Bianca Extra Band 28

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

PLÖTZLICH VATER, PLÖTZLICH VERLIEBT? von JUMP, SHIRLEY
Plötzlich Daddy! Nach dem ersten Schock genießt Luke Barlow das Leben mit seiner süßen Tochter Maddy. Zu seinem Glück fehlt nur noch, dass er auch das Herz ihrer schönen Tante gewinnt. Peyton hingegen sträubt sich. Was muss er tun, damit sie ihn nicht als sorglosen Casanova sieht?

ZEHN JAHRE UND EINE NACHT von SIMS, JOANNA
Eine einzige heimliche Liebesnacht vor zehn Jahren: Danach war es vorbei zwischen Dylan und Mackenzie. Doch als sie den sexy Geschäftsmann jetzt zufällig trifft, fühlt sie sich ungewollt sofort wieder zu ihm hingezogen. Aber Vorsicht: Er darf nicht ihr Geheimnis entdecken!

VERTRAU DEM GLÜCK, JOSEPHINE! von SIMS, JOANNA
Neues Glück für Josephine? Logan Wolfs ungewohnt charmante Art lässt die hübsche Studentin bald ihren Trennungsschmerz vergessen. Kaum findet sie in seinen Armen den Glauben an die Liebe wieder, kehrt jedoch plötzlich ihr reuiger Ex zurück und verlangt eine unmögliche Entscheidung …

DENN DU BIST DER EINZIGE FÜR MICH von BENNETT, JULES
Die Therapeutin Megan hat immer eine Lösung parat. Nur lässt sich die geheime Liebe zu ihrem besten Freund Cameron nicht einfach wegkurieren. Er ist einfach perfekt: freundlich, klug und wahnsinnig sexy! Aber wenn Megan ihm ihre Gefühle gesteht, riskiert sie, ihn zu verlieren …


  • Erscheinungstag 16.02.2016
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732431
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shirley Jump, Joanna Sims, Joanna Sims, Jules Bennett

BIANCA EXTRA BAND 28

SHIRLEY JUMP

Plötzlich Vater, plötzlich verliebt?

Peyton ist hin- und hergerissen: Sie sollte Luke Barlow hassen – statt ihn heimlich zu begehren. Schließlich ließ der verantwortungslose Casanova einst ihre schwangere Schwester sitzen. Oder nicht?

JOANNA SIMS

Zehn Jahre und eine Nacht

„Mackenzie?“ Dylan traut seinen Augen nicht, als er die Schwester seines Freundes nach Jahren wiedersieht. Sie ist begehrenswerter denn je. Aber warum verhält sie sich so abweisend ihm gegenüber?

JOANNA SIMS

Vertrau dem Glück, Josephine!

Ein Blick in Josephines leuchtend türkisfarbene Augen genügt, um Logan Wolf mit Verlangen zu erfüllen. Doch was empfindet sie für ihn? Braucht sie ihn nur als Tröster, weil sie gerade verlassen wurde?

JULES BENNETT

Denn du bist der Einzige für mich

michCameron muss den romantischen Gefühlen für seine beste Freundin Megan unbedingt widerstehen. Denn die Liebe zu ihr lässt sich mit seinem Job als Polizeichef von Stonerock einfach nicht vereinbaren …

1. KAPITEL

Immer wenn Peyton Reynolds als kleines Mädchen aufgeregt durch das Haus ihrer Großmutter Lucy geschossen war, hatte Lucy sie festgehalten und gesagt: „Großer Gott, Kind, nicht so schnell. Du wirst das Leben verpassen, wenn du dir nicht angewöhnst, zwischendurch auch mal Luft zu holen.“

Peyton hatte das nie gelernt. Sie erledigte immer alles zehn Mal so schnell wie andere. Deshalb hatte sie das College auch in zweieinhalb Jahren statt vier absolviert, mehr Überstunden bei Winston Interior Design gemacht als ihre Kollegen und war in ihren drei Jahren dort vier Mal befördert worden. Doch dann, einen Monat vor ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, hatte der tödliche Autounfall ihrer älteren Schwester Susannah ihre Welt in den Grundfesten erschüttert. Seitdem war Peyton allein für Susannahs niedliche kleine Tochter verantwortlich, und das rund um die Uhr.

Sie musste sich also nicht nur an ihre Rolle als Ersatzmutter für Madelyne gewöhnen, sondern auch aufpassen, dass sie in der sich rasant verändernden Innenarchitekturbranche nicht den Anschluss verlor. Vor Susannahs Tod hatte sie kurz vor der Beförderung zur Abteilungsleiterin gestanden, nur einen Schritt von ihrem Ziel entfernt, Teilhaberin zu werden, doch seit vier Wochen schien um sie herum alles zu bröckeln, wofür sie so hart gearbeitet hatte. Und das war noch nicht mal ihr größtes Problem …

Das Schlimmste war Maddys Schweigen. Ihre nicht ausgesprochenen Worte, ihre nicht vergossenen Tränen.

Maddy trauerte nicht, fragte nicht nach ihrer Mutter und wollte auch nicht über deren Tod reden. Sie spielte brav mit ihren Sachen, aß ihre Mahlzeiten und putzte sich die Zähne, wirkte jedoch stumm, niedergeschlagen und lachte kaum noch.

Ihr trauriges Schweigen hatte Peyton schließlich dazu bewogen, von Baltimore in Maryland nach Stone Gap in North Carolina zurückzukehren – eine jener Kleinstädte in den Südstaaten, in denen die Welt stehen geblieben zu sein schien und deren grünes Umland Frieden und Trost bot.

Und in der der einzige Mann auf der Welt lebte, den Peyton am liebsten nie wiedersehen wollte. Ein Mann, der noch keine Ahnung hatte, dass sie sein Leben bald gründlich auf den Kopf stellen würde.

„Tante P?“, erhob sich das zarte Stimmchen der fast vierjährigen, bildhübschen Madelyne zwischen den beiden Doppelbetten im Hotelzimmer.

Maddy war alles, was Peyton noch von ihrer Familie geblieben war. Seit dem Tod ihrer Schwester fiel es Peyton manchmal schwer, sich nicht von ihrer Trauer überwältigen zu lassen, doch ein Blick auf Maddys blonde Locken und ihr süßes Lächeln genügte, und schon ging es ihr wieder besser. Für die Kleine würde sie alles tun.

Peyton ging um ihr Bett herum, hockte sich auf den Teppich und lächelte ihrer Nichte zu. „Was ist, Süße?“

„Spielst du mit mir? Ich habe ein Puppenhaus gebaut.“ Maddy zeigte auf einen leeren, auf der Seite liegenden Koffer, der von vier blonden blauäugigen Barbiepuppen in verschiedenen nicht zusammenpassenden glamourösen Outfits flankiert wurde. Die Kleine hatte sofort nach ihrer Ankunft überall im Hotelzimmer ihre Spielsachen und Kleidungsstücke verstreut. In dem langweiligen beigen Interieur sah es so aus, als sei eine Farbbombe explodiert.

„Das würde ich wirklich gern, aber erinnerst du dich noch an das Meeting, von dem ich dir vorhin erzählt habe? Meine Freundin Cassie kommt gleich vorbei und passt auf dich auf.“

„Ich mag Cassie“, sagte Maddy. „Sie spielt immer mit mir.“

„Und ob sie das tut, Schätzchen!“, dröhnte die laute, fröhliche Stimme Cassie Bertrams durch das Zimmer. Cassie, die gerade zur Tür hereinkam, war platinblond, trug ein leuchtend rosa Sommerkleid und Flip Flops mit riesigen Plastikblumen. Sie war schon immer eine schillernde Erscheinung gewesen.

Grandma Lucy hatte sie immer als Pfau bezeichnet, doch Cassie brachte Schwung in jede Bude und führte ein Leben, um das Peyton sie manchmal beneidete. Sie hatte sofort nach der High School geheiratet, mit ihrem Mann ein Haus in Stone Gap gekauft und neben ihrem Teilzeitjob im Schulbüro fünf Kinder bekommen. Sie war Peyton in den zwei Wochen ihres Aufenthalts eine Riesenhilfe.

„Ich habe zwei Stunden Zeit, bevor ich meinen Jüngsten im Kindergarten abholen muss“, sagte Cassie zu Peyton. „Reicht dir das?“

„Das ist mehr als genug. Ich werde nicht lange dafür brauchen, einem gewissen Typen zu verklickern …“, Peyton warf einen Blick auf ihre mutterlose Nichte, ging zum Fenster und winkte Cassie, ihr zu folgen, „… dass er endlich erwachsen werden und seinen Beitrag leisten muss.“

Cassie grinste. „Ich wünsche, ich könnte euch heimlich bei eurem Gespräch belauschen.“

„Keine Sorge, ich werde ganz logisch und vernünftig argumentieren, dann wird er schon klein beigeben.“

„Logisch und vernünftig? Bei dieser geballten Ladung Testosteron?“ Cassie lachte. „Na dann viel Glück, Schätzchen.“

Die Beschreibung „geballte Ladung Testosteron“ passte perfekt auf Luke Barlow. Oder hatte zumindest gepasst, als er in Peytons erstem Highschooljahr mit ihrer Schwester zusammen gewesen war. Von Susannahs Schwangerschaft hatte er jedoch nichts wissen wollen, und Peyton hatte nicht die Absicht, Susannahs Exfreund und Maddys verantwortungslosen und abwesenden Vater damit auch nur eine Sekunde länger davonkommen zu lassen. Maddys Wohlergehen stand für sie an erster Stelle.

„Wie geht es ihr?“, fragte Cassie leise, so als habe sie Peytons Gedanken erraten.

„Unverändert. Sie redet nicht darüber. Sie spielt und isst und macht alles, was man ihr sagt, aber irgendwie ist da eine Mauer um sie herum. Ich komme einfach nicht an sie ran.“

Cassie legte Peyton tröstend eine Hand auf eine Schulter. „Das gibt sich schon noch.“

Peyton seufzte. Sie versuchte schon seit einem Monat, sich mit diesen Worten zu trösten, aber die Situation wurde eher schlimmer als besser. „Mag sein. Hoffentlich habe ich mit meiner Rückkehr hierher die richtige Entscheidung getroffen.“

„Tante P?“ Maddy stand auf und sah Peyton über das Bett hinweg verunsichert an. „Gehst du jetzt weg?“

„Nur für eine Weile, Süße.“

Maddy griff errötend nach dem Saum ihres Rocks und knetete daran herum. „Kommst du wieder zurück?“

Peyton ging zu ihrer Nichte und hockte sich vor sie hin. „Natürlich komme ich zurück, Schätzchen. Cassie wird die ganze Zeit über hierbleiben und mit dir spielen. Es dauert nur ein Weilchen, versprochen.“

Maddys Unterlippe zitterte. „Wie lange ist ein Weilchen?“

Peyton warf Cassie einen verzweifelten Blick zu. Situationen wie diese, in denen sie mit Maddys Verlustangst umgehen musste, waren besonders schwierig. „Schneller als Die Eiskönigin dauert.“

„Wir singen auch zusammen den Soundtrack“, versprach Cassie der Kleinen lächelnd. „Und ich ernenne dich zur Ehrenprinzessin.“

„Okay.“ Maddy klang wenig begeistert. Sie setzte sich wieder zu ihren Barbiepuppen und spielte weiter. Ab und zu streifte sie Peyton mit einem besorgten Blick.

Die beiden Frauen gingen zurück zum Fenster und dämpften wieder die Stimmen. „Du machst genau das Richtige, Pey. Die arme Kleine braucht eine Familie, und du hast dringend Unterstützung nötig. Und wenn dieser Mistkerl nichts von der süßen Kleinen wissen will, kümmere ich mich eben um sie.“

„Lieb von dir, aber du hast auch so schon genug um die Ohren. Außerdem ist er derjenige, der Verantwortung für Maddy übernehmen sollte.“ Und je eher Peyton ihm das klarmachte, desto besser. Sie griff nach ihrer Handtasche und küsste Maddy auf eine Wange. „Bis bald, Süße. Sei schön lieb zu Cassie.“

Maddy hatte Tränen in den Augen, doch sie presste tapfer die Lippen zusammen.

„Ich bleibe auch nicht lange weg“, versuchte Peyton sie zu beruhigen und zauste Maddy sanft die Locken. „Versprochen.“

Vor der Tür drückte Cassie sie rasch an sich. „Viel Glück. Und sei nicht zu hart zu Luke. Er ist zwar ein Casanova, aber im Grunde genommen ein netter Kerl. Vielleicht hatte er ja einen guten Grund für sein Verhalten.“

„Die einzige Ausrede, die ich gelten lassen würde, wäre, wenn ihn die letzten vier Jahre jemand weggesperrt hätte. Was ich übrigens gern nachhole, wenn es sein muss.“ Peyton lächelte.

„Ich hoffe, das ist nicht dein voller Ernst“, rief Cassie hinter ihr her.

Lächelnd stieg Peyton in ihren Wagen. Doch als sie den Motor startete, stieg die gleiche Frustration in ihr auf, die sie schon seit Wochen empfand. Luke Barlow, der begehrteste Junggeselle der Stadt, wollte keinen Kontakt zu seiner Tochter, die ihre Mutter verloren hatte und ihren Vater daher unbedingt brauchte.

