Bianca Weekend Band 19

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GLÜCK ZU DRITT von KAREN ROSE SMITH

Zwischen Tori und ihrem smarten Jugendfreund Jake war nie etwas! Warum fühlt sich plötzlich alles so wunderbar anders an, als er ihr Haus auf Vordermann bringt? Die Chemie stimmt – aber das Timing nicht: Tori bekommt endlich ihr Adoptivkind. Wird Jake bei ihr bleiben?

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„Bist du Single?“ Zwei niedliche Mädchen blicken zu Sloan auf. Der Rancher ist gerührt – und zugleich fasziniert von der schönen Mutter der beiden. Als er miterlebt, wie sie ihren Job verliert, kann er nicht anders: Er bietet Emily Nelson an, seine Haushälterin zu werden … 

WO UNSERE TRÄUME WOHNEN von KAREN TEMPLETON

Auch wenn er sie erst kurze Zeit kennt: Violet ist die Frau seines Lebens! Mit ihr und ihren Söhnen will sich Ex-Cop Rudy in dem alten Gasthof eine neue Zukunft aufbauen. Bis plötzlich Violets Ex-Mann auftaucht – und sie sich gegen ihn und seine Liebe entscheidet …

uftaucht – und sie sich gegen ihn und seine Liebe entscheidet …


  • Erscheinungstag 16.03.2024
  • Bandnummer 19
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527569
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Rose Smith, Janis Reams Hudson, Karen Templeton

BIANCA WEEKEND BAND 19

1. KAPITEL

Victoria Phillips war aufgeregt und ängstlich. Aber trotzdem freute sie sich riesig, denn in weniger als vier Wochen würde das Baby da sein.

Es war Anfang September. Der Himmel über Santa Fe leuchtete violett und blassorange, und Tori hastete die drei Stufen zur Veranda ihres Ranchhauses hinauf, das aus luftgetrockneten Lehmziegeln gemauert war. Während sie die Tür aufschloss, musste sie wieder daran denken, dass sie, falls alles nach Plan lief, bald einen kleinen Jungen mit nach Hause bringen würde … Falls Barbara Simmons, die Achtzehnjährige, die sich zu jung fühlte, ein Kind zu erziehen, ihre Entscheidung nicht plötzlich rückgängig machte. Seit Tori sich einverstanden erklärt hatte, das Baby des Mädchens zu adoptieren, bohrte Tag und Nacht die Angst in ihrem Herzen, dass am Ende doch alles ganz anders kommen könnte.

Sie legte gerade ihre lederne Handtasche auf dem Wohnzimmertisch ab, als es an der Haustür klingelte.

Eilig lief Tori aus dem Wohnzimmer. Vielleicht ist es Barbara, dachte sie. Das Mädchen schaute ab und zu mal vorbei und erzählte ihr, wie die Schwangerschaft verlief. Und seit Tori das Baby auf dem Ultraschall gesehen hatte …

Erwartungsvoll riss sie die Tür auf. Plötzlich stockte ihr der Atem. Auf Anhieb erkannte sie den Mann, der auf der Veranda vor ihr stand … Jake Galeno! Gestern Abend hatte sie seine Telefonnummer in einer Zeitungsannonce entdeckt und ihn angerufen, aber sie hatte niemals gedacht, dass er auf ihre Nachricht so schnell reagieren würde. Und auf gar keinen Fall hatte sie damit gerechnet, dass er plötzlich vor ihrer Tür stehen würde. Immerhin waren zwölf Jahre vergangen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vor zwölf Jahren hatte er sie zum Abschlussball der High School begleitet, und am Ende jenes wundervollen Abends hatte er ihr einen atemberaubenden Kuss gegeben … Einen Kuss, den sie niemals hatte vergessen können.

Obwohl sie sich mit ihren dreißig Jahren durchaus für eine selbstbewusste Frau hielt, löste der Gedanke an damals immer noch Schwindelgefühle in ihr aus. „Jake! Ich hatte keine Ahnung, ob du dich an mich erinnern würdest. Ich konnte ja nicht damit rechnen, dass du dich so schnell bei mir meldest!“

Ein plötzlicher Windstoß wirbelte durch sein blauschwarzes Haar. An den hohen Wangenknochen, dem markanten Gesicht und an seiner leicht gebogenen Nase konnte man deutlich erkennen, dass Jake Galenos Stammbaum spanische, angloamerikanische und indianische Vorfahren aufwies, und Tori erinnerte sich noch bestens daran, dass sie ihn früher für den attraktivsten Mann gehalten hatte, der ihr jemals unter die Augen gekommen war. Niemand war so sexy wie Jake Galeno.

Niemand ist so sexy wie Jake Galeno, flüsterte es leise in ihrem Innern.

„Natürlich erinnere ich mich an dich“, erwiderte Jake mit leisem Spott. „Oder hast du im Ernst geglaubt, dass ich unsere Nacht in Camelot jemals vergessen könnte?“

Tori ging es genauso. Der Saal, in dem der Abschlussball stattgefunden hatte, war nach Motiven um den sagenhaften König Arthur dekoriert worden, und eine wundervolle Nacht lang hatte sie sich von Jake in die Welt der mittelalterlichen Legende entführen lassen. Äußerlich mochte Jake Galeno vielleicht ein wenig rau wirken, aber seine tiefe, ruhige, weiche Stimme hatte sie sanft eingehüllt und ihr Inneres durchflutet wie die uralten Melodien der indianischen Musik, die sie so sehr liebte. Jetzt schaute er sie aus seinen schwarzen Augen an und fesselte ihren Blick. Es handelte sich nur um eine winzige Sekunde, aber für sie war es wie eine kleine Unendlichkeit. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander.

Schließlich brach er das Schweigen. „Du hast mich angerufen, weil du Reparaturen an deinem Haus erledigt haben willst?“

Bestimmt hält er mich für absolut unfähig! dachte sie. Sie strich sich die Strähnen ihrer dunkelblonden Pagenfrisur hinter das Ohr und schluckte kräftig. „Ja, stimmt. Bitte komm doch rein.“

Jake hatte zwar schmale Hüften, aber er war sehr groß und breitschultrig, und deshalb schien er den ganzen Raum auszufüllen, als er ihr Haus betrat. Nur weil Tori die beste Freundin seiner Schwester Nina gewesen war, hatte er sie zum Abschlussball ausgeführt. Aus purer Freundlichkeit. Danach waren sie wieder getrennte Wege gegangen. Damals hatte er seine Ausbildung an der Polizeischule gerade abgeschlossen und bei der Polizei in Albuquerque seinen ersten Job angenommen. Warum ist er jetzt nach Santa Fe zurückgekehrt? fragte sich Tori.

„Du hast mir auf den Anrufbeantworter gesprochen, wann du bei dir zu Hause zu erreichen bist“, erinnerte er sie. „Der Kostenvoranschlag wird genauer, wenn ich vor Ort einen Blick auf die Sache werfen darf.“

„Die anderen Handwerker, die ich angerufen habe, haben es noch nicht einmal für nötig gehalten, sich überhaupt bei mir zu melden“, beschwerte sich Tori. „Immerhin, einer hat zwei Wochen später bei mir angerufen und mir erklärt, dass sein Terminkalender aus allen Nähten platzt. Bis Weihnachten ist er voll besetzt.“

Beiläufig ließ Jake die gebräunte Hand in die Tasche seiner Jeans gleiten. „Meine Firma existiert erst seit einem halben Jahr. Aber seitdem bin ich tatsächlich dauernd ausgebucht. Ein Projekt ergibt das nächste. Demnächst bin ich mit einem Haus in der Nähe von Española fertig. Dann kann ich mich um dich kümmern, vielleicht nächste Woche Dienstag?“

„Fantastisch! In ein paar Wochen will ich die Sache hinter mir haben …“ Tori brach ab. Jake interessiert sich bestimmt mehr für seinen Kostenvoranschlag als für dein Privatleben, ermahnte sie sich streng.

„Was ist in ein paar Wochen?“, hakte Jake freundlich nach. „Was Besonderes?“

Sie zögerte nur kurz. „Ich werde Mutter.“

Unwillkürlich glitt sein Blick über ihre weite türkisfarbene Hose. Der Stoff schmiegte sich an ihren Körper, wenn sie sich bewegte, und wenn sie still stand, fiel er locker an ihm herunter. Jakes eindringlicher Blick verursachte ein unangenehmes Gefühl in ihrer Magengegend. „Oh nein, ich bekomme kein Baby. Also, äh, nicht auf natürlichem Weg. Ich adoptiere ein Kind.“

„Ein Neugeborenes?“

„Ja. Es handelt sich um eine private Vereinbarung. Zwischen einer jungen, unverheirateten Mutter und mir.“

Jake lächelte. „Und du kannst es kaum erwarten.“

„Stimmt. Ich will, dass alles in Ordnung ist, wenn das Kind kommt. Alles muss perfekt sein … Wie lange warte ich schon auf ein Baby …“

„Hast du nie geheiratet?“, fragte Jake spontan.

