Das Geheimnis des Highlanders

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Der Preis für die Freiheit ihres Bruders ist hoch: Lady Jocelyn soll den gefürchteten Connor MacLerie heiraten, um den sich düstere Gerüchte ranken. Nur Jocelyn kann einfach nicht glauben, dass ihr künftiger Gemahl tatsächlich seine erste Frau umgebracht haben soll! Wird sie einen Weg finden, seine Unschuld zu beweisen und sein verbittertes Herz zu heilen?


  • Erscheinungstag 13.10.2017
  • Bandnummer 0001
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768485
  • Seitenanzahl 224
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Schottland, 1352

Dass seine Frau tot war, wusste er in dem Moment, als sie mit einem hässlichen Knall fünf Stufen unter ihm auf der Treppe aufschlug. Hilflos sah Connor MacLerie mit an, wie sich der Ausdruck in ihren Augen veränderte. Eben noch hatte sie ihr Schicksal bewusst wahrgenommen und stumm akzeptiert, und jetzt war ihr Blick vom matten Schein des Todes getrübt. Kenna hatte nicht geschrien, als sie stürzte, und das Einzige, was er hörte, war ein weiterer dumpfer Aufschlag, als sie schließlich am Ende der langen Steintreppe aufprallte und reglos liegen blieb.

Doch auch wenn sie keinen Laut von sich gab, so tat er es an ihrer Stelle, indem er seinen grenzenlosen Zorn derart unüberhörbar hinausbrüllte, dass Angehörige seines Clans und die Dienerschaft aus dem großen Saal zu ihm stürmten. Sie scharten sich um die Treppe, starrten auf die Tote, zeigten und tuschelten – und waren sich so gut wie sicher, was sich hier abgespielt haben musste. Denn einige von ihnen hatten zweifellos den wutentbrannten Streit von Anfang an mitbekommen. Connor schloss kurz die Augen, dann wandte er sich ab und ging fort.

Der Moment, als seine Frau starb, war zugleich die Geburtsstunde der Bestie. Dieser Ruf eilte ihm überall in den Highlands voraus, und Kennas letzte Worte, mit denen sie ihn um Gnade anflehte, sowie seine Weigerung, ihrer Beerdigung beizuwohnen, schürten noch zusätzlich jene Gerüchte, die von seiner Grausamkeit und Herzlosigkeit im Umlauf waren.

Mütter bangten um ihre Töchter, Väter rätselten über den Wahrheitsgehalt der Geschichten, und Jungfrauen aller benachbarten Clans beteten Nacht für Nacht, niemals Gegenstand eines Handels zu werden, der sie von seiner fragwürdigen Barmherzigkeit abhängig machte.

Nicht ganz ein Jahr nach dem Ableben seiner Frau trat Connor die Nachfolge seines verstorbenen Vaters als Laird an, als Oberhaupt des MacLerie-Clans. Damit wurde es für ihn notwendig, sich wieder eine Braut zu nehmen.

Und so zog die Bestie durch die Highlands und hielt Ausschau nach einer neuen Gefährtin.

1. KAPITEL

Drei Jahre später

Dann gibt es also keine andere Lösung?“

Jocelyn bemühte sich, mit fester Stimme zu reden. Verkrampft hielt sie die Hände ineinander verschränkt und drückte die Fingernägel ins Fleisch, damit sie angesichts dieser Nachricht nicht ohnmächtig wurde.

„Nein, meine Tochter, er hat ganz bewusst nach dir gefragt. Nur so kann das Leben deines Bruders gerettet werden.“

Ihr Vater konnte ihr nicht in die Augen sehen. Es war vorbei. Die Bestie hatte ihre Wünsche geäußert, und da sich ihr Clan diesen nicht verweigern konnte, würde man sie opfern, um einen anderen zu retten.

„Vielleicht wirst du ihm ja schnell einen Sohn schenken können“, flüsterte ihre Mutter ihr vom Krankenbett aus zu. Als Jocelyn sich zu ihr umdrehte, wich ihr alles Blut aus dem Gesicht, da ihr bewusst wurde, dass diese Abmachung sie mit Leib und Seele einem Mann ausliefern würde, dessen Brutalität Gegenstand zahlreicher, immer wieder neuer Gerüchte war. „Wenn du ihm den Sohn gibst, nach dem er verlangt, wird er dich womöglich freundlich behandeln.“

Sie versuchte, Ruhe zu bewahren, doch das leise Schluchzen, das den Worten ihrer Mutter folgte, machte diese Bemühungen zunichte. Ein Zittern erfasste sie am ganzen Leib, und sie fürchtete erneut, sie müsse ohnmächtig werden, obwohl sie sich geschworen hatte, es vor den Augen des Gesandten der MacLeries nicht dazu kommen zu lassen. Sie atmete tief durch und drehte sich zu ihrem Vater und dessen Beratern um.

„Du benötigst dafür nicht meine Zustimmung, Vater, also tu, was du tun musst.“

Sie nickte ihm und dem Gesandten der MacLeries zu, dann drückte sie den Rücken durch und straffte ihre Schultern so weit es ihr möglich war, sodass sie äußerlich gefasst wirkte, als sie aus dem Raum ging. Doch als ihre Mutter lauter zu weinen begann, wäre Jocelyn am liebsten davongerannt, um sich irgendwo zu verstecken. Aber sie war MacCallums Tochter, und sie würde keine Schande über sich bringen, selbst wenn ihr Vater das bereits getan hatte. Nur ein paar Schritte noch, dann hatte sie den großen Saal erreicht. Sie schaute sich um und sah, wie ein paar Dienstmädchen damit beschäftigt waren, die Überreste des Mittagsmahls von den Tischen zu räumen. Jocelyn wurde klar, dass sich die Nachricht von ihrer Verlobung in Windeseile herumsprechen würde, sobald die Zusammenkunft beendet war. Sie wusste, sie musste diejenige sein, von der Ewan es erfahren sollte.

Auf dem kürzesten Weg durch die Küche verließ sie die Festung und ging zum Kampfplatz. Dort schirmte sie ihre Augen gegen die Sonne ab und musterte nacheinander die Männer, die in Übungskämpfe vertieft waren, bis sie ihn entdeckt hatte.

Ewan MacRae. Ihre erste Liebe.

Der Mann, von dem sie angenommen hatte, sie würde ihn eines Tages heiraten.

Und nun stand sie vor der Aufgabe, ihm sagen zu müssen, dass sie niemals ein Paar sein würden. Als er sie bemerkte, kam er lächelnd auf sie zu.

„Ich wünsche dir einen guten Tag, Jocelyn“, sagte er mit seiner vertrauten, tiefen Stimme.

„Ewan, ich muss mit dir reden.“ Sie bedeutete ihm, ihr zu folgen.

