Das Feuer einer Wüstennacht

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Niemand betritt sein Reich! Nur so glaubt Scheich Tariq, sein Land beschützen zu können. Doch die junge Archäologin Charlotte, die er in letzter Sekunde aus der Wüste rettet, bringt seine Vorsätze ins Wanken. Die betörende Schöne übt eine ungeahnte Anziehung auf ihn aus. Er kann sie nicht gehen lassen - und dabei denkt er nicht nur an die Sicherheit seines Landes! Eine Ehe scheint die einzige Lösung zu sein, um die temperamentvolle Engländerin im Auge zu behalten. Doch nicht das Wüstenreich Ashkaraz ist in Gefahr - sondern Tariqs Herz!


  • Erscheinungstag 14.07.2020
  • Bandnummer 2449
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714260
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Charlotte Devereaux dachte nicht oft über ihren Tod nach. Wenn sie es tat, hoffte sie, im hohen Alter eines Morgens einfach nicht mehr aufzuwachen. Oder vielleicht in einem bequemen Sessel den letzten Atemzug zu nehmen, ein Buch auf dem Schoß.

Dass sie durch Hitzschlag und Austrocknung sterben könnte, nachdem sie sich auf der Suche nach ihrem Vater in der Wüste verirrt hatte, war ihr nie in den Sinn gekommen.

Ihr Vater hatte ihr gesagt, er wolle auf die Düne steigen, um sich einen besseren Überblick über die Ausgrabungsstätte zu verschaffen – keine große Sache. Aber dann hatte jemand gefragt, wo Professor Devereaux eigentlich steckte, und Charlotte war ihn suchen gegangen.

Auf dem Gipfel der Düne, auf der er anfänglich gestanden hatte, war er nicht. Das bereitete Charlotte noch keine Sorgen. Ihr Vater zog häufiger allein los, um in Ruhe nachzudenken, und er war ein sehr erfahrener Archäologe, der schon an vielen Ausgrabungen teilgenommen hatte. Der Gedanke, er könnte sich verlaufen haben, war eher abwegig.

Als Assistentin ihres Vaters war auch Charlotte nicht ganz unerfahren, wenn es um Ausgrabungen in der Wildnis ging. Aber als sie umgedreht war, um zur Ausgrabungsstelle zurückzukehren, war diese auf einmal verschwunden. Zusammen mit Charlottes Orientierungssinn.

Zunächst war sie nicht weiter beunruhigt. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass die Wüste einem manchmal Streiche spielte. Sie war ihrer eigenen Fußspur gefolgt und hatte erwartet, die Ausgrabungsstätte rasch wiederzufinden.

Nur war das nicht geschehen. Und nach etwa zehn Minuten war ihr klar geworden, dass sie einem Irrtum erlegen war. Einem sehr folgenschweren Irrtum.

Charlotte verfiel nicht in Panik. Panik half nicht, das tat sie nie. Wenn man sich verirrt hatte, war es das Beste, ruhig Blut zu bewahren und zu bleiben, wo man war.

Und das tat sie. Allerdings drosch die Sonne auf sie ein wie ein Hammer auf den Amboss. Charlotte musste etwas tun, nicht nur herumstehen, sonst würde sie sterben. Also ging sie los, in die Richtung, in der sie die Ausgrabungsstätte vermutete, aber sie musste sich schließlich der Erkenntnis stellen, dass sie sich tatsächlich verirrt hatte.

In der Wüste war das fatal.

Charlotte hielt inne und rückte das schwarz-weiße Tuch zurecht, das sie sich um den Kopf gewickelt hatte. Es war zu schwer und zu heiß, und wegen des vielen Sands schabte es auf ihrer Haut. Normalerweise war es feucht, weil sie ständig schwitzte, aber nun tat sie das nicht mehr, und auch das war fatal. Wenn man nicht mehr schwitzte, war das ein Anzeichen für einen Hitzschlag, oder?