„Ich war verheiratet. Ein paar Jahre lang, aber es hat nicht funktioniert. Nach der Scheidung habe ich meinen Mädchennamen wieder angenommen.“

„Kein einfacher Job, ein Kind allein großzuziehen.“

Immer derselbe Spruch, dachte Tori genervt. Langsam konnte sie ihn nicht mehr hören. Weder von ihrer Mutter noch von den Medien oder von der zweifelnden Stimme in ihrem Kopf, die sich immer wieder unverhofft zu Wort meldete. „Jedenfalls leichter als mit einem Mann, der mich früher oder später doch im Stich lassen wird. Oder als mit einem Mann, der mein Vertrauen nicht verdient. Oder einem, der mich nicht als gleichberechtigte Partnerin ansieht.“

Jake zog die Augenbrauen zusammen. „Tut mir leid, wenn ich den Finger auf eine offene Wunde gelegt habe. Aber mir steht tagtäglich vor Augen, wie meine Schwester sich mit ihren beiden Jungen abmüht, seit ihr Mann gestorben ist.“

„Oh, Jake, bitte entschuldige. Ich hatte ja keine Ahnung! Nina und ich haben uns vor ein paar Jahren aus den Augen verloren. Ich habe noch nicht einmal gewusst, dass sie überhaupt verheiratet war. Und jetzt ist sie verwitwet! Nina hat Söhne, hast du gerade gesagt?“

Er lächelte. „Zwillinge. Ab und zu hole ich sie für einen Tag zu mir. Glaub nicht, dass ich dann auch nur eine Sekunde zur Ruhe komme. Sie wirbeln herum wie ein Tornado. Eine Woche Knochenarbeit vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang kostet mich weniger Energie.“

Obwohl seine Bemerkung trocken und sarkastisch klang, begriff Tori, dass er sehr stolz auf seine Neffen war. „Hast du keine eigenen Kinder?“, bohrte sie neugierig nach.

Plötzlich kniff Jake die Lippen zusammen. „Nein“, presste er mürrisch hervor. „Ich war nie verheiratet. Und ich werde auch nie heiraten.“

Knisterndes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Draußen hupte ein Auto. Tori nutzte die Gelegenheit, den Blick von ihm abzuwenden und aus dem Fenster zu schauen. „Vielleicht fangen wir draußen mit der Besichtigung an. Am besten, wir gehen durch die Küche“, schlug sie vor, eilte voran und wagte es nicht, noch einen Blick in die schwarzen Augen zu werfen. Augen, die sie immer noch ungeheuer faszinierten.

Graue Wölkchen mit kitschigen hellrosa Flecken durchzogen den violetten Himmel, als Jake auf Victoria Phillips’ Terrasse stand und die Wetterschäden an der nördlichen Außenwand ihres Hauses betrachtete. Jedenfalls versuchte er mit aller Macht, sich auf die Mauer zu konzentrieren – und nicht auf sie. Als er am vergangenen Abend ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter abgehört hatte, hatte er sich wie mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit versetzt gefühlt. Mit ihrem dunkelblonden glatten Haar und ihren blaugrünen Augen war sie für ihn immer eine Schönheit gewesen. In seiner Fantasie hatten ihre weichen Kurven sich für einen Moment lang wohlig an seinen kantigen Körper geschmiegt. Als er ihr das erste Mal begegnet war, war sie siebzehn gewesen und er einundzwanzig. Ein Jahr später hatte er sie zum Abschlussball begleitet, weil ihr Date von einem Tag auf den anderen mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus gelandet war. Damals hatte er das Gefühl gehabt, als hätte sie eine Lunte gelegt, die sein Verlangen irgendwann zur Explosion bringen würde. Aber er fühlte sich dafür verantwortlich, ihre Unschuld zu schützen.

Tori war für ihn immer noch außerhalb der Reichweite. Sein Leben verlief in unruhigen Bahnen. Er war sich noch nicht einmal sicher, dass er wirklich in Santa Fe bleiben wollte. Im Moment hatte er unbezahlten Urlaub, aber es würde ihn nur einen einzigen Anruf bei der Polizei in Albuquerque kosten, und er konnte wieder in sein altes Einsatzkommando zurückkehren. Das wollte er auf keinen Fall. Und noch weniger hatte er die Absicht, sich mit einer Frau wie Tori einzulassen. Noch vor einem Jahr war er Experte darin gewesen, die Absichten anderer Menschen besser zu durchschauen als seine eigenen. Wenn sein Talent ihn nicht im Stich gelassen hatte, dann konnte er sichergehen, dass die Adoption eines Babys Tori Phillips mehr bedeutete als eine heiße Affäre.

„Du hast erzählt, dass das Bad neu gefliest werden soll. Und du willst einen Arzneischrank montieren. Außerdem soll der Wandschrank im Kinderzimmer repariert werden“, zählte Jake auf.

Trotz der Abendsonne konnte er erkennen, dass ihre Wangen sich rot gefärbt hatten. „Ich zeig’s dir.“ Schnell hastete Tori zum Haus und in Richtung Badezimmer.

Auf Anhieb erkannte er, dass die Fliesenarbeiten rund um die Badewanne und das Waschbecken viel Zeit und Mühe kosten würden. „Die Verfugung hier ist verdammt alt“, bemerkte Jake fachmännisch, während er mit den Fingern über die Ritzen fuhr, aus denen der Putz bröckelte. Anschließend nahm er den Arzneischrank und die Beleuchtung unter die Lupe, die Tori besorgt hatte. Es überraschte ihn nicht, dass beides qualitativ hochwertig war. Nachdem sie ihm gestern auf den Anrufbeantworter gesprochen und er ihre Adresse aus dem Telefonbuch herausgefischt hatte, war er an ihrer Galerie vorbeigefahren. Die Galerie lag am Old Santa Fe Trail, und finanziell musste sie sich ziemlich gut stehen, wenn sie sich das kleine Häuschen leisten konnte. Immobilien in Santa Fe kosteten ein Vermögen.

„Hier ist der Schrank.“ Sie führte ihn in das zukünftige Kinderzimmer und öffnete die Tür zum Wandschrank. „Oben sollen Regalbretter angebracht werden, und unten will ich Bügel aufhängen.“ Sie zeigte auf die beschädigten Stellen an der Wand. Der Putz bröckelte bereits ab. „Kriegst du das hin?“

„Als ich zehn Jahre alt war, hat mich mein Onkel unter seine Fittiche genommen“, erklärte Jake. „Ich kriege alles hin. Mauern, Fliesenlegen, Marmor- und Terrazzoarbeiten.“

„Richtig. Ich erinnere mich. Du hast bei deinem Onkel gearbeitet, bevor du zur Polizeischule gegangen bist“, meinte Tori.

„Dein Gedächtnis funktioniert ganz ausgezeichnet.“

„Ich jedenfalls kann mich noch ganz genau an jedes einzelne Wort erinnern, das wir damals auf dem Abschlussball gewechselt haben.“ Plötzlich wurde sie rot, als hätte sie ein unausgesprochenes Geheimnis gelüftet. Hastig wechselte sie das Thema. „Was meinst du, wie lange du für die Sanierung brauchst? Barbaras Baby kommt Ende September.“

„Es ist dir bestimmt recht, wenn ich mich ranhalte. In vier oder fünf Tagen kann der Job erledigt sein.“

„Großartig. Dann bleiben mir noch drei Wochen, um alles vorzubereiten.“

„Heute Abend mache ich die Aufstellung und schicke dir den Kostenvoranschlag per Post“, schlug Jake vor. „Oder ich rufe dich an.“

„Genau. Ruf mich einfach an.“

„Vielleicht willst du die Abrechungsposten einzeln aufgestellt sehen“, widersprach er.

„Nein. Du hast mein vollstes Vertrauen.“

Ihre Worte überraschten ihn. „Wieso?“

„Weil ich nicht glaube, dass der junge Mann, der mich damals zum Abschlussball begleitet hat, sich total verändert hat. Damals hättest du mich ziemlich leicht ausnutzen können. Hast du aber nicht.“ Tori lachte auf. „Noch was, Jake. Ich bin nicht mehr so naiv wie damals.“

Soll das eine Warnung sein? wunderte sich Jake überrascht. „Ich werde bei Gelegenheit dran denken.“

Hastig verließ er das Schlafzimmer, eilte zum Eingang und öffnete die Tür.

Mühelos war sie ihm gefolgt. „Wenn du Nina triffst, sag ihr doch bitte mein herzliches Beileid. Vielleicht hat sie Lust, sich demnächst mal mittags zum Essen mit mir zu treffen.“

„Bestimmt. Ich richte es ihr aus.“

Er warf Tori Phillips einen letzten Blick zu. Aus der jungen Schulabgängerin von damals ist eine äußerst attraktive Frau geworden, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Als er das Haus verließ, hoffte er inständig, dass es kein Fehler gewesen war, den Job anzunehmen.

Am nächsten Abend gegen acht klingelte das Telefon. Sofort erkannte Tori die Stimme am anderen Ende.

