Collection Baccara Band 365

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KÜSSE, DIE NUR LÜGEN WAREN? von JAMES, SILVER
Heiße Küsse - kalter Verrat! Cassie erfährt, dass die Nächte mit Chance nur Lügen waren. Er verschwieg, dass er zu den Barrons gehört. Zu der Familie, die ihr die Ranch nehmen will! Um ihr Zuhause wird Cassie kämpfen. Aber kommt sie auch gegen ihre verräterische Sehnsucht an?

ROTE LIPPEN AUF MEINER HAUT von TERRY, KIMBERLY KAYE
Es knistert heftig, wenn er in ihre blitzenden Augen schaut! Dabei ist Shane der festen Überzeugung, dass Frauen nur Ärger bringen. Der Feuerwehrmann will Emma nicht in seinem Leben. Wieso träumt er trotzdem plötzlich von ihren roten Lippen auf seiner Haut?

DER PRINZ UND DIE NANNY von BENNETT, JULES
Was für ein süßes Baby, was für ein sexy Vater! Darcy ist begeistert, als Mikos sie als Nanny einstellt. Hals über Kopf verliebt sie sich in den Single-Dad - und träumt bald von einer glücklichen Zukunft. Viel zu spät gesteht Mikos ihr, dass dieser Traum nie wahr werden kann …


  • Erscheinungstag 29.03.2016
  • Bandnummer 0365
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723279
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Silver James, Kimberly Kaye Terry, Jules Bennett

COLLECTION BACCARA BAND 365

SILVER JAMES

Küsse, die nur Lügen waren?

Cassie erfährt, dass die Nächte mit Chance nur Lügen waren: Er verschwieg, dass er zu den Barrons gehört. Zu der Familie, die ihr die Ranch nehmen will! Cassie wird um ihr Zuhause kämpfen. Aber gegen ihre verräterische Sehnsucht ist sie machtlos …

KIMBERLY KAYE TERRY

Rote Lippen auf meiner Haut

Es knistert, wenn er in Emmas Augen schaut. Dabei ist Feuerwehrmann Shane der festen Überzeugung, dass Frauen nur Ärger bringen. Er will Emma nicht in seinem Leben. Wieso träumt er trotzdem plötzlich von ihren roten Lippen auf seiner Haut?

JULES BENNETT

Der Prinz und die Nanny

Was für ein süßes Baby, was für ein sexy Vater! Darcy ist begeistert, als Mikos sie als Nanny einstellt. Hals über Kopf verliebt sie sich in den attraktiven Single-Dad – der ihr viel zu spät gesteht, dass ihre Liebe keine Zukunft hat …

1. KAPITEL

Chance Barron wusste immer, was er wollte. Und im Moment wollte er die attraktive Blondine an der Hotelbar.

Es war Ende März. Ein Blizzard hatte den Flughafen Chicago O’Hare lahmgelegt. Laut Wettervorhersage sollte der Sturm am Morgen vorbei sein. Dann würde er die erste Maschine zurück nach Oklahoma City nehmen. In der Zwischenzeit konnte er sich um die Frau kümmern, die die Martinis hinunterkippte wie Wasser. Von dort, wo er saß, war sie nur von der Seite sehen. Kinn und Hals bildeten ein elegantes Profil. Die rote Jacke und die schwarze Hose waren modisch – und trotz des Schnees trug sie Stiefel mit unglaublich hohen Absätzen.

Sie bestellte noch einen Martini. Er sah zu, wie ihre schlanken Finger mit dem Plastikspieß spielten. Ihre vollen Lippen schlossen sich um die reife Olive – und ließen eine ganze Reihe erotischer Bilder vor Chances geistigem Auge ablaufen. Er unterdrückte ein Stöhnen. Ein One-Night-Stand wäre jetzt genau das Richtige. Vielleicht würde ihn das in eine entspanntere Stimmung bringen für das bevorstehende Treffen mit seinem alten Herrn.

Cyrus Barron. Gedanken an seinen Vater drängten sich immer zu den unpassendsten Momenten auf. Wahrscheinlich, weil der Mann eine solche Naturgewalt war. Öl, Land und Rinder. Politik und Medien. Ganz gleich, welchen Bereich man wählte, Cyrus Barron war überall eine große Nummer. Zu schade, dass seine Sympathiewerte nicht mithalten konnten. Er hielt seine Söhne an der kurzen Leine, und Chance war keine Ausnahme. Er hatte zwar seine eigene Anwaltskanzlei, aber die Familie war sein größter Mandant. Obwohl er mit dem Zuchtbetrieb nichts zu tun hatte, hatte sein Vater ihn auf die Suche nach einem Hengstfohlen geschickt – einem Fohlen, das es in Illinois eindeutig nicht gab.

Die Bedienung kam zu ihm, auf den Lippen ein spürbar interessiertes Lächeln. Er lehnte ihr Angebot eines weiteren Drinks ab und reichte ihr eine Fünfzig-Dollar-Note. „Der Rest ist für Sie.“ Er erhob sich und ging zur Bar – nur um feststellen zu müssen, dass die Unbekannte inzwischen verschwunden war.

„Verdammt!“ Aber weit konnte sie nicht gekommen sein. Er würde sie finden und ein flammendes Plädoyer dafür halten, sich in dieser kalten Nacht gegenseitig zu wärmen.

Cassidy Morgan stand am Fenster der Hotellobby. Dicke Schneeflocken trieben vorbei – sie kam sich vor wie in einer überdimensionalen Schneekugel. Für einen Moment schloss sie die Augen.

„Ich schaffe es nicht mehr rechtzeitig, oder?“, fragte sie leise in ihr Handy.

„Nein, Babygirl.“ Baxter – Boots – Thomas hielt nichts davon, um den heißen Brei herumzureden. „Die Ärzte wissen nicht, wie er es überhaupt so lange geschafft hat.“

Sie hörte das leise Piepen der Monitore im Hintergrund. Die Resignation in der Stimme des ältesten Freundes ihres Vaters war unverkennbar.

„Hältst du ihm das Telefon ans Ohr? Ich weiß, er kann mich nicht hören, aber …“ Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen.

„Okay“, hörte sie Boots’ gedämpfte Stimme.

Zögernd begann sie, zu ihrem Vater zu sprechen. Sprach von Erinnerungen. Schließlich brach ihre Stimme, und sie weinte nur noch. Als ihre Mutter an einer Lungenentzündung gestorben war, war Cassie gerade drei Jahre alt gewesen – zu klein, um den emotionalen Schmerz bewusst zu registrieren. Aber jetzt? Dieser Schmerz war schlimmer als alles, was sie je durchlebt hatte. Sie wollte bei ihm sein. Wollte seine Hand halten, während er ging. Er war immer für sie da gewesen. Und sie hatte ihn immer wieder enttäuscht.

Plötzlich glaubte sie die Stimme ihres Vaters zu hören: „Cowgirls weinen nicht, Baby. Aufstehen und weitermachen!“

Sie hörte ihn scharf einatmen. Und dann nichts mehr. Der große starke Bär von einem Mann, der ihr Vater gewesen war, lebte nicht mehr.

„Bist du okay, Babygirl?“ Boots war wieder in der Leitung.

Cass fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Verdammt, nein, sie war nicht okay. Aber sie musste sich zusammenreißen. Musste sich kümmern. Ob sie es wollte oder nicht. „Ich bin so bald wie möglich da, Onkel Boots. Ich stecke hier fest, bis der Blizzard vorbei ist. Ich konnte nicht einmal zurück in mein Apartment, deswegen verbringe ich die Nacht hier im Hotel am Flughafen.“ Sie schluckte, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. „Rufst du das Bestattungsinstitut für mich an? Damit sie ihn abholen und … Ich … Sie sollen mit der Einäscherung warten, bis ich da bin. Ich … ich muss ihn noch einmal sehen. Um mich zu verabschieden. Okay?“

„Natürlich, Babygirl. Ich kümmere mich darum.“

„Ich liebe dich, Onkel Boots.“

„Ich liebe dich auch, Babygirl.“

Sie ließ das Handy in die Tasche gleiten. Verdammt! Verdammt, Verdammt! Sie wollte nicht weinen. Nicht in der Öffentlichkeit. Hatte sie das nicht von ihrem Dad gelernt? Cowgirls weinen nicht. Aber verdammt, sie war kein Cowgirl mehr. Cass lehnte ihre Stirn an die kalte Scheibe.

Sie hatte die Ranch vor zehn Jahren verlassen. Mit großen Träumen. Träumen von einem Leben in der großen Stadt, wo die Sterne am Himmel hinter den Lichtern der Wolkenkratzer verblassten. Wo das Geräusch des Verkehrs klang wie ein fernes Gewitter.

Das Leben auf der Ranch war hart. Es begann früh am Morgen und endete spät am Abend. Ständige Sorgen um das Wetter – entweder war es zu heiß oder zu kalt, es regnete zu viel oder zu wenig. Dazu kamen Krankheiten, die eine Herde innerhalb kürzester Zeit dahinraffen konnten. Dann der Gipfel der Härte: das Rodeo. Ihr Vater hatte es geliebt. Und auch sie hatte es geliebt. Damals, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.

Cass wollte nicht nach Hause fahren. Wollte nicht Abschied nehmen müssen von dem Mann, an dem sie alle anderen Männer maß. Ganz gleich, wie sehr sie ihn verletzt hatte. Ganz gleich, wie sehr er von ihr enttäuscht gewesen war – er hatte sie immer geliebt. Und nun war er nicht mehr da.

Sie beschloss, ins Bett zu gehen – auch wenn sie noch einen weiteren Martini hätte vertragen können. Nicht dass es helfen würde. Alkohol konnte den Schmerz nicht beseitigen, nur vorübergehend betäuben wie eine Spritze beim Zahnarzt. Und ähnlich fühlte sich ihr Herz an in diesem Augenblick – wie eine pochende Wunde. Verursacht von ihrem Egoismus. Seit einem Jahr war sie nicht mehr zu Hause gewesen. Und nun war es zu spät.

Cass drehte sich um – und prallte gegen eine muskulöse Brust.

