Bianca Extra Band 82

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LAURELS KLEINE PENSION AM MEER von LYNNE MARSHALL

In Kalifornien wagt die verwitwete Laurel einen Neuanfang. Nur ihre Kinder zählen für sie - bis ihr Nachbar Mark, ein smarter Handwerker, Laurel in ihrer kleinen Pension am Meer hilft. Doch die Sehnsucht nach Liebe, die er in ihr weckt, passt so gar nicht in ihr neues Leben …

EINE NEUE FRAU FÜR DADDY von WENDY WARREN

Caleb ist zurück in Honeyford! Nicht länger der junge Rebell, den Gabby damals so geliebt hat, sondern wohlsituiert und mit einer kleinen Tochter im Schlepptau. Die alles daransetzt, dass ausgerechnet Gabby ihre neue Mami und Daddys Frau wird!

SO UNWIDERSTEHLICH VERTRAUT WIE DU von LAUREL GREER

Ihren Ex wiederzusehen tut Lauren richtig weh. Mit dem sexy Weltenbummler zu leben war unmöglich. Und noch immer hat Lauren viel zu tiefe Gefühle für Tavish. Ein letztes Mal wird sie schwach … Doch das hat süße Folgen. Ein Neuanfang muss her - aber wie?

EIN KUSS, EIN TANZ, EIN DIAMANT? von HELEN LACEY

"Und wenn du der letzte Mann auf der Erde wärst - mit dir niemals!" Wütend schleudert Nicola dem attraktiven Kieran diesen Satz entgegen. Sie kann ihm nicht verzeihen, was er ihr damals angetan hat! Aber was macht dieser unmögliche Typ? Er küsst sie leidenschaftlich …


  • Erscheinungstag 07.04.2020
  • Bandnummer 82
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748081
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Marshall, Wendy Warren, Laurel Greer, Helen Lacey

BIANCA EXTRA BAND 82

LYNNE MARSHALL

Laurels kleine Pension am Meer

Eigentlich hat Mark von romantischen Gefühlen genug. Doch da eröffnet die schöne Laurel nebenan eine Pension. Sie braucht einen Handwerker – das ist er. Aber sie braucht noch mehr … Kann er ihr das geben?

WENDY WARREN

Eine neue Frau für Daddy

Solange Caleb denken kann, war Gabby die Einzige für ihn. Schade, dass sie in ihm nicht den einen sah! Aber jetzt zieht er zurück nach Honeyford und ist entschlossen, endgültig Gabbys Herz zu gewinnen …

LAUREL GREER

So unwiderstehlich vertraut wie du

Weltweit ist der Fotojournalist Tavish unterwegs, weshalb auch seine Ehe mit Lauren zerbrach. Aber ein Wiedersehen mit seiner schönen Ex macht ihm klar: Vor seinen Gefühlen kann er nicht länger fliehen …

HELEN LACEY

Ein Kuss, ein Tanz, ein Diamant?

Wenn Dr. Kieran O’Sullivan nur ungeschehen machen könnte, was er damals Nicola angetan hat! Dann würde sich der Hass in ihrem Blick in zärtliche Liebe verwandeln – und alles wäre wieder gut …

1. KAPITEL

Die hübsche Dunkelhaarige, die mit einem sperrigen Umzugskarton und einem mit wer weiß was gefüllten Müllsack beladen war, brauchte offensichtlich Hilfe. Mark Delaney hatte sie gestern schon bemerkt, oder vielmehr hatte der Anblick ihres wippenden Pferdeschwanzes seine Aufmerksamkeit erregt.

Um die drohende Katastrophe abzuwenden, sprang er von der Leiter, von der aus er die Dachrandverkleidung des Drumcliffe-Hotels strich, wobei er mit einem Knöchel umknickte. Beim Überqueren der Straße versuchte er, sein Humpeln zu verbergen.

„Brauchen Sie Hilfe?“

„Oh!“ Da ihr der Karton runterzurutschen drohte, sah sie ihn voller Dankbarkeit an. „Ja, bitte.“

Mark griff rasch zu. Der Karton war überraschend leicht.

„Da ist mein englisches Lieblings-Teegeschirr drin. Ganz schön leichtsinnig von mir, oder?“ Sie atmete erst mal erleichtert auf und lächelte dann freundlich. „Ich bin übrigens Laurel Prescott. Und Sie sind?“

„Mark Delaney.“ Mit der freien Hand zeigte er auf die andere Straßenseite. „Meiner Familie gehört das Drumcliffe.“

Sie hob die hellbraunen Augenbrauen, ein paar Schattierungen heller als ihr Haar. „Ach, dann sind wir ja Nachbarn.“

Nachdem er den Karton auf ihrer Veranda abgestellt hatte, fiel ihm auf, dass ihre Augen haselnussbraun und mandelförmig waren. Hübsche Augen. „Sieht so aus. Wann wollen Sie Ihr Bed & Breakfast eröffnen?“

Sie holte tief Luft. „Gute Frage. Eigentlich wollte ich schon nächste Woche anfangen, aber es gibt noch so viel zu tun, das ich vorher nicht bedacht habe.“ Sie schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe, ausgerechnet in der ersten Schulwoche umzuziehen.“ Scheppernd schwang sie den Müllbeutel über eine Schulter. „Ach ja, jetzt fällt’s mir wieder ein – ein paar Stunden für mich allein?“

Er musste lachen. „Haben Sie noch etwas, das reingetragen werden muss?“

Ihre sehr hübschen Augen leuchteten so erfreut auf, als sei er ein Geschenk des Himmels. Was ein verdammt gutes Gefühl war. „Haben Sie denn überhaupt Zeit?“, fragte sie. „Ich meine, Sie sind doch gerade beim Streichen.“

Mark senkte den Blick zu seinem schwarzen T-Shirt und seiner Jeans mit den Farbflecken. „Ich wollte sowieso gerade Pause machen.“ Er warf einen Blick auf die noch offene Farbdose auf der anderen Straßenseite. „Einen Moment, okay? Ich muss noch kurz die Dose schließen.“

„Natürlich!“ Sie stieg die Verandastufen zu dem prächtigen viktorianischen Haus im Queen-Anne-Stil hoch, das laut Marks Mutter schon eine Ewigkeit leer stand. In Marks Kindheit und Jugend hatte dort ein sympathisches altes Paar gewohnt. Bei ihnen hatte er mal den besten Apfelkuchen bekommen, den er je gegessen hatte.

In den letzten Monaten waren ständig Handwerker im Haus ein- und ausgegangen und hatten den heruntergekommenen Kasten in seine ursprüngliche Pracht zurückversetzt. Seitdem sie vor ein paar Wochen fertiggeworden waren, strahlte die ehemals abblätternde undefinierbar blaue Fassade mit dem großen Erker und der Rundum-Veranda in frischem Salbeigrün mit cremefarben abgesetzten Fensterrahmen und Türen und dunkelgrün gestrichenen Gesimsen. Mark musste zugeben, dass das Haus jetzt richtig Klasse hatte.

Genauso wie seine Besitzerin. Denn genau das war sein erster Eindruck von seiner neuen Nachbarin gewesen, als sie letzte Woche vorbeigekommen war, um sich das Ergebnis anzusehen – dass sie in einer ganz anderen Liga spielte als er.

Bei ihrem Anblick in Arbeitsklamotten – ausgeblichene, gerade geschnittene Jeans und ausgeleiertes Polohemd, das mal bessere Tage gesehen hatte – musste er lächeln. Jetzt passte sie schon viel besser zu ihm. Und trug zum zweiten Mal nacheinander einen Pferdeschwanz. Nicht dass er mitzählte, aber er fand die Frisur bei ihr irgendwie süß.

„Ein bisschen zu früh für eine Pause, oder nicht?“, fragte Marks Großvater, als er gerade den Deckel auf die Farbdose setzte. Padraig Delaney trug eine bunte Golfhose und ein lachsfarbenes Hemd und kam anscheinend gerade vom Golfplatz. Dank seines Hobbys, dem er täglich nachging, war er immer sonnengebräunt, was seine blauen Augen und seine weißen Zähne noch mehr betonte. Beides blitzte auch jetzt auf, als er sah, wo Mark herkam und wer auf der anderen Straßenseite beschäftigt war.

Mark erwiderte das Lächeln seines Granddas, der Guinness liebte und an übernatürliche Kräfte glaubte. Sie hatten einen ganz besonderen Draht zueinander, da sie beide wussten, wie es war, jung und weit weg von zu Hause zu sein und sich ängstlich und einsam zu fühlen, auch wenn einer von ihnen das in Friedenszeiten erlebt hatte und der andere in der Hölle des Mittleren Ostens.

Jeder kannte Padraig Delaneys Geschichte. In den 1950ern war er aus Irland ausgewandert, um beim Bau von Golfplätzen entlang der kalifornischen Küste mitanzupacken. Trotz seines mageren Lohns hatte er eisern gespart und sich schließlich ein kleines Stück Land in Sandpiper Beach gekauft. Je mehr Verantwortung er in seinem Job übernommen hatte, desto besser hatte er verdient, sodass er es sich Ende der Sechziger hatte leisten können, auf dem Grundstück ein kleines Hotel zu errichten.

Wer weiß, was aus dem Delaney-Clan geworden wäre, wenn Padraig seinen Traum nicht verwirklicht hätte. Also gönnte Mark seinem Großvater sein vormittägliches Golfspiel von Herzen. Der Mann hatte es sich redlich verdient.

So wie er auch Padraigs ständige Einmischung in sein Leben tolerierte. „Ich werde schon noch rechtzeitig fertig, keine Sorge. Lief das Spiel gut?“

„Jedes Spiel ist ein gutes Spiel, Marky, my boy, weil ich noch am Leben bin.“

Seit seiner Rückkehr aus Afghanistan letztes Jahr hörte Mark diesen Spruch täglich. Ihm war nur allzu klar, dass sein Großvater ihm damit auf nicht allzu subtile Art etwas sagen wollte, auch wenn er noch nicht wirklich wusste, was.

Heute jedoch, beim Anblick der Lady mit dem Pferdeschwanz auf der anderen Straßenseite, die seine Hilfe so dringend benötigte, bekam er plötzlich eine Ahnung. „Das stimmt, Grandda. Völlig richtig.“

„Verbrüderst du dich etwa mit der Konkurrenz?“

Mark lachte. Er wusste, dass Grandda nur einen Witz machte. Seine Mutter war die Einzige in der Familie, die sich Sorgen wegen des B&Bs machte. Padraig Delaney hingegen wusste, dass ein Hotel eine ganz andere Klientel als ein Bed & Breakfast anzog. Das Haus auf der anderen Straßenseite war daher keine Konkurrenz, sondern brachte frischen Wind in die Stadt, und davon würden alle profitieren. „Ich helfe nur einer Nachbarin.“

„Einer sehr attraktiven Nachbarin, wie ich hinzufügen möchte.“ Der alte Mann zwinkerte zweideutig, was Mark jedoch ignorierte.

„Hast du inzwischen mal darüber nachgedacht, ob du das Hotel übernimmst?“

Mark stellte die Farbdose an die Hotelmauer, klappte die Leiter zusammen und lehnte sie daneben. „Ich bin noch nicht so weit. Außerdem wollen Mom und Dad sich doch noch gar nicht zur Ruhe setzen.“ Zumindest hoffte er das.

„Schwer vorstellbar, da sie von morgens bis abends über nichts anderes reden. Außerdem bist du der Einzige, der dieses Hotel so liebt wie ich.“

Mark konnte nicht leugnen, dass er von den drei Delaney-Brüdern am geeignetsten dafür war, das Hotel zu übernehmen. Daniel war Physiotherapeut mit eigener Praxis und Conor Deputy Sheriff. Keiner von ihnen zeigte auch nur das geringste Interesse am Hotel. Doch seitdem Mark vor einem Jahr ehrenhaft aus der Armee entlassen worden war, schreckte er vor der Verantwortung zurück. Es reichte ihm völlig, sich vormittags als Handwerker zu betätigen und nachmittags surfen zu gehen. Er hatte zwar Pläne für das Drumcliffe, aber seine Eltern gebeten, ihm noch Zeit zu lassen und vorerst nicht in den Ruhestand zu gehen. Es war einfach noch zu früh.

Als Mark den Kopf senkte, um seinem Grandda zu signalisieren, dass er keine Lust auf ein Gespräch über die Zukunft des Familienhotels hatte, räusperte der sich resigniert, doch Mark wusste, dass er früher oder später wieder darauf zurückkommen würde. Er würde erst Ruhe geben, wenn Mark nachgab. Was vielleicht sogar zu Marks Bestem wäre.

„Also, ich gehe dann mal.“ Padraig ging weiter die Main Street entlang, um den anderen Geschäftsleuten in der Straße einen Besuch abzustatten. „Denk an den Selkie, Junge“, sagte er, ohne sich noch mal nach Mark umzudrehen. Er wusste genau, dass sein Enkel nur genervt gucken würde.

Würde der alte Mann wohl je von seiner fixen Idee ablassen, dass Mark und seine Brüder einen Selkie gerettet hatten – ein Wesen aus der keltischen Mythologie, das im Wasser ein Seehund war, sich an Land jedoch in einen Menschen verwandeln konnte? Natürlich war es kein Selkie gewesen, sondern ein Seehund, der von einer Gruppe Orcas gejagt worden war. Mark, Daniel und Conor waren mit ihrem Boot dazwischen gegangen und hatten die Orcas lange genug abgelenkt, um dem Seehund eine Chance zur Flucht zu geben.

