Baccara Exklusiv Band 190

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SIEBEN JAHRE UND EINE NACHT von EMILIE ROSE
Tausendmal hat Flynn Maddox sich gesagt, dass seine Ex-Frau Renee ihm nichts mehr bedeutet. Doch als er sie nun nach sieben Jahren zum ersten Mal wiedersieht, will er sie noch immer! Wie gut, dass er einen verführerischen Vorschlag hat, den sie einfach nicht ablehnen kann …

EIN STAR ZUM VERLIEBEN? von EMILY MCKAY
Ana verspürt ein angenehmes Kribbeln, wenn er sie nur ansieht - dabei ist Ward Miller genauso selbstverliebt wie alle Stars! Und von Hollywood hat Ana genug, deshalb setzt sie sich jetzt lieber für wohltätige Zwecke ein. Zu dumm, dass ausgerechnet Ward sie dabei unterstützen soll …

EIN SEHR PRIVATER VERFÜHRER von JANICE MAYNARD
Gareth Wolff will nichts mehr mit der Welt zu tun haben. Lieber errichtet er Mauern - um sein Anwesen und um sein Herz. Bis eines Tages eine zarte rotblonde Schönheit vor seiner Tür verunglück - und den einsamen Wolf mit ihrem Sex-Appeal ins Chaos der Gefühle stürzt …


  • Erscheinungstag 07.02.2020
  • Bandnummer 190
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726744
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Emilie Rose, Emily McKay, Janice Maynard

BACCARA EXKLUSIV BAND 190

PROLOG

11. Januar

„Was soll das heißen?“, fragte Renee Maddox bestürzt. „Ich bin immer noch verheiratet?“

Ihr Anwalt, ein älterer Herr, blieb ruhig wie immer. Er ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und sagte: „So wie es aussieht, hat Ihr Mann die Scheidungspapiere nicht ausgefüllt.“

„Aber wir leben seit sieben Jahren getrennt! Wie konnte das nur passieren?“

„So etwas kommt öfter vor, als Sie glauben, Renee. Aber wenn Sie der Grund interessiert, müssen Sie Flynn fragen. Oder Sie beauftragen mich damit.“

Es hatte nie aufgehört zu schmerzen, dass ihre Liebe gescheitert war. Renee hatte Flynn von ganzem Herzen geliebt, aber das hatte offenbar nicht gereicht. „Ich rufe ihn bestimmt nicht an.“

„Nüchtern betrachtet steht Ihnen die Hälfte seines Vermögens zu. Und das ist heute vermutlich größer als vor sieben Jahren.“

„Sein Geld interessiert mich so wenig wie damals. Ich will nichts von ihm annehmen.“

Ein leichtes Zucken um den Mund verriet Renee, dass ihr Anwalt diese Ansicht nicht für klug hielt. „Ich verstehe ja, dass Sie einen klaren Schlussstrich ziehen wollen. Aber bedenken Sie, dass Sie durch das kalifornische Scheidungsrecht begünstigt werden. Und das umso mehr, da Sie keinen Ehevertrag geschlossen haben.“

„Bedeutet das, dass Flynn im Gegenzug die Hälfte meines Geschäfts beanspruchen kann?“, fragte Renee besorgt. „Ich habe hart für den Erfolg von California Girl’s Catering gearbeitet.“

„Keine Angst, ich lasse nicht zu, dass Sie CGC verlieren“, erwiderte der Anwalt beruhigend. „Aber kommen wir zurück zum Grund Ihres Besuches. Nach dem hier gültigen Namensrecht können Sie Ihren Familiennamen ändern, egal ob die Ehe noch besteht oder nicht.“

„Das ist meine geringste Sorge.“ Ihr Plan war ihr so einfach erschienen: Als Erstes hatte sie ihren Mädchennamen wieder annehmen und dann die Familie gründen wollen, die sie sich immer gewünscht hatte. Flynn hatte sich damals geweigert … Während Renee in dem kühlen Ledersessel saß, kam ihr wieder ins Gedächtnis, was er ihr eines Abends, nachdem sie Champagner getrunken hatten, anvertraut hatte. Sie hatte Hoffnung geschöpft.

Schon seit Langem sehnte sie sich nach einem Baby, und als sie vor einem Monat zweiunddreißig geworden war, hatte sie einen Entschluss gefasst: Sie wollte nicht mehr warten, dass ihr vielleicht irgendwann einmal ein passender Mann begegnete, sondern selbst aktiv werden.

Wie die Heldinnen in den Romanen, die sie gelesen hatte, würde sie die Hilfe einer seriösen Samenbank in Anspruch nehmen.

In den letzten Wochen hatte sie sich ausführlich mit den Kurzbeschreibungen geeigneter Spender befasst. Ohne allerdings damit zu rechnen, dass sie einen der Männer kannte – und sogar einmal geliebt hatte.

Natürlich würden sich früher oder später für sie und ihr Kind Fragen ergeben … Auch Renee war ohne Vater aufgewachsen.

„Renee, alles in Ordnung?“

„J…ja.“ Sie schluckte und betrachtete nachdenklich ihr Gegenüber. „Sie sagen also, dass mir die Hälfte von allem zusteht, was Flynn gehört?“

„Genau.“

Aufgeregt bemühte sich Renee, ruhig zu atmen. Zugegeben, die Idee, ein Baby von Flynn zu bekommen, ohne dass er zustimmen musste, mutete unwirklich an und war sicher alles andere als fair. Aber Renee wünschte sich fast schon verzweifelt ein Kind. Außerdem würde sie Flynn nie um Unterhalt bitten.

Vielleicht hatte er ja die jugendliche Dummheit, die er zusammen mit anderen Studenten begangen hatte, längst vergessen.

„Während seiner Collegezeit hat Flynn Sperma auf einer Samenbank hinterlegt, damit es dort ‚für die Zukunft‘ aufbewahrt wird. Wenn die Spende noch da ist, kann ich sie dann haben? Oder wenigstens die Hälfte davon?“

Dankeswerterweise zuckte ihr Anwalt nicht einmal mit der Wimper. „Ich sehe keinen Grund, warum wir es nicht zumindest versuchen sollten.“

„Das ist es, was ich möchte: ein Baby von Flynn. Und sobald es da ist, will ich geschieden werden.“

1. KAPITEL

1. Februar

Flynn trommelte mit dem Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Dann klemmte er das Telefon zwischen Schulter und Kinn und erhob sich aus seinem Bürosessel, um die Tür zu schließen.

Schließlich brauchte niemand im fünften Stock von Maddox Communications zu hören, was die Dame am anderen Ende der Leitung sagte – und Flynns Antwort darauf ebenfalls nicht.

„Wie bitte? Könnten Sie das bitte wiederholen?“

„Gerne. Hier ist die New Horizons Fertility Clinic, Luisa am Apparat. Ihre Frau hat gebeten, mit Ihrem Sperma eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen“, sagte eine freundliche Stimme mit deutlicher Betonung, als wäre Flynn etwas schwer von Begriff. Im Augenblick allerdings fühlte er sich auch so …

Seine Frau? Er war nicht verheiratet. Nicht mehr. Ein allzu bekanntes Gefühl der Leere ergriff ihn.

„Meinen Sie Renee?“

„Ja genau, Mr. Maddox.“

Verwirrt bemühte er sich, seine Gedanken zu ordnen. Erstens, warum sollte sich Renee als seine Frau ausgeben, obwohl sie schon vor sieben Jahren ausgezogen war? Als das vorgeschriebene Trennungsjahr vorbei gewesen war, hatte sie ohne Zögern sofort die Scheidung eingereicht. Und zweitens war diese Samenspende nicht viel mehr als eine Jugendsünde, von der er sich längst distanziert hatte.

Wie nur gehörten diese beiden Punkte zusammen?

„Hören Sie, das Ganze ist vierzehn Jahre her. Ich dachte, Sie hätten das Sperma inzwischen längst vernichtet!“

„Nein, durchaus nicht. Unter geeigneten Bedingungen lassen sich derartige Proben bis zu fünfzig Jahre aufbewahren. Damals haben Sie angekreuzt, dass eine Verwendung nur mit Ihrer ausdrücklichen schriftlichen Zustimmung erfolgen darf. Ansonsten darf Ihre Frau nicht darüber verfügen.“

Sie ist nicht meine Frau, dachte Flynn, sprach es aber nicht aus. Die Werbeagentur Maddox Communications hatte eine ganze Reihe sehr konservativer Kunden, die beim leisesten Verdacht eines Skandals abspringen würden. Und das konnte sich MC in diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten einfach nicht leisten.

Flynn sah sich in seinem Büro um. Die ansprechende Einrichtung ging noch auf glückliche Zeiten mit Renee zurück.

Als er seinen vorherigen Job aufgegeben und in das Familienunternehmen Madd Comm eingetreten war, hatten sie beide gemeinsam den Schreibtisch, die cremefarbenen Ledersofas und das üppige Grün ausgesucht.

Den Pflanzen ging es nach wie vor gut – Flynns Ehe leider nicht mehr. Dabei hatten Renee und er ein gutes Team abgegeben – wobei die Betonung auf hatten lag.

Über einen Punkt jedenfalls war Flynn sich völlig im Klaren. „Vernichten Sie bitte das Sperma.“

„Auch das brauche ich schriftlich von Ihnen“, sagte die freundliche Lady.

„Okay, schicken Sie mir das Formular per Fax. Dann unterschreibe ich und faxe es Ihnen zurück.“

Während Flynn gedankenverloren seine Faxnummer durchgab, dachte er an die schlimme Zeit, als Renee ihn verlassen hatte. Diese Monate schienen ihm wie im Nebel zu liegen.

Schlag auf Schlag hatte er damals alles verloren, was ihm wichtig gewesen war: seinen Vater, die Karriere als Architekt – und schließlich Renee.

Als er ein Jahr später die Scheidungspapiere erhalten hatte, war sein Schmerz noch heftiger geworden.

Warum hatte sich Renee so ohne Weiteres von ihm abgewandt? Und wieso hatte er es so weit kommen lassen? Ein Fehler, und Flynn hasste Fehler. Am meisten seine eigenen.

In diesem Augenblick ertönte ein Piepton, und das Formular kam an. Flynn nahm es aus dem Faxgerät und sah auf den Briefkopf. „Ja, es ist schon da“, sagte er ins Telefon. „Sie bekommen es sofort zurück.“

Er legte auf, las kurz, unterschrieb und faxte zurück.

Wie war das noch mit den Scheidungspapieren gewesen? Das Letzte, woran er sich in diesem Zusammenhang erinnerte, war, dass sein Bruder versprochen hatte, sie zur Post zu bringen. Zuvor hatten die Unterlagen lange auf Flynns Schreibtisch gelegen …

Wie war es weitergegangen, nachdem Brock sie an sich genommen hatte?

Plötzlich wurde Flynn bewusst, dass er nie eine Ausfertigung des Scheidungsurteils erhalten hatte. Hatten ihm nicht Freunde, die ebenfalls geschieden waren, erzählt, dass man eine Kopie zugeschickt bekamm?

Er war doch geschieden? Aber warum sollte sich Renee in der Klinik als seine Frau ausgeben?

Renee log nicht, das passte einfach nicht zu ihr.