Er stieg über den Zaun und ging schweigend neben ihr her, bis der Kampfplatz ein Stück weit hinter ihnen lag. Plötzlich drehte sie sich ihm zu und wollte jenen Satz aussprechen, der ihrer beider Leben für alle Zeit verändern würde. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, Tränen standen ihr in den Augen, aber schließlich riss sie sich doch zusammen und schaute ihn an.

„Jocelyn? Was ist los? Dein Gesicht ist so bleich, und du zitterst am ganzen Leib.“ Er fasste sie an den Schultern und zog sie an sich. So unangemessen diese Berührung auch war, verharrte sie in seiner Umarmung und nahm seine Wärme, seinen Schutz und seine Zuneigung in sich auf, die sie niemals wieder so spüren würde. Nach einigen Augenblicken löste sie sich aus seinen Armen und sah ihn wieder an. Ihr Gesicht war nass von den Tränen, die sie nicht länger hatte zurückhalten können.

„Mein Vater hat mich einem anderen versprochen. Wir werden nicht zusammen sein können, obwohl ich das so gehofft hatte. Aber er verheiratet mich mit der … mit Connor MacLerie.“

„Mit der Bestie?“, erwiderte er in einem ängstlichen Flüsterton.

Sie konnte nur bestätigend nicken, da sie noch viel mehr Furcht verspürte als Ewan. MacLeries Ruf war überall in den Highlands bekannt, und obwohl sie sich wünschte, diese Gerüchte seien nichts weiter als gehässiger Klatsch und Tratsch, vermochte diese Hoffnung ihre Ängste nicht zu lindern.

„Und dein Vater ist damit einverstanden?“ Ihm stand sein Unglaube deutlich ins Gesicht geschrieben.

Wäre sie nicht selbst dabei gewesen, hätte sie es auch nicht glauben wollen. Es war nie eine förmliche Vereinbarung getroffen worden, was ihre und Ewans Zukunft anging, aber in der Zeit, als er als Pflegesohn der Familie bei ihnen lebte, waren sie beide sich immer nähergekommen. Jocelyn wusste, er hatte geplant, um ihre Hand anzuhalten, sobald er im Frühjahr seine Eltern besuchte.

„Ja, das ist er. Ich werde MacLeries Männer begleiten, wenn die sich auf den Rückweg machen, und gleich nach meiner Ankunft wird die Hochzeit stattfinden.“ Es waren zwar ihre Worte, doch nicht einmal ihr selbst schienen sie real zu sein.

„Du wirst dort heiraten? Ohne dass deine Familie bei dir ist? Dieser Mann ist wahrlich eine Bestie!“

„Von allen Titeln, die der MacLerie trägt, ist das der eine, den er nicht mag.“

Jocelyn wirbelte herum und sah, dass MacLeries Gesandter hinter ihnen stand. Wie viel er gesehen und gehört hatte, wusste sie nicht. Sie sah, wie Ewans Miene sich versteinerte und wie er sich schützend vor sie stellte. Die Arme vor der Brust verschränkt, wandte er sich dem Fremden zu.

„Wer seid Ihr?“, fragte er ihn herausfordernd. „Und wer gibt Euch das Recht, im Namen von MacLerie zu sprechen?“

„Ich bin Duncan MacLerie“, antwortete der Mann und ließ seine Hand sinken, bis sie auf dem Heft seines Schwertes ruhte. „Ich vertrete seine Interessen in dieser Angelegenheit.“

„Was meinen Sie mit dieser Angelegenheit? Seine Verlobung mit Jocelyn?“

„Aye. Ich sorge dafür, dass seinen Wünschen Rechnung getragen wird.“ Duncan sprach mit tiefer, ruhiger Stimme, aber seine Körperhaltung verriet, dass er Ewans provozierenden Tonfall nicht auf die leichte Schulter nahm.

„Sie ist aber keine Angelegenheit“, erwiderte Ewan. „Jocelyn ist …“

„… die Verlobte von Connor MacLerie und damit von diesem Moment an nicht mehr Euer Problem.“

Jocelyn verschlug es angesichts dieser kühnen Aussage die Sprache. Sie ging langsam um Ewan herum, während Duncan weiterredete und sich erneut nur an Ewan zu wenden schien.

„Es sei denn, Ihr habt Euch einander vor Zeugen versprochen.“

Ewan drehte den Kopf zur Seite, spuckte auf die Erde und antwortete dann für sie beide mit einem knappen Nein.

„Es sei denn ferner, sie trägt Euer Kind in sich.“ Dabei zeigte Duncan auf Jocelyn. Sie war entsetzt, dass er es wagte, ihre und Ewans Ehre so zu beleidigen. Aufgebracht stieß sie diesen zur Seite und versetzte mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, Duncan MacLerie eine Ohrfeige.

„Wer gibt Euch das Recht, meine Ehre zu beschmutzen?“ Sie stand vor dem Mann und stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Ich werde meinem Laird keine Braut überbringen, die die Saat eines anderen in sich trägt.“

„Oh, wir wissen alle, wie sehr Euer Laird diese Saat persönlich auszusetzen wünscht.“

Kaum waren ihr diese Worte über die Lippen gekommen, wünschte sie, sie hätte sie nicht ausgesprochen. Duncans Miene verfinsterte sich, sein Blick loderte vor Wut, als er einen Schritt auf sie zu machte.

„Aye, Mylady“, presste er heraus. „Wir wissen alle, wie er darüber denkt.“ Er sah zwischen Ewan und Jocelyn hin und her, dann fügte er hinzu: „Verabschiedet Euch, denn wir werden in zwei Stunden aufbrechen, ob Ihr bereit seid oder nicht.“ Abrupt drehte er sich um und schritt davon.

Verdutzt schaute sie dem Mann nach. Sein Zorn war ihm unübersehbar anzumerken. So hatte sie ihr Leben als zukünftige Frau von Connor MacLerie eigentlich nicht anfangen wollen. Seinen Vertreter zu beleidigen, war wirklich töricht, zumal der Laird zweifellos davon erfahren würde, sobald sie dessen Burg Broch Dubh erreichten.

„Ich werde mit deinem Vater reden, Jocelyn. In dieser Ehe habe ich Angst um dich“, sprach Ewan leise, der immer noch hinter ihr stand, während Duncan sich zum Kampfplatz begab und dort in der Nähe verharrte.

„Nein, das kannst du nicht machen, Ewan.“ Ein letztes Mal drehte sie sich zu ihm um. Beim Gedanken an die gefährliche Situation, in der sich ihr Bruder befand, wusste sie, es gab für sie nur einen Weg, den sie einschlagen konnte. „Ich fürchte, es steckt mehr dahinter, als wir beide uns vorstellen können.“

„Dann soll ich also einfach nur zuschauen und dir alles Gute für dein Leben an MacLeries Seite wünschen?“

Wieder war ihre Kehle wie zugeschnürt, als sie nickte. „Bitte“, sagte sie kaum vernehmbar.

