervorzerrte, die sie mit viel Mühe verdrängt hatte.

„Ich muss gehen“, sagte sie. In ihrem kleinen Apartment fühlte sie sich jetzt wie in der Falle.

Reid hob die beiden Koffer hoch. „Ich bringe dich zum Flugplatz.“

Sie nickte, folgte ihm hinaus und schloss die Tür ab. Rachel blickte auf den Schlüssel in ihrer Hand und wollte ihn schon in die Tasche stecken. Doch dann besann sie sich anders. „Hier“, sagte sie zu Reid, „nimm den Schlüssel. Du brauchst ihn, um mir meine Sachen nachzuschicken.“

„Ich nehme ihn, aber ich werde ihn nicht brauchen“, sagte er.

Sie lächelte überrascht. „Du bist wohl sehr sicher, dass du bekommst, was du willst.“

Reid legte ihr den Arm um die Taille und schob sie zum Fahrstuhl. „Das ist auch normalerweise so.“

„Diesmal nicht.“

Er beugte sich vor, und sein ernstes Gesicht war so nah, dass sie die Lachfältchen um seine Augen herum hätte zählen können. „Oh, Rachel, sei doch nicht so naiv, besonders in diesem Fall.“

Er verließ mit ihr das Gebäude und ging hinüber zu seinem Wagen. Er ließ sie hinten einsteigen und setzte sich neben sie. Es herrschte der übliche dichte Verkehr, aber der Chauffeur war das gewohnt und fuhr zügig durch den Midtown Tunnel in Richtung Flughafen La Guardia.

Rachel beobachtete Reid aus dem Augenwinkel heraus. Sie saßen jetzt schon seit fünfzehn Minuten im Auto, und er hatte noch keinen Ton gesagt.

Wer war dieser Mann?

Soviel sie wusste, hatte er alles. Er war reich, attraktiv, intelligent und wurde jetzt trotz der bescheidenen Verhältnisse, aus denen er kam, respektiert. Die Zeitungen und die Illustrierten berichteten über jede Frau, mit der er ausging, vergaßen aber nie, darauf hinzuweisen, dass er offensichtlich an längerfristigen Beziehungen nicht interessiert war.

Sie sah durch die getönte Scheibe auf den kriechenden Verkehr. Sie hätte ihm nie von dem Baby erzählen sollen, obgleich es damals für sie gar keine Frage gewesen war, dass er ein Recht hatte, es zu erfahren. Aber sie hätte auch nie gedacht, dass er in irgendeiner Art und Weise etwas damit zu tun haben wollte.

Man sagte ihm nach, dass er kalt und unnahbar sei. Trudy hatte gemeint, das hätte etwas damit zu tun, dass er unehelich geboren und in einem Waisenhaus aufgewachsen war. Und das stimmte wahrscheinlich. Wenn man so aufwuchs wie er, musste man zum Einzelgänger werden, der eine engere Beziehung zu einem Menschen gar nicht erst einging. Für ihn war es wichtiger, etwas in Bewegung zu bringen, als das Ergebnis selbst. Ihn reizte der Weg mehr als das Ziel.

Das Baby war so eine Art Ergebnis, und sie war sicher gewesen, dass er ihr mehr oder weniger pro forma Geld anbieten würde. Das würde sie ablehnen, und damit wäre er aus ihrem Leben verschwunden. Aber das war nicht der Fall. Selbst Trudy, die meinte, ihn so gut zu kennen, war überrascht von seiner Hartnäckigkeit.

Was wollte er von ihr?

Sie durfte sich einfach nicht auf ihn einlassen. Es wäre verhängnisvoll für sie, das spürte sie ganz genau. Er hatte etwas Verführerisches an sich, etwas Unwiderstehliches. Wenn sie in seiner Nähe war, fühlte sie sich wie verzaubert. Er hatte viel Charme und wirkte sehr überzeugend. Es war wahrscheinlich dieselbe Anziehungskraft, die sie auch damals an dem Abend der Party veranlasst hatte, mit ihm zu gehen. Ob mit oder ohne Alkohol und Tabletten, ob bewußt oder unbewußt, sie war anfällig für ihn.

Das bedeutete, dass er sie auch verletzen konnte. Da sie in den letzten Jahren so viel hatte ertragen müssen, stand Selbstschutz bei ihr jetzt an erster Stelle. Sie musste gegen seine Anziehungskraft ankämpfen, denn sonst, das wusste sie instinktiv, würde sie so verletzt werden wie noch nie. Und diesmal ging es um ihr Kind, und dem durfte nichts geschehen.