Peyton erinnerte sich noch gut an Susannahs Tränen, als sie Peyton davon erzählt hatte, wie ablehnend Luke auf ihre Schwangerschaft reagiert hatte. Nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass er nichts mit dem Baby zu tun haben wollte, hatte die damals Neunzehnjährige beschlossen, die Stadt und ihr chaotisches Elternhaus zu verlassen und ihr Kind allein großzuziehen. Peyton hatte daraufhin extra die Universität gewechselt, um in der Nähe ihrer Schwester leben zu können, und hatte noch dazu einen Teilzeitjob angenommen, um Susannah finanziell zu unterstützen – abgesehen von dem emotionalen Beistand.

Alles Dinge, für die Luke eigentlich zuständig gewesen wäre!

Peyton war es unbegreiflich, wie jemand nichts mit Maddy zu tun haben wollen konnte. Sie selbst hatte sich auf den ersten Blick in ihre Nichte verliebt und von da an jede freie Minute mit ihr und Susannah verbracht. Sie hatte die beiden sogar in ihrer Wohnung in Baltimore einquartiert, obwohl es oft Streit gegeben hatte, weil Susannah fast jeden Abend ausgegangen war. Maddy jedoch hatte Peyton für alles entschädigt. Peyton liebte die Kleine über alles.

Wie lange ist ein Weilchen?

Maddys herzzerreißende Frage zeigte Peyton, dass Maddy ihren Vater dringender brauchte denn je. Die Tage, in denen Luke Barlow frei in der Stadt umherstreifen und Frauen aufreißen konnte, waren endgültig gezählt.

Peyton kontrollierte ein letztes Mal Lukes Adresse und fuhr zu seinem Haus, das nur ein paar Blocks von seinem Elternhaus entfernt lag. Als sie an seiner Tür klingelte, schärfte sie sich ein, gelassen zu bleiben und logisch zu argumentieren. So emotionslos wie möglich.

Ha! Eher würde sie jetzt im Hochsommer von einem Schneesturm heimgesucht werden!

Im Haus bellte ein Hund und dann … Schweigen. Peyton wartete in der Hitze North Carolinas, während die Zikaden in dem dichten Wald östlich des Hauses zirpten.

Sie war überrascht, dass Luke überhaupt ein eigenes Haus bewohnte. Das ließ auf eine gewisse Beständigkeit schließen, einen Kredit oder zumindest regelmäßige Mietzahlungen. Verlässlichkeit. So etwas hätte sie Luke nie zugetraut.

Eine alte Holzschaukel, die sie an die von Grandma Lucy früher erinnerte, bewegte sich unter einer Eiche in der Brise, und ein weiß gestrichener Briefkasten stand neben der Einfahrt. Das Haus machte Peyton fast nostalgisch – es erinnerte sie an längst vergangene Zeiten, als ihr Leben noch unkompliziert gewesen war. Na ja, relativ.

Sie klingelte erneut. Der Hund bellte weiter, doch im Haus rührte sich nichts. Ein restaurierter Mustang mit offenem Verdeck stand in der Einfahrt. Peyton fühlte sich wie in die Achtziger zurückversetzt. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und drückte ein drittes Mal auf den Klingelknopf. Wenn es auf der Welt noch gerecht zuging, war Luke inzwischen kahl und fett.

Der Hund verstummte plötzlich. Schritte waren zu hören, und kurz darauf ging die Tür auf.

Luke Barlow stand im Türrahmen und sah Peyton schlaftrunken an. Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht. Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem. Er war weder kahl noch fett, ganz im Gegenteil. Er sah sogar noch besser aus als auf der Highschool, der Idiot!

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte er.

Offensichtlich erkannte er sie nicht wieder. Peyton unterdrückte ein Gefühl der Enttäuschung. Auf der anderen Seite hatte sie sich in den letzten fünf Jahren sehr verändert. Sie trug jetzt Kontaktlinsen und Kleider anstatt Brille und Khakihosen. Außerdem hatte sie sich das Haar lang wachsen lassen, trainierte täglich im Fitnessstudio und hatte eine viel weiblichere Figur als beim Abschlussball. Für Luke war sie immer nur Susannahs nervige kleine Schwester gewesen, doch inzwischen war sie erwachsen geworden.

Eine Frau.

„Anscheinend erinnerst du dich nicht an mich“, sagte sie. „Ich bin Peyton, Susannah Reynolds’ Schwester.“

Überrascht ließ er den Blick über ihr Kleid, ihre High Heels und ihr langes Haar gleiten. „Peyton? Peyton Reynolds? Mann, dich habe ich ja schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Was machst du hier?“

Lukes tiefe Stimme und sein Südstaatendialekt waren noch immer verdammt sexy. Früher einmal hatte Peyton sehr für ihn geschwärmt, aber das war schon lange her, und seitdem war eine Menge passiert. Leider schien seine Stimme immer noch die gleiche erotisierende Wirkung auf sie zu haben wie früher …

Würdevoll straffte sie die Schultern und bemühte sich um einen kühlen und gefassten Eindruck. Wenn sie sich oft genug einschärfte, kühl und ruhig zu sein, würde sie sich vielleicht sogar irgendwann so fühlen. „Ich bin vorbeigekommen, um dich zu … sehen.“

Eigentlich hatte sie sagen wollen, „um dich zu sprechen“, doch Lukes Anblick hatte sie so durcheinandergebracht, dass sie sich verhaspelt hatte. Er trug nämlich eine tief auf den Hüften sitzende Shorts, weiter nichts. Das dunkle Haar auf seiner gebräunten muskulösen Brust verjüngte sich auf seinem Bauch zu einer schmalen Linie, an der Peyton den Blick abwärtsgleiten ließ, bis sie ihn hastig losriss und ihn wieder auf Lukes Gesicht richtete. Verdammt, was war bloß los mit ihr? Sie war schließlich kein schüchternes kleines Schulmädchen mehr, das für den Kapitän des Footballteams schwärmte.

Er grinste frech. Mist! „Du wolltest mich sehen?“

„Ich wollte mit dir reden.“

Der Hund nutzte die Gelegenheit, durch die offene Tür auf die Veranda zu trotten. „Charlie, sitz!“, sagte Luke streng.

Der Terrier sah zu seinem Herrchen auf, als wolle er fragen, ob das wirklich sein musste, doch als Luke unbarmherzig blieb, ließ er sich seufzend auf den Hintern plumpsen. Hoffnungsvoll klopfte er mit dem Schwanz auf die Holzdielen der Veranda.

Erst jetzt erkannte Peyton ihn wieder. „Ist das etwa der Hund von damals?“, fragte sie.

Ein Lächeln breitete sich über Lukes Gesicht. „Du erinnerst dich noch an ihn?“

Oh, sie erinnerte sich an eine Menge, was Luke anging! Bei manchen Erinnerungen setzte ihr Herz einen Schlag aus, bei anderen schrillten sämtliche Alarmglocken. „Ich dachte, du wolltest ihn ins Tierheim bringen.“

Luke zuckte die Achseln. „Was soll ich sagen? Ich bin eben ein Softie.“

Peyton spürte, dass ihre innere Anspannung ein bisschen nachließ, aber nur etwas. Dass der Mann den Hund behalten hatte, den sie vor Jahren gerettet hatten, bedeutete noch gar nichts. Das machte lange noch keinen guten Vater aus ihm.

Peyton wollte Luke dazu bringen, ihr entweder das alleinige Sorgerecht zu übertragen oder Unterhalt für Maddy zu zahlen. Das war das Mindeste, was er seiner Tochter schuldete. Jedenfalls würde sie ihn nicht länger einfach so davonkommen lassen, ganz egal, was sie früher mal für Gefühle für ihn gehabt hatte.

Luke zeigte auf ein paar weiße Korbmöbel, über denen sich träge ein Deckenventilator drehte. Peytons Blick wanderte wieder zu Lukes nackter Brust. Verdammt, sah er gut aus. Zu gut. Sein Anblick machte sie zunehmend nervös. Wäre es unhöflich, ihn zu bitten, sich etwas überzuziehen, damit sie wieder rational denken konnte?

„Also, was führt dich hierher?“, fragte er, nachdem er es sich auf der Korbbank bequem gemacht und lässig einen Arm auf die Rückenlehne gelegt hatte.

Peyton hatte sich vorgenommen, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern Luke erst ein bisschen auszuhorchen, bevor sie sich für eine Strategie entschied. So ging sie auch immer bei einem neuen Auftrag vor – erst entwickelte sie ein Gespür für die Räumlichkeiten, dann erst kam das Design.

Sie nahm in einem Korbsessel Platz. „Ich wollte ein paar alte Freunde besuchen, solange ich in der Stadt bin. Ich habe heute Morgen Cassie Bertram gesehen und habe gehört, dass du jetzt hier wohnst. Da ich gerade in der Gegend war, dachte ich, ich komme mal vorbei. Wie geht es dir?“

Falls er diese Begründung etwas merkwürdig fand, ließ er sich nichts anmerken. „Gut. Kann mich nicht beklagen.“

Eine verlegene Gesprächspause folgte. Wieder ertappte Peyton sich dabei, den Blick von Lukes nacktem Oberkörper losreißen zu müssen. Was zum Teufel hat er da drin? Magnete? Demonstrativ sah sie sich um. „Hübsches Haus.“

„Danke. Ich habe es nur gemietet, aber es gefällt mir. Es hat einen Swimmingpool. Fehlt nur noch ein Kühlschrank, und ich habe alles, was ich brauche.“ Er grinste.

„Um hier Partys zu feiern?“

Er lachte spöttisch. „Wenn ich noch achtzehn wäre, vielleicht. Nein, ich brauche nicht viel zum Leben, obwohl meine Mutter mich ständig auf Flohmärkte schleppt und mich zu so merkwürdigen Dingen wie Gewürzregalen überreden will. Jack hat mir einen Tisch und Stühle gebaut, das reicht.“

Okay, vielleicht war Luke ja doch nicht mehr der Partylöwe, der er früher gewesen war. Möglicherweise war er tatsächlich reifer geworden. „Jack baut Möbel?“

„Alles, wofür man einen Hammer und Nägel gebrauchen kann. Er arbeitet gern handwerklich. Ich habe ihn nach seiner Rückkehr aus Afghanistan vor ein paar Monaten dazu überredet, sich als Zimmermann selbstständig zu machen, da er nicht wusste, was er mit sich anfangen soll. Inzwischen kann er sich kaum noch retten vor Aufträgen.“

Peyton wunderte das nicht. Lukes jüngerer Bruder Jack war schon immer abenteuerlustig und zuverlässig gewesen – eine ideale Kombination fürs Militär –, während Mac, der Älteste, studiert hatte und Karriere machte. Luke hingegen hatte sich eher durch Sportlichkeit als durch Ehrgeiz ausgezeichnet. Die Mädchen, die hinter ihm her waren, interessierte es zwar nicht, ob er einen vernünftigen Job hatte oder nicht, doch Peyton war das nicht egal. Wenn er Maddy unterstützen wollte, brauchte er einen regelmäßigen Gehaltsscheck. „Und was machst du jetzt so?“

Luke lehnte sich zurück. „Nimm es mir nicht übel, aber irgendwie komme ich mir gerade vor wie bei einem Bewerbungsgespräch.“

„Ich frage bloß aus … Neugier.“ Peyton lächelte künstlich. „Wir haben uns schon lange nicht gesehen. Ich wollte mich nur auf dem Laufenden halten.“

„Klar doch“, sagte er ironisch. Peyton beschlich das Gefühl, dass er sie genauso einzuschätzen versuchte wie sie ihn. „Ich arbeite bei meinem Vater in der Kfz-Werkstatt. Jack und ich haben ihm während seiner Knieoperation ausgeholfen, und jetzt, wo Jack sich selbstständig gemacht hat und mein Vater darüber nachdenkt, sich zur Ruhe zu setzen, bin ich öfter dort.“ Luke fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Keine Ahnung, was aus Gator’s Garage wird.“

„Du könntest die Werkstatt doch übernehmen.“

„Das ist ganz schön viel Verantwortung. Außerdem würde ich mich damit längerfristig festlegen.“ Er grinste wieder. „Nicht gerade mein Ding.“

„Kann ich mir vorstellen“, antwortete Peyton mit gespielter Belustigung. Insgeheim war sie enttäuscht. Anscheinend hatte Luke doch keine Vaterqualitäten. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie gehofft hatte, dass er inzwischen erwachsen geworden war. Nicht dass sie Maddy nicht allein großziehen konnte, aber es würde der Kleinen guttun, einen Mann in ihrem Leben zu haben, erst recht, wenn er ihr biologischer Vater war.