Sie blinzelte und versuchte zu erkennen, wohin sie ging. Die Sonne drang mit aller Härte auf sie ein. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Wahrscheinlich ein weiteres Anzeichen für einen Hitzschlag, zusammen mit dem Schwindelgefühl.

Die goldenen Sandhügel nahmen kein Ende. Vor dem gnadenlosen Blau des Himmels gab es kein Entkommen. Der Boden unter ihren Füßen begann zu schwanken wie das Deck eines Schiffs, und in ihren Ohren rauschte es.

Die schwarzen Punkte wurden immer größer. Aber erst allmählich begriff Charlotte, dass es kein Sehfehler war. Vor ihr bewegten sich Menschen, eine ganze Gruppe, in Schwarz gekleidet und … zu Pferd?

Charlotte machte hoffnungsvoll einen Schritt auf sie zu. Waren es Helfer von der Ausgrabungsstätte, auf der Suche nach ihr? Nahte Rettung?

„Hallo!“, rief sie. Oder versuchte es zumindest. Es war kaum mehr als ein Flüstern.

Aber die Reiter schienen sie zu hören. Es ging ihr wohl wirklich nicht gut, denn erst in diesem Moment fiel ihr ein, dass die einheimischen Helfer keine Pferde dabei hatten und keine schwarzen Umhänge trugen. Und sie hatten auch keine … waren das Schwerter?

Trotz der Hitze durchlief Charlotte ein Frösteln.

Ihr Vater hatte alle mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ausgrabungsstelle ganz in der Nähe von Ashkaraz lag und sie vorsichtig sein mussten, sich nicht zu weit vom Lager zu entfernen. Ashkaraz hielt seit beinahe zwei Jahrzehnten seine Grenzen geschlossen, und das aktuelle Regime mochte keine Eindringlinge. Man hörte Geschichten von schwarz gekleideten, mit Schwertern bewaffneten Militäreinheiten und von Leuten, die versehentlich die Grenze überquert hatten und nie mehr gesehen wurden.

Gerüchte über Ashkaraz gab es reichlich. Es wurde von einem Tyrannen regiert, der mit harter Hand herrschte und keine Fremden ins Land ließ. Selbst Hilfsorganisationen blieb der Zugang verwehrt, genau wie Diplomaten und Journalisten. Einen einzigen Reporter hatte es gegeben, der vor ein paar Jahren dort gewesen sein wollte und einen Artikel veröffentlicht hatte, voller schrecklicher Behauptungen über ein geknechtetes Volk und dessen Diktator. Aber das war auch schon alles.

Letztlich wusste niemand, was in Ashkaraz vor sich ging, weil niemand – außer diesem Reporter – je dort gewesen und zurückgekommen war.

Charlotte hatte sich nie besonders für die Geschichten interessiert. Nun wünschte sie sich allerdings, sie hätte es getan.

Sie blinzelte wieder. Lieber Gott, war das … war das ein Mensch, der da wie ein Sack auf einem der Pferde hing? Ja. Eine Person mit auffällig hellem Haar …

Ihr Herz wollte einen Moment aufhören zu schlagen. Sie erkannte dieses Haar, weil ihr eigenes dieselbe Farbe hatte. Die Person, die dort auf dem Pferderücken hing, war ihr Vater.

Angst ergriff sie, so kalt, wie die Sonne heiß war.

Nun schwang sich eine große Gestalt in der Mitte der Gruppe vom Pferd. Ein Mann vermutlich, denn Frauen waren selten so kräftig gebaut. Die Sonne ließ die nackte Schwertklinge grell aufblitzen, die er durch den Gürtel um seine Hüften gesteckt hatte.

Er kam mit den fließenden, anmutigen Bewegungen eines Jägers auf sie zu. Sein Gesicht konnte Charlotte nicht erkennen, da er von Kopf bis Fuß verhüllt war, aber als er näherkam, sah sie seine Augen.

Braun. Ein goldenes, glitzerndes Braun wie die Augen eines Tigers.