„Warum ist es deiner Meinung nach passiert?“, fragte er plötzlich, als wüsste er, woran sie dachte.

„Ich weiß nicht. Ein Versehen …“

„Nein, das ist nicht das richtige Wort. Es kann viele Gründe geben, aber ein Versehen war es nicht.“

„Nun gut. Kein Versehen. Aber was dann?“

„Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich habe versucht, es von allen Seiten zu betrachten, aber ich kam immer nur zu einer Antwort.“

„Und die wäre?“, fragte sie.

Er sah ihr direkt in die Augen. „Vielleicht sollte es so sein.“

„Das Baby?“

„Ja, das Baby. Aber auch, dass wir zwei uns gefunden haben.“

„So? Ich glaube das nicht.“

„Warum nicht?“

Sie hob langsam die Schultern. „Ich weiß es nicht. So etwas passiert eben. Es ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas geschieht. Ein Malheur …“

Er nahm ihre Hand. „Nein. Es war kein Malheur, Rachel. Ich habe doch ein Kondom benutzt.“

Sie sah ihn erstaunt an. „Wirklich?“

„Ja.“

Seine Berührung war warm und tröstlich. Sie zog die Hand weg. „Kein Wunder, dass du misstrauisch warst.“

„Ja, am Anfang schon, aber dann nicht mehr.“

„Warum denn nicht? Weil du herausgefunden hast, was für ein biederes Leben ich bisher geführt habe?“

Er musste lachen. „Nein, der Meinung war ich schon vorher. Irgendwie fühlte es sich richtig an“, er schlug sich leicht gegen die Brust, „hier innen drin.“

„Und das hat dich überzeugt?“

„Wenn du mich kennen würdest, wüsstest du, dass ich mich immer nach meiner Intuition richte.“

„Aber ich kenne dich nicht. Überhaupt nicht.“

Seine Augen leuchteten wie Smaragde. „Du weißt bereits das Wichtigste von mir.“

Sie musste lächeln. „Und was ist das Wichtigste?“

„Ich möchte, dass ihr, du und das Baby, Teil meines Lebens seid. Und ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, damit dieser Wunsch in Erfüllung geht.“

„Auch wenn ich es nicht will?“

„Ja, darum geht es. Hast du dich wirklich ernsthaft gefragt, was du willst, Rachel?“

„Ja. Ich möchte in Ruhe gelassen werden und mein Baby allein aufziehen.“

„Zu Hause in Ohio? Zusammen mit deinem Vater und seiner Frau?“

„Okay, ich könnte mir etwas Besseres vorstellen. Aber es ist das einzig Sinnvolle.“

„Mein Vorschlag macht mehr Sinn.“

„Für dich vielleicht, aber nicht für mich.“

„Er kann für uns beide sinnvoll sein. Vor allen Dingen aber ist er gut für das Kind.“

„Überall ziehen Frauen ihre Kinder allein groß, Reid. Wir leben in den neunziger Jahren.“

„Aber dadurch wird es nicht besser.“

Sie sah ihn an. „Also, was schlägst du vor? Willst du für mich ein Apartment mieten, mit einem Kindermädchen für das Baby?“

„Anfangs dachte ich daran. Aber jetzt habe ich meine Meinung geändert.“

„So?“

Reid lehnte sich zurück. „Ich habe ein kleines Haus in Connecticut, wenige Meilen vom Meer entfernt. Ich habe es noch nie benutzt, ja, war sogar seit Jahren nicht da. Wenn Charlotte mich nicht daran erinnert hätte, hätte ich es total vergessen.“ Er drehte sich zu Rachel um und sah ihr in die Augen. „Charlotte ist von dir ganz begeistert, weißt du das?“

„Sie scheint sehr nett zu sein.“

„Ja, das ist sie. Und außerdem hat sie einen gesunden Menschenverstand. Wie auch immer, als sie das Haus erwähnte, fiel mir ein, dass ein Kind dort viel besser aufgehoben wäre als in einem Apartment in Manhattan. Ich glaube, du würdest es mögen.“

Als das Auto vor der Abflughalle hielt, starrte Rachel Reid immer noch an. Der Chauffeur kam um den Wagen herum, um ihr die Tür zu öffnen, und Rachel griff nach ihrer Tasche.

