Bianca Gold Band 57

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DARLING, WIR SIND SCHWANGER von MINDY NEFF

Kurz vor seiner Hochzeit findet der smarte Unternehmer Dylan Montgomery einen Zettel in seiner Jackentasche: Er wird Vater! Die Mutter ist allerdings nicht die Frau, die er aus geschäftlichen Gründen heiraten muss. Sondern Whitney, seine einzig wahre, große Liebe …

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  • Erscheinungstag 22.05.2020
  • Bandnummer 57
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749729
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mindy Neff, Kate Welsh, Linda Cajio

BIANCA GOLD BAND 57

1. KAPITEL

Er hatte schon wieder von Whitney geträumt. Es war ein heißer, aufregender Traum gewesen.

Das war ihm früher nie passiert. Sie war sein bester Freund, war es schon seit Kindheitstagen – na ja, jedenfalls war Whitney damals noch ein Kind gewesen. Doch obwohl sie fünf Jahre jünger war als er, war ihre Gegenwart ihm trotz ihres Temperaments nie lästig gewesen. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten sich gegen den Rest der Welt verbündet. Er hatte sich immer darauf verlassen können, dass Whitney ihm in nichts nachstand – meistens hatte sie ihn sogar übertroffen. Und das galt für ihre kleinen Basketballturniere genauso wie für ihre waghalsigen Rennen im Sportwagen entlang der Küste oder fürs Pokern und Billardspielen.

Whitney Emerson hatte jeden Spaß mitgemacht.

Sie war sein bester Kumpel gewesen, als er siebzehn war … und heute, fünfzehn Jahre später, war sie es immer noch.

Warum hatte er dann aber plötzlich erotische Träume von ihr?

Wahrscheinlich wegen dieser Fusion, die er demnächst eingehen würde.

Verflixt, er hatte wirklich keine Lust, jetzt darüber nachzudenken. Ihm stand der Sinn nur danach, mit einem Freund zu entspannen. Mit jemandem, auf den er sich verlassen konnte. Und obwohl er Whitney gar nicht so häufig sah, nicht einmal monatlich, wusste er einfach, dass sie dafür genau die Richtige war.

Das Verdeck des Porsches war unten, einen Blick hatte er immer im Rückspiegel, um jeden Polizeiwagen möglichst früh zu entdecken, und so schoss er den Highway entlang.

Er lockerte den Knoten seiner Seidenkrawatte und atmete tief die salzige Meeresluft ein, während ihm der milde Januarwind durchs Haar zauste. Das war genau das, was er am Wetter in Kalifornien so toll fand: Mitten im Winter gab es manchmal eine Hitzewelle. Er genoss den warmen Wind im Gesicht heute allerdings besonders, wahrscheinlich, weil er sich im Moment innen so kalt und leer fühlte. Er drückte noch mehr aufs Gas. Manchmal brauchte er das: ohne Verdeck so schnell zu fahren, als gäbe es keine Gesetze, keine Polizisten, die darauf lauerten, ihm wegen Geschwindigkeitsüberschreitung einen Strafzettel zu verpassen.

Es war bestimmt nicht so, dass er einen heimlichen Todeswunsch verspürte. Aber er fühlte sich ruhelos. Und er brauchte jemanden. Jemanden, der nichts von ihm erwartete, der nicht auf eine Entscheidung drang oder ihm einen Scheck zum Unterzeichnen vorlegte. Jemand, der ihm nicht ständig Bilanzen unter die Nase hielt und von ihm keine Wunder erwartete. Jemand, der kein Anwalt, kein Buchhalter, kein Steuerberater und kein Bankangestellter war. Und auch keine sogenannte Dame der besten Gesellschaft, die ihm durch die Blume zu verstehen gab, dass sie dringend eine Begleitung für ihren nächsten Opernbesuch brauchte.

Er brauchte eben jemanden wie Whitney Emerson.

Spontan traf er eine Entscheidung, riss das Steuer im letzten Moment herum und nahm die nächste Abfahrt. Dann flitzte er die Küstenstraße entlang, bis er ins Zentrum von Montgomery Beach kam, wo sich unter Schatten spendenden Bäumen in weitläufigen Alleen elegante Boutiquen und teure Galerien nebeneinanderreihten. Die Stadt, die nach seinen Vorfahren benannt worden war.

Es war völlig ausgeschlossen, dass er in derselben Stadt wie Whitney war und sie dann nicht einmal anrief. Heute Abend musste er sie einfach sehen. Er brauchte eine kleine Verschnaufpause mit einem richtig guten Freund.

Teure, geschwungene Paneele umrahmten Glasfenster und – türen, die so sauber waren, dass er durch sie in die Geschäfte und durch die rückwärtigen Fenster in die dahinter liegenden, geschmackvoll gestalteten Innenhöfe blicken konnte.

Er stellte den Motor ab, legte seine teure Sonnenbrille auf die Ablage und griff nach dem Handy. Schnell gab er die vertraute Nummer ein.

„Delaney’s Tux Shop. Was kann ich für Sie tun?“

„Du kannst mich zu Pizza und Bier einladen.“

Eine Sekunde lang herrschte Schweigen am anderen Ende, dann: „Dylan Montgomery! Wo bist du gerade?“

Großartig, er liebte es, wenn sie so begeistert klang! In ihrer Nähe fühlt er sich richtig wohl: „Schau mal aus dem Fenster, Süße.“

Er sah, wie sie rasch zum Schaufenster blickte, ihre Augen zusammenkniff und die Hand in die Hüfte stemmte, als ob sie verärgert wäre. Dann lächelte sie strahlend zu ihm hinaus. „Komm sofort rein, du Ungeheuer. Und übrigens, du bist an der Reihe, mich einzuladen.“

Dylan lächelte zurück, zog den Zündschlüssel ab und sprang elegant aus dem Porsche, um dann mit wenigen Schritten die Stufen zum Geschäft hochzueilen.

Der Platz, an dem das Geschäft lag, gehörte Karl Delaney, Whitneys Onkel. Wo immer er hinging, eilte ihm sein Ruf als Meisterschneider für die oberen Zehntausend voraus. Er hatte sich in Montgomery Beach niedergelassen, nachdem Whitneys Eltern und ihre Schwester bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, denn er wollte vermeiden, dass Whitney zu dem Schock auch noch einen Umzug verkraften musste.

Sein Geschäft in San Francisco hatte er behalten, aber zusätzlich hatte er dieses hervorragend gelegene Grundstück gekauft und es in einen Einkaufsplatz für bevorstehende Hochzeiten, eine Braut-Plaza, verwandelt.

Die Plaza war eine geniale Idee gewesen. Alle Geschäfte, die etwas anboten, das eine Braut ansprechen könnte, waren um eine dreihundert Jahre alte Eiche gebaut, die im Mittelpunkt des Platzes stand und ihn mit ihren mächtigen Ästen beschattete. Eigentlich hatte Karl Delaney nichts anderes getan, als eine Verbindung der Kirche von Montgomery mit dem ersten Hotel der Stadt herzustellen.

Ein Einkaufsbummel genügte, und man konnte Brautkleider, Hochzeitsfräcke, sportliche Kleidung für die Flitterwochen, Aussteuergegenstände, Blumen, Hochzeitskuchen, Diamanten oder Einladungskarten kaufen. Man konnte Reisen buchen oder sogar bei einem Makler sein erstes Eigenheim erwerben. Dann heiratete man einfach in der Kirche am einen Ende und verbrachte die Hochzeitsnacht am anderen Ende des Platzes, in dem renommierten Hotel, dessen rückwärtige Treppenstufen direkt auf den weißen Strand hinausführten.

Und an der schönsten Stelle dieses Platzes war Delaney’s, oder genauer gesagt, Karl Delaney. Whitney erzählte den Leuten gern ein Märchen über Karls irische Abstammung, aber in Wirklichkeit war Karls Nachname das Ergebnis eines völlig überarbeiteten Immigrationsbeamten, der den komplizierten russischen Nachnamen „Delanistekhov“ zu „Delaney“ verkürzt hatte.

Es war stadtbekannt, dass Karl gern Ratschläge gab – ob man sie wollte oder nicht –, und zwar auf kleine Zettel geschrieben, die man dann ganz „zufällig“ in der Tasche des bei ihm gemieteten Fracks fand.

Ob es nun einen Bräutigam betraf oder Jugendliche, die sich vorgenommen hatten, bei einer Party Randale zu machen, oder ob es um die große Feier eines Politikers ging: Karl hatte zu allem eine feste Meinung und zögerte nicht, sie mitzuteilen. Wenn auch auf diese etwas ungewöhnliche Weise.

Selbst der überzeugteste Junggeselle fühlte den zarten Hauch der Romantik, wenn er zufällig diesen Platz betrat.

Vielleicht schlug Dylans Herz deshalb schneller, als er Delaney’s Frackgeschäft betrat.

Vielleicht lag es aber auch an Whitney, die gerade um den Ladentisch herumlief und dabei wie ein aufgeregtes Schulmädchen wirkte.

Allerdings sah sie überhaupt nicht wie ein Schulmädchen aus.

Dylan blieb wie angewurzelt stehen und verschluckte sich beinahe. Sie trug ein lavendelfarbenes Top und einen eng anliegenden Rock. Obwohl das Material ihrer Kleidung nicht durchsichtig war, garantierte der dezent durchbrochene Stoff, dass jeder Mann unruhig wurde.

Bevor Dylan wieder ganz zu sich kam und sich in Erinnerung rufen konnte, dass es seine alte Freundin Whitney war, die ihn auf diese verführerischen Gedanken brachte, warf sie sich ihm in die Arme.

Automatisch fing er sie auf, wirbelte sie einmal herum und fühlte sich plötzlich wie zu Hause. Endlich.

Es überraschte ihn selbst, dass er auf einmal schwer schlucken musste. Schließlich umarmte er Whitney noch einmal und setzte sie wieder ab.

„Oh Dylan, ich bin so froh, dass du wieder zu Hause bist. Wie lange bleibst du? Wie geht es dir?“

„Hey, Slim, immer mit der Ruhe.“

„Immerhin warst du drei Monate nicht mehr hier. Meine Güte, wir haben ja so viel zu bequatschten. Wie lange kannst du bleiben?“

„Ich bin nur auf der Durchreise.“ Er konnte einfach nicht aufhören, ihre seidig-glänzende Kleidung anzustarren. „Das ist ja ein scharfes Outfit.“

Sie strahlte wie die Sonne, als sie vor ihm hin und her tanzte und eine Pirouette drehte. „Gefällt’s dir? Ich habe ein paar neue Stoffe ausprobiert.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Ist das ein Material, aus dem man normalerweise Nachthemden herstellt?“

„Ach, hör auf.“ Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm. „Wenn du nur auf der Durchreise bist, was machst du dann hier?“

„Ich habe gerade ein entsetzlich langweiliges Geschäftstreffen hinter mir, das drei Tage gedauert hat. Und im Anschluss daran musste ich noch Golf spielen! Dann fuhr ich die Küstenstraße entlang und dachte plötzlich: Dylan, du bist viel zu schlecht gelaunt. Und schon musste ich an dich denken.“

Whitney lachte fröhlich. „So ist es richtig. Denkst du an mich, denkst du an gute Laune.“

In letzter Zeit denke ich noch an etwas ganz anderes, gestand er sich heimlich ein und vergrub die Hände in den Hosentaschen, um nicht schon wieder in Versuchung zu kommen, Whitney anzufassen. Was war bloß los mit ihm?