In diesem Moment wusste sie, dass ihre Befürchtungen richtig gewesen waren. Eine Gruppe Männer, in Schwarz gekleidet mit Schwertern an der Seite, konnte nur eins bedeuten: eine Grenzpatrouille aus Ashkaraz. Sie waren nicht hier, um sie zu retten, sondern um sie gefangen zu nehmen.

Der Mann kam näher. Er ragte über ihr auf und schützte sie allein durch seine beeindruckende Größe vor den brennenden Sonnenstrahlen.

Aber die Sonne, so kam es Charlotte vor, brannte weniger hell als das Feuer in seinen goldenen Augen. Dabei wirkten diese ebenso unbarmherzig und gnadenlos.

Ich bin ein Dummkopf. Warum habe ich niemandem Bescheid gesagt, dass ich Papa suchen gehe?

Aber Charlotte hatte nicht gedacht, dass es mehr als ein paar Minuten dauern würde, ihren Vater zu finden. Und sie hatte ihrer Umgebung nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.

Was geschah mit den Leuten, die die Grenze nach Ashkaraz überquerten? Niemand wusste es. Keiner kam je von dort zurück. Ihr Vater und sie würden gefangen genommen werden und genauso spurlos verschwinden.

Eine Flucht war undenkbar. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie laufen sollte. Und sie würde ihren Vater nicht verlassen. Seit ihre Mutter vor beinahe fünfzehn Jahren in die USA ausgewandert war, hatte er niemanden außer ihr – und obwohl er niemals eine Auszeichnung als Vater des Jahres gewinnen würde, hatten sein Beruf und all die Exkursionen, auf die er sie mitgenommen hatte, eine Liebe zur Geschichte und zu alten Völkern und Zivilisationen in ihr wachgerufen, die ihren Geist beflügelte.

Charlotte verdankte ihm viel. Also würde sie bei ihm bleiben, wie sie es immer getan hatte.

Was bedeutete, dass sie sich der Gnade dieses Mannes ausliefern musste.

Sie kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, kämpfte gegen ihre Angst und die Auswirkungen des Hitzschlags. Sie war wirklich ein Dummkopf, dass sie sich einfach so vom Camp entfernt hatte, aber sie würde ihren Fehler nicht noch schlimmer machen, indem sie vor den Füßen dieses Mannes zusammenbrach.

Die beste Strategie war es, höflich und vernünftig zu sein, sich zu entschuldigen und dem Mann vor ihr zu versichern, dass sie nur durch ein Versehen sein Land betreten hatte. Ihn zu bitten, davon abzusehen, sie zu töten oder ins Gefängnis zu werfen – und ihr all die anderen Dinge anzutun, mit denen Charlottes Vorstellungskraft gerade aufwartete.

Ein heißer Wind ließ den Saum seines schwarzen Gewands flattern, sodass man seine muskulösen Beine sah. Er blieb vor ihr stehen, so still, als sei er ein Berg, der dort schon Tausende von Jahren stand, unverrückbar und unveränderlich wie die Wüste selbst.

Etwas an seinem gnadenlosen goldenen Blick brachte sie dazu, sich gerade aufzurichten und den Kopf zu heben.

Ihr Mund war staubtrocken. Es fiel ihr schwer, die Worte deutlich zu formulieren. „Entschuldigung, sprechen Sie Englisch? Können Sie mir helfen?“

Einen Moment lang war der Mann still, dann sagte er etwas, die Stimme so tief, dass Charlotte die Vibration in ihrer Brust spürte. Aber sie sprach kaum Arabisch, und die flüssigen Laute, die er von sich gab, klangen anders als die wenigen Brocken, die sie kannte.

Seine goldenen Augen erfüllten ihr ganzes Sichtfeld. Das unbarmherzige Glitzern ließ jede Hoffnung auf Rettung oder Gnade ersterben.

Sie würde hier keins von beidem finden, das war offensichtlich.