„Und was ist mit dir?“, fragte Luke. „Du siehst übrigens toll aus.“

Peyton ärgerte sich darüber, dass sie errötete. Schließlich hatte so ein Kompliment bei einem notorischen Charmeur wie Luke nichts zu bedeuten. „Danke.“

„Du hast gesagt, dass du hier nur zu Besuch bist. Wo lebst du inzwischen?“

Luke hatte den Spieß geschickt umgedreht. Wollte er sie mit ihren eigenen Waffen schlagen, oder interessierte ihn das wirklich? „In Baltimore. Ich bin Innenarchitektin bei einer relativ großen Firma.“

Er nickte. „Macht Sinn. Du hast schon früher gern deine Umgebung verschönert.“ Er wartete, bis ein Auto am Haus vorbeigefahren war, bevor er seine nächste Frage stellte: „Wie geht es deiner Schwester?“

Peyton blinzelte verblüfft. „Hast du noch nichts davon gehört?“

„Wovon?“

Sie holte tief Luft. „Susannah kam …“ Sie stockte. Verdammt, warum fällt es mir so schwer, das auszusprechen? „Sie kam … vor einem Monat bei einem Autounfall ums Leben.“

Luke wurde blass. „Oh Gott, das ist ja schrecklich! Nein, ich habe nichts davon gehört. Sie war doch noch so jung.“ Er stieß einen Fluch aus, beugte sich vor und berührte sie an einer Hand. „Das tut mir schrecklich leid, Peyton. Geht es dir gut?“

Lukes Mitgefühl kam so unerwartet, dass Peyton völlig durcheinander war und ihre innere Abwehr bröckelte. Ihr schossen die Tränen in die Augen. Nie hätte sie damit gerechnet, dass Luke sie nach ihrem Befinden fragen würde.

Für einen Moment wäre sie fast der Versuchung erlegen, ihm alles anzuvertrauen. Mir wächst gerade alles über den Kopf. Mein Leben ist ein einziges Chaos. Alles, was ich bisher unter Kontrolle hatte, entgleitet mir gerade. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich am Ende mit meinem Latein. „Ja, es geht mir gut.“

„Es tut mir so leid“, wiederholte Luke wieder und drückte ihr die Hand. Ein beunruhigend tröstliches Gefühl.

Peyton wollte gerade etwas erwidern, als ihr auffiel, dass er das Wichtigste ausgelassen hatte. Wollte er denn gar nicht wissen, wie es seiner Tochter ging? Es schien ihn gar nicht zu interessieren, wie sie mit dem Verlust ihrer Mutter zurechtkam. Hatte er denn gar kein schlechtes Gewissen, sie und Susannah im Stich gelassen zu haben?

Peyton riss ihre Hand los, zog ihr Handy aus der Handtasche und zeigte Luke ein Foto von Maddy aus glücklicheren Tagen. „Willst du denn gar nicht wissen, wie es ihr geht?“

„Hübsches Mädchen“, sagte Luke. Charlie, der Hund, trottete zu ihm herüber und ließ sich zu seinen Füßen fallen. „Ist das deine Tochter?“

„Nein, ist sie nicht, das weißt du ganz genau. Ich kann nicht fassen, dass du sie noch nicht mal erkennst.“

„Ich kenne die Kleine wirklich nicht, tut mir leid.“ Luke zuckte die Achseln. „Wie alt ist sie, drei oder vier? Tolles Alter. Sie sind dann immer noch niedlich, tragen aber keine Windeln mehr. Zumindest glaube ich das. Ich habe nicht viel Erfahrungen mit Kindern.“

„Weil du alles versucht hast, deinem eigenen Kind aus dem Weg zu gehen.“ Peyton verzichtete darauf, du selbstsüchtiger egoistischer Idiot hinzuzufügen. Gut dass sie nicht auf seine Pseudo-Besorgnis und seinen Händedruck hereingefallen war.

„Meinem eigenen Kind?“ Luke sah Peyton verwirrt an. „Wovon um alles in der Welt redest du da?“

„Das hier ist Madelyne. Deine Tochter! Schon vergessen?“

2. KAPITEL

Deine Tochter!

Die Worte hingen bedeutungsschwer zwischen Peyton und Luke in der schwülen Luft. Luke öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. „Meine Tochter? Aber wie … was …?“ Kopfschüttelnd betrachtete er wieder Maddys Foto. „Soll das ein Witz sein? Ich habe keine Tochter.“

„Spiel nicht den Ahnungslosen, Luke! Meine Schwester hat dir damals von ihrer Schwangerschaft erzählt, aber du wolltest nichts davon wissen. Du hast sie mit Maddy völlig allein gelassen. Tja, aber jetzt hat Maddy ihre Mutter verloren, und es wird höchste Zeit, dass du als ihr Vater die Verantwortung für sie übernimmst und sich um sie kümmerst oder sie zumindest finanziell unterstützt. Sie hat auch so schon genug durchgemacht.“

Peyton atmete erleichtert auf. Sie hatte jetzt alles gesagt, was sie zu sagen hatte, und das sogar, ohne ausfallend zu werden. Sie war sehr stolz auf sich.

Luke schüttelte benommen den Kopf. „Ich habe noch nie von ihr gehört, Peyton. Keine Ahnung, was Susannah dir erzählt hat, aber ich weiß von nichts. Ich wusste noch nicht mal, dass sie schwanger war.“

Seine Worte verunsicherten Peyton. „Sie hat aber gesagt, dass sie mit dir gesprochen hat, Luke. Sie hat mir hundert Mal erzählt, wie du mit ihr Schluss gemacht hast, kaum dass sie dir von ihrer Schwangerschaft erzählt hat. Maddy ist eindeutig deine Tochter. Die Ähnlichkeit ist unübersehbar.“

Luke nahm Peyton das Handy aus der Hand und beugte sich über das Foto. Zögernd, fast widerstrebend gab er es ihr zurück. „Mag sein. Sie sieht mir tatsächlich ähnlich. Aber du musst mir glauben, dass ich keine Ahnung von ihrer Existenz hatte, Peyton. Das schwöre ich.“

Konnte das sein? War es möglich, dass Susannah gelogen hatte? Sie war nie eine konventionelle Mutter gewesen, aber hatte sie tatsächlich bei etwas so Wichtigem gelogen? Peyton konnte sich das einfach nicht vorstellen, auch wenn ihr allmählich Zweifel kamen. Susannah war flatterhaft und verantwortungslos gewesen, das schon. Sie hatte den Verkäufer im Supermarkt belogen, den Gasmann und ihre Vorgesetzten. Aber hätte sie wirklich ihre eigene Schwester angelogen – was Maddy anging?

„Tja, jetzt weißt du es jedenfalls“, erwiderte sie. „Und falls du den Beweis brauchst, können wir gern einen DNA-Test machen, dann haben wir in knapp zwei Wochen das Ergebnis.“

„Du hast anscheinend an alles gedacht.“

„Mir bleibt keine andere Wahl. Irgendjemand muss ja die Verantwortung übernehmen, und das bin zurzeit ich.“ Peyton stand auf. Sie wollte plötzlich nur noch weg – zurück zu Maddy, um sie in die Arme zu nehmen und fest an sich zu drücken. „Ich erwarte von dir zumindest, Unterhalt für Maddy zu zahlen.“

Luke streckte eine Hand aus und hielt Peyton an einer Hand fest. Sie erstarrte unter seiner Berührung. Unwillkürlich wanderte ihr Blick wieder zu seiner nackten Brust. Himmel, was war nur los mit ihr? Warum brachte Luke sie so aus dem Konzept?

„Wie, das ist alles? Du kommst einfach so hier vorbei, teilst mir mit, dass ich eine Tochter habe, gefälligst für sie zahlen soll und verschwindest wieder?“

Peyton wollte Luke nicht zeigen, wie sehr seine Worte sie verunsichert hatten. Hatte sie ihn womöglich jahrelang zu Unrecht beschuldigt? Sie empfand plötzlich das Bedürfnis, allein zu sein, um in Ruhe über alles nachdenken zu können und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. „Ich verschwinde nicht, sondern fahre nur zurück zu meinem Hotel. Ich bin für zwei Wochen in der Stadt, solltest du über alles reden wollen.“

Zwei Wochen, mehr blieben ihr nicht, um Maddys Situation zu klären, bevor sie wieder arbeiten musste.

„Ob ich über alles reden will? Und ob! Hast du die Kleine mit nach Stone Gap gebracht?“

„Die Kleine heißt Madelyne. Und ja, sie ist im Hotel, mit Cassie. Aber mach dir keine Gedanken, ich habe alles unter Kontrolle.“ Peyton nickte Richtung Haus – Lukes Junggesellenbude mit Kühlschrank und Pool. „Tut mir leid, dass ich dich bei … was auch immer gestört habe. Ich bin nur gekommen, um dir von Maddy zu erzählen. Sie braucht …“

Peyton fiel es schwer, den Satz zu vollenden, weil sie in diesem Augenblick selbst nicht wusste, was Maddy brauchte. Die Kinderpsychologin, zu der sie Maddy gebracht hatte, empfahl Geduld, Verständnis und Liebe – alles Dinge, die Peyton der Kleinen reichlich gab, aber bisher hatte nichts Maddy aus ihrem Schneckenhaus gelockt. „Sie braucht ihre Familie, und die besteht gerade nur aus mir“, fuhr sie mit zittriger Stimme fort. „Und du gehörst dazu, ob dir das passt oder nicht. Ich muss wissen, ob du an ihrem Leben teilhaben willst oder …“

„Oder was?“

Peyton riss sich zusammen und verdrängte ihre Tränen. Geschäftsmäßig zog sie einen Stapel Unterlagen aus ihrer Handtasche und reichte sie Luke, wie immer perfekt vorbereitet. „Oder du überträgst mir das alleinige Sorgerecht. Das Letzte, was Maddy jetzt nämlich gebrauchen kann, ist noch mehr Unsicherheit. Ich muss einige wichtige Entscheidungen für ihre Zukunft treffen und will wissen, ob ich dich mit einbeziehen kann oder nicht.“

„Immer schön langsam, Peyton, du mutest mir ganz schön viel auf einmal zu.“ Luke fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, was ihm einen gewissen Schlafzimmerlook verlieh. Peytons Herz machte einen Satz. „Ich … Ich muss erst mal die Tatsache verdauen, dass ich ein Kind habe.“

„Wie schon gesagt, du brauchst die Verantwortung für sie nicht zu übernehmen, wenn du nicht willst. Du brauchst nur zu unterschreiben.“ Peyton nahm einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche und reichte ihn Luke.

Er schüttelte den Kopf. „Ich unterschreibe gar nichts. Du tauchst einfach bei mir auf und überfällst mich mit der Neuigkeit, dass ich ein Kind habe, und dann machst du Stress, weil ich nicht sofort eine Entscheidung treffe? Susannah hat mir meine Tochter vier Jahre lang verheimlicht. Vielleicht solltest du dich erstmal in meine Lage versetzen, bevor du mir vorwirfst, ein schlechter Vater zu sein. Gib mir zumindest ein paar Minuten Zeit, um den Schock zu verdauen, bevor du voller Selbstgerechtigkeit hier hinausstolzierst.“

„Ich bin nicht …“ Peyton biss sich verlegen auf die Unterlippe. Luke hatte recht, sie hatte ihn überrumpelt. Und selbst wenn er sich vor vier Jahren wie ein Arsch verhalten hatte, verdient er eine Chance. Schon allein Maddy zuliebe. Sie seufzte tief. „Tut mir leid, du hast recht. Aber die Situation mit Maddy bringt mich gerade an meine Grenzen. Ich brauchte … Hilfe.“

Mann, fiel es ihr schwer, das zuzugeben. Sie hatte bisher immer alles allein hingekriegt … bis jetzt. Was Maddy anging, scheiterte sie grandios.

„Ich helfe dir. Sag einfach, wobei du mich brauchst.“

Mit dieser Reaktion hätte Peyton nicht gerechnet, obwohl … Eigentlich dürfte sie nicht überrascht sein. Der Luke von früher – der, in den sie sich verliebt hatte –, war schon immer hilfsbereit gewesen. Er war der Typ, der einem um zwei Uhr morgens Starthilfe gab oder einem im Hochsommer beim Tragen einer Couch half. Hoffentlich steckte dieser Luke noch da drin, unter dieser nackten Brust, die ihren Blick magisch anzog.

„Maddy kommt nicht sehr gut mit dem Verlust ihrer Mutter klar. Man könnte auch sagen, sie weigert sich, ihn zur Kenntnis zu nehmen.“

„Wie meinst du das?“

„Sie redet nicht darüber und trauert nicht. Sie tut einfach so, als sei nichts passiert, klammert sich aber so an mir fest, als habe sie Angst, dass ich mich sonst in Luft auflöse. Ich habe einen sehr anstrengenden Job in Baltimore. Jetzt auf einmal allein für Maddy verantwortlich zu sein und ihr durch diese Krise helfen zu müssen …“ Peyton verstummte.