„Was hältst du davon – wollen wir zusammen einen Happen essen gehen, bevor ich mich wieder auf den Weg mache?“

„Fährst du etwa heute Abend noch zurück nach San Francisco?“

„Das hatte ich vor.“

Whitney schüttelte den Kopf. „Du arbeitest zu viel. Und was ist mit deiner Mutter? Sie wird traurig sein, wenn sie erfährt, dass du ganz in der Nähe warst, aber nicht angerufen hast.“

Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Seit dem Tod seines Vaters hatte er seine Mutter nur selten besucht. Randolph Dylan Montgomery Sr. war ein sehr autoritärer Mann gewesen, und manchmal hatte Dylan das Gefühl, als ob sein Vater immer noch vom Grab aus das Leben seiner Familie kontrollierte.

Der Geschäftszusammenschluss, auf den er im Moment zusteuerte, war jedenfalls etwas, das sein Vater angestrebt hatte.

„Hallo!“ Whitney wedelte ihm vor dem Gesicht umher. „Ist wer zu Hause?“

„Ich habe nur gerade an Mom gedacht.“ In gewisser Weise stimmte das ja auch. Randolph hatte ihr das Leben auch oft schwer gemacht. „Weißt du, wenn du ihr nicht sagst, dass ich hier gewesen bin, dann wird sie auch nicht traurig sein.“

„Aha“, ertönte da eine dunkle Stimme aus dem Hintergrund. „Aber was, wenn ich es ihr verrate, junger Mann?“

Dylan lächelte und drehte sich zu dem untadelig gekleideten Mann mit den leuchtend blauen Augen herum. Karl Delaney war auch mit zweiundsechzig Jahren noch sehr attraktiv, dazu groß, schlank und sehr charmant. Wie oft hatte Dylan als Junge gewünscht, dass Karl sein Vater wäre!

Dylan streckte ihm die Hand entgegen. „Hallo, Karl. Du willst doch nicht, dass Mom sich über mich ärgert, oder?“

Karl schüttelte ihm die Hand, während sein Blick über Dylans Anzughosen, das Seidenhemd und den gelockerten Schlips flog, um dann zustimmend zu nicken. Es war eine Angewohnheit von ihm, alle Leute auf ihre Kleidung hin zu begutachten.

„Und was mache ich, wenn sie herausfindet, dass du bei uns im Geschäft gewesen bist? Deine Mutter ist zwar fast eine Heilige, aber ich möchte nicht in ihrer Nähe sein, wenn sie über etwas erbost ist.“

Obwohl Dylans Mutter eine zierliche kleine Person war, konnte sie einem sehr zusetzen, wenn sie es für nötig hielt. Natürlich nicht wie sein Vater. Grace Montgomery verzuckerte jede Kritik mit Charme und Liebe.

„Ach, komm, Onkel Karl, verrate uns nicht“, bat Whitney ihn. „Ich habe Dylan noch nicht mal etwas von meiner Reise nach Paris erzählt.“

Karl seufzte, aber um seine Mundwinkel zuckte es bereits. „Ja, natürlich. Dann bin ich eben heute mit Blindheit geschlagen.“

Er wandte sich um. „Gut, zieht mal beide los, und geht zusammen essen. Ich bin allerdings sicher, dass irgendwer in der Stadt den Porsche erkennen und deiner Mutter davon berichten wird.“

„Onkel Karl?“

„Ja, mein Täubchen?“

„Übertreib es nicht.“ Whitney nahm sich ihr Jackett hinter dem Ladentisch hervor und zog es über. Karl lachte. „Geht endlich.“

Er bekam von seiner Nichte einen Kuss auf die Wange, dann hakte Whitney sich bei Dylan unter und zog ihn aus dem Geschäft. „Worauf hast du Appetit?“

„Irgendetwas Einfaches. Ich muss mich dringend entspannen.“

„Wollen wir zu Hank’s gehen?“

Hank’s bedeutete frisches Bier, köstliche Sandwiches und ein riesiger Bildschirm mit der aktuellsten Sportübertragung. „Perfekt.“

„Wollen wir zu Fuß gehen oder fahren?“

„Wie wäre es, wenn wir zu dir fahren und von dort aus laufen?“

„Okay.“ Hank’s lag nur einen Block von Whitneys Wohnung entfernt. Obwohl es zum Abend hin langsam kühl wurde, verspürte Dylan den Wunsch, sich die Beine zu vertreten.

Während der kurzen Fahrt zu Whitneys Haus genoss er die vertraute Atmosphäre, die ihn umgab. Montgomery Beach war ein schönes Städtchen mit stilvollen Gebäuden, die von reichen Leuten erbaut worden waren. Der Wald reichte bis an den Strand heran, und wenn man dachte, man sei in einem Bergdorf, öffnete sich einem plötzlich unverhofft der Blick über malerische Klippen hinaus aufs Meer. Wer hier wohnte, hatte die besten aller Welten dicht beisammen.

Als Whitney fröhlich lachte, wandte er sich zu ihr. Sie tat das häufig, aus reiner Freude am Leben. Der Wind fuhr ihr durch das kastanienbraune Haar, und sie band es rasch zu einem Pferdeschwanz zusammen. Durch die anmutige Bewegung ihrer Arme zeichnete sich ihr hübscher Busen noch deutlicher unter ihrem Oberteil ab. Dylan spürte, wie er innerlich erstarrte. „Pass auf die Fußgänger auf!“, rief sie.

Er trat auf die Bremse und blickte hastig zurück auf die Straße. Auf keinen Fall würde er sich noch einmal ablenken lassen! „Entschuldigung. Ich glaube, ich muss mich wirklich etwas ausruhen. Normalerweise fahre ich vorsichtiger.“

Whitney legte die Hand auf die Brust, um ihr hastig schlagendes Herz zu beruhigen.

„Weißt du, dass du toll aussiehst?“, wollte er wissen.

Wieder lachte sie laut. „Na ja, ich bin siebenundzwanzig und mittlerweile kein kleines Mädchen mehr.“

In der Tat, dachte Dylan. Er fuhr auf den Parkplatz vor ihrem Bungalow, der, mit viel Glas und Holz gebaut, etwas von der Straße entfernt lag und – obwohl er im Grunde mitten in der Stadt war – eine gewisse exklusive Privatsphäre garantierte. In zwei Monaten würden die Blumenrabatten, die entlang der Terrasse angelegt worden waren, farbenprächtig erblühen.

Dylan hatte ihr vor zwei Jahren beim Einzug geholfen, und mit Schaudern erinnerte er sich an die Schlepperei. Whitney war sehr gutmütig, aber sie hatte auch eine künstlerische Ader und sehr genaue Vorstellungen davon, wie sie ihr Zuhause gestalten wollte. Und um diese Vorstellungen zu verwirklichen, hatte Dylan jedes Möbelstück mindestens zweimal umstellen müssen.

„Warum lächelst du?“, fragte Whitney, während sie aus dem Wagen stieg.

„Erinnerungen.“

„Aha. Davon gibt’s eine ganze Menge. Welche?“

„Der Tag deines Einzugs.“

Sie hakte sich bei ihm unter. „Ach, komm, fang nicht wieder damit an. Du hättest deine Möbel auch mehrmals umgestellt.“

„Nein, hätte ich nicht. Das ist der Job des Innenarchitekten.“

„Du bist ein echter Snob. Nicht jeder hat dermaßen viel Kohle wie du.“

„Na, ich habe aber gehört, dass du langsam aber sicher an mich herankommst.“

„An deinen Kontostand? Wohl kaum.“

„Sei nicht so pessimistisch. Du warst in Paris, hast studiert. Das wird sich in der Zukunft schon noch auszahlen.“

Zukunft ist hier das Schlüsselwort. Im Moment ist bei mir eher Plus-Minus-Null angesagt. Aber irgendwann werde ich besser und berühmter sein als die Stardesigner. Und das wird dann mein Konto beweisen.“

Er lächelte und legte einen Arm um ihre Schultern.

Wenig später betraten sie Hank’s. Leckerer Grillgeruch ließ Dylan das Wasser im Munde zusammenlaufen. „Das liebe ich so an dir, Slim. Du weißt, was du willst, und dann gehst du geradewegs darauf zu.“

„Dir ist doch wohl klar, dass du dich soeben selbst beschrieben hast, oder?“

„Wir nehmen uns nicht viel, wie dein Onkel immer zu sagen pflegt.“ Verflixt, es war ganz schön schwierig, das verlockende Schwingen ihrer Hüften, die beim Laufen gegen seine stießen, zu ignorieren.

Es war unmöglich.

Whitney kannte viele der Gäste bei Hank’s und begrüßte sie mit Namen. Auf dem Weg zu einem Ecktisch rief sie dem Barkeeper quer durch den Raum zu: „Zwei Bier, Larry.“ Dabei zeigte sie auf Dylan.

Larry kam auf sie zu. „Schön, dass du mal wieder im Lande bist, Dylan.“

„Danke, Larry. Ich konnte unmöglich herkommen und nicht was Leckeres bei dir essen.“

„Wollt ihr beide das Angebot des Tages?“

„Gleich“, antwortete Whitney. „Wir fangen erst einmal mit dem Bier an.“

Alle Männer im Raum drehten sich nach Whitney um und warfen ihr bewundernde und anerkennende Blicke zu. Sie war so temperamentvoll, so fröhlich und so unwiderstehlich sexy, dass sie das Restaurant gleichsam erleuchtete und dabei die Fantasie der Männer anheizte.

Ihr besonderer Charme lag aber darin, dass sie sich ihrer Wirkung nicht bewusst war. Wenn Dylan es ihr gesagt hätte, wäre sie völlig erstaunt gewesen, dann hätte sie ihn ausgelacht und es auf seine gestressten Nerven geschoben.

Sie zog ihr Jackett aus und setzte sich an den Ecktisch.

Wieder musste Dylan sieh zwingen, ihr nicht auf den Oberkörper zu starren. „Ist dir ohne dein Jackett nicht zu kalt?“

„Nein, besonders dann nicht, wenn ich dich zu einer Runde Billard herausfordere und dir zeige, wie man wirklich spielt.“

Er nahm neben ihr Platz und fragte sich, was plötzlich über ihn gekommen war. Vielleicht war es ja doch keine so gute Idee gewesen, sie anzurufen. Ganz offensichtlich musste er sich mal wieder um sein Liebesleben kümmern. Immer nur arbeiten brachte ihn anscheinend auf dumme Gedanken. Auf Tagträume, in deren Mittelpunkt neuerdings Whitney stand.

Sobald die Kellnerin die Biere brachte, nahm er einen großen Schluck.

Whitney beobachtete ein paar Typen, die Billard spielten. Dylan fühlte, wie der Tisch zitterte, und einen Moment lang dachte er, dass ein leichtes Erdbeben das Gebiet erschütterte. Dann fiel ihm allerdings ein, dass er ja mit Whitney hier war: Es war eine ihrer Besonderheiten, dass sie, wenn sie aufgeregt war, viel Stress hatte oder sich besonders konzentrierte, mit dem Fuß wippte, ohne darüber nachzudenken.

Die Schüssel mit den Chips rutschte hin und her, und die Kerze machte ein kleines Tänzchen.

Dylan streckte die Hand aus und berührte Whitneys Knie. Das hatte er in seinem Leben bestimmt schon tausendmal gemacht.