Ihr größter Fehler dabei war nicht gewesen, sich der Gefahr auszusetzen, dass die erbosten Orcas ihr Boot umkippten, sondern ihrer Familie die Geschichte beim Sonntagsessen im Pub zu erzählen. Ihr Großvater war ganz außer sich gewesen vor Aufregung. „Der Seehund war ein Selkie“, hatte er steif und fest behauptet. „Jetzt schuldet er euch einen Gefallen.“

Seitdem bestand Padraig Delaney, sonst ein durchaus vernünftiger und intelligenter Mann, darauf, dass sie zur Belohnung die wahre Liebe finden würden. Ja, ja, wer’s glaubt …

Leider hatte Marks älterer Bruder Daniel Grandda noch in seiner fixen Idee bestärkt, indem er sich in seine Angestellte Keela verliebt hatte. Die beiden waren inzwischen verheiratet und erwarteten ein Baby, und seitdem bestand Grandda noch beharrlicher darauf, recht zu haben – vor allem, wenn er ein Glas Guinness oder zwei intus hatte. Dann verkündete er Mark, dem mittleren der drei Brüder, und Conor, dem Jüngsten, jedes Mal, dass sie als Nächstes an die Reihe kommen würden. Was für ein Schwachsinn!

„Von wegen Selkie“, murmelte Mark, als er den alten Mann die Straße entlanggehen sah. Wie kam der alte Mann eigentlich ausgerechnet jetzt darauf?

Sein Blick fiel wieder auf die andere Straßenseite. Wegen der bildhübschen neuen Nachbarin, deshalb.

Mark musste grinsen. Dann war Laurel Prescott seinem Großvater also auch aufgefallen. Er wischte sich die Hände mit dem Lappen ab, der an der Leiter hing, und ging lächelnd zurück zum B&B, obwohl sie ihn wahrscheinlich keines Blickes mehr würdigen würde, wenn er damit fertig war, ihr zu helfen.

Als Laurel zu ihrem Wagen ging, beobachtete sie verstohlen, wie Mark seine Farbdose schloss und sich dann mit einem alten Mann unterhielt.

Sie war eine verwitwete Fünfunddreißigjährige, die sich ständig selbst hinterfragte. Und Mutter eines noch trauernden Teenagers mit den üblichen Pubertätsproblemen und von vierjährigen Zwillingsmädchen zu sein, die gerade in die Vorschule gekommen waren, machte ihre Selbstzweifel nicht besser. Mit dem Geld von Alans großzügiger zweiter Lebensversicherung ein altes Haus zu kaufen und es in ein B&B zu verwandeln, war zwar ein riskantes Unterfangen, aber nachdem die letzten fünf Jahre von Alans Krebserkrankung, seiner zwischenzeitlichen Heilung und dem Albtraum eines Rückfalls zwei Jahre später überschattet gewesen waren, brauchten sie dringend einen Neuanfang. Sie alle. Nur Alan war eine zweite Chance nicht vergönnt gewesen …

Laurel musste wie immer beim Gedanken an ihren verstorbenen Mann schlucken. Das Leben ohne ihn war sehr hart gewesen und hatte seine Spuren hinterlassen, aber trotzdem wollte sie endlich wieder nach vorn blicken. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Sie nahm ein paar kleinere Gegenstände aus dem Kofferraum ihres Wagens und lauschte unauffällig dem Wortwechsel zwischen dem alten Golfer und Mark, ihrem beunruhigend attraktiven Nachbarn, auf der anderen Straßenseite. Die Tatsache, dass der Mann ihr überhaupt aufgefallen war, gab ihr zu denken. Andererseits war er ein sehr attraktiver Mann. So, sie hatte es sich eingestanden. Wieso auch nicht?

Vor ihrem Umzug hatte sie zwei Jahre lang nur wie ferngesteuert funktioniert und gerade mal ihre Grundbedürfnisse befriedigt – abgesehen von Sex natürlich. Daran dachte sie so gut wie nie, nur in jenen Nächten, in denen sie Alan so schmerzlich vermisste, dass sie weinen musste. Sie wollte sich daher endlich ein neues Leben aufbauen, schon allein, damit es ihren Kindern wieder besser ging. Doch gleichzeitig hatte sie starke Zweifel, ob dieses B&B wirklich eine so gute Idee gewesen war.

So oder so gehörte das Haus in Sandpiper Beach jetzt ihr und erlaubte es ihr, von zu Hause aus zu arbeiten. Mit einer Festanstellung hätte sie zwar ein sicheres Gehalt, aber weniger Zeit für ihre Kinder.

Wieder spähte sie verstohlen zur anderen Straßenseite hinüber. Was war an dem Mann nur so faszinierend, dass sie den Blick kaum von ihm losreißen konnte? Sie hatte so viel um die Ohren, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand, da konnte sie keine Ablenkung gebrauchen. Und trotzdem musste sie ihn immer wieder ansehen, sein dunkles Haar, seine leuchtend blauen Augen. So unglaublich irisch. Jünger als sie.

Also – was sprach gegen etwas Interesse oder gar eine heimliche Schwärmerei für einen Nachbarn? Vielleicht war das ja ein Zeichen, dass sie nach zwei trostlosen Jahren endlich bereit für einen Neuanfang war. Und das war doch schließlich genau das, was sie wollte, oder nicht?

Eine halbe Stunde später, in der Laurel und Mark auf dem Weg vom Auto zum Haus und zurück ständig aneinander vorbeiliefen und sich höflich zulächelten, trug er den letzten Umzugskarton die Verandastufen hoch ins Haus und sah sich um.

Die Eingangshalle und das Wohnzimmer waren frisch gestrichen, und der Stuck, der Kamin und das Holzgeländer waren liebevoll restauriert worden. Doch am beeindruckendsten war das große Esszimmer mit seinem langen Eichentisch, der Tapete im antiken Stil und dem Kronleuchter. Es würde den Gästen bestimmt gefallen.

„Sieht ja ganz toll aus“, sagte er.

„Danke. Manchmal kriege ich richtig Panik bei dem Gedanken, was passiert, wenn niemand kommt, nachdem ich so viel Geld reingesteckt habe.“

„Haben Sie schon mal ein B&B geführt?“ Seltsamerweise schoss ihm auch die Frage durch den Kopf, ob sie verheiratet war. Was ihn absolut nichts anging.

„Nein, noch nie.“ Für einen Moment wirkte sie fast verängstigt, erholte sich aber rasch wieder. „Möchten Sie ein Glas Limonade? Das ist das Mindeste, was ich Ihnen anbieten kann, nachdem Sie mir so lieb geholfen haben.“

Vielleicht ist sie ja geschieden.

Mark war eigentlich nicht der Typ, der sich spontan mit jemandem hinsetzte, um zu plaudern. Ehrlich gesagt lebte er ziemlich zurückgezogen, seitdem er aus Afghanistan zurückgekehrt war. Außer zu seinen Familienmitgliedern hatte er zu niemandem Kontakt, aber Laurel Prescott hatte etwas an sich, das ihn dazu bewog, ihr Angebot anzunehmen. „Klingt gut, danke.“

Er folgte ihr in eine Küche, die für ein so großes Haus eher von bescheidener Größe war, und warf einen Blick aus dem Fenster. Der Strand und das Meer waren nicht weit entfernt. Wahrscheinlich konnte man das Wasser von den meisten Zimmern aus sehen. „Ich würde mir nicht allzu viel Sorgen machen, dass niemand kommt. Es sei denn, Ihre Preise sind zu hoch.“

„Nein, ich habe vorher gründlich recherchiert.“ Sie öffnete einen doppeltürigen Edelstahlkühlschrank und nahm einen Krug Limonade heraus. Mark fiel auf, dass sie sich bei den Schränken und der Kücheninsel für eine moderne Variante entschieden hatte. „Ich liege mit meinen Preisen im Mittelfeld. Außer natürlich bei der Honeymoon Suite.“ Sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu. „Die ist so schön, dass sie den hohen Preis wert ist.“

Mark hatte nie verstanden, warum man romantischen Gefühlen mit einem besonders schönen Zimmer noch mehr auf die Sprünge helfen wollte – seiner Meinung nach hatte man diese Gefühle oder nicht –, aber frisch verheiratete Paare fühlten sich vielleicht von so etwas angesprochen, während das Drumcliffe eher etwas für Familien und Rentner mit wenig Geld war.

Laurel reichte ihm ein zierliches, handbemaltes Glas mit Limonade. Anstatt es einfach in einem Zug zu leeren, wie er es sonst immer machte, probierte er vorsichtig einen Schluck des erfrischenden Zitronengetränks mit einem Hauch Minze. „Schmeckt großartig.“

„Danke. Ich habe die Limonade aus den Zitronen im Garten gemacht.“

„Wirklich lecker.“ Apropos Garten – vorhin war ihm aufgefallen, dass dort dringend Unkraut gejätet werden musste, und die Hecken brauchten auch einen frischen Schnitt. Aber wahrscheinlich hatte sie bereits einen Gärtner damit beauftragt, sodass es völlig überflüssig war, ihr seine Dienste anzubieten. Wozu auch? Er hatte im Hotel schon genug zu tun.

Laurels hausgemachte Limonade war wirklich gut. Mit so etwas konnte man Gäste dazu bringen, immer wiederzukommen … vorausgesetzt, sie fanden überhaupt hierhin. „Machen Sie eigentlich eine Eröffnungsfeier?“

Laurel trank ebenfalls einen Schluck Limonade. „Ich will ein paar Anzeigen schalten und einen Tag der offenen Tür anbieten.“

„Gute Idee.“

Sie schien sich über sein Lob zu freuen. „Ich bin in Pismo Beach aufgewachsen, deshalb weiß ich, dass die Touristensaison hier an der Küste immer lange dauert. Ist denn jemals gar nichts los?“

„Ich bin erst seit einem Jahr wieder hier und kann Ihnen das nicht wirklich beantworten. Aber ich kann mich gern bei meinen Eltern erkundigen, wenn Sie wollen.“

„Oh, sorry, ich ging davon aus …“

„Ich war zehn Jahre bei der Armee. Das Drumcliffe gehört meinen Eltern. Ich bin immer noch nicht ganz wieder hier angekommen.“

Ob sie jetzt weniger von ihm hielt, weil er im Hotel nur eine Art Mädchen für alles war? Wieder fragte er sich, warum ihn das überhaupt interessierte.

Als er zur Armee gegangen war, war er ein erfolgreicher Surfer gewesen, doch seit seiner Rückkehr aus dem Mittleren Osten – meistens Afghanistan, aber auch dem Irak –, war er nicht mehr der Alte. Er litt unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, bewältigte seine Stimmungsschwankungen jedoch, indem er sich zurückzog und sich auf seinen Job im Hotel konzentrierte. Und aufs Surfen. Aber die Aufs und Abs gehörten zum Heilungsprozess dazu, wie sein Therapeut gesagt hatte.

Wegen eines „Abs“ waren er und seine Brüder am Tag des Vorfalls mit dem „Selkie“ zum Angeln rausgefahren. Daniel und Conor hatten ihm aus dem Loch raushelfen wollen, in dem er damals gesteckt hatte.

Mark war immer noch nicht hundertprozentig über seine Posttraumatische Belastungsstörung hinweg – er hatte immer noch ab und zu Albträume und hasste Menschenmengen –, war jedoch auf einem guten Weg. Insgesamt war er zurückhaltender Menschen gegenüber und weniger impulsiv als früher. Weniger leichtherzig. Aber vielleicht ging das ja allen Dreißigjährigen so.

Laurel sah ihn forschend aus karamellbraunen Augen an. Wahrscheinlich fragte sie sich gerade, was er alles erlebt hatte. Tja, sie war nicht die Einzige, die Fragen hatte. „Und was hat Sie hierhergeführt?“

„Oh“, sagte sie überrascht. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass er den Spieß umdrehen würde. „Ich habe das Meer vermisst. Als ich nach dem College geheiratet habe, bin ich zu meinem Mann ins Landesinnere nach Paso Robles gezogen, um meine Kinder großzuziehen. Vor zwei Jahren habe ich ihn verloren.“

„Das tut mir leid.“ Mark meinte das ernst, obwohl er sich kaum vorstellen konnte, wie es war, jemanden zu verlieren, den man liebte.

Seufzend trank sie einen Schluck Limonade. „Es war ganz schön hart.“

Mit harten Zeiten kannte Mark sich aus. Mitgefühl oder Empathie oder wie auch immer man das nannte, waren eigentlich nicht seine Stärke, aber sie tat ihm aufrichtig leid. Sie hatte eine Menge zu bewältigen, und ein so großes Projekt wie die Eröffnung eines B&Bs war auch kein Zuckerschlecken. „Wenn Sie Hilfe brauchen, können Sie sich jederzeit an mich wenden.“ Ich dachte, ich bin zu beschäftigt.

„Danke“, sagte sie freudig überrascht. „Ich werde bestimmt bei Gelegenheit darauf zurückkommen.“

Völlig untypisch hatte Mark gerade eine Tür geöffnet, für die er erstens keine Zeit hatte und durch die er zweitens vielleicht gar nicht gehen wollte. Zumindest noch nicht. Laurel mochte Single sein, aber sie hatte Kinder, um Himmels willen!