„Vorsicht!“

Der Mann packte sie bei den Oberarmen und gab ihr Halt. Sie hob den Kopf. Registrierte ein markantes Kinn, den Schatten eines Bartes und braune Augen. Sein dunkles Haar, das ihm in die Stirn fiel, war gerade lang genug, um den Kragen seines Hemdes zu berühren.

„Es tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen.“ Es bestürzte sie, wie atemlos ihre Stimme selbst in ihren eigenen Ohren klang. Es war die Überraschung. Nichts weiter.

„Kein Problem. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Sie wich einen Schritt zurück. „Mich können Sie nicht erschrecken, Mister.“ Erst jetzt nahm sie ihn richtig wahr. „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Haben wir uns schon einmal gesehen?“

„Daran würde ich mich erinnern.“ Er streckte die Hand aus, als wolle er sich vorstellen – aber in diesem Moment ließ die Erkennungsmelodie einer alten Fernsehshow sie beide zusammenfahren. Sein Handy.

Frustriert murmelte er etwas, das so klang wie „Verdammt, entschuldigen Sie mich“.

Cass trat beiseite, um etwas mehr Abstand zwischen sich und den Fremden zu bringen. Für einen Moment fragte sie sich, ob er ein Stalker war. In der Bar war ihr ein Mann aufgefallen, der sie zu beobachten schien. War es derselbe Mann gewesen? Sie hatte ihn nicht genau erkennen können, da er im Schatten gesessen hatte.

Er setzte ein Lächeln auf, doch weiter kam er auch dieses Mal nicht – jetzt meldete sich das Handy mit dem Klang einer schrillen Sirene. Einige Gäste des Hotels sahen irritiert zu ihnen herüber.

„Das hört sich wahrlich nach einem Notfall an“, bemerkte Cass trocken.

Chance griff in die Jackentasche. Irgendeiner seiner Brüder hatte die verdammten Klingeltöne umprogrammiert – er hätte ihn umbringen können! „Was ist?“, knurrte er unwirsch in den Hörer.

„Komme ich ungelegen?“

Chance sah das Grinsen seines Bruders förmlich vor sich. „Du kommst immer ungelegen, Cord. Sag dem alten Herrn, dass ich hier in Chicago feststecke, bis dieser Blizzard vorbei ist.“ Er hörte kaum auf die Antwort seines Bruders, weil er sich ganz auf die junge Frau konzentrierte. Irgendetwas in ihrem Ausdruck hielt ihn gefangen. Etwas, das er nicht gleich benennen konnte. Trauer vielleicht?

„Chancellor! Hörst du mir überhaupt zu?“

„Nein.“ Nicht einmal der Gebrauch seines vollen Namens konnte seine Aufmerksamkeit auf sich lenken.

„Das solltest du aber. Der Alte will, dass du sofort nach Hause kommst. Er wollte sogar eine seiner Maschinen schicken, aber die Piloten haben sich wegen des Wetters geweigert. Er ist stinksauer, aber er kann sie ja nicht alle entlassen.“

Chance seufzte. Der Jähzorn seines Vaters war legendär. Seine Neigung, Angestellte bei dem kleinsten Anlass fristlos zu feuern, sorgte dafür, dass es ständig juristische Probleme gab. Und das war dann sein Ressort. Es war seine Pflicht, diese Dinge auszubügeln, wie Cyrus Barron fand – Teil des Preises dafür, den er für das Privileg zu zahlen hatte, zu einer der reichsten und mächtigsten Familien Oklahomas zu gehören. Und er zahlte diesen Preis, weil es seine unbestreitbaren Vorzüge hatte, ein Barron zu sein.

„Ich habe einen Platz in der ersten Maschine morgen früh. Hast du eine Ahnung, worum es geht?“

„Es scheint irgendein Megaproblem zu sein. Der Alte hat schon Spuren in den Teppich getreten vom vielen Hin- und Herrennen. Dabei murmelt er ständig etwas vor sich hin von einem alten Bastard, der glaubt, ihm entkommen zu können, indem er einfach stirbt. Das Ganze garniert mit jeder Menge Flüche. Er hatte eine Karte auf dem Konferenztisch liegen. Ich nehme an, er will irgendetwas kaufen und wird kein Nein akzeptieren.“

„Und was ist daran neu?“

Cord begriff den rhetorischen Charakter der Frage nicht und erging sich lang und breit in einer Antwort, die Chance nur als Hintergrundrauschen wahrnahm. Seine Aufmerksamkeit galt wieder der jungen Frau. Sein Instinkt riet dringend zur Flucht. Die Trauer in ihrem Blick verhieß nichts als Ärger und Komplikationen. Mit seinem Vater auf dem Kriegspfad konnte er sich weder das eine noch das andere leisten. Er schaltete innerlich wieder um auf die Stimme seines Bruders.

„Nicht genug damit, dass Clay Senator ist. Der Alte will, dass Chase sich im nächsten Jahr um das Amt des Gouverneurs bewirbt.“

Das war ein Thema, das eindeutig nicht für fremde Ohren bestimmt war. Er kehrte der jungen Frau den Rücken zu und trat ein wenig beiseite. „Chase soll in die Politik gehen? Mein Gott, der Alte scheint den Blick für die Wirklichkeit zu verlieren!“

„Wir wollen dankbar sein, dass er im Moment weder Pläne für dich noch für mich hat, Bruder.“

Chance drehte sich um und sah seine Pläne des Abends gerade im Fahrstuhl verschwinden. Er hatte noch ihren Duft in der Nase – Mandel, Orange und eine Spur Zitrone. Ein Duft, so einzigartig wie die ganze Frau. Frustriert konzentrierte er sich wieder auf die Stimme seines Bruders.

„Der Alte ist wütend, Chance. So habe ich ihn noch nie erlebt. Nicht einmal, als Tammy mit dem Vorarbeiter durchgebrannt ist.“

Chance verdrehte die Augen. Tammy war Ehefrau Nummer sechs gewesen. Oder sieben? Halb so alt wie sein Vater und mit einer Figur wie Dolly Parton. Irgendwann hatte sie ein Auge auf den Vorarbeiter der Ranch geworfen und ihn überredet, mit ihr durchzubrennen. Sie drohte, sich mit irgendwelchen Familiengeschichten an die Boulevardpresse zu wenden, um für einen Skandal zu sorgen. Als Anwalt der Familie hatte Chance die Aufgabe, eine finanzielle Einigung mit ihr zu erzielen, um den Ärger abzuwenden. Ihre Tinte unter der Vereinbarung war noch nicht trocken, als er schon für seinen Vater die Scheidung einreichte.

„Was zum Teufel ist los, Cord? Du hast mich gerade um eine heiße Nacht gebracht. Ich hoffe, es gibt einen guten Grund für den Aufstand des Alten.“

„Sagt der Name Ben Morgan dir etwas?“

Chance überlegte einen Moment. „Vage. Ein alter Rodeo-Reiter, oder?“

„Genau der. Der Alte und Morgan sind bei paarmal aneinandergeraten, einmal wegen einer Frau.“

„Ach Gott, nein – welche der Stiefmonster war es?“

„Keine. Das Ganze liegt schon Ewigkeiten zurück. Bevor er Mom geheiratet hat.“

Chance rieb sich die Stirn. „Verdammt, Cord – ich weiß, dass der Alte nachtragend ist, aber so lange? Das wäre doch absurd!“

„Wem sagst du das?“ Cord stöhnte theatralisch. „Du kannst es dir nicht vorstellen! Wie konnte Morgan es wagen zu sterben, bevor der Alte ihn vernichten konnte?! Im Moment interessiert ihn nicht einmal, dass du dieses verdammte Fohlen nicht gefunden hast.“

„Nun sag nur nicht, dass die Sache mit dem Fohlen derart wichtig war!“

„Du weißt, wie er es hasst zu verlieren. Die gute Nachricht ist doch, dass er im Moment von diesem Problem abgelenkt ist. Es gibt da irgendeinen juristischen Mist mit diesem Ben Morgan. Der Alte will, dass du dich darum kümmerst. Ich dachte, ich warne dich vor, damit du weißt, was auf dich zukommt.“

„Danke. Ich werfe gleich mal den Laptop an und mache ein paar Nachforschungen.“

„Ich maile dir die Einzelheiten. Und Chance? Tut mir leid, dass ich dir die Nacht verdorben habe.“

„Das hört man!“

Chance ließ das Handy in der Jackentasche verschwinden. Diese ganze Reise war eine einzige Katastrophe. Sein Blick glitt zur Bar. Die Bedienung würde über kurz oder lang Feierabend machen … Erstaunlicherweise war sein Interesse an ihr nach dem Kontakt mit der blonden Unbekannten plötzlich erloschen – zumindest für diesen Abend. Kurz entschlossen begab er sich zum Fahrstuhl. Er hatte einiges zu erledigen.

2. KAPITEL

Cass löste den Gurt, als die Durchsage kam, der Abflug werde sich verspäten. Offenbar ließ irgendein Passagier auf sich warten. In der Economy war alles besetzt, also musste es sich um jemanden aus der Ersten Klasse handeln.

Sie schloss die Augen. Nach Hause zu fahren war immer schwer – deswegen hatte sie es so lange vermieden, obwohl Boots sie immer wieder gedrängt hatte zu kommen. Und nun war ihr Dad nicht mehr da – und so vieles war ungesagt geblieben zwischen ihnen. Sie schluckte ihre Schuldgefühle hinunter. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Vater verstanden hatte, was sie ihm hatte sagen wollen …

Endlich war die Maschine bereit zum Abflug. Cass drückte ihre Füße gegen den Boden und verschränkte die Finger im Schoß. Sie flog nicht gern. Besonders Start und Landung waren ihr ein Gräuel. Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen, und konzentrierte sich darauf, ruhig zu bleiben. Aus irgendeinem Grund musste sie an den Mann aus dem Hotel denken. Er hatte nach Leder und Regen an einem heißen Tag gerochen. Eine merkwürdige Kombination, die Erinnerungen an ihre Kindheit weckte. Erinnerungen an das Leben auf der Ranch und an die Rodeo-Arenen.

Er hatte ein modisches weißes Hemd getragen wie ein Banker, aber dazu eine eng sitzende Jeans. Und Stiefel. Sie runzelte die Stirn. Nicht dass Menschen in Chicago keine Westernstiefel getragen hätten. Einige von ihnen trugen sie sogar in echt, nicht nur als modisches Accessoire.