Er fasste ihre Hände und zog sie abermals an sich, obwohl Duncan MacLerie sie genau beobachtete. Sanft strich er ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht und berührte ihre Wange.

„Ich wünsche dir ein langes und glückliches Leben, Jocelyn. Und wenn du dieses mit ihm verbringen musst, möge Gott dir helfen. Ich bete, dass der Mann nicht den Geist zerstört, der in deinem Herzen und deiner Seele wohnt.“

Ewan küsste sie auf die Stirn und trat einen Schritt nach hinten. Mit seiner Bemerkung hatte er sie aufheitern wollen, denn jeder in ihrer Familie wusste um ihr aufbrausendes und eigenwilliges Temperament. Danach ging er ohne ein weiteres Wort von dannen. Erneut strömten ihr Tränen über die Wangen, als sie dem Mann nachsah, mit dem sie ihr Leben hatte verbringen wollen. Sie wischte sich übers Gesicht und atmete tief durch. Sie konnte es sich nicht leisten, dem nachzutrauern, was vielleicht hätte sein können, denn es gab noch einiges zu erledigen, wenn sie tatsächlich in zwei Stunden aufbrechen sollten. Die Gedanken auf die zu treffenden Vorbereitungen gerichtet, kehrte sie zur Festung zurück.

Zwar wusste sie, dass sie sich bei Duncan dafür entschuldigen sollte, weil sie seinen Laird beleidigt und ihm eine Ohrfeige versetzt hatte, doch ihr Stolz hinderte sie daran. Stattdessen warf sie ihm einen zornigen Blick zu, als sie an ihm vorbeikam. Er nickte ihr im Gegenzug nur knapp zu. Verwirrt darüber, was diese Geste bedeuten sollte, betrat sie die Burg, um alles für die Abreise fertig zu machen.

Duncan musste sich ein Lächeln verkneifen, als Jocelyn an ihm vorüberging. Er hatte in gewisser Weise Mitleid mit der jungen Frau, hatte sie doch bis vor wenigen Augenblicken noch geglaubt, diesen einen Mann heiraten zu können, nur um dann zu erfahren, dass sie ihr Zuhause verlassen musste, um die Gemahlin eines anderen zu werden. Auch wenn man von der Tochter eines Lairds erwarten durfte, dass sie sich widerspruchslos solchen Entwicklungen unterwarf, hätte man die Angelegenheit zweifellos besser lösen können.

Er drehte sich um, lehnte sich gegen den Zaun und schaute ihr nach, wie sie sich der Festung näherte. Sie hatte Mut und Kraft, denn schließlich brannte seine Wange immer noch von der Ohrfeige. Und wenn man von dieser einen Reaktion absah, hatte sie sich ihm gegenüber die ganze Zeit bestens im Griff gehabt, sogar als ihre Mutter so erbärmlich schluchzte. Deren Wehklagen hätte ihn beinahe dazu gebracht, die Vereinbarung abzusagen. Er wusste, Connor hätte ihn deswegen einen Kopf kürzer gemacht, doch das blanke Entsetzen in der Stimme der Mutter hatte ihn tatsächlich einen Moment lang zögern lassen.

Jocelyn warf die Tür hinter sich ins Schloss, als sie die Burg betrat, und Duncan ließ das Lächeln über seine Lippen huschen, das er sich so lange verkniffen hatte.

Sie würde Connors Anforderungen genügen. Weder von außergewöhnlicher Schönheit noch ein verängstigtes, scheues Reh, lauteten dessen Anweisungen, die Duncan nur mit einem Kopfschütteln kommentieren konnte. Die „außergewöhnliche Schönheit“ war eine recht klare Aussage, aber wie bestimmte man, ob ein Mädchen verschüchtert war, wenn sie alle bloß den Namen seines Lairds hören mussten, um wie Espenlaub zu zittern?

Connor MacLerie, die Bestie.

Erzürnt trat Duncan in den Staub zu seinen Füßen. Zwar wusste er, dass die wenigsten in seiner Gegenwart offen sagten, was sie dachten, dennoch konnte er nicht fassen, in welchem Maß sich dieser erschreckende Name und der damit einhergehende Ruf bei Verbündeten und Feinden gleichermaßen herumgesprochen hatte. Er hätte etwas gegen diese Gerüchte unternehmen können, wäre ihm die Wahrheit über Kennas Tod bekannt. Aber er hatte sich an jenem schicksalhaften Abend nicht in der Festung aufgehalten, und er wusste nur von den Geschichten, die man sich anschließend erzählte. Vom Laird, der auch sein Freund war, erfuhr er überhaupt nichts, da der nach Kennas Tod nie wieder auch nur ihren Namen in den Mund nahm.

Seine Gedanken wurden dadurch unterbrochen, dass sich ihm der Mann näherte, zu dem Jocelyn gleich nach dem Bekanntwerden ihrer Verlobung gerannt war: Ewan MacRae. MacCallum hatte ihm zugesichert, dass Jocelyn noch keinem anderen Mann versprochen war, doch es war nicht zu übersehen, welch gegenseitige Zuneigung die beiden verband und wie sie von einer gemeinsamen Zukunft ausgegangen waren. Duncan stieß sich vom Zaun ab und drehte sich zu Ewan.

„Werdet Ihr Eurem Laird davon berichten, was Ihr gesehen habt?“

„Redet Ihr davon, dass seine Verlobte Hals über Kopf zu Euch gerannt ist?“ Wieder legte Duncan seine Hand auf das Heft seines Schwertes.

Ewan richtete seinen Blick auf einen Punkt in weiter Ferne, ehe er antwortete: „Sie ist über alle Maßen loyal. Ich sollte diese Neuigkeit von ihr erfahren, von niemandem sonst.“

„Loyalität ist eine bewundernswerte Eigenschaft“, sagte Duncan, ohne die Frage zu beantworten.

„Das ist wahr“, pflichtete Ewan ihm bei und schaute sein Gegenüber an. „Ich möchte nicht, dass sie deswegen bestraft oder schlecht behandelt wird.“

„Und Ihr glaubt, Connor MacLerie würde das tun?“ Duncan machte einen Schritt auf ihn zu.