Flynn griff zum Telefon, um seinen Anwalt anzurufen. Andrew würde der ganzen Sache nachgehen und ihn dann zurückrufen. Aber untätiges Herumsitzen und Warten lag Flynn ganz und gar nicht.

Brock musste es wissen!

Flynn stand auf und verließ so eilig sein Büro, dass seine Sekretärin erschrak. „Cammie, ich bin bei meinem Bruder.“

„Soll ich bei ihm anläuten, ob er frei ist?“

„Nein danke, nicht nötig. Dafür muss er sich Zeit nehmen.“

Über den dunklen Holzfußboden ging er zur westlichen Seite des Flures. Als er zum Schreibtisch von Elle kam, nickte er der Assistentin seines Bruders kurz zu und ging geradewegs in dessen Büro.

Brock, der gerade telefonierte, sah überrascht auf. Mit einer Geste bedeutete Flynn ihm, das Gespräch zu beenden.

„Was gibt es denn?“, fragte Brock.

„Was hast du mit den Scheidungspapieren gemacht?“

Brock kniff die Augen zusammen.

„Du hast sie nicht zur Post gebracht, stimmt’s?“

Brock erhob sich und atmete langsam aus. Dann ging er zum Aktenschrank, schloss ihn auf und nahm nach einigem Suchen einen Stapel Unterlagen heraus.

Er fluchte leise. „Nein. So wie es aussieht, nicht.“

„Wie bitte?“, fragte Flynn erschrocken.

„Ich habe es vergessen.“

„Du hast was?“

„Ursprünglich habe ich die Dokumente zurückgehalten, weil ich hoffte, dass ihr euch wieder versöhnt. Schließlich hat dich die Trennung sehr mitgenommen. Außerdem fühlte ich mich mitverantwortlich am Scheitern eurer Ehe. Immerhin war ich es, der dich gedrängt hat, deine vielversprechende Karriere aufzugeben und bei MC zweiter Geschäftsführer zu werden.“

Brock strich sich durch das Haar. „Na ja. Und dann habe ich nicht mehr daran gedacht. Du weißt ja selbst, welch schwierige Zeit wir nach Dads Tod durchgemacht haben.“

Flynn musste sich setzen. Er stützte den Kopf in die Hände. Noch immer verheiratet. Mit Renee.

In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, doch er zwang sich, ruhig nachzudenken.

Wenn Renee als seine Frau aufgetreten war, hatte sie vermutlich gewusst, dass die Ehe noch bestand. Hatte sie es erst jetzt erfahren? Und warum hatte sie ihn nicht angerufen und wegen der nicht weitergeleiteten Unterlagen zurechtgewiesen? Oder ihren Anwalt anrufen lassen?

„Alles in Ordnung, Flynn?“

Ganz und gar nicht!

„Klar“, antwortete Flynn, der es nicht gewohnt war, seine Probleme mit anderen zu besprechen.

Als er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, spürte er … Hoffnung! Nein, mehr als das, es war eine Art Hochgefühl.

Er war nicht von Renee geschieden!

Und nach Jahren ohne Kontakt bot sich ihm nun die Gelegenheit, sich bei ihr zu melden. Natürlich fragte sich Flynn, warum sie sich ohne sein Wissen an die New Horizons Fertility Clinic gewandt hatte. Aber weitaus am wichtigsten war ihm im Moment, dass ihre Ehe noch bestand. Und dass sich Renee offensichtlich ein Kind von ihm wünschte.

„Ich rufe meinen Anwalt an, damit er mich in dieser ungewöhnlichen Situation berät. Außerdem nehme ich ein paar Tage frei.“

„Du? Du nimmst doch sonst nie frei. Und so ungern ich es sage: Im Moment passt das leider gar nicht.“

„Das ist mir egal. Wichtiger ist, dass die Dinge so schnell wie möglich wieder ins Reine kommen.“

„Da magst du recht haben. Also, hiermit entschuldige ich mich ausdrücklich bei dir. Weißt du, wenn du dich je für eine andere Frau interessiert hättest, hätte das meinem Gedächtnis vielleicht auf die Sprünge geholfen. Ich weiß selbst, dass das keine gute Entschuldigung ist … Wie bist du eigentlich auf das Thema Scheidung gekommen? Will Renee einen anderen heiraten?“

Flynn zuckte zusammen. Sicher war Renee in der Zwischenzeit ab und zu mit Männern ausgegangen, so wie er mit Frauen. Aber allein die Vorstellung erfüllte ihn mit einem Besitzanspruch, der ihn überraschte.

Er stand auf und nahm die Dokumente, die seine Ehe hätten beenden sollen. Renees Anfrage bei der New Horizons Fertility Clinic ließ er unerwähnt.

„Ich habe Renee seit Jahren nicht gesehen.“ So hatte sie es gewollt. Aber nun würde er Kontakt zu ihr aufnehmen. Flynns Herz schlug schneller. „Keine Ahnung, was sie vorhat.“

„Du weißt ja hoffentlich selbst, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen darf. Ich will auf keinen Fall, dass wir Kunden an die Konkurrenz verlieren, vor allem nicht an Golden Gate Promotions. Diesen Triumph gönne ich Athos Koteas nicht.“

Flynn nickte. „Schon klar.“

Zurück in seinem Büro, ging er als Erstes zum Aktenvernichter. Während die Blätter durchliefen, sah Flynn aus dem Fenster. Die Sonne schien herrlich, als wollte sie einen Neuanfang verkünden.

Nie hatte er etwas mehr bedauert als die Trennung von Renee. Aber durch die Nachlässigkeit seines älteren Bruders bot sich ihm unerwartet eine Chance …

Ob die Anziehung zwischen Flynn und Renee nach wie vor bestand? Wenn ja, war er entschlossen, seine Frau zurückzugewinnen. Er starrte auf den Aktenvernichter. Endlich waren aus dem größten Fehler seines Lebens nichts als Papierschnipsel geworden. Flynn hätte jubeln können. Dann setzte er sich an seinen Computer.

Er musste herausfinden, wo seine Frau lebte.

MADCOM2.

Als Renee in ihre Einfahrt einbog, fiel Renee sofort das Nummernschild des hellblauen BMWs auf. Beinah hätte sie mit der Stoßstange den Briefkasten gerammt!

MADCOM – Maddox Communications. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie ihren Minivan neben dem Wagen ihres Besuchers parkte. Die Zwei auf dem Kennzeichen konnte nur Flynn bedeuten. Renee wusste es, noch ehe ihr Ex… – ihr Mann – aus dem Auto ausstieg.

Seit die Klinik sie informiert hatte, dass Flynn seine Zustimmung verweigert hatte, war ihr klar gewesen, dass er früher oder später auftauchen würde. Auch ihr Anwalt hatte sie auf diese Möglichkeit hingewiesen.

Doch sie hatte nicht damit gerechnet, ihn so schnell wiederzusehen. Kaum hatte sie den Zündschlüssel abgezogen, öffnete Flynn auch schon die Tür.

Renee zwang sich, wenigstens ruhig zu wirken. Sie nahm ihre Tasche vom Beifahrersitz und stieg aus, ohne auf Flynns hilfsbereit ausgestreckte Hand zu achten. Sie würde es nicht ertragen, ihn zu berühren.

Obwohl sie der bevorstehenden Unterhaltung mit mulmigen Gefühlen entgegensah, hob sie den Kopf. Und sah den Mann an, der ihr das Herz gebrochen hatte.

Seine Augen waren so strahlend blau wie eh und je. An den Schläfen zeigten sich die ersten Silberfäden im schwarzen Haar. An seiner Figur mit den breiten Schultern hatte sich nichts verändert, und obschon er einen Anzug trug, war Renee sich sicher, dass Flynn kein bisschen zugenommen hatte.

Aber um seinen Mund lag ein entschlossener Zug, und auf der Stirn zeigte sich eine leichte Furche: Die vergangenen sieben Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen.

Und um die Augen? Waren das Lachfalten? Nein, sicher nicht … Dabei hatte Flynn in der ersten Zeit ihrer Beziehung viel und gerne gelacht – vor seinem Eintritt bei MC.

„Hallo Flynn.“

„Hallo Renee.“

Allein der Klang seiner Stimme ließ Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen.

„Seit wann weißt du es?“, fragte Flynn ruhig.

„Dass wir nicht geschieden sind? Seit ein paar Wochen.“

„Und da hast du mich nicht angerufen?“

„Du hast mich ja auch nicht angerufen, als du beschlossen hast, die Papiere nicht zu unterschreiben!“

Er runzelte die Stirn. „Da steckt etwas anderes dahinter …“

„Und was, bitte?“, fragte sie, dann fiel ihr der frische Fisch in der Kühlbox ein, den sie eben auf dem Mittwochsmarkt gekauft hatte. „Aber ich fürchte, du musst mir diese packende Geschichte im Haus erzählen. Die Meeresfrüchte können nicht warten.“

Sie öffnete die Heckklappe des Vans. Als Flynn ihr beim Ausladen der Kühlbox half, berührte er Renee dabei mit der Schulter.

Renee fühlte sich wie elektrisiert – es war genau wie früher.

Ach was, sagte sie sich, was bedeutet schon diese Reaktion? Ich bin längst über die ganze Sache hinweg.

In der Zeit, bevor sie ihn verlassen hatte, hatte Flynn alles zerstört. Nur tiefe Enttäuschung war übrig geblieben …

„Schließ die Haustür auf“, wies er sie an und riss sie damit aus ihren Gedanken.

Nachdenklich ging sie hinter ihm den breiten gepflasterten Weg zwischen Blumenrabatten zum Haus und versuchte, das Anwesen mit Flynns Augen zu sehen. Seit den ersten Tagen ihrer kurzen Ehe war er nicht mehr hier gewesen.

Damals war das der Bungalow ihrer Großmutter gewesen. Seitdem hatte Renee etliches umbauen lassen und so aus einem Wohnhaus ein ansprechendes Geschäftshaus geschaffen.

Unter den Orangenbäumen hatte sie Blumenbeete und einen Springbrunnen angelegt. Die Veranda vor dem Haus hatte sie mit Ampeln mit Hängepflanzen geschmückt. Letztes Jahr hatte sie dem Steinsockel und der geschindelten Fassade eine Hochdruckreinigung gegönnt. Doch die meisten Veränderungen betrafen das Gebäudeinnere.

Renee schloss die Vordertür auf und ließ Flynn eintreten. Sie folgte ihm durch den Flur und das Wohnzimmer in die Küche, auf die sie besonders stolz war.

„Die Küche ist ja viel größer geworden!“, rief Flynn staunend.

„Für meinen Catering-Betrieb war die alte Küche zu klein. Deshalb habe ich Grandmas hintere Terrasse miteinbezogen. Und in ihrem ehemaligen Schlafzimmer befindet sich jetzt mein Büro.“

Hör auf, so viel zu erzählen, schalt Renee sich.

Sie sah sich in ihrer Profiküche um: Geräte aus Edelstahl, lange Arbeitsplatten aus Granit und weiße Schränke – der Traum eines jeden Kochs. Ihr Traum. Als Flynns Frau hätte sie das nie geschafft.