„Tori? Hier ist Nina.“

„Nina! Wie geht’s dir? Jake hat mir die Sache mit deinem Mann erzählt. Es tut mir unendlich leid.“

Am anderen Ende herrschte einen Moment lang Schweigen. „Es war für alle ein Schock. Aber inzwischen kommen wir zurecht. Jake … kurz nachdem es passiert war … er war vollkommen verzweifelt. Konnte nichts mit sich anfangen. Das war einer der Gründe, weshalb er nach Santa Fe zurückgekehrt ist, und ich bin sehr dankbar dafür. Die Jungen brauchen ihn.“

„Es freut mich, dass er dir eine Hilfe ist. Wie lange warst du verheiratet?“, wollte Tori wissen.

„Acht Jahre. Es … es war keine glückliche Ehe.“

Die beiden Frauen schwiegen wieder. Tori wusste nicht recht, was sie sagen sollte, obwohl ihre frühere Freundin ihr gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht hatte, was sie für andere Menschen wirklich empfand. Insgeheim hatte sie gehofft, dass die alte Vertrautheit sofort wieder hergestellt sein würde, sobald sie mit Nina telefonierte. „Jake hat mir verraten, dass du Zwillinge hast.“

„Und du willst ein Baby adoptieren! Wie wär’s, wenn wir mal ausführlich quatschen? Komm doch morgen Abend zum Essen zu mir nach Hause. Dann kannst du auch gleich meine Söhne kennenlernen.“

„Mach dir meinetwegen keine Umstände“, wehrte Tori ab.

„Es macht mir keine Umstände“, beharrte Nina. „Mom übernimmt das Kochen. Mein Freund wird auch hier sein. Genau wie Jake.“

„Jake?“

„Ja. Ab und zu weiß er ein gutes Abendessen zu schätzen. Habt ihr zwei euch über die alten Zeiten unterhalten?“

„Gab es die überhaupt? Er hat mich doch nur zum Abschlussball ausgeführt“, wandte Tori ein.

„Soweit ich weiß, habt ihr euch prächtig unterhalten“, widersprach Nina. „Ich glaube, damals hatte er gerade die Polizeischule hinter sich gebracht. Dann ging alles ziemlich schnell. Ich wünschte nur …“

Tori fragte sich, warum Nina ihren Satz nicht zu Ende sprach. „Was wünschst du dir?“

„Hat er dir nicht erzählt, was geschehen ist? Warum er nach Santa Fe zurückgekommen ist?“

„Nein. Vergiss bitte nicht, dass er mich nicht besucht hat, um mir Gesellschaft zu leisten“, erklärte Tori. „Er wollte sich das Haus ansehen, das saniert werden soll. Aber nun sag schon, warum ist er denn nach Santa Fe zurückgekommen?“

„Das überlasse ich besser ihm selbst“, erklärte Nina. „Er schätzt es gar nicht, wenn ich anderen Leuten Geschichten aus seinem Leben erzähle.“

„Und bist du dir sicher, dass er nichts dagegen hat, wenn ich beim Dinner auftauche? Vielleicht schätzt er es auch nicht, wenn du sein Berufsleben mit seinem Privatleben vermischst.“

„Du bist mein Gast. Und was Jake betrifft, es dürfte ihm nicht schaden, wenn sein Beruf und sein Privatleben sich ein bisschen in die Quere kommen. Er weiß immer noch nicht, wohin die Reise gehen soll. Segelt ziellos durch die Weltgeschichte.“

Tori war sich sicher, dass das Baby ihrem Leben den Sinn geben würde, nach dem sie sich so sehr sehnte. Natürlich liebte sie die Arbeit in ihrer Galerie. Sie förderte eingeführte Künstler, entdeckte neue und verschaffte ihnen die Chance, sich am Markt zu etablieren. Aber sie wusste auch, dass sie nicht nur auf der Welt war, um zu arbeiten und ein bequemes Leben zu führen. Sie sehnte sich danach, Mutter zu sein. So sehr, dass ihr jedes Mal die Tränen in die Augen schossen, wenn sie an die schreckliche Geschichte dachte. An den Autounfall, in den sie und Dave verwickelt worden waren. An jenen Unfall, der ihr jede Chance geraubt hatte, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Aber sie zweifelte nicht im Geringsten daran, dass sie das Kind, das sie auf dem Ultraschall gesehen hatte, mit jeder Faser ihres Herzens lieben würde.

„Nichts ist wichtiger, als ein Ziel vor Augen zu haben“, stimmte sie zu. „Du kannst mir alles beibringen, was ich als Mutter wissen muss. Und mir Tipps für die Erstausstattung geben. Mir Sachen empfehlen, von denen mir nicht im Traum eingefallen wäre, sie zu kaufen.“

„Tori, es wird mir unendlich guttun, dich wiederzusehen.“

„Du ahnst nicht, wie sehr ich mich darauf freue. Sag mir, wann ich da sein soll. Und wie fahre ich am besten?“

Die Sonne strahlte noch hell über die San Felipe Avenue, als Tori am nächsten Abend die Auffahrt zu Ninas Haus hinauffuhr. Jakes hellblauer Truck parkte bereits vor dem Haus.

Heute Nachmittag hatte sie noch kurz bei ihrem Lieblingschocolatier vorbeigeschaut und eine Schachtel Pralinés gekauft. Sie hoffte, dass die Süßigkeiten allen schmecken würden. Entschlossen atmete sie durch und bereitete sich innerlich darauf vor, Jake wieder unter die Augen zu treten.

Anders als erwartet war Jake zutiefst überrascht, als er die Tür öffnete und Tori auf der Veranda stehen sah. Sein Blick fiel auf die Schokobox und glitt an ihrer burgunderroten Hose und ihrem Top nach oben. Man konnte ihm ansehen, dass er angestrengt nachdachte, bis er endlich eins und eins zusammengezählt hatte. „Nina hat dich also zum Dinner eingeladen.“ Er bemühte sich, möglichst sachlich zu klingen.

„Ja. Allerdings hatte ich angenommen, dass sie es dir erzählt. Ich …“

Nachdem Nina ihre Freundin entdeckt hatte, schubste sie ihren Bruder unsanft zur Seite, zog Tori nach drinnen und umarmte sie herzlich. „Wie schön, dich endlich wiederzusehen!“

Dann eilte Nina mit Tori in das kleine Wohnzimmer, das vor lauter Besuch fast aus den Nähten zu platzen schien. Sie stellte Tori ihrer Mutter vor. Rita Galeno war jetzt Mitte fünfzig. Ihr Haar war vollständig grau, und sie hatte es immer noch zu einem Knoten gebunden, den sie am Hinterkopf festgesteckt hatte.

Rita freute sich, als sie Tori wiedersah. „Ich kann mich gut an dich erinnern“, grüßte sie freundlich. „Du warst diejenige, die Nina davon überzeugt hat, dass ihre Augen viel zu hübsch sind, um sie mit Mascara und Lidschatten und all diesem Zeug zu verunstalten.“

Ein blonder junger Mann mit blitzenden blauen Augen trat dichter an Nina heran und schlang einen Arm um ihre Hüfte. „Stimmt das? Hast du dich wirklich so angemalt?“

Nina lachte laut auf. „Ich war jung und widerspenstig und überzeugt, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen hatte, bis Tori eines Tages aufkreuzte. Tori, darf ich dir meinen Freund vorstellen. Das ist Charlie Nexley.“

„Ist doch gar nicht dein Freund“, krähte ein ungefähr fünfjähriger Junge dazwischen. „Das ist dein Lover.“

„Ricky“, warnte Nina das Kind, ganz offensichtlich der eineiige Zwilling des zweiten Jungen, der in Reichweite neben ihm stand.

„Wir haben sie beim Knutschen erwischt“, bestätigte Rickys Bruder und nickte ernst.

Nina wurde knallrot. Höchste Zeit für Jake, einzugreifen. Er beugte sich hinunter, legte den rechten Arm um Rickys Schulter und den linken um die seines Bruders. „Ricky, Ryan, die hübsche Lady heißt Miss Phillips. Eure Mom und ich kennen sie schon sehr lange.“

„Als du selbst noch ein Kind warst?“, fragte Ryan unschuldig.

Jake lachte. „Nein, so lang nun auch wieder nicht. Aber was haltet ihr davon, wenn wir uns aus dem Staub machen und die Frauen sich selbst überlassen?“ Ohne Tori noch eines weiteren Blickes zu würdigen, stand Jake auf und schob die beiden Jungen zur Tür.