Das Zucken, das sie beide gleichzeitig durchfuhr, war jedoch unmissverständlich.

In diesem elektrischen Schlag lag nichts Vertrautes. Was zwischen ihnen durch diese Berührung ausgelöst wurde, war etwas völlig Neues.

Whitney wirbelte herum und starrte ihn an. Er hätte schwören können, dass eine kleine Flamme in ihren strahlend grünen Augen aufleuchtete. Ihre Wangen röteten sich. Ihre Lippen öffneten sich leicht.

Doch dann unterbrach sie die gespannte Stimmung mit einem Lachen und nahm einen Schluck Bier. „Offensichtlich habe ich zu viel Energie. Wie wäre es mit einem Spielchen?“

„Tolle Idee“, murmelte er zu sich selbst.

„Wie bitte?“

„Klar, lass uns Billard spielen.“ Krieg dich wieder ein, befahl er sich selbst. Er hatte an ein anderes Spielchen gedacht … „Spielen wir um einen Einsatz?“

„Na, logisch. Was denkst du denn? Dass ich plötzlich ein anderes Mädchen geworden bin?“

Genau das, dachte Dylan. Oder er hatte sich verändert? „Was ist los, Whit? Wirst du frech? Du weißt, dass ich dich mit einer Hand hinter den Rücken gebunden schlage.“

„Ha, davon träumst du wohl. Wir spielen um zwanzig Dollar. Und wie immer bekomme ich für jedes Mal, wenn du auf dem Tisch entlangschrammst, eine Fußmassage. Willst du anfangen?“

„Ladys first.“

Sie lächelte. „Du bist ja so ein Gentleman, Montgomery. Und übrigens, du schuldest mir noch etwas von unserem letzten Spiel.“

„Ja, ja. Ich zahle schon noch. Aber vielleicht willst du ja heute um alles oder nichts spielen?“

„Oh, ich werde reich und meine Zehen kribbeln jetzt schon vor Begeisterung“, erwiderte sie schlagfertig.

Als sie sich zum ersten Stoß über den Tisch beugte, sah Dylan, wie sich unter dem leichten Stoff ihres Rocks ihr winziger Slip abzeichnete. Plötzlich kribbelte bei Dylan etwas ganz anderes als die Zehen.

Die Vorstellung, wie sie in ihren Dessous aussah, half ihm nicht gerade dabei, sich abzuregen.

Wie kam er nur dazu, sich Gedanken über Whitney Emersons Unterwäsche zu machen? Genervt über sich selbst, trank er noch einen Schluck Bier.

Ihr Stoß, der die Kugeln in alle Richtungen rollen ließ, unterbrach seine Gedanken so abrupt, dass er Bier auf seinen Schlips verkippte.

„Na, hast du deinen Mund verfehlt, Montgomery?“, fragte sie liebevoll spottend.

„Haha.“ Er schwor sich, von jetzt an nur noch auf das Spiel statt auf Whitneys Po zu achten. Aber schon die nächste Frage brachte ihn wieder aus der Fassung.

„Erzähl mal, wie geht’s denn deinem Liebesleben?“

Mit trockenem Mund erwiderte er: „Danke, aber so etwas habe ich im Moment nicht. Und deinem?“

Sie lachte. „Das Gleiche. Ich arbeite so viel, dass ich dafür keine Zeit habe.“

„Keine Anrufe mehr von diesem Devlin?“

„Nein. Er hat aufgegeben. Und ich glaube, dass ihm Onkel Karl heimlich einen seiner berühmten Zettel hat zukommen lassen.“

„Gut. Er hat sowieso nicht zu dir gepasst. Ich fand es verdächtig, dass er jedes Mal, wenn er mit dir ausgegangen ist, sein Geld vergessen hat.“

Whitney strich ihm liebevoll über die Wange. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich nur mit ihm ausgehe, weil er so gut aussieht. Und wie ist es mit deiner Suzy-Q weitergegangen?“

Sie lehnte sich gegen den Billardtisch und sah ihn erwartungsvoll und etwas verführerisch an. Hastig nahm Dylan einen weiteren Schluck Bier.

„Suzanne ließ mich sausen, als ich eine Verabredung mit ihr vergessen hatte und sie vergeblich auf mich in der Oper wartete. Zum zweiten Mal.“

„Oh Dylan, du hast es einfach vergessen? Das war aber nicht nett von dir.“

„Nein, war es auch nicht. Ich glaube, ich werde langsam vergesslich.“ Er zwang sich, auf die Kugel zu sehen. Whitney stand jetzt am anderen Ende des Tisches. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er ihre Nähe genossen.

Aber genau in diesem Augenblick rutschte der Spaghettiträger ihres Oberteils herunter und bot ihm einen verführerischen Ausblick auf ihr Dekolleté. Diesmal musste Dylan die Zähne zusammenbeißen. „Whitney, dein Träger ist gerutscht!“

Sie blickte hoch und sah ihn sekundenlang verständnislos an. Dann lächelte sie langsam verstehend und riss die Augen unschuldig auf. „Lenke ich dich etwa ab?“

„Das weißt du ganz genau.“ Von wegen unschuldig. Kumpel oder nicht, schließlich war er immer noch ein Mann. Und sie war eine außergewöhnlich attraktive Frau.

„Entschuldigung, Dylan. Und übrigens …“

Er seufzte und hielt mitten im Stoß inne. „Ja?“

„Sei nicht so streng mit dir selbst. Mit zweiunddreißig bist du von Altersvergesslichkeit noch weit entfernt.“

„Dankeschön. Wenn du jetzt bitte freundlicherweise zur Seite treten könntest, damit ich diesen Stoß ausführen kann, bevor ich zweiundneunzig bin?“

Sie trat einen Schritt zur Seite. Aber noch allzu deutlich hatte er ihr tiefes Dekolleté vor Augen, und der Stoß misslang.

Sie grinste frech. „Och, das tut mir aber leid.“

Na warte, dachte er. Dieses Spielchen beherrsche ich auch. Er trat von hinten an sie heran und lehnte sich zart gegen sie, sodass sich ihre Körper von der Taille bis zum Knie berührten.

Sie richtete sich kerzengerade auf. „Was, zum Teufel, soll das?“, fragte sie und stieß ihm empört ihren Ellenbogen in den Magen.

Leicht angeschlagen trat er zurück. Aber er hatte genau gehört, wie atemlos ihre Stimme geklungen hatte. Und außerdem misslang ihr der Schuss ebenfalls.

„Das war deine Schuld“, sagte sie anklagend.

„Du hast damit angefangen.“ Doch beim nächsten Stoß verließ ihn sein Glück wieder, und er verfehlte das Ziel.

Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und formte die Lippen zu einem mitleidigen „O“. Da war es um Dylans Beherrschung geschehen. Er lachte, nahm sie in den Arm und wirbelte sie zweimal herum.

Whitney hielt erschrocken den Atem an, ließ den Billardstock fallen und betrachtete ihn überrascht. „Was ist denn auf einmal in dich gefahren?“

„Ich habe dich vermisst, Slim.“

„Ja, schon, das habe ich auch.“

„Nein, ich meine, ich habe dich wirklich vermisst. Du bringst mich immer zum Lachen. Du machst nichts, um dich bei mir einzuschmeicheln. Du lässt mich nicht einfach gewinnen. Du hast mich wieder daran erinnert, wie es überhaupt ist zu lachen.“

Er setzte sie vorsichtig ab, und sie bückte sich, um den Stock aufzuheben. Dabei sah sie ihn vorsichtig an, so als ob sie sich davon überzeugen müsste, dass er nicht plötzlich verrückt geworden war.

„Strengt dich das Geschäft im Moment sehr an?“, fragte sie schließlich.

„Ja. Die Finanzlage ist etwas angespannt, aber wir planen eine große Fusion. Eine riesige, Whit. Meine Computerchips gehen die Ehe mit der Lasertechnologie ein.“ Mit ungutem Gefühl dachte er daran, dass in diesem Zusammenhang wirklich von einer Ehe die Rede gewesen war, die er jedoch abgelehnt hatte. „Die Hersteller aus dem medizinischen Sektor sind sehr an unseren Ergebnissen interessiert.“

„Medizinisch? Meinst du, Laser, die Falten weglasern?“

„Die auch. Und auch die Hersteller für Augen- und Dentallaser. Ich weiß einfach, wie wir die besten Geräte herstellen können.“

Whitney nickte. „Du warst immer schon eine Idee klüger als die anderen. Dabei siehst du gar nicht aus wie ein Streber.“ Sie legte ihm beide Hände auf die Brust und tätschelte ihn freundschaftlich. In ihren grünen Augen spiegelte sich Ernsthaftigkeit und noch etwas, das er nicht genau benennen konnte. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

„Hoffentlich wird alles so, wie du es dir vorstellst, Dylan. Das wäre für dich ein ganz neues Standbein und nichts, was dir dein Dad vorgegeben hat.“

Ja, Whitney verstand ihn wirklich, „Ich finde dich einfach klasse, weißt du das?“

„Danke gleichfalls.“ Einen Moment lang sah sie ihm in die Augen, dann drehte sie sich um und schoss die nächste Kugel.

„Prima“, sagte er anerkennend.

„Natürlich. Du bist nicht der Einzige, der hier gut Billard spielen kann“, gab sie zurück.

„Zum Glück erinnerst du mich immer daran. Übrigens, du hast mir noch nicht erzählt, wie es in Paris war.“

„Wundervoll. Die Stadt ist so romantisch. Dabei habe ich gar nicht mal viel davon gesehen. Ich habe etliche Design-Klassen belegt und bin aus der Uni kaum rausgekommen.“

„Das ist eine Schande! Dann müssen wir beide eben noch mal zusammen hinfliegen. Einmal im Leben musst du auf dem Eiffelturm gewesen sein.“

In diesem Moment machte Whitney ihren entscheidenden Stoß. Sie richtete sich strahlend auf, als die Kugel ins Loch rollte. „Zwanzig Mäuse, Montgomery. Und vergiss den Trip nach San Francisco. Heute kommst du um die Fußmassage nicht herum.“

Das hatte er befürchtet. Bei dieser aufregenden Spannung, die plötzlich zwischen ihnen herrschte, war er nicht sicher, ob es klug war, irgendeinen nackten Körperteil von Whitney Emerson zu berühren.

Er war zwar kein Fußfetischist, aber so, wie es plötzlich zwischen ihnen knisterte, könnte er tatsächlich einer werden – und das bei seinem besten Kumpel!

2. KAPITEL

Als sie aus der Bar traten, atmete Whitney tief durch. Es roch wundervoll nach Meer und Wald. Zikaden zirpten, und die Blätter der Bäume raschelten.

„Gut, dass wir gelaufen sind“, sagte sie und unterdrückte ein Kichern. „Ich glaube, ich habe einen kleinen Schwips.“ Und prompt stolperte sie.

Dylan fing sie auf und legte ihr den Arm um die Taille. Sofort spürte Whitney wieder dieses Kribbeln. Sie hatte immer schon auf Dylan reagiert, aber heute Abend war dieses Gefühl viel stärker als gewöhnlich, und auch er verhielt sich anders als sonst. Kam das vom Alkohol? Aber in der Vergangenheit hatten sie manchmal erheblich mehr getrunken, und trotzdem hatte es zwischen ihnen nicht so heftig geknistert wie heute.