„Sieht gut aus. Wie bist du darauf gekommen, ein eigenes Geschäft zu eröffnen?“

„Das wollte ich schon immer. Grandma hat mir gut zugeredet, bevor sie gestorben ist. Vier Jahre ist das jetzt her.“

Seinem erschrockenen Gesichtsausdruck entnahm sie, dass er nichts vom Tod ihrer Großmutter mitbekommen hatte. Vielleicht hätte sie es ihm sagen sollen, aber in ihrer Trauer hätte sie es nicht ausgehalten, Flynn bei der Beerdigung zu begegnen.

„Mein Beileid nachträglich. Emma war eine ganz besondere Frau.“

Renee nickte. „Stimmt. Ich weiß nicht, was ich ohne sie getan hätte, und sie fehlt mir so. Aber ich bin mir sicher, sie wäre stolz darauf, dass auch in dieser Generation eine Frau aus der Landers-Familie die Menschen mit ihrem Essen glücklich macht.“

„Glaube ich auch.“

Schweigend betrachtete sie den Holzstuhl mit der hohen Rückenlehne, auf dem ihre Großmutter oft gesessen hatte. An manchen Tagen fühlte es sich an, als wäre sie noch da.

Als Bezugsperson war sie für Renee fast wichtiger gewesen als ihre Mutter. Zu Grandma hatte sich Renee mit gebrochenem Herzen geflüchtet, nachdem sie Flynn verlassen hatte.

Ohne viele Fragen hatte die Großmutter sie aufgenommen und ihr Zuflucht gewährt.

„Wohin soll ich die Kühlbox stellen?“, wollte Flynn wissen.

„Vor den Tiefkühlschrank, bitte.“ Renee begann, Lachsfilets und fast zehn Kilo Shrimps einzuräumen. Danach wusch sie sich die Hände und sah Flynn an. „So. Was ist eigentlich so kompliziert daran, Scheidungspapiere in einen Umschlag zu stecken und zur Post zu bringen?“

„Brock dachte, er tut uns einen Gefallen, wenn er uns Zeit zum Nachdenken lässt. Darum hat er die Dokumente in seinen Aktenschrank gelegt.“

„Und sie sechs Jahre dringelassen?“

„Wahrscheinlich wären sie da noch immer, wenn du dich nicht an die Klinik gewandt hättest.“ Flynn lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und verschränkte die Arme. „Soll das heißen, dass du noch immer ein Baby von mir willst?“

Ausweichend antwortete sie: „Du bist einfach ein Spender, den ich persönlich kenne.“

„Und mir hättest du davon nichts erzählt?“

„Na ja“, räumte Renee ein. „Vielleicht war das keine so gute Idee. Nur … nachdem ich seitenweise Spenderlisten durchgearbeitet hatte, erschien mir das weitaus das Beste. Aber da du dich ja geweigert hast, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als doch einen anderen Spender zu nehmen.“

„Nicht unbedingt“, antwortete Flynn und sah sie durchdringend an.

„Wie meinst du das?“

„Renee, ich wollte immer, dass wir zusammen ein Kind haben.“

„Das stimmt doch überhaupt nicht! Vor siebeneinhalb Jahren habe ich dich gefragt, nein sogar gebeten … Aber du hast Nein gesagt.“

„Weil es zum falschen Zeitpunkt war. Damals musste ich mich in meiner neuen Position zurechtfinden.“

„Obwohl du diesen Job nie gemocht hast, er dich unglücklich macht.“

„Aber Brock und Madd Comm brauchten mich.“

„Auch ich hätte dich gebraucht, Flynn“, sagte Renee und bemerkte dabei, wie sich ihre Stimmlage veränderte.

Dennoch fuhr sie fort: „Den Mann, den ich geliebt habe. Meinen Ehemann. Ich hätte dir gerne geholfen, mit der Trauer um deinen Dad fertig zu werden. Aber ich konnte doch nicht einfach zusehen, wie dich die Arbeit bei MC kaputt macht. Nachdem du deinen Traum, Architekt zu werden, aufgegeben hast, wurdest du immer schweigsamer. Fast wie ein Fremder. Wir haben nicht mehr miteinander geredet. Und uns nicht mehr geliebt. Außerdem warst du kaum noch zu Hause.“

„Ich habe dich nicht betrogen. Nur gearbeitet.“

„Es war schrecklich zuzusehen, wie unsere Liebe langsam starb.“

„Wann war dieser Punkt erreicht?“, fragte Flynn.

„Das frage ich dich.“ Aber Renee wusste es: Als sie sich dabei erwischt hatte, wie sie Trost im Alkohol suchte. Damals fürchtete sie, so zu enden wie ihre unglückliche alkoholabhängige Mutter, die am Ende von ihren Liebhabern nur Verachtung geerntet hatte. Renee wollte auf keinen Fall, dass Flynn auf sie herabsah. Lieber hatte sie einen Schlussstrich gezogen.

Wenn sie an ihre Kindheit dachte, fielen ihr Streitgespräche zwischen ihrer Mutter und „Onkels“ ein, das Zuschlagen von Türen und das laute Motorengeräusch wegfahrender Autos. In einer solchen Atmosphäre sollten Kinder nicht aufwachsen …

„Glaub mir, an mir lag es nicht. Ich habe dich die ganze Zeit geliebt. Renee, wir hätten es schaffen können, wenn du uns nur eine Chance gegeben hättest.“

„Glaube ich nicht. Nicht mit diesem Job, der dich und mich aufgezehrt hat. Ich habe meinem Anwalt gesagt, dass er die Unterlagen neu vorbereiten soll. Ich will nach wie vor nichts von dir.“

„Nur ein Kind.“

Auch das war ein Traum, der sich zerschlagen hatte: Eigentlich hatten sie sich drei, wenn nicht sogar vier Kinder gewünscht, eine richtig große Familie. Denn Renee war als Einzelkind nicht glücklich gewesen. „Wie ich schon sagte, werde ich eine andere Spende in Anspruch nehmen.“

„Das brauchst du nicht.“

Einen Augenblick schien Renee der Herzschlag auszusetzen. „Was sagst du da?“

„Du kannst ein Baby von mir haben.“

„In der Klinik sagten sie mir, dass deine Spermien vernichtet wurden. Willst du noch einmal spenden?“

„Ich rede nicht von künstlicher Befruchtung. Du kannst ein Kind von mir haben, auf ganz normalem Weg.“

Aus der Fassung gebracht wich Renee zurück, bis sie gegen die Arbeitsplatte stieß. Sex mit Flynn! Sie spürte, wie Sehnsucht in ihr aufstieg.

Sie hatten so gut zusammengepasst! Weder vor noch nach ihm hatte sie etwas Vergleichbares erlebt. Aber unmöglich konnte sie sich erneut darauf einlassen.

„Vergiss es. Für Sex ohne feste Bindung hatte ich noch nie etwas übrig.“

„Es ist doch kein Sex ohne feste Bindung“, widersprach Flynn. „Schließlich sind wir verheiratet! Und außerdem: Du hast mir oft erzählt, wie sehr du darunter gelitten hast, dass du deinen Vater nicht kanntest. Von mir weißt du alles.“

Das klang gut. Verlockend. Und gefährlich. „Und was hast du davon?“

„Ich bin fünfunddreißig. Zeit, an Kinder zu denken, finde ich.“

Erschrocken sagte Renee: „Ich suche keinen Mann, der an der Entwicklung des Babys Anteil nimmt, falls du das meinst.“

„Wie viele Stunden in der Woche arbeitest du in deinem Catering-Betrieb? Fünfzig? Oder sechzig?“

Hatte er etwa Erkundigungen über sie eingeholt? „Für das Kind werde ich mir eben Zeit nehmen.“

„So wie Lorraine?“

„Das ging unter die Gürtellinie, selbst für deine Begriffe“, sagte Renee betroffen.

Wenn ihre Mutter zu viele Stunden als Chefköchin in einem eleganten Restaurant in Los Angeles gearbeitet hatte, hatte sie sich danach oftmals zu Hause betrunken. Das Familienleben hatte darunter gelitten. Aber vor ihren Arbeitgebern, Freunden und Bekannten hatte Lorraine ihre Suchterkrankung zu verbergen gewusst.

„Für uns und das Kind ist es sicher besser, wenn es mit zwei Elternteilen aufwächst. Außerdem, stell dir vor, einem von uns würde etwas zustoßen.“

Unwillig sagte Renee: „Auch wenn wir im Augenblick noch verheiratet sind – das wird nicht so bleiben.“

„Ich möchte alles von der Schwangerschaft, der Geburt und dem ersten Lebensjahr des Babys mitbekommen. Danach können wir getrennte Wege gehen. Nur das Sorgerecht üben wir gemeinsam aus. Und wir halten uns die Möglichkeit offen, weitere Kinder zu bekommen.“

„Was sagst du da? Noch mehr Kinder?“ Renee traute ihren Ohren nicht. Dabei klang das, was er sagte, sehr verlockend …

„Renee, ich möchte Vater werden. Ich wünsche mir eine eigene Familie.“

„Hast du nicht vielleicht eine Freundin, mit der deine Mutter einverstanden ist?“

„Dasselbe könnte ich dich fragen: kein Mann in Sicht?“

„Nicht dass ich wüsste.“ Noch einmal ihr Herz und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen? Ganz sicher nicht. Sie schüttelte den Kopf. „Danke für dein großzügiges Angebot, aber ich bleibe bei den Spendern auf den Listen.“

„Du glaubst doch nicht, dass all diese Angaben den Tatsachen entsprechen?“

Mit diesem Einwand mochte er nicht unrecht haben. Natürlich stimmten die Laborwerte, aber aus dem Internet wusste Renee, dass die Fragenbogen von den Spendern nicht immer wahrheitsgemäß ausgefüllt wurden. „Ich werde sehr sorgfältig auswählen.“

„Denk doch mal an unsere Träume, Renee. An das Haus, das wir gekauft und restauriert haben, für uns und unsere Kinder. An den Garten. An den Hund, den wir uns zulegen wollten. Dein Baby könnte all das haben …“

„Also hast du das Haus noch?“

„Ja.“

Nachdem sie geheiratet hatten, hatten sie das erste halbe Jahr Seite an Seite in dem wunderschönen viktorianischen Haus gearbeitet. Es stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert und lag in Pacific Heights, einem wohlhabenden Stadtviertel San Franciscos.

Die folgenden sechs Monate allerdings hatte Renee ganz allein darin verbracht. Unruhig war sie in den großen Zimmern umhergegangen und hatte verzweifelt überlegt, wie sie ihrer Ehe neuen Auftrieb geben konnte.