„Ich habe die gleichen Geschichten gehört wie Ihr. Wenn ich schon nicht bei ihr sein kann, möchte ich wenigstens Gewissheit haben, dass sie in Sicherheit ist.“

Duncan nickte und ging wieder auf Abstand. „Mein Laird wird mich nur fragen, ob die notwendigen Vereinbarungen getroffen wurden. Es wird ihn nicht interessieren, mit wem sie vor ihrer Abreise sprach.“

Er sah die Geste, mit der der jüngere Mann sein Wort akzeptierte. Diesem Ewan blieb auch keine andere Wahl, doch Duncan respektierte dessen Bemühen, Jocelyn zu beschützen. Hier war noch jemand, dessen Leben unwiderruflich als Folge jener Ereignisse verändert wurde, die aus seinem Laird die Bestie hatten werden lassen. Er wandte sich ab und ging zu seinen Leuten, die auf ihre Befehle warteten. Wie viele würden noch von dieser Angst heimgesucht werden, bis endlich die Wahrheit ans Tageslicht kam? Kopfschüttelnd befahl er den Männern, alles für eine baldige Abreise bereit zu machen.

2. Kapitel

Der Wind zerrte an seinem Haar und der Kleidung, als er auf der Brustwehr stand und wartete. Mit einer Hand schirmte Connor die Augen ab, um einmal mehr den Horizont abzusuchen, ohne jedoch das zu entdecken, wonach er Ausschau hielt. Sie waren spät dran. Laut Duncans Nachricht hätten sie gegen Mittag eintreffen sollen, doch es war bereits deutlich später.

Während er zu einem anderen Punkt auf dem höchsten Turm der Festung Broch Dubh wechselte, schaute er abermals in die Ferne und fühlte die Angst an seinem Verstand nagen. Nein, Duncan würde unterwegs für ihre Sicherheit sorgen. Sein Cousin war seit Jahren seine rechte Hand, und er erfüllte seine Pflichten mit einer Hingabe, mit der es kein anderer im MacLerie-Clan aufnehmen konnte. Ob sie sich verspätet hatten oder nicht, sie war in Duncans Händen gut aufgehoben. Ein Räuspern gleich hinter ihm ließ Connor hochschrecken. Er drehte sich um und sah einen seiner Männer vor sich stehen.

„Was gibt es, Eachann?“

„Soll ich mehr Männer losschicken, damit sie nach ihnen suchen?“

Connors Blick folgte zum wiederholten Mal dem Verlauf des Weges, der vom Dorf Lairig Dubh zur Burg führte, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein. Duncan hat seine Befehle, er wird mich nicht enttäuschen.“

Eachann nickte und ging ein paar Schritte zur Seite, ohne weitere Fragen zu stellen. Der Hauptmann seiner Wache stand schweigend und mit verschränkten Armen da, während er weiterer Befehle harrte. Connor stellte sich unterdessen wieder näher an die Brustwehr, sah in die Ferne und wartete.

Insgeheim verfluchte er seine Dummheit. Er wusste jede sich ihm bietende Gelegenheit zu nutzen, doch zu fordern, dass er die Schwester des jungen MacCallum heiratete, damit er im Gegenzug dessen Leben verschonte, das war keine Gelegenheit, sondern eine Katastrophe.

Da hatte er so viel Zeit und Mühe darauf verwendet, jenen schrecklichen Gerüchten über ihn Nahrung zu geben, die ihn vor einer weiteren Ehe bewahrten, und dann machte der Tod seines Vaters all diese Anstrengungen zunichte. Jetzt war es unvermeidlich, wieder zu heiraten, doch all diese Schreckensgeschichten bewirkten, dass weder Freund noch Feind ihm eine Tochter als zukünftige Ehefrau anbieten wollten. Er selbst und sein Clan waren vermögend, er hatte einen Titel und besaß viel Land in den Highlands, eine Braut wollte ihm aber niemand aus freien Stücken geben.

Er verlagerte sein Gewicht und beugte sich über den Rand der Brustwehr, um seine Krieger zu beobachten, wie sie sich auf dem Hof im Kampf übten. In diesem Moment hätte er Kampfübungen mit seinen Männern den Vorzug gegeben. Jederzeit waren sie bereit, ins Gefecht zu ziehen. Die MacLeries verfügten über mehr als fünfhundert eigene Krieger, und zusammen mit denen ihrer Verbündeten ergab sich eine Streitmacht, mit der es niemand in den Highlands aufnehmen konnte. Aber zu Connors Pflichten gehörte es auch, für einen Erben zu sorgen, der seine Nachfolge antreten konnte. Zwar konnten verschiedene Cousins und Onkel den Clan führen, jedoch sprachen sich die Ältesten zunehmend dafür aus, dem Brauch des Erstgeburtsrechts zu folgen. Damit stand er unter dem Druck, eine geeignete Ehefrau zu finden und einen Erben zu zeugen.

Ein Ruf von einem der Wachleute machte ihn auf eine Gruppe Reiter aufmerksam, die soeben aus dem Schutz des Waldes gekommen war und sich dem Tor näherte. Er blinzelte in den Sonnenschein und versuchte, Duncan in der Gruppe zu erkennen. Auf die große Entfernung wollte ihm das nicht gelingen, also ging er die Treppe nach unten, die bis ins Erdgeschoss der Burg führte. Ohne langsamer zu werden, durchquerte er den großen Saal und betrat in dem Moment den Innenhof, als die Gruppe eingelassen wurde.

Da ihm der Gedanke kam, seine Eile könnte von den Umstehenden falsch gedeutet werden, wurden seine Schritte gemächlicher, während er seinem Freund entgegenging … und seiner Verlobten. Als die Gruppe sich näherte, brachten sich die Stalljungen in Position, um sich der Pferde anzunehmen. In Windeseile bildete sich eine Menschenmenge, weil jeder einen Blick auf die neue Lady werfen wollte. Das interessierte Murmeln verwandelte sich in ein Kichern und Gelächter, als ihnen eine einfache Frau präsentiert wurde.

Duncan streckte die Arme aus, um Jocelyn vom Pferd zu helfen, und Connor musste feststellen, dass er vornübergebeugt dastand, um besser sehen und beurteilen zu können, ob seine Befehle befolgt worden waren. Eine schlichte Braut, die etwas im Kopf hatte, so lautete Connors Anweisung. Wenn die Frau nicht diese Bedingungen erfüllte, war es Duncan nicht gestattet, in seinem Namen die Dokumente zu unterzeichnen und mit seinem Siegel zu versehen.

Ihr Aussehen war schwierig, nein, sogar unmöglich zu beurteilen, da sie von Kopf bis Fuß mit einer dicken Schicht Schlamm überzogen war, die nicht einmal einen Blick auf ihre Haarfarbe zuließ. Er war versucht, sich dem allgemeinen Gelächter anzuschließen, bis ihm einfiel, dass es sich bei dieser Frau um seine Braut handelte. Zugleich wurde ihm erst jetzt bewusst, dass Duncan genauso verschmutzt aussah. Eine Erklärung war vonnöten, und zwar auf der Stelle.