Das Wort „Scheitern“ existierte in ihrem Wortschatz nicht. Sie war noch nie bei irgendetwas gescheitert und weigerte sich, jetzt damit anzufangen. „Ich dachte, etwas Urlaub würde uns ganz guttun. Ich habe die Hoffnung, dass sie hier wieder lernt zu lachen. Und ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn sie ihren Vater kennenlernt.“

„Ich hätte schon vor vier Jahren von Maddy erfahren sollen.“ Luke stand auf. „Ich nehme an, sie weiß nicht, wer ich bin? Oder dass ich überhaupt existiere?“

„Nein. Susannah hat nie mit ihr über dich gesprochen und ich auch nicht, weil … na ja, weil ich dachte, du willst nichts mit Maddy zu tun haben.“

„Du hast falsch gedacht. Als was willst du mich ihr denn vorstellen?“

Peyton betrachtete das Cabriolet in der Einfahrt. Ihre Nichte hatte schon genug durchgemacht. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein unzuverlässiger Vater. Wenn Luke noch nicht bereit war, Verantwortung für Maddy zu übernehmen, war es besser, wenn sie nie von ihm erfuhr. „Vielleicht sollte ich dich als guten Freund von mir vorstellen.“

Luke schnaubte geringschätzig. „Um dir ein Hintertürchen offenzulassen, falls sich herausstellt, dass ich einen schlechten Einfluss auf sie habe?“

„Nein, um dir sämtliche Optionen zu bieten. Solltest du in zwei Wochen zu dem Schluss kommen, dass du doch nichts mit Maddy anfangen kannst, wirst du mir das alleinige Sorgerecht übertragen, und ich ziehe sie allein groß. Maddy braucht Menschen, auf die sie sich verlassen kann, jetzt mehr denn je. Ein notorischer Playboy, der ein Auto fährt, das zu einem Sechzehnjährigen passt, und nur Gelegenheitsjobs hat, ist vielleicht nicht die richtige Bezugsperson.“

Luke kam auf sie zu und stand plötzlich so dicht vor ihr, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Wenn sie jetzt eine Hand ausstrecken würde, könnte sie seine harten Muskeln spüren und die Finger über das dunkle V gleiten lassen, das zu einem ganz bestimmten von seiner Badehose verborgenen Körperteil führte …

Anscheinend war sie immer noch nicht über ihre damalige Schwärmerei hinweg. Warum fand sie Luke bloß immer noch so anziehend?

„Wenn ich so schrecklich bin, warum willst du mich dann überhaupt mit Maddy bekanntmachen?“

„Ich habe nie gesagt, dass du schrecklich bist.“

Lukes Mundwinkel zuckten belustigt. „Du bist nicht die Einzige, die sich seit der Highschool verändert hat, Peyton.“

„Das will ich hoffen, Luke. Schon allein wegen Maddy.“ Peyton straffte die Schultern und gab sich wieder kühl und gefasst, auch wenn ihr das angesichts seines intensiven Blicks sehr schwerfiel. „Und? Wirst du für Maddy da sein, zumindest in den nächsten zwei Wochen?“

Luke sah an Peyton vorbei zur Schaukel unter der Eiche. Er schwieg so lange, dass sie ganz nervös wurde. „Es muss ja nicht oft sein“, fügte sie hinzu. „Eine Stunde hie und da, falls du nicht zu mehr bereit bist. Ich …“

„Du hast kein Vertrauen zu mir, was sie angeht, oder?“

„Nein. Sie kennt dich nicht, und ich habe dich seit fast fünf Jahren nicht gesehen.“

„Aber du kennst mich. Ich habe meine Schwächen, aber im Grunde bin ich ein anständiger Mensch, Peyton.“ Als er den Blick wieder auf sie richtete, machte Peytons Herz einen Satz. „Vertrau mir.“

Das fiel ihr nicht leicht, erst recht nicht, wenn es um Maddy ging. Schon auf Susannah hatte man sich nie verlassen können. Peyton war diejenige gewesen, die Maddy im Kindergarten angemeldet, ihr die Kruste von den Sandwiches geschnitten, sie ins Bett gebracht und die Arzttermine für sie vereinbart hatte. Es fiel ihr daher sehr schwer, die Verantwortung für sie auch nur fünf Minuten an jemand anderen abzugeben.

Charlie trottete zu ihr herüber und stupste sie mit der Schnauze an, damit sie ihn hinter den Ohren kraulte. Es kam ihr fast so vor, als würde sich der Hund noch an sie erinnern. Luke und sie hatten ihn vor über fünf Jahren unter einem Baum gefunden. Damals hatte er nur aus Haut und Knochen bestanden. Luke hatte ihn nach Hause gebracht, ihn gefüttert und gebadet.

Es überraschte sie immer noch, dass er den Hund behalten hatte. Ein Hund brauchte ein richtiges Zuhause, einen Menschen, auf den er sich verlassen konnte. Vielleicht würde Luke ja doch verantwortungsvoller mit Maddy umgehen als gedacht. Außerdem ging es ja vorerst nur um zwei Wochen. Sie würde das Ganze einfach als Testlauf betrachten. Sollte Luke sich in den zwei Wochen bewähren, konnte man weitersehen.

„Ich will Madelyne treffen“, sagte Luke. „Aber nur unter einer Bedingung.“

Misstrauisch sah Peyton ihn an. „Unter welcher?“

„Nicht als Onkel Luke oder dein Freund Luke, sondern als ihr Dad. Also solltest du ihr lieber erzählen, dass sie von jetzt an einen Vater hat.“

Zwei Stunden später saß Luke biertrinkend im Schatten hinter seinem Haus, doch das Getränk brannte ihm im Magen.

Eine Tochter. Er hatte eine Tochter.

Ganz egal, wie oft er sich das sagte, es fühlte sich immer noch surreal an. Die Kleine auf dem Foto sah ihm so ähnlich, dass es keinen Zweifel an seiner Vaterschaft gab, aber trotzdem konnte er es nicht fassen.

Vater zu sein bedeutete, Verantwortung übernehmen und erwachsen werden zu müssen. Also Schluss mit den Partys und dem Alkohol. Wenn er ganz ehrlich mit sich war, hatte er das alles sowieso schon lange satt. Er wusste nur nicht, ob er für ein anderes Leben geschaffen war.

War er überhaupt dazu fähig, sich um eine Vierjährige zu kümmern? Er hatte absolut keine Ahnung von Kindern! Bis vorhin hatte er noch nicht mal gewusst, dass er überhaupt Vater war.

Peyton hatte ihm total den Boden unter den Füßen weggezogen, und das nicht nur mit ihrer Neuigkeit. Zuerst hatte er sie gar nicht wiedererkannt. Die kleine Streberin hatte sich in eine schöne Frau verwandelt – die Art Frau, die den Verkehr zum Stocken brachte und einen Mann so verwirren konnte, dass er zu keinem klaren Gedanken mehr fähig war. Er bekam sie gar nicht mehr aus dem Kopf.

Sie hatte schon immer eine besondere Ausstrahlung gehabt, zumindest auf ihn. Irgendwie hatte sie in ihm den Wunsch geweckt, etwas aus sich zu machen – ein gutes Vorbild für seine Tochter zu werden. Aber traute er sich das überhaupt zu? Im Gegensatz zu seinen Brüdern, von denen der eine ein Kriegsheld und der andere ein erfolgreicher Manager war, kam er sich oft wie ein Versager vor. Noch nicht mal als Sportler hatte er es an die Spitze geschafft.

Vielleicht hatte er noch nicht seine Nische, seinen Platz in der Welt gefunden, aber es konnte auch sein, dass er einfach nicht für ein geregeltes Leben geschaffen war. Als er das letzte Mal für jemanden Verantwortung übernehmen musste, hatte er völlig versagt. Er sprach nie über jene Nacht, über jenen Unfall, seit dem Jeremiah im Rollstuhl saß. Jeremiah verließ inzwischen nur sehr selten das Haus, reagierte kaum auf Lukes Nachrichten und verbrachte seine Tage in seinem Zimmer mit Videospielen.

Verdammt.

Luke rollte seine Bierdose zwischen den Händen. Seine Schuldgefühle lasteten so schwer auf ihm, dass er sich wie gelähmt fühlte. Hoffentlich hatte Peyton nicht eine Riesendummheit gemacht, indem sie ein Kind in sein Leben brachte.

Nicht irgendein Kind, sondern sein Kind. Seine Tochter.

Luke sprang auf und ging ins Haus, wo er das Bier wegstellte und sich ein T-Shirt überstreifte. Danach stieg er in seinen Jeep, um nach Stone Gap zu fahren. Er hielt es keine Sekunde länger auf der Veranda aus. Es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, dass er eine Tochter hatte. Immer wieder sah er Maddys blonde Locken, ihre blauen Augen und ihr niedliches Lächeln vor sich, aber wenn er sie nicht leibhaftig sah, würde er nie wirklich begreifen, dass sie existierte.

Das Stone Gap Hotel stand auf einem kleinen Hügel am Stadtrand. Da es das einzige Hotel der Stadt war, nahm Luke an, dass Peyton dort abgestiegen war. Seit dem Tod ihrer Mutter vor ein paar Jahren hatte sie niemanden mehr im Ort, wo sie übernachten konnte.

Unvorstellbar, dass sie ihre ganze Familie verloren hatte. Luke selbst hatte zwei Brüder, Eltern und zahlreiche Onkels, Tanten, Cousins und Kusinen, die sich regelmäßig trafen. Peyton hatte schon vor fünf Jahren nur ihre Mutter und ihre Schwester gehabt, und jetzt war sie ganz allein.

Bis auf Madelyne, ihre Nichte, Susannahs Tochter. Seine Tochter.

Luke parkte seinen Wagen, stieg aus und ging zur Rezeption. „Ist Peyton Reynolds hier?“, fragte er die Rezeptionistin.

„Ja. Zimmer zehn. Am Ende des Flurs rechts.“

Luke passierte mehrere Türen aus falschem Eichenholzfurnier, bevor er vor der Nummer zehn stehen blieb. Sein Magen verkrampfte sich nervös.

Sorry, Peyton, ich bin einfach nicht für Kinder geschaffen.

Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen.

Sorry, Peyton, aber ich kann das nicht. Ich bin … zu beschäftigt.

Das klang auch nicht besser. Ein schlichtes Sorry, Peyton, ich kann nicht musste reichen. Obwohl … was er eigentlich sagen wollte, war: Auf keinen Fall will ich für ein Kind verantwortlich sein, von dessen Existenz ich bisher keine Ahnung hatte. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich jetzt eine Verbindung zu ihr aufbauen soll. Sie ist mir völlig fremd.

Aber sie hat keine Eltern mehr außer mir.

Ach, verdammt, da war sie, die Wahrheit. Madelyne hatte niemanden außer ihm und ihrer Tante. Wenn er sich nicht um sie kümmerte, würde die Kleine Vollwaise sein.

Wie konnte er da Nein sagen?

Er hob eine Hand, um anzuklopfen, doch die Tür ging plötzlich auf, und die Vierjährige vom Foto schoss hinaus und prallte gegen ihn.

„Sowwy“, sagte sie, wich ein Stück zurück und sah Luke verunsichert an.

Jetzt bestand kein Zweifel mehr. Er erkannte seine Augen und Susannahs hohe Wangenknochen in Madelynes Gesicht. Das hier war eindeutig seine Tochter.

„Madelyne, renn nicht einfach nach …“ Peyton blieb wie angewurzelt in der Tür stehen und sah ihn überrascht an. „Luke! Was machst du denn hier?“

„Ich … äh …“ Ihr Anblick verschlug ihm wieder den Atem. Statt des pfirsichfarbenen Sommerkleides von vorhin trug sie jetzt eins dieser gehäkelten Kleider, unter denen sich alles abzeichnete – in ihrem Fall ein dunkelgrüner Bikini. Das vorhin noch offene lange Haar hatte sie hochgesteckt. Nur ein paar Strähnen fielen ihr ins Gesicht.

Verdammt, Peyton Reynolds war tatsächlich erwachsen geworden. Und wie!

Luke räusperte sich verlegen und besann sich auf den Grund seines Kommens. „Ich will mit dir reden.“

Peyton legte ihrer Nichte eine Hand auf eine Schulter. Madelyne schmiegte sich an Peytons Beine und lugte aus großen blauen Augen zu dem Fremden vor der Tür hoch.

Oh je, die Kleine hatte Angst vor ihm. Sie hatte keine Ahnung, wer er war.

Und wessen Schuld ist das?

In diesem Augenblick traf Luke eine Entscheidung. Er war vielleicht kein guter Vater, aber auf keinen Fall durfte dieses Mädchen hier ihn noch weitere vier Jahre lang für einen furchterregenden Fremden halten.

Peyton drückte Madelyne beruhigend die Schuler. „Es passt gerade nicht gut, Luke. Wir wollten zum Pool.“

„Wie wär’s, wenn ich euch Gesellschaft leiste?“

Peyton starrte ihn überrascht an. „Hast du denn nichts Besseres vor?“

So wie sie Besseres betonte, klang es fast, als sei sie eifersüchtig. Was ausgeschlossen war, denn er und Peyton waren nie mehr als Freunde gewesen.

„Nein.“ Ihm wurde bewusst, dass er sie noch nie im Bikini gesehen hatte. Sie hatte wirklich eine tolle Figur.

Skeptisch erwiderte sie seinen Blick. „Okay, ich hole noch ein Handtuch.“

Maddy folgte ihr dicht auf den Fersen. „Tante P, wer ist der Mann?“

Peyton, die Hand halb zum Handtuch ausgestreckt, drehte sich um und sah Luke so nervös an wie Madelyne eben noch. Ihr Blick sagte: Verwirr die Kleine jetzt nicht, sie hat auch so schon genug durchgemacht.