Wahrscheinlich verstand sie bloß die ganze Situation völlig falsch.

Dylan lächelte sie voller Nachsicht an, ein Lächeln, das sie seit ihrer Teenagerzeit kannte. Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch, und beinahe wäre sie wieder gestolpert.

Vorsichtshalber blieb sie bei ihm untergehakt, während sie zusammen im Licht der Straßenlaternen weitergingen.

„Warum trägst du diese Plateauschuhe? Sind sie nicht unbequem?“

„Nein, im Gegenteil. Und außerdem sind sie modern.“

Dylan lachte. „Du hast doch nie darauf geachtet, was gerade modern war, weil du selbst die Trends gesetzt hast.“

„Na, dann gefällt mir vielleicht einfach, wie meine Beine damit aussehen. Ich hätte allerdings das letzte Bier lieber nicht trinken sollen.“

„Das mag sein. Aber ich gebe gern zu, dass deine Beine gut aussehen.“

Sie stieß ihre Schulter gegen seine. „Ich mag dich, Dylan Montgomery. Wie kommt es eigentlich, dass wir nie richtig zusammen waren?“

Ihr entging nicht, dass Dylan schwieg. Wie habe ich nur etwas so Idiotisches fragen können, wunderte Whitney sich.

Schließlich zuckte er mit den Schultern. „Wahrscheinlich, weil wir immer schon Kumpel waren.“

„Du hast recht. Es war sicher klug von uns, eine so tolle Freundschaft nicht mit etwas Zweifelhaftem wie Sex zu vermischen.“ Sie waren bei ihrem Haus angelangt und Whitney schloss die Tür auf.

„Moment mal, Slim. Ich habe nie gesagt, dass Sex zweifelhaft ist.“

Whitney lachte und fühlte sich in diesem Moment wunderbar frei und beschwingt. Ungehemmt. Sie drehte sich zu Dylan, ergriff seine Krawatte und zog daran.

Sie hatten schon so oft genau so gestanden. Woher kam dann plötzlich diese Spannung? Whitney legte ihre Hand auf seine Brust. Sein Herz schlug langsam und regelmäßig. Mit ihren hohen Schuhen war sie fast so groß wie er. Genau die richtige Höhe, um ihm in die Augen zu sehen.

Um ihn zu küssen.

Wie gebannt blickte er auf ihren Mund. Whitney atmete tief ein. „Dylan?“, flüsterte sie. „Was ist auf einmal mit uns los?“

„Keine Ahnung.“

Seine Stimme klang tief und rau. Verführerisch. Sie konnte seinen Atem spüren und fühlte, wie heftig ihr eigenes Herz schlug.

„Mir ist, als ob ich Fieber habe“, murmelte er. Sanft küsste er ihre Augenlider, ihre Augenbrauen, ihre Schläfen. Dann umschloss er mit seinen Händen zärtlich ihre Wangen. „Himmel, Whit, ich weiß, wir sollten nicht, aber ich kann nicht anders …“ Und er presste seine Lippen auf ihren Mund.

Sie kostete seine Leidenschaft, fühlte, dass er zögerte, und ergriff wieder seine Krawatte. Etwas, das sich so gut anfühlte, konnte nicht falsch sein. „Warum sollten wir nicht?“ Dann zog sie ihn mit sich ins Haus und blieb erst vor der Couch stehen.

Einen Moment lang überkam sie ein ungutes Gefühl. Anscheinend waren sie beide heute wehrlos gegen ihre Gefühle. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich und drängte sie, Dylan zu sagen, was das, was jetzt kommen würde, wirklich für sie bedeutete.

Doch dann küsste er auf unglaublich verführerische Weise ihr Ohr, während er mit seiner rechten Hand über ihren Busen strich, und jeder vernünftige Gedanke, den Whitney gehabt hatte, löste sich in Luft auf.

Plötzlich konnte sie nur noch an das eine denken, und mit einer heftigen Handbewegung fegte sie Stoffmuster, Skizzen und Kissen von dem Sofa. Das Mondlicht schien silbern und erleuchtete den Raum auch ohne Licht ausreichend.

Whitney begann die Knöpfe an Dylans Hemd zu öffnen, sein Hemd aus seiner Hose zu ziehen, während er sie ebenfalls hastig entkleidete, ohne dabei aufzuhören, sie zu küssen.

Dann gab er sie für einen Moment frei. „Wir müssen uns ein bisschen zusammenreißen.“

„Nein.“ Sie wollte sich nicht zusammenreißen aus Angst, dass sie beide zur Vernunft kommen würden. Viel zu lange hatte sie auf diese Nacht gewartet. Endlich war sie mutig genug, ihre Fantasien Wirklichkeit werden zu lassen. Mit Dylan zu schlafen.

Mit ihrem Dylan.

Sie legte ihre Hand auf seine nackte Brust und war überwältigt von der Leidenschaft, die er ausströmte.

„Dein Aussehen hat mich schon den ganzen Abend um den Verstand gebracht.“ Mit seiner linken Hand streichelte er ihren Rücken, ihren Po, ihre Oberschenkel, mit der rechten hielt er sie dicht an sich gepresst.

Sie begehrte ihn. Noch nie zuvor hatte sie einen Mann so heftig gewollt.

„Heb mal deine Arme.“ Er nahm den Saum ihres Oberteils und zog es über ihren Kopf. Dabei strich er mit seinen Daumen über die empfindliche Unterseite ihrer Brust. Dann zog er ihr rasch den Rock aus. Er stöhnte. „Ich wusste, dass du fast nichts darunter trägst. Du bist wirklich eine lebendig gewordene Männerfantasie, Whitney.“

Seine Worte streichelten ihre Sinne. Und als sie endlich zusammen auf das Sofa sanken, vergaß sie, dass er ihr bester Freund war, der Kumpel, der ihr das Rauchen beigebracht und später geholfen hatte, damit wieder aufzuhören, der bei ihr war und sie getröstet hatte, als sie das erste Mal betrunken war.

Er war ihr Traummann, der Mann, den sie ihr ganzes Leben lang gewollt hatte … obwohl ihr das erst an diesem Abend klar geworden war.

„Es ist so lange her, Whit. Ich weiß nicht, ob ich mich dieses Mal lange beherrschen kann.“

Dieses Mal. Sie verbot sich sofort, über die Möglichkeit nachzudenken, dass es für sie beide ein nächstes Mal geben könnte. Das Jetzt, dieser Moment zählte.

„Dann beherrsch dich eben nicht.“ Sie öffnete sich ihm, zog ihn zu sich. „Ich will dich, Dylan. Jetzt.“ Ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr. Sie atmete heftig, und beinahe hätte sie vor Lust aufgeschrien, als er ihre empfindsamste Stelle streichelte. Sie seufzte und bat ihn, zu ihr zu kommen. Dann schlang sie seine Beine um ihn und drängte sich gegen ihn. „Bitte …“

„Warte.“

„Nein.“

„Du machst mich verrückt“, sagte er und drang in sie ein.

Es durchzuckte sie. Leise schrie Whitney auf, aber diesmal nicht vor Lust, sondern vor Schmerz.

„Was hast du?“, fragte Dylan erschrocken.

Sie hielt ihn bei den Hüften und legte wieder ihre Beine um ihn. „Es ist gleich vorüber.“ Der Schmerz ließ schnell nach.

„Meine Güte, Whit, warum hast du mir nicht gesagt, dass du noch Jungfrau bist?“

„Halt den Mund, Dylan.“ Langsam kam die Lust zurück, bildete einen warmen Punkt in ihrem Bauch und breitete sich von dort sternförmig in ihrem Körper aus. Whitney küsste Dylans Schulter, knabberte an seinem Ohrläppchen und bat ihn ohne Worte, tiefer in sie einzudringen. „Psst, sei still und liebe mich.“

Ein Moment sah er sie unverwandt an. Dann befolgte er ihre Bitte. Aber diesmal waren seine Bewegungen langsamer, seine Stöße vorsichtiger. Und die ganze Zeit über blickte er sie an. Sie schloss die Augen. Was jetzt auf sie zukam, war etwas Neues.

Sie fühlte ihn deutlich, hart und heiß war er in ihr, spürte, wie sich in ihr die Spannung erneut aufbaute. Heimlich betete sie, dass sie alles richtig machte, dass er ihr Verhalten in dem Moment der größten Ekstase nicht lächerlich finden würde.

Und sie wünschte, er würde sie nicht ständig beobachten.

Als sie spürte, dass er seine Hand zwischen ihre Körper geschoben hatte und sie auf eine Weise streichelte, die sie an den Rand ihrer Beherrschung brachte, riss sie die Augen auf.

Noch immer blickte Dylan sie mit samtig-braunen Augen unverwandt an. Doch jetzt war es ihr egal. Sie wollte, dass diese Lust niemals aufhörte, drängte sich noch dichter an ihn und genoss dieses unglaubliche Gefühl, das sie mit jeder seiner Bewegungen näher an den Höhepunkt brachte.

Tränen brannten hinter ihren geschlossenen Lidern. Sie hielt den Atem an, bereitete sich auf den Moment des freien Falls vor, wollte, dass es für immer dauerte … oh, genau wie in diesem Moment.

Und dann wurde das Gefühl noch stärker.

„Schau mich an, Whit.“ Seine Stimme klang drängend.

Sie umfasste seine Schultern und schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte die Augen jetzt nicht öffnen.

Dylan hielt mitten in der Bewegung inne. Whitney hätte vor Enttäuschung am liebsten aufgeschrien.

„Schau mich an“, wiederholte er.

Also öffnete sie die Augen. Sie hätte alles getan, nur damit er nicht aufhörte. „Bitte, Dylan, mach weiter. Ich bin so dicht dran. Es schmerzt fast, so schön ist es. Ich ahnte ja nicht …“

„Ich weiß.“ Während sie sich tief in die Augen sahen, bewegte er sich wieder, erst langsam, dann immer schneller, bis seine Bewegungen ihr Blut zum Kochen brachte.

„Schau mich an, Liebling. Ja, so ist es gut. Komm, lass dich gehen, sei ganz frei.“

Sie legte ihre Hände um seinen Nacken und gab sich der goldenen Welle hin, die sie ergriff und immer höher schleuderte. Eine Welle, die keinen Platz mehr für Gedanken und Überlegungen ließ. Eine Welle, in der nur Platz für sie, Dylan und das Gefühl war, dass das, was jetzt geschah, das einzig Richtige auf der Welt war.

Dann fühlte sie sich wie neu geboren. „Toll“, murmelte sie.

Dylan antwortete nicht. Er setzte sich auf und griff nach seiner Hose. „Ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten.“

Herrje. Die Wirklichkeit holte sie wieder ein. Sie wünschte, er hätte ihr noch ein paar Minuten in dieser neuen Traumwelt gegeben.

Whitney sah den schuldigen Ausdruck in Dylans Augen, sah sein Bedauern. Dazu brauchte sie kein Licht, und es tat weh. Wie ein Stich traf diese Erkenntnis sie mitten ins Herz.

Sie lächelte verkrampft. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin ganz schön kaputt und immer noch etwas beschwipst von dem Bier“, bemerkte sie schnippisch. Von wegen. In dem Moment, als er sie geküsst hatte, war sie wieder völlig nüchtern gewesen. Sie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. „Aber wenn du auf einem Gespräch bestehst, dann lass mich wenigstens meinen Bademantel anziehen.“

Dylan sah ihr nach, als sie den Raum verließ. Sie hatte einen wunderschönen Körper, den Körper einer Athletin, stark und geschmeidig. Er stöhnte und zog sich die Hose an. Nicht in seinen wildesten Träumen hatte er sich vorgestellt, dass an diesem Abend so etwas passieren würde. Dennoch galten zwischen ihnen immer noch gewisse Spielregeln. Bloß wollten sie ihm im Moment nicht einfallen.

Diese Sache hätte wirklich zu keinem schlechteren Zeitpunkt passieren können. Er fühlte sich wie ein Schuft. Wenn er bloß an das letzte Geschäftstreffen dachte, an die Vereinbarung, von der die Rede gewesen war – ihm wurde ganz anders.

Und um das Ganze noch unglaublicher zu machen, war Whitney auch noch Jungfrau gewesen!

Sie kam zurück und schaltete das Licht an. Ihr hellgrüner Bademantel verdeckte all die aufregenden Kurven, die ihn eben noch völlig um den Verstand gebracht hatten.

Lässig stemmte sie eine Hand in die Hüfte. „Wirklich, Dylan, hör auf, so auszusehen, als ob du gerade die Kronjuwelen geklaut hättest.“

„Aber genauso fühle mich. Du warst noch Jungfrau.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Dann ist es eben so. Das war sowieso altmodisch in meinem Alter.“

„Warum gerade ich?“

Wieder hob sie die Schultern. „Warum nicht gerade du?“ Schweigen. „Das ändert alles zwischen uns“, sagte er schließlich.

Das Bedauern in seiner Stimme war unüberhörbar. „Spinnst du?“

Er sah sie an. Sie kam auf ihn zu. „Wir sind Freunde, Dylan. Nichts kann das ändern.“

„Wie kannst du das jetzt noch sagen?“

„Ach, komm, hör auf. Du machst dir wegen nichts und wieder nichts einen Kopf. Was ist denn schon dabei, dass ich noch nie mit einem Mann geschlafen hatte? Das ist doch keine große Sache.“

Dylan zog die Augenbrauen hoch. „Es wird ja immer besser. Willst du mir auch noch mein Selbstwertgefühl nehmen?“

Sie lachte. „So habe ich das nicht gemeint. Du warst super, mein Lieber. Aber du hast dein Leben und ich habe meins. Du musst dich um deine Laserfusion kümmern, und ich will mir in der Modebranche einen Namen machen. Denk mal darüber nach. Da ist es doch besser, wenn wir uns nicht dem Stress aussetzen, aus einer alten Freundschaft irgendetwas anderes zu machen.“

„Wer sagt, dass es Stress wäre?“

„Wäre es das denn nicht?“, fragte sie sanft. „Es war doch völlig ungeplant. Lass uns die Sache nicht überbewerten.“

„Aber was, wenn doch mehr daraus entstehen würde?“

Sie verschränkte die Arme und blickte aus dem Fenster. Über ihnen schien der Mond, und Sterne funkelten am mitternachtsblauen Himmel.

„Ich habe nicht vor, das herauszufinden. Mein Ziel ist Karriere, und vielleicht muss ich auch mal eine Zeit lang in ein anderes Land ziehen.“ Sie drehte sich wieder zu ihm. „Ich könnte es nicht ertragen, Dylan, wenn ich deine Freundschaft verlöre. Und das kann passieren, wenn der Versuch, mehr als Freundschaft zwischen uns entstehen zu lassen, misslingen würde.“ Sie brauchte Zeit, um nachzudenken. Zeit, um zu sehen, wie er reagieren würde, um die Lage besser einzuschätzen. Es war unvorstellbar, dass sie Dylan verlieren könnte. Er war seit dem Tod ihrer Eltern ein fester Bestandteil in ihrem Leben. Schon um ihm jedes Schuldgefühl zu nehmen, musste sie ihn heute Abend gehen lassen.

Whitney strich sich das Haar hinters Ohr und atmete tief durch. „Du warst derjenige, Dylan, der mich mit vielen neuen Dingen in meinem Leben vertraut gemacht hat. Deshalb war es jetzt nur folgerichtig, dass du mir auch gezeigt hast, wie wunderschön Sex sein kann. Bitte, mach nicht mehr daraus als nötig. Betrachte das, was heute Abend geschehen ist, als eine Erweiterung meiner Bildung.“

„Deiner Bildung?“ Er sprang auf und zog sich hastig sein Hemd an. Er war noch immer geschockt, wie intensiv es gewesen war, mit Whitney zu schlafen. Gefühle, alte und neue, wirbelten in ihm durcheinander, bis er sie nicht mehr unterscheiden konnte.

Aber dieses Erlebnis einfach nur als Erweiterung ihrer Bildung zu sehen wollte ihm nicht gelingen. Es ärgerte ihn, dass sie diese intime Begegnung so locker nahm. So kannte er Whitney nicht.

„Du musst dich nicht anziehen, Dylan.“

Mit einem Schuh in der Hand sah er sie fragend an. „Warum? Denkst du an eine zweite Runde ‚Erziehung‘?“

Er kannte ihr Temperament, also brauchte er sich über ihre Worte nicht zu wundern. Hastig ging er zu ihr und hielt sie bei den Schultern fest.

„Entschuldigung, Slim. Das war eine dumme Bemerkung.“

„Das kannst du wohl laut sagen. Erinnere mich daran, dass ich mit dir nicht mehr trinken gehe.“

Er seufzte und lehnte seine Stirn gegen ihre. „Bist du sicher, dass wir nicht ausprobieren sollten, wohin uns eine Beziehung führt?“

„Es passt im Moment nicht in unseren Lebensstil.“

Dylan lächelte. „Du bist wirklich unbeirrbar, Whit.“

„Das habe ich von dir gelernt.“ Sie legte einen Finger auf seine Lippen.

Diese zarte Berührung brachte ihn fast schon wieder um den Verstand. Es war einfach verrückt. Whitney war sein Kumpel, seine Vertraute, sein Hafen im Sturm. Und trotzdem hatte sich jetzt etwas geändert.

Und zum ersten Mal in seinem Leben verschwieg er etwas.

Sicher, sie stellte keine Ansprüche an ihn, aber er fühlte sich dennoch schuldig. Wenn er ihr jetzt allerdings gestehen würde, was er vorhatte, würde sie ihn sicher erwürgen.

„Ich sollte besser gehen.“

„Jetzt? Es ist schon spät.“

„Aber noch nicht zu spät.“ Warum fühlte es sich dann zu spät an. Und zu spät für was? „Wenigstens ist um diese Zeit nicht so viel Verkehr.“

Er beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, doch stattdessen berührten sich ihre Lippen. Augenblicklich sprangen sie auseinander wie zwei unartige Kinder, die bei einem Streich erwischt worden waren.

Dylan lachte, obwohl er schon wieder die Erregung in sich erwachen spürte. „Meine Güte, das wird ja immer komplizierter.“

„Nicht, wenn wir uns dagegen wehren.“ Wie um ihre Worte zu beweisen, stellte Whitney sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn zart auf den Mund. „Komm gut nach Hause, Kumpel. Und falls meine Telefonnummer nicht die erste ist, die du wählst, wenn du wieder nach Montgomery kommst, dann Gnade dir.“

„Ich zittere jetzt schon vor Angst.“

3. KAPITEL

Whitney nippte an ihrem Pfefferminztee, als Leena von „Leena’s Brautmoden“ aufgeregt anrief.

„Whitney, ich brauche dich! Ich muss innerhalb einer Woche eine Änderung an einem Brautkleid vornehmen, und die Braut ist schrecklich ungeduldig. Sie will ständig den Laden verlassen!“ Leena war offensichtlich mit ihren Nerven am Ende.

Whitney versprach zu kommen, legte auf und schüttelte den Kopf. Sie konnte Cori Spencer in Leenas Geschäft stehen sehen, denn es lag genau gegenüber. Das war zwar meistens sehr bequem, aber manchmal kam es zu peinlichen Situationen, wenn nämlich der Bräutigam bei Onkel Karl und gleichzeitig die Braut bei Leena eine Anprobe hatten. Ein ungeschriebenes Gesetz besagte, dass der Bräutigam die Braut nicht vor der Hochzeit im Hochzeitskleid sehen durfte, und Onkel Karl, ein hoffnungsloser Romantiker, glaubte aus tiefstem Herzen daran.

„Onkel Karl, ich muss mal für einen Moment zu Leena rüber. Es ist ein Notfall.“

Karl blickte von seiner Arbeit hoch. Er war gerade damit beschäftigt, einen Anzug zu ändern, der mit seinem konservativen Schnitt aus der Figur des dicklichen Trägers hoffentlich noch das Beste machen würde.

Er blickte seiner Nichte nach. Seinem scharfen Beobachtungsvermögen war nicht entgangen, dass Whitney in letzter Zeit bedrückt aussah. Und auch wenn er zugeben musste, dass das hellgelbe fließende Gewand aus Spitze, Seide und Satin seiner Nichte wundervoll stand, bemerkte er, dass sie die Schultern hängen ließ. Auch ihre Blässe beunruhigte ihn.

Er würde die Sache behutsam untersuchen, vorsichtig Nachforschungen anstellen. Und wenn er herausgefunden hatte, was sie bedrückte, würde er es wieder richten. Was immer es war. Und zwar auf seine Weise.

Whitney öffnete die Tür zu Leenas Geschäft. Die zierliche Frau eilte händeringend auf sie zu.

„Da bist du ja, Liebes. Wir haben wirklich nur noch einen Moment Zeit, um das Kleid abzustecken.“

Es war ein entzückendes Kleid, bei dem meterweise kostbarer Satin verwendet worden war. Das eingewebte Rosenmuster war so dezent, dass man es nur sah, wenn das Licht in einem ganz bestimmten Winkel auf den Stoff fiel.

Es erstaunte Whitney, dass sie diese Details überhaupt wahrnahm. Draußen war ein herrlicher Frühlingstag in guter Hoffnung auf einen fantastischen Sommer. Und in guter Hoffnung war auch Whitney. Allein der Gedanke daran reichte, und ihr wurde schon wieder übel.

Besonders deshalb, weil sie seit jener Januarnacht nichts mehr von Dylan gehört hatte.

Inzwischen war bereits April.

Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken, und konzentrierte sich auf die hübsche Blondine, die unruhig auf dem Podest stand.

Whitney konnte nicht anders, sie musste lächeln.

„Sie wollte nicht einmal ihre Uniform ausziehen“, beschwerte Leena sich. Whitney tätschelte Leena beruhigend den Arm. „Ich kümmere mich darum.“ Sie kannte Cori Spencer – wie sowieso jeder jeden in der Kleinstadt kannte. Cori war bei der Polizei von Montgomery Beach. Sie trug einen flotten Kurzhaarschnitt und sah niedlich aus, aber man durfte sich von ihrem Aussehen nicht täuschen lassen. Mit einem Griff konnte sie einen Hundert-Kilo-Mann locker auf die Matte legen.

Doch wer war der gut aussehende Typ, der so verärgert dreinblickte und unbehaglich in einer Ecke stand? War es der Bräutigam?

„Hallo, Cori, was für eine Überraschung!“ Whitney hob den Saum des voluminösen Kleides an. „Hast du vor, diese Springerstiefel anzuziehen, wenn du zum Altar schreitest?“

Cori schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich ziehe sie jetzt nicht aus. Mach einfach das Nötigste, und zwar so schnell wie möglich.“

Es waren einige Änderungen nötig. „Streck mal deine Arme aus. Übrigens wusste ich gar nicht, dass du vorhast zu heiraten.“

„Die Entscheidung fiel auch erst vor einer Woche. Ich wollte, dass es ganz schnell über die Bühne geht, aber Mutter bekam fast einen Herzanfall. Sie will eine Hochzeit im großen Stil. Und weil sich niemand gern mit meiner Mutter anlegt, habe ich ihr zwei Wochen Zeit für die Vorbereitungen gegeben. Das muss reichen. Bobby kann dir erzählen – oh, habe ich dir eigentlich schon Bobby vorgestellt?“

„Nein.“

„Also, Bobby, das ist Whitney, Whitney, das ist Bobby McCullaugh vom Polizeirevier.“

„Angenehm“, murmelte Whitney. Sie hatte den Mund voller Stecknadeln, mit denen sie das Oberteil des Kleides absteckte, und überlegte, wie wohl Bobby, der so verärgert aussah, über die hastige Hochzeit dachte. Gerade wollte sie fragen, als ein Pieper ertönte. Mehrere Frauen im Geschäft überprüften ihre Handys. Coris Partner zog ein kleines Gerät von seinem Gürtel. Aber wenn Whitney sich nicht täuschte, kam das nervige Geräusch irgendwo aus den Falten des Hochzeitskleides.

Und so war es auch. Cori langte unter das Kleid, ergriff den Pieper und drückte auf Taste. „Ich muss los. Bobby, mach mal die Knöpfe auf“, verlangte sie dann von ihrem Kollegen. Und Whitney sah, dass Cori nicht nur ihre Springerstiefel und ihre Jeans, sondern auch noch ihr T-Shirt anbehalten hatte.

Bobby zögerte. Cori sah ihn über die Schulter spöttisch an und sagte: „Schaffst du es noch, bevor es Abend wird?“

Da fluchte er leise und trat an sie heran, um die unzählig vielen kleinen Knöpfchen am Rückenteil zu öffnen. Cori schien sein Unbehagen nicht zu bemerken und stieg schließlich lachend aus dem Kleid, das auf die Erde gefallen war. „Du bist wirklich Klasse, Whitney. Ich bin sicher, dass meine ganze versnobte Verwandtschaft das Kleid lieben wird.“ Sie stopfte ihr T-Shirt in die Jeans und schnallte ihr Schulterhalfter wieder an. Es abzulegen, war ihr einziges Zugeständnis für die Anprobe gewesen.

Schon auf dem Weg zum Ausgang, schlüpfte sie noch schnell in die Windjacke, auf der die Initialen der Montgomery Beach Polizei gedruckt waren. „Da fällt mir noch etwas ein. Bist du eigentlich mit irgendwem im Moment zusammen?“

Whitney musste an Dylan denken. „Nein. Ich habe keine Zeit für einen Freund.“

„Na, dann sieh dich mal vor, dass du nicht zu viel schuftest. Du siehst blass aus, und ich habe genau den richtigen Typen für dich, der das ändern könnte. Komm doch heute Abend zu unserer Verlobungsparty. Der eine Trauzeuge könnte dir gefallen.“

Wahrscheinlich auch ein Polizist, dachte Whitney. „Das ist lieb gemeint, aber …“

„Ach, bitte komm doch. Versprich’s mir. Es ist doch praktisch nebenan, im Terrassenzimmer des Hotels. Meine Mutter ist sowieso unglücklich darüber, dass ein Mann zu viel da ist. Die Sitzordnung stimmt nicht. Komm, und bring Karl mit, Whitney. Je mehr normale Leute ich um mich habe, desto besser. Ich rechne fest mit dir.“ Sie stürmte aus der Tür, die ihr Zukünftiger geduldig aufgehalten hatte.

Whitney blickte ihnen nach und verspürte einen Stich Neid, als sie sah, wie beschützend Bobby seine Hand auf Coris Rücken gelegt hatte.

Warum eigentlich nicht? Sie konnte sich diesen tollen Typen ja mal anschauen, und bestimmt gab es etwas Leckeres zu essen. Außerdem musste sie sich dringend von ihrer eigenen katastrophalen Situation ablenken.

Davon, dass sie ihrem besten Freund beibringen musste, dass er Vater wurde.

Das Praktischste an der Braut-Plaza war, dass man alles direkt vor Ort erledigen konnte. Sogar Partys veranstalten.

Als Whitney und Karl am frühen Abend über den Platz gingen, wehte vom Meer her eine kühle Brise, und man konnte das vertraute Rauschen der Brandung hören. Whitney hakte sich bei ihrem Onkel ein.

„Ich habe keinen Auftrag für Fräcke vom Polizeirevier bekommen“, bemerkte Karl, während er die schwere Glastür zum Foyer des Hotels öffnete. „Bist du sicher, dass das Revier etwas mit der Hochzeit zu tun hat?“

„Ziemlich sicher. Mach dir keine Sorgen. Niemand würde wagen, woanders seinen Frack zu bestellen.“

Die Hotellobby war kürzlich renoviert worden, aber die Innenarchitekten und Dekorateure hatten darauf geachtet, dass der ursprüngliche Charme des Gebäudes erhalten blieb. Das Foyer wurde von einem großen Kristallleuchter erhellt, und eine breite geschwungene Treppe mit einem Kirschholzgeländer führte zu dem offenen Terrassenzimmer im ersten Stock.

Üppige Blumensträuße standen in hohen Vasen den Flur entlang, in dem zahlreiche Spiegel mit breiten Goldrahmen aufgehängt waren.

Whitney hob den Saum ihres smaragdgrünen Kleides etwas an, als sie die Treppe emporgingen. Da ergriff Karl ihre Hand und drückte sie sanft. „Ist dir das heute Abend auch nicht zu viel?“

Sie blickte ihn erstaunt an. „Nein, natürlich nicht. Warum fragst du?“

„Nur so. Du weißt, dass ich mir leicht Sorgen mache, und mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit sehr wenig gegessen hast.“

Glücklicherweise waren sie gerade am Terrassenzimmer angelangt. Im Raum war es laut, man hörte Lachen, das Raunen von zahlreichen Gesprächen sowie das Klirren von Porzellan gegen Glas, während die Appetithäppchen herumgereicht wurden. Weiße Tischtücher und der Schein zahlreicher Kerzen in silbernen Leuchtern schufen eine luxuriöse Atmosphäre. In einer Ecke des Saals hatte die Band sich aufgebaut, und einige Leute drehten sich bereits zu den Klängen der Musik. Geschulte Kellner bewegten sich gewandt durch die Menge und boten, ohne die Gespräche zu unterbrechen, Getränke und Essen an.

„Cori hat recht gehabt. Ihre Mutter versteht sich wirklich auf das Ausrichten von Festen.“ Whitney blickte suchend im Saal umher und versuchte Cori und ihren Bräutigam in der Menge auszumachen.

Schließlich entdeckte sie die beiden am Kopfende der Tafel. Und plötzlich fühlte Whitney, wie ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten. Ihr wurde übel, das Blut pochte laut in ihren Ohren und übertönte jedes andere Geräusch. Nein, sie konnte jetzt unmöglich in Ohnmacht fallen.

Dankbar spürte sie, wie Karl ihren Ellenbogen ergriff und sie stützte. Er zuckte mit keiner Wimper, als Whitney mit ihren Fingernägeln schmerzhaft in seinen Arm kniff.

„Haltung bewahren, mein Täubchen“, flüsterte er ihr leise zu.

Verzweifelt versuchte sie den Rat ihres Onkels zu befolgen und setzte ein verkrampftes Lächeln auf. Denn den dunkelhaarigen Mann, der neben Cori saß und liebevoll den Arm um ihre Taille gelegt hatte, kannte sie nur allzu gut.

„Ist er … wusstest du es, Onkel Karl?“ Whitneys Stimme zitterte.

„Nein. Gracie hat mir nichts davon erzählt.“

Trotz des Schocks wurde Whitney klar, dass Karl soeben etwas Ungewöhnliches gesagt hatte. Sie starrte ihn überrascht an.

„Bist du denn oft mit Gracie Montgomery zusammen?“ Ihr Blick fiel auf Dylans Mutter.

Doch bevor Karl antworten konnte, wandte Dylan Montgomery, ihr bester Freund, sich zu ihr um. Deutlich konnte Whitney an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass es jetzt an ihm war, überrascht, ja, ungläubig und geschockt zu sein.

Ihr kam es vor, als ob jeder der anderen Gäste sie beobachtete und nur darauf wartete, dass sie zusammenbrach.

Doch niemand der Anwesenden wusste, was vor drei Monaten zwischen ihnen geschehen war. Alle hielten sie für gute Freunde. Nicht mehr. Also gab es auch keinen Grund, warum irgendwer sie mitleidig hätte betrachten sollen.

Whitney wusste nicht, woher sie den Mut fand, Dylan direkt ins Gesicht zu blicken und ihn herausfordernd anzulächeln.

Ihr kam es so vor, als könnte sie sein Grübchen sehen, das immer erschien, bevor er lächelte. Genau konnte sie es jedoch nicht sagen, denn sie standen zu weit auseinander.

Aber genau das war es ja gerade. Whitney kannte Dylan einfach so gut. Und nachdem, was vor drei Monaten geschehen war, kannte sie ihn noch viel besser. Sie spürte, wie ihr warm wurde.

Karl machte ein missbilligendes Geräusch. „Reiß dich zusammen.“

„Wie meinst du das?“

Er sah sie streng an wie ein Vater, der seine kleine Tochter beim Lügen erwischt hatte. „Ach, schon gut. Ich wusste es.“

Whitney runzelte die Stirn. Sie hatte keine Ahnung, wovon Karl eigentlich sprach. Und es war sonst nicht seine Art, in Rätseln zu sprechen. Zettel mit geheimnisvollen Botschaften in Fräcke zu stecken – ja. Aber in Gesprächen war ihr Onkel sonst immer sehr offen. Doch Whitney fragte nicht nach. Im Moment drehten sich alle ihre Gedanken um Dylan.

Sie sah, wie er sich zu ihr einen Weg durch die Menge bahnte, sah, wie ein älterer Gentleman sich ihm in den Weg stellte.

„Ist das Coris Vater?“, fragte Whitney.

„Ja. Ihre Eltern wohnen in San Francisco. Sie haben mit Computern, die irgendetwas mit Krankenhäusern oder anderen medizinischen Bereichen zu tun haben, ein Vermögen gemacht.“

Whitney spürte, wie ihr erneut übel wurde, denn sie musste an Dylans Worte denken. „Die Hersteller aus dem medizinischen Sektor sind sehr an unseren Ergebnissen interessiert“, hatte er gesagt. Hatte er in diesem Zusammenhang nicht auch von einer Ehe gesprochen?

„Wir müssen uns jetzt entscheiden, ob wir den Saal betreten oder uns schnell aus dem Staub machen, mein Täubchen“, drängte Karl.

Whitney atmete tief durch. „Rückzug kommt nicht in Frage, Onkel Karl. Außerdem besteht wirklich kein Grund, warum Dylan nicht bei Coris Verlobungsparty sein sollte. Und wenn es so ist, wie ich denke, dann ist es halt so. Ich habe schließlich keinen Anspruch auf ihn. Wir sind doch nur gute Freunde.“

Noch einmal ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte diesmal einige Mitglieder der örtlichen Polizei, unter ihnen Bobby McCullaugh, den sie bereits aus dem Geschäft für Brautmoden kannte. Wieder fiel ihr auf, dass Bobby seine Kollegin Cori düster anblickte. War er verärgert über sie? Oder liebte er sie etwa heimlich und hoffnungslos?

Karl wollte gerade etwas sagen, als Cori sie beide erblickte. Whitneys Illusionen, die sie sich mühsam über Dylans Anwesenheit gemacht hatte, zerplatzten wie Seifenblasen, als Cori Dylan am Ärmel zog und mit ihm auf sie beide zukam.

Whitney spürte, wie sich ihr Gesicht zu einer Maske verzerrte, so angespannt lächelte sie ihnen entgegen.

„Whitney! Wie schön, dass du gekommen bist! Darf ich dir meinen Zukünftigen vorstellen?“ Sie lachte. „Das ist Dylan Montgomery. Einer von ‚den‘ Montgomerys.“

Whitney sah Dylan an. Eher hätte sie sich die Zunge abgebissen, als dass sie ihm oder Cori diesen Abend ruiniert hätte.

„Ich weiß, wer er ist. Aber sei vorsichtig! Schmeichele ihm nicht zu viel, sonst wird er unerträglich eingebildet.“

Cori lächelte strahlend. „Oh, ihr kennt euch! Das hätte ich mir denken können.“

„Whitney und ich sind zusammen aufgewachsen“, erklärte Dylan ruhig.

„Dann habt ihr euch ja sicher viel zu erzählen. Ich muss mich mal um meine Mutter kümmern. Sie sieht aus, als ob sie gleich aus der Haut fährt. Sie war nicht sehr glücklich, dass ich meine Freunde von der Polizei eingeladen habe und Bier serviert wird. Das ist ihr nämlich zu gewöhnlich!“ Cori grinste und wandte sich ab. „Leistet euch gegenseitig Gesellschaft, während ich für Ruhe und Ordnung sorge.“

Dylan blickte seiner Braut nach, als sie sich einen Weg durch die Menge bahnte. Sie war nicht sehr groß, aber ihr selbstbewusstes Auftreten ließ sie sehr energisch wirken. Es war schwer, sie nicht zu mögen. In vielerlei Hinsicht erinnerte sie ihn an Whitney.

Er drehte sich um zu seiner besten Freundin. Karl war weggegangen, und sie waren allein. Oder zumindest fühlte es sich so an, obwohl der Saal voller Leute war.

Dylan spürte wie sein Herz schneller schlug, während er die Frau betrachtete, die seiner Verlobten nachblickte. Er war verwirrt, wusste nicht, was er genau fühlte und wie er sich verhalten sollte.

Und so ging es ihm heute zum ersten Mal. Früher hatte er nie Schwierigkeiten gehabt, sich in Whitneys Gegenwart frei und ungezwungen zu fühlen. Schließlich war sie sein bester Freund.

Doch wie wollte er diese Freundschaft genauer erklären? Plötzlich schien ihm das Wort „Freundschaft“ für die Gefühle, die er für Whitney hatte, nicht ausreichend. Aber wie sollte er sie sonst nennen?

Er wusste, mit welcher Soße sie ihren Salat am liebsten aß, wusste, dass sie auf jede Serviette ihre Modezeichnungen kritzelte, dass sie eine Katzenallergie hatte und trotzdem jeden Streuner fütterte, dass sie für ihre Familie und ihre Freunde durchs Feuer ging und ihre Hüften zu breit fand.

Sie war es, die ihn ermutigt hatte, auch gegen den Wunsch seines Vaters ein neues Computerdesign zu entwerfen, und wenn er sich dann später zu viel auf seinen Erfolg eingebildet hatte, konnte er auf Whitney zählen, die ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Wenn er eine Freundin gehabt hatte, war es Whitney gewesen, die ihn zwang, sich die entscheidende Frage zu stellen: War er wirklich verliebt?

Sie spielte fantastisch Poolbillard, konnte ihn unter den Tisch trinken und liebte Sonnenuntergänge.

Sie war sein bester Freund.

Eine unvergessliche Nacht lang war sie außerdem seine Geliebte gewesen.

Und jetzt sah sie ihn so verletzt an, dass er sich bis auf den Grund seiner Seele schämte.

„Ich sollte dir wirklich eine verpassen, Dylan Montgomery. Ich kann nicht fassen, dass du mir das verschwiegen hast!“

4. KAPITEL

Dylan stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor sie hin. „Okay, hau zu.“

Sie verdrehte die Augen und sah zur Seite. Obwohl sie sich wirklich bemühte, tapfer zu sein, erkannte er, wie verletzt und enttäuscht sie war. Und als sie zurückzuckte, als er ihre Wange berührte, fühlte er sich plötzlich schrecklich.

„Es tut mir leid, Slim.“

Betont lässig zuckte sie mit den Schultern. „Warum?“

„Weil ich es dir nicht erzählt habe.“

„Na und? Du schuldest mir doch keine Erklärung.“

„Doch, unsere Freundschaft verlangt, dass ich dir so etwas Wichtiges nicht verschweige.“

„Stimmt. Bei dem Schock hätte ich glatt einen Herzanfall bekommen können.“

Dylan fragte sich, ob Whitney nur eine sehr gute Schauspielerin war oder ob sie wirklich nichts gegen seine Ehe mit Cori einzuwenden hatte.

Er erinnerte sich gut daran, wie sie ihm in jener Nacht gesagt hatte, dass er sich über ihren Sex keinen Kopf machen sollte, dass es für ihre Freundschaft nicht wichtig sei und nicht viel für Whitney bedeutete.

Er hatte sich selbst überzeugen können, dass sie recht hatte und es keinen Grund gab, nicht die Bedingung anzunehmen, unter der die Spencers mit der Fusion der Firmen einverstanden waren.

Doch jetzt, als er Whitney gegenüberstand, sah die Sache plötzlich etwas anders aus.

„Wirklich, Dylan, es ist in Ordnung, nein, es ist wunderbar, dass du heiratest. Ich bin nur einfach total überrascht. Ich meine, du hattest schon so viele Beziehungen, und ich habe sie alle miterlebt. Wahrscheinlich habe ich nur nie daran geglaubt, dass du den endgültigen Schritt machst.“

„Warum nicht?“

Sie sah ihn unergründlich an, dann lachte sie leise. „Keine Ahnung. Du warst immer so weiterstrebend, so zukunftsorientiert, so …“ Sie machte eine hilflose Geste. „Ach, ich weiß nicht. Wie ein überzeugter Junggeselle eben. Eine Nacht – und dann nichts wie weg.“

Plötzlich schämte er sich. Einen Moment lang glaubte er in Whitneys Augen ein tiefes Gefühl zu sehen, doch dann verschwand der Ausdruck so schnell, wie er gekommen war.

Eine Nacht – und dann nichts wie weg? Eigentlich hatte er sich bei ihr genau so verhalten. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, war er als verlobter Mann in die Stadt zurückgekommen.

Sie blickte im Saal umher. „Ach, Jack O’Connor ist auch hier?“

Dylan folgte ihrem Blick. Er und Jack waren an der Uni enge Freunde gewesen, und er war Patenonkel von Jacks Sohn Patrick. „Ich habe Jack gebeten, mein Trauzeuge zu sein.“

Whitney sah ihn an. „Eigentlich sollte ich das sein, Dylan.“ Dann lachte sie so laut, dass andere Gäste sich neugierig nach ihnen umblickten.

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund ärgerte es Dylan, dass sie anscheinend so mühelos seine Hochzeit mit einer anderen Frau akzeptierte, dass sie sich sogar vorstellen konnte, daran teilzunehmen. Selbst wenn diese Hochzeit nur unter äußerstem Druck zustande gekommen war.

„Hey“, sagte Whitney und drückte seinen Arm. „Ich ziehe dich nur ein bisschen auf. Sieh mich nicht so böse an. Ich habe Coris Eltern vorher noch nie gesehen, aber ich habe gehört, dass sie zur besten Gesellschaft gehören. Und ihnen würde es gar nicht gefallen, wenn du dich auf einmal seltsam verhältst und mir den Job als deinen Trauzeugen anbietest. Obwohl ich echt gut in einem Frack aussehe.“

Sie sah, wie er sich unbehaglich am Hals entlangfuhr und dabei seine Krawatte verrückte. Als sie sie wieder zurechtrücken wollte, wich Dylan hastig zurück.

„Mann, bist du empfindlich.“ Komisch, dass er über ihre Bemerkung mit dem Frack nicht gelächelt hatte.

„Entschuldigung. Ich bin ein bisschen angespannt, weil ich erst vor einer halben Stunde angekommen bin.“

„Aha, das erklärt allerlei.“

„Was denn?“

„Dass du mir nichts von Cori erzählt hast. Dann kann ich dir ja auch verzeihen, denn in dieser halben Stunde hattest du tatsächlich keine Zeit, mir die Neuigkeiten beizubringen. Obwohl es natürlich so etwas wie Telefone geben soll.“

Er wollte schon etwas entgegnen, besann sich dann aber anders und nahm sie am Arm. „Komm, wir setzen uns.“

„Bevor du uns alle in Verlegenheit bringst und abhaust?“ Dylan lächelte und Whitney wurde bewusst, dass er zum ersten Mal an diesem Abend entspannt aussah. „Du kennst mich wirklich zu gut.“

„Jeder, der Augen im Kopf hat, kann sehen, dass diese Sorte Party eine Quälerei für dich ist. Aber dafür hältst du dich echt gut. Und außerdem ist es schließlieh deine eigene Verlobungsparty.“

Dylan winkte einen Kellner heran. „Möchtest du einen Drink?“

„Mineralwasser mit Zitrone.“ Whitney unterdrückte den Zwang, mit dem Bein zu wippen.

Dylan zog eine Augenbraue hoch. „Trinkst du keinen Alkohol mehr?“

„Mir ist heute nicht danach.“ Whitney wandte den Blick ab. Sie sah, wie Onkel Karl Jack O’Connors Sohn seinen alten Zaubertrick mit einem Geldstück vorführte, während Dylans Mutter Grace die beiden mit verzücktem Gesichtsausdruck betrachtete.

Karl hatte diese ganz besondere Wirkung auf Menschen, aber zwischen ihm und Grace Montgomery war es zudem immer etwas ganz Besonderes gewesen. Das gewisse Etwas.

So wie zwischen Whitney und Dylan.

„Jack sieht gut aus“, bemerkte sie. Darüber zu sprechen, warum sie im Moment keinen Alkohol vertrug, war ein viel zu gefährliches Thema.

„In der Tat. Vater zu sein ist wohl genau das Richtige für ihn.“

Whitney verschluckte sich beinahe an dem Schnittchen mit Gänseleberpastete.

„Na, nach fünf Jahren als Vater will ich das wohl hoffen“, antwortete sie dann trocken. „Wenn er immer noch kein Profi darin ist, müsste man sich Sorgen machen. Trotzdem ist es nett, dass er deinetwegen gekommen ist.“

„Eigentlich ist er nicht nur meinetwegen hier. Er schaut sich nach einem geeigneten Haus um, denn er will aus der Stadt wegziehen, damit Patrick in einer Kleinstadt aufwächst. Außerdem sind hier die Schulen besser.“

Whitney betrachtete den kleinen Jungen genauer. Früher hatte sie nicht besonders auf Kinder geachtet. Jetzt fielen sie ihr plötzlich überall auf.

Entschlossen verbot sie sich jeden weiteren Gedanken zu diesem Thema. „Es gibt keinen besseren Ort, um aufzuwachsen. Er wird hier glücklich sein.“

Dann setzten sie sich beide, wie unzählige Male in ihrem Leben zuvor, an einen Ecktisch, ließen ihre Blicke schweifen, sprachen über die Leute, die sie kannten, und stellten Mutmaßungen über diejenigen an, die sie nicht kannten. Dennoch, an diesem Abend herrschte zwischen ihnen eine Spannung, die sie beide sich nicht eingestehen wollten.

Und diese Spannung brach Whitney fast das Herz. Sie nippte an ihrem Mineralwasser und wünschte, sie könnten weggehen. Dabei wusste sie genau, dass das unmöglich war – zumindest nicht zusammen, wie sie es früher so oft getan hatten.

„Wer ist der Typ, der neben deiner Schwester steht?“, erkundigte sie sich.

„Mark Forrester, Stellvertreter in der Firma. Außerdem ist er mein anderer Trauzeuge.“

„Ach ja? Du hast noch nie etwas von ihm erzählt. Wie kommt es, dass ich nichts über ihn weiß?“

„Mark ist erst seit acht Monaten in der Firma. Ich habe ihn zum Boss der hiesigen Niederlassung gemacht. Er ist ein echter Glücksfall für mich. Ein wirklich netter Typ, dabei allerdings ein echter Workaholic.“

„Schlimmer als du?“

„Viel schlimmer. Und er scheint ein Auge auf meine Schwester Candice geworfen zu haben. Deshalb hat er nichts dagegen, hier in Montgomery anstatt in San Francisco zu arbeiten.“

„Warum ist eigentlich J. T. nicht da? Wolltest du ihn nicht bei deiner Verlobungsparty dabei haben?“ Whitney wusste, dass J. T. Watson, der jetzt in Texas lebte, ebenfalls einer von Dylans engsten Freunden war. Im College waren Dylan, J. T. und Jack wie die drei Musketiere gewesen – eine wahrhaft umwerfende Mischung von gut aussehend, sexy und vermögend. Gnade der Frau, die sich in einen dieser drei attraktiven Kerle verliebte!

„Ich habe ihn eingeladen“, sagte Dylan, „aber er hat abgesagt, weil er eine andere Verabredung für dieses Wochenende geplant hatte.“

„Warum siehst du so ungehalten aus? So etwas passiert doch manchmal. Ich glaube nicht, dass er dich damit kränken wollte.“

Dylan zuckte mit den Schultern. „Hoffentlich nicht. Aber es ist schon komisch, denn jedes Mal, wenn wir telefonieren, fragt er nach Candice, und dann bekommt er immer so einen seltsamen Tonfall. Weißt du, was ich meine?“

„Nein, woher denn.“

„Es ergibt keinen Sinn. Vielleicht hatten sie ja mal etwas miteinander. Aber vermutlich weißt du mehr darüber. Du und Candy wart immer sehr gut befreundet.“

Das stimmte. Whitney und Candy hatten sich immer auf ganz besondere Weise miteinander verbunden gefühlt. „Sie hat mir nie etwas davon erzählt.“

„Vielleicht deute ich J. T.s Tonfall auch einfach falsch. Außerdem klang ich wahrscheinlich während des Telefonats so, als ob diese Sache hier nicht sehr wichtig sei.“

Whitney fand es eigentümlich, dass er seine Verlobung mit „dieser Sache“ umschrieb. Sie hatte etwas auf dem Herzen, das sie ihn fragen musste. Das war sie ihrer Freundschaft schuldig.

„Ist deine Verlobung denn wichtig, Dylan?“

Er schwieg, dann sagte er: „Erinnerst du dich daran, dass ich dir etwas von einer Fusion erzählte?“

Whitney nickte.

„Spencer hat mir einen Handel vorgeschlagen, der mindestens eine Milliarde Dollar einbringt. Es geht um Laser, ein Thema, das mich schon längere Zeit brennend interessiert.“

Das erklärte zwar den Geschäftsaspekt, der ihn zu dieser Verlobung trieb, aber wie sah es zwischen ihm und Cori aus? Whitney traute sich nicht, diese Frage zu stellen.

„Trotzdem, ich glaube, du bist bei J. T. zu empfindlich. Normalerweise brauchen Leute ein bisschen länger als eine Woche, um Vorbereitungen für eine Reise zu treffen. Oder weißt du es schon länger als eine Woche?“ Abgrundtiefe Erleichterung erfüllte sie, als er den Kopf schüttelte.

„Nein. Cori und ich sind beide sehr beschäftigt. Als Spencer auf eine Hochzeit drängte, dachten wir, wir könnten einfach zum Standesamt gehen und die Sache hinter uns bringen. Aber Coris Mutter bekam fast einen Anfall, und so endeten wir mit einer Verlobungsparty, Frackleihen und Kirchenreservierung.“

Whitney hob eine Augenbraue. „Ich kann mich nicht daran erinnern, deinen Namen in unserem Terminkalender gelesen zu haben, Dylan. Du hast doch nicht etwa vor, zur Konkurrenz zu gehen?“

Eine Sekunde lang wich er ihrem Blick aus. Dann sagte er: „Wie ich bereits sagte, ich hatte in letzter Zeit extrem wenig Freiraum. Aber jetzt, da Mark und Jack hier sind, werden wir wahrscheinlich morgen in euren Laden kommen. Meinst du, das geht?“

„Na ja, vielleicht“, neckte sie ihn. „Wir sind sehr begehrt. Die heißesten Schauspieler kommen schließlich zu uns.“

Als sie seinen missbilligenden Blick sah, setzte sie hinzu: „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“

Er lächelte, und Whitney konnte diesmal sein Grübchen bestens sehen. „Vielleicht bin ich das.“ Sein Blick glitt über ihre schlanke Figur, die in dem aufreizenden Kleid hervorragend zur Geltung kam. „Du siehst wirklich umwerfend aus, Slim.“

Sein Kompliment war ganz spontan, so wie damals, vor drei Monaten. Aber heute Abend tranken sie nichts. Außerdem – konnte sie für das, was zwischen ihnen geschehen war, nur den Alkohol verantwortlich machen?

„Mein Lieber, vergiss nicht, dass du verlobt bist.“

„Na und? Kann ich deshalb meiner ältesten und besten Freundin nicht mehr sagen, dass sie toll aussieht?“ Plötzlich wurde sein Blick durchdringend, und ihr war, als versuche er direkt in ihre Seele zu schauen, um herauszufinden, ob sie ihm die Wahrheit gesagt hatte – nämlich, dass sich trotz jener Nacht nichts zwischen ihnen ändern würde.

Mein Güte, ihre Fantasie ging mit ihr durch!

Etwas hilflos machte Whitney eine Handbewegung, und als Dylan ihre Hand ergriff, machte ihr Herz einen Satz.

„Also, glaubst du, dass du trotz der vielen Schauspieler in eurem Laden morgen Zeit hast, mich zu beraten?“

Wie konnte sie nur den wahren Grund vergessen, warum sie ihn auf dieser Party getroffen hatte? Sie lächelte ihn an, obwohl ihr das Herz auf einmal sehr schwer wurde. „Natürlich, Dylan. Du weißt doch, dass ich für dich immer Zeit habe.“

Plötzlich wurden sie in ihrer Unterhaltung durch ein lebhaftes Treiben gestört, das einige Tische entfernt stattfand. Coris Mutter fächelte sich Luft zu, als ob sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen würde. Cori wippte ungeduldig mit dem Fuß, stopfte – zu Whitneys ungläubigem Erstaunen – ihren Pieper zurück in ihren Büstenhalter und winkte Bobby McCullaugh zu sich heran.

Dann gingen die beiden zwischen den Tischen hindurch, bis sie vor Whitney und Dylan standen. Auf einmal wurde Whitney bewusst, wie das, was sie mit Dylan machte, auf andere wirken musste. Sie hatte den Bräutigam viel zu lange mit Beschlag belegt und dabei alle anderen Anwesenden völlig ignoriert.

Schuldbewusst rückte sie ihren Stuhl etwas von Dylan weg. Doch Cori sah überhaupt nicht ungehalten aus. Stattdessen blieb sie fröhlich lächelnd vor ihrem Tisch stehen. „Ich habe gerade einen Anruf bekommen, Dylan.“ Sie legte eine Hand auf seine Schulter und küsste ihn leicht auf die Wange. Bobby McCullaugh stand hinter ihnen und blickte ungeduldig auf die Uhr.

„Musst du weg?“, fragte Dylan.

„Ja. Die Pflicht ruft. Das versteht du doch, oder?“

„Natürlich.“

„Du bist wirklich ein netter Kerl, Dylan.“ Cori tätschelte Whitneys Hand. „Mir kommt es vor, als ob ich ständig weg muss, bevor ich mich mit dir unterhalten kann. Pass gut auf ihn auf, ja?“ Sie wies mit dem Kopf zu Dylan.

Wie betäubt nickte Whitney. Sie fühlte sich schrecklich elend. Erst hatte sie Dylan von allen anderen Gesprächen abgehalten, und die Braut hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt. Und natürlich hatte Cori keine Ahnung, was in jener Nacht zwischen ihnen vorgefallen war. Und jetzt vertraute sie ihr Dylan gewissermaßen auch noch an!

Es war fürchterlich. Selbst wenn sie mit dem Gedanken gespielt hätte, Dylan von ihrem Dilemma zu erzählen, wusste sie, dass das jetzt nicht mehr in Frage kam.

Whitney mochte Cori Spencer. Sie konnte unmöglich das Leben dieser Frau ruinieren.

Am nächsten Morgen kam Whitney zu spät ins Geschäft. Sie stand an der Verkaufstheke und nippte an ihrem Tee, hörte damit aber auf aus Angst, ihr könnte sofort schlecht werden. Was sie wirklich brauchte, war ein Bett.

Dabei war die Morgenübelkeit das geringste ihrer Probleme. Viel schlimmer war, dass gleich Dylan in den Laden kommen würde, um sich einen Frack auszusuchen.

Die Vorstellung war einfach furchtbar.

Whitney hatte versucht sich zu drücken, hatte vorgegeben, sie hätte andere, dringendere Termine. Aber ihr schlauer Onkel Karl hatte ihre Ausreden einfach nicht gelten lassen. Also hatte sie sich zusammengerissen und war doch noch ins Geschäft gekommen.

Autor

Kate Welsh

Kate Welsh lebt mit ihrem Ehemann in Haverton, einer kleinen Stadt in der Nähe von Philadelphia. Eine ihrer zwei Töchter lebt noch zu Hause. Kate Welsh schreibt in Vollzeit. Wenn sie gerade keine neuen Geschichten kreiert und populäre Charaktere schafft, beschäftigt sie sich in ihrem Haus mit allen kleineren Arbeiten,...

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Mindy Neff stammt ursprünglich aus Louisiana, dem Süden der USA, lebt aber jetzt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern im sonnigen Kalifornien.

Das Wichtigste im Leben sind ihr Familie, Freunde, schreiben und lesen. Wenn sie nicht an einer Romance arbeitet, dann kümmert sie sich um die Buchhaltung der...

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