Die Spannung ließ spürbar nach, nachdem Jake das Wohnzimmer verlassen hatte. Tori bot Nina die Schokolade an. „Ich hoffe, ihr mögt Schokolade. Ein kleines Geschenk für euch alle.“

„Oh, vielen Dank. Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“

Charlie grinste und nahm ihr die Schachtel aus der Hand. „Am besten, ich verstaue sie außer Sichtweite, bis die Zwillinge ihr Abendbrot gegessen haben.“

Als er in der Küche verschwunden war, erhob Rita sich aus ihrem Sessel. „Ich schaue mal nach der Suppe.“

Nina zwinkerte Tori verschwörerisch zu. „Tomaten mit Reis und grünen Chilis haufenweise. Das Hühnchen hat sie wahrscheinlich auch in Pfeffer geschmort. Ich hoffe, dein Gaumen ist darauf vorbereitet.“

„Hört sich fantastisch an.“ Tori legte ihre Handtasche auf dem Kiefernholztisch neben der Tür ab. „Tausend Dank für die Einladung, Nina. Aber … Jake sah nicht so aus, als hätte er gewusst, dass ich heute zum Dinner komme.“

„Stimmt.“

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen den beiden Frauen aus, bis Tori schließlich wieder das Wort ergriff. „Findest du das fair ihm gegenüber? Vielleicht will er keine fremden Leute am Tisch sitzen haben …“

„Wenn überhaupt, dann betrachtet er Charlie als Fremden und ganz bestimmt nicht dich. Wenn ich ihm erzählt hätte, dass ich dich eingeladen habe, hätte er selbst vielleicht auf das Dinner verzichtet. Es herrscht immer ein merkwürdiger Unterton in seiner Stimme, wenn er von dir spricht. Manchmal glaube ich fast, dass …“ Sie brach ab und grinste verschmitzt. „Kann es sein, dass zwischen euch die Funken sprühen?“

Tori war nicht in der Stimmung, ihre Gefühle preiszugeben. „Kann es sein, dass deine Fantasie mal wieder mit dir durchgeht?“

Nina musterte ihre Freundin eindringlich und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Ich weiß, was ich sehe. Tori, um die Wahrheit zu sagen, ich habe dich heute eingeladen, weil ich überzeugt bin, dass Jake dringend Hilfe braucht.“

Tori war überrascht. Warum um alles in der Welt sollte Jake Galeno Hilfe brauchen? dachte sie. Ausgerechnet er. Jake machte immer den Eindruck, als hätte er sein Leben fest im Griff. „Dein Bruder braucht Hilfe? Inwiefern?“

„Offenbar kann er es nicht verwinden, was in Albuquerque geschehen ist. Es hat mit seiner Arbeit zu tun, und er muss dringend darüber reden, aber genau das wird er um keinen Preis tun. Er muss das Trauma bewältigen, endlich weiterkommen mit seinem Leben, und er behauptet, dass er auf dem besten Weg ist. Aber er lügt. Ich habe gedacht, dass er ein bisschen lockerer wird, wenn ich dich heute Abend einlade. Nur wenn er mit den Zwillingen zusammen ist, ist er noch ganz der Alte. Vielleicht rufst du ihm ja wieder ins Gedächtnis zurück, dass Jake Galeno früher mal ein ganzer Kerl gewesen ist.“

„Aber vielleicht mache ich alles nur noch schlimmer.“

„Ach was.“ Nina wischte die Bedenken ihrer Freundin vom Tisch. „Komm mit in die Küche. Hilf mir beim Salat.“

Während Nina arbeitete und erzählte, starrte Tori aus dem Fenster und beobachtete Jake. Ninas Bruder wirkte ganz und gar nicht wie ein Mann, der Hilfe brauchte. Er lachte und tobte und spielte Fangen mit den Zwillingen. Selbst damals, als er noch viel jünger gewesen war, hatte sie tiefes Vertrauen zu ihm verspürt. Jake Galeno vermittelte das Gefühl, ganz genau zu wissen, was er konnte und wer er war. Nach außen strahlte er auch jetzt noch Selbstbewusstsein aus. Aber was ging in seinem Innern vor? Was war in Albuquerque geschehen?

Tori, Nina und deren Mutter tauschten ihre Lieblingsrezepte aus, und Charlie ging in die Garage, um den Luftdruck von Ninas Autoreifen zu überprüfen.

Kurze Zeit später rief Nina die Jungen ins Haus. Weil die Zwillinge sich im Bad drängelten, ging Jake zum Waschbecken in die Küche. „Und? Habt ihr euch viel zu erzählen?“, fragte er Tori, nachdem er sich die Hände gewaschen und den Hahn wieder zugedreht hatte.

„Wir waren gerade dabei, unsere Lieblingsrezepte auszutauschen.“

„Hätte ich mir denken können“, spottete er. „Was sollten drei Frauen in der Küche auch sonst machen.“

Eingeklemmt zwischen Waschbecken und Ablage, stand Tori direkt neben ihm. Jake drehte seinen Körper leicht zu ihr hin. Jetzt war er so dicht, dass sie seine Wärme spüren konnte … Die Luft zwischen ihnen war wie elektrisiert. Wie angewurzelte stand sie da und starrte fasziniert auf das dunkle Brusthaar, das aus dem V-Ausschnitt seines grünen T-Shirts hervorlugte.

Er griff um ihren Körper herum und strich mit der Hand unversehens über ihren Rücken. „Ich brauche das Handtuch“, erklärte er heiser.

Ihre Blicke begegneten sich, und plötzlich holte die Erinnerung sie wieder ein. Ihr stand lebhaft vor Augen, wie er sie damals vor zwölf Jahren auf der Veranda in die Arme geschlossen und seinen Mund auf ihre Lippen gesenkt hatte. Ein Schimmer in seinen Augen verriet ihr, dass auch er sich urplötzlich erinnert hatte. Vielleicht dachte er sogar darüber nach, wie es wäre, wenn er sie jetzt wieder küssen würde.

Als er nach dem Handtuch auf der Ablage griff und ein paar Schritte zurückgetreten war, schalt sie sich insgeheim für ihre lächerlichen Gedanken.

Schließlich hängte Jake das Handtuch über den Griff des Backofens. „Wo ist Charlie?“, fragte er seine Schwester.

„Überprüft den Reifendruck bei meinem Auto.“

Missbilligend runzelte Jake die Stirn. „Das wollte ich eigentlich machen. Aber …“

Er musste abbrechen, weil die Zwillinge in die Küche stürmten. Nina wies sie an, den Tisch im Esszimmer zu decken. Teller, Besteck und Servietten hatte sie schon bereitgelegt.

Die Jungen stöhnten unwillig auf und protestierten, bis Jake mit dem Finger drohte. Erwartungsvoll schauten die Kinder ihn an.

„Wenn ihr eurer Mom ohne Widerworte beim Tischdecken helft, dann gehe ich anschließend mit euch Eis essen.“

„Zu Carlo?“ Ricky wollte das Beste aus dem Deal rausholen. „Zwei Kugeln?“

„Abgemacht“, nickte Jake.

Die Jungen rannten zum Esstisch, und Nina warf ihrem Bruder einen verärgerten Blick zu. „Das ist reine Bestechung.“

„Stimmt genau. Aber der Preis ist vergleichsweise niedrig, wenn du bedenkst, dass du in den nächsten zehn Minuten keinen Streit im Hause hast.“

„Manchmal geht es ums Prinzip“, beharrte Nina.

„Hauptsache, die Arbeit wird gemacht“, schaltete Rita sich ein. „Vergiss nicht, dein Bruder ist Experte, wenn es ums Verhandeln geht.“

Kaum hatte Rita ihren Satz zu Ende gesprochen, wurde es merkwürdig still in der Küche.

Tori ließ ihren Blick zwischen Nina und ihrem Bruder und deren Mutter hin und her schweifen. Sie begriff nicht, warum Jake plötzlich wahnsinnig angespannt wirkte und in vollkommenes Stillschweigen verfallen war.

„Jake, es tut mir leid.“ Seine Mutter sprach leise, aber die Aufregung war ihr trotzdem anzumerken. „Ich hatte ganz bestimmt nicht die Absicht …“

„Ich weiß, dass du nicht die Absicht hattest“, unterbrach Jake ruhig und gefasst. „Vergiss es einfach. Ich geh mal in die Garage und schaue nach, ob Charlie den Druckmesser gefunden hat.“

Dann eilte Jake Galeno aus der Küche und ließ Tori mit einem Haufen beunruhigender Fragen zurück, von denen sie wusste, dass weder Nina noch Rita sie ihr beantworten würden.

2. KAPITEL

Ein Dinner mit den Galenos ist das reinste Abenteuer, dachte Tori. Sie saß zwischen den turbulenten Zwillingen, aber trotzdem fiel es ihr entschieden leichter, sich auf Ryan und Ricky zu konzentrieren als gegen die Faszination zu kämpfen, die Jake immer noch auf sie ausübte.

Prompt stieß Ricky seine Milch um. Sie tropfte über die Tischkante auf Toris Oberschenkel. Nina war viel aufgeregter als ihre Freundin.

Ricky war ebenfalls in heller Aufregung. Es schien, als wollte er jeden Augenblick anfangen zu heulen, bis Tori ihn versöhnlich anlächelte. „Die Hose kommt morgen in die Waschmaschine, und nach der Wäsche ist der Fleck wieder draußen“, beschwichtigte sie den Jungen und gab ihm ihre Serviette. „Komm, hilf mir, die Pfütze vom Boden aufzuwischen.“

Angestrengt wischte der Junge die Tropfen vom Stuhl und polierte den Boden. Anschließend ließ Tori es sich nicht nehmen, Nina und Rita beim Abwaschen zu helfen, obwohl die beiden Frauen heftig protestierten. Tori war nicht der Typ, der anderen Leuten gern bei der Arbeit zuschaute. Als sie mit dem Abwasch fertig waren, setzten die drei sich zu den Männern auf die Terrasse.

Ricky zupfte Jake ungeduldig am Ärmel. „Wann gehen wir Eis essen?“, fragte er und schaute Tori an. „Kommst du auch mit?“

„Ich weiß nicht …“, erwiderte sie unschlüssig.