Bis ihr letzten Endes nur noch blieb, sich zu retten …

„Flynn, die Idee ist verrückt.“

„Genauso verrückt wie unser Einfall, heimlich in Las Vegas zu heiraten. Aber es hat geklappt.“

„Die Hochzeit ja. Aber die Ehe? Wie ich deinem Nummernschild entnehme, arbeitest du noch immer bei Madd Comm. Also hat sich nichts verändert.“

„Inzwischen habe ich die Arbeit im Griff, sie zehrt mich nicht mehr auf. Komm, zieh doch wieder im Haus ein. Machen wir ein Baby, Renee.“

„Einziehen? Wie stellst du dir das vor? Was wird aus meinem Geschäft? California Girl’s Catering zum Erfolg zu führen hat Jahre gedauert. Ich kann nicht einfach für ein Jahr weggehen und hoffen, dass meine Kunden auf mich warten. Und hin- und herpendeln kann ich auch nicht, dazu ist es zu weit. Schon bei wenig Verkehr dauert die Fahrt fünf bis sechs Stunden.“

„Ich habe mir deine Homepage im Internet angesehen. Danach hast du eine ‚vielversprechende Mitarbeiterin‘. Überlass doch ihr dein Geschäft in Los Angeles und gründe in San Francisco eine Zweigstelle. Ich kenne wichtige Leute und kann dir dabei helfen.“

Nun hatte er es geschafft, dass Renee ins Überlegen kam. Tamara, die für sie arbeitete, würde in Los Angeles sehr gut allein zurechtkommen. Und wenn der Name Maddox hinter California Girl’s Catering stand, würde es sehr viel leichter fallen, trotz vieler Konkurrenzbetriebe in San Francisco Fuß zu fassen.

Aber ihre Gefühle …

„Bitte, sag Ja zu einem Kind von mir. Und lass uns sein erstes Lebensjahr gemeinsam unter einem Dach verbringen. Danach werden wir uns einvernehmlich scheiden lassen, und ich zahle vollen Unterhalt.“

Tief im Herzen war Renee nicht abgeneigt. Schon als Flynn ihr beigebracht hatte, wie man ein Haus restaurierte, hatte sie gemerkt, welch wundervollen Vater er abgeben würde. Er hatte diese ermutigende Art – so einen Vater hatte Renee sich immer gewünscht.

Aber die Vorstellung, wieder mit Flynn zusammenzuleben, flößte ihr regelrecht Angst ein.

Inzwischen bin ich älter und habe mehr Lebenserfahrung. Diesmal schaffe ich es!

Sie musste verrückt sein, über diesen Vorschlag überhaupt ernsthaft nachzudenken. Und dennoch, vielleicht würde es klappen! Und wenn das Ergebnis ein Baby war … ein Baby, das sie lieben würde. Den ganzen Tag würde sie sich darauf freuen, es abends in die Arme zu schließen.

Aber wenn sie die Zeit mit Flynn gefühlsmäßig halbwegs unbeschadet überstehen wollte, musste sie Spielregeln festlegen.

„Flynn, es ist eine sonderbare Idee, nur zusammenzuziehen, um ein Kind zu bekommen.“

„Findest du?“

„Wenn ich nach San Francisco komme, brauche ich erst einmal Räumlichkeiten für meine Küche.“

„Ich kümmere mich sofort darum.“

Renee klopfte das Herz bis zum Halse. „Okay. Ich denke darüber nach“, sagte sie so ruhig wie möglich. „Aber eines sage ich dir gleich: Ich stelle Bedingungen.“

Als ein Ausdruck von Siegesgewissheit in seinen Augen aufleuchtete, erschrak sie einen Moment.

„Und welche?“, wollte er wissen.

„Bevor wir miteinander schlafen, brauchen wir Zeit, um uns wieder besser kennenzulernen.“

„Was meinst du, wie lange wird das dauern?“

„Weiß ich nicht genau. Vielleicht einen Monat?“

„Gut.“

„Und falls wir nicht mehr zueinanderpassen, hat jeder von uns ein Rücktrittsrecht. Das heißt, du unterschreibst die Scheidungspapiere.“

„Einverstanden“, nickte Flynn.

Renee schien es, als bekäme sie keine Luft mehr. Sollte sie wirklich ein Baby in die Welt setzen, obwohl die Ehe gescheitert war?

Und doch hatten Flynn und sie niemals auch nur annähernd so heftig gestritten wie ihre Mutter und deren Liebhaber. Das Kind würde sich sicher nie wie der Stein des Anstoßes fühlen. Im Gegenteil: Renee und Flynn würden es vom ersten Tag an lieben und ihm vermitteln, dass es einen festen Platz in der Welt und im Herzen seiner Eltern hatte.

„Und ich möchte mein eigenes Schlafzimmer. Erst wenn es so weit ist – wenn überhaupt – schlafen wir miteinander.“

Flynn runzelte die Stirn. „Wenn es sein muss.“

Sie dachte zurück, wie sie ihm vor vielen Jahren das Jawort gegeben hatte. Damals war sie glücklich gewesen, voller Hoffnungen und Träume. Dagegen überwog jetzt die Angst, einen Riesenfehler zu machen.

„Sonst noch was?“, fragte er.

Fieberhaft überlegte Renee, was sie noch anführen konnte, aber sie vermochte kaum einen klaren Gedanken zu fassen. „Im Moment nicht. Aber wenn nötig, komme ich darauf zurück.“

„Ich akzeptiere deine Bedingungen. Und ich stelle eine.“

„Lass hören“, sagte Renee mit einem unbehaglichen Gefühl.

„Du sollst den wahren Grund für unser Zusammenleben für dich behalten. Es könnte missverstanden werden, dass wir nur vorübergehend zusammen sind, um ein Baby zu bekommen. Unsere Freunde, die Kollegen und die Familie sollen davon ausgehen, dass es eine Versöhnung auf Dauer ist.“

Sie überlegte kurz. Aber für ein Baby war sie bereit, so ziemlich alles zu tun. „Stimmt, das wird besser sein, vor allem für das Kind.“

„Also sind wir uns einig?“

Obwohl ihr ihre Zweifel noch zu schaffen machten, stellte sie sich bereits das Baby vor, wie es dunkelhaarig, blauäugig und rosig in ihren Armen lag … Sie nickte.

Flynn umfasste zur Bekräftigung ihre Hand. Gleichzeitig trat er einen Schritt nach vorne und küsste Renee auf den Mund.

Renee fühlte sich wie von einem warmen Brausestrahl überrieselt. Der Kuss weckte tiefe Empfindungen, die ihr nur allzu vertraut vorkamen. Ihre Sehnsucht erwachte …

Obwohl Flynn über einen Meter achtzig groß war und sie nur einen Meter sechzig maß, hatte Renee schon immer gefunden, dass sie beide vollkommen harmonierten. Sie spürte sein Bein zwischen ihren, während Flynn sie mit starken Armen umfasste und an sich zog. Als wäre sie nun endlich wieder da, wo sie hingehörte.

Erschrocken stieß sie ihn von sich und rang nach Atem. „Was soll das?“, fragte sie. Doch sie konnte nicht leugnen, dass sie diesen Mann begehrte.

„Ich wollte nur unsere Vereinbarung besiegeln.“

„Mach das nicht noch einmal!“

„Darf ich dich nicht anrühren?“, wollte er wissen.

„Nein. Nicht bevor … es so weit ist.“

„Aber Renee, wenn unsere Versöhnung echt aussehen soll, müssen wir einander berühren und küssen, uns eben wie ein Liebespaar benehmen.“

„Mein Beruf ist Catering – nicht Schauspielerei.“

Zärtlich strich er ihr über Wange und Hals und ließ die Hand bis zu ihrem Ausschnitt gleiten. Sofort wurden Renees Brustspitzen hart. Sie zitterte.

„Egal was du sagst: Für mich ist es eindeutig, dass du mich noch immer willst.“

Angesichts von so viel Unverfrorenheit verschlug es Renee beinah den Atem. Und noch dazu hatte er völlig recht! Ihre Reaktion war leider allzu offensichtlich … Dass sie sich nach Flynn sehnte, war so ziemlich das Schlimmste, was passieren konnte. Wenn sie nicht aufpasste, würde er ihr ein zweites Mal das Herz brechen. Oder sie zu selbstzerstörerischen Verhaltensweisen treiben, und das wäre ganz und gar nicht gut – vor allem nicht für das Kind.

2. KAPITEL

Es geht nichts über ein schönes Zuhause.

Nur ist das hier gar nicht mein Zuhause, ermahnte Renee sich, schon lange nicht mehr. Auch wenn es sich so anfühlt.

Beklommen betrachtete sie das große ziegelrote Gebäude mit cremeweißen Brüstungen aus der Zeit Queen Victorias. Es war Freitagnachmittag.

Die Eingangstür aus Holz mit Glaseinsätzen öffnete sich, und Flynn trat auf die Veranda heraus.

Offenbar hatte er sie erwartet.

In seinen ausgewaschenen Jeans und einem blauen T-Shirt sah er genauso aus wie vor achteinhalb Jahren, als sich Renee in ihn verliebt hatte. Ihr wurde schwer ums Herz.

Sie war mit ihrer Liebe gescheitert, was sehr wehgetan hatte. Und Vergangenes kam nicht wieder. Außerdem würde sie es auch gar nicht zulassen.

Renee kämpfte noch immer mit ihren widersprüchlichen Gefühlen, als Flynn schwungvoll die Stufen herunterkam. „Ich nehme die beiden Taschen. Und du kannst das restliche Gepäck ausladen.“

Ohne dass sie es wollte, betrachtete sie seine schön geformten Lippen. „Mehr habe ich nicht dabei.“

Sie hatte nur das Allernotwendigste eingepackt. Schließlich war sie nur zu Besuch hier, und weder Flynn noch sie sollten auf die Idee kommen, dass etwas Längeres daraus werden konnte. „Wenn ich einmal die Woche nach Los Angeles fahre, um nach Tamara und California Girl’s Catering zu sehen, kann ich ja auch noch etwas mitbringen.“

Sehr begeistert sah Flynn nicht aus, aber er schwieg. „Möchtest du dein Auto in die Garage stellen?“

„Nein, nicht nötig.“ Die Garage befand sich im Tiefgeschoss, das Souterrain genannt wurde. „Nutzt du eigentlich inzwischen das restliche Souterrain?“

Während der Renovierungsarbeiten hatten sie darin eine Werkstatt eingerichtet und Arbeitsgeräte aufbewahrt. Renee und Flynn hatten oft überlegt, was danach mit den Räumlichkeiten geschehen sollte.

Da sich das Haus auf einem Hügel befand, hatte das Souterrain zum Garten hin große Fenster, die nach Süden ausgerichtet waren. Als bloßer Abstellraum war es daher viel zu schade.

„Nein, noch nicht. Aber ein paar Ideen habe ich schon.“

Renee betrachtete die Fassade, an der sie jedes einzelne der reichen Details liebte, das steile Dach, das runde Türmchen … „Hier außen hast du nichts verändert, stimmt’s?“

„Weil sich etwas Vollkommenes nicht noch weiter verbessern lässt. Bella haben wir wirklich gut hinbekommen.“

Bella, so hatten sie das wundervolle Haus immer genannt.

Als Flynn nach der Tasche griff und dabei Renees Hand berührte, war es, als ob ein Funken übersprang.

Für einen Augenblick stand Flynn dicht neben ihr. Er roch so gut – und so vertraut. Erinnerungen an glückliche Zeiten stiegen in ihr auf … Doch Renee kämpfte dagegen an. Sie überließ Flynn ihr Gepäck und trat einen Schritt beiseite, wie um einen Sicherheitsabstand zu schaffen.