„Duncan?“, rief er laut genug, um die Menge zu übertönen, die daraufhin sofort verstummte und eine Reaktion seinerseits auf die Frau und ihren Anblick erwartete.

„Aye, Laird“, antwortete Duncan und führte Jocelyn bis zur Treppe, ehe er ihn ansah.

„Hast du die Verlobungsvereinbarung?“

Duncan griff in seinen durchweichten Übermantel aus Leder und zog mehrere Pergamentrollen heraus. Während er sie ihm so hinhielt, dass sie nicht auch noch schmutzig werden konnten, war sich Connor sicher, den Anflug eines Lächelns über das Gesicht seines Freundes huschen zu sehen. Er nahm den Stapel mit Pergamenten an sich, faltete sie auseinander und las den enthaltenen Text. Zufrieden darüber, dass alles seinen Anweisungen entsprechend erledigt worden war, nickte er Duncan zu.

„Willkommen …“ Wieder sah er auf das Pergament, da er nach dem Vornamen seiner Braut suchte. „Willkommen, Jocelyn MacCallum, beim MacLerie-Clan. Reinigt Euch ein wenig, denn der Priester wartet bereits in der Kapelle auf uns.“

Ihm entging nicht Duncans verärgerter Blick, dem ein ebensolcher von seiner Verlobten folgte. Dies erstaunte ihn, denn sie wusste doch, die Vermählung sollte gleich nach ihrer Ankunft erfolgen. Ihr Bruder würde erst freikommen, wenn man sie zu Mann und Frau erklärt hatte und die Ehe vollzogen war. Letzteres erschien ihm aber nun gar nicht mehr so verlockend, da sie vor ihm stand und sich Brocken übel riechenden Morastes von ihrer Kleidung lösten und vor seinen Füßen landeten. Sein ganzer Clan stand um sie versammelt, beobachtete jede Bewegung von ihr und lauschte gebannt auf jedes folgende Wort.

„Ich möchte meinen Bruder sehen, bevor wir heiraten, Mylord.“ Ihre Stimme klang klar, wobei ein empörter Unterton nicht zu überhören war. Sie wollte sich ihm nicht hingeben ohne die versprochene Gegenleistung.

„Es geht ihm gut. Und jetzt wascht Euch und sputet Euch.“ Nachdem er sich zum Heiraten entschlossen hatte und eine passende Braut gefunden war, wollte er nicht unnötig lange warten. Dass er den ganzen Tag im kalten Wind hoch oben auf der Festung gestanden hatte, war seiner Laune nicht unbedingt zuträglich. Und nun stellte sie auch noch Forderungen.

Sie kam einen Schritt auf ihn zu, sodass eine übelst riechende Wolke ihn vollkommen einhüllte. „Ich möchte ihn jetzt sehen, Mylord.“

Die Umstehenden schnappten in Anbetracht einer solchen Unverfrorenheit erschrocken nach Luft. Vor seinem Clan wagte sie es, an seinem Wort zu zweifeln? Dieser Fehler musste ihr aufgefallen sein, denn plötzlich machte sie einen erschreckten Eindruck und sah irritiert die Menschen an, die sich um sie drängten. Dann aber schaute sie wieder Connor an und war kühn genug, seinem Blick zu trotzen.

„Respektlosigkeit scheint im MacCallum-Clan weit verbreitet zu sein, wie ich sehe. Zweifelt Ihr an meinem Wort?“

„Aye, Mylord. Ich möchte erst meinen Bruder sehen, bevor ich das Ehegelübde ablege.“

Er hielt den Atem an und war im Begriff, sie auf das Schärfste zurechtzuweisen, da sie seine Ehre anzweifelte und sich seinen Anweisungen widersetzte. Doch Duncans Miene war für ihn Warnung genug, genau das nicht zu machen. So verlockend es auch sein mochte, sie hier und jetzt zu tadeln, so sollte ihr Leben im Clan nicht auf diese Weise beginnen. Connor wusste, ihm blieben noch genügend Gelegenheiten, um sie auf den rechten Weg zu bringen, wenn sie erst einmal ganz und gar sein Besitz war. Er winkte einen seiner Männer zu sich und flüsterte ihm etwas zu. Anschließend baute er sich mit verschränkten Armen vor Jocelyn auf und starrte sie durchdringend an, während ihr Bruder aus dem Verlies geholt wurde.

Diese Wartezeit nutzte er, um seine künftige Ehefrau gründlich zu mustern. Er versuchte, diese Schlammschicht zu durchdringen, aber bis auf ihre Augenfarbe konnte er nichts näher bestimmen. Sie hatte grüne Augen.

So wie Kenna.

Er fühlte, wie sich ihm der Magen umdrehte, und er hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. So sehr wurde er von einer Übelkeit attackiert, dass er fürchtete, das erbrechen zu müssen, was er am Nachmittag gegessen hatte. Seit Langem hatte er nicht mehr an Kenna gedacht, und er fragte sich, warum sie ihm jetzt auf einmal in den Sinn kam. Vermutlich wurden durch die anstehende Hochzeit Erinnerungen geweckt, die besser nicht zum Leben erwachen sollten.

Er konzentrierte sich wieder auf die Frau, die vor ihm stand. Sie beobachtete ihn genauso eindringlich wie er sie. War sein Unbehagen etwa für alle Umstehenden erkennbar? Er drehte sich um und sah in der Tür zwei seiner Soldaten, die Athdar MacCallum festhielten. Der junge Mann, der den linken Arm in einer Schlinge trug und dessen Gesicht mit blauen Flecken übersät war, machte einen benommenen, verwirrten Eindruck.

Connor hörte Jocelyn erschrocken nach Luft schnappen. Er bekam ihren Arm zu fassen, als sie versuchte, an ihm vorbei zu ihrem Bruder zu eilen. Zwar setzte sie sich gegen seinen Griff zur Wehr, aber mit seiner Kraft und Entschlossenheit konnte sie es nicht aufnehmen.

„Ich muss zu ihm“, sagte sie. „Er ist verletzt.“

„Ihr sagtet, Ihr wolltet ihn sehen, und das habt Ihr jetzt. Nun werdet Ihr Euren Teil der Vereinbarung einhalten“, flüsterte er ihr leise zu, sodass nur sie ihn hören konnte.

„Wie Ihr wollt, Mylord. Dann lasst uns jetzt heiraten, damit ich die Wunden meines Bruders versorgen kann.“

Connor riss sie heftig zurück. „Euch sind doch die Einzelheiten dieser Abmachung bekannt, oder nicht?“ Er sah zu Duncan, der bestätigend nickte, und fügte hinzu: „Der Junge wird freigelassen, sobald wir verheiratet sind und Ihr das Bett mit mir geteilt habt.“

Sicher war er sich nicht, doch er hätte schwören können, dass sie bei seinen Worten unter der Morastschicht errötete. Duncan verschluckte sich vor Schreck und begann zu husten, während die anderen ihren Ohren nicht trauen wollten. So viel zum Thema Diskretion.