Plötzlich riss sie erschrocken die Augen auf. „Oh Gott, ich muss dringend die Mädchen abholen!“ Sie griff nach ihrer Handtasche und eilte zur Tür. „Heute ist ihr erster Tag in der Vorschule, da darf ich nicht zu spät kommen.“

Als Mark aufstand und ihr folgte, fiel ihm auf, dass sie Mühe hatte, die Haustür abzuschließen. „Ich kann gern nachher wiederkommen und mir das Schloss ansehen, wenn Sie wollen.“

Ihr Lächeln war so aufrichtig und so strahlend, dass er für einen Moment wie geblendet war. „Das wäre ganz toll!“ Sie eilte zu ihrem Minivan, auf dessen Rückbank sich zwei identische Kindersitze befanden.

Irgendwie musste Mark seinen antisozialen Verstand verloren habe, aber irgendwie fand er diese multitaskende Unternehmerin und Mutter verdammt sexy. Was absolut nicht zu seiner derzeitigen Lebensstrategie passte – sich bedeckt zu halten und herauszufinden, wie er in diese Welt hineinpasste … und ob er das überhaupt wollte.

2. KAPITEL

Während Laurel auf dem Weg zur Vorschule die Geschwindigkeitsbegrenzung voll ausreizte, versuchte sie verzweifelt, nicht mehr an Mark Delaney zu denken. Wusste der Mann eigentlich, wie toll er aussah?

Sie sah immer noch sein aus der Stirn gekämmtes dunkelbraunes Haar vor sich, das sich hinter seinen Ohren kräuselte, seine klaren blauen Augen und seinen Dreitagebart mit einem Hauch Rot. Sein schwarzes T-Shirt, das sich über breiten Schultern und einem Waschbrettbauch spannte, seine Arme, die einem Bauarbeiterkalender alle Ehre machen würden, und die sich wie angegossen um schmale Hüften und lange Beine schmiegende Jeans.

Er sah echt heiß aus und schien das noch nicht mal zu merken. Oder es war ihm egal. Er war eine faszinierende Mischung aus sanft und abgründig, der sie einfach nicht widerstehen konnte. Was sie ganz schön beunruhigte.

Als Laurels Blick in den Rückspiegel fiel, zuckte sie erschrocken zusammen. So hatte sie also ausgesehen? Mit zerzaustem Pferdeschwanz und ohne jede Spur Make-up, noch nicht mal Lipgloss? Der Mann hielt sie wahrscheinlich für total ungepflegt.

Heftig trat sie auf die Bremse, als die Ampel vor ihr auf Rot sprang. Reiß dich zusammen! Du bist fünfunddreißig, offensichtlich älter als er, und noch dazu dreifache Mutter. Es ist völlig egal, wie du aussiehst. Er interessiert sich sowieso nicht für dich!

Trotzdem hatte Mark Delaney eine Menge fürs Auge zu bieten, und sie war weder blind noch tot. Zumindest noch nicht, auch wenn sie sich manchmal so fühlte. Im Grunde war ihre Reaktion auf ihn ein gutes Zeichen, nach allem, was sie durchgemacht hatte, oder? Sie löste das Haargummi und ließ ihr Haar offen auf die Schultern fallen.

Als sie in den Parkplatz bog, betete sie, dass ihre Töchter nicht die Letzten waren, die abgeholt wurden. Sie hatten wegen des Todes ihres Vaters schon genug Verlustängste und verdienten endlich ein normales, glückliches Leben.

Als sie an ihren vierzehnjährigen Sohn Peter dachte, schnürte sich ihr der Hals zu. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich Gedanken um ihn zu machen. Erst mal waren die Mädchen dran.

Sie parkte den Wagen und lief ins Klassenzimmer. Gracie und Claire saßen an einem Tisch und legten gerade ein Puzzle mit einem kleinen Mädchen mit Gipsbein, das sie bei der Einführungsveranstaltung kennengelernt hatten. Wie hieß es noch mal … Anna, oder?

„Darf Anna mit uns nach Hause kommen? Ihre Mom ist noch nicht da“, fragte Claire, die zwölf Minuten älter war und eindeutig den Ton angab bei den Zwillingen.

„Ich bezweifle, dass die Schule Kinder einfach so mit jemandem nach Hause gehen lässt“, antwortete Laurel diplomatisch.

„Man daf nicht mit Femden mitgehen“, schaltete Gracie sich ein.

„Wir sind aber keine Fremden“, korrigierte ihre Schwester sie. „Wir haben schon zusammen gespielt.“ Mit dem Mittelfinger schob sie ihre rosa Brille hoch.

„Ich kann mich noch erinnern. Du auch, Annie?“

„Sie heißt Anna.“

Die Zwillinge waren nicht geplant gewesen. Laurel war ein Jahr nach Alans Leukämieerkrankung schwanger geworden – fast zehn Jahre nach Peters Geburt.

Als Alan dann ein Jahr nach der Geburt der Mädchen einen Rückfall bekommen hatte, waren sie alle so davon absorbiert gewesen, dass Gracies chronische Mittelohrentzündung zu spät erkannt worden war. Die Flüssigkeit in ihrem Innenohr hatte ihr Gehör so stark beeinträchtigt, dass sie langsamer sprechen lernte als ihre Schwester. Inzwischen hatte sie zwar Röhrchen im Trommelfell, die ihr Gehör verbesserten, aber trotzdem sprach sie Wörter oft falsch aus, worauf Claire sie nur allzu gern hinwies.

„Ach, da bist du, Anna“, hörten sie eine atemlose Stimme mit unverkennbar irischem Akzent hinter sich. „Tut mir leid, dass ich so spät komme.“

„Macht nichts, Mom. Ich spiele gerade mit meinen Freundinnen.“

Die Frau richtete die Aufmerksamkeit auf Laurel. „Ich glaube, wir haben uns schon am Einführungsabend kennengelernt, oder? Ich bin Keela. Wir hatten in letzter Sekunde noch einen Notfallpatienten in der Praxis, deshalb bin ich so spät dran.“

Laurel lächelte. Sie wohnte zwar erst seit einer Woche in der Stadt, hatte aber bereits auf dem Wochenmarkt von der Physiotherapiepraxis und von Daniels nicht lange zurückliegender Hochzeit mit einer Irin gehört. In einer Kleinstadt wie Sandpiper Beach sprachen sich solche Dinge eben schnell herum.

„Ich bin auch gerade erst angekommen. Ehrlich gesagt sieht es nicht so aus, als hätten die Mädchen uns schmerzlich vermisst.“

„Gut möglich.“

„Die drei können sich ja irgendwann mal nachmittags verabreden“, schlug Laurel vor.

„Das wäre toll. Vielleicht an einem Samstag?“

Die beiden Frauen tauschten Telefonnummern aus, bevor sie gingen.

Als Mark am späten Nachmittag mit seiner Werkzeugkiste zu Laurels B&B ging, um ihr Türschloss zu reparieren, war er mit dem Streichen der Dachrandverkleidung fertig und hatte sogar schon mit dem Pavillon angefangen, den seine Mutter unbedingt für Hochzeitspaare und deren Gäste im Garten haben wollte. Einer der Vorteile, wenn man in einem Hotel aufwuchs, war, dass man handwerklich sehr geschickt und vielseitig wurde.

Laurel war im Vorgarten, als er die Straße überquerte. Zwei kleine Mädchen in gestreiften Leggings und dunkelblauen Oberteilen saßen auf den Verandastufen. Laurel wirkte etwas gestresst, denn sie stritt sich gerade mit einem schlaksigen Jungen mit strubbligen Haaren, der noch nicht ganz in seine Nase hineingewachsen war. Er trug eine Cargohose und ein altes, ausgeblichenes Bart-Simpson-T-Shirt.

Mark spielte schon mit dem Gedanken, sich wieder umzudrehen, aber der hitzige Wortwechsel zwischen Mutter und Sohn bewog ihn, weiterzugehen. Vielleicht konnte er Laurel ja auch bei diesem Problem behilflich sein.

„Peter, ich habe im Moment einfach zu viel um die Ohren!“

„Ich bin es leid, die beiden Nervensägen überall mit hinzuschleppen!“, kiekste der Junge, der anscheinend gerade im Stimmbruch war.

„Wir sind keine Nervensägen!“, rief die Kleine mit der Brille empört.

„Ich bitte dich ja nur, auf die Mädchen aufzupassen, solange ich Besorgungen mache. Ist das denn zu viel verlangt?“

„Ich habe keine Lust, ständig den Babysitter zu spielen!“

Die beiden blonden Mädchen sahen aus wie eineiige Zwillinge, allerdings trug das eine eine Brille und das andere war etwas kleiner, so konnte man sie unterscheiden.

„Singst du mit uns?“, fragte die mit der Brille.

„Bitte!“, bat die andere.

Ohne die Antwort ihres Bruders abzuwarten, stimmten sie ein Lied an, dessen Inhalt sie mit den Händen nachzeichneten. Laurel und Peter fuhren fort, sich zu streiten.

„Du weißt doch, dass ich dann doppelt so lange brauche!“

„Mir doch egal!“

Mark verlangsamte seine Schritte. Was sollte er jetzt tun? Einfach weitergehen und so tun, als habe er nichts von ihrem Streit mitgekriegt? Nein, das würde man ihm nicht abnehmen.

„Okay, dann bitte ich dich nicht mehr, sondern verlange von dir, hier zu bleiben!“

„Ich brauche auch mal etwas Zeit für mich allein!“ Peter schlug sich mit einer Faust gegen die Brust. „Du bist doch diejenige, die immer sagt, sich soll mich in der Stadt umsehen und andere Leute meines Alters kennenlernen!“

Mark blieb drei Meter vom Gartentor entfernt stehen. Wenn jemand das Bedürfnis nachvollziehen konnte, allein zu sein, dann er. Er zog sich praktisch nur noch zurück, seitdem er nach Hause zurückgekehrt war.

Laurel blieb hart. „Ich brauche aber deine Hilfe!“

„Ich gehe jetzt!“

Mark konnte sich gut vorstellen, wie hart es für einen Jungen sein musste, keinen Vater mehr zu haben, wenn man ihn am dringendsten brauchte, aber es passte ihm nicht, dass er hier seine Wut an seiner Mutter ausließ. Also beschloss er, sich doch einzumischen und Laurel den Rücken zu stärken. „Ist der Zeitpunkt gerade ungünstig?“

„Ach, Mark.“ Laurel sah ihn halb verunsichert, halb frustriert an. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen dunkel.

Als Peter sich unauffällig Richtung Gartentor entfernte, lächelte Mark ihm freundlich zu. „Hallo, ich bin Mark. Schön, dich kennenzulernen.“

Die einzige Reaktion des Jungen war ein vernichtender Blick. Seine Wut war nicht zu übersehen. Und zwar nicht nur auf Mark oder seine Mutter, sondern auf das Leben im Allgemeinen.

Die Mädchen sangen immer noch. Ihre Art, mit Stress umzugehen?

Peter funkelte die beiden genervt an, bevor er Mark und seiner Mutter den Stinkefinger zeigte und Richtung Strand davonlief.

„Peter!“, rief Laurel aufgebracht hinter ihm her.

Mark spielte mit dem Gedanken, Peter hinterherzulaufen und ihm gründlich den Marsch zu blasen, unterdrückte diesen Impuls jedoch, da es ihm nicht zustand.

Man musste schon sehr mutig oder verzweifelt sein, um einen Wildfremden in Gegenwart seiner Mutter zu beleidigen, das musste er Peter lassen. Laurel war wirklich nicht zu beneiden. Zumal Pensionsgäste in der Regel keine familiären Auseinandersetzungen mit anhören wollten.

Laurel rief wieder nach Peter, der keinerlei Anstalten machte, stehen zu bleiben oder sich umzudrehen. Verzweifelt raufte sie sich die Haare. Offensichtlich wusste sie nicht, ob sie die Verfolgung aufnehmen oder ihn ziehen lassen sollte.

Die Mädchen hatten inzwischen aufgehört zu singen und lehnten sich an Laurels Beine. Sie rieb ihnen die Schultern, was eine sichtlich entspannende Wirkung hatte. Dann brachte sie sie zurück zur Veranda.

„Willkommen in meiner Welt“, sagte sie niedergeschlagen zu Mark.

Zehn Minuten später probierte Mark den Schlüssel aus, den Laurel ihm für die störrische Haustür gegeben hatte. Um ihn nicht zu stören, durften sich die Kleinen eine Kindersendung im Fernsehen ansehen, während Laurel ihnen einen Snack in der Küche zubereitete.

Mark sprühte Graphitpulver in das Schlüsselloch, schob den Schlüssel ein paarmal ins Schloss und wieder heraus, bevor er ihn zu drehen versuchte. Es klappte sofort.

In diesem Augenblick betrat Laurel mit einem Teller Kekse die Veranda, setzte sich in den ersten der auf der vorderen Veranda aufgereihten Schaukelstühle und streckte die schlanken Beine aus. Sie hielt Mark den Teller hin. „Was halten Sie von einem Tauschhandel?“, fragte sie schelmisch.

„Arbeit gegen Schokoladenkekse? Genau mein Ding.“ Er griff nach einem Keks und schob ihn sich in den Mund. Er zerschmolz förmlich auf der Zunge. „Und ich komme sogar noch besser dabei weg.“

Sie lachte, was ihn freute. Und was für ein Lachen sie hatte – es hellte ihr ganzes Gesicht auf.