Ihr Magen machte einen Satz, als die Maschine abhob. Eine Durchsage informierte über Wetter und Flughöhe, aber Cass konnte es kaum verstehen, weil ihre Ohren wie blockiert waren. Um sich abzulenken, dachte sie wieder an die kurze Begegnung vom Vorabend.

Unter anderen Umständen hätte sie sich von dem Mann vielleicht auf einen Drink einladen lassen. Er war unglaublich sexy. Die Hände kräftig und gleichzeitig zart. Sie war nicht klein, aber er überragte sie noch um einiges. Er hatte etwas an sich, das ihr heiß werden ließ. Schon seit Ewigkeiten hatte kein Mann sie mehr derart fasziniert. Plötzlich fiel ihr wieder der Anlass für ihren Flug ein.

Es tut mir leid, Daddy! Sie entschuldigte sich in Gedanken für ihr unangebrachtes Interesse an dieser Zufallsbekanntschaft. Und nicht nur dafür. Sie kämpfte mit den Tränen. Aber sie durfte nicht weinen. Nicht hier. Nicht jetzt!

In Gedanken hörte sie wieder die leise Stimme ihres Vaters. Cowgirls weinen nicht.

Sie war schon seit zehn Jahren kein Cowgirl mehr. Seit sie von zu Hause fortgegangen war, um das College zu besuchen. Und anschließend hatte sie dann den Job in Chicago angenommen. Seither war sie nur wenige Male auf der Ranch gewesen. Sie hasste die Hitze und den Staub. Hasste den Geruch von Pferdemist.

Sie würde die Ranch verkaufen, würde Boots irgendwo gut unterbringen und dann so schnell wie möglich nach Chicago zurückkehren. Das hätte auch ihr Vater von ihr erwartet. Sie hatte ihm oft genug gesagt, sie werde nicht zurückkommen. Werde die Ranch nicht übernehmen.

Der Passagier vor ihr schob seinen Sitz so weit zurück, dass der Kaffee, den die Stewardess gerade gebracht hatte, aus dem Becher schwappte. Der Mann zu ihrer Rechten am Fenster schnarchte. Sein Kopf drohte auf ihre Schulter zu fallen. Sie konnte ihm gerade noch ausweichen, stieß dabei aber die Frau zu ihrer Linken an, was ihr einen eisigen Blick eintrug. Cass verdrehte die Augen. Blieb nur zu hoffen, dass dieser Höllenflug bald zu Ende war.

Sie trank den restlichen Kaffee und reichte der vorbeigehenden Stewardess den leeren Becher und die vollgesogene Serviette. Eine Sardine in der Büchse konnte sich nicht beengter fühlen. Um die Realität auszublenden, schloss sie die Augen. Gedanken an den attraktiven Cowboy vom Vorabend schwirrten ihr durch den Kopf. Sie war sicher, ihn von irgendwo her zu kennen. Da sie nicht viel fernsah, verwarf sie den Gedanken, er könne Schauspieler sein. Konnte sie ihn vom College her kennen? Oder vielleicht noch von der High School? Sie hatte kein gutes Gedächtnis für Gesichter, aber dieser Mann hatte irgendetwas an sich, das vage Erinnerungen wachrief.

Als sie nicht weiterkam, gab sie es schließlich auf. Sie klappte das Tischchen hoch und schloss den kleinen Riegel mit mehr Schwung als nötig. Dann streckte sie die Beine aus und stieß energisch mehrmals mit den Zehen von unten an den Sitz vor ihr. Der Fluggast drehte sich empört zu ihr herum, und sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihm wie eine Zweijährige eine Grimasse zu schneiden. Ihr war alles einerlei. Nach ein paar Sekunden wandte der Mann sich kopfschüttelnd wieder ab, und da er seinen Sitz ein wenig höher stellte, hörte sie auf, dagegenzukicken.

Erinnerungen an ihren Vater kamen hoch und trieben ihr erneut Tränen in die Augen. Vergebens versuchte sie, sie zurückzuhalten. Sie war eine schreckliche Tochter. Ihr Vater war gestorben, und sie hatte es nicht einmal geschafft, rechtzeitig bei ihm zu sein und sich zu verabschieden. Boots hatte sie seit Monaten gebeten zu kommen, und sie hatte es immer wieder hinausgeschoben. Ihr Vater war zu stolz gewesen, selbst anzurufen. Und sie zu stolz, um nachzugeben. Jetzt war es zu spät.

Cass fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Dabei stieß sie mit dem Ellenbogen gegen ihre Nachbarin. Die Frau atmete hörbar ein und beugte sich ein wenig zur Seite. Ihre Miene sprach Bände.

Plötzlich riss der letzte Faden mühsam gezügelter Selbstbeherrschung. „Entschuldigen Sie, dass ich weine!“ Cass machte sich nicht die Mühe, ihre Stimme zu senken. „Mein Vater ist letzte Nacht gestorben, und ich konnte nicht bei ihm sein. Ich bin auf dem Weg nach Hause, um ihn zu beerdigen. Falls mein Weinen Sie zu sehr behelligt, setzen Sie sich doch woanders hin!“

Das allgemeine Gemurmel rundum verstummte abrupt. Cass spürte, dass sie rot geworden war – ein Erbe ihrer Mutter. Sie wurde immer rot, wenn sie wütend wurde, weinte oder zu sehr lachte.

Ihre Sitznachbarin sah sie fassungslos an.

Cassie hatte noch eine Fortsetzung ihrer Tirade auf der Zunge, hielt sie aber doch zurück. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte mit eisiger Miene geradeaus.

Chance nippte an seinem Kaffee und überflog die Informationen auf dem Bildschirm seines Laptops. Er fand alles Mögliche über seinen Vater. Der Alte tat so, als sei er mit dem legendären goldenen Löffel geboren, aber die Wahrheit sah anders aus. Als junger Mann hatte er auf den Ölfeldern und auch als Rancher gearbeitet. Nebenher hatte er sich als Reiter beim Rodeo Geld verdient.

Und er hatte eine Frau namens Colleen geliebt, bevor er Alice, die spätere Mutter seiner Söhne, kennengelernt und geheiratet hatte. Durfte man den Zeitungen der Zeit Glauben schenken, hatte Cyrus sogar ein paar Tage im Gefängnis verbracht. Das war nach einer riesigen Schlägerei auf einer Rodeo-Veranstaltung in Fort Worth gewesen. Dabei hatte er Ben Morgan ins Krankenhaus gebracht und seine Karriere als Rodeo-Reiter beendet. Kurz darauf hatte Colleen ihm den Laufpass gegeben und Ben geheiratet. Aber Cyrus Barron war nicht der Mann, der seinen Hass auf Ben vergaß. Immer wieder warf er ihm Steine in den Weg, um ihn zu vernichten. Aber Morgan ließ sich nicht beirren. Er baute sich eine Existenz auf, um seiner Frau etwas bieten zu können – zunächst machte er sich einen Namen als Händler für Rodeo-Pferde, dann auch als Pferdetrainer.

Chance rieb sich den schmerzenden Nacken. Sein Vater war kein Mensch. Das Objekt seines Hasses war tot, und nicht einmal jetzt konnte er Ruhe geben. Cord hatte am Morgen eine E-Mail geschickt. Offenbar hatte Ben Morgan einen Kredit bei einer kleinen Bank aufgenommen und als Sicherheit eine Hypothek auf seine Ranch aufgenommen. Diese Bank war unlängst von Barron Enterprises aufgekauft worden. Der Alte wollte, dass Chance sich die Kreditunterlagen besorgte. Da er Ben Morgan nun nicht mehr mit seinem Hass verfolgen konnte, wollte er seinen Feldzug offensichtlich gegen seine Erben fortsetzen und eine Möglichkeit suchen, den Kredit sofort fällig zu stellen.

Typisch sein Vater! Chance musste ihm zugestehen, dass er seinen Gegnern immer mehrere Schritte voraus war. Er selbst hatte den Kauf der Bank seinerzeit für Unsinn gehalten, da der Aufwand in keinem Verhältnis zum Gewinn zu stehen schien. Aber Cyrus bestand auf seinem Willen, sodass Chance schließlich ein paar Experten an Bord holte, die sich mit den Regularien der Übernahme einer Bank auskannten. Der Alte wollte die Bank. Also bekam er die Bank. Und jetzt wusste Chance, wieso.

Er schloss den Laptop und hielt seinen Becher zum Nachfüllen hin, als die Stewardess mit der Kanne vorbeikam.

„Wissen Sie, ich habe gelegentlich Zwischenlandungen in Oklahoma City“, flüsterte sie mit einem vielsagenden Lächeln. Chance sah auf. Sie mochte Ende zwanzig sein. Die Uniform zeigte Rundungen an all den richtigen Stellen. Die Frau war genau sein Typ. Sehr weiblich. Aber noch während er ihr Lächeln erwiderte, erschien ein anderes Gesicht vor seinem geistigen Auge. Sein Herz machte einen Satz. Er wusste nicht einmal ihren Namen, und schon verfolgte sie ihn!

„Tut mir leid, dies ist nur eine kurze Geschäftsreise für mich“, log er. Und während er ihre Enttäuschung registrierte, fragte er sich, was in ihn gefahren war. Wieso lehnte er ein derartiges Angebot ab?

Es war unwahrscheinlich, dass er der Unbekannten je wieder über den Weg laufen würde. Aber hatte er nicht einen Bruder, der Privatdetektiv war und Barron Security leitete? Er würde Cash auf sie ansetzen. Eine Nacht mit ihr, das war alles, was er wollte. Dann hatte er sie wieder aus dem Kopf, da war er sicher.

Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her – froh, dass der kleine Tisch und der Laptop seinen Zustand kaschierten. Er wusste nicht, wieso diese Frau ihm so unter die Haut gegangen war, aber genau das hatte sie getan – sie saß fest wie eine Klette unter dem Sattel.

Nach der Landung gehörte er zu den Ersten, die die Maschine verließen. Da er kein Gepäck aufgegeben hatte, konnte er gleich durchgehen zum Parkdeck. Angenehme Märzwärme empfing ihn. Keine Spur von dem Blizzard, der den Norden heimgesucht hatte. Chance registrierte es voll Dankbarkeit. Er hasste Kälte. Hitze natürlich auch. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er irgendwo gelebt, wo das ganze Jahr über eine angenehme Temperatur von zwanzig Grad herrschte.