Der Junge kam näher zu ihr. „Onkel Jake meint, dass es bei Carlo das beste Eis in ganz Santa Fe gibt“, umschmeichelte er Tori. „Mom und Grandma behaupten steif und fest, dass sie davon fett werden. Deshalb bleiben sie immer zu Hause.“

„Ja, komm doch mit“, stimmte Ryan schließlich ein. Ein Blick in die braunen Augen der Kinder genügte, und Tori wurde weich.

„Aber nur, wenn euer Onkel Jake einverstanden ist.“

„Natürlich bin ich einverstanden.“ Jakes Miene war undurchdringlich. Durch nichts gab er zu erkennen, was ihm gerade durch den Kopf ging.

Carlos Eisdiele lag nur ein paar Straßenzüge entfernt. Es war ein braunes stuckverziertes Gebäude mit nur zwei Parkplätzen vor dem Eingang. Kurze Zeit später saßen sie alle um einen runden Tisch herum. Über ihnen war ein gelbweiß gestreifter Sonnenschirm aufgespannt. Klebriges Eis tropfte den Jungen über die Hände, aber Jake war offenbar wild entschlossen, die Sache zu ignorieren. Tori entschied, dass er recht hatte.

Jake lehnte sich zu ihr hinüber. „Ich habe diese Zitrustaschentücher im Wagen“, murmelte er leise. „Ohne gehe ich nie aus dem Haus.“

„Vermutlich bekleckern alle Kinder Tisch und Stühle, wenn sie Eis essen“, meinte Tori und grinste.

Er zuckte beiläufig die Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die zwei jedes Mal eine Schweinerei veranstalten, wenn sie ein Eis in die Finger kriegen.“ Er schaute ihr direkt in die Augen. „Und du weißt hoffentlich, auf was du dich einlässt, wenn du das Baby adoptierst. Bist du bereit für die Prüfung?“

Sie zögerte keine Sekunde. „Ja. Natürlich. Von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Ich will schon seit Jahren Kinder haben.“

„Und dein Mann wollte keine?“

„Das ist eine lange Geschichte“, wehrte Tori ab.

Jake warf ihr einen durchdringenden Blick zu, lehnte sich schweigend zurück und konzentrierte sich auf sein Eis. Entspannt streckte er die Beine unter dem Tisch aus. Der Anblick seiner Zunge, die genüsslich über das Eis schleckte, jagte Tori einen Schauer der Erregung über den Rücken.

Langsam leckte er sich die Schokolade von den Lippen. „Wahrscheinlich schleppt jeder solche Geschichten mit sich herum“, gestand er schließlich ein. „Aber sag mal, was hältst du eigentlich von Charlie? Nina mag ihn sehr, aber sie kennt ihn erst seit zwei Monaten. Ich habe ihn letztes Wochenende zum ersten Mal gesehen, als sie ihn zum Dinner am Sonntagabend eingeladen hat.“

„Und?“

„Weiß nicht. Heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein. Er ist Autohändler. Okay, das ist keine Schande. Aber ich hoffe, dass er sie nicht eines Tages aussortiert wie einen seiner Gebrauchtwagen. Außerdem verstehe ich nicht ganz, dass sie sich schon so kurz nach Franks Tod wieder binden will.“

„Vielleicht glaubt sie, dass die Jungen dringend einen Vater brauchen.“

„Sie haben doch mich.“

Jakes Arm berührte sie fast. Tori lehnte sich zurück und betrachtete sein Profil. „Nina hat Angst, dass du nicht in Santa Fe bleibst. Und? Willst du die Stadt wieder verlassen?“

Er hatte sein Eis aufgegessen und streifte sich die Finger an der Serviette ab. „Keine Ahnung. Aber ganz egal, wo ich mich aufhalte, ich werde immer ein Teil ihres Lebens sein.“

Tori schob das letzte Stück ihrer Eiswaffel in den Mund und wischte sich über die Lippen. Just in diesem Moment wandte Jake sich ihr zu, und sein Blick folgte ihrer Handbewegung. Obwohl eine wohlige Hitze sich in ihr ausbreitete, fühlte sie sich plötzlich unsicher. „Warum bist du überhaupt nach Santa Fe zurückgekommen?“

Er zögerte mit der Antwort. „Ich wollte den Polizeiapparat für eine Weile hinter mir lassen“, erklärte er. „Außerdem arbeite ich gern mit den Händen. Schon seit Jahren, aber immer nur am Wochenende und für Freunde. Es verschafft mir Ruhe und Frieden, und das ist genau das, was ich im Augenblick brauche. Wo wir gerade vom Handwerk sprechen …“ Geschickt wechselte er das Thema. „… hast du dir schon Kacheln ausgesucht?“

Tori schüttelte den Kopf. „Das kann ich diese Woche erledigen. Weißt du, ich mag diese handbemalten Kacheln so gern. Wahrscheinlich kommt es viel zu teuer, sie überall zu verkleben, aber ich hoffe, dass ich welche finde, mit denen ich hier und da farbige Akzente setzen kann. Obwohl ich noch gar keine Zeit hatte, mich näher damit zu beschäftigen.“

„Ich kenne einen hervorragenden Keramikmaler. Er wohnt in Taos. Wenn du dir mal ansehen willst, was er zu bieten hat, könnten wir am Samstagnachmittag hinfahren. Kannst du dich loseisen?“

„Meine Assistentin in der Galerie arbeitet Vollzeit, und außerdem habe ich noch eine Aushilfe. Hoffentlich können sie beide für mich einspringen. Dann nehme ich mir den Tag frei.“

Die Zwillinge hatten ihr Eis längst vertilgt und fanden großen Spaß daran, sich mit ihren klebrigen Fingern durch die Haare zu fahren. Fröhlich sprangen sie auf, kreischten laut und spielten Fangen rund um den Tisch.

„Okay.“ Jake stand entschlossen auf und wandte sich den Kindern zu. „Höchste Zeit, dass wir aufbrechen. Und dass ihr mir ja nichts anfasst, bevor wir beim Truck sind.“

Ohne Widerworte rannten Ricky und Ryan zum Wagen.

Jake machte einen erstaunlich geduldigen und entspannten Eindruck.

Als Tori Jake und den Jungen zum Wagen folgte, stellte sie wieder einmal fest, wie sehr Ricky und Ryan ihren Onkel liebten. Warum hatte er nie geheiratet und eine eigene Familie gegründet?

Am Samstagnachmittag klingelte Toris Telefon. Sofort erkannte sie Barbara Simmons’ Stimme.

„Hi, Tori!“

„Wie geht es dir?“, wollte Tori wissen. Sie freute sich immer, wenn sie von dem Teenager hörte, obwohl es ihr auch jedes Mal Angst einjagte.

Erst dann, wenn Barbara die Adoptionspapiere unterschrieben hatte, war ihre Entscheidung unwiderruflich. Sie hatte die Tragweite ihrer Entscheidung begriffen und beim Familiengericht um die Erlaubnis gebeten, Tori sechzig Tage als Pflegemutter für das Kind eintragen zu lassen, bevor sie endgültig in die Adoption einwilligte. Das bedeutete, dass Tori zwar die Mutter des Jungen wurde, aber eben noch nicht offiziell. Tori hatte der Vereinbarung zugestimmt, weil sie Barbara für eine intelligente und vernünftige junge Frau hielt, die nach der besten Lösung für sich und für ihr Baby suchte. Aber seit Tori das Baby auf dem Ultraschall gesehen hatte, liebte sie das Kind von ganzem Herzen, und weil sie sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich Mutter zu werden, hatte sie das Risiko schließlich auf sich genommen.

„Hab schon wieder zwei Pfund zugenommen“, klagte Barbara. „Dr. Glessner sagt, dass es in Ordnung ist, aber ich muss es hinterher alles wieder abhungern. Mir bleiben nur noch drei Monate. Ich will nicht fett sein, wenn ich im Winter aufs College gehe.“

Es klingelte.

Mit dem Telefon in der Hand eilte Tori zur Tür und öffnete. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als Jake vor ihr stand. In seinem beigefarbenen Poloshirt und seiner Jeans sah er unglaublich sexy aus. Trotzdem konzentrierte sie sich auf das Gespräch mit Barbara, während sie ihn ins Haus lotste.

„Die Ärztin hat gesagt, dass mit der Schwangerschaft alles in bester Ordnung ist“, meinte Barbara. „Das wollte ich dir noch erzählen. Und ich hoffe, dass bald alles vorüber ist. Ich kann kaum noch meine Zehenspitzen sehen, wenn ich nach unten schaue.“

„Halte mich weiter auf dem Laufenden“, bat Tori. „Du kannst dir denken, wie sehr ich mich über gute Neuigkeiten freue. Und wenn du Lust hast, ein bisschen zu plaudern, komm doch einfach vorbei.“

Schließlich verabschiedete sie sich von Barbara und wandte sich Jake zu. „Ich muss nur noch meine Handtasche holen. Möchtest du noch was trinken, bevor wir losfahren?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe Luis gesagt, dass wir gegen zwei bei ihm sind. Wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.“

Ein paar Minuten später saß Tori neben Jake im Truck. Beide waren nervös und schweigsam, und Tori gewann den Eindruck, dass er am liebsten auf den Ausflug verzichtet hätte, obwohl er ihn ja selbst vorgeschlagen hatte. Der Motor brummte gleichmäßig vor sich hin, während sie Kilometer für Kilometer auf der Strecke nach Taos hinter sich brachten. Tori starrte unablässig aus dem Fenster und genoss den Anblick der wundervollen Landschaft im Südwesten in vollen Zügen.