Unvermittelt wurde sie ernst. „Er trauert noch, wissen Sie?“ Sie sah Mark an, als sei es ihr sehr wichtig, dass er verstand, warum ihr Sohn vorhin so unhöflich gewesen war.

„Ich habe mir schon so etwas gedacht. Jemand wie Sie würde so ein Verhalten sonst bestimmt nicht durchgehen lassen.“

Sie lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne des Schaukelstuhls und knabberte an einem Keks. „Er gibt mir für alles die Schuld. Manchmal glaube ich, sogar für den Krebs seines Vaters.“

„Soweit ich mich erinnere, ist es auch so schon schwierig genug, ein Teenager zu sein. Wenn man dann auch noch einen Elternteil verliert, ist es doppelt so hart.“

„Er war erst zwölf, als Alan starb, aber schon lange vorher drehte sich in unserer Familie alles um Alans Krankheit. Peter hat eine Menge verpasst, das für andere Kinder selbstverständlich war. Wie schlimm muss das alles für ihn gewesen sein, wenn es mich schon fast umgebracht hat?“

Mark war irgendwie gerührt, dass sie sich ihm gegenüber so schnell öffnete. Er verspürte den Wunsch, ihr etwas zurückzugeben, aber er war etwas außer Übung. „Wie alt ist er jetzt – vierzehn?“

Sie nickte, ohne Mark anzusehen. Wieder biss sie nachdenklich in ihren Keks. „Wahrscheinlich weiß er einfach nicht, wie er wieder aus seinem Tief rauskommen soll. Vielleicht braucht er einen kleinen Anstoß oder so.“

Das Thema war Mark unangenehm. Er könnte nämlich das Gleiche über sich selbst sagen.

„Wir haben es schon mit einer Therapie versucht. Eine Weile ging er zu einer Teenager-Trauergruppe, aber dann wollte er plötzlich nicht mehr, und ich konnte mich nicht überwinden, ihn zu zwingen.“

Er nickte verständnisvoll. „Wahrscheinlich hat er Angst vor seinen Gefühlen. Er hat so lange so gelitten, dass er so etwas nie wieder durchmachen will.“

Sie seufzte. „Ich weiß nicht.“ Wieder sah sie Mark an – diesmal so intensiv, dass sie dabei an etwas rührte, das tief in ihm vergraben war. Spürte sie seinen Schmerz? „Sie hätten bestimmt nicht damit gerechnet, in meine familiären Probleme mit reingezogen zu werden, als sie mir angeboten haben, das Türschloss zu reparieren, oder?“

Er zwang sich zu einem Lächeln, weil sie gerade ein freundliches Gesicht gebrauchen konnte. Um seine plötzlich aufsteigenden Emotionen zu verdrängen, konzentrierte er sich auf ihr schulterlanges Haar. „Ist schon okay. In jeder Familie gibt es Probleme.“

Skeptisch hob sie die Augenbrauen, doch dann sah sie plötzlich ganz schuldbewusst aus. „Sorry, ich weiß selbst nicht, warum ich Ihnen einfach so meine Lebensgeschichte erzähle.“

„Keine Sorge. Reden Sie gern weiter, wenn Ihnen danach zumute ist.“

Wieder folgte ein intensiver Blickwechsel, nach dem Laurel anscheinend zu dem Schluss kam, dass sie sich für heute genug geöffnet hatte, denn sie lehnte sich zurück und biss wieder von ihrem Keks ab. Was aus irgendeinem verrückten Grund total sexy aussah.

Mark beschloss, das Thema zu wechseln. Er wollte nämlich nicht, dass sie ihm womöglich noch Fragen zu seiner eigenen Vergangenheit stellte. „Wenn Sie mir noch einen Keks geben, überprüfe ich gern noch die Schlösser an den Gästezimmertüren.“

Ihr Lächeln wirkte fast erleichtert, als sie ihm den Teller hinhielt. „Einverstanden.“

Als Mark kurz darauf die Treppe hochstieg, fiel ihm auf, dass sich im Obergeschoss nur Gästezimmer mit ihren Bädern befanden. Laurel und die Kinder mussten im hinteren Teil des Hauses im Erdgeschoss wohnen.

Wie aus dem Nichts fragte er sich, wie sie wohl aussah, wenn sie nicht ganz so gestresst war wie jetzt, beschloss jedoch, diesen Gedanken nicht weiterzuspinnen. Wozu auch? Laurel hatte zu viel um die Ohren für eine Beziehung, und das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Frau mit Kindern.

Nachdem er sämtliche Türen überprüft hatte, nahm er seine Werkzeugkiste und ging nach unten in die Küche, wo Laurel gerade Äpfel und Möhren schnitt. Für einen Moment blieb er in der Tür stehen und genoss den Anblick. „So, ich bin fertig.“ Er stellte eine kleine Flasche Graphit auf die Kücheninsel. „Sollten Sie wieder Probleme mit den Schlössern bekommen, nehmen Sie das hier.“

Laurel hörte auf zu schneiden und hob den Blick zu ihm. „Vielen Dank!“

In diesem Augenblick stürmten die Zwillinge in die Küche. Anscheinend war die Fernsehsendung vorbei „Wir haben Hunger!“, verkündete Claire, die Wortführerin der beiden.

„Ja, mein Magen murrt“, ergänzte Gracie.

Laurel warf beiden je ein Stück Möhre und Apfel zu. Überraschenderweise akzeptierten sie das Angebot und zogen sich zufrieden kauend in den Garten zurück.

„Sie wundern sich wahrscheinlich über Gracies Art zu sprechen, oder?“, fragte sie.

„Na ja, sie hat eine interessante Art, die Dinge auszusprechen.“

Laurel stützte seufzend Ellenbogen und Unterarme auf die Kücheninsel – eine Körperhaltung, die viel zu reizvoll war für seinen Geschmack. „Nach Alans Erkrankung war ich so mit ihm und seinen Bedürfnissen beschäftigt, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass Gracie Wasser in den Ohren hatte. Ich dachte, sie ist einfach noch klein und redet deshalb so. Erst nach Alans Tod ging ich mit den beiden zum Kinderarzt. Gracie brauchte Röhrchen, und Claire versagte beim Sehtest. Ich hatte von beidem überhaupt nichts mitgekriegt.“ Sie wirkte total schuldbewusst.

„Sie hatten nun mal eine Menge um die Ohren. Das Wichtigste ist doch, dass es nichts Lebensbedrohendes war und Sie sich um das Problem gekümmert haben.“ Er trat einen Schritt dichter an die Kücheninsel heran. „Vielleicht sollten Sie aufhören, so hart zu sich selbst zu sein.“

Sie blinzelte überrascht. „Finden Sie?“, fragte sie überrascht. „Vielleicht sollte ich Sie als Coach anheuern. Sie machen das wirklich gut.“

„Ha! Zuerst müssten Sie mir einen besorgen.“

„Ach ja?“, fragte sie überrascht. „Was ist Ihnen denn so widerfahren?“

Ihr neugieriger Blick brachte ihn etwas aus dem Konzept. „Zehn Jahre bei der Armee. Einsätze im Irak und in Afghanistan. Mehr muss ich wohl nicht sagen, oder?“

Für einen Moment wirkte sie ganz erschrocken, doch dann wandelte sich ihr Gesichtsausdruck, und sie sah ihn voller Verständnis und Mitgefühl an. Mark hatte plötzlich das seltsame Gefühl, dass sie für einen Augenblick verwandte Seelen waren – zwei Menschen, die harte Zeiten durchgemacht und sich immer noch nicht ganz davon erholt hatten.

Er hatte einen Weg gefunden, mit seinem Schmerz umzugehen. Jeden Nachmittag nahm er sein Surfbrett und ging zum Strand, um Wellen zu reiten. Was früher einmal seine große Leidenschaft gewesen war, war inzwischen eine Art Trost für ihn – wirksamer als Tabletten oder kaltes Bier.

Seltsam, wie die Dinge sich änderten. Er nahm an, dass sein Bedürfnis, zumindest einmal am Tag ganz für sich zu sein – allein mit dem Meer und der Natur – eine Menge mit seiner Posttraumatischen Belastungsstörung zu tun hatte. Abgesehen vom Geschrei der Möwen war es da draußen erstaunlich ruhig – der perfekte Ort, um abzuschalten. Aber was auch immer der Grund war – surfen war ihm immer noch wichtig, und er brauchte es.

Vor allem heute hatte er es bitter nötig.

Als Laurel begann, die Kücheninsel mit einem Schwamm abzuwischen, beschloss Mark zu gehen, doch irgendetwas hielt ihn noch zurück. Es war, als würde sein Körper nicht auf seinen Verstand hören wollen, der ihm riet, sich nicht in ihr Leben hineinziehen zu lassen. „Rufen Sie einfach an, wenn Sie etwas brauchen, okay?“ Jetzt machte auch noch sein Mund, was er wollte! Als Marks Blick auf einen Notizblock mit Kugelschreiber fiel, kritzelte er seine Handynummer darauf und ging.

„Das wird Ihnen bestimmt noch leidtun!“, rief sie halb im Scherz hinter ihm her.

Ehrlich gesagt bereute er es jetzt schon. Warum sollte er das Leben eines anderen Menschen in Ordnung zu bringen versuchen, wenn er sein eigenes noch nicht auf die Reihe kriegte? Den Frust konnte er sich sparen!

Trotzdem ertappte er sich dabei, wie ein Idiot zu grinsen, als er auf die Veranda hinaustrat. Und das nur, weil er zum ersten Mal seit seiner Entlassung aus der Armee einer Frau seine Telefonnummer gegeben hatte!

3. KAPITEL

Eine halbe Stunde später ging Mark mit seinem Surfbrett unterm Arm zum Strand. Als mittlerer Bruder hatte er sich schon früh gegen die Rolle des Vermittlers entschieden und war stattdessen Surfer geworden, was sich absolut bezahlt gemacht hatte. In Sachen Beliebtheit, Mädchen und Respekt. Auf der Highschool hatte er sogar eine Surf-AG gegründet und bei Wettbewerben ein paar Preise gewonnen.

Der Wind hatte aufgefrischt, sodass sich das Meer in der Ferne bereits zu Wellen auftürmte. Der Anblick brachte Mark zum Lächeln. Im Wasser tummelten sich die üblichen Verdächtigen in Neoprenanzügen, die meisten nur halb so alt wie er. Wahrscheinlich waren sie schon seit heute Morgen hier.

Auf halbem Weg zum Strand kam er an einer Gruppe laut pöbelnder Halbwüchsiger vorbei. Bei näherem Hinsehen handelte es sich um fünf Jungs mit hippen Skater-T-Shirts, die jemanden ärgerten, der viel kleiner war als sie.

Mark erkannte das strubblige hellbraune Haar, die Nase und das Bart-Simpson-T-Shirt des Opfers sofort wieder – Peter. Er hatte den Blick starr auf seine Flip-Flops gesenkt und schien sich äußerst unwohl zu fühlen, ließ sich jedoch von den Arschlöchern mobben. Aber was blieb ihm auch anderes übrig? Es waren fünf gegen einen.

Mark legte sein Brett hin und ging auf die Gruppe Jugendlicher zu. „Hey, Peter, ich habe schon nach dir gesucht! Es wird Zeit für deine Surfstunde.“

Peter hob den Kopf und sah ihn verblüfft an. Auch die anderen Jungs wirkten überrascht.

Mark ging weiter, als sei alles in bester Ordnung, suchte jedoch Blickkontakt mit dem Anführer, um ihm zu signalisieren, dass er genau wusste, was los war und jetzt Schluss damit war.

Einer der Vorteile – oder auch Nachteile, je nachdem, in welcher Stimmung Mark gerade war –, Sandpiper Beachs Surf-Champion zu sein, war, dass er stadtbekannt war. Sein Foto mitsamt Trophäe und gebleichtem Haar hing immer noch in der Highschool. Diese Loser oder Möchtegern-Halbstarken hier wussten daher, wer er war, so wie sie ihn anstarrten. Oder zumindest, wer er mal gewesen war.

„Wir albern nur ein bisschen mit dem Neuen herum.“

„Wir wussten nicht, dass er Sie kennt.“ Der Größte schubste Peter in Marks Richtung.

„Ich bin Peters Surflehrer. Er ist ein Naturtalent. Wir sehen uns.“

Mark ging mit Peter zurück zu seinem Surfbrett. Hoffentlich wussten die Typen jetzt, dass er sie im Auge behalten würde. So viel zu seinem Vorsatz, sich nicht in Laurel Prescotts Leben hineinziehen zu lassen.

„Erzählst du mir, was da gerade los war?“, forderte er den Jungen auf, als sie außer Hörweite der anderen waren.

„Ich saß gerade am Strand und las ein Buch, als sie plötzlich auftauchten und anfingen, mich zu ärgern. Arschlöcher!“

„Idioten gibt es eben überall.“

„Nein, für sie bin ich ein Nerd, weil ich anders bin als sie. Dünn, zu große Nase.“ Seine Wut war so deutlich spürbar, dass die Luft in seiner Gegenwart dicker zu sein schien.