Luke hätte seiner Tochter nur zu gern die Wahrheit gesagt, aber irgendein Instinkt hielt ihn zurück. Peyton hatte recht, Maddy war vermutlich durcheinander genug. Sie musste ihn erst besser kennenlernen. Und er musste sich an die Vorstellung gewöhnen, Vater zu sein, bevor er ihr die Wahrheit sagte.

Luke dachte an seinen eigenen Vater, der mit seinen Söhnen gerangelt hatte, mit ihnen angeln gegangen war und sie bei Wettkämpfen angefeuert hatte. Das war ein Vater. Jemand, der sich als einen bezeichnete, war keiner. So jemand war allenfalls ein Samenspender.

Luke wollte das ändern, so nervös die Vorstellung ihn auch machte.

„Ich bin ein Freund deiner Mom und deiner Tante“, erklärte er zu Peytons offensichtlicher Erleichterung und betrat das Zimmer. Er hockte sich vor Madelyne und hielt ihr eine Hand hin. „Ich heiße Luke.“

Madelyne schüttelte Luke zögernd die Hand. Ihre Finger fühlten sich klein und zerbrechlich an, doch sie hatte einen festen Griff und einen direkten Blick. „Ich heiße Madelyne“, sagte sie. „Ich bin schon fast vier.“

„Schön, dich kennenzulernen, Madelyne.“ Luke bemühte sich um ein freundliches und vertraueneinflößendes Lächeln. „Macht es dir etwas aus, wenn ich euch zum Pool begleite?“

Madelyne biss sich unschlüssig auf die Unterlippe. Hinter ihr tat Peyton das Gleiche – etwas, das ihr vermutlich gar nicht bewusst war. „Ich weiß nicht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Magst du Hunde?“

Ihre aus dem Zusammenhang gerissene Frage kam etwas unvorbereitet. „Ja, schon. Klar, ich liebe Hunde. Ich habe sogar einen. Er heißt Charlie.“

Maddys Gesichtchen hellte sich etwas auf. „Kann er mit uns schwimmen gehen?“

„Ich habe ihn nicht mitgebracht, aber du kannst mich ja gern mal besuchen kommen. Natürlich zusammen mit deiner Tante“, beeilte er sich hinzuzufügen. Er war plötzlich so nervös wie ein Teenager. Wenn Maddy Nein sagte, würde er das zum Anlass nehmen, sich in Zukunft aus allem rauszuhalten und sie Peytons zweifellos fähigeren Händen zu überlassen.

Madelyne scharrte unschlüssig mit einem Fuß im Teppich und hob den Blick zu ihm. Ihr Gesichtsausdruck war unergründlich. „Darf ich dann mit dem Hund spielen? Ich mag Hunde. Sie sind so weich und lecken einen immer ab.“

„Klar kannst du mit Charlie spielen. Kein Problem.“

Madelyne lächelte zögernd. „Okay.“

Luke atmete erleichtert auf. Er hatte das unerklärliche Gefühl, im Lotto gewonnen zu haben.

3. KAPITEL

Peyton, Madelyne und Luke gingen den Hotelflur entlang. Wie eine Familie, dachte Luke, obwohl sie alles andere als das waren. Er war nur der unerwünschte Fremde, der sich selbst eingeladen hatte.

„Du hast den Test eindeutig bestanden“, flüsterte Peyton.

„Das war nicht so schwer.“

Peyton lachte. „Stimmt, Maddy ist ziemlich anspruchslos. Außerdem hat sowieso jeder, der einen Hund hat, einen Stein bei ihr im Brett. Das ist zurzeit ihr wichtigstes Kriterium.“

„Na, da bin ich ja beruhigt“, erwiderte Luke lächelnd. Als Peyton sein Lächeln erwiderte, kam ihm der dunkle schäbige Hotelflur plötzlich viel heller vor.

Madelyne rannte immer wieder vor und blieb zwischendurch nur stehen, weil Peyton sie wiederholt dazu ermahnte.

Luke drehte sich zu Peyton um. „Ist sie immer so hyperaktiv?“

Peyton lachte. „Hyperaktiv? Schätzchen, dieses Verhalten ist völlig normal.“

Bei ihrer Anrede zuckte er unwillkürlich zusammen, obwohl das „Schätzchen“ unter Garantie nichts zu bedeuten hatte. Außerdem war er hier, um seine Tochter kennenzulernen und nicht, um über Peytons Worte oder ihr Verhalten nachzudenken.

Madelyne hüpfte auf dem gemusterten Teppich hin und her und sang dabei ein Lied. Sie trug einen rosafarbenen Badeanzug mit weißen Punkten, dazu passende Sandalen und sogar rosa Schleifen um die geflochtenen Zöpfe. Noch ein Grund, warum Luke sich wie ein Versager vorkam. Er konnte weder Zöpfe flechten noch Kleidungsstücke farblich aufeinander abstimmen.

„Ich muss dich warnen, ich habe null Erfahrung mit Kindern“, sagte er. „Ich werde bestimmt alles falsch machen.“

Peyton lächelte. „Du kriegst das schon hin. So schwierig ist das gar nicht. Außerdem kann ich dir helfen.“

Maddy stieß eine Tür auf, und plötzlich war der Flur lichtdurchflutet.

„Warte!“ Peyton lief zu der Kleinen und legte ihr eine Hand auf eine Schulter. „Denk daran, dass du nicht allein zum Pool gehen darfst. Du musst immer an meiner Hand bleiben.“

„Aber ich bin schon groß“, protestierte Maddy. „Kann allein gehen.“

„Klar kannst du das, aber am Pool ist es rutschig.“

Als Luke die beiden beobachtete, wurde ihm bewusst, dass er noch nicht mal auf die Idee gekommen wäre, die Kleine am Pool an die Hand zu nehmen. Konnte man lernen, Vater zu sein? Gab es ein Buch für Dummys, das man in einer Nacht durchlesen konnte? Oder war man besser beraten, wenn man sich einfach von so einem kleinen Wirbelwind fernhielt?

Was war, wenn Maddy in seiner Obhut etwas zustieß? Wenn sie vor ein fahrendes Auto rannte oder irgendwo raufkletterte und runterfiel? Was war, wenn er nicht genug aufpasste? Er wusste aus Erfahrung, wie sehr so etwas ins Auge gehen konnte.

Zweifel überwältigten ihn. „Peyton, wir müssen reden.“

„Hat das noch einen Moment Zeit? Ich habe Maddy versprochen, dass wir länger am Pool bleiben, und bis zum Mittagessen haben wir nur noch eine Stunde.“

„Also … na gut.“

Peyton ging mit Madelyne nach draußen, zog zwei Schwimmflügel aus ihrer Tasche, streifte sie über Madelynes Oberarme und blies sie auf.

„Fertig?“, fragte die Kleine.

„Eine Sekunde noch.“ Peyton streifte sich ihr Häkelkleid über den Kopf und steckte es in ihre Tasche.

Luke schluckte. Verdammt, sah sie toll aus. Umwerfend geradezu. Sie hatte eine perfekte Figur. Um ein Haar wäre ihm die Kinnlade nach unten gefallen, oder er hätte irgendeine blöde Bemerkung gemacht, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig beherrschen.

Peyton nahm Madelyne an eine Hand und führte sie zum Pool. Das Mädchen blieb zögernd auf der obersten Stufe stehen, während Peyton weiterging, bis sie bis zur Taille im Wasser stand.

Luke zog sich sein T-Shirt aus und warf es zusammen mit seinen Autoschlüsseln und seiner Brieftasche auf einen leeren Stuhl, bevor er zu Peyton ins Wasser ging. „Ganz schön kalt“, stellte er fest.

Peyton lächelte. „Ist der große, starke, ehemalige Footballkapitän etwa ein Weichei?“

„Ganz und gar nicht.“ Es freute ihn, dass sie ihn für groß und stark hielt. Verdammter Mist, er musste dringend damit aufhören, mit einem ganz bestimmten Körperteil unterhalb der Taille zu denken!

„Komm ins Wasser, Maddy.“ Peyton streckte die Arme aus.

Madelyne blieb zögernd auf der obersten Stufe stehen. „Ich bleib hier, Tante P.“

„Komm schon, du kannst mit mir schwimmen üben. Ich halt dich fest, dann kann dir nichts passieren.“

Kopfschüttelnd schwenkte Maddy einen Fuß im Wasser hin und her. „Nein, ich will nicht.“

„Du schaffst das, Süße, das weiß ich genau.“

Madelyne setzte sich an den Beckenrand und baumelte mit den Beinen. Sie wirkte plötzlich ganz niedergeschlagen. „Ich bleib hier“, wiederholte sie trotzig.

Peyton seufzte. „Bist du sicher? Luke und ich finden es nämlich ganz toll im Wasser.“ Sie ließ die Hände vor und zurück gleiten und sah Luke herausfordernd an. „Nicht wahr?“

„Aber sicher.“ Luke folgte Peytons Beispiel, kam sich dabei jedoch wie ein Idiot vor. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Richtig toll.“

„Schwimmen macht Spaß, Maddy. Und das Wasser ist ganz warm.“ Peyton warf Luke einen weiteren vielsagenden Blick zu.

„Und wie“, bestätigte er lahm.

„Zeig gefälligst ein bisschen mehr Begeisterung“, zischte Peyton.

Er grinste. „Das Wasser ist superwarm!“

Peyton unterdrückte ein Lachen. „Du bist hoffnungslos.“

Madelyne baumelte immer noch mit den Beinen und beobachtete, wie sich die Erwachsenen ihretwegen zum Narren machten. „Ich schwimme ein andermal, Tante P.“

Ein Schatten huschte über Peytons Gesicht, doch sie lächelte tapfer. „Okay, Süße. Macht nichts.“

„Kann sie nicht schwimmen?“

Peyton schüttelte den Kopf und senkte die Stimme. „Sie hat Angst vor Wasser. Keine Ahnung, wo sie das her hat. Susannah und ich waren die reinsten Wasserratten.“

Luke konnte sich noch gut daran erinnern, wie oft sie früher schwimmen gegangen waren. Er hatte diese Sommer sehr genossen … bevor sein Leben eine unerwartete Wendung genommen hatte. „Ich glaube, wir waren damals jeden Tag am See. Susannah und ich und …“, er spritzte Peyton nass, „… und das Anhängsel.“

Sie errötete, als sie ihren früheren Spitznamen hörte. „Das war nur, weil am See niemand in meinem Alter war.“

„Jack und Mac waren auch da.“

„Deine Brüder?“ Peyton schnaubte verächtlich. „Die hatten immer etwas anderes zu tun. Jack war mit seinen Freunden und Meri unterwegs, und Mac hat sich immer abseits gehalten.“

Luke lachte. „Da hast du recht.“ Unvermittelt wurde er ernst, als er an seinen ehrgeizigen älteren Bruder dachte, der sich seit seinem Highschoolabschluss kaum noch zu Hause blicken ließ und damit eine große Lücke in der Familie hinterließ.

Luke beobachtete Madelyne, die am Beckenrand mit einer ihrer Barbiepuppen spielte. Dass sie seine Tochter war, war offensichtlich, aber er spürte überhaupt keine Verbindung zu ihr. Im Grunde war sie eine Fremde für ihn, Ähnlichkeit hin oder her.

Aber vielleicht erwartete er zu viel von ihrer ersten Begegnung.

Ihm wurde bewusst, dass auch in Madelynes Leben eine Lücke klaffte, eine, die sich nicht einfach so durch einen kurzen Besuch zu Weihnachten füllen ließ. Was sagten die Statistiken? Kinder mit starken männlichen und weiblichen Bezugspersonen hatten bessere Voraussetzungen. Sie waren glücklicher und psychisch stabiler. Peyton war eindeutig eine starke weibliche Bezugsperson, aber was Luke anging …

Er schluckte. „Was genau kommt in den nächsten zwei Wochen eigentlich auf mich zu?“

Peyton sah ihn belustigt an. „Du siehst ja plötzlich so ängstlich aus.“ Sie ging einen Schritt auf ihn zu und tat so, als würde sie ihn gründlich mustern, wobei ihm ihr dezentes Parfum in die Nase stieg. „Geradezu panisch.“

„Ich? Ich habe nur Angst vor Anakondas und weißen Haien, aber doch nicht vor Kindern.“

Peyton lachte. Ihr Lachen war Luke bisher noch nie aufgefallen, aber es gefiel ihm. „Warte, bis sie einen Tobsuchtsanfall bekommt, weil sie zum Abendessen Kuchen essen oder noch nicht ins Bett gehen oder im Einkaufszentrum einen Riesenteddy haben will. Dann werden wir ja sehen, wie der große tapfere Junggeselle reagiert.“

„Völlig entspannt“, antwortete er mit einer Überzeugung, die er nicht empfand. Er konnte ja kaum auf sich selbst aufpassen. Und die Vorstellung, für einen anderen Menschen verantwortlich zu sein …

Verdammt!

„Das schaffe ich locker“, fügte er hinzu, wenn auch mehr zu sich selbst als zu Peyton.