„Es tut mir schrecklich leid“, flüsterte Charlotte, als die Dunkelheit sie einhüllte. „Aber der Mann dort auf dem Pferd ist mein Vater. Wir haben uns beide verirrt. Denken Sie, Sie könnten uns vielleicht helfen?“

Und dann verlor sie das Bewusstsein.

Tariq ibn Ishak Al Naziri, Scheich von Ashkaraz, starrte ausdruckslos auf die zierliche Engländerin, die gerade vor ihm zusammengebrochen war.

Ihr Vater, hatte sie gesagt. Nun, das beantwortete die Frage, wer der Mann war, zumindest zum Teil.

Tariq und seine Patrouille hatten ihn bewusstlos auf einer Düne liegend gefunden. Dann hatten sie die Frau entdeckt und waren ihr gute zwanzig Minuten lang gefolgt. Ihr Weg verlief im Zickzack, über die Grenze und geradewegs hinein nach Ashkaraz. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung, wohin sie ging. Aber ihre Worte deuteten darauf hin, dass sie den Mann gesucht hatte, der gerade wie ein Getreidesack auf Jaziris Pferd hing.

Tariq hatte gehofft, sie würde umdrehen, sodass das Ganze nicht länger sein Problem wäre, aber stattdessen hatte sie die Reiter entdeckt und war stehen geblieben, hatte auf sie gewartet, als seien sie ihre Retter in der Not.

Er berührte sie zunächst nicht. Man konnte Fremden gegenüber nicht vorsichtig genug sein, wie der Zwischenfall mit dem Bewaffneten letzte Woche bewiesen hatte, der etwas davon gemurmelt hatte, die Menschen in Ashkaraz zum Widerstand gegen die Tyrannei aufrufen zu wollen. Einer seiner Männer war dabei schwer verletzt worden, und Tariq wollte nicht, dass sich ein solcher Zwischenfall wiederholte.

Deswegen gefiel es Faisal – einem der alten Ratgeber seines Vaters – auch nicht, dass Tariq sich der Frau selbst näherte, statt es einer seiner Wachen zu überlassen. Aber sein Volk zu beschützen, war seine Aufgabe, und er wollte nicht, dass es erneut zu einer Verletzung kam, weil ein Soldat im Umgang mit einem Fremden etwas zu sorglos agierte.

Tariq hatte Erfahrung im Umgang mit Fremden.

Besonders, wenn es um Frauen ging. Die waren manchmal am gefährlichsten.

Gefährlich sah diese spezielle Frau allerdings nicht gerade aus. Sie trug eine schmutzige blaue Hose und ein langärmliges Hemd. Um den Kopf hatte sie sich ein schwarz-weißes Tuch gewickelt, das jedoch nur unzureichend gegen die Sonne schützte.

Sie sah aus, als wäre sie bewusstlos, aber da Tariq ein gesundes Misstrauen besaß, stieß er sie vorsichtshalber mit dem Fuß an. Ihr Kopf rollte zur Seite, das Kopftuch löste sich und enthüllte eine Haarsträhne, silberhell wie Mondlicht.

Ja, sie war definitiv bewusstlos.

Stirnrunzelnd blickte er auf sie herab. Ihre Gesichtszüge waren zart, regelmäßig und durchaus hübsch. Aber im Moment war ihre helle Haut gerötet und sonnenverbrannt.

Engländerin, kein Zweifel. Er hatte ihren Akzent erkannt. Also war der Mann – ihr Vater – vermutlich ebenfalls Engländer.

Tariq musterte sie noch einmal. Weder sie noch ihr Vater hatten Gepäck dabei, was hieß, dass ihr Camp nicht weit entfernt sein konnte. Waren sie Teil einer Reisegruppe? Allerdings verirrten sich Touristen sonst nie so weit in die Wüste.