Seit seinem Gespräch mit Laurel wusste Mark, dass Peter noch immer um seinen Vater trauerte, was ihn zur leichten Beute machte. Aus irgendeinem Grund hatten Arschlöcher ein gutes Gespür für Verletzlichkeit. „Hey, hast du dir die Typen mal angesehen und ihnen zugehört? Die haben gut reden! Sie haben dich wahrscheinlich nur geärgert, weil du der Neue bist und noch keine Freunde hast, die sich für dich stark machen. Aber das wird sich schon bald ändern.“

„Nicht, wenn ich ständig auf meine vierjährigen Schwestern aufpassen muss. Das ist nicht gerade cool.“

Ach, deshalb hatte er sich vorhin so heftig mit Laurel gestritten. Ob sie wusste, was dahintersteckte?

„Stimmt, aber Mädchen finden das bestimmt total süß.“

Peter verzog das Gesicht, als hätte Mark gerade etwas unglaublich Dämliches gesagt.

„Warum trägst du eigentlich das Bart-Shirt? Ist der wieder in Mode?“

Peter senkte den Blick zu seiner Brust. „Es hat meinem Dad gehört.“

Mark wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Der Junge vermisste seinen Vater offensichtlich immer noch sehr.

Schweigend gingen sie weiter, den Blick auf die Wellen gerichtet.

„Also, nachdem ich dich zu meinem Schüler erklärt habe, sollten wir vielleicht Ernst machen“, sagte Mark irgendwann. „Zieh den Bart Simpson aus. Trägst du Shorts unter deiner Cargohose?“

Peter nickte.

„Hast du dich mit Sonnenmilch eingecremt?“

Der Junge nickte wieder, aber da Mark davon ausging, dass er flunkerte, zog er ein Fläschchen Sonnenmilch aus seiner Hosentasche, und sie rieben sich beide ein.

„Und jetzt gehen wir ein paar Wellen reiten.“ Mark hatte keine Ahnung, ob Peter ihm dankbar für sein Eingreifen war oder er immer schon hatte surfen wollen, aber seltsamerweise widersprach er nicht.

Nach ein bisschen Theorie setzten Mark und Peter sich aufs Brett und warteten auf Wellen. Mark beschloss, die Zeit zu nutzen, um den Jungen besser kennenzulernen. „Wo bist du früher zur Schule gegangen?“

„Auf die Middle School in Paso Robles.“

„Was ist dein Lieblingsfach?“

„Kunst.“

„Bist du gut darin?“

„Irgendwie schon.“

„Hast du eine Freundin?“

Das trug ihm wieder einen vernichtenden Blick ein.

„Wer ist dein bester Freund?“

Peter starrte nur stumm aufs Surfbrett.

„Du hast keine Freunde?“

„Mein Dad war immer krank, okay?“, stieß der Junge hervor.

Mark ignorierte seinen aggressiven Tonfall. Es musste sehr schwierig sein, Freundschaften aufrechtzuerhalten, wenn man einen todkranken Vater hatte. Manche Eltern wollten vielleicht auch nicht, dass ihre Kinder einen dann besuchten. Aus der abergläubischen Furcht heraus, sich zu infizieren. Wer weiß? „Das muss ganz schön hart gewesen sein.“

„Es war total ätzend! Ich meine, ich habe ihn geliebt, aber alles war einfach nur noch scheiße!“

Jetzt wurde es allmählich interessant. „Kann ich mir vorstellen. Das war bestimmt eine ganz schöne Belastung.“

„Sie haben mich gezwungen, zu so einer dämlichen Gruppe zu gehen – nichts weiter als ein Haufen Loser.“

„Du meinst, weil ihr alle jemanden verloren habt, den ihr geliebt habt?“ Mark formulierte es bewusst anders – etwas, das er selbst in der Gruppentherapie gelernt hatte. Er wollte Peter nicht mit seiner negativen Selbstwahrnehmung und der der anderen Trauernden oder von Menschen in Therapie im Allgemeinen davonkommen lassen.

Der Junge presste die Lippen zusammen. Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.

„Die Wut, die du in dir spürst, ist völlig normal. Sie gehört zum Trauerprozess dazu. Wenn wir jemanden verlieren, den wir lieben, trauern wir um ihn. Und manchmal macht uns das sehr wütend.“

„Woher willst denn du das wissen?“, stieß Peter hervor.

„Ich habe beim Militär mehr Freunde verloren, als ich zählen kann. Ich weiß also, wovon ich rede.“

Seine Trauer hatte Mark nach seiner Rückkehr nach Sandpiper Beach am meisten zu schaffen gemacht. Sie hatte ihn mit voller Wucht eingeholt, nachdem ihn der Krieg nicht mehr abgelenkt und er eins und eins mit den Verlusten und den schrecklichen Erinnerungen konfrontiert worden war – jeden verdammten Tag. Er hatte damals nur zwei Reaktionen gekannt – auszuteilen oder sich zurückzuziehen. Also hatte er sich für Letzteres entschieden und sich bedeckt gehalten, bis er sich wieder gesellschaftsfähig gefühlt hatte.

Er sah etwas in Peters Blick aufflackern – Verständnis vielleicht? Zumindest hörte der Junge auf einmal aufmerksamer zu. „Das war hart“, sagte Mark. „Wirklich hart.“

„Ich werde nie aufhören, wütend zu sein. Ich hasse den Tod!“

Bei dieser Bemerkung musste Mark wieder an Laurel denken und was sie alles allein zu bewältigen hatte. Das hatten sie und er schon mal gemeinsam.

Seit ihrer Begegnung heute Morgen musste er ständig an sie denken, was ganz schön beunruhigend war. Ihm war aufgefallen, wie unsicher sie in seiner Gegenwart war und dass sie nicht oft lächelte, aber wenn, dann … wow!

Ihm wurde bewusst, dass sie viel zu jung aussah, um einen vierzehnjährigen Sohn zu haben. Trotzdem musste sie älter als Mark sein. Aber warum dachte er überhaupt darüber nach? Er wollte sich doch sowieso nicht in ihr Leben hineinziehen lassen.

Ach, verdammt, er steckte schon mittendrin!

Ihm fiel auf, dass der Junge ihn immer noch ansah.

„Du hast ein Recht auf deine Wut, aber deine Mom ist nicht diejenige, die sie abkriegen sollte.“ Als Mark die für einen Neuling perfekte Welle auf sie zukommen sah, sprang er vom Brett. „Okay, die nächste gehört dir. Paddle, paddle, paddle!“

Peter paddelte, als hinge sein Leben davon ab. Mark blieb neben ihm, als Peter versuchte, sich aufs Brett zu stellen. Er schaffte es, sich auf ein Knie zu stützen und für den Bruchteil einer Sekunde aufzustehen, bevor er kopfüber ins Wasser fiel.

Als er wieder auftauchte, lächelte Mark ihm anerkennend zu. „Hey, das war gar nicht schlecht.“

Überraschenderweise erwiderte Peter sein Lächeln. „Ich glaube, ich bekomme ein Gespür dafür. Können wir noch eine reiten?“

„Das ist die richtige Einstellung!“

Anderthalb Stunden später frischte der Wind auf. Peter sah inzwischen völlig durchgefroren aus, beschwerte sich jedoch nicht und machte weiter. Obwohl er es bisher noch nicht geschafft hatte, sich auf dem Brett zu halten, gab er nicht auf. Mark fand das bemerkenswert.

„Leg dich aufs Brett, ich schieb dich zum Ufer“, sagte Mark.

Zum zweiten Mal an diesem Tag widersprach Peter nicht.

Als Mark mithilfe einer Welle Richtung Küste schwamm, beschloss er, die gute Stimmung dafür zu nutzen, um den Jungen um einen Gefallen zu bitten. „Sag deiner Mom, es tut dir leid, wenn wir zurückkommen. Sie liebt dich, und es verletzt sie, wenn du sie so behandelst.“

Peter schlüpfte in seine Flip-Flops und streifte sich das Bart-Simpson-T-Shirt seines Vaters über. „Okay“, murmelte er widerstrebend.

Um fünf vor sechs kehrten sie zum B&B zurück.

„Das war richtig gut für das erste Mal. Wir sehen uns morgen um vier wieder, okay?“

Peter nickte.

„Fang schon mal mit den Gleichgewichtsübungen an, die ich dir gezeigt habe.“

„Okay. Aber mir tun ganz schön die Beine weh.“

Mark grinste, als sie bei der Gartenpforte ankamen. „Gewöhn dich schon mal dran. Bis morgen.“

Peter lächelte. „Bis morgen.“

„Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht!“, rief Laurel von der Veranda aus.

„Ich war mit Mark surfen“, sagte Peter, als sei das das Selbstverständlichste der Welt, und ging an ihr vorbei ins Haus.

„Mark?“

Er drehte sich zu Laurel um, die ihn völlig verblüfft ansah. „Danke.“

„Kein Problem.“

Vielleicht sparte Peter sich die Entschuldigung ja fürs Abendessen auf.

„Hey, Peter, hilfst du mir mal?“, rief Mark am Mittwoch Richtung Veranda. Er versenkte gerade die weißen Pfosten für das brandneue Schild des Prescott Bed & Breakfast in der Erde, wie er Laurel nach Peters zweiter Surfstunde angeboten hatte.

Der Teenager saß auf der Veranda, daddelte auf seinem Handy und machte keine Anstalten zu reagieren.

Mark stieß einen lauten Pfiff aus. „Dude!“

Erst jetzt schoss Peters Kopf hoch.

„Komm und hilf mir.“

„Ich weiß doch gar nicht, wie.“

„Dann lernst du es eben.“

Widerstrebend legte Peter sein Handy weg und schlurfte auf Flip-Flops auf Mark zu. „Ich weiß wirklich nicht, wie so etwas geht, und wir wollten doch noch surfen gehen.“

„Das machen wir morgen, versprochen.“ Peter wirkte etwas enttäuscht, nickte jedoch. „Okay, wir machen erst mal Folgendes.“

In der nächsten Stunde zeigte Mark dem Jungen, wie man ein Loch grub, einen Pfostenträger verankerte und einen Bohrer benutzte. Peter hatte bisher offensichtlich nie auch nur einen Hammer in der Hand gehabt, wirkte aber nicht ganz desinteressiert.

„Siehst du den Haufen Holz dort drüben?“ Mark zeigte auf den Rasen auf der anderen Straßenseite zwischen dem Hotel und dem Strand.

„Ja.“

„Das wird ein Pavillon. Ich möchte, dass du mir dieses Wochenende dabei hilfst, ihn aufzubauen.“

„Ich?!“, kiekste der Junge völlig entgeistert.

„Ja, du musst lernen, wie man mit einem Hammer umgeht, und ich werde dir beibringen, wie man eine Motorsäge und andere Elektrowerkzeuge benutzt. Was sagst du dazu?“

„Warum sollte ich so etwas lernen?“

„Weil es dir Selbstvertrauen geben wird, dich nützlich machen zu können.“ Und das hatte Peter bitter nötig. Auch deine Mom wird davon etwas haben. „So wie wenn man surfen lernt.“

„Und was ist, wenn ich nicht will?“

„Surfen?“

„Nein. Helfen.“

Denk nach! „Sieh es doch mal so“, versuchte Mark es. „Unser Hotel liegt direkt an der Main Street, dem Hauptzugang zum Strand. Alle Mädchen, die zum Strand wollen, kommen hier entlang, und wenn sie sehen, dass du etwas mit deinen eigenen Händen erschaffst, werden sie ziemlich beeindruckt sein.“

Peter betrachtete den Holzstapel auf der anderen Straßenseite und richtete den Blick dann auf die Main Street mit ihren kleinen Geschäften.

„Ist doch viel besser, als auf deine kleinen Schwestern aufzupassen, oder?“

Mark konnte förmlich sehen, wie es im Gehirn des Jungen klick machte. Anscheinend war seine Botschaft angekommen.

Obwohl Mark beim besten Willen keinen völlig unerfahrenen Assistenten gebrauchen konnte, wollte er Peter helfen. Vielleicht haute sich der Junge auch einen Finger platt, bekam einen Riesensplitter in die Hand und rührte danach für den Rest seines Lebens kein Holz mehr an, aber es war zumindest einen Versuch wert.

Eine halbe Stunde später hängten sie das Schild auf.

„Das sieht ja toll aus!“, rief Laurel von der Veranda aus. „Ich muss unbedingt ein Foto davon machen.“ Sie zog ihr Handy aus ihrer Hosentasche und ging auf die beiden Männer zu.

„Stellt ihr euch beide unter das Schild, ich mach das Foto“, schlug Mark vor.

„Oh.“ Verunsichert berührte sie ihr Haar. „Ich wollte eigentlich nicht …“

„Sie sehen ganz toll so aus. Ich knipse mehrere Fotos, dann können Sie das Beste davon aussuchen, um es bei Facebook reinzustellen.“

„Ehrlich gesagt bin ich kein Fan von Social Media.“

„Aber Sie müssen die Werbetrommel rühren.“

„Da haben Sie recht.“ Sie richtete den Blick auf ihren Sohn. „Peter, du hast so hart mitgearbeitet. Kommst du mit mir aufs Foto?“

„Och, Mom!“ Peter hatte offensichtlich keine Lust, in die Kamera zu lächeln, aber bei den Pfosten hatte er auch erst nicht helfen wollen.

„Wir wollen auch mit drauf!“ Claire schoss durch die Fliegengittertür und rannte über die Veranda und die Stufen herunter, Gracie dicht auf den Fersen. Laurel stellte die beiden Mädchen links und rechts vom Schild auf.