Ihr Lächeln erlosch. „Das will ich dir auch geraten haben, Luke. Ein Kind ist keine Uhr, die man im Laden umtauschen kann, weil sie nicht zum Anzug passt.“

„Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich besitze weder eine Uhr noch einen Anzug.“ Er schlüpfte wieder in seine vertraute Rolle als Charmeur. Da fühlte er sich wenigstens sicher. „Außerdem bin ich selbst noch ein großes Kind“, fügte er grinsend hinzu.

„Das ist mir schon aufgefallen.“

Aus irgendeinem Grund freute ihn die Tatsache, dass Peyton überhaupt etwas an ihm auffiel. Dabei hatte er sie früher kaum wahrgenommen, höchstens als Störenfried, wenn er mit Susannah allein sein wollte. Aber diese erwachsene sexy Peyton hier …

„Tante P? Darf ich mit meinen anderen Puppen spielen?“

„Klar.“ Peyton stieg aus dem Pool. „Ich hole rasch meine Tasche.“

Luke beobachtete verstohlen, wie Peyton das Wasser über den Rücken, den Po und über ihre knackigen Beine strömte. Es gab Dinge, die mit den Jahren besser wurden. Cheddarkäse, Rotwein … und Peyton Reynolds.

Streng rief er sich ins Gedächtnis, dass er nicht wegen Peyton hier war, sondern wegen seiner Tochter. Er wollte ausnahmsweise mal verantwortungsbewusst sein, und dazu gehörte, nicht auf die Tante seiner Tochter scharf zu sein.

Er war jetzt Vater, ob er wollte oder nicht. Und das hieß, dass sich in seinem Leben künftig einiges ändern musste.

Fragte sich nur, wie er das hinkriegen sollte.

Als Peyton am Montagmorgen in ihrem Hotelbett aufwachte, starrte sie gute zehn Minuten an die Decke, bevor Madelyne sich neben ihr regte. Seit Susannahs Tod schlief die Kleine immer dicht an Peyton geschmiegt, eine Hand auf ihrem Arm, so als habe sie Angst, dass ihre Tante sonst ebenfalls verschwinden würde.

Peyton küsste Maddy sanft auf eine Schläfe, legte den Kopf zurück ins Kissen und tat, was sie immer tat, bevor sie aufstand – gedanklich ihre Aufgabenliste durchgehen. Normalerweise gab ihr das immer einen Energieschub und erfüllte sie mit jenem Tatendrang, dem sie ihren fast kometenhaften Aufstieg in einer der größten Inneneinrichtungsfirmen in Baltimore zu verdanken hatte.

Heute jedoch war ihre Aufgabenliste eher knapp, und das machte ihr Angst. Vor zwei Tagen hatte sie sich von ihrem Chef sagen lassen müssen, dass sie bei einem großen Auftrag wichtige Deadlines verpasst hatte und sich dringend zusammenreißen musste, wenn sie bei Winston Interior Design bleiben wollte. „Nehmen Sie sich zwei Wochen lang eine Auszeit“, hatte er ihr nahegelegt. „Organisieren Sie für die Zeit nach Ihrer Rückkehr eine verlässliche Betreuung für das Kind und setzen Sie Ihren Job wieder an die erste Stelle.“

Mit anderen Worten, Peyton durfte in Zukunft nicht mehr einfach die Firma verlassen, weil Maddy im Kindergarten einen Wutanfall bekommen hatte und am Telefon weinte.

Ganz zu schweigen davon, dass all die zusätzliche Verantwortung und Sorgen ihren Tribut zollten. Peyton schlief schlecht und hatte kaum Appetit. Sie konnte wirklich dringend eine Auszeit gebrauchen, aber der Gedanke an den sich unendlich vor ihr erstreckenden Tag machte sie nervös. Maddy und sie wollten erst in den Zoo, dann zu Mittag essen, anschließend auf den Spielplatz, zu Abend essen und ein Bad nehmen. Danach würde Peyton sich vermutlich die halbe Nacht im Bett wälzen, weil sie vor lauter Grübeln nicht einschlafen konnte.

Seitdem die zwei Polizisten mit ernsten Gesichtern vor ihrer Tür gestanden waren und ihr Susannahs Tod mitgeteilt hatten, machte Peyton sich mehr Sorgen um Maddy als je zuvor. Wie sollte sie das alles nur schaffen? Würde sie eine gute Mutter sein? Hatte sie mit ihrer Rückkehr nach Stone Gap die richtige Entscheidung getroffen? Oder würde Maddy sich dadurch noch mehr in ihr Schneckenhaus verkriechen?

Besorgt betrachtete Peyton die Decke. Suzie, warum hast du mich im Stich gelassen? Ich bin nicht ihre Mutter. Ich weiß auch nicht immer, was das Richtige für sie ist.

Susannah war zwar nicht gerade die zuverlässigste Mutter gewesen und hatte ständig Geld und Unterstützung gebraucht, doch sie hatte ihre Tochter abgöttisch geliebt. Peyton hatte nie einen Zweifel daran gehabt, dass die Kleine für Suzie an erster Stelle stehen würde, wenn es wirklich mal hart auf hart kam. Doch jetzt hatte Susannah keine Chance mehr, das zu beweisen.

Stattdessen bekam Luke die Chance, Vater zu werden. Hoffentlich würde er Peytons Erwartungen nicht enttäuschen. Wenn die Kleine etwas dringend nötig hatte, dann Struktur und Stabilität, während Luke noch nie der häusliche Typ gewesen war.

Das durfte Peyton nicht vergessen, wenn sie ihn nachher im Zoo traf. Es wäre ein Fehler, sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben, nur weil der Kerl gut aussah und sie bei seinem Anblick weiche Knie bekam. Sie traf sich ihrer Nichte zuliebe mit ihm – nicht, um irgendeine alberne Teenagerschwärmerei wieder aufzuwärmen.

Nein, Peyton wollte nur eins: Maddy helfen, wieder glücklich zu werden. Und Stone Gap war der beste Ort dafür.

Entschlossen stand sie auf, machte sich fertig und weckte Madelyne. „Nach dem Frühstück gehen wir zusammen mit meinem Freund Luke in den Zoo“, sagte sie, während sie Madelyne anzog.

„Kommst du mit, Tante P?“

„Na klar.“

„Die ganze Zeit?“

„Jede Sekunde.“ Peyton hörte auf, Maddy anzuziehen, nahm sie an den Armen und sah sie eindringlich an. „Das verspreche ich dir.“

Maddy war sichtlich erleichtert. „Gibt es im Zoo Affen?“

„Affen, Löwen und Giraffen“, antwortete Peyton und streifte Maddy eine Socke über. „Und einen ganz besonders nervigen Affen.“ Sie gab Maddy einen Nasenstüber, und das kleine Mädchen kicherte – naja, fast.

„Ich bin kein Affe, Tante P, sondern ein großes Mädchen.“

Peyton fand es schrecklich, dass sie Maddy nicht mehr so leicht wie früher zum Lachen bringen konnte. Es war, als seien Maddys Lebensgeister erloschen. Die Psychologin hatte gesagt, dass man ihr Zeit lassen musste, aber wie viel? „Zieh deine Schuhe an, Äffchen, und dann gehen wir frühstücken. Wir müssen um halb zehn beim Zoo sein.“

Natürlich war ihr bewusst, dass Maddy noch keinerlei Zeitgefühl hatte, doch Peyton gab es ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit, den Tag genau durchzustrukturieren. Es ging ihr immer am besten, wenn alles nach Plan lief.

Um zwanzig nach acht verließen sie das Hotel und fuhren zum Frühstück zum Good Eatin’ Café, so ziemlich das einzige Frühstückslokal am Ort.

„Ach, was bist du niedlich!“, rief Vivian Hoffman, die Besitzerin des Diners, bei Maddys Anblick. Rasch kam sie um den Tresen herum und hockte sich vor Maddy hin. „Wie heißt du denn, mein Schatz?“

„Madelyne“, verkündete die Kleine stolz. „Madelyne Reynolds.“

Vivian schüttelte Maddy die Hand. „Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Madelyne. Ich bin Miss Viv. Sag mir, was du essen willst, und ich hol es dir aus der Küche.“

„Darf ich Pfannkuchen, die wie Kekse aussehen?“

„Sie meint Chocolate Chip Pancakes“, erklärte Peyton.

„Aber natürlich, Schätzchen.“ Miss Viv lächelte. „Wir machen die besten Pancakes in ganz North Carolina. Wie wär’s mit einem Kakao dazu? Mit Strohhalm?“

Maddy öffnete den Mund, um Ja zu sagen, doch Peyton legte ihr eine Hand auf eine Schulter. „Apfelsaft reicht, danke, Miss Viv.“

Erst jetzt betrachtete die alte Dame Peyton genauer. „Du bist die kleine Reynolds, oder? Peyton?“

„Ja, Ma’am.“

„Ist dieser süße kleine Engel deine Tochter?“

„Nein, sie ist meine Nichte.“

„Nichte? Das heißt ja, dass Susannah …“ Miss Viv verstummte. „Na so was. Und ich dachte immer, ich wüsste über alles Bescheid, was in dieser Stadt passiert.“ Ihre Miene hellte sich wieder auf. Sie schlang einen Arm um Peyton und führte sie zu einem Tisch mit Blick auf den Park. „Das ist der beste Tisch des Hauses“, sagte sie, „obwohl Mort Williams das anders sieht.“

Mort, ein grauhaariger Mann, dem die Buchhandlung des Ortes gehörte, prostete Miss Viv vom Tresen aus mit seiner Kaffeetasse zu. Er hatte ein ledergebundenes Buch vor sich liegen, vermutlich einen Klassiker, den er schon hundert Mal gelesen hatte. „Howdy, Peyton“, sagte er. „Komm doch mal bei der Buchhandlung vorbei, wenn du in der Stadt bist.“

„Mach ich. Ich glaube, ich habe dort früher mehr Zeit verbracht als zu Hause.“ Die Buchhandlung war immer ihr Zufluchtsort gewesen, eine Oase der Ruhe mit gemütlichen Sesseln und Büchern, die ihr halfen, ihrem Zuhause zu entfliehen – einem nicht vorhandenen Vater, einer alkoholkranken Mutter und fehlenden Strukturen, sodass Peyton sich auf nichts hatte verlassen können als auf die Happy Ends in Morts Büchern.

Miss Viv nahm zwei Speisekarten von einem leeren Tisch und legte sie vor Peyton und Maddy hin. „Was kann ich dir bringen, Peyton?“

„Also … ich möchte nur Kaffee, danke.“

Vivian winkte ab. „Du kannst den Tag doch nicht bloß mit Kaffee beginnen, dann verhungerst du ja. Außerdem lasse ich grundsätzlich niemanden mit leerem Magen hier raus.“ Sie trat einen Schritt zurück und legte nachdenklich einen Finger ans Kinn. „Mal sehen, ob ich noch weiß, was du früher immer bestellt hast.“

„Ach, Miss Viv, es doch bestimmt mindestens zehn Jahre her, seitdem ich mit meiner Großmutter hier war und …“

„Zwei Spiegeleier, nicht zu hart und nicht zu weich. Dazu Pancakes und Extra-Sirup.“

Miss Viv hatte den Nagel so mühelos auf den Kopf getroffen, als sei Peyton erst letzte Woche hier gewesen. „Das … stimmt genau.“

Die ältere Frau tätschelte Peyton eine Hand. „Ich vergesse nie eine Kundin, schon gar nicht eine, die so hübsch und freundlich ist wie du.“ Sie verschwand Richtung Küche und schickte eine ihrer Kellnerinnen zu Peyton, um ihr Kaffee einzuschenken.

Maddy nahm auf der mit rotem Leder bezogenen Bank Peyton gegenüber Platz. „Tante P, woher kennt die Frau dich?“

„Ich war hier früher oft sonntags mit meiner Oma frühstücken. Ich saß dann immer dort drüben.“ Sie zeigte auf einen Hocker vor dem Tresen. Ob er noch quietschte?

Maddy betrachtete den Hocker nachdenklich und hob den Blick zu Peyton. „Hab ich auch so eine Oma, Tante P? Geht sie mit mir auch mal sonntags hierher?“

Peyton lag es auf der Zunge, Nein zu sagen. Peytons Großmutter Lucy war gestorben, als Peyton elf war. Und was ihre Mutter anging … Die war nie besonders mütterlich gewesen, geschweige denn großmütterlich, auch nicht nach Maddys Geburt. Vor drei Jahren war sie an Leberzirrhose gestorben. Und da Peyton ihren Vater nie kennengelernt hatte, wusste sie nicht, ob sie noch Großeltern väterlicherseits hatte.

Auf der anderen Seite gab es in Stone Gap noch eine andere Frau, eine Großmutter, die Maddy nach Strich und Faden verwöhnen würde. Die Art Großmutter, die ihr jeden Sonntag Chocolate Chip Pancakes kaufen, Schulaufführungen besuchen und sich über jeden selbst getöpferten Aschenbecher freuen würde. Peyton wusste das genau, denn sie kannte diese Frau gut: Lukes Mutter Della. Sie hatte sich insgeheim immer gewünscht, so eine Mutter zu haben.