„Zwei Fremde in so kurzem Abstand“, sagte Faisal. „Das kann kein Zufall sein.“

„Ist es auch nicht. Sie hat den Mann auf Jaziris Pferd erkannt. Angeblich ist er ihr Vater.“

„Ah, dann können wir annehmen, dass sie keine Bedrohung ist?“

„Wir können gar nichts ‚annehmen‘.“ Immerhin sah sie nicht aus, als hätte sie Waffen dabei. „Alle Fremden sind eine Bedrohung.“

Und das stimmte. Deshalb hatte sein Vater die Grenzen geschlossen, und deshalb wich auch Tariq nicht von diesem Kurs ab. Fremde waren gierig, sie wollten, was sie nicht haben konnten, und schreckten vor nichts zurück, um es zu bekommen.

Er hatte die Auswirkungen gesehen. In seinem Land würde das nicht passieren. Nicht noch einmal.

Allerdings gab es immer einige wenige, die dachten, es wäre ein Abenteuer, Ashkaraz’ berüchtigte Grenze zu überqueren, einen Blick auf das Königreich zu erhaschen.

Unweigerlich wurden diese Leute erwischt, bevor sie Schaden anrichten konnten. Sie wurden gefangen genommen, und man lehrte sie Gottesfurcht, bevor man sie wieder hinauswarf, sodass sie wilde Geschichten über die vermeintliche Brutalität der Wachen erzählten, obwohl seine Leute in Wirklichkeit nie jemanden anrührten. Aber Angst durften und sollten sie den Fremden machen. Angst war ein wirksames Abschreckungsmittel.

„Wenn sie eine Bedrohung ist, dann keine sehr ernste“, bemerkte Faisal, während er auf die Frau herabsah. „Vielleicht sind sie und ihr Vater Touristen? Oder Reporter?“

„Es spielt keine Rolle, wer sie sind“, sagte Tariq. „Wir werden sie behandeln wie alle anderen Eindringlinge auch.“

Was einen Gefängnisaufenthalt bedeutete, Drohungen und einen Transport bei Nacht und Nebel zurück zur Grenze, von wo aus sie sich in eins der Nachbarländer flüchten konnten, verängstigt und mit der eindringlichen Warnung im Ohr, ja nie wieder zurückzukehren.

„Das könnte in diesem Fall schwierig sein.“ Faisals Tonfall war ausdruckslos, ein Anzeichen, dass er Tariqs Verhalten in irgendeiner Form missbilligte. „Sie ist nicht nur eine Ausländerin, sondern auch eine Frau. Wir können es uns nicht leisten, sie zu behandeln wie alle anderen.“

Ärger regte sich in Tariq. Aber leider hatte Faisal recht. Bisher war es ihnen gelungen, diplomatische Zwischenfälle zu vermeiden, aber es gab immer ein erstes Mal – und die Nationalität und das Geschlecht dieses speziellen Eindringlings konnten für Ashkaraz durchaus Schwierigkeiten bedeuten.

England würde nicht begeistert reagieren, wenn die Regierung von Ashkaraz einen ihrer Staatsbürger hart anfasste – besonders, wenn es sich dabei um eine junge, hilflose Frau handelte. Der Zwischenfall würde Aufmerksamkeit erregen, und das war das Letzte, was Tariq wollte.

Dann war da noch seine eigene Regierung. Bestimmte Mitglieder würden den Vorfall für ihre Argumentation gegen geschlossene Grenzen nutzen: Diese seien kein geeignetes Mittel, um auf Dauer unbehelligt zu bleiben, die Welt entwickle sich weiter, und wenn sie sich abschotteten, würden sie den Anschluss verpassen.

Tariq war der Rest der Welt egal. Ihm ging es nur um sein Land, seine Bürger. Und da es sowohl dem einen als auch den anderen gut ging, sah er keinen Anlass, seine Politik zu ändern.

Sein Schwur als Scheich lautete, sein Land und dessen Bewohner zu beschützen, und genau das würde er tun.

Ganz besonders, weil er darin schon einmal versagt hatte.

Dieser Gedanke war so tückisch wie eine Giftschlange, und er schob ihn ärgerlich beiseite. Ihm würde der gleiche Fehler nicht erneut unterlaufen.