Nachlässig warf er Tasche und Laptop auf den Beifahrersitz, bevor er seinen schwarzen Audi R8 die Rampe hinunter zum Ausgang rollen ließ. Er stoppte gerade lange genug, um an der Schranke seine Gebühren zu zahlen, dann gab er Gas, ohne auf die Wagen der anderen Spuren zu achten. Das Geräusch bremsender Reifen und ein empörtes Hupen ließen ihn nach links schwenken und einen Aufprall in letzter Sekunde vermeiden. An der nächsten Ampel warf er einen flüchtigen Blick auf den alten Pick-up auf der Nebenspur. Dann sah er genauer hin. Der alte Mann am Steuer sagte ihm nichts, aber die Frau daneben … Ja, das war sie! Die blonde Unbekannte aus dem Hotel! Sie hatte das Fenster heruntergelassen. Die Empörung, die in ihrem Blick brannte, hätte die Metallic-Legierung seines Audis zum Schmelzen bringen lassen können.

Seine Scheiben waren dunkel getönt. Es war also unwahrscheinlich, dass sie ihn erkennen konnte. Als die Ampel umsprang, beschleunigte er nicht wie gewohnt, sondern wartete, bis er sich hinter den Pick-up schieben konnte. Er merkte sich das Nummernschild. Nun hatte er etwas in der Hand, worauf er Cash ansetzen konnte.

Die Welt sah doch gleich ganz anders aus!

„Hast du den Idioten gesehen? Der hat seinen Führerschein wohl aus der Baumschule!“

„Die Leute hier haben etwas mehr Tempo drauf, Babygirl. Ist ja nichts passiert.“ Boots spuckte aus dem Fenster.

„Der Kautabak ist nicht gut für dich, Onkel Boots.“

„Das ist das einzige Laster, das mir geblieben ist, Cassie, und ich werde nicht ewig leben. Lass mir dieses Vergnügen.“

Sie schwieg. Die alte Pferdedecke, die auf dem Sitz lag, kratzte durch ihren Pullover hindurch. Sie hatte die schwere Jacke gleich ausgezogen, als sie den Terminal verlassen hatte. Verglichen mit den Temperaturen in Chicago fühlten sich die zehn Grad in Oklahoma City schon fast sommerlich an. Der Australian Shepherd, der neben ihr auf dem Sitz lag, gähnte. Geistesabwesend kraulte Cass ihm das Fell.

„Dein Leben möchte ich haben, Buddy. Den ganzen Tag nichts anderes tun als in der Sonne schlafen oder Eichhörnchen jagen. Du brauchst dich nicht um die blöden Menschen zu kümmern. Kannst sie einfach wegbeißen oder anpinkeln.“

„Gib acht, was du sagst, Cassidy Anne Morgan! Ich möchte nicht, dass du den armen Hund verdirbst.“

„Yessir!“ Sie lachte leise.

Einige Minuten vergingen im Schweigen. Ein paarmal räusperte sich der alte Mann, sagte aber nichts. Erst ein paar Blocks später, als sie wieder an einer roten Ampel hielten, sah er zu Cassie hinüber. „Ich werde ihn vermissen“, sagte er leise.

Cass presste die Lippen aufeinander, aber sie verlor den Kampf gegen ihre Tränen. Erneut rollten sie ihr über die Wangen. Schweigend reichte Boots ihr ein verblichenes rotes Taschentuch.

„Wieso hast du es mir nicht gesagt?“

„Was, Cassie? Ich habe dich oft genug gebeten, nach Hause zu kommen.“

„Du hättest sagen sollen, dass er stirbt.“

„Ich habe dir gesagt, dass es ihm nicht gut geht.“

„Da ist ja wohl ein Unterschied zwischen nicht gut gehen und sterben!“ Die Empörung ließ ihre Tränen versiegen.

„Genau so ein Unterschied wie zwischen zu stolz sein, sich zu versöhnen, und zu beschäftigt sein, sich Gedanken um seinen Daddy zu machen.“

Er hat angefangen.“ Sie wand sich innerlich. Das klang wie ein schmollendes Kleinkind. Aber es stimmte. Ihr Dad hatte sich von Anfang an gegen alle ihre Pläne gesträubt. Wieso ein College und nicht die Ranch? Und wenn schon ein College, wieso dann nicht eines in der Nähe? Sie hatte sich nur über seinen Willen hinwegsetzen können, weil sie dank ihrer guten Zensuren problemlos ein Stipendium bekam. Zwar musste sie nebenher jobben, um über die Runden zu kommen, aber das machte ihr nichts aus. Anschließend bekam sie eine Anstellung bei der Chicago Mercantile Exchange, einer der größten und ältesten Börsen der Welt. Der Job machte sie nicht reich, aber auf jeden Fall musste sie nicht in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett, um den Stall auszumisten oder stundenlang Tiere zu suchen, die es nicht schafften, bei Unwetter von allein in den Stall zu kommen.

Cass sah zu Boots hinüber. Er sagte kein Wort, aber seine Wangen waren nass von Tränen und die Hände, mit denen er fest das Steuer umklammerte, verrieten seine Anspannung. Spontan legte Cass ihre Hand auf die des alten Mannes.

„Du hast recht, Onkel Boots.“

„Ach, weißt du … Ihr beiden seid euch so verdammt ähnlich. Beide halsstarrig bis zum Geht-nicht-mehr! Aber er hat dich geliebt. Und er war stolz auf dich.“

„Nein.“ Cass schüttelte den Kopf. „Nein, das war er nicht. Ich habe ihn enttäuscht. Ich bin nicht auf der Ranch geblieben. Ich habe nicht geheiratet. Habe ihm keine Enkelkinder geschenkt. Ich habe nichts von dem getan, das er sich von mir gewünscht hat.“

„Er wollte nur eines: dass du glücklich bist, Babygirl.“

Cass war sicher, dass Boots sich irrte. Sie war nichts als eine Enttäuschung gewesen für ihren Dad, und zwar von dem Tag an, an dem sie achtzehn geworden war und bei einer Rodeo-Veranstaltung in Denver auf dem Rücksitz eines Pick-ups ihre Unschuld verloren hatte. Danach hatte sie beschlossen, nie wieder zu reiten.

Boots parkte den Wagen vor dem Bestattungsunternehmen. Keiner von ihnen stieg aus. Am liebsten hätte Cass ihn gebeten, einfach weiterzufahren. Aber sie wusste: Sie würde es ewig bereuen, wenn sie jetzt nicht Abschied nahm von ihrem Vater.

„Okay.“ Sie holte tief Luft. „Lass uns gehen.“

Sie hakte sich bei Boots unter. „Wir schaffen das, oder?“

Er strich ihr über die Hand. „Du weißt ja, was dein Daddy immer gesagt hat.“

Sie atmete tief durch. „Cowgirls weinen nicht. Aufstehen und weitermachen. Du glaubst nicht, wie ich das immer gehasst habe!“

Er lachte leise.

Minuten später stand sie an der Bahre ihres Vaters. Sein Gesicht war im Laufe der vergangenen Jahre hagerer geworden, das Haar spärlicher. Seine Züge wirkten wächsern. Cass schluckte. Das war nicht ihr Vater. Er war voller Leben gewesen. Voller Lachen. Sie streckte die Hand aus, wollte ihn berühren und konnte es doch nicht.

„Oh, Daddy.“ Tränen drohten sie zu ersticken. „Ich vermisse dich so. Es tut mir leid. Alles tut mir leid. Verzeihst du mir?“

Chance saß auf dem Parkplatz in seinem Wagen und machte sich Notizen, während er mit seinem Bruder Cash sprach. „Ben Morgan hat also eine Tochter.“ Eine Erbin machte die Sache komplizierter. Sein Vater wollte, dass er den Kredit sofort fällig stellte. Bei Zahlungsverzug fiel die Ranch automatisch an die Bank und konnte zwangsversteigert werden. Er schien es unter allen Umständen vermeiden zu wollen, dass die Erben eine Chance hatten, die in Kürze fällige Kreditrückzahlung zu leisten. „Hast du einen Namen?“

„Cassidy. Ich habe jemanden auf sie angesetzt. Oh, da fällt mir ein – ich habe die Information zu dem Nummernschild, das du mir genannt hast. Der Wagen gehört einem Baxter Thomas.“

Irgendetwas klingelte. „Woher kenne ich den Namen?“

„Keine Ahnung, Chance. Soll ich seine Finanzen überprüfen lassen?“

„Nein, gib ihn einfach bei Google ein. Mal sehen, was dabei herauskommt.“ Er wartete angespannt, während er das Klacken der Tasten über sein Handy hörte.

Cash stieß einen leisen Pfiff aus. „Das ist ja interessant. Baxter Thomas ist auch Boots Thomas.“

„Der Rodeo-Clown?“ Heute nannte man diese Männer Stierkämpfer, was dem Charakter ihrer Arbeit in der Arena angemessener war. Sie lenkten den Stier ab, wenn der Rodeo-Reiter in Schwierigkeiten war. Boots Thomas war eine Legende. Jeder, der einmal etwas mit Rodeo zu tun gehabt hatte, kannte seinen Namen.

„Genau der. Dem Bericht nach waren er und Ben Morgan Partner in einer Firma, die Pferde für das Rodeo lieferte.“ Cash pfiff noch einmal. „Und es kommt noch dicker. Cassidy Morgan war früher einmal ein Champion-Cowgirl. Sie hat vor zehn Jahren aufgehört – nach dem Sieg in der Denver Stock Show. Das war in dem Jahr, als du mit Cord zusammen dort das Team-Roping gewonnen hast.“

„Das ist ja unglaublich!“ Hatte er sie beim Rodeo gesehen? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte er sich an sie erinnert. Er hatte seine Rodeo-Karriere nach dem Sieg beendet. Auf Wunsch seines Vaters sollte er Jura studieren, und da blieb ihm keine Zeit mehr für Rodeo. Oder Cowgirls. Aber wie war das jetzt? Boots Thomas, der Fahrer des Pick-ups, war der Partner von Ben Morgan gewesen. Und neben ihm hatte die blonde Unbekannte gesessen. Konnte es sein, dass sie die Tochter von Morgan war …?