Peyton zögerte. „Ja, Maddy, du hast auch so eine Oma.“

Ein Lächeln breitete sich über Maddys Gesichtchen, ein echtes Lächeln. „Weiß sie, dass ich Pfannkuchen mag, die wie Cookies aussehen? Und dass ich schon bald vier bin und schon bis hundert zählen kann?“

Verdammt, wie sollte Peyton diese Fragen beantworten, ohne Maddy die Wahrheit zu sagen? „Noch nicht, aber das kannst du ihr erzählen, wenn du sie siehst.“

„Wann denn? Macht sie mir dann Cupcakes wie Kayleighs Oma? Die macht immer Cupcakes mit Streuseln, und die sind echt lecker.“

„Ich weiß nicht, wann du sie siehst“, antwortete Peyton ausweichend. Die Kellnerin brachte ihre Teller. Peyton bedankte sich und schob Maddys dichter an ihre Nichte heran. „Iss dein Frühstück, dann fahren wir zum Zoo.“

„Ich will aber nicht in den Zoo. Ich will meine Oma sehen!“

„Das geht jetzt nicht, Süße. Aber … bald.“

„Wann ist bald?“

Peyton seufzte. „Keine Ahnung. Iss jetzt bitte.“

Doch Maddy stocherte nur lustlos in ihren Pfannkuchen herum. Ihre gute Laune war verschwunden.

Peyton fragte sich, warum sie die Kleine überhaupt nach Stone Gap gebracht hatte. Bisher hatte das die Dinge nur verkompliziert und völlig neue Fragen aufgeworfen. Es war ein Fehler gewesen, Della zu erwähnen. Wenn Peyton ihre Nichte mit Della und deren Mann Bobby zusammenbrachte, musste sie Maddy sagen, dass Luke ihr Vater war. Das würde eine Verbindung nach Stone Gap schaffen, die sich nie wieder rückgängig machen ließ.

Wollte Peyton das? Was das überhaupt die beste Lösung für die Kleine?

Sie hatte plötzlich keinen Appetit mehr und schob ihren Teller zur Seite. Maddy folgte ihrem Beispiel. „Komm, Schätzchen, iss noch etwas. Hast du denn keinen Hunger?“

Maddy schüttelte den Kopf. „Ich mag nicht. Ich will nach Hause.“

„Wir gehen heute in den Zoo. Wir fahren später ins Hotel zurück.“

Maddy sah aus, als wolle sie protestieren, doch dann nickte sie so resigniert, dass es Peyton ins Herz schnitt.

Als Peyton eine Weile später vor dem Zoo vorfuhr, konnte sie Lukes Mustang nirgendwo entdecken. Typisch! Er kam vermutlich zu spät oder hatte ihre Verabredung schon vergessen. War ja klar, dass man sich nicht auf ihn verlassen konnte.

„Komm, Schätzchen, wir gehen Tickets kaufen.“ Peyton ging mit Maddy an einer Hand zu den bunten Ticketschaltern, die wie Tierköpfe geformt waren. Plötzlich fiel ihr Blick auf Luke, der neben einem riesigen Eisbärenkopf stand. Er lehnte lässig mit einer Schulter dagegen und lächelte bei Peytons Anblick. Ihr Herz machte einen Satz.

Er löste sich vom Schalter und kam ihr auf halbem Weg entgegen. „Ich wette, du hast nicht mit mir gerechnet, oder?“

„Der Gedanke, dass du nicht kommst, schoss mir durch den Kopf, ja.“

„Ich bin zuverlässiger, als du denkst, Peyton.“ Er hielt drei bunte Streifen Papier hoch. „Und ich habe schon die Tickets besorgt.“

Peyton hob die Augenbrauen. „Ach ja? Wow, danke.“ Das überraschte sie noch mehr als seine Pünktlichkeit. „Wo ist denn dein Sportwagen?“

„Mein Sportwagen?“, fragte er verwirrt, bis ihm ein Licht aufzugehen schien. „Ach, du meinst den Mustang? Der gehört einem Freund. Mein Wagen ist ein schlichter alter Taurus. Er war neulich in der Werkstatt, als du kamst.“

„Ach.“

„Du hast bestimmt nicht damit gerechnet, dass ich einen total langweiligen und spießigen Wagen fahre, oder?“ Ohne Peytons Antwort abzuwarten, drehte er sich um und gab Maddy eins der Tickets. „Hier, Kleine. Das ist deins.“

„Also, ich glaube nicht, dass sie schon alt genug ist …“, begann Peyton, doch Maddy rannte bereits zum Zooeingang.

Die Ticketkontrolleurin lächelte ihr freundlich zu, riss das Ticket in der Mitte durch und gab Maddy eine Hälfte zurück. „Pass gut darauf auf“, ermahnte sie sie. „Du brauchst sie noch für die Zugfahrt.“

„Mach ich“, erwiderte Maddy ernst.

Peyton folgte ihr mit Luke, behielt die Kleine jedoch ständig im Auge, zum Teil, um das Ticket nicht zu übersehen, wenn es runterfiel, und zum Teil, um sich von Lukes Anblick abzulenken. Warum sah er in schlichten Shorts mit Hemd auch so verdammt gut aus?

Dreißig Sekunden später bückte sie sich und hob ein zerknülltes Stück Papier auf. „Genau deshalb hätte ich ihr das Ticket nicht gegeben“, sagte sie zu Luke. „Maddy ist zu klein, um die Verantwortung dafür zu übernehmen.“

„Man lernt nur, Verantwortung zu übernehmen, wenn man sie auch bekommt.“

„Das sagst ausgerechnet du, Mr Junggeselle?“

„Woher willst du wissen, dass ich nicht verheiratet bin?“

„Ich … also … Ich ging davon aus, weil du keinen Ring trägst und …“ Zu ihrer Beschämung errötete sie. Na toll, jetzt brachte der Typ sie auch noch zum Stottern.

Er grinste breit. „Du hast meine Hand abgecheckt, ob ich einen Ring trage?“

„Nur weil ich niemandem eine unangenehme Überraschung bereiten wollte. Das hier“, fuhr Peyton fort und zeigte auf Maddy, die vor dem Berglöwengehege stand und nach den Tieren Ausschau hielt, „ist schwer zu schlucken, erst recht für eine Ehefrau.“

„Tante P, wo ist die große Katze?“

Peyton zeigte auf einen langen hellbraunen Körper, der im Schatten einer Eiche zusammengerollt lag. „Da drüben. Der Löwe macht Mittagsschlaf.“

„Aber es ist doch noch früh!“, protestierte Maddy.

„Wenn du mal ein paar richtige Schlafmützen sehen willst, dann geh mal zu den Faultieren.“ Luke zeigte auf drei schlafende Tiere im nächsten Gehege.

Maddy folgte seinem Rat. Offensichtlich hatten die tierischen Zoobewohner schon um zehn Uhr vormittags beschlossen, Feierabend zu machen. Der Zoo füllte sich allmählich mit Kindern und Erwachsenen, und der Lärmpegel nahm zu. „Dann interessiert es dich also gar nicht persönlich, ob ich verheiratet bin?“

Statt einer Antwort drehte Peyton sich um und folgte Maddy zu den Antilopen. Sie wartete darauf, dass die Kleine eine Bemerkung zu den Babys machte, doch Maddy warf ihnen nur einen gleichgültigen Bick zu und ging zum Vogelgehege weiter. Peyton unterdrückte ein Seufzen. „Nein, natürlich nicht.“

Luke lachte.

Gereizt funkelte Peyton ihn an. „Ich habe kein persönliches Interesse an dir, Luke. Absolut keins!“ Schon klar. Deshalb wanderte ihr Blick ja auch immer wieder zu seinen breiten Schultern, seinen muskulösen Waden und seinen schlanken Händen … seinen Lippen … und seinen Augen.

„Na, da bin ich ja beruhigt. Das macht die Situation weniger kompliziert.“

„Wäre sie sonst komplizierter?“

Luke beugte sich so dicht über sie, dass sie seinen Atem an ihrem Hals spüren konnte. Der würzige Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase. Ihre Sinne waren plötzlich nur noch für ihn geschärft. „Macht Sex nicht immer alles kaputt?“

„Sex?“, flüsterte sie. „Wer hat denn von Sex gesprochen?“

„Steht er zwischen einem Mann und einer Frau nicht immer unterschwellig im Raum?“

Glaubst du nicht, dass ein Mann und eine Frau auch nur Freunde sein können?“

„Klar. Wenn der Mann ein Eunuch ist. Oder schwul.“

Maddy drehte sich interessiert zu ihnen um. „Tante P, was ist ein Eunuch?“

Peyton warf Luke wieder einen wütenden Blick zu, doch der grinste nur. „Das wirst du erfahren, wenn du älter bist. Sieh mal, da ist ein Hinweisschild für die Zebras. Wollen wir zu den Zebras gehen, Maddy?“

Maddy nickte gehorsam. Sie machte alles mit, aber ohne ihre sonstige Neugier und Lebensfreude.

Peyton hockte sich vor sie hin und nahm ihre Hände. „Bist du traurig, mein Schatz?“

Maddy schüttelte den Kopf, doch ihr schossen die Tränen in die Augen, und sie presste die Lippen zusammen.

„Du wünschst dir bestimmt, dass deine Mommy jetzt hier wäre, oder?“, fragte Peyton leise. Die Frage trieb ihr selbst die Tränen in die Augen, aber sie riss sich zusammen. Wenn sie jetzt weinte, würde sie es Maddy nur noch schwerer machen. „Ich bin auch traurig. Sie hat den Zoo geliebt, nicht?“

Maddy sah aus, als wolle sie etwas antworten, doch dann wandte sie den Blick ab, und die Chance war vertan. „Gehen wir jetzt zu den Zebras?“

Peyton hätte sie am liebsten in die Arme genommen und ihr versprochen, dass alles gut werden und ihr nie wieder etwas Schlimmes zustoßen würde, doch das wäre gelogen. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Klar.“

Auf dem Weg zu den Zebras war Maddys Laune immer noch gedämpft. Sie hatte den Blick auf den Weg vor sich gesenkt.

„Coole Schuhe“, sagte Luke zu ihr. „Als ich klein war, gab es keine Schuhe mit leuchtenden Sohlen.“

„Das sind meine Lieblingsschuhe“, erklärte Maddy. „Tante P hat sie mir gekauft.“

„Also, wenn ich solche Schuhe hätte, würde ich sie die ganze Zeit leuchten lassen. Was passiert, wenn du so machst?“ Luke stapfte auf den Boden.

Maddy folgte seinem Beispiel. Rote LED-Lämpchen blitzten entlang der Sohle auf. Lachend machte sie weiter. „Dann leuchten sie ganz doll.“

„Cool.“ Luke lächelte bewundernd. „Lass uns zu den Zebras weiterstapfen.“ Guck mal, so.“ Er hielt einen ausgestreckten Arm ans Gesicht, schwenkte ihn wie einen Rüssel und stapfte vor sich hin.

„Wie Elefanten?“

„Genau.“

Maddy ahmte Luke kichernd nach. Die anderen Erwachsenen im Zoo beobachteten die beiden belustigt … und vielleicht auch etwas neidisch, weil Luke die Fähigkeit besaß, sich gehen zu lassen und Spaß zu haben.

Zumindest ging es Peyton so. Sie beneidete ihn um seine Hemmungslosigkeit und darum, dass er intuitiv spürte, womit er Maddy aufheitern konnte. Peyton hätte in den letzten Wochen alles dafür gegeben, ihre Nichte so zum Kichern zu bringen. Luke war das in nur fünf Minuten gelungen.

„Komm, Tante P, sei auch ein Elefant!“ Maddy schwang den Arm und stapfte weiter.

„Ja, komm schon, Tante P.“ Luke grinste herausfordernd.

„Ach, lieber nicht.“ Peyton schüttelte den Kopf. „Geht ihr ruhig vor.“

„Mach doch einfach mit. Wir sind im Zoo. Wo kann man sich sonst schon wie ein Elefant benehmen?“

Sie errötete. „Ich komme mir dabei so albern vor.“

„Ach, das geht vorbei.“ Luke nahm ihre Linke und zog an ihrem Arm. „Du hast Madelyne doch gehört. Sie will, dass ihre Tante P auch Spaß hat.“

„Luke, das ist doch lächerlich!“

Luke sah ihr tief in die Augen, während Maddy ein Stück abseits wartete und sie beobachtete. „Warst du als Kind denn nie albern?“

Peyton warf einen Blick auf ihre Nichte. „Nein, nicht wirklich.“

Luke umfasste ihr Kinn – eine Berührung, die sie in Verbindung mit seinem intensiven Blick erschauern ließ. „Jedes Kind ist ab und zu mal albern. Das gehört doch dazu.“

„Manche Kinder müssen eben früh erwachsen werden.“ Sie wandte den Blick ab.

„Niemand sollte zu früh erwachsen werden.“ Luke ließ einen Daumen über ihre Wange gleiten. „Lass dich einfach mal gehen, Peyton. Besser spät als nie.“

„Na schön.“ Peyton gab nur nach, damit er sie endlich losließ. Sie trat einen Schritt zurück, senkte ein bisschen den Kopf und legte ihren Arm an die Nase. „So?“

„Nein, du musst mit den Füßen stapfen und den Arm schwingen, so wie wir. Komm Maddy, wir zeigen ihr, wie es geht.“ Luke und Maddy fielen wieder in ihren Elefantentrott.