„Dann, Mylord, sollten wir uns zum Priester begeben und die Sache hinter uns bringen.“

„Ihr solltet Euch waschen und umziehen, bevor …“

„Ich kann mein Gelübde schmutzig oder gewaschen ablegen, Mylord. Ich würde es vorziehen, wenn wir es so bald als möglich hinter uns bringen könnten.“

Sie war unausstehlich! Da stand sie vor ihm und seinem ganzen Clan, und obwohl sie eindeutig die Verliererin bei dieser Abmachung war, wollte man das angesichts ihrer trotzigen Haltung und ihres aufbegehrenden Tonfalls kaum glauben. Aber er war nicht der Mann, der vor einer Herausforderung zurückschreckte, erst recht nicht, wenn die von einer Frau kam, die so schnell wie möglich in ihre Schranken verwiesen werden musste.

„Duncan, bring den Priester her.“

„Aber Connor …“, wandte Duncan ein und trat vor.

„Du hast die Lady gehört. Sie verlangt, auf der Stelle vermählt zu werden, und ich möchte ihr diesen Wunsch erfüllen. Und jetzt hol ihn her, Duncan.“

Duncan war schon lange genug sein Freund, um den zornigen Ton in Connors Stimme zu bemerken. Die Lady, um die es ging, kannte ihn zwar erst seit ein paar Augenblicken, doch ihr Fehlverhalten schien ihr auf einmal aufgefallen zu sein, da sie einen Schritt vor ihm zurückwich. MacLerie hielt sie fest, damit sie nicht vor dem Schicksal davonlaufen konnte, das sie soeben selbst herausgefordert hatte. Über die Schulter hinweg befahl er seinen Männern, den Gefangenen zurück ins Verlies zu bringen. Da sie Anstalten machte, ihm abermals Widerworte zu geben, drückte er ihren Arm so fest, dass sie ihn fragend ansah.

„Nicht nur sein Leben hängt von Eurem Verhalten ab, Mylady, sondern auch die Art seiner weiteren Unterbringung. Überlegt Euch gut, was Ihr sagen wollt, bevor Ihr den Mund aufmacht.“

Connor beobachtete, wie sie zum Reden ansetzte, dann aber innehielt und die Lippen zusammenpresste. Mit ihrer freien Hand strich sie ihr Haar aus dem Gesicht und warf es über die Schulter. Weitere Klumpen Schlamm tropften auf ihren ohnehin völlig verdreckten Mantel.

Betretenes Schweigen machte sich breit, während sie auf Duncans Rückkehr warteten. Endlich kam Unruhe auf, als sich die Menge teilte, um für ihn und den Priester eine Gasse freizumachen.

Der Priester kam zu Connor und verbeugte sich.

„Mylord, das ist sehr ungewöhnlich.“

„Aye, Pater, das ist wohl wahr.“

„Sollten wir der Lady nicht gestatten, sich auf die Zeremonie vorzubereiten, und sie morgen früh stattfinden lassen?“

„Nein. Meine Verlobte bittet darum … nein, sie besteht darauf, dass wir unser Gelübde augenblicklich ablegen. Wenn Ihr dann so gütig wärt, Euch dieses anzuhören und Euren Teil dazu beizutragen?“

Connor wusste, der Geistliche konnte den Ereignissen momentan zwar nicht folgen, doch er würde alles tun, was von ihm verlangt wurde. Und so passierte es, dass er ein paar Augenblicke später zum zweiten Mal verheiratet war. Er selbst fühlte sich von dieser Tatsache überwältigt, doch was seine Braut empfand, das war ein anderes Thema. So wie ihr Arm zitterte und wie sie mit den Zähnen klapperte, konnte die Ehre, seine Gemahlin zu sein, sie nicht mit Freude erfüllen.

„Ailsa“, rief er eine seiner Dienstmägde zu sich. „Bring die Lady in ihre Gemächer und kümmere dich um sie.“

Er ließ Jocelyn los und sah ihr nach, wie sie wortlos Ailsa in die Burg folgte. Danach winkte er Duncan zu sich. Nachdem sich die Menge aufgelöst hatte und jeder auf dem Hof wieder seiner Arbeit nachging, sagte er: „Komm mit nach drinnen. Ich will eine Erklärung hören, wieso du, genauso wie meine Braut, von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt bist.“

Es war pure Willenskraft, die Jocelyn auf den Beinen hielt, um die Hochzeit zu überstehen und dieser älteren Bediensteten durch die Festung und mehrere Treppen hinauf bis in den wohl entlegensten Turm zu folgen. Jeder Schritt war eine Herausforderung, jeder Moment war von Schmerz erfüllt. Aber sie wusste, wenn sie auch nur ein Mal zögerte, würde sie auf der Stelle zusammenbrechen. Also fixierte sie den Rocksaum der Frau, die ihr den Weg zeigte, und betete, das Ziel möge bald erreicht sein.

Nachdem sie mit der Missachtung Bekanntschaft gemacht hatte, die ihr frisch gebackener Ehemann ihr entgegenbrachte, war sie sich nicht sicher, was sie in ihren Gemächern erwartete. Ailsa öffnete die Tür und wartete, bis Jocelyn eingetreten war. Nachdem sie in ihrer schmutzigen Kleidung die Schwelle überschritten hatte, erstarrte sie förmlich beim Anblick der Ausstattung, mit der sie konfrontiert wurde.

Der nach Osten ausgerichtete Raum war großzügig bemessen, mehrere verglaste Fenster ließen viel Licht herein. Ein Teil einer Wand wurde von einem ausladenden Kamin in Anspruch genommen, unter dem größeren Fenster war ein Alkoven in die Mauer eingelassen.

Bequeme Kissen luden zum Verweilen auf der Holzbank ein, und noch verlockender war das riesige Bett in einer Ecke des Raums. Da sie die frischen Bezüge nicht schmutzig machen wollte, sah sie sich Hilfe suchend nach Ailsa um.