Tariq ging neben der Fremden in die Hocke. Die losen Kleider, die sie trug, machten es schwer zu beurteilen, ob sie Waffen mit sich führte oder nicht, und da er sichergehen musste, tastete er sie kurz und schroff ab.

„Sir.“ Faisals Stimme war deutlich hörbar. „Sind Sie sicher, dass das klug ist?“

Tariq musste nicht erst fragen, was er meinte. Faisal wusste als Einziger von Catherine.

Aus seiner Irritation wurde Ärger. Er hatte Catherine schon vor langer Zeit aus seiner Seele herausgeschnitten wie ein Krebsgeschwür, und jeden Funken der Gefühle, die sie in ihm wachgerufen hatte, ebenfalls. Alles Weiche. Alles Gnädige.

Faisal musste sich keine Sorgen machen – was mit Catherine geschehen war, würde sich nicht wiederholen.

Doch vielleicht brauchte Faisal eine Bestätigung.

„Zweifeln Sie an meinem Urteil, Faisal?“, fragte Tariq täuschend mild, ohne aufzublicken.

Ein Moment des Schweigens. „Nein, Sir.“

Tariq schaute finster auf die Frau herab.

„Ich kann ein paar Reiter losschicken, um herauszufinden, wo sie und der Mann hergekommen sind“, schlug Faisal vor. „Vielleicht können wir sie zurückbringen, ohne dass jemand etwas merkt.“

Das wäre das Einfachste.

Aber Tariq konnte es sich nicht leisten, den einfachsten Weg zu wählen. Er hatte das Gesetz erlassen, die Grenzen zu schützen, und musste auch dafür einstehen, dass es eingehalten wurde.

Ein König konnte es sich nicht erlauben, schwach zu sein. Hatte er das nicht längst gelernt?

„Nein“, sagte er ausdruckslos. „Wir werden sie nicht zurückbringen.“

Er beugte sich vor, hob die Frau hoch und stand auf. Sie war so leicht, dass er das Gefühl hatte, Mondlicht im Arm zu halten. Ihr Kopf fiel gegen seine Schulter, ruhte auf der groben schwarzen Baumwolle seines Wüstengewands.

Zierlich. So wie Catherine.

Etwas, von dem er gedacht hätte, es wäre lange tot und begraben, regte sich in ihm, und er schaute unwillkürlich noch einmal auf die Frau herab. Nein, sie sah nicht so aus wie Catherine. Ohnehin, das war Jahre her.

Er fühlte nichts mehr für Catherine.

Er fühlte nichts mehr, für gar niemanden.

Nur für sein Königreich. Sein Volk.

Tariq hob den Kopf und begegnete Faisals prüfendem Blick. „Schicken Sie meinetwegen ein paar Leute los, und sehen Sie zu, was sie herausfinden können. Und kontaktieren Sie das Camp; wir brauchen einen Hubschrauber, um die beiden nach Kharan zu bringen.“

Statt auf Antwort zu warten, wandte er sich um und ging zu seinem Pferd und den Soldaten, die auf ihn warteten.

„Vielleicht kann sich einer der Männer um sie kümmern?“, schlug Faisal vor, der ihm folgte. „Ich kann …“

Ich kümmere mich um sie“, wiederholte Tariq harsch, ohne sich umzudrehen. „Sollte die britische Regierung sich einmischen, dürfen keine Zweifel an ihrer Behandlung laut werden. Das bedeutet, ich trage die Verantwortung.“

Auch andere erinnerten sich noch an die Zeiten, als es in Ashkaraz Kämpfe und Auseinandersetzungen gegeben hatte – eine Folge von Catherines Verrat. Sie würden einer Fremden gegenüber misstrauisch sein.

Nicht, dass Tariq vorhatte, sie davonkommen zu lassen. In Kharan, der Hauptstadt, würde sie eine Kostprobe von Ashkaraz’ „Gastfreundschaft“ erhalten. Dort gab es ein Gefängnis, das allein dazu diente, Eindringlinge zu beherbergen, und es würde ihr dort sicher nicht gefallen.