Jake warf ihr einen Seitenblick zu und brach schließlich das Schweigen. „Vorhin am Telefon, war das die Mutter des Babys, das du adoptieren willst?“

„Ja. Sie heißt Barbara, und sie hat gerade Bescheid gekriegt, dass sie für das Wintersemester am College zugelassen worden ist. Sie freut sich riesig auf das Studium.“

„Wann ist der Geburtstermin?“

„29. September.“

„Und dann wirst du Mutter“, stellte Jake fest.

Aber trotz aller Vorfreude verspürte Tori wieder unsägliche Angst. „Nicht ganz“, murmelte sie leise.

„Was soll das heißen?“

„Die Entscheidung ist erst dann unwiderruflich, wenn Barbara die Adoptionspapiere unterschrieben hat. Aber sie ist klug genug, um zu wissen, dass man Mutterinstinkte nicht einfach an- und abschalten kann wie einen Fernseher. Deshalb hat sie beim Gericht um eine Gnadenfrist von sechzig Tagen gebeten. In diesen zwei Monaten bin ich zwar die offizielle Pflegemutter, aber endgültig muss Barbara sich erst kurz vor Ablauf der Bedenkzeit entscheiden.“

„Und du hast zugestimmt?“ Jake klang überrascht und besorgt.

„Jake, ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Frau auf dieser Welt ihr Baby skrupellos in die Hände einer anderen Frau geben kann. Und ich will nicht, dass ich nach der Adoption einen schmutzigen Krieg um mein Kind führen muss, weil die leibliche Mutter plötzlich ihre Meinung ändert. Ich will, dass Barbara sich voll und ganz darüber im Klaren ist, welche Tragweite ihre Entscheidung hat. Wenn die sechzig Tage dazu beitragen, dann lebe ich für die paar Wochen gern mit dem Risiko, dass es in letzter Minute schief geht.“

„Aber was ist, wenn du dich wochenlang um das Baby kümmerst und Barbara es dir am Ende doch wegnimmt?“

„Wenn ich damit rechnen würde, hätte ich mich gar nicht erst auf die Vereinbarung eingelassen. Das Mädchen will Ärztin werden. Ihre Mutter will, dass sie Ärztin wird. Ihre Mutter ist geschieden und hat es strikt abgelehnt, sich um das Baby zu kümmern, weil sie der Meinung ist, dass Barbara sich ihre Zukunft zerstört, wenn sie das Kind behält. Barbara ist der gleichen Meinung. Sie hat mich unter fünfzehn Frauen ausgesucht und jedes Detail im Dossier des Sozialarbeiters über mich genau gelesen. Und der Richter hat eingesehen, dass sie sehr vernünftig handelt und nur das Beste für sich und alle Beteiligten im Auge hat.“

Langsam näherten sie sich den Außenbezirken von Taos. Sie passierten ein paar Fast Food-Restaurants, Jake fuhr in eine Nebenstraße, bog noch ein paar Mal um die Kurve und stoppte schließlich vor ein paar umzäunten Lehmziegelhäusern. Geöffnet stand auf dem Schild an der Tür, das im Wind klappernd hin und her schlug.

„Luis hat mir erzählt, dass er Unmengen von Kacheln und Fliesen auf Lager hat“, erklärte er Tori. „Du wirst bestimmt was Passendes finden, es sei denn, du hast einen wirklich ausgefallenen Geschmack.“

Eine Dreiviertelstunde später schob Jake die Kartons mit den Kacheln auf die Ladefläche seines Trucks und dachte über Toris Auswahl nach. Es schien ihm, als hätten Luis’ Arbeiten sie sehr begeistert. Überrascht dich das wirklich? fragte er sich insgeheim, denn er konnte sich noch gut daran erinnern, dass Tori immer große Freude an schönen Dingen gehabt hatte, selbst wenn es nur um Kleinigkeiten gegangen war. Sie begeisterte sich für Farben eines Teppichs, die ineinander verschmolzen, für die korallenrote Halskette, die ihre Mutter ihr für den Abschlussball überlassen hatte, und für die Dekoration in jenem Hotel, in dem der Abschlussball stattgefunden hatte: Camelot und die Legende von König Arthur.

Und vorhin hatte er sie dabei beobachtet, wie sie die Landschaft und die Berge bestaunt hatte. Ihre Farben, ihre Struktur, ihre Majestät.

Eine Wolke ihres blumigen Parfüms stieg in seine Nase, als er sich hinter das Steuer seines Trucks schwang. Seine Laune wurde nicht unbedingt besser, als sein Blick auf die leicht gebräunte Haut ihrer Arme fiel. Eine Haarsträhne kringelte sich widerspenstig in ihrem Nacken. Entschlossen drehte er den Zündschlüssel herum.

Gerade wollte er von einer Nebenstraße in Richtung Zentrum abbiegen, als Tori fragte, ob er eigentlich zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein müsse. „In der Nähe des Marktplatzes ist eine Kirche“, fuhr sie fort, „sie heißt Our Lady of Guadalupe. Innen hat sie eine fantastische Wandmalerei. Vielleicht können wir vorbeifahren und uns ein paar Minuten Zeit nehmen. Was hältst du davon?“

Es war schon eine ganze Weile her, dass er eine Kirche von innen gesehen hatte, die Zeit vor Marions Tod eingeschlossen. Bei seiner Polizeiarbeit hatte er das Leben von seiner übelsten Seite kennengelernt, und er war überzeugt, dass ein paar Gebete nichts dagegen ausrichten konnten. Die Beerdigungsfeier für Marion Montgomery, die tröstenden Worte des Priesters, all die schönen Rituale und Gespräche hatten ihm die tonnenschwere Last nicht von den Schultern genommen, sondern sein Schuldgefühl nur noch verschärft.

Tori bemerkte, dass er zögerte. „Okay. Ich kann auch ein anderes Mal vorbeifahren.“

Aber sie waren nur noch ein paar Minuten vom nächsten Parkplatz entfernt, und Jake wollte Tori die harmlose Bitte nicht abschlagen. „Schon okay.“ Er presste die Lippen aufeinander und bog auf den Weg ein, der zur Kirche führte.

Kurze Zeit später waren sie ausgestiegen. Tori steuerte direkt auf eine Tür zu, die zur Vorhalle der Kirche gehörte.

Die bleigefassten Fenster, das dämmrige Licht und die weihevolle Atmosphäre ließen Jake wieder zögern. „Geh schon mal vor“, schlug er Tori vor. „Ich warte solange auf dich. Und lass dir ruhig Zeit“, fügte er hinzu, während er die ausliegenden Informationsbroschüren durchblätterte. Insgeheim hoffte er natürlich, dass sie ihre Besichtigung in ein paar Minuten über die Bühne bringen würde, damit er sich möglichst schnell wieder auf den Heimweg machen konnte.

Er kannte die Wandmalerei, von der sie gesprochen hatte. Es zeigte die Lady of Guadalupe in dem Augenblick, in dem sie den mexikanischen Indianern auf dem Gipfel eines hohen Berges erschienen war. Ihr Haupt war umgeben von einer Aura aus Gold.

Nachdem er die Broschüren und das Infoblatt der Kirchengemeinde gelesen und auch die Motive in den Bleifenstern eingehend betrachtet hatte, spazierte er aus der Vorhalle hinaus und auf den Haupteingang der Kirche zu. Er trat ein und schaute sich unschlüssig um, bis er plötzlich Tori entdeckte. Aber sie hatte sich nicht in die Sitzreihen gezwängt, um das Gemälde zu betrachten, sondern sie kniete in einem schmalen Alkoven im hinteren Teil der Kirche. Schlagartig wurde ihm klar, weshalb sie vor der Heiligen Mutter von Guadalupe betete.

Schließlich stand sie auf, bekreuzigte sich und gesellte sich zu ihm. Das Dämmerlicht und die gedämpfte Atmosphäre nahmen sie beide gefangen.

„Du hast dafür gebetet, dass Barbara ihre Meinung nicht ändert, stimmt’s?“, fragte Jake mit heiserer Stimme.

Tori nickte. „Natürlich will ich das Beste für das Baby. Aber ich sehne mich so sehr nach einem eigenen Kind, dass mir das Herz wehtut.“

Jake fand nicht die richtigen Worte, um sie zu trösten. Damals, bevor er Marion den Geiselnehmern in die Arme geschickt hatte, damals hatte er immer die richtigen Worte gefunden. Er hatte gewusst, was er wann und wie zu sagen hatte. Und wer am besten sprechen sollte. Und jetzt fehlten ihm die Worte, wenn er sie am meisten brauchte.