„Kommt, Mylady“, sagte diese und führte ihre neue Herrin in die Kammer. „Lasst Euch aus diesen Kleidern helfen.“ Jocelyn verspürte weder den Wunsch noch besaß sie die Kraft, sich den Bemühungen der älteren Frau zu widersetzen. „Ich habe Bescheid gegeben, damit Euch heißes Badewasser gebracht wird.“

Jocelyn kämpfte einmal mehr gegen die Tränen an, die sie zu überwältigen drohten, seit sie erfahren hatte, dass ihr Schicksal in den Händen der MacLeries lag. Die Schuld daran schob sie auf ihre Erschöpfung und ihre Sorge um das Wohl ihres Bruders. Sie gestattete Ailsa, sie von den schlammigen Gewändern zu befreien, selbst ihr Unterkleid war vollkommen verdreckt. Als Geräusche vor der Tür darauf hindeuteten, dass das versprochene Badewasser gebracht wurde, führte Ailsa Jocelyn hinter einen Wandschirm und zog ihr dort noch die restlichen Hemden aus. Danach säuberte sie jenen groben Morast von ihrem Körper, der es bis auf ihre nackte Haut geschafft hatte. Wenig später tauchte Jocelyn in einen riesig anmutenden Holzzuber ein, der mit dampfendem Wasser gefüllt war, das einen aromatischen Duft verbreitete.

Ailsa wusch ihr Haar mit einer beißenden Seife und spülte es mehrmals aus, und sie bekam auch mit, dass ihr das Mädchen bei der restlichen Körperwäsche half. Sie nahm ebenfalls wahr, wie sie in dicke Tücher gewickelt wurde, sich aufs Bett setzte und man ihr ein Tablett mit Speisen servierte. Was danach geschah, wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen, nachdem die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne sie aus einem tiefen Schlaf geweckt hatten.

Panik überfiel sie, als ihr bewusst wurde, dass sie den zweiten Teil der Abmachung bislang nicht eingehalten hatte. Es sei denn, alle Welt machte viel zu viel Aufhebens um die Erfahrung, das Bett mit einem Mann zu teilen. Allerdings bezweifelte sie, dass ihr Ehemann in der vergangenen Nacht, von ihr unbemerkt, seine ehelichen Rechte eingefordert haben könnte.

Sie stieg aus dem Bett, immer noch in die Tücher vom vorherigen Abend gewickelt, und durchsuchte die verschiedenen Truhen nach etwas, das sie anziehen konnte. Jocelyn wusste nicht, wo ihr eigenes Gepäck geblieben war, und hier fand sie nichts Passendes. Jäh packte sie erneut die Angst, da Connor weiterhin an ihrem Bruder Vergeltung üben konnte, solange die Ehe nicht vollzogen war. Da auch die nächste Truhe außer Bettlaken nichts hergab, knallte sie aufgebracht den Deckel zu und schüttelte den Kopf. Sie war hier gefangen, bis sich jemand von der Dienerschaft bei ihr blicken ließ. Kurzerhand griff sie nach der Bürste, die auf einem Beitisch lag, und brachte ihr Haar in Ordnung, um es dann rasch zu einem Zopf zu flechten.

Ihre Betriebsamkeit war den Bediensteten offenbar nicht entgangen, da kurze Zeit später angeklopft wurde und ein junges Mädchen eintrat, um ihr einen Eimer mit heißem Wasser zu bringen. Nach einem Knicks goss es einen Teil des Wassers in eine Schüssel neben dem Bett und stellte den Eimer neben dem Kamin ab. Mit jener aus langer Erfahrung geborenen Schnelligkeit entzündete das Mädchen ein Feuer im Kamin, danach wandte sie sich zum Gehen, blieb aber an der geöffneten Tür noch einmal stehen.

„Mylady, der Laird bittet Euch, sich zu ihm in den Saal zu begeben, um das Frühstück einzunehmen.“

„Ich fürchte, das kann ich nicht … wie heißt du?“

„Cora, Mylady.“ Wieder machte sie einen Knicks.

„Cora, sag bitte dem Laird, ich kann seinem Wunsch nicht nachkommen …“

Bevor sie zu Ende gesprochen hatte, war das junge Dienstmädchen verschwunden. Jocelyn wollte nicht glauben, dass ein Mensch sich so rasch entfernen konnte, doch von einem Augenblick auf den nächsten war sie wieder allein. In der Hoffnung, dass jemand zu ihr kommen würde, dem auch auffiel, dass sie Kleidung brauchte, begann sie, sich zu waschen. Sie zog die um sie geschlungenen Stofftücher zurecht, beugte sich vor und tauchte die Hände in das heiße Wasser, um es sich ins Gesicht zu spritzen. Gerade griff sie nach einem Leinenstück, um sich abzutrocknen, als sie hinter sich einen solchen Lärm hörte, dass sie sich erschrocken umdrehte. Dabei verloren die Tücher ihren Halt, und ehe sie nach ihnen greifen konnte, waren sie bereits bis auf die Hüften gerutscht. Sie sah zugleich hoch, da sie mit Cora rechnete.

Doch da stand ihr Ehemann Connor MacLerie.

Sein bedrohlicher Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, warum man ihn die Bestie nannte. Alles, was sie ihm hatte sagen wollen, blieb ihr nun im Hals stecken, als seine Augen über ihren Körper wanderten und an ihren Brüsten hängen blieben. Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst, um ihm diesen lüsternen Blick auszutreiben, aber als ihr Ehemann hatte er nicht nur das Recht, sie so anzuschauen, er durfte sie auch berühren, wann immer er das wollte. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Schließlich sah er ihr in die Augen.

„Wie ich sehe, hat nicht einmal die Nachtruhe, die ich Euch gewährt habe, Eure Einstellung ändern können. Ihr weigert Euch also, selbst meiner bescheidensten Bitte nachzukommen?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und trat einige Schritte auf sie zu. Obwohl sie am liebsten vor ihm zurückgewichen wäre, gab es für sie keinen Fluchtweg.

„Laird“, sagte sie und schaute sich suchend um. „Ich habe mich Eurer Bitte nicht verweigert.“

„Ich verlangte einzig von Euch, nach unten in den Saal zu kommen, und das habt Ihr abgelehnt. Ungehorsam nennt man das. Oder wie sollte ich sonst dieses Verhalten bezeichnen?“

Einen solchen Anfang durfte ihr Eheleben auf keinen Fall nehmen. Ein simples Missverständnis, das schwerwiegende Folgen nach sich ziehen konnte, wenn sie es nicht behutsam aufklärte. Als sie ihn nun anschaute, wurde ihr bewusst, dass sie ihn bei ihrer Ankunft gar nicht richtig zur Kenntnis genommen hatte. Sie war erschöpft gewesen, von Kopf bis Fuß mit feuchter, dreckiger Erde bedeckt und voller Angst und Sorge um das Wohl ihres Bruders. Die erste Begegnung mit MacLerie und die Hochzeit hatte sie nur wie durch einen dichten Nebel wahrgenommen. Jetzt dagegen, im strahlenden Sonnenschein, konnte sie sehen, dass sie einen ausgesprochen gut aussehenden Mann geheiratet hatte. Connor war größer als ihr Vater, sogar größer als Ewan, und die beiden hatten sie schon deutlich überragt. Sein Haar trug er streng nach hinten gekämmt, an den Schläfen war es zu kleinen Zöpfen geflochten. Das Gesicht war glatt, und seine schroffen Züge betonten seine Männlichkeit. Nahezu bronzefarbene Augen starrten sie an und ließen seinen Zorn über ihre Widerspenstigkeit erkennen, die sich nicht nur gegen ihn als Ehemann, sondern auch als Laird richtete.