Während sie hinter ihm die Stufen zur Veranda hochstieg, wandte sie sich um und genoss die Aussicht. Weitere prächtige viktorianische Anwesen lagen entlang der Straße, die sich auf dem Hügel von Osten nach Westen erstreckte. An klaren Tagen wie diesem sah man im Norden die herrliche Küstenlandschaft der Marin Headlands, die Golden Gate Bridge und die geschichtsträchtige Insel Alcatraz.

Nicht weit weg, am Fuße des Hügels, befanden sich exklusive Restaurants und Läden.

„Komm doch rein, Renee“, forderte Flynn sie auf.

Zögernd betrat sie die Eingangshalle – und wurde sofort von Erinnerungen überwältigt. Fast kam es ihr vor, als wäre sie nie fort gewesen. Die warmen satten Farben, für die sie sich damals entschieden hatten, wirkten genauso einladend, wie Renee sie in Erinnerung hatte.

Sogar die Duftkomposition, die Renee so liebte, verwendete Flynn offenbar weiterhin, denn die Raumluft roch angenehm nach Zimt und Vanille.

Für die Fußböden war ausschließlich Hartholz verwendet worden. An einer Seite der Halle führte eine Treppe mit elfenbeinfarbenem Geländer nach oben. Links befand sich das behagliche Wohnzimmer, rechts das Esszimmer, beide mit Fenstern zur Straße.

Renee versuchte sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. „Hast du im zweiten Stock weitergemacht?“, fragte sie.

„Wozu?“

Im zweiten Stock waren drei Kinderzimmer und ein gemeinsames Spielzimmer geplant gewesen …

„Du darfst nicht einfach aufhören, Flynn. Bella verdient es, dass alle Räume hergerichtet werden.“

„Jetzt, wo du wieder da bist, schaffen wir es vielleicht.“

Hatte er wir gesagt? Etwas in Renee sträubte sich gegen dieses Wort.

Vor zehn Jahren hatte Flynn das Haus in schlechtem Zustand gekauft und zunächst das Erdgeschoss in Angriff genommen. Im Farbenladen waren sich er und Renee begegnet. Sie hatte einen speziellen geruchlosen Anstrich gesucht, der in Los Angeles nicht aufzutreiben gewesen war.

Flynn hatte sie nach ihrer Meinung zu einem Fassadenton gefragt – und der Rest war, wie es so schön heißt, Geschichte.

Die erste Zeit ihrer Beziehung hatten sie das Erdgeschoss, den ersten Stock und einen Teil des zweiten hergerichtet. Nach einem halben Jahr Ehe war Flynns Vater gestorben, und Flynn hatte den Job gewechselt. Von da an hatten ihn die Renovierungsarbeiten immer weniger interessiert – und auch seiner Frau gegenüber hatte er zunehmend gleichgültig gewirkt.

Eine Zeit lang hatte sie allein weitergearbeitet, aber ohne ihn hatte es ihr keinen Spaß mehr gemacht.

Als er es dann noch abgelehnt hatte, ein Kind zu haben, war der Grund für die Instandsetzung des zweiten Stocks weggefallen.

Flynn ging voraus nach oben. „Du kannst wählen: Willst du im Gästezimmer schlafen oder im großen Schlafzimmer?“

Im großen Schlafzimmer? Mit dem Badezimmer, in dem die Wanne stand, deren Füße wie Löwentatzen aussahen?

Damit sie die ganze Nacht daran denken musste, wie oft sie einander hier geliebt hatten? Besser nicht … Andererseits hatten sie alle Zimmer eingeweiht, indem sie darin miteinander geschlafen hatten. Sie würde mit vielen derartigen Erinnerungen fertig werden müssen.

„Ich nehme das Gästezimmer.“ Darin hatten sie sich während der Renovierungsarbeiten geliebt, und später hatte Renee Farbkleckse von allen möglichen und unmöglichen Körperstellen entfernen müssen. Doch das lag lange zurück.

„Sicher?“, fragte Flynn und runzelte die Stirn. „Du weißt, dass das Zimmer nach vorne hinaus, also zur Straße, liegt.“

„Klar. Aber einer von uns muss darin schlafen, und so viel Verkehr ist hier weiß Gott nicht. Ich habe mir immer gedacht, wie herrlich es für Gäste sein müsste, morgens auf dem Balkon Kaffee zu trinken. Du musst zugeben, dass die Aussicht atemberaubend ist.“

Flynn trug die Taschen ins Gästezimmer und stellte sie auf das Metallbett. „Du findest dich ja zurecht …“, sagte er.

„Danke“, antwortete Renee und fühlte sich plötzlich in der Rolle eines Gastes. Dabei hatte sie diesen Raum mit ausgestattet – von der Bettdecke mit Eheringmuster bis zum Teppich unter ihren Füßen.

„Wenn du ausgepackt hast, essen wir bei Gianelli’s zu Abend.“

Das gemütliche italienische Lokal … „Flynn, du brauchst gar nicht erst so zu tun, als wäre alles beim Alten. Ist es nämlich nicht!“

„Aber unsere Bekannten gehen sicher davon aus, dass wir unsere Versöhnung in unserem Lieblingsrestaurant feiern.“

Damit hatte er zweifellos recht. Um nach außen glaubwürdig zu wirken, musste sie sich der Vergangenheit stellen.

„Unsere angebliche Versöhnung“, korrigierte sie.

Er nickte.

„Gib mir eine halbe Stunde Zeit“, bat Renee und hoffte, die Kraft zu finden, dem Unumgänglichen ins Auge zu sehen.

Bisher, fand Flynn, lief alles nach Plan: Renee war wieder zu Hause. Und sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis sie wieder mit ihm schlief.

Als sie – auf demselben Weg wie immer – zu Gianelli’s gingen, nahm er sie bei der Hand.

Aber Renee wich zur Seite und geriet dadurch auf dem Gehsteig ins Stolpern. Instinktiv zog Flynn sie an sich, damit sie nicht stürzte.

Fragend sah sie ihn mit ihren dunkelblauen Augen an. „Was soll das?“

„Es sieht einfach besser aus, wenn ich deine Hand halte.“ Und es fühlte sich sehr gut an …

Widerstrebend nahm sie seine Hand.

Wie gut sie roch! Offenbar bevorzugte sie noch immer dasselbe Parfüm wie damals. Am liebsten hätte er ihr langes goldenes Haar berührt, das ihr in Wellen auf die Schulter fiel. Doch Flynn wusste, dass es dazu noch zu früh war. Er würde warten, bis Renee sich zugänglicher zeigte.

Die Frage, die ihm hauptsächlich auf dem Herzen lag, hatte der Kuss beantwortet: Ja, an der Anziehung zwischen ihnen hatte sich nichts geändert! Für ihn bedeutete das die Chance, wiedergutzumachen, was durch seine Schuld kaputtgegangen war.

Flynn spürte, wie angespannt Renee sich fühlte, und überlegte, wie er sie ablenken konnte. „Ich habe mich mal im Internet nach geeigneten Räumen für deinen Catering-Service umgesehen.“

„Und?“, fragte sie gespannt.

„Es gibt schon einiges, was passen würde. Nur sind die Mieten ziemlich hoch. Wenn wir wieder daheim sind, kann ich dir zeigen, was ich bisher gefunden habe. Und außerdem zeige ich dir meine Entwürfe für das Souterrain.“

Interessiert sah sie ihn an. „Weißt du denn schon, wie du es nutzen wirst?“

„Sage ich dir, wenn wir wieder zurück sind.“

„Nein gleich! Bitte Flynn …“ Sie verstummte und errötete.

Sicher war ihr eingefallen, wie oft sie das zu ihm gesagt hatte … Wenn er sie verwöhnt hatte, bis sie vor Erregung nicht mehr ein noch aus wusste.

Flynn spürte, wie seine Begierde wuchs, und zwang sich, an etwas anderes zu denken.

Nach dem Essen würde er ihr die Pläne für ihr Geschäft zeigen. Während des Zeichnens hatte ihn so viel Energie und Freude durchströmt wie schon lange nicht mehr. Wenn Renee sich im Restaurant wohlfühlte, würde es ihr Spaß machen, danach mit ihm die Zeichnungen anzusehen.

Als er die schwere Holztür des Lokals öffnete, wurden sie von Mamma Gianelli, der er sein und Renees Kommen angekündigt hatte, herzlich empfangen. Die beiden Frauen hatten sich vor Jahren angefreundet, als Renee sich nach einem Rezept erkundigt hatte.

Erfreut küsste die Wirtin Renee auf beide Wangen. „Ich bin ja so glücklich“, sagte sie lebhaft mit deutlichem italienischen Akzent, „dass Sie wieder zu Hause sind, wo Sie hingehören, Renee. Ich habe Sie und Ihr Lächeln sehr vermisst.“

Und tatsächlich, zum ersten Mal, seit sie wieder in sein Leben getreten war, lächelte Renee! Nur schade, dass sie sich dabei Signora Gianelli zuwandte – und nicht ihm.

„Ich habe Sie auch vermisst, Mamma G.“

„Und er erst.“ Die Wirtin deutete auf Flynn. „Sehen Sie ihn sich nur an, nicht einmal richtig gegessen hat er. Er ist ja fast nur noch Haut und Knochen.“

Spontan fühlte Flynn sich bei diesen Worten unbehaglich, doch dann bemerkte er, dass Renee ihn nachdenklich betrachtete. Lag da etwas wie Teilnahme in ihrem Blick?

Mamma G. legte den Arm um Renee. „Kommen Sie, ich habe Ihren Lieblingstisch reserviert.“

Flynn folgte den beiden und bewunderte die schlanke Figur seiner Frau. Ein klein wenig hatte sie seit der Trennung zugenommen, aber genau an den richtigen Stellen. Die graue Hose und der weiße Wickelpulli standen ihr gut.

Allein der Anblick erregte Flynn. Zu keiner anderen Frau hatte er sich je so hingezogen gefühlt.

„Ich bringe eine Flasche von Ihrem Lieblings-Chianti“, bot Signora Gianelli an.

„Nein danke, für mich nicht“, sagte Renee.

Überrascht sah Flynn sie an, dann lehnte auch er dankend ab.

Als Mamma G. gegangen war, schlug Renee die Speisekarte auf. Verbarg sie sich nur dahinter, um ihm nicht nahe sein zu müssen? In diesem Lokal aß sie immer dasselbe, denn sie fand, dass es nirgendwo so gute Cannelloni mit Spinat gab wie hier.

„Isst du nicht das Gleiche wie sonst?“, fragte er.

„Ich möchte Pollo alla Romana“, erklärte sie, „Hähnchen nach römischer Art, gefüllt mit frischem Mozzarella.“

„Ich staune …“

Über den Rand der Speisekarte sah sie ihn an. „Flynn, ich habe mich verändert. Ich bin nicht mehr die unscheinbare Kleine, die zu allem Ja und Amen sagt.“

„Wir alle ändern uns, aber im Kern der Persönlichkeit bleibt man immer gleich.“

Nachdem die Enkelin von Signora Gianelli die Bestellung aufgenommen hatte, hob Flynn sein Glas mit Wasser. „Auf uns und unsere künftige Familie.“

Nach kurzem Zögern hob auch Renee ihr Glas. „Auf das Baby, das wir vielleicht haben werden.“

Flynn entging nicht, dass sie das Wort vielleicht betonte, aber er schwieg. Dann beugte er sich vor, um ihre Hand zu nehmen.