Reid hielt sie beim Handgelenk fest. „Was sagst du dazu?“

„Das ist ein sehr großzügiges Angebot von dir, aber ich kann es nicht annehmen. Ich glaube nicht, dass es gutginge.“

„Warum nicht?“

Sie zögerte. Sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen. Er durfte nie wissen, welche Macht er über sie hatte, dass sie sich hoffnungslos und rettungslos in ihn verlieben würde, wenn er nur die geringste Anstrengung machte.

So nahm sie die Schultern zurück und sagte beim Aussteigen: „Ich kann kein Almosen annehmen.“

Sein Gesicht verfinsterte sich, während er dicht hinter ihr den Wagen verließ. „Du meinst, von mir kannst du kein Almosen annehmen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin auf Almosen nicht angewiesen. Ich gehe zurück nach Hause und werde bei meinem Vater leben.“

„Bei deinem Vater und seiner Frau“, stellte Reid richtig.

Das hatte gesessen. Er wusste zu viel von ihr. Rachel warf ihm einen verlegenen Blick zu. „Ja, mit meinem Vater und seiner Frau.“

Rachel gab einem Flughafenangestellten ihren Flugschein und blieb stehen, während er die Gepäckscheine an den Koffern befestigte.

Reid fuhr sich in stummer Verzweiflung durch das Haar. Sie war die hartnäckigste Frau, die er je kennengelernt hatte. Begriff sie nicht, dass sein Vorschlag für sie beide und das Baby das beste war? Wie konnte sie nur auf die Idee kommen, es sei besser, wieder zu Hause zu leben, in dieser unmöglichen Situation! Er würde nicht aufgeben, niemals.

Rachel drehte sich zu ihm um und streckte die Hand aus. „Vielen Dank, Reid, für die Fahrt und das Angebot. Aber ich muss jetzt gehen.“

Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. „Ich bin noch nicht fertig.“

Sie entzog ihm die Hand. „Doch.“ Sie drehte sich um und betrat die Flughalle.

Reid fluchte leise und wies den Fahrer an, den Wagen zu parken. Er rannte los, um sie einzuholen. Sie stand in der Reihe vor dem Ausgang, und er drängelte sich vor. Die anderen Fluggäste sahen ihn empört an, aber er hatte keine Zeit, sich zu entschuldigen. In wenigen Minuten würde sie im Flugzeug sein, und er hätte seine Chance verpasst. Und er hasste es, zu verlieren.

Er hatte sie erreicht, gerade, als sie schnell auf den Ausgang zuging. Als er sie beim Arm packte, drehte sie sich zu ihm um und verdrehte die Augen.

„Reid!“

„Ich weiß. Ich gehe dir auf die Nerven. Ich will nur sagen, dass das Haus für uns alle drei groß genug ist. Ich möchte das Kind aufwachsen sehen, Rachel. Ich will nicht nur jeden Monat einen Scheck ausschreiben und ein Wochenend-Daddy sein.“

„Was sagst du da, Reid? Du möchtest mit mir und dem Kind zusammenleben?“

„So ungefähr.“

„Was heißt ungefähr?“

„Was auch immer dir recht ist.“

„Du wirst doch wohl nicht auf die Idee kommen, dass du mich wie eine teure Geliebte halten kannst?“

„Nein, ich will dich nicht als Geliebte, Rachel. Ich will nur keinen Termin ausmachen müssen, wenn ich mein Kind sehen will. Ich möchte bei ihm sein, immer. Und da gibt es nur eine akzeptable Möglichkeit.“

„Und die wäre?“

„Ich möchte, dass du meine Frau wirst, Rachel.“

Sie starrte ihn an. „Du bist verrückt.“ Dann schüttelte sie den Kopf, drehte sich schnell um und ging wieder in Richtung Ausgang.

„Nein, keineswegs.“

Die Stimme hinter ihr war vertraut und blieb hartnäckig. Sie versuchte sie zu überhören.

„Ich sagte, ich bin nicht verrückt. Ich weiß genau, was ich tue.“

Sie sah ihn kurz über die Schulter an. „Wirklich?“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

Ihre liebste...

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Audra Adams
Zwischen 1989 und 1996 hat sie für Silhouette Books geschrieben, in den frühen 90er Jahren dann für Harlequin. Leicht zu finden ist sie nicht, schreibt sie doch auch Romane unter ihren anderen Pseudonymen wie zum Beispiel Marie D. Tracy und Margot Abbott. Bekannte Romane von ihr sind „People will talk“...
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