„Mylord, ich habe keine Gewänder.“ Sie verbeugte sich vor ihm, so tief es ging. Auch wenn sie seine Reaktion dadurch nicht beobachten konnte, hörte sie, wie er sich räusperte.

„Keine Gewänder?“, fragte er.

„Nein, Mylord. Es scheint in diesem Gemach nichts zu geben, das ich hätte anziehen können, um zu Euch in den Saal zu kommen. Es sei denn, Ihr wollt, dass ich nackt vor Euren Clan trete.“

Er gab einen erstickten Laut von sich, während draußen im Gang jemand lachte. Jocelyn hob den Kopf gerade so weit, um Connors Stiefel wahrnehmen zu können. Er ging zur Tür, dann war ein Scharren zu hören, und Augenblicke später landete ein Bündel Kleidung gleich neben ihr auf dem Boden. Sie schaute nun ganz hoch und entdeckte ein weiteres Mal MacLerie, dessen Blick abermals auf dem nur locker um ihren Busen geschlungenen Tuch ruhte. Als sie sich nun zu dem Stoffbündel bückte und sich, nachdem sie ihn näher in Augenschein genommen hatte, wieder erheben wollte, verlor sie das Gleichgewicht und kippte nach hinten. Aber er bekam ihre Arme zu fassen und verhinderte so, dass sie mit dem Kopf auf dem Steinboden aufschlug. Er zog sie an seine Brust, bis sie wieder sicher auf ihren Füßen stand.

„Jetzt zieht Euch an und kommt nach unten in den Saal.“ Mit rauer Stimme flüsterte er ihr diese Aufforderung ins Ohr.

„Aye, Mylord“, antwortete sie, woraufhin er sie losließ und sich entfernte. Sie konnte ihn jedoch nicht weggehen lassen, ohne sich nach dem Befinden ihres Bruders zu erkundigen.

„Laird?“, rief sie ihm nach. Er blieb stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihr um. „Musste mein Bruder dafür büßen, dass wir meinetwegen vergangene Nacht nicht die Ehe vollzogen haben?“

Wieder hörte sie ein überraschtes Räuspern aus dem Gang. Jocelyn konnte aber den Blick nicht von Connor abwenden, da dieser sich plötzlich umwandte und ihr in die Augen sah. Er straffte die Schultern, was ihn noch größer erscheinen ließ, und kam mit bedrohlicher Miene zu ihr zurück. Bei jedem Schritt öffnete und ballte er die Fäuste. Dann blieb er so dicht vor ihr stehen, wie es möglich war, ohne sie dabei zu berühren. Er schaute auf sie herab, und als er seine Erwiderung förmlich herauspresste, da spürte sie die Wut, die in jedem Wort mitschwang.

„Euer Bruder ist für sein eigenes Verhalten verantwortlich, so wie Ihr für Eures. Und jetzt kleidet Euch an und begebt Euch nach unten.“

Der eisige Zorn in seiner Stimme ließ sie wie erstarrt dastehen, während er den Raum verließ und die Tür mit solcher Wucht hinter sich zuschlug, dass die Fensterrahmen rappelten. Für einen Moment richtete sich Jocelyns Aufmerksamkeit auf einen gedämpften Streit vor ihrem Gemach, doch als die Stimmen leiser wurden, wusste sie, Connor und seine Begleiter hatten sich entfernt. Vor Angst zitternd, sank sie auf die Knie.

Wie lange sie dort auf dem Boden verharrte, wusste sie nicht, doch irgendwann bemerkte sie ein Flüstern und Tuscheln vor ihrer Tür. Sie rieb sich mit den Händen übers Gesicht, als wolle sie so die Furcht vertreiben. Danach riss sie sich zusammen und richtete sich wieder auf, auch wenn sie weiterhin zitterte. In dem hingeworfenen Bündel fand sie ein sauberes Unterkleid, ein Übergewand und Strümpfe. Nachdem sie sich einige Zeit mit den Schnüren abgemüht hatte, war sie endlich fertig angezogen. Sie beschloss, ein Stück eines karierten Stoffes als Schultertuch umzulegen, und erneut versuchte sie, ihr inneres und äußeres Beben in den Griff zu bekommen.

Nachdem sie einige Male tief durchgeatmet hatte, fühlte sie sich bereit, Connors Ruf zu folgen. Als sie die Tür öffnete, traf sie dort zu ihrer Überraschung auf Duncan und Ailsa. Letztere machte einen Knicks, und er verbeugte sich höflich, nachdem er sich für die Dauer ihrer Reise hierher immer nur von seiner respektlosen Seite gezeigt hatte.

„Der Laird bat mich, Euch in den Saal zu begleiten.“

„Gut“, sagte sie und wartete, dass er voranging.

„Vielleicht würden Schuhe den Weg etwas angenehmer machen.“ Bei diesen Worten deutete er auf ihr eigenes Paar Stiefel, das wieder sauber war und glänzte. „Ich denke, der Laird möchte seine Braut nicht mit bloßen Füßen empfangen.“

„Gut“, antwortete sie auch dieses Mal und bückte sich, um die Stiefel anzuziehen.

„Wartet, Mylady, ich werde Euch dabei helfen“, warf Ailsa ein.

Die tüchtige Dienstmagd benötigte nur wenige Augenblicke, dann hatte sie ihr die Schuhe angezogen, und Jocelyn war bereit. Nein, ganz so stimmte es nicht. Sie war zwar jetzt komplett eingekleidet, aber sie bezweifelte, dass sie jemals wirklich bereit sein würde für das, was sie dort unten im Saal erwartete. Sie hatte sich Connors Zorn zugezogen, als sie die Unversehrtheit ihres Bruders infrage stellte. Es war ein Gebot der Ehre, eine Geisel für die Dauer ihrer Haft nicht anzutasten, doch sie wusste nur zu gut, dass viele Geiseln misshandelt oder geschlagen wurden oder dass man sie einfach verhungern ließ. Der Gedanke, ihrem jüngeren Bruder könnte man etwas angetan haben, während sie von der Dienerschaft gebadet wurde und die Nacht in einem großen, bequemen Bett verbrachte, ließ ihr Tränen in die Augen steigen. Sie wusste: Sein Leben konnte sie nur retten, wenn sie ihren