„Muss das wirklich sein?“, fragte Renee.

„Wir haben uns doch immer bei den Händen gehalten, bis das Essen kam.“

„Warum ist es eigentlich so wichtig, dass wir für ein glückliches Paar gehalten werden?“, fragte sie.

Zwar schien das Gespräch einen anderen Verlauf zu nehmen, als Flynn geplant hatte, aber er fand, dass Renee durchaus Bescheid wissen sollte. Mit dem Daumen strich er zärtlich über ihre Handfläche.

„Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten, und manche Firmen, oft auch größere, sparen an der Werbung. Außerdem kommt uns unser härtester Konkurrent, Golden Gate Promotions, immer wieder ins Gehege. Er versucht – zum Teil mit unlauteren Methoden – uns Kunden abspenstig zu machen. Athos Koteas, der Firmenbesitzer, tut alles, um Maddox Communications in ein schlechtes Licht zu rücken.“

„Und wie macht er das?“

„Durch Klatsch und Tratsch versucht er, unserem guten Namen zu schaden. Wir fragen uns, woher er seine Informationen bekommt. Möglicherweise gibt es bei MC eine undichte Stelle. Einige unserer wichtigsten Kunden denken sehr konservativ und suchen sich beim bloßen Verdacht eines Skandals eine andere Werbeagentur. Sie möchten nicht Gefahr laufen, dass ihr Ruf womöglich ebenfalls leidet.“

Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Darum möchte ich nicht, dass unser eigentlicher Plan an die Öffentlichkeit dringt.“

„Aber Flynn, das ist ja ein Leben wie im Glaskasten. So kannst du doch nicht ewig weitermachen.“

„Koteas ist über siebzig. Und auch er hat nicht das ewige Leben. Aber reden wir nicht mehr davon.“

„Doch. Deine Arbeit interessiert mich. Aber du hast nie etwas davon erzählt, jedenfalls nicht mehr, seit du bei Madd Comm angefangen hast.“

„Weißt du, ich hatte schon tagsüber so viel um die Ohren – Werbung und wieder Werbung –, dass ich abends nicht wieder davon anfangen wollte.“ Aber Renee hatte recht: Zuvor nämlich, als er noch bei Adams Architekturbüro gearbeitet hatte, hatte er beim Abendessen oftmals Interessantes zu berichten gehabt. „Wie geht es eigentlich Lorraine?“, fragte er.

An ihrem Stirnrunzeln bemerkte er, dass ihr der Themenwechsel aufgefallen war. Dennoch antwortete sie: „Mom? Immer gleich. Zurzeit arbeitet sie in Florida, in einem Fünf-Sterne-Restaurant in Boca Raton.“

„Wechselt sie noch immer so häufig ihre Arbeitgeber?“

Renee nickte. „Sobald ihr jemand dumm kommt, fängt sie woanders neu an.“

„Das hängt bestimmt mit ihrer Trinkerei zusammen. Gut, dass deine Großmutter dafür gesorgt hat, dass du in einem stabilen Umfeld aufgewachsen bist.“

Als er mit dem Daumennagel über ihre Handfläche glitt, stockte Renee der Atem. Schnell zog sie die Hand weg. Doch Flynn war nicht entgangen, dass sich auf ihrem Unterarm eine leichte Gänsehaut gebildet hatte.

„Du siehst gut aus, Renee. Dir bekommt es gut, dein eigenes Geschäft zu führen.“

„Danke. Ja, es hat schon Vorteile, sein eigener Chef zu sein. Und offen gestanden liebe ich es, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Ich bleibe selten bei altbewährten Rezepten.“

Als sie einander kennengelernt hatten, war sie bei einem großen Catering-Betrieb in Los Angeles beschäftigt gewesen. Nach der Hochzeit hatte sie gekündigt und war nach San Francisco gezogen.

Seit der Trennung hatte Flynn viel über das Scheitern seiner Ehe nachgedacht. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass er einen Fehler gemacht hatte: Er hätte Renee nicht bitten sollen, sich den ganzen Tag nur um den Haushalt zu kümmern.

Denn sehr zum Missfallen seiner Mutter stammte Renee aus einfachen Verhältnissen, aus einer Familie, in der immer gearbeitet worden war. Die Großmutter hatte ein kleines Restaurant betrieben, und Renees Mutter war eine Spitzenköchin geworden.

Beide Frauen kannten lange Arbeitszeiten und hatten sich nie gescheut, sich die Hände schmutzig zu machen.

Und auch für Renee war harte Arbeit kein Fremdwort. Gewissermaßen war sie in einer lebhaften Restaurantküche aufgewachsen. Mit vierzehn, als Flynn seine Modelle gebaut und sich ansonsten wie ein typischer Teenager verhalten hatte, hatte sie bereits Gäste bedient.

Renee war daran gewöhnt, ihr Auskommen selbst zu bestreiten. Ihr war es nie leichtgefallen, ihn um Geld für Lebensmittel oder andere Einkäufe zu bitten.

Teure Restaurants und Nobelboutiquen waren nie ihre Welt gewesen, nur für das Haus einzukaufen hatte ihr Spaß gemacht. Auch lag es ihr nicht, viel Zeit bei der Kosmetikerin oder mit Wellness-Anwendungen zu verbringen.

Kein Wunder, dass ihr zu Hause – allein und ohne eine Beschäftigung, die sie auslastete – die Decke auf den Kopf gefallen war. Noch dazu war er häufig lange im Büro geblieben.

So war es gekommen, dass sie sich viel zu früh ein Baby gewünscht hatte.

Wohl Hunderte Male hatte er sich gefragt, ob es seine Ehe gerettet hätte, wenn Renee wieder gearbeitet hätte. Oder wenn er ihr den Wunsch nach einem Kind erfüllt hätte …

Aber da er auf keinen Fall ein Vater wie sein eigener sein wollte, der nie für die Familie Zeit hatte, hatte er damals Nein gesagt.

Kinder … Was würde er heute darum geben, sich damals anders verhalten zu haben! Nur ließ sich die Vergangenheit nicht mehr beeinflussen. Aber man konnte aus seinen Fehlern lernen und versuchen, sie wiedergutzumachen.

Und dieses Mal würde er Renee nicht wieder gehen lassen.

Während Flynn die Tür zu ihrem, nein, seinem Haus aufschloss, stellte Renee insgeheim fest, dass diese Versöhnung durchaus echt wirkte. Während des Abendessens hatte er sich aufmerksam und fürsorglich gezeigt, ganz wie zu Anfang ihrer Beziehung.

Aber er hat sich schon einmal verändert, ermahnte sie sich, also kann das wieder passieren.

Abgesehen davon war nicht er das Problem, sondern sie.

„Ich habe einen Schlüsselbund für dich“, sagte er so dicht neben ihr, dass sie seinen Atem an ihrer Wange fühlen konnte.

Renee spürte, dass sie Gänsehaut bekam, und trat in der großen Eingangshalle einen Schritt zurück. „Du wolltest mir doch deine Entwürfe für das Souterrain zeigen.“

„Sie sind in meinem Arbeitszimmer. Die Schlüssel auch. Geh schon vor, ich komme gleich nach“, sagte Flynn und wandte sich Richtung Küche.

Renee ging an der Treppe vorbei durch die Halle und betrat Flynns Arbeitszimmer.

Hier roch es angenehm nach seinem Duft. Als Renee bemerkte, dass sie tief einatmete, hörte sie sofort damit auf.

Zu Renees Verwunderung wurde die Raumseite mit dem Erkerfenster nach wie vor fast ganz von seinem Zeichentisch eingenommen. Warum hatte Flynn den Tisch behalten? Schließlich stand er für ein anderes Leben, für längst aufgegebene Träume.

Wie schade, dass er nach vier Jahren auf dem College und viereinhalb Jahren beruflicher Vorbereitungszeit so kurz vor dem Ziel aufgehört hatte. Er war kurz davor gestanden, als selbstständiger Architekt Häuser zu planen – sein Traumberuf.

Traurig betrachtete Renee die vielen Bücher zu diesem Thema, die die raumhohen Regale füllten. Auf einem der Bretter entdeckte sie ihr gerahmtes Hochzeitsbild.

Sie spürte einen Kloß im Hals. Flynn und sie sahen so glücklich aus vor der kleinen weißen Kapelle. Verliebt lächelten sie einander an.

Später war es mit der Ehe leider abwärtsgegangen. Erst hatte seine Mutter mit ihren verletzenden Angriffen begonnen, und dann war sein Vater gestorben …

Am Tag der Trauung hatte sich Renee noch keine Vorstellung davon gemacht, wie einsam eine Frau werden konnte, die mit dem Mann verheiratet war, den sie liebte. Sie hatte sich allein und schwunglos gefühlt, wie mit Blei an den Füßen.

Plötzlich hörte sie das leise Plopp eines Korkens, und kurz darauf erschien Flynn mit einer Weinflasche und zwei Gläsern.

„Nein danke, für mich nicht“, wehrte Renee ab, genau wie vorhin im Restaurant.

Fragend zog Flynn eine Augenbraue hoch und stellte Flasche und Gläser auf ein kleines Tischchen. Mit seinen kräftigen und schönen Händen drehte er den Korkenzieher aus dem Korken. „Das war doch immer dein Lieblingswein, ein Riesling.“

„Ich trinke nichts mehr. Und wenn ich beruflich Wein verkosten muss, spucke ich ihn danach wieder aus.“

„Aber du warst eine richtige Weinliebhaberin.“

„Damals ja“, sagte sie und zuckte die Schultern.

„Ist es wegen deiner Mutter?“, wollte er wissen.

„Zum Teil.“ Er wusste nicht, dass Renee eines Morgens noch immer halb betrunken auf dem Sofa aufgewacht war. Die halbe Nacht hatte sie vergeblich auf ihren Mann gewartet und ihren Kummer schließlich im Alkohol ertränkt … Niemals würde sie ihm das sagen!

„Okay.“ Flynn verschloss die Flasche wieder und stellte sie beiseite. Dann öffnete er eine Schublade seines Zeichentisches, nahm einen Schlüsselbund heraus und hielt ihn Renee hin.

Doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Wenn sie den Bund annahm, würde dies ein weiterer großer Schritt nach vorne sein. Ein Schritt, der Renee wie ein Salto am Rande eines Abgrundes erschien.

Schließlich gab sie sich einen Ruck und nahm die Schlüssel, sie sich kühl in ihrer Hand anfühlten.

Flynn schlug einen Ordner auf und schob ihn den Tisch entlang zu Renee. „Das sind die Räume, die du für deinen Catering-Service pachten könntest.“

Sie sah sich die erste Seite an, aber da ihr von der hohen Miete buchstäblich der Atem stockte, blätterte sie gleich zur zweiten. Flynn hatte sich die Mühe gemacht, bei allen Angeboten das Für und Wider in seiner vertrauten Handschrift an den Rand zu schreiben.