„Chance? Hast du mir zugehört?“

Nein, das hatte er nicht. „Was?“

„Übermorgen wird ein Gedenkgottesdienst für Ben Morgan im Pleasant Hills Funeral Home abgehalten. Es wäre doch ein richtiger Coup, der Erbin dort die Kündigung des Kredits zu überreichen.“

„Mein Gott, Cash – du bist schon genau so ein Ekel wie der Alte! Wann ist die Feier?“

„Um zehn Uhr morgens. Wieso? Hast du etwa doch die Absicht, dort aufzutauchen?“

Er zog es vor, seine Motive nicht zu hinterfragen, als er sagte: „Es könnte keine schlechte Idee sein hinzugehen. Einfach um ein Gefühl für die Angelegenheit zu bekommen.“ Beruflich. Seine Absicht war rein beruflich. Aber er konnte seinen Job machen, ohne sich wie der letzte Mensch zu benehmen – auch wenn sein Vater die Absicht hatte, der trauernden Tochter seines Erzfeindes das Erbe unter den Füßen wegzuziehen. Er glaubte nicht an Zufälle, aber die Wahrscheinlichkeit wuchs, dass seine geheimnisvolle Unbekannte Cassidy Morgan war.

Chance ließ den Motor an und fuhr nach Hause. Ihm blieb genügend Zeit, die Papiere fertig zu machen. Zuerst einmal wollte er duschen und sich umziehen – er fühlte sich plötzlich so schmutzig.

Cassie trug Schwarz – eine schwarze Jacke, dazu einen schwarzen Rock und schwarze Pumps – und kam sich völlig fehl am Platze vor. Alle anderen waren in farbenfroher Westernkleidung gekommen. Der Raum ähnelte einer bunten Patchworkdecke – vertraut und warm, wie die Menschen, die sich hier versammelt hatten. Die kleine Kapelle war bis auf den letzten Platz gefüllt. Alte Rodeo-Reiter waren gekommen, Nachbarn und viele Freunde, die sich im Laufe eines Lebens gefunden hatten. Der Tod war ein Teil dieses Lebens. Ihr Dad hatte einmal gesagt, Anzüge seien für Hochzeiten und Beerdigungen, aber nirgendwo stünde, dass sie schwarz sein müssten. Daran hätte sie denken sollen.

Der vordere Teil des Raums wirkte wie eine bunte Blumenwiese. Sie kannte den Pfarrer nicht, aber er schien alles über ihren Dad zu wissen. Seine kurze Trauerrede zeichnete ein lebendiges Bild des Toten. Als er fertig war, lud er alle ein, ein paar Worte zu sagen oder eine Erinnerung zu teilen.

Jemand räusperte sich. Stühle wurden gerückt, mit schweren Schritten kam ein kräftiger Mann mit zotteligem Bart und Tabakpfriem im Mund nach vorn und ergriff das Wort.

„Es ist ungefähr vierzig Jahre her, da hat Ben Morgan mir das Leben gerettet. Wir waren noch grün hinter den Ohren. In unseren Zwanzigern. Es war beim Fort Worth Rodeo. Ich hing auf dem Stier fest, Red Devil. Boots war der Clown und Ben der Pick-up-Reiter. Boots lenkte Devil ab, und Ben sprang von seinem Pferd und packte den Stier bei den Ohren. Er zwang ihn so lange in die Knie, bis die anderen mich frei schneiden konnten. Das Nächste, was ich wusste, war: Ich saß auf dem Hintern im Dreck, und Ben flog durch die Arena. Der verdammte Stier brach Ben drei Rippen, aber er stand einfach wieder auf und machte weiter. Er war ein Teufelskerl. Er wird uns fehlen.“

Ein zustimmendes Gemurmel begleitete den Mann zurück zu seinem Platz. Als Nächstes trat eine ältere Frau an das Mikrophon. Vorher reichte sie Cassie die Hand und strich Boots kurz über die Schulter. Dann lächelte sie in die Runde. „Die meisten von euch kennen mich ja. Für die anderen: Ich bin Nadine Jackson, mir gehört das Four Corners. Bevor Ben krank wurde, ist er fast jeden Tag bei mir zum Essen gewesen. Als er nicht mehr kommen konnte, haben wir die Verbindung durch Boots gehalten. Ben hatte nicht viel, aber wenn jemand es nötiger hatte als er, dann hatte er immer einen Dollar übrig oder ein Essen. Meine Enkeltochter hat ihn den Louis-L’Amour-Cowboy genannt.“

Sie machte eine Pause, bis sich das leise Gelächter im Raum gelegt hatte. „Sie ist erst acht, deswegen bin ich froh, dass sie weiß, wer Louis L’Amour ist. Und sie hat recht. Ben hätte der Held eines dieser Bücher gewesen sein können. Er hat immer nur das getan, was er für richtig hielt. Ich bin stolz darauf, dass er mein Freund war.“

Nadine wandte sich an Cassie. „Und du, Honey? Du warst sein Stolz und seine Freude. Er konnte nicht aufhören, von dir zu reden. Von deinen Trophäen, die du als Cowgirl gewonnen hast. Von deinen guten Zeugnissen in der Schule. Von deinem College-Abschluss. Mein kleines Mädchen hat das College geschafft, Nadine, sagte er immer. Sie hat etwas aus sich gemacht.

Cassie hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Der Schmerz war einfach überwältigend. Tränen brannten ihr hinter den Lidern, und sie musste einen Kloß hinunterschlucken.

„Ich habe nur noch eines zu sagen“, fuhr Nadine fort. „Das Four Corners ist heute offiziell geschlossen. Aber ich gehe mal davon aus, dass die arme Cassie nicht darauf eingerichtet ist, diese Menschenmenge bei sich zu Hause zu bewirten, deswegen könnt ihr alle zu mir kommen, eine Kleinigkeit essen und euch gemeinsam an Ben erinnern.“

Als sonst niemand vortrat, warf der Pfarrer Cassie einen fragenden Blick zu. Einen Moment lang saß sie wie benommen da, sammelte ihre Gedanken. Boots drückte ihr leicht die Hand. Schließlich hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange und erhob sich. Vom Podium ließ sie ihren Blick über die Menge gleiten, fasziniert von den freundlichen, offenen Gesichtern der Menschen, die die Freunde ihres Vaters gewesen waren.

Eine Bewegung in der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. Für einen Moment stockte ihr der Atem, als sie glaubte, den Mann zu erkennen, der da gerade hinausging. Nein, unmöglich. Das konnte nicht der Mann sein, den sie in Chicago im Hotel kennengelernt hatte. Sie spürte einen kalten Schauer über ihren Körper laufen. So etwas wie eine ungute Vorahnung.

„Daddy …“ Sie musste sich räuspern, bevor die Stimme ihr wieder gehorchte. „Daddy kannte jede Menge Redensarten, die meisten aus den Büchern von Louis L’Amour.“ Sie lächelte in Nadines Richtung. „Wir haben ein ganzes Regal voll davon zu Hause, und ich bekam diese Redensarten ständig zu hören. Eine war: Sollte, könnte, hätte – das ist das Tor zum Bedauern. Und kein Mensch sollte ein Leben voller Bedauern führen.“

Sie presste die Lippen aufeinander, bevor sie fortfuhr: „Ich hätte eine bessere Tochter sein sollen. Hätte ich es sein können? Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, Daddy würde nicht wollen, dass ich dem nachtrauere, was vielleicht hätte gewesen sein können. Er lebte und liebte sein Leben. Wir können sein Andenken am besten ehren, indem wir das Gleiche tun.“ Ihr Blick fiel auf die Urne. „Schwer zu glauben, dass so wenig bleibt von einem so großen Mann. Aber das war nur sein Körper, sein Geist war immer frei. Niemand konnte ihm etwas anhaben – weder im Leben noch im Tod.“

Sie bemerkte, dass Boots zur Tür sah. Was war los? Sein Ausdruck verriet, dass ihm etwas nicht behagte. Sie würde ihn später danach fragen.

„Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid“, beendete sie ihre kleine Ansprache. „Vielen Dank, dass ihr die Freunde meines Vaters gewesen seid. Und ich danke dir, Nadine, dass du uns alle ins Four Corners einlädst. Meine Kochkünste halten sich tatsächlich in Grenzen.“

Cass trat vom Mikrophon zurück und fühlte sich augenblicklich umarmt von Boots. Sofort waren sie umgeben von anderen, sodass sie keine Chance hatte, sich zu vergewissern, ob die Phantasie mit ihr durchgegangen war. Hatte sie sich den Mann nur eingebildet? Sie spürte wieder diesen kalten Schauer. Hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Verstohlen ließ sie den Blick durch den Raum gleiten, konnte die Quelle ihres Unbehagens aber nirgends entdecken. Es blieb nur das Gefühl … verfolgt zu werden.

„Ich muss nach draußen, Onkel Boots.“

Sie schob sich durch die Menge hinaus, raus in den frischen Frühlingsmorgen. Und immer noch mit dem Gefühl, einen Stalker in der Nähe zu haben.

Ein Mann mit einem schwarzen Stetson fiel ihr ins Auge. Er ging über den Parkplatz zu einem großen Ford Pick-up. Breite Schultern, schmale Hüften, eine gut sitzende Jeans. Konnte es der Mann aus Chicago sein? Der Schauer, der sie jetzt überlief, hatte nichts mit Angst zu tun …

Chance floh. Was um alles in der Welt hatte ihn geritten, an dieser Gedenkfeier teilzunehmen? Wem wollte er etwas vormachen? Wenn er ehrlich war, ging es doch nur um die Frau. Cassidy Morgan. Sie übte eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Und jetzt wusste er, wo er sie finden konnte.

Als sie am Mikrophon von ihrem Vater gesprochen hatte, hatte ihre Miene ihn an ihren Ausdruck im Hotel in Chicago erinnert. Wahrscheinlich hatte er sie getroffen, unmittelbar nachdem sie die Todesnachricht erhalten hatte. Unabhängig davon – er wollte sie. Schlicht und ergreifend. Auch wenn diese Situation alles andere als einfach war.