Draußen in der Sonne hatte Jake plötzlich das Gefühl, dass er sich nicht ohne Weiteres mit Tori in die enge Kabine seines Trucks setzen konnte. „Hast du Lust, dir den Marktplatz anzusehen? Wir sollten uns ein bisschen Bewegung verschaffen, bevor wir weiterfahren“, schlug er vor.

Nebeneinander spazierten sie ein paar Straßen entlang. Die Sonne knallte unbarmherzig auf das Pflaster, und eine leichte Brise wehte Tori die Haarsträhnen in den Nacken. Unwillkürlich wollte Jake ihr die widerspenstigen Locken hinter das Ohr streichen. Und er wollte noch viel mehr.

Er fasste Tori beim Ellbogen und spürte ihre weiche Haut an seinen Fingerspitzen. Nachdem sie die Straße überquert hatten, gingen sie den abschüssigen Fußweg zum Marktplatz hinunter. Er war mit großen Bäumen und einer Lehmziegelmauer umsäumt. In der Mitte befand sich ein dunkelbraunes Kreuz zur Erinnerung an die Kriegsopfer. Jake führte sie zu einer Bank und blieb abrupt stehen.

„Was ist los?“, fragte Tori verwundert.

Die Frau, die die Treppen eines kleinen Pavillons hinunterging, sah aus wie Marions Mutter. Elaine. Sie hatte das gleiche kurz geschnittene dunkle Haar mit grauen Strähnen …

Plötzlich erhellte die Sonne in das Gesicht der Frau. Es war eine Fremde. Jake war unendlich erleichtert darüber, dass seine Wahrnehmung ihm einen Streich gespielt hatte. Seit Marion ermordet worden war, hatte er keine zwei Worte mit ihrer Mutter gewechselt. Auch nach seiner Rückkehr nach Santa Fe war er der Begegnung nach Kräften ausgewichen. Immerhin wohnte Mrs Montgomery in Santa Fe, und ihm war klar, dass sie einander jederzeit über den Weg laufen konnten. Im Einkaufszentrum, im Restaurant, auf der Straße. Sogar in Taos.

„Was ist los?“, hakte Tori nach.

„Nichts.“

„Doch.“ Sie griff nach seinem Unterarm. „Irgendetwas ist passiert.“

Was soll schon passiert sein? dachte er. Abgesehen davon, dass die Katastrophe mittlerweile ein Jahr zurückliegt und ich mich noch genauso schuldig fühle wie am ersten Tag. Die Zeit heilt keine Wunden. Und sie kann die Erinnerung nicht auslöschen. „Mir geht’s gut“, gab er gleichmütig von sich. Hoffentlich hört sie bald damit auf! fügte er stumm hinzu.

„Nein, dir geht’s nicht gut. Du bist anders als früher.“

Wütend fuhr er herum und blickte sie direkt an. „Verdammt noch mal, ja, ich bin anders als früher! Du etwa nicht? Zwölf lange Jahre liegen hinter uns. Seit der Arbeit bei der Polizei sehe ich das Leben eben mit anderen Augen.“

„Wer war diese Frau auf der Treppe?“

„Ich dachte, dass ich sie kenne, aber ich habe mich geirrt.“

„Und für wen hast du sie gehalten?“

„Tori, gib endlich Ruhe“, herrschte er sie an. „Ich erledige die Reparaturen in deinem Haus, weil du mich dafür bezahlst. Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln.“

Als er bemerkte, dass Tori schmerzhaft das Gesicht verzog, hätte er sich am liebsten sofort entschuldigt. Aber plötzlich schoss es ihm durch den Kopf, dass es nicht schaden konnte, Tori auf Distanz zu halten. „Wir sollten uns jetzt auf den Heimweg machen.“

Sie widersprach nicht, und er spürte, dass sie ihren Ausflug genauso schnell hinter sich bringen wollte wie er auch.

3. KAPITEL

Nach der missglückten Heimfahrt von Taos nach Santa Fe hatte Jake von Tori einen Schlüssel bekommen, damit er am Dienstagmorgen, da er mit der Sanierung beginnen wollte, ohne ihre Anwesenheit das Haus betreten konnte. Er ärgerte sich, dass Toris Wagen immer noch in der Garage stand, als er morgens um acht bei ihr ankam. Verdammt, warum ist sie noch nicht verschwunden? fluchte er leise vor sich hin. Aber wahrscheinlich fährt sie frühestens um neun in die Galerie.

Anstatt selbst aufzuschließen, drückte er auf den Klingelknopf und wartete ein paar Minuten. Zu seiner Überraschung passierte nichts, obwohl er sich sicher war, dass sie schon aufgestanden sein musste. Er klingelte noch mal. Wieder nichts. Vielleicht saß sie auf der Terrasse und trank einen Kaffee?

Er umrundete die Garage und warf einen Blick auf die Terrasse. Sie war leer.

Oder sie war beim Joggen. Oder beim Bäcker.

Am Ende war es ihm gleichgültig, wo sie steckte. Hauptsache, ich kann mit der Arbeit anfangen. Je eher dabei, je eher davon, dachte er. Ihm war nichts wichtiger, als möglichst schnell wieder aus Toris Leben zu verschwinden. Mit schlaflosen Nächten, wirren Träumen und bohrenden Herzschmerzen hatte er sich in der letzten Zeit genug herumschlagen müssen.

Jake schloss mit dem Schlüssel auf, den Tori ihm ausgehändigt hatte, trat ein und rief ihren Namen. Keine Antwort.

Dann ging er zurück zum Truck, holte seine Werkzeugkiste und brachte sie ins Haus. Die Säge stellte er auf der Terrasse auf. Zuerst wollte er die Regalbretter für den Schrank im Kinderzimmer zuschneiden und ein niedriges Regal bauen, das das Kind gut erreichen konnte. Auf dem Weg zum Kinderzimmer durchquerte er den Flur, als sich plötzlich die Badezimmertür öffnete. Tori stand vor ihm. Um die Haare hatte sie sich ein pinkfarbenes Handtuch gewickelt, und ihr Körper war nur lose in ein Badelaken gehüllt, das sie sich über der Brust festgezurrt hatte. Der Anblick ihrer langen, schlanken Beine raubte ihm fast den Verstand.

„Jake!“ Entsetzt schnappte sie nach Luft.

„Ich habe mehrmals geklingelt“, brachte er leise, aber vorwurfsvoll hervor.

„Ich war unter der Dusche. Hab verschlafen und bin ein bisschen spät dran heute Morgen. Ich dachte, dass ich es noch schaffe, mich anzuziehen, bevor du kommst.“

„Es ist schon nach acht.“ Er konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. Mit einer Hand klammerte sie das Tuch fest, das sie um ihre Brüste geschlungen hatte, und mit der anderen drückte sie auf den Turban auf ihren Kopf, als hinge ihr Leben davon ab, dass er nicht herunterfiel. „Wenn ich dir im Weg bin, kann ich auch auf der Terrasse anfangen.“

„Nein, nein, du bist mir nicht im Weg. Aber …“ Sie wurde über und über rot. „Könntest du dich vielleicht für einen Augenblick umdrehen? Nur so lange, bis ich im Schlafzimmer bin. Ich fürchte, gleich fällt alles von mir herunter …“

„Selbstverständlich.“ Hastig drehte er sich herum. „Ich wollte nicht aufdringlich sein.“

„Schon in Ordnung“, brachte sie atemlos hervor, während sie in ihr Schlafzimmer eilte. „Hab einfach vergessen, den Wecker zu stellen. Weil ich noch bis spät in die Nacht gelesen habe und dann irgendwann eingeschlafen bin.“

Ihre Blicke begegneten sich, und der kleine Flur schien plötzlich mit elektrischer Spannung aufgeladen. Mit Mühe und Not zwang er sich zu einem Lächeln. „Ich mache mich jetzt besser an die Arbeit. Sonst hänge ich immer noch hier rum, wenn du heute Abend nach Hause kommst.“ Dann eilte er schnurstracks ins Kinderzimmer, um sich die porösen Fugen an der Wand noch mal anzusehen.

Voll beladen mit Einkaufstüten, kehrte Tori am Abend nach Hause zurück. Im Kinderzimmer fegte Jake gerade den Schutt in die Ecke. „Morgen werde ich mit dem Verputzen fertig sein“, erklärte er. „Du solltest aber noch mindestens zehn Tage warten, bevor du die Wände streichst.“

„Barbaras Baby kommt frühestens in drei Wochen. Bis dahin schaffe ich es locker, Farbe an die Wände zu bringen und das Zimmer gut durchzulüften. Außerdem will ich den Kleinen in der ersten Woche sowieso bei mir schlafen lassen.“

„Denk dran, dass du nicht viel Schlaf bekommen wirst“, erinnerte er sie. „Babys machen jede Menge Krach.“

Die Tüten auf ihrem rechten Arm rutschten ihr beinahe zu Boden, aber Jake sprang nach vorn und nahm sie ihr ab. Er strahlte einen männlichen Duft aus, und er roch nach Arbeit. Sein Geruch weckte Wünsche in ihr, die sie seit Jahren streng unter Verschluss gehalten hatte. Wenn er so nah bei ihr war, war sie nur noch von dem Gedanken besessen, ihn zu küssen.