Während Renee weiterblätterte, verließ sie der Mut. An so hohe Monatsmieten mochte sie nicht einmal denken. Wie sollte ihr neu gegründetes Geschäft solche Beträge aufbringen? Außerdem würden erhebliche Umbaukosten für eine professionell ausgestattete Küche hinzukommen.

Als sie Flynn ansah, merkte sie, dass er sie beobachtete.

„Leider kommen zur jeweiligen Pacht noch Kosten für die Kücheneinrichtung“, sprach er ihr aus der Seele. „Die Größenordnung kannst du selbst am besten einschätzen.“

Im Geiste ging Renee ihre Möglichkeiten durch. Selbst wenn sie ihr Gespartes opferte, würde ihr Geld bei Weitem nicht ausreichen. Ohne Kredit würde es nicht gehen.

Aber wollte sie wirklich Schulden machen? Für eine Sache, von der sie nicht wusste, ob sie wirklich gut lief? San Francisco galt unter Caterern als hart umkämpfter Markt.

Und was wäre, wenn sich zerschlagen würde, was sie mit Flynn abgemacht hatte? Dann würden es ihr die Kreditrückzahlungen fast unmöglich machen, sich nach Los Angeles zurückzuziehen.

Ich hätte mich mit den Pachtpreisen vertraut machen sollen, bevor ich mich auf Flynns Vorschlag eingelassen habe, schalt sie sich.

„Ehrlich gesagt habe ich nicht so viel Geld“, gab sie zu.

„Es gibt eine günstigere Alternative“, sagte Flynn und rollte einen großen Plan aus.

„Du hast einen Plan gezeichnet?“ Renee staunte.

Als er sie anblickte, sah sie zum ersten Mal seit langer Zeit in seinen blauen Augen wieder die Lebensfreude, die sie an ihm so sehr vermisst hatte. Er wirkte so attraktiv und sympathisch wie in der Anfangszeit ihrer Beziehung.

„Schau ihn dir an.“

Langsam trat Renee näher. Sie wusste, wie gefährlich seine Nähe war – vor allem, wenn er eine so positive Ausstrahlung hatte.

Flynn hatte eine Küche gezeichnet, ähnlich wie ihre in Grandmas Haus, nur größer und mit mehr Arbeitsflächen. Und mit großen Fenstern. Auch ein kleines Büro gehörte dazu, in dem sie Schreibarbeiten erledigen und Kunden empfangen konnte. Eine Veranda mit Tischen und einem Brunnen rundete den Entwurf ab.

„Flynn, das ist ja wundervoll! Aber wo …?“

„Im Souterrain“, antwortete er.

„Aber …“, setzte Renee an.

Doch Flynn unterbrach sie. „Warte, hör mir bitte erst einmal zu. Unser Souterrain kostet dich keine Miete, und es hat einen separaten Eingang. Du könntest unten arbeiten, während hier oben eine Nanny auf unser Baby aufpasst. Und du kannst jederzeit hochkommen. Sooft du willst.“

Unser Souterrain. Unser Baby.

Aber ihre Angst.

So wie Flynn das sagte, klang es nach etwas Langfristigem. Aber war sie dazu überhaupt bereit? „Findest du es gut, so viel Geld in einen Arbeitsplatz auf Zeit zu investieren?“

„Wer sagt denn, dass es nur auf Zeit ist?“

Wieder bekam sie es mit der Angst zu tun. „Ich. Selbst wenn diese Zweigstelle hier gut läuft, werde ich einen Koch einstellen und nach Los Angeles zurückkehren. Darf ich dich daran erinnern, dass wir uns scheiden lassen, sobald das Baby ein Jahr alt ist?“

„Denk doch mal in Ruhe darüber nach, Renee. Günstiger geht es doch gar nicht. Und die Lage ist ideal. Eine Adresse in einem gehobenen Viertel, in unmittelbarer Nähe zu Restaurants und Läden. Für deine Kunden bist du hier bequem zu erreichen.“

Natürlich hatte er recht! Das waren wirklich verlockende Aussichten.

Eigentlich sollte sie Nein sagen. Aber sie kannte sich gut genug, um zu wissen, dass sie ohne eine Aufgabe halb verrückt werden würde. Jedenfalls wollte sie nicht wie damals immer nur warten, bis sie abends das Motorengeräusch von Flynns Wagen hörte.

Auf ein solches Leben würde sie sich nicht noch einmal einlassen, selbst nicht, wenn es um ein Baby ging. Sie brauchte ihren eigenen Job und ihr eigenes Geld.

Es stand fest, sie musste arbeiten. Eine Stelle bei einem anderen Caterer anzunehmen verbot sich, denn sie musste ja immer wieder zu Tamara nach Los Angeles fahren. Außerdem würde sie kaum einen Job in dieser Branche bekommen, weil ja jeder Arbeitgeber in ihr – zu Recht – die Konkurrenz sah.

Wie sie es auch drehte und wendete, Flynns Vorschlag war im Grunde die Ideallösung.

Aber wollte sie tatsächlich unter einem Dach mit ihm essen, schlafen und arbeiten? Würde sie das aushalten, nach dem, was sie hier durchgemacht hatte?

Im Interesse ihres Seelenfriedens würde sie ihre CGC-Filiale nur vorübergehend hier in Flynns viktorianischem Haus unterbringen. Sobald sie es sich leisten konnte, würde sie sich in San Francisco etwas Eigenes kaufen.

Auf diese Weise wäre sie immer in der Nähe, wenn ihr Kind den Vater besuchte.

Ich schaffe es, redete sie sich zu. Ich werde nicht trinken oder mich bemitleiden. Von Anfang an werde ich dem Baby das Gefühl vermitteln, dass es gewollt und geliebt ist. Ich bin anders als meine Mutter!

Sie betrachte den aufgeschlagenen Ordner mit den Immobilienangeboten. Dann sagte sie entschlossen: „Danke, dass du dir so viel Mühe gegeben hast. Und bitte betrachte es nicht als Misstrauen, aber ich bin es gewohnt, mir mein eigenes Bild zu machen. Ich komme auf deinen Vorschlag zurück.“

3. KAPITEL

Flynn hatte nicht gelogen.

Mit einer Kaffeetasse in der Hand – und einem mulmigen Gefühl im Bauch – stand Renee am Sonntagmorgen im kühlen Souterrain. Sie betrachtete abwechselnd den leeren Raum und Flynns Plan, der ausgebreitet auf einem Arbeitstisch lag.

Den ganzen Samstag lang hatte sie sich mit einem Makler Räumlichkeiten angesehen – und voll bestätigt gefunden, was Flynn gesagt hatte. Kein Wunder, denn sie hatte ihm schon immer vertrauen können. Wenn ihr jemand Sorgen bereitete, dann sie selbst …

Einen Kredit wollte sie nicht aufnehmen. Ebenso wenig kamen günstige Räume in zweifelhaften Gegenden infrage, wo sie sich nicht sicher fühlen würde, wenn sie morgens früh zur Arbeit ging oder sich spätabends auf den Weg nach Hause machte.

Renee hatte die Genügsamkeit ihrer Großmutter geerbt. Als Grandma ihr geheimes Haferplätzchenrezept an einen Lebensmittelkonzern verkauft hatte, hatte sie damit einen stattlichen Betrag verdient. Dennoch hatte sie ihr kleines Restaurant behalten und so weitergelebt wie bisher. Nur den Bungalow hatte sie sich gegönnt. Den Rest der Summe hatte sie als Startkapital für Renee auf die hohe Kante gelegt.

Als Renee die Stufen hinter sich knacken hörte, drehte sie sich um und sah Flynn in Shorts herunterkommen. Insgeheim bewunderte sie seine muskulösen Beine. Nun wurde auch sein Oberkörper sichtbar. Über den breiten Schultern spannte das T-Shirt.

Vergeblich versuchte Renee, ihre aufkommenden Gefühle für ihn zu unterdrücken.

Als er sie ansah, fühlte sie sich in ihrer eingetragenen Jeans und dem langärmligen Pulli seltsam befangen.

„Guten Morgen, Renee.“

„Guten Morgen. Läufst du noch immer regelmäßig?“

Er nickte. „Bei Sonne und bei Regen … Hast du Lust, mich zu begleiten?“

Sie lächelte, denn diese Frage kam ihr nur zu bekannt vor. Und er wusste, was sie erwidern würde. „Die Antwort kennst du.“

Da ihr Joggen ganz und gar nicht lag, hatten sie dieses Frage- und Antwortspiel oft gespielt. Renee vermochte kaum zu glauben, wie schnell es nach der langen Zeit wieder an die Oberfläche gekommen war.

Er klopfte auf seine Hosentasche. „Ich habe mein Handy dabei, falls du mich erreichen willst. Die Nummer liegt oben auf dem Tisch.“ Mit einem Blick auf den Plan fragte er: „Und, hast du dich schon entschieden?“

Renee atmete tief ein. Wenn es sich nicht vermeiden ließ … „Du hast völlig recht. Das Souterrain ist einfach die beste Lösung.“

Flynn nickte. „Gleich morgen früh rufe ich den Bauunternehmer an. Zum Glück kenne ich einen, dem man vertrauen kann. Und am Nachmittag suchen wir Fliesen, Schränke und die Arbeitsplatte aus.“

„Musst du am Montag nicht arbeiten?“

„Ich nehme den Nachmittag frei. Hol mich doch nach dem Essen im Büro ab.“

Dieses Angebot überraschte sie. Früher hatte er bei Madd Comm niemals freigenommen, und meist hatte es ihm missfallen, wenn sie ihn in der Firma besucht hatte.

Auch Flynns Mutter war das Verhalten ihres Sohnes aufgefallen, und sie hatte sich Renee gegenüber mit bissigen Kommentaren nicht zurückgehalten. Oft genug hatte sie laut darüber nachgedacht, ob Flynn andere Frauen hatte, „die besser zu ihm passten“.

„Während ich weg bin, kannst du ja schon mal schauen, ob ich den Plan in irgendwelchen Punkten ändern soll.“

„Deine Entwürfe waren schon immer toll.“ Und mehr als das – bereits als angehender Architekt hatte er aufgrund seiner Begabung Angebote großer Firma bekommen.

Flynn runzelte die Stirn. „Ich werde zu Adams gehen, damit ein offizieller Architekt meinen Plan abzeichnet.“

„Mach das.“ Vielleicht würde er sich bei dieser Gelegenheit erinnern, wie viel ihm die Arbeit dort bedeutet hatte.

Als er die Tür nach außen öffnete, drang kühle Luft herein. „Also, bis gleich“, verabschiedete sich Flynn und schloss die Tür hinter sich.

Die plötzliche Stille erinnerte Renee an die langen einsamen Tage und Nächte, die sie in diesem Haus verbracht hatte. Und wie immer, wenn sie darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss: Ihre Ehe würde noch bestehen, wenn Flynn nicht seine Tätigkeit als Architekt an den Nagel gehängt hätte.

Doch leider hatte er nach dem Tod des Vaters die Stelle als zweiter Geschäftsführer bei MC übernommen. Da er Betriebswirtschaft als Nebenfach studiert hatte und die Abläufe in der Firma gewissermaßen von klein auf kannte, war er der Einzige gewesen, der für diese Position infrage kam.