Irgendwann gelang es Mark, ein Foto von der ganzen Familie zu knipsen, das schöne Haus direkt hinter ihnen. Als er beim Durchklicken der Fotos auf eins stieß, auf dem Laurel halb stolz, halb nervös lächelte, spielte er mit dem Gedanken, es sich zu mailen. Ihre ganze Wesensart kam darauf zur Geltung.

„Das hier gefällt mir am besten. Ihnen auch?“

Sie zuckte die Achseln, aber er merkte, dass es ihr auch gefiel. „Soll ich es posten?“

„Klar.“

Als Mark kurz darauf zum Hotel rüberging, gestand er sich endlich ein, dass er auf Laurel stand. Ja, er mochte sie, und zwar nicht nur auf die nachbarschaftliche Art – ob er bereit dafür war oder nicht.

Durch Marks Aufforderung, das Foto zu posten, sah sich Laurel plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie sich endlich mehr mit Werbung auseinandersetzen sollte. Sich auf den Hosenboden setzen und die Eröffnung des B&B vorbereiten, anstatt sich von ihrem attraktiven Nachbarn ablenken zu lassen. Vor dem Hauskauf hatte sie jede Menge Ideen gehabt, aber der Umzug hatte sie vorübergehend abgelenkt.

Sie beschloss, einen Plan zu machen. Anzeigen in den Lokalzeitungen der Umgebung schalten, Termine bei der Handelskammer vereinbaren.

Wie wär’s mit einem Probelauf? Sie könnte Mitarbeiter von Reisebüros in der Gegend dazu einladen, eine Nacht hier zu verbringen, und damit schon mal Werbung für sich machen. Die Ideen überschlugen sich plötzlich in ihrem Kopf.

4. KAPITEL

Donnerstagnachmittag schaffte Peter es endlich, sich für ein paar Sekunden auf dem Surfbrett zu halten, was ihm so viel Aufwind gab, dass er auf dem ganzen Nachhauseweg strahlte. Bei seiner Rückkehr umarmte er sogar seine Mutter.

Laurel drehte sich zu Mark um und hob fragend eine Augenbraue.

„Er hatte einen tollen Tag am Strand“, erklärte Mark. „Aber ich überlasse es ihm, dir davon zu erzählen.“ Sie waren inzwischen zum Du übergegangen.

„Das ist ja toll.“

Sie sah mal wieder so hübsch aus, dass Mark noch nicht zum Hotel rübergehen mochte. Als sie die Verandastufen herunter und auf ihn zukam, konnte er den Blick gar nicht von ihr losreißen.

Sie wurde plötzlich ganz ernst. „Darf ich dich für morgen Abend mal ausborgen?“

Bei dieser Frage schossen ihm sofort alle möglichen Fantasien durch den Kopf.

„Ich will ein paar Appetizer machen, die ich meinen Gästen abends zusammen mit Wein servieren werde.“ Sie legte den Kopf schief und sah ihn hoffnungsvoll an. „Ich brauche einen Testesser.“ Sie wirkte so scheu wie ein junges Mädchen.

Er verdrängte seine Fantasien. „Mich? Vielleicht sollte ich dir Rita vorstellen, unsere Köchin. Oder meine Mom. Die beiden sind als Testesser viel besser geeignet.“

„Aber ich will dich.“ Sie legte ihm leicht eine Hand auf einen Unterarm.

Sie will mich? Mark wusste nicht mehr, wann er das zuletzt von einer Frau gehört hatte. „Wann soll ich kommen?“, fragte er, ihrer Berührung nur allzu bewusst.

„Um sieben. Und bring einen guten Appetit mit.“ Ihr liebes Lächeln und ihre funkelnden Augen beschleunigten seinen Herzschlag. Er erwiderte ihr Lächeln und sah ihr tief in die Augen. „Dann also bis morgen Abend.“

Laurel machte ihren Kindern früh Abendessen und schickte die Mädchen in ihr Zimmer, mit Lego spielen, um in Ruhe sechs Vorspeisen vorzubereiten, von denen Mark die drei besten aussuchen sollte. Peter war sowieso immer froh, wenn er allein sein konnte, vor allem nach seinen Surfstunden mit Mark.

Als sie fertig war, entkorkte sie den Rotwein – eine weiche Mischung aus drei verschiedenen Trauben – und legte den Weißwein in den Eiskühler. Danach ging sie ins Esszimmer, stellte schlichte Porzellanteller auf das antike Eichenbuffet und legte Leinenservietten dazu.

Warum zitterten eigentlich ihre Hände? War sie so nervös wegen des Probedurchlaufs nächste Woche und der anschließenden Eröffnung des B&Bs, oder hatte womöglich der großgewachsene und faszinierende Mark Delaney mit dem tollen Waschbrettbauch etwas damit zu tun?

Als er an der Tür klingelte und sie öffnete, stockte ihr der Atem bei Marks Anblick. Er hatte sich frisch rasiert, was seinen sexy Mund, den er gerade zu einem nicht minder sexy Lächeln verzog, nur umso mehr betonte. Beim Anblick seiner glatt rasierten Haut juckte es sie in den Fingern, sein Gesicht zu berühren. Nur mühsam riss sie den Blick von seinem Kinn los und richtete ihn auf seine Augen, die blauer aussahen denn je. Vielleicht lag es am Licht oder an seinem blauen Hemd.

„Hi“, sagte er. „Komme ich zu früh?“

Schluckend versuchte sie, ihre Nervosität zu verbergen und lächelte gezwungen. „Nein. Ganz und gar nicht.“ Als sie ihn ins Haus winkte, stieg ihr der Duft seines männlichen Aftershaves in die Nase. Mm, köstlich.

Sie ging ihm voran in die Küche. „Die Vorspeisen sind schon fertig. Sie müssen nur noch ins Esszimmer gebracht werden, wo ich sie servieren werde, sollte ich je Gäste haben.“

„Du meinst wohl, wenn du Gäste hast.“

„Ach ja, stimmt. Positiv denken.“ Warum machte seine körperliche Nähe sie nur so nervös? Lag es daran, dass er so männlich roch? Oder so gut aussah? Er war jünger als sie, das durfte sie nicht vergessen.

Er sah sie ganz seltsam an, so als spüre er irgendwie, welche Wirkung er auf sie hatte. Ohne darum gebeten worden zu sein, nahm er zwei Platten, um sie ins Esszimmer zu tragen. „Wow, die sehen ja toll aus.“

„Danke.“ Laurel nahm zwei weitere Platten. Nachdem sie beides nebenan auf den langen Tisch gestellt hatten, holten sie gemeinsam die letzten beiden Vorspeisen und den Wein. Konzentrier dich auf den Anlass für diese Einladung, nicht auf sein Aussehen. Oder seinen Duft. „Ich werde die Appetizer natürlich variieren, falls jemand länger als nur eine Nacht bleibt.“

„Klingt vernünftig.“ Mark drehte sich zu ihr um und stützte die Hände in die Hüften. „Und jetzt soll ich so tun, als sei ich dein Gast?“

Sein zweideutiges Grinsen machte sie schon wieder nervös. Es war schon viel zu lange her, dass sie mit einem attraktiven Mann zusammen gewesen war. Seit Alans Tod hatte ihr das noch nicht mal gefehlt … bis ihr vor fünf Tagen Mark Delaney aufgefallen war.

Ein Anflug von Trauer stieg in ihr auf. Sie hatte so viel durchgemacht, so viel verloren. Sie holte tief Luft und beschloss, die Erinnerungen abzuschütteln und sich auf Mark und ihre Rolle als Gastgeberin zu konzentrieren.

„Ja, bitte.“ Sie bedeutete ihm mit einer Geste, sich zu setzen.

„Warte“, sagte er. „Hast du schon ein Foto von den Appetizern gemacht, um es ins Netz zu stellen?“

Warum hatte sie nicht selbst daran gedacht? Tja, wahrscheinlich, weil sie gedanklich zu oft bei Mark war. „Nein. Gute Idee“ Sie kehrte zurück in die Küche, um ihr Handy zu holen, knipste ein paar Fotos und suchte zusammen mit Mark eins aus. Eins mit den beiden Weinflaschen im Hintergrund.

Mark nahm ihr das Handy weg, bewegte rasend schnell die Daumen und zeigte ihr, was er dazu geschrieben hatte: Häppchen um fünf im Prescott B&B, Sandpiper Beach. Seid ihr dabei? Eröffnung folgt in Kürze.

„Du hast echt ein Händchen für so etwas.“

„Mom hat Hilfe gebraucht, um das Drumcliffe ins Netz zu bringen. Ich habe dafür einen Crashkurs in Social Media gemacht, aber danach konnte ich sogar eine virtuelle Tour auf unsere Website stellen.“

„Beeindruckend. Du bist anscheinend ein Naturtalent.“

„Lass uns das doch auch für das B&B machen.“

„Das wäre toll!“

Er lächelte, als sei er genauso aufgeregt wegen der Eröffnung wie sie. Ihr wurde ganz warm ums Herz.

Wieder zeigte sie auf den Tisch, damit er sich setzte. „Ich will jedem Gast nach dem Einchecken kurz das Haus zeigen. Macht es dir etwas aus, wenn ich meinen Text an dir ausprobiere?“

„Ganz und gar nicht.“

„Fang ruhig schon mal an zu essen. Du brauchst nicht auf mich zu warten.“

Mark setzte sich hin, wartete jedoch mit dem Essen, während er ihrer kleinen Willkommensrede lauschte, die sie ausgearbeitet hatte. Sie kam sich dabei eher vor wie eine Schülerin bei einem Referat als wie eine fünfunddreißigjährige Frau.

Währenddessen schenkte sie ihm schon mal ein kleines Glas von jedem Wein ein und stellte den Käseteller mit Honig, Feigensoße und Nüssen vor ihn hin, um ihm die Entscheidung abzunehmen, womit er anfing.

Es gab noch Crostini mit selbst gemachter Guacamole, Erbsenpüree mit Minze und Salsa, einen Teller Tortillaröllchen mit Feta und Frischkäse mit getrockneten Cranberries, einen mit gefüllten Pilzen, süßsaure Fleischbällchen und Krebsküchlein. Ihre Gäste sollten sich zwischen fünf und sechs Uhr abends einfach selbst bedienen.

„Wow“, war alles, was Mark beim Probieren der Käsesorten von sich gab.

„Sei ruhig ehrlich, okay? Sag es, wenn etwas dir nicht schmeckt.“

„Willst du nicht mitessen?“

Sie nahm neben ihm Platz, schenkte sich ein kleines Glas Rotwein ein und bestrich etwas Brie mit Honig und Feigensoße, bevor sie ihn auf einen Cracker legte. „Gern. Allein essen macht schließlich keinen Spaß.“ Obwohl sie sich manchmal nach dem Luxus sehnte, allein zu essen – ohne Kinder, die ihre Aufmerksamkeit einforderten.

„Kann man wohl sagen.“ Er schien sich gar nicht entscheiden zu können, was er als Nächstes probieren wollte.

Ob er wohl oft allein aß? Konnte man denn einsam sein, wenn man in einem Familienhotel wie dem Drumcliffe wohnte und arbeitete? Eigentlich konnte Laurel sich das nicht vorstellen, aber seine Antwort suggerierte etwas anderes.

„Verdammt, ich habe das Gefühl, im Mini-Buffet-Himmel gelandet zu sein“, sagte er lächelnd und schob sich ein Fleischbällchen in den Mund. „Mann, ist das lecker!“

„Iss so viel, wie du willst.“ Seine positive Reaktion auf ihre Bemühungen erfüllte sie mit einem warmen Gefühl, das sie seit zwei Jahren nicht mehr empfunden hatte. Anscheinend hatte sie die Gegenwart eines Mannes mehr vermisst, als ihr bisher bewusst gewesen war.

Und Mark Delaney war der Auslöser dafür. Diese Erkenntnis machte ihr plötzlich fast Angst.

Mark aß, bis er nicht mehr konnte, und genoss dabei jeden Bissen. Der Wein hatte eine angenehm entspannende Wirkung auf ihn.

Ihm schoss die Idee durch den Kopf, im Drumcliffe etwas Ähnliches anzubieten. Sie stellten ihren Gästen jeden Morgen Kaffee in die Lobby, warum also nicht auch abends etwas anbieten? Es brauchte ja nicht gleich so fantastisch zu sein wie hier, aber vielleicht konnte Grandda im Pub einen Hauswein und frisch gezapftes Bier servieren. Nur für die Gäste natürlich, sonst würden die Einwohner ihnen die Bude einrennen.

Er richtete den Blick auf Laurel, die heute mal wieder besonders hübsch aussah. Sie trug das Haar offen und hatte etwas Lippenstift aufgetragen. Extra seinetwegen?

Doch er konnte sich nicht vorstellen, dass eine Frau wie sie sich auch nur ansatzweise für einen Mann wie ihn interessierte – einen kleinen Handwerker, der für seine Eltern arbeitete. Das hier war nichts weiter als ein Probelauf für künftige Gäste. Natürlich warf sie sich nicht extra für ihn in Schale.

Doch sooft er sich das auch sagte, wünschte er sich insgeheim doch, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Zumindest ein bisschen.

Was hatte Laurel nur an sich, dass er sich plötzlich wieder Dinge wünschte, die in seinem Leben schon lange keine Rolle mehr gespielt hatten?

Sie trug einen knielangen khakifarbenen Rock, der ihm den bislang besten Blick auf ihre Beine bot. Sie hatte schmale Fesseln, hübsche Waden und glatte Haut, und aus ihren Sandalen lugten orangerot lackierte Zehennägel hervor. Ihm gefiel alles, was er sah.