Sein Handy klingelte. Er drückte den Knopf der Freisprechanlage. „Was ist?“

„Wow! Reiß mir doch nicht gleich den Kopf ab!“

„Was willst du, Cord?“

„Cash und ich haben das Fohlen gefunden, das der alte Herr haben will. Du wirst es nicht glauben, wo!“

„Verdammt! Was soll ich machen – das Pferd suchen oder einer Frau, die gerade ihren Vater beerdigt hat, die Ranch abjagen?“

„Einen Moment mal, Bruder. Das klingt ja fast so, als würdest du so etwas wie ein Gewissen entwickeln!“

Chance hielt am Straßenrand – gleichzeitig fahren und reden, das funktionierte nicht, wenn er wütend war. „Okay, Cord – sag mir, wo der verdammte Gaul ist.“

„Direkt hier. Vor unserer Nase! Ben Morgan hat das Fohlen schon vor Monaten gekauft.“

Chance richtete sich auf. „Die Ranch und alles, was dazugehört, gehört der Bank, sobald die Hypothek wirksam wird. Das Fohlen auch?“

„Das weiß ich noch nicht, aber Cash ist an der Sache dran. Ich halte dich auf dem Laufenden. Unser alter Herr will, dass du den Kredit sofort fällig stellst …“

„Unser Erzeuger ist mit Abstand das Letzte, Cord.“

Sein Bruder verabschiedete sich mit einem trockenen: „Sag mir was Neues!“

Chance starrte aus dem Fenster. Ein Gedanke ließ ihn nicht los: Wenn unser Vater das Letzte ist – was sind dann wir, großer Bruder?

3. KAPITEL

Cass betrat die Veranda. Nichts hatte sich verändert. Eine Flut von Erinnerungen rollte über sie hinweg.

Im Haus wird nicht gerannt.

Knall nicht die Türen.

Nein, du darfst das kleine Stinktier nicht hereinbringen.

Boots hatte es sich in seinem alten Sessel bequem gemacht. Buddy lag zu seinen Füßen. Der zweite Sessel hatte immer ihrem Vater gehört. Wie oft hatte sie abends am Küchentisch ihre Hausaufgaben gemacht und durch das offene Fenster die beiden Männer miteinander sprechen gehört? Sie zog sich einen dritten Sessel heran.

„Was bedrückt dich, Cassie?“

Sie suchte nach den richtigen Worten. Aber es gab keine Möglichkeit, ihre Nachricht abzumildern. Daher platzte sie einfach heraus: „Ich werde die Ranch verkaufen.“ Als Boots schwieg, zwang sie sich fortzufahren: „Ich brauche das Geld nicht. Nicht wirklich. Ich finde, wir sollten etwas für dich und Buddy kaufen, näher an der Stadt. Etwas, wo du dein Alter genießen kannst.“

Sie holte kurz Luft und sprach gleich weiter: „Es ist am besten so, glaub mir. Ich habe mein Leben in Chicago. Meinen Job. Meine Freunde. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich mit der Ranch fertigwerden sollte und … und …“ Sie sah ihm in die Augen und verstummte. „Sag doch etwas, Onkel Boots. Sitz nicht einfach so da und sieh mich an, als hätte ich plötzlich zwei Köpfe.“

„Du kannst die Ranch nicht verkaufen.“

„Doch, das kann ich. Sie gehört mir.“ Plötzlich hielt sie inne. Vielleicht irrte sie sich. Vielleicht hatte ihr Vater die Ranch Boots vermacht. „Oder nicht?“

„Gewissermaßen.“

„Was soll das heißen?“

„Du bist Bens Erbin, aber die Ranch ist verschuldet.“

„Wie bitte? Was hat Daddy gemacht, Onkel Boots?“

„Er musste einen Kredit aufnehmen, um die Rechnungen für die Ärzte und die Medikamente bezahlen zu können. Die Rückzahlung ist bald fällig.“

Sie rieb sich die klopfenden Schläfen. „Wie viel ist es?“

„Sehr viel.“

„Wie viel ist viel, Onkel Boots?“ Hier ging es um Geld. Damit kannte sie sich aus.

„Mehr als das, was dein Daddy auf dem Konto hat. Mehr als das, was ich gespart habe. Und falls du nicht irgendwo ein Vermögen gewonnen hast, ist es mehr als das, was du hast.“

„Was hat er sich denn dabei gedacht?“, entfuhr es ihr.

„Er musste die Ärzte bezahlen.“

Der Vorwurf, den sie aus Boots’ Worten hörte, tat weh, aber sie hatte es nicht besser verdient. „Ich habe es nicht so gemeint. Aber wenn Dad einen Kredit aufgenommen hat, muss er einen Plan für die Rückzahlung gehabt haben. Er hielt nichts von Schulden.“

„Kälber.“

„Kälber?“

„Bevor er seine Diagnose bekam, hat er eine Herde von fünfhundert Mastkälbern günstig gekauft. Sie waren den ganzen Winter draußen auf der Weide. Gib ihnen noch ein paar Wochen, und sie werden Top-Preise bringen. Damit kannst du den Kredit tilgen und die verbliebenen Rechnungen vom Krankenhaus zahlen. Es bleibt sogar noch ein kleines Kapital für einen Neustart.“

„Für einen Neustart? Hat Dad wirklich geglaubt, ich käme zurück, um zu bleiben? Wenn er nicht mehr da ist? Wieso sollte ich das tun?“ Sie schluckte und setzte rasch hinzu: „Nicht dass ich dich nicht liebe, Onkel Boots.“

„Komm mit.“ Er erhob sich und ging langsam die Stufen hinunter, Buddy dicht auf seinen Fersen.

Cass fiel ein, dass Boots noch älter war als ihr Vater. Er musste auf die siebzig zugehen. Sie folgte ihm in die Scheune. Boots machte das Licht an, aber es blieb dämmrig. Wiehern war zu hören. Einige Pferde steckten ihre Köpfe neugierig über die halbhohen Türen ihrer Boxen. Sie erkannte das Lieblingspferd ihres Vaters, Red. Ein großer Rotfuchs mit einer weißen Blesse auf der Stirn.

Cass trat an die Box. Der Hengst wieherte leise und streckte ihr den Kopf hin. Sie hob die Hand, und seine weichen Lippen fuhren suchend über ihre Handfläche. „Ich bringe dir nachher eine Karotte“, versprach sie und klopfte den Hals des Tieres, bevor sie sich wieder Boots zuwandte. „Du wolltest mir Red zeigen?“

Er schüttelte den Kopf und deutete auf eine Box auf der anderen Seite. „Hier ist Bens letztes Geschenk für dich.“

Chance klopfte, aber niemand machte ihm auf. Da bemerkte er die offene Scheunentür und ging langsam hinüber. Diese ganze Angelegenheit war ihm zuwider, er musste sie möglichst schnell hinter sich bringen. Aber sein Herz machte einen Sprung bei dem Gedanken, Cassidy wiederzusehen.

Er betrat die Scheune und blieb wie angewurzelt stehen.

Cassidy lehnte an der Tür einer Pferdebox und sprach leise mit dem alten Mann neben ihr. Sie sah verdammt gut aus in Jeans und Stiefeln. Das karierte Flanellhemd, das sie in den Bund der Jeans gesteckt hatte, zeigte mehr von ihren natürlichen Kurven, als es verbarg. Sein ganzes Blut schien plötzlich eine Etage tiefer zu sinken.

Der Alte öffnete die Box, und sie gingen beide hinein.

Chance atmete ein paarmal tief durch und zog seine Jeans zurecht. Dann ging er weiter, um zu sehen, was sich in der Box befand.

„Das ist ja ein Prachtfohlen!“

Cassidy fuhr herum. „Sie!“

Er heuchelte die Unschuld. „Ich?“

„Sie! Aus Chicago!“

Er hielt die Hände hoch. „Schuldig. Und ich muss zugeben, das Schicksal ist mir heute sehr gnädig. Ich hätte nicht erwartet, Sie wiederzusehen.“

„Was machen Sie in Oklahoma?“

Er fand ihre empörte Miene einfach hinreißend. Aber an der Frau gab es ohnehin nichts, was er nicht auf die eine oder andere Weise attraktiv fand. Das schien ein Fluch zu sein, der auf allen Barrons lastete – sie dachten alle mit dem falschen Körperteil, sobald es um eine schöne Frau ging.

„Ich lebe hier. Was haben Sie in Chicago gemacht?“

„Ich lebe dort!“

„Und was machen Sie jetzt hier?“ Es machte ihm Spaß, sie zu reizen. Cassies Miene wurde noch grimmiger. Ihre Wangen waren rot geworden. Ob das auch passierte, wenn sie sexuell erregt war? Die Frage stellte sich ihm ganz automatisch – und belegte wieder einmal den Fluch, der über seiner Familie lag.

Sie konterte mit einer Gegenfrage: „Wo waren Sie heute Morgen? Bei der Gedenkfeier?“

Sie hatte ihn gesehen, genau wie er es vermutet hatte. Verdammt! Nun, dann hatte er keine Wahl. „Ja. Wieso?“

„Entschuldigen Sie, wenn ich das ein wenig … merkwürdig finde. Zuerst versuchen Sie, mich in einem Hotel in Chicago anzumachen. Dann folgen Sie mir hierher und erscheinen auf der Beerdigung meines Vaters. Da stimmt doch etwas nicht!“

„Wow, Darling!“ Sie ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen und er musste zugeben, dass es ihm gefiel. Sehr sogar.

„Nennen Sie mich nicht so! Ich kenne nicht einmal Ihren Namen.“

„Chance – Chancellor …“

„Also, Mr. Chance Chancellor – Sie können einfach kehrtmachen und wieder gehen. Ich weiß nicht, wer Sie sind und wieso Sie mir folgen, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Gehen Sie und kommen Sie nie wieder!“

Er überlegte rasch. Sie hatte ihn unterbrochen, bevor er sich richtig vorgestellt hatte. Und offensichtlich wusste sie immer noch nicht, dass er ein Barron war. Er war sich nicht sicher, ob ihm das etwas ausmachte. Okay, es machte ihm etwas aus, aber gleichzeitig vereinfachte es die Sache auch. So konnte er herausfinden, was er wissen wollte, bevor sie überhaupt begriff, was gespielt wurde. „Immer ruhig Blut, Mädchen. Ich kann das erklären.“

„Ach, wirklich? Ich bin kein Mädchen!“

Nein, sie war eindeutig eine Frau. Ihre Augen blitzten wie zwei Aquamarine in der Mittagssonne. Er trat ein wenig beiseite, um die Wirkung zu verbergen, die sie auf ihn hatte. Dies war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um daran zu denken, wie er sie ins Bett bekommen könnte. Er musste behutsam vorgehen, wenn er ihr Vertrauen gewinnen wollte. Aus irgendeinem Grund war ihm das sehr wichtig.