„Wo soll ich die Tüten abstellen?“, fragte er heiser.

Sie riss sich von seinem Blick los, ging zum Schrank hinüber und begutachtete die abgeschliffenen Regalbretter. „Ich habe Babysachen eingekauft“, erklärte sie. „Vorläufig können wir alles hier verstauen.“

Tori legte ihre Einkäufe auf die Bretter, als er mit den Tüten neben sie trat und leicht ihren Arm berührte. „Ich dachte, dass du schon fort bist, wenn ich nach Hause komme“, murmelte sie.

„Hat nicht geklappt“, antwortete er achselzuckend. Seine Augen waren jetzt fast schwarz, aber trotzdem war Tori sich sicher, dass sie ein feuriges Glitzern in seinem Blick entdeckt hatte.

Wieder einmal fragte sie sich, warum dieser Mann, dessen Leidenschaft im Grunde genommen der Polizei galt, sich jetzt als Handwerker verdingte. Kurz entschlossen hakte sie nach. „Damals, als wir zusammen zum Abschlussball gegangen sind, hast du gesagt, dass du zur Polizei gehst, weil du die Welt ein bisschen sicherer machen willst. War das wirklich der einzige Grund?“

Nachdenklich rückte er die Babysachen zurecht, die er auf den Regalbrettern platziert hatte. „Nein. Mein Vater hat mich dazu gebracht“, antwortete er schließlich.

„Dein Vater?“

Jake lachte verbittert auf und drehte sich weg. „Nicht, wie du denkst. Er war ein böser und zorniger Mann. Zornig auf alle Welt und auf das, was man ihm angetan hatte. Wenn er getrunken hatte, brach die Wut ungezügelt aus ihm heraus. Wenn ihm das Essen nicht geschmeckt hat, oder wenn Nina und ich zu viel Krach gemacht hatten, dann ist er explodiert wie ein Vulkan.“

„Hast du jemals erfahren, warum er so wütend geworden ist?“

Jake ließ Tori neben dem Schrank stehen und griff wieder nach dem Besen. „Meinetwegen. Meine Mom war schwanger mit mir, und er musste sie heiraten. Niemals habe ich sie auch nur für einen einzigen Moment glücklich gesehen. Obwohl sie ihn niemals provoziert hat. Sie war immer mit dem zufrieden, was er ihr geboten hat. Ich muss ungefähr zwölf gewesen sein, als ich sie gefragt habe, warum sie ihn nicht verlässt. Sie antwortete mir, dass Dad gutes Geld verdient, dass sie keine Ausbildung hat und zwei Kinder großziehen muss. Wie sollte sie da allein zurechtkommen? Irgendwann war ich überzeugt, dass mein Vater nicht verheiratet sein wollte. Und er wollte auch keine Verantwortung für seine Familie übernehmen. Deshalb ist er immer ausgerastet. Und meine Mutter war immer sehr traurig, weil sie sich wie eine Geisel fühlte.“

„Deshalb bist du also zur Polizei gegangen. Um Gewalt in der Familie zu verhindern.“

Diesmal ließ Jake sich noch mehr Zeit für seine Antwort. „Ich habe sehr früh begriffen, dass man eingreifen muss, bevor jemand zuschlägt. Jedes Mal, wenn Dad die Kontrolle verloren hat, habe ich ihn beruhigen können. Mit dem Klang meiner Stimme, mit den richtigen Worten. Und ich muss ihm verständnisvoll zugehört haben. Ich glaube, dass ich zur Polizei gegangen bin, weil ich wollte, dass Frieden herrscht. All das, was ich über meinen Vater gelernt habe, hat mich nach und nach zum Experten für Geiselnahmen gemacht. Und irgendwann war ich Chefunterhändler und Supervisor des gesamten Teams.“

Chefunterhändler und Supervisor – das verlangte ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein. „Warum hast du den Job aufgegeben?“, fragte Tori ruhig.

Er fegte unbeeindruckt weiter. „Das spielt keine Rolle.“

Natürlich wusste sie, dass er log. Es lag auf der Hand, dass Jake wieder einen tiefen Graben zwischen ihnen aufreißen wollte. Der Gedanke störte sie sehr.

„Jake …“

Er lehnte den Besen gegen die Wand, kam zu ihr und durchbohrte sie mit seinem dunklen Blick. „Tori, lass mich in Ruhe. Mein Leben ist in tausend Stücke zersprungen, und ich versuche mühsam, es wieder zu kitten. Es ist ein weiter und einsamer Weg.“

„Du bist immer den weiten und einsamen Weg gegangen, stimmt’s?“

„Ja.“

Unwillkürlich wandte sie den Blick ab. Sie wusste, dass sie dem Begehren, das in ihrem Innern aufflammte, keine Chance geben durfte. Vor allem aber durfte Jake nichts merken. Aber wenn sie ihm in die Augen sah, dann empfand sie das mächtige Bedürfnis, ihn zu berühren. Sie musste einfach seine Lippen auf ihren spüren. Vielleicht nur deshalb, um sich selbst zu beweisen, dass die Erinnerung an den Kuss vor zwölf Jahren nichts als ein kitschiger Teenagertraum war.

„Sieh mich nicht so an“, warnte er sie mit heiserer Stimme.

Mit aller Macht wollte sie sich wegdrehen, aber es gelang ihr nicht. Sie wollte diese Leidenschaft noch einmal spüren, und wenn es nur für einen einzigen Augenblick war.

Jake stöhnte auf und griff nach ihren Schultern.

Tori hatte geahnt, dass er sie gleich küssen würde. Aber seine Lippen berührten sie nicht. Noch nicht. Zuerst fuhr er die Konturen spielerisch mit seiner Zunge nach. Sie bebte förmlich vor Verlangen, endlich seinen Mund zu spüren. Schon damals, als sie achtzehn Jahre alt gewesen war, hatte sie gewusst, dass Jake kein Anfänger war. Sogar jetzt spielte er noch mit ihren Erwartungen, und erst, als er es selbst nicht mehr aushalten konnte, berührte er ihre Lippen.

Vom ersten Augenblick an stockte ihr der Atem. Ganz offensichtlich fühlte er sich ebenso zu ihr hingezogen wie sie sich zu ihm. Seine Hände lösten sich von ihren Schultern, und er umschlang sie mit beiden Armen. Jake war ein großer und starker Mann. In seinen Armen fühlte sie sich sicher, und die Leidenschaft flammte heftig auf. So etwas hatte sie noch nie, wirklich noch nie erlebt.

Ihre Ehe mit Dave war stabil und berechenbar gewesen – vor dem Unfall. Wie würde Jake reagieren, wenn er erfuhr, dass sie keine Kinder mehr bekommen konnte?

Die Gedanken lösten sich auf, als er die Zunge sanft zwischen ihre Lippen schob. Sie verlor sich in einem heißen, glühenden Kuss, der sie fast um den Verstand brachte, und sie hatte das Gefühl, vollständig mit seinem Körper zu verschmelzen.

Urplötzlich verdüsterte sich die Stimmung. Jake zog sich abrupt zurück und ließ sie allein stehen. In seinen schwarzen Augen konnte sie erkennen, wie aufgewühlt er war. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. „Es war ein Fehler. Kommt ganz bestimmt nicht mehr vor“, stieß er im Brustton der Überzeugung hervor und schien auch noch stolz darauf zu sein.

Rasch sortierte Tori ihre Gedanken, obwohl sie innerlich immer noch vor Leidenschaft zitterte. „Weil du nicht weißt, was die Zukunft bringen wird?“, fragte sie verunsichert.

„Weil wir beide es mit einem Leben zu tun haben, das in Zukunft noch komplizierter wird, als es ohnehin schon ist. Du wirst Mutter, stimmt’s? Dein Kind geht dir über alles, stimmt’s? Ich kann mir kaum vorstellen, dass du zu den Frauen gehörst, die mit einem Kerl ins Bett steigen, wenn nebenan das Baby schreit.“

Tori war ratlos. Sie wusste weder, was sie sagen, noch, was sie tun sollte. Eigentlich gab es keinen Grund, Jake gegenüber stumm wie ein Teenager zu sein, aber im Augenblick fühlte sie sich so empfindlich und so dumm wie damals nach dem Kuss auf dem Abschlussball. „Kommst du morgen wieder?“, fragte sie und schaute sich im Kinderzimmer um, als wollte sie sichergehen, dass er die Arbeit noch zu Ende brachte.

„Ja, ich komme morgen wieder. Und ich hoffe, dass ich bis Freitag fertig bin.“ Damit drehte er sich um und verschwand.

Als Tori am Donnerstag nach Hause kam, arbeitete Jake gerade im Bad. Es war kurz vor fünf, und sie hatte gehofft, dass sie ihn noch erwischen würde. Sie mussten endlich reinen Tisch machen. Gestern war er erst aufge...

Autor

Karen Rose Smith
Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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Karen Templeton

Manche Menschen wissen, sie sind zum Schreiben geboren. Bei Karen Templeton ließ diese Erkenntnis ein wenig auf sich warten … Davor hatte sie Gelegenheit, sehr viele verschiedene Dinge auszuprobieren, die ihr jetzt beim Schreiben zugutekommen.

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