Als er nach seinem Glas griff und noch einen Schluck Wein trank, spiegelte sie seine Bewegungen unbewusst, denn sie folgte seinem Beispiel. Währenddessen trafen sich ihre Blicke. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Ihr Blick aus hellbraunen Augen war so weich und intensiv wie der Geschmack des Rotweins.

Plötzlich spürte er eine Art innere Abwehr. Er war immer noch vom Krieg traumatisiert. Er wollte Laurel ja gern näherkommen, doch schreckte er auch davor zurück.

Trotzdem sprach nichts dagegen, ihr in die wunderschönen Augen zu sehen.

„Hey, kann ich ein Fleischbällchen haben?“ Peter tauchte in der Tür auf. Sein Haar sah so zerzaust aus, als habe er gerade geschlafen.

Seine Frage riss Laurel aus ihrem und Marks sehr anregendem Blickduell, was Mark etwas enttäuschte, obwohl sie ihm in Gegenwart ihres Sohns natürlich keine schönen Augen machen konnte. „Klar.“

„Dürfen wir auch was?“

Die Zwillinge stürmten ebenfalls ins Esszimmer. Laurel gab ihnen je ein Frischkäseröllchen.

Der Junge verschlang die letzten drei Fleischbällchen, bevor er sich über den Toast und die Guacamole hermachte.

Da er gerade einigermaßen bei guter Laune zu sein schien, beschloss Mark, die Gelegenheit zu nutzen: „Peter, passt du ein Weilchen auf die Mädchen auf, damit deine Mutter und ich etwas am Strand spazieren gehen können?“

Peter hörte auf zu kauen und sah Mark verwirrt an. Vermutlich fragte er sich, warum sein Surflehrer plötzlich Zeit mit seiner Mutter verbringen wollte.

„Spielst du Videopiele mit uns?“, fragte Gracie ihren Bruder.

Peter verzog das Gesicht. „Ich sehe mit euch fern, aber ich darf aussuchen, was wir gucken. Und ich nehme die Guacamole mit.“ Er griff nach dem Teller und verschwand mit seinen Schwestern, ohne Marks Frage klar beantwortet zu haben.

„Das ist dann wahrscheinlich ein Ja“, sagte Laurel belustigt.

Sie und Mark standen auf. „Seid schön lieb, ich bin bald wieder zurück“, rief Laurel ihren Kindern von der Haustür aus zu.

„Okay“, rief Peter, den sein Auftrag ausnahmsweise mal nicht zu stören schien. Aber er hielt sich ja auch im Haus auf, wo ihn niemand von seiner Schule sehen konnte.

„Okay!“, echoten Claire und Gracie.

Laurel und Mark traten hinaus auf die Veranda in die kühle Abendluft. Noch war es zu hell, um die Sterne am Himmel zu sehen.

„Seit du Peter Surfunterricht gibst, wirkt er viel ausgeglichener. Er grübelt nicht mehr so viel. Er ist irgendwie … ruhiger? Und mir gegenüber nicht mehr so aufsässig.“

„Echt?“

„Ja, und das habe ich anscheinend dir zu verdanken.“

Mark war sich nicht sicher, ob er ihr Lob wirklich verdiente, aber er freute sich trotzdem darüber. Wer weiß, vielleicht hatte er ja tatsächlich einen positiven Einfluss auf den Jungen.

„Peter macht eindeutig Fortschritte. Er widerspricht mir nicht mehr bei allem. Höchstens noch bei der Hälfte.“ Lachend streifte sie ihre Sandalen ab und ging barfuß im noch warmen Sand weiter. „Mit seinen Schwestern hat er auch viel mehr Geduld.“

Mark sagte nichts dazu. Wenn sie Peters verändertes Verhalten ihm zuschreiben wollte, bitteschön, aber was ihn noch viel mehr freute, war, dass sie selbst viel entspannter wirkte als noch vor Kurzem.

Da sie vor ihm ging, nutzte er die Gelegenheit, ungestört ihre schönen Beine zu betrachten. Hinterher musste er sich ganz schön beeilen, um sie einzuholen. „Wir haben es doch nicht eilig, oder?“

„Oh!“ Überrascht blieb sie stehen. „Nein, ich bin wohl nur so daran gewöhnt, alles schnell zu machen, dass ich ganz vergessen habe, wie man sich entspannt.“

So verrückt das vielleicht war, aber Mark verspürte plötzlich das Bedürfnis, es ihr beizubringen. Vielleicht erinnerte er sich dabei ja selbst wieder daran, wie das ging.

Als er ihre Hand nahm, entzog sie sie ihm nicht. „Atme erst mal tief durch.“ Ihre schmalen Finger fühlten sich kühl in seinen an, aber ihre Handfläche war warm. Es war ein tolles Gefühl, mal wieder die Hand einer Frau zu halten.

Sie folgte seiner Aufforderung, ging langsamer weiter und atmete dabei die salzige Meerluft ein, bevor sie ihn etwas verunsichert ansah. „Komme ich denn so rüber? Gestresst und angespannt?“

Sie klang weder gekränkt noch herausfordernd, sondern nur neugierig, also antwortete er ihr ganz ehrlich: „Du hast eine Menge Verantwortung zu tragen. Sagen wir mal, manchmal merkt man dir an, dass es etwas zu viel für dich ist.“

Laurel schwieg, als sie an der Rettungsschwimmerstation vorbeikamen. Sie drückte ihm die Hand. „Ich habe mir mit dem B&B vielleicht mehr zugemutet, als ich sollte, aber wir brauchen dringend einen Neuanfang.“ Mit einem Blick fragte sie ihn, ob es okay für ihn war, wenn sie weitersprach. Er nickte aufmunternd.

„Wir waren alle so traurig. Die Lücke, die Alan mit seinem Tod in unserem Leben hinterlassen hatte, war einfach zu schmerzlich, und zu Hause hat uns alles an ihn erinnert. Er hat mir einen Brief hinterlassen, in dem er mich gebeten hat, das Geld aus seiner zweiten Lebensversicherung für etwas Besonderes zu verwenden. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um die Entscheidung zu treffen, ein Bed & Breakfast zu eröffnen. Auch wenn ich deswegen manchmal an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifle.“

„Ich freue mich, dass du das Haus gekauft hast. Es ist wunderschön.“ So wie du. „Du hast etwas ganz Tolles daraus gemacht.“ Er blieb stehen und sah sie an. „Ich weiß, wie es ist, wenn man so fixiert auf eine Sache ist, dass alles andere daneben verblasst. Ich will damit sagen, dass auch ich verlernt habe, wie man Spaß hat.“

„Dann sprichst du also aus Erfahrung?“, fragte sie belustigt.

Er erwiderte ihr Lächeln und genoss den Anblick des sich in ihren Augen spiegelnden Mondes.

Plötzlich stieß sie ihn mit beiden Händen von sich weg und rannte aufs Meer zu. „Wer zuerst im Wasser ist, gewinnt!“ Sie raffte ihren Rock, um schneller zu sein.

Mark war vom Anblick ihrer nackten Beine und ihrem plötzlichen Stimmungswechsel so aus dem Konzept gebracht, dass er nur mit Verzögerung auf ihre Herausforderung reagierte und losrannte.

Sie quietschte laut auf, als ihr das kalte Wasser um die Füße schwappte. „Gewonnen!“

„Das reicht noch nicht. Du hast gesagt, wer zuerst drin ist.“ Mark rannte auf sie zu, ohne darauf zu achten, dass seine Jeans dabei bis zu den Knien durchnässt wurde, hob sie hoch und tat so, als wolle er sie in die nächste Welle schmeißen.

Erschrocken kreischte sie auf, musste dann jedoch lachen, bis er laut bis drei zählte und wieder drohte, sie ins Wasser zu werfen. Laut aufschreiend vergrub sie das Gesicht an seiner Schulter.

Mark genoss das Gefühl, sie in den Armen zu halten … bis der Sog einer sich zurückziehenden Welle ihn nach hinten zog und den Sand unter seinen Füßen wegspülte. Er kam ins Straucheln und ließ Laurel fast fallen. Um nicht endgültig das Gleichgewicht zu verlieren, stellte er sich breitbeinig hin, doch schon kam eine zweite, noch höhere Welle und riss sie um, sodass sie erschrocken aufschreiend ins Wasser fielen.

„Es tut mir leid!“, rief er entschuldigend.

Anstatt sauer zu sein, lachte sie lauthals. Nachdem er ihr hochgeholfen hatte, spritzte sie ihn nass und rannte dann zurück zum Strand und weiter. Was blieb ihm anderes übrig, als ihr zu folgen? Auch wenn das in klitschnasser Jeans und mit Wasser gefüllten Sneakers eine echte Herausforderung war.

„Was werden die Kinder denken, wenn ich so zu Hause auftauche?“, rief sie über eine Schulter.

„Dass du Spaß hattest?“

Schließlich holte er sie ein. Sie waren beide völlig außer Atem, aber sie lächelte immer noch. Wieder wurde ihm bewusst, wie sehr sie ihm gefiel. So sehr sogar, dass er plötzlich das Bedürfnis verspürte, sie zu küssen.

Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Es war schon lange her, dass er sich in der Gegenwart einer Frau so wohl gefühlt hatte, dass er daran gedacht hatte, sie zu küssen. Seit seinem letzten Einsatz vor zwei Jahren hatte er sich nicht mehr so zu jemandem hingezogen gefühlt.

Doch Laurel und er lernten einander gerade erst kennen. Wenn er jetzt seiner verrückten Laune nachgab, konnte das ihr freundschaftliches, nachbarschaftliches Verhältnis ruinieren.

Ihr Lächeln erlosch, und sie sah ihn plötzlich ganz ernst an. Anscheinend spürte sie, was in ihm vorging. Als er immer noch zögerte, hob sie etwas das Kinn – eine herausfordernde Geste, die er so verlockend fand, dass er seine Vorbehalte verdrängte und die Lippen auf ihre presste. Sie fühlten sich warm und weich und unglaublich verführerisch an. Genauso gut wie sie aussahen. Je länger sie sich küssten, desto mehr breitete sich ein warmes Gefühl in seiner Brust aus.

Als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten, senkte Laurel scheu den Blick, nahm jedoch auf dem Rückweg seine Hand. Mark bereute plötzlich, sie nicht so geküsst zu haben, wie er eigentlich gewollt hatte.

Vor ihrer Gartenpforte beschloss er, nicht mit reinzukommen. „Du kannst den Kindern ja sagen, dass ich mit dir gewettet habe, dass du dich nicht traust, ins Wasser zu gehen.“

„Ich wollte ihnen eigentlich sagen, dass ich dich vor einem Hai retten musste“, witzelte sie.

Er lachte. Laurel wirkte tatsächlich entspannter als sonst. Wie es wohl wäre, wenn sie allein in ihrem großen Haus wären, jetzt, wo sie das Eis gebrochen hatten? „Hast du morgen wieder etwas für mich zu tun?“

Sie legte den Kopf schief. „Oh, ich glaube, da fällt mir schon was ein“, sagte sie neckisch. „Vor oder nach deinem Projekt mit Peter?“

„Danach.“

„Ich mache uns etwas zum Mittagessen.“

„Das brauchst du nicht.“

„Ich will aber.“

„Okay, dann nehme ich dein Angebot an.“

„Okay“, bestätigte sie.

Wenn sein Eindruck ihn nicht trog, flirtete sie gerade mit ihm. Das freute ihn. Sehr sogar.

Als er mit quietschenden Schuhen und unangenehm nasser, kalter und scheuernder Jeans zum Hotel ging, musste er trotzdem grinsen. Er hatte bei seinem Strandspaziergang mit Laurel viel Spaß gehabt, und dass er sie schon morgen wiedersehen würde, beflügelte ihn noch mehr.

Samstag nahm Mark Peter unter seine Fittiche, und nach vier Stunden harter Arbeit waren sie gut mit dem Rohbau des Pavillons vorangekommen. Peter hatte gelernt, mit verschiedenen Werkzeugen umzugehen, darunter einer Tisch- und Kettensäge und – seinem Grinsen nach zu urteilen seinem persönlichen Lieblingsgerät –, einer Nagelpistole.

Um halb eins kam Laurel herüber, um sie daran zu erinnern, dass es um ein Uhr Essen geben würde. Sie trug braune Leggings, die ihre hübschen Kurven betonte, und ein ärmelloses Oberteil, das locker saß, aber dennoch sexy aussah. Das Haar hatte sie sich wieder zu einem Pferdeschwanz hochgebunden – Marks Lieblingsfrisur.

Beflügelt von der Aussicht auf das Mittagessen mit ihr, ging er mit noch mehr Schwung an die Arbeit. Peter und er versenkten die Pfosten, verbanden die Balken und bauten sogar schon zwei Fenster ein. Als Laurel sie eine halbe Stunde später rief, hatten sie sich ihr Mittagessen redlich verdient.

Wie es aussah, hatte sie keine Mühe gescheut. Die Kücheninsel war mit Zutaten für Sandwiches übersät – mehrere Aufschnitt- und Käsesorten, drei verschiedene Brotsorten, Salat, Tomaten und eingelegte Gurken.