Nein, er brauchte nicht ihr Vertrauen, er brauchte ihre Kooperation. Er hatte in seiner beruflichen Laufbahn schon weitaus heiklere Situationen gemeistert. Er würde mit ihr ins Bett gehen, um sie dann endlich aus dem Kopf zu bekommen. Dann konnte er gehen und seinem Vater die Ranch auf dem Silbertablett präsentieren. Das war der Plan, und daran musste er sich halten. Es wäre nicht klug, seinen alten Herrn gegen sich aufzubringen – nicht, wenn Cyrus Barron sich etwas so in den Kopf gesetzt hatte wie die Übernahme dieser verdammten Ranch.

Chance atmete tief durch. Der staubig-süßliche Geruch des Heus vermischte sich mit dem Geruch nach Pferden und Leder. Und darüber lag ein Hauch von Cassidys Duft – Mandel und Orange mit einer Spur von Zitrone.

„Raus aus meinem Stall! Sofort!“

Chance schüttelte sich innerlich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Er musste wieder klar denken. Keine Ablenkungen! Den Blick fest auf das Ziel gerichtet! Aber als sie so dastand, die Arme in die Seiten gestemmt, die Stirn unheilvoll gerunzelt und das Kinn vorgereckt, da begriff er, dass sie ihn immer ablenken würde. Und das machte ihn nervös. Sehr nervös. Keine Frau war ihm je derart unter die Haut gegangen wie diese. Er verzog bewusst die Lippen zu einem Lächeln und beobachtete die Wirkung, die es auf sie hatte – die Pupillen weiteten sich leicht, die Nasenflügel bebten, die Brust hob und senkte sich etwas mehr. Okay, er konnte sie also auch ablenken. Beruhigend zu wissen. Damit war das Spiel etwas ausgeglichener.

Ein lautes Räuspern unterbrach ihr stummes Kräftemessen. Chance erkannte Boots sofort. Würde der alte Mann auch ihn erkennen? Von allen Barrons tauchte Chance am wenigsten in der Öffentlichkeit auf. Konnte er weiter als Mr. Chancellor durchgehen?

„Was wollen Sie?“ Boots sah ihn herausfordernd an.

Cass bemerkte, wie der Fremde zur Box blickte. Sie spürte förmlich, wie seine Gedanken rasten. Er war wirklich sexy, aber sie traute ihm gerade so weit, wie sie ihren Kühlschrank werfen konnte.

„Ich bin hier, um mir Bens Fohlen anzusehen.“

„Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Woher kannten Sie Ben?“

Sie konzentrierte sich auf Boots. Sein Ton blieb höflich, aber sein Misstrauen war förmlich greifbar.

„Ich habe ihm geholfen, das Fohlen zu finden. Mir gehört sein Halbbruder. Derselbe Vater, aber die Mutter ist eine meiner Stuten. Ich hatte überlegt, dieses Fohlen auch zu kaufen, habe dann aber Abstand genommen, um keine zu nahen Blutlinien aufzubauen.“

Cass ließ ihren Blick von einem Mann zum anderen wandern. Sie vertraute Boots und war gern bereit, ihm die Unterhaltung zu überlassen. In der Zwischenzeit konnte sie sich Mr. Chance Chancellor etwas genauer ansehen. Groß. Breitschultrig. Mit einer Vorliebe für gut sitzende Jeans und modische Hemden. Fast wie ein Model. Aber seine Stiefel waren gut eingetragen, wenngleich auf Hochglanz poliert. Und den schwarzen Stetson trug er, als wäre er damit auf die Welt gekommen.

Wenn er sich so in der Rodeo-Szene zeigte, ließ er mit Sicherheit eine Reihe gebrochener Herzen zurück. Der Hut bedeckte das Haar, aber sie erinnerte sich daran, dass es dunkel war und lang genug, um gerade über den Rand des Kragens zu fallen. Und seine Augen! Braun. Nein, bernsteinfarben. Blitzend, wenn das Licht richtig fiel. Sein Gesicht? Wie gemeißelt – eine andere Beschreibung fiel ihr dazu nicht ein. Seine Wangenknochen waren vielleicht eine Spur zu kantig, aber an sich ließ sich nur ein Fazit ziehen: atemberaubend. Ein absolut umwerfender Mann.

Eine vage Erinnerung regte sich wieder. Irgendwoher kannte sie ihn, sie wusste nur nicht, wo sie ihn unterbringen sollte. Irgendwann würde es ihr einfallen. Sie wurde abrupt aus ihren Gedanken gerissen, als das Objekt ihrer Überlegungen plötzlich ihre Hand nahm und sie drückte.

„Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen, Miss Morgan.“

„Cass“, korrigierte sie ihn automatisch. „Alle nennen mich Cass.“

Unwillkürlich sog sie seinen Duft ein. Ein Duft von Leder und Regen … Sie spürte ein leichtes Prickeln in sich aufsteigen. Die berühmten Schmetterlinge im Bauch. Oder vielleicht auch etwas tiefer. Dieser Mann war ein reines Sexpaket, das ließ sich nicht leugnen. Aber wieso war sie eigentlich so nett zu ihm?

„Bis Sie uns bewiesen haben, dass Sie wirklich ein Freund meines Vaters waren, können Sie weiter Miss Morgan zu mir sagen.“

Er lachte. Der Klang rollte durch die Scheune, bis sogar Buddy herbeikam, um zu sehen, was los war. Der Hund beschnüffelte die Stiefel des Mannes, knurrte leise – und hob ein Bein.

„Buddy, nein!“ Cass hätte vor Scham im Boden versinken mögen.

Boots erlöste sie. „Der Hund hatte schon immer ein gutes Gespür für Menschen“, bemerkte er trocken. Dabei sah er Chance durchdringend an. Einen Moment lang fragte Cass sich, ob er mehr wusste als sie. Ihr Blick flog von einem Mann zum anderen, und die Anspannung stieg spürbar um ein paar Grad.

„Ich glaube, es ist besser, Sie gehen jetzt, Mr. Chancellor.“

Er tippte leicht an die Krempe seines Stetsons. „Dann also bis ein andermal, Miss Morgan – wenn Sie nicht so im Stress sind. Nochmals: mein Beileid.“ In der Tür hielt er kurz inne. „Wir sehen uns wieder, Cassidy Morgan.“

War das eine Drohung? Oder ein Versprechen?

4. KAPITEL

Chance saß in seinem Büro und starrte aus dem Fenster, ohne etwas wahrzunehmen. Er war mit seinen Gedanken bei Cassidy. Wollte sie wiedersehen. Aber nicht, um ihr irgendwelche juristischen Dokumente zu überreichen.

Was hatte diese Frau an sich, das ihn so faszinierte? Sie drängte sich in seine Gedanken. Tanzte durch seine Träume. Und blieb ihm doch ein Rätsel. Er sollte die Finger von ihr lassen. Sein alter Herr würde einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn er erfuhr, dass er in Bezug auf Cass einen anderen Wunsch hegte als den, sie zu vernichten.

Verdammt! Er wollte ihre Stimme hören. Falls jemand aus der Familie ihn fragte, was er von ihr wolle, könnte er immer noch behaupten, er müsse weitere Erkundigungen einziehen. Bisher wusste niemand, was er wirklich dachte. Oder fühlte.

Chance scrollte durch seine Telefonliste bis zum Buchstaben M. Nicht zum ersten Mal blieb sein Finger über dem Namen Cassidy Morgan hängen. Er hätte nichts lieber getan als sie anzurufen, hielt sich aber immer in letzter Sekunde davon ab – und das nicht, weil er sich Sorgen machte, was seine Familie sagen könnte. Wichtiger war: Was würde Cassidy sagen? Wie konnte er ihr erklären, dass er die Nummer ihres Handys hatte? Einmal hatte er die Festnetznummer der Ranch angerufen, hatte aber wieder aufgelegt, noch bevor sich jemand gemeldet hatte.

Schließlich gab er auf und ließ das Handy in der Jackentasche verschwinden. Er würde einfach zu ihr fahren.

Er musste nach dem Fohlen sehen, da es ja bald im Stall der Barrons stehen würde. Das war ein guter Vorwand. Außerdem hatte er Cass gesagt, sie würden sich wiedersehen. Er musste zugeben, dass ihre Reaktion auf sein Versprechen – ein rasches Durchatmen und ein Blitzen in den Augen – ihm gefallen hatte. Ein Barron hielt seine Versprechen, oder? Genau. Zu ihr zu fahren war auch eine Frage der Familienehre.

Cassidy beugte sich vor und beobachtete, wie der Pick-up über die unebene Auffahrt zur Ranch holperte. Von Buddy abgesehen war sie allein. Der Hund war zurückgeblieben, als Boots früh am Morgen fortgefahren war, um einiges zu erledigen. Boots war überrascht gewesen, als der Hund nicht zu ihm in den Wagen sprang, hatte dann aber nur die Schultern gezuckt und war losgefahren. Cassidy hatte den Morgen damit verbracht, die Ställe auszumisten und einige Telefonate zu erledigen.

Der für sie zuständige Bankbeamte schien sich stets verleugnen zu lassen. Und sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte keine Firma finden, die bereit gewesen wäre, ihre Herde in die Stockyards nach Oklahoma City zu bringen. Die Stockyards waren der zentrale Anlaufpunkt – dorthin wurden alle Tiere geliefert, um in Auktionen verkauft und anschließend per Bahn oder Lkw in die Schlachthöfe transportiert zu werden.

Und nun hielt Mr. Chancellor vor ihrem Haus. Buddy bellte wütend, als die Tür auf der Fahrerseite aufging. Seit Cass den Mann das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie sich bemüht, sich selbst davon zu überzeugen, dass er nicht halb so sexy war, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Fast hätte sie darüber jetzt hysterisch gelacht.