Immerhin war das der Zweck der Sache. Die Fremden so zu erschrecken, dass sie niemals zurückkehrten.

Seine Leute schauten still zu, als Tariq die Frau zu seinem Pferd trug und sie daraufsetzte. Sie sank in sich zusammen. Er stieg hinter ihr auf und zog sie mit einem Arm um ihre Schultern fest an sich, während er mit der freien Hand die Zügel aufnahm.

„Reiten Sie weiter Patrouille“, wies er Faisal an. „Ich möchte wissen, woher diese Frau gekommen ist – und zwar schnell.“

Faisal nickte und ließ seinen Blick skeptisch über die bewusstlose Frau wandern.

Faisals Zweifel würden bald vergessen sein. Tariq war nicht mehr der Jüngling, der er damals gewesen war. Er war härter. Kälter. Der Erbe seines Vaters, auch wenn er wusste, dass Faisal seine Einwände gehabt hatte, als Tariq den Thron bestiegen hatte. Nicht, dass es eine Alternative gab: Sein Vater hatte nur einen Sohn.

Trotzdem – Tariq hatte gedacht, Faisals Misstrauen gehörte der Vergangenheit an.

Es ist diese Frau. Sie ist das Problem.

Ja, das war sie. Aber glücklicherweise nicht mehr lange.

„Haben Sie Einwände?“ Tariq starrte den alten Mann durchdringend an.

Faisal schüttelte lediglich den Kopf. „Nein, Sir.“

Er log. Faisal hatte immer Einwände. Nur gut, dass er es besser wusste, als sie laut auszusprechen, wo ihn andere hören konnten.

„Als ältester Freund meines Vaters haben Sie einen gewissen Spielraum“, warnte ihn Tariq. Es würde Faisal guttun, sich daran zu erinnern. „Achten Sie darauf, ihn nicht überzustrapazieren.“

Faisals Gesichtsausdruck verriet ihm nichts. „Ja, Sir.“

Tariq entließ ihn mit einer Geste und nickte Jaziri und den anderen Männern zu, ein unausgesprochener Befehl. Dann wendete er sein Pferd und ritt zurück in Richtung des Camps.

2. KAPITEL

Charlotte träumte davon, in kühlem Wasser zu schwimmen. Wie Seide floss es über ihre Haut und brachte sie dazu, sich genüsslich strecken zu wollen wie eine Katze in der Sonne …

Auf einmal erklang ein lautes Geräusch. Als sie die Augen öffnete, zerstob der Traum jäh.

Sie schwamm nicht in kühlem Wasser.

Stattdessen lag sie auf einem schmalen, harten Bett in einem winzigen Raum, leer bis auf einen Eimer in der Ecke. Eine nackte Glühbirne hing von der Decke. Der Boden bestand aus Beton, die Wände waren aus Stein.

Es sah aus wie … wie eine Gefängniszelle.

Ihr Herz schlug schneller. Was war geschehen? Warum war sie hier?

Ihr Vater war verschwunden, und sie war ihn suchen gegangen, nur um sich in der Wüste zu verirren. Dann waren diese Reiter aufgetaucht. Vor allem dieser eine, der kräftige Mann mit den goldenen Augen. Groß und breitschultrig, mit einem Schwert an der Hüfte.

Ihr lief ein Schauer über den Rücken.

Er musste sie gerettet haben, nachdem sie ohnmächtig geworden war – obwohl sich das hier nicht gerade wie eine Rettung anfühlte.

Charlotte atmete tief aus, versuchte, ruhig zu bleiben, und setzte sich auf.

Dies musste eine Gefängniszelle in Ashkaraz sein. Und dieser Mann war einer der berüchtigten Grenzsoldaten. Du lieber Himmel – war ihr Vater auch hier eingesperrt? Gehörten sie beide zu den unglücklichen Menschen, die sich nach Ashkaraz verirrt hatten und die man niemals wiedersah?