„Probier mal die hier“, sagte Laurel und zeigte auf eine kleine Schale mit einer Creme, die neben der Mayonnaise und dem Senf stand. Da Mark sich noch nicht die Hände gewaschen hatte, tauchte sie einen Zeigefinger ein und hielt ihn Mark hin. „Sag mir, was du davon hältst.“

Beim Anblick ihres ausgestreckten Fingers schossen ihm alle möglichen unpassenden Fantasien durch den Kopf. War ihr eigentlich bewusst, was sie da mit ihm anstellte?

Nach kurzem Zögern schloss er die Lippen um ihren Finger und genoss mit allen Sinnen ihre warme Haut und die würzige Soße. Er war verblüfft, wie sexy es war. Leider machte er den Fehler, ihr dabei in die Augen zu sehen.

Oh ja, das hier ging weit über das bloße Probieren von Aufstrich hinaus – es war eine Fortsetzung ihres Kusses vom Strand. Die Bilder, die ihm durch den Kopf schossen, waren so erregend, dass ihm ganz heiß wurde, doch in Gegenwart der Kinder, die sich an der Kücheninsel Sandwiches schmierten, verzichtete er darauf, Laurel an sich zu ziehen und sie zu küssen.

Sie schien ihm sein Verlangen anzumerken, denn ihre Augen verdunkelten sich. Hatte sie ihn etwa mit Absicht aufgestachelt?

Als ihm bewusst wurde, dass sie auf eine Reaktion wartete – vorzugsweise eine verbale und eindeutig eine über der Gürtellinie –, riss er sich zusammen. „Wow! Was ist da drin?“

Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und lächelte selbstzufrieden. „Das ist mein kleines Geheimnis. Damit wird jeder Aufschnitt zum Knaller.“

Noch nie hatte es ihn so angetörnt, über Sandwiches zu reden. „Dann nehme ich das auf jeden Fall.“ Er ging zur Spüle, um sich die Hände zu waschen, obwohl er sich das kalte Wasser am liebsten über den Kopf geschüttet hätte.

Nach dem Mittagessen, bei dem das Truthahnfleisch zwischen den Laken – äh, er meinte Brotscheiben – definitiv der Knaller gewesen war, hatte Laurel wie versprochen etwas für ihn zu tun.

Sie holte ihren Laptop, klappte ihn auf der Kücheninsel auf, und bat Peter, Mark die große Überraschung zu zeigen, während die Zwillinge ihr beim Aufräumen der Küche halfen.

Auf dem Laptop befand sich die brandneue Website für das B&B. Laurel hatte Marks Rat also befolgt, was ihn fast so antörnte, wie ihren Finger abzulecken.

„Ich habe eine Website für das Prescott B&B eingerichtet“, erklärte Peter. „Sie ist nichts Besonderes, aber Mom hat mir geholfen, ein paar Fotos dafür auszusuchen. Was sagst du dazu?“

Abgesehen davon, dass die Website ganz schön spät kam? „Das ist richtig gut.“ Mark war wirklich beeindruckt … und froh über die Gelegenheit, sich von Laurel und ihrer Wirkung auf ihn abzulenken. „Sieht so aus, als bräuchtet ihr meine Hilfe gar nicht.“

„Hast du nicht gesagt, du könntest einen virtuellen Rundgang reinstellen?“, rief Laurel ihm von der Spüle aus ins Gedächtnis.

„Ach ja, richtig. Das müsste hier ohne Weiteres gehen.“ Wieder sah er ihr in die schönen Augen.

„Genau dafür brauche ich deine Hilfe. Du bist schließlich der Typ mit dem schicken neuen Smartphone.“

„Ich verstehe.“ Also hatte sie ihn nicht ohne Hintergedanken um den kleinen Finger gewickelt.

In der nächsten Stunde filmten er und Laurel einen Rundgang durch die sechs Gästezimmer. Zwei Einstellungen mussten sie wiederholen, weil Mark aus Versehen irgendwo gegenstieß oder seine Hand zitterte. Kein Wunder, wenn Laurel ihm die ganze Zeit nicht von der Seite wich.

Danach fotografierte er jedes Zimmer für die gleichnamige Rubrik von seiner besten Seite, filmte den Weg über die Veranda ins Haus und dann die Treppe hoch in den ersten Stock, dessen Flur Laurel geschickt mit Antiquitäten möbliert hatte.

Der Sitzbereich lud die Gäste dazu ein, es sich in den bequemen Sesseln und Sofas gemütlich zu machen und eins der Bücher aus den gut bestückten Regalen zu lesen. Laurel musste viel Zeit in Antiquariaten verbracht haben, um die Klassiker mit Ledereinband zusammenzutragen, hatte aber auch eine Auswahl aktueller Taschenbücher. Als er fertig war, mailte er Peter die Videos, damit der sie hochladen konnte.

Leider waren das die einzigen Augenblicke, die er allein mit Laurel verbrachte, und natürlich war es rein geschäftlich. Klar stießen sie beim Filmen mehrmals zusammen, entschuldigten sich wortreich und versicherten einander, dass es kein Problem war, aber insgeheim hatte Mark auf mehr gehofft. Na ja, vielleicht ein andermal.

Trotzdem fühlte er sich schon pudelwohl, wenn er einfach nur mit ihr zusammen war. Was war bloß los mit ihm? Er war immer noch meilenweit davon entfernt, das Hotel seiner Eltern zu übernehmen. Woher kam der plötzliche Wunsch, sich bei Laurels B&B zu engagieren? Das machte einfach keinen Sinn.

Als er ging, hatte er kaum einen Moment allein mit Laurel gehabt, aber zumindest hatten sie beim Essen öfter vielsagende Blicke gewechselt. Wie sich herausstellte, musste Mark eine ganze Woche davon zehren, weil sie beide zu viel zu tun hatten, um sich zu treffen.

5. KAPITEL

Am folgenden Freitagmorgen konnte Laurel ihre Aufregung und Nervosität kaum verbergen. Drei Mitarbeiter örtlicher Reisebüros hatten auf ihre Mail geantwortet und wollten heute Abend zum Probedurchlauf ins B&B kommen. Sie würden sich von ihr das Haus zeigen lassen, dabei etwas über seine Geschichte erfahren, sich die sechs Gästezimmer ansehen, die Betten testen und Laurels Wein und Appetithäppchen probieren. Und morgen Vormittag würden sie zum Brunch zurückkommen.

Mark arbeitete gerade am Pavillon, als sie die Straße überquerte, um ihm die gute Neuigkeit mitzuteilen. „Mark! Du wirst es kaum glauben!“

Er lächelte bei ihrem Anblick. Nach einer Woche, in der sie Katz und Maus miteinander gespielt hatten und sie sich schon gefragt hatte, ob sie sich sein Interesse nur eingebildet hatte, verfehlte sein Lächeln seine Wirkung auf sie nicht. Genauso wenig die Tatsache, dass er mit nacktem Oberkörper arbeitete …

„Gute Neuigkeiten?“

Es fiel ihr schwer, den Blick von seinem muskulösen Oberkörper loszureißen und ihre Gedanken zu sortieren. „Oh ja, ganz hervorragende!“ Als sie ihm erzählte, was sie heute Abend und morgen Vormittag vorhatte, freute Mark sich so für sie, dass er sie spontan umarmte. Wie sie den Duft warmer Männerhaut vermisst hatte!

Nur mühsam riss sie sich zusammen. „Die Sache ist nur die: Wenn sie hier ankommen, brauche ich jemanden, der während der Führung auf die Mädchen aufpasst.“

„Hat Peter denn keine Zeit?“

„Peter soll in seinem Zimmer bleiben. Wenn er auf die Mädchen aufpasst, gibt es keine Garantie, dass nicht irgendein Problem auftaucht oder die Mädchen Ärger machen.“

Mark verzog das Gesicht, und das nicht nur wegen der Sonne in seinen Augen. „Bittest du mich etwa zu babysitten?“

So ausgedrückt klang das natürlich völlig unzumutbar. Sie räusperte sich verlegen, aber leider fiel ihr keine Alternative ein. „Nicht im üblichen Sinne“, stammelte sie. „Vielleicht könntest du dich einfach nur für eine halbe, höchstens eine Dreiviertelstunde zu ihnen ins Zimmer setzen und dafür sorgen, dass sie ruhig sind?“

Verblüfft sah er sie an. „Hast du dir da vorher keine Gedanken darüber gemacht? Was mit den Kindern passiert, wenn die Gäste da sind, meine ich?“

Jetzt kam Laurel sich erst recht wie eine Vollidiotin vor. „In Zukunft organisiere ich das besser, versprochen. Aber kannst du heute ausnahmsweise mal einspringen?“

Er zuckte die Achseln. „Dann fällt aber Peters Surfunterricht aus.“

„Das ist okay für ihn. Ich habe ihn gestern Abend gefragt.“

Mark hatte Laurel in den letzten zwei Wochen schon in allen möglichen schwierigen Situationen erlebt, hatte sie aber noch nie so verzweifelt gesehen. Also dachte er tatsächlich über ihre unerhörte Bitte nach. Und sagte schließlich Ja. Aber nur, weil er sie mochte. Wirklich mochte.

Um Viertel vor vier duschte er, zog sich an und ging zum B&B. Als er dort ankam, konnte er Claire und Gracie laut kreischen und lachen hören. Es war offensichtlich eine gute Idee, sie ruhigzuhalten, wenn die Gäste kamen. Aber was war morgen früh beim Frühstück? Wer passte dann auf sie auf?

Er klopfte an die Tür.

„Ist er das?“, hörte er die Mädchen dahinter aufgeregt fragen.

„Beruhigt euch“, antwortete Laurel, bevor sie die Tür öffnete. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt, trug ein blau gemustertes Kleid und farblich dazu passende Pumps, die ihre langen schönen Beine betonten. Sie sah fantastisch aus, schicker, als er sie je gesehen hatte.

Sie war so ganz anders als die Mädchen, mit denen Mark früher ausgegangen gewesen war. Eine Klassefrau wie sie würde ihn normalerweise keines Blickes würdigen. Vielleicht passte er deshalb ja heute Abend nur auf ihre Kinder auf, anstatt sie zum Abendessen einzuladen.

„Hi.“ Sie wirkte ziemlich gestresst.

„Du siehst toll aus.“

„Danke.“

Die Mädchen hüpften aufgeregt auf und ab, als er eintrat. Sie trugen etwas, das wie ein Feenkostüm aussah, eins in Neonpink und eins in Knallgrün. „Wir machen gleich eine Teeparty!“

„Ach ja?“ Verdutzt hob er den Blick zu Laurel, die jedoch nur mit den Schultern zuckte. „Okay, dann mal los.“ Er scheuchte die beiden zu ihrem Zimmer.

„Ich schulde dir was“, sagte Laurel, als sie ihm und den Mädchen in den hinteren Teil des Hauses folgte.

„Das tust du allerdings.“

Sie schloss die Tür hinter ihnen und trennte damit die Wohnräume ihrer Familie vom Rest des Hauses ab. Obwohl Mark sich plötzlich eingesperrt vorkam, dachte er schon darüber nach, womit Laurel ihn später entschädigen konnte.

„Okay, Mädels, wenn man eine Teeparty feiert, muss man vor allem leise sprechen.“

Beim Anblick des winzigen gedeckten Tisches mit drei ebenso winzigen Stühlen, von denen einer offensichtlich für ihn vorgesehen war, musste er schlucken. Vorsichtig nahm er Platz, wobei ihm die Knie fast bis zum Kinn reichten. So weit so gut.

Der Tee bestand aus Wasser, aber die Kekse waren frisch gebacken, also war nicht alles schlecht. Und das Wichtigste war, dass die Mädchen seiner Aufforderung folgten und leise sprachen. Aber wie lange würde das anhalten?

Nachdem sie die Kekse in Rekordzeit verdrückt hatten, kam ihm eine Idee. „Hey, habt ihr Lust, mir beim Hämmern zuzusehen?“

„Ja!“, riefen die beiden einstimmig.

„Pst, pst. Leise sprechen, wisst ihr noch?“, flüsterte er, und sie verstummten sofort. „Okay, folgt mir.“

Den Zeigefinger auf den Mund gelegt schlich er auf Zehenspitzen mit den Mädchen durch die Küche zur Hintertür hinaus und durch den Garten, der inzwischen picobello aussah. Mit je einem Zwilling an den Händen überquerte er die Straße und ging zum Pavillon.

Kaum waren die beiden dort, fingen sie sofort an, wild auf dem Rasen herumzuhüpfen und zu tanzen. Um etwas von seiner männlichen Würde zurückzuholen, griff Mark nach einem Hammer und machte sich an die Arbeit.

„Darf ich auch mal?“, fragte Claire ein paar Minuten später.

„Ich auch?“, kam von Gracie.

Er ließ die beiden abwechselnd den Hammer ausprobieren. Claire schlug nur sehr zaghaft auf den Nagel, den er ihr hinhielt, doch Gracie haute kräftig zu, traf jedoch nicht den Nagelkopf, sondern Marks Zeigefinger und Daumen.

Autor

Wendy Warren

Wendy lebt mit ihrem Ehemann in der Nähe der Pazifikküste. Ihr Haus liegt nordwestlich des schönen Willamette-Flusses inmitten einer Idylle aus gigantischen Ulmen, alten Buchläden mit einladenden Sesseln und einem großartigen Theater. Ursprünglich gehörte das Haus einer Frau namens Cinderella, die einen wunderbaren Garten mit Tausenden Blumen hinterließ. Wendy und...

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