„Was wollen Sie?“ Cass musste schreien, um Buddys Bellen zu übertönen.

Ihr Besucher umging die Versuche des Hundes, ihn vom Haus fernzuhalten, und lächelte gewinnend. „Kann ein Mann eine Dame nicht einfach so besuchen?“

„Ich bin keine Dame, und ich glaube nicht eine Sekunde lang, dass Sie irgendetwas einfach so tun.“

Er drückte sich mit einer dramatischen Geste eine Hand auf das Herz. „Sie tun mir weh, Gnädigste.“

Cass rollte nur die Augen.

„Lassen Sie mich hier in der Sonne stehen, oder darf ich heraufkommen und mich setzen?“

„Komm, Buddy.“ Der Hund gehorchte ihr sofort, ließ Chance aber nicht aus den Augen. Cass setzte sich auf den Platz ihres Vaters, während Buddy ungefragt auf Boots’ Sessel sprang. Manchmal schien der Australian Shepherd fast menschlich. Sie kraulte ihn und ignorierte dabei den Mann, der die Stufen zur Veranda heraufkam.

„Wieso sind Sie wirklich hier, Mr. Chancellor?“

„Die meisten nennen mich einfach Chance.“

Sein Lächeln hatte eine geradezu fatale Wirkung auf ihre Hormone. „Okay. Also noch einmal: Wieso sind Sie hier … Chance?“

„Kann ich ehrlich sein?“

„Das weiß ich nicht. Können Sie das?“

Die Frage war kritisch! Er versuchte abzulenken, indem er ihr vielsagend zuzwinkerte. „Vor Gericht muss sich niemand selbst belasten. Sie wissen ja, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“

„Und in welchem Zustand befinden wir uns?“

„Sagen Sie es mir, Cassidy.“

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

„Welche?“

„Sie sind ein Mann, also wissen wir, Sie können nicht ehrlich sein. Bleibt die andere Frage: Wieso sind Sie hier?“

„Oh, da muss ich doch im Namen aller Männer Einspruch einlegen!“ Er setzte sein charmantestes Lächeln auf: „Ich bin gekommen, um Sie zu sehen.“

„Wozu?“

„Weil ich Sie zum Essen einladen möchte.“

„Zum Essen!“

„Ich gehe davon aus, Sie haben nicht gescherzt, als Sie sagten, Ihre Kochkünste seien begrenzt. Also möchte ich Sie zum Essen einladen. In ein Restaurant.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, und er konnte nicht verhindern, dass sein Blick der Bewegung folgte.

„He! Wo haben Sie denn Ihre Augen?!“

Er lachte leise. „Tut mir leid. Ein Mann ist machtlos, wenn der Anblick derart verführerisch ist.“

Sie schnaubte verächtlich.

„Es ändert nichts daran, dass ich Sie gern einladen würde.“

„Wie … zu einem Date? Einem richtigen Date?“

„Gibt es auch falsche Dates?“ Wieder verdrehte sie die Augen, und er wusste nicht, ob er Fortschritte machte bei ihr oder nicht. „Natürlich ein richtiges Date. Mit allem Drum und Dran. Ein nettes Restaurant und hinterher vielleicht ins Kino. Oder wir könnten nach Bricktown fahren und in irgendeinen Club gehen …“ Besser nicht. Dort würde man ihn erkennen. Überhaupt würde man ihn fast überall erkennen. Er brauchte sofort einen Plan B. „Oder wir könnten zu mir gehen, eine Pizza bestellen und uns ein Spiel der Cubs ansehen.“

„Die Cubs? Machen Sie Witze?“

„Okay – dann die White Sox?“

„Wieso glauben Sie, ich könnte ein Fan von denen sein?“

„Vielleicht, weil Sie in Chicago leben?“

„Ja, aber dennoch bin ich lebenslanger Fan der Cardinals.“

„Wirklich? Sie mögen Baseball?“

„Nur, wenn die Cardinals spielen.“

„Heißt das, Pizza bei mir und ein Cards-Spiel?“ Die Idee gefiel ihm. Unter den Umständen sollte es kein Problem sein, sie ins Bett zu bekommen – und genau das hatte er fest vor.

Sie schüttelte den Kopf. „Für wie billig halten Sie mich?“ Sie musterte ihn abschätzend. „Wieso sollte ich überhaupt mit Ihnen ausgehen?“

„Ich fand Sie gleich attraktiv, als wir uns in Chicago begegnet sind. Daran hat sich nichts geändert.“ Am liebsten hätte er sie geküsst, aber er fasste sich in Geduld. Die Zeit würde kommen – früher oder später.

Sie überlegte. „Essen in einem netten Restaurant und anschließend eine Bar, in der wir die Cards sehen können.“ Herausfordernd sah sie ihn an.

Er musste lachen. Für einen kurzen Moment erwog er, den Firmenjet zu mobilisieren und mit ihr nach St. Louis zum Spiel zu fliegen. Als Miteigentümer der Arena hatte Barron Entertainment dort eine Loge, aber er kam nur selten dazu, sie zu nutzen. Wenn er es jetzt täte, flog er auf. Also nickte er zustimmend. „Einverstanden. Soll ich Sie um fünf abholen? Das Spiel fängt um halb acht an.“ Er erhob sich.

„Sie gehen?“ Cass schien irritiert.

„Es ist ja alles besprochen.“ Ihr Ausdruck änderte sich. Er hätte die Trauer in ihrem Blick übersehen, hätte er sie nicht genau beobachtet.

„Dann will ich Sie nicht aufhalten.“ Sie stand nicht auf, um sich zu verabschieden.

„Können Sie Kaffee kochen?“, fragte er plötzlich.

Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

„Sie haben gesagt, dass Kochen nicht Ihr Ding ist. Heißt das, dass Sie Stammgast bei Starbucks sind, oder können Sie auch selbst einen guten Kaffee machen?“

„Natürlich kann ich das.“

„Dann beweisen Sie es mir!“

„Ha! Ich habe gerade eine Kanne gemacht, bevor Sie gekommen sind.“ Bevor er etwas sagen konnte, war sie im Haus verschwunden.

Minuten später kehrte sie mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Becher, Zucker, Milch und eine Thermoskanne standen. „Ich nehme an, Sie trinken Ihren Kaffee schwarz, aber ich brauche immer Milch und Zucker.“

Er probierte von dem Kaffee. „Der ist gut“, lobte er. „Aber woher weiß ich, dass Sie ihn wirklich selbst gemacht haben?“ Er liebte es, sie auf die Palme zu bringen, und sie tat ihm den Gefallen prompt.

„Sie werden einfach mein Wort dafür nehmen müssen“, beschied sie ihm eisig.

Die meisten Frauen ließen sich von seinem Familiennamen beeindrucken. Cass kannte ihn glücklicherweise nicht. Sie würde ihn hassen, wenn sie herausfand, dass sein Vater ihr die Ranch nehmen wollte. Aber das konnte warten – zuerst ein Mal wollte er sie in seinem Bett haben, um sie endlich aus dem Kopf zu bekommen.

Während ihr Gespräch dahinplätscherte, zogen im Westen Wolken auf. Die steigende Temperatur spielte mit den weißen Kumuluswolken, bis sich eine richtige Gewitterfront gebildet hatte. Es war schwül geworden.

„Komisch, der Wetterbericht hat nichts von einem Gewitter gemeldet“, bemerkte Cass und betrachtete kritisch den Himmel. „Ich bin gleich zurück. Sie können mit ins Haus kommen, wenn Sie möchten.“

Er wusste nicht, was er eigentlich erwartet hatte, aber sicher nicht das. Die Möbel mochten neu gewesen sein, als Cass noch ein Kind gewesen war. Nun wirkten sie etwas schäbig. Ein alter Röhrenfernseher, ein Bücherregal. Ein Gestell, auf dem offenbar gerade ein Sattel repariert wurde. Ein altes Ledersofa und zwei Sessel im Halbkreis um einen Tisch.

Cass stellte den Fernseher an. Sie fand einen Wetterbericht. Und richtig: Der Moderator gab eine Gewitterwarnung für diese Gegend.

„Sieht nicht gut aus.“

Sie nickte. „Das kommt genau in unsere Richtung. Ich hole die Pferde herein.“

„Ich helfe Ihnen.“

„Nein, nein, nicht nötig. Buddy und ich kommen klar.“

„Cass, ich kenne mich aus mit Pferden. Ich kann Ihnen helfen.“

Sie zuckte nur die Schultern und eilte hinaus. Dabei schlug sie die Fliegentür hinter sich zu. Verblüfft sah Chance den Hund an. „Womit haben wir das denn verdient, Junge?“ Buddy gab ein kurzes Bellen von sich, was als Äquivalent eines hilflosen Schulterzuckens durchgehen mochte.

„Was ist? Kommt ihr zwei?“, rief Cass ungeduldig. Wie um die Dringlichkeit zu unterstreichen, donnerte es.

„Nun aber los, Junge!“ Chance öffnete die Tür, und der Hund sauste zu Cass. Blitze zuckten über den Himmel. Donnerschläge folgten. Die Pferde liefen unruhig auf der Weide auf der anderen Seite des Stalls.

„Mach das Scheunentor auf!“, rief Cass, aber der Wind riss ihre Worte fort. Sie deutete auf das Tor und Chance nickte. Sie kletterte über den Zaun, während Buddy sich unter der untersten Zaunlatte hindurchzwängte.

Chance lief zur Scheune und schob das Tor auf gut geölten Rollen beiseite. Die Türen der Pferdeboxen standen offen, der Boden war mit frischem Stroh bedeckt. Er beobachtete, wie Cass und der Hund die Pferde zusammentrieben. Sie wirkten wie ein gut eingespieltes Team.

Autor

Kimberly Kaye Terry

Kimberly Kaye Terry’s Liebe für’s Lesen von Liebesromanen begann früh. Bis tief in die Nacht war sie, beschienen vom Licht ihrer Micky-Mouse-Lampe, in ein Buch vertieft. Sie hoffte, nicht von ihrer Mutter erwischt zu werden, da diese nichts von „diesen“ Büchern hielt. Kimberly hat einen Bachelor in Sozialarbeit und einen...

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