Energisch schüttelte Renee den Kopf. Noch einmal würde sie sich nicht einsam fühlen. Das würde sie nicht zulassen. Schließlich führte sie ein Geschäft und hatte eigene Interessen. Somit hing ihr Glück nicht länger von Flynn ab.

Sie trank den letzten Schluck Kaffee, rollte den Plan zusammen und ging nach oben.

Früher hätte sie jetzt Frühstück gemacht, damit es fertig war, bis Flynn zurückkam. Es hatte ihr Spaß gemacht, ihn zu bekochen und zu verwöhnen. Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, den Kühlschrank zu öffnen … Nein, die alten Zeiten waren endgültig vorbei!

Stattdessen goss sie sich von Neuem Kaffee ein und setzte sich mit Papier und Bleistift an den Tisch. Natürlich bedeutete es viel Arbeit, eine Zweigstelle zu eröffnen, aber inzwischen kannte sie sich ja mit allem aus. Sie erstellte eine Liste für Anschaffungen, eine für Aufgaben, die erledigt werden mussten, und eine allgemeine Übersicht. Auf dieser Basis sollte der Bauunternehmer sein Angebot abgeben, damit Renee wusste, wie viel Geld sie brauchte.

Das Klingeln der Türglocke riss sie aus ihrer Konzentration. Hatte Flynn seinen Schlüssel vergessen? Bewahrte er nicht mehr einen Ersatzschlüssel für Notfälle hinter der schmiedeeisernen Hausnummer auf? Sie sah auf die Uhr.

Flynn war erst seit vierzig Minuten unterwegs. Normalerweise kam er nie vor einer Stunde zurück.

Sie stand auf und ging barfuß zur Haustür. Obwohl die Glaseinsätze das Bild verzerrten, sah sie, dass es nicht Flynn sein konnte. Die Person war kleiner …

Als sie öffnete, stand ihre Schwiegermutter vor ihr. Renee spürte heftige Abneigung in sich aufsteigen. Über Carol Maddox wusste sie kaum etwas Positives zu sagen. „Hallo Carol.“

Das Gesicht der blonden und schlanken, fast mageren Frau wirkte eigenartig starr. Offenbar hatte sie sich mit dem Nervengift Botox die Falten glätten lassen. Die Missbilligung war ihr dennoch deutlich ins Gesicht geschrieben. „Also stimmt es tatsächlich, dass du wieder da bist.“

„Ja“, bestätigte Renee und konnte sich dabei ein Gefühl der inneren Befriedigung nicht verkneifen. Flynns Mutter hatte sie so oft mit voller Absicht gedemütigt.

Verächtlich sah Carol Renee an: ihr noch unfrisiertes Haar, das ungeschminkte Gesicht, die Jeans und das einfache Poloshirt, die nackten Füße mit den unlackierten Nägeln … „Ich würde auch gerne eine Tasse Kaffee trinken, aber nur, wenn er nicht wie Spülwasser schmeckt.“

Renee wurde wütend, beschloss aber, sich nicht auf Carols Niveau herabzubegeben. „Komm doch herein, aber ich muss dich enttäuschen: Kopi Luwak haben wir nicht“, sagte sie und spielte damit auf den teuersten Kaffee der Welt an.

Statt sie wie früher ins Wohnzimmer zu führen, ging Renee mit ihrer Schwiegermutter in die Küche, wo sie wortlos einen großen Becher Kaffee eingoss. Dann stellte sie noch Zucker und Milch im Tetrapack dazu – fertig. Feines Porzellan war gestern.

Aus leidvoller Erfahrung wusste Renee, dass sie Carol ohnehin nichts recht machen konnte, egal wie sehr sie sich anstrengte.

Nachdem sie umständlich ihren Kaffee zubereitet und probiert hatte, stellte Carol die Tasse ab. „Wieso bist du eigentlich in Flynns Leben zurückgekommen? Wo sich endlich eine Frau um ihn kümmert, die zu ihm passt?“

Obwohl ihr Eifersucht eigentlich nicht mehr zustand, erschrak Renee.

„Du verschwendest nur deine und seine Zeit“, fuhr Carol fort. „Sie passt nämlich zu uns, im Gegensatz zu dir.“

„Damit willst du vermutlich sagen, dass sie reich und skrupellos ist, oder?“, sagte Renee, noch ehe sie die Worte unterdrücken konnte. Gewiss eine Respektlosigkeit – und doch war sie froh, sich endlich gegen diese tyrannische Frau zu behaupten.

Höfliche Umgangsformen hatten in Bezug auf Flynns Mutter nie etwas gebracht. Im Gegenteil: Je mehr sich Renee bemüht hatte, ihr zu gefallen, desto schlechter war sie von ihr behandelt worden.

Nach einem kurzen Überraschungsmoment kniff Carol die Augen zusammen. „Aha, wie ich sehe, hast du inzwischen Rückgrat entwickelt. Sehr beachtlich! Aber es wird dir nichts nützen. Zu spät – du wirst Flynn genauso verlieren wie damals. Er liebt Denise und will sie heiraten.“

Renee kochte förmlich vor Wut. Was für eine boshafte und intrigante Frau! „Das dürfte schwierig werden, da er bereits verheiratet ist. Mit mir! Weil er nämlich nie die Scheidung eingereicht hat.“

Carol erstarrte. „Sicher nur ein Versehen! Ich weiß wirklich nicht, warum du zurückgekommen bist. Vielleicht hast du ihn kurzzeitig verwirrt, aber früher oder später wird er trotz deines unschuldigen Getues erkennen, dass du nur auf deinen Vorteil aus bist.“

Vor Wut grub Renee die Fingernägel in die Handfläche.

Am liebsten hätte sie dieser hochmütigen Person geradewegs ins Gesicht gesagt, dass sie von Flynn nichts weiter wollte als ein Kind … Doch sie verbiss sich eine Bemerkung in dieser Richtung. Schließlich war vereinbart, dass die Versöhnung echt wirken sollte.

Während ihrer Ehe hatte sie Flynn vor lauter Angst, ihn zu verlieren, nie etwas von den Attacken und Gemeinheiten seiner Mutter erzählt.

Nun war diese Furcht weggefallen, immerhin hatten sie die letzten sieben Jahre getrennt gelebt. Im Gegenteil, wenn es zum endgültigen Zerwürfnis kam, dann besser gleich – noch ehe sie Zeit und Geld in den Ausbau des Souterrains gesteckt hatte. Und noch ehe sie schwanger war.

„Nur zu deiner Information, Carol, Flynn war es, der wollte, dass ich wieder zu ihm zurückkomme. Diesen Entwurf hat er gezeichnet, damit ich mir hier im Haus eine Zweigstelle meines Geschäfts aufbauen kann.“

Sie wies auf den Plan. „Und außerdem möchte er, dass wir ein Baby bekommen. Wir überlegen, es gleich zu probieren, da wir ja schon sieben Jahre verloren haben.“

„Du lügst!“

„Nein. Wir machen dich zur Großmutter. Grandma Carol – wie findest du das?“

Einen Moment wirkte Flynns Mutter entsetzt, doch dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. „Wenn dir irgendetwas an Flynn liegt, solltest du dahin zurückkehren, wo du hergekommen bist, damit er mit Denise glücklich wird. Er liebt sie“, wiederholte sie, „und die Planungen für die Hochzeit laufen schon.“

Ich darf nicht zulassen, dass sie mich verletzt.

Ohne den Blick abzuwenden, erwiderte Renee: „Und wenn dir etwas an Flynn liegt, behältst du in Zukunft deine bissigen Bemerkungen für dich. Ich warne dich, Carol, fang ja nicht wieder an, deine gemeinen Spielchen mit mir zu spielen! Wenn du noch einmal versuchst, unsere Ehe zu untergraben, sage ich deinem Sohn, wie schlecht du mich von Anfang an behandelt hast!“

„Sag es mir lieber gleich“, erklang Flynns Stimme von der Tür her. Erschrocken fuhr Renee herum.

„Flynn, ich habe dich gar nicht kommen hören.“

„Ich bin durchs Souterrain gekommen, weil ich dachte, du wärst noch unten.“

Während er näher kam, sah er ununterbrochen Renee an. Seine Mutter würdigte er keines Blickes. „Was meinst du mit gemeinen Spielchen? Mit Untergraben unserer Ehe? Inwiefern hat Mutter dich schlecht behandelt?“

„Anscheinend bist du schon länger da …“

„Lange genug, um mitbekommen zu haben, dass du während unserer Ehe etwas Wichtiges für dich behalten hast. Komm schon Renee, sag mir, was los war. Alles.“

Tratschen lag Renee nicht, und Carol wusste es. Dem arroganten Blick der Schwiegermutter war zu entnehmen, dass sie glaubte, Renee würde nicht den Mut aufbringen, alles zu erzählen.

Renee atmete tief ein. Wenn sie sich jetzt kein Herz fasste, wenn sie jetzt kniff, würde Carol weiterhin auf ihr herumtrampeln.

Sprechen oder für immer schweigen – plötzlich fiel Renee diese Stelle aus ihrer Traurede ein.

Trotzdem: Auch wenn Flynn nie gut mit Carol zurechtgekommen war, so war sie doch seine Mutter.

So diplomatisch wie möglich sagte Renee: „Deine Mutter hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie weder mit mir noch mit unserer Ehe einverstanden war. Wenn du dich erinnerst, hat sie versucht, dir auszureden, mich zu heiraten. Das war ja einer der Gründe, warum wir nach Las Vegas sind.“

„Hat sie dich schlecht behandelt, als wir verheiratet waren?“

Renee zögerte „Nun … ja. Und mehr als einmal hat sie angedeutet, du würdest gar keine Überstunden machen, sondern wärst mit einer anderen Frau zusammen. Und gerade eben hat sie mir eröffnet, dass du in eine gewisse Denise verliebt wärst. Ich solle das Feld räumen, damit du sie wie geplant heiraten kannst.“

„Was?“ Flynns offensichtliche Verblüffung sagte mehr als alle Worte. Carol hatte gelogen!

„Also hast du dieser Denise keinen Heiratsantrag gemacht?“, fragte Renee vorsichtshalber noch mal nach.

„Nein, natürlich nicht. Wie auch? Ich bin doch mit dir verheiratet!“ Er trat näher zu ihr und berührte sie sanft am Kinn. Dann legte er den Arm um sie, zog sie an sich und küsste sie so zärtlich, dass ihr beinah die Knie nachgaben. Nach dem Kuss legte er die Stirn an ihre. Renee nahm seinen Duft wahr, den sie als so angenehm empfand … Ihr schlug das Herz bis zum Hals.

Worauf lief das hinaus?

„Renee, du bist die Liebe meines Lebens. Ich will nur dich“, sagte er voller Hingabe, aber in seinen Augen lag ein Ausdruck von … Bestimmtheit. „Bitte spiel mit!“, flüsterte er ihr leise ins Ohr.

Renee erbebte von der Berührung seiner Lippen. Verwirrt fragte sie sich, ob seine Versicherungen echt waren. Aber wie hatte er es dann so lange ohne sie ausgehalten? Als er sie ein zweites Mal küsste, erwiderte sie den Kuss. Doch dieser Kuss war kein Spiel, sie konnte gar nicht anders …

Autor

Janice Maynard
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