Von hinten sahen sie aus wie … Vater und Tochter.

Ob Luke tatsächlich ein fester Teil von Maddys Leben werden würde? Würde er ihr vielleicht sogar helfen, den Verlust ihrer Mutter zu überwinden?

Peyton folgte den beiden. Sie musste zu sehr lachen, um den Elefanten zu spielen. Kurz darauf blieben sie vor den Zebras stehen, einer offenen Fläche, auf der sich auch drei Elefanten, zwei Giraffen und ein einsamer Strauß tummelten. Maddy war ganz begeistert von den Tieren und stellte jede Menge Fragen zu ihnen. Sie wirkte plötzlich unbeschwert und glücklich … was sie anscheinend vor allem Luke zu verdanken hatte.

Nach einer Weile rannte sie völlig außer Atem und verschwitzt auf Peyton zu. „Ich bin müde, Tante P.“

Peyton zeigte auf eine Bank in der Nähe. „Klar. Komm, wir ruhen uns ein bisschen aus und essen danach zu Mittag.“

Maddy kletterte auf die Bank, kuschelte sich an Peyton und war kurz darauf fest eingeschlafen. Peyton kannte niemanden, der so schnell einschlief und nur wenige Minuten später wieder erfrischt aufwachte.

Luke nahm auf der anderen Seite von Peyton Platz und beugte sich vor, um Maddy zu betrachten. „Das ging ja schnell.“

„Maddy war schon als Baby so. Wenn ich sie abends hingelegt habe, war sie keine fünf Minuten später eingeschlafen.“

„Du hast sie ins Bett gebracht? Und wo war Susannah?“

„Sie war … unterwegs.“ Bei Dates, in Bars oder irgendwo anders, doch darüber wollte Peyton nicht reden.

„Die Kleine hat ganz schön Power. Sie ist der reinste Wirbelwind.“

Peyton lachte. „Rate, woher sie das hat. Du warst genauso, als du jung warst. Immer unterwegs und mit irgendwas beschäftigt.“

„Ich? Wieso, ich war doch immer eher faul.“

Das Wort „faul“ hätte Peyton nie mit Luke in Verbindung gebracht. Verantwortungslos ja, Charmeur ebenfalls. Aber faul? Niemals. „Du warst immerhin der Kapitän deines Footballteams …“

„Nur, weil das kein anderer machen wollte.“

„… und Klassensprecher.“

„Das wollte auch niemand übernehmen.“

„Du hast in der Garage deines Vaters ausgeholfen und …“, sie hob einen Finger, als er protestieren wollte, „… und warst bei jeder Party dabei, die in Stone Gap stattfand.“

„Das war mein Hauptjob.“ Er grinste. „Ich bin nichts weiter als ein Partylöwe.“

„Mag sein, Luke, aber du hast viele andere gute Eigenschaften.“

Er lächelte überrascht. „Findest du?“

„Klar. Du hast Maddy heute zum Lachen gebracht. Das ist wichtiger als alles andere.“

Er umfasste wieder ihr Kinn, diesmal noch sanfter als vorhin. „Und was ist mit dir? Habe ich dich auch zum Lachen gebracht?“

Ihre Haut schien unter seiner Berührung zu pulsieren. „Vielleicht.“

Als er den Daumen über ihre Unterlippe gleiten ließ, wurde Peyton ganz heiß. „Du bist ganz schön stur, weißt du das?“, fragte er ohne jede Spur von Kritik.

„Ich halte mich eher für stark, nicht stur. Irgendjemand muss schließlich dafür sorgen, dass alles läuft.“ Peyton riss den Blick von Lukes faszinierenden blauen Augen los und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Kühl und gelassen. Lukes Berührung, sein Aftershave und seine körperliche Nähe ließen sie völlig kalt. Alles an ihm. „Da wir gerade darüber reden, es wird Zeit fürs Mittagessen. Ich sollte Maddy wecken und …“

„Lass sie doch noch fünf Minuten schlafen. Davon geht die Welt nicht gleich unter.“

„Das sagst du so.“ Peyton erwiderte seinen Blick skeptisch.

Für einen Moment senkte Luke den Blick zu Peytons Lippen. Als er ihn wieder hob, waren seine Augen ganz dunkel vor Begierde. Eine Sekunde verstrich und dann noch eine. Die schattige Bank schien plötzlich viele Meilen von dem vollen Zoo entfernt zu sein. „Ich werde dich jetzt küssen, Peyton.“

Freudige Erregung durchzuckte sie. Luke weckte ein Verlangen in ihr, das sie schon sehr, sehr lange nicht mehr gespürt hatte. „Ich finde … also, das sollten wir lieber nicht tun.“

„Du hast vermutlich recht. Aber wann habe ich je einen guten Rat befolgt?“ Lächelnd senkte er den Kopf und küsste sie.

Der Kuss war ein Fehler. Ein Unfall.

Oder zumindest versuchte Luke sich das in den ersten fünf Sekunden einzureden, als Peyton unter der Berührung seiner Lippen stocksteif dasaß. Dann war es, als fiele eine Mauer, und sie schmiegte sich erst gegen seine Hand auf ihrer Wange und dann an ihn. In diesem Augenblick fragte Luke sich, ob der Kuss wirklich ein Unfall war, oder ob er Peyton nicht insgeheim schon seit ihrem Auftauchen bei ihm hatte küssen wollen.

Ihre Lippen fühlten sich heiß unter seinen an, und ihr Parfum, erdig und blumig zugleich, machte ihn trunken vor Begierde. Er musste an heiße Sommernächte denken, in denen eine leichte Brise durch das offene Fenster kam und die schweißnasse Haut kühlte, während man eng ineinander verschlungen im Bett lag. Sein Verlangen, mit Peyton zu schlafen, sie zu spüren, war so stark, dass es jeden anderen Gedanken verdrängte. Er schob ihr eine Hand in das lange blonde Haar und zog sie mit dem anderen Arm an sich, Brust an Brust, Oberschenkel an Oberschenkel … ein unglaublich erregendes Gefühl.

Das durchdringende Kreischen eines Kindes bei den Wasserspritzen brach den Zauber, und Peyton riss sich von Luke los. „Das … hätte nicht passieren dürfen.“

„Mag sein. Aber es ist passiert.“

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und wirkte plötzlich wieder total distanziert. So, als sei der Kuss nie passiert. „Ich bin nicht … deswegen hier.“

„Ich auch nicht. Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass du mich kaltlässt.“

„Und ich, wenn ich von dir das Gegenteil behaupte.“ Sie strich mit den Händen über ihren Rock, als habe sein Kuss sie beschmutzt oder als wolle sie die Erinnerung daran fortwischen. „Ich bin hier, um dir eine Chance zu geben, deine Tochter kennenzulernen, mehr nicht. Und das ist mein Ernst Luke. Mehr nicht.“

„Warum hast du meinen Kuss dann erwidert?“

„Ich …“ Sie öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. „Ich wollte das nicht. Ich habe mich für einen Moment hinreißen lassen und …“

„Ach ja? Hat die Hitze dich überwältigt? Die romantische Atmosphäre hier im Kinderzoo?“ Luke rückte wieder ein Stück dichter an Peyton heran, doch sie blieb stocksteif sitzen – unnahbar, kühl und gleichgültig. Wenn er nicht selbst dabei gewesen wäre, hätte er nicht geglaubt, dass diese Frau sich noch vor wenigen Minuten stöhnend vor Verlangen an ihn gepresst hatte. „Tu doch nicht so, als hätte dir der Kuss keinen Spaß gemacht.“

„Er hat nichts bedeutet, Luke, und je eher du das akzeptierst, desto besser.“ Sie beugte sich über Madelyne und schüttelte sie sanft an einer Schulter. „Komm, Schätzchen, es ist Zeit aufzuwachen. Lass uns etwas essen gehen und uns dann die anderen Tiere ansehen, okay?“

Die Stimmung zwischen Luke und Peyton war frostig geworden. Er versuchte sich einzureden, dass ihre eisige Höflichkeit ihm nichts ausmachte, aber verdammt noch mal, es machte ihm etwas aus!

Sie faszinierte ihn, diese erwachsene, selbstbewusste und tüchtige Peyton Reynolds. Sie wirkte so diszipliniert, so perfekt durchorganisiert. Ob er sie dazu bringen konnte, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen? Nur für einen Moment, einen kurzen wundervollen und sehr erotischen Moment hatte sie die Kontrolle über sich selbst verloren, und er hatte einen Vorgeschmack auf die andere Peyton bekommen, die, die sie sein konnte – und er wollte mehr davon.

Doch in einer Hinsicht hatte sie recht: Sie waren nicht in den Zoo gegangen, um sich zu küssen. Sie waren hier, damit er seine Tochter kennenlernen konnte und die Kleine mal wieder etwas Spaß hatte. Letzteres schien sie auch dringend nötig zu haben.

Er dachte an seine eigene Kindheit – die Bäche, die er erkundet hatte, die Bäume, auf die er geklettert war und die Abenteuer, die er erlebt hatte. Jedes Kind verdiente eine solche Kindheit.

Vor allem seine Tochter.

Als Peyton mit Maddy an einer Hand zum Restaurant ging, warf die Kleine immer wieder einen sehnsüchtigen Blick auf die anderen Kinder, die sich mit Wasser nass spritzten. Luke holte Peyton ein und legte ihr eine Hand auf eine Schulter. „Hey, warum gehen wir nicht noch kurz zu den Wasserspritzen, bevor wir etwas essen?“ Er zeigte hinter sich.

Madelyne blieb stehen und sah Peyton erwartungsvoll an.

„Nein, jetzt ist Zeit fürs Mittagessen“, erwiderte Peyton.

„Was spricht dagegen, vorher ein bisschen Spaß zu haben?“

„Feste Strukturen sind wichtig für …“

„… aber nicht in Stein gemeißelt.“ Er trat einen Schritt näher. „Komm schon, Peyton, sei doch nicht so. Die Kleine beäugt die Wasserspritzen schon die ganze Zeit voller Sehnsucht.“

Er sah Peyton zögern, sah, dass sie innerlich hin- und hergerissen war, doch dann huschte ein Schatten über ihr Gesicht. „Wir sind ohnehin schon zu spät dran“, sagte sie kopfschüttelnd.

Madelyne warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Wasserspritzen und folgte Peyton ins Lokal. Luke musste sich beherrschen, nicht zu widersprechen, aber Peyton war Madelynes Ersatzmutter und hatte mehr Erfahrung mit Kindern als er. Vielleicht hatte sie recht, und feste Strukturen waren wichtiger, als ein paar Minuten lang mit Wasser herumzuspritzen.

4. KAPITEL

Peyton deckte Maddy zu und glättete ihr sanft das Haar. Luke war nach dem Zoobesuch zu Peytons Erleichterung in die Werkstatt gefahren, doch irgendwie hinterließ seine Abwesenheit eine Lücke, was völlig verrückt war. Peyton kam schließlich gut allein mit Maddy zurecht, sehr gut sogar. „Hast du den Tag genossen, Äffchen?“

Maddy nickte, die Augen schon halb geschlossen. „Ich fand die Zebras gut und die Elefanten. Die sind echt groß.“

„Stimmt.“ Peyton lächelte. „Wie wär’s, wenn wir morgen ins Kindermuseum gehen?“

„Kommt Luke auch mit? Er ist lustig.“

Und er küsst verdammt gut. Peyton verdrängte diesen Gedanken hastig. Luke zu küssen, gehörte nicht zu ihren Plänen. Und sie brauchte nicht erst auf ihn hereinzufallen, um zu wissen, dass es ein Fehler wäre, sich auf ihn einzulassen. Hatte Susannah ihr nicht immer wieder erzählt, dass Luke zu nichts taugte? Dass er nur auf Eroberungen aus war, aber nicht auf eine Beziehung?

Oh ja, mit Luke zusammen zu sein, wäre keine gute Idee. Irgendwie musste Peyton einen Weg finden, sich trotz Maddy von ihm fernzuhalten, bevor sie womöglich noch irgendwelche Dummheiten machte.

„Ich dachte, wir gehen allein hin. Danach können wir wieder auf den Spielplatz. Was sagst du dazu?“

„Okay.“ Maddy klang nicht gerade begeistert.

„Du magst Luke, oder?“

„Ja. Er ist lustig.“ Maddy presste ihren Teddy an sich, ein schäbiges helles Stofftier, das Bo hieß und ihr sogar im Bett Gesellschaft leistete. „Magst du Luke auch, Tante P?“

„Na klar. Ich kenne ihn schon sehr lange.“

Autor

Shirley Jump
<p>Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
Mehr erfahren
Jules Bennett
<p>Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
Mehr erfahren
Joanna Sims
<p>Joanna Sims brennt für moderne Romances und entwirft gerne Charaktere, die hart arbeiten, heimatverbunden und absolut treu sind. Die Autorin führt diese auf manchmal verschlungenen Pfaden verlässlich zum wohlverdienten Happy End. Besuchen Sie Joanna Sims auf ihrer Webseite www.joannasimsromance.com.</p>
Mehr erfahren