Charlotte befeuchtete ihre Lippen. Sie durfte nicht in Panik verfallen. Es waren schon Leute aus Ashkaraz wieder herausgekommen, sonst wüsste niemand, dass in dem Land Tyrannei herrschte, dass die Leute in Armut und Unfreiheit lebten.

Aber wie sollte es ihr gelingen freizukommen?

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und stand auf. Schlagartig war ihr schwindelig und ein wenig übel, aber nach einem Moment legte sich das Gefühl wieder. Ihr Gesicht brannte, doch da es keinen Spiegel gab, konnte sie nicht sehen, woran es lag. Am Sonnenbrand wahrscheinlich.

Als Erstes ging sie hinüber zur Tür und versuchte, sie zu öffnen. Kein Erfolg. Dann schaute sie sich genauer in der Zelle um. Hoch oben, fast unter der Decke, befand sich ein kleines Fenster, durch das helles Sonnenlicht fiel.

Einen Moment stand Charlotte still da und dachte nach. Dann schob sie das Bett unter das Fenster und kletterte hinauf. Ihre Finger erreichten gerade so eben den Fenstersims, aber er bot ihr nicht genug Halt, um sich hochzuziehen. Sie schaute sich ratlos um, bis ihr Blick auf den Eimer in der Ecke fiel.

Das würde vielleicht gehen.

Charlotte sprang vom Bett und schnappte sich den Eimer. Sie drehte ihn um und stellte ihn auf die Matratze, dann stieg sie darauf. Jetzt war es ihr möglich, sich hochzuziehen und aus dem Fenster zu schauen. Das Glas war staubig und gesprungen, aber sie konnte hindurchsehen. Allerdings nur bis zur Rückwand des nächsten Gebäudes. Stirnrunzelnd versuchte sie, aus verschiedenen Winkeln irgendetwas zu erkennen – ohne Erfolg.

Vielleicht konnte sie die Scheibe zertrümmern?

Möglicherweise. Und dann, eventuell …

Sie betrachtete das Fenster genauer. Ihre geringe Körpergröße hatte sich schon oft als nützlich erwiesen, zum Beispiel, wenn sie sich damals vor ihren Eltern versteckt hatte, und vielleicht war sie nun ebenfalls von Vorteil.

Natürlich konnte sie auch hierbleiben und sehen, was passierte.

Dabei durfte sie allerdings ihren Vater nicht vergessen. Vielleicht saß er in einer anderen Gefängniszelle. Vielleicht war er tot. Wenn Charlotte blieb, würde sie es womöglich nie erfahren.

Dann wäre ich wirklich ganz allein.

Sie fröstelte.

Nein, sie konnte nicht hier herumsitzen und untätig bleiben. Sie musste etwas unternehmen.

Entschlossen zog sie ihr weißes Hemd aus – ihr Kopftuch schien irgendwo verloren gegangen zu sein – und wickelte es sich um die Hand. Dann schlug sie mit der Faust gegen das Glas. Nach ein paar Schlägen gegen den Riss, der sich bereits hindurchzog, brach die Scheibe.

Zufrieden machte Charlotte sich daran, die restlichen scharfen Splitter zu entfernen, damit sie sich nicht schnitt. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, schlängelte sie sich dann durch das Fenster.

Einem großen Mann wäre das nicht gelungen. Selbst ein durchschnittlich gebauter Mann hätte Schwierigkeiten bekommen.

Autor

Jackie Ashenden
<p>Jackie Ashenden schreibt düstere, gefühlsgeladene Stories über Alphamänner, denen die Welt zu Füßen liegt, bevor sie von ihren umwerfenden Gegenspielerinnen in Stücke gerissen wird. Sie lebt mit ihrem Ehemann, dem unvergleichlichen Dr Jax, zwei Kindern und zwei Ratten in Auckland, New Zealand. Wenn sie nicht gerade Alphamänner und ihre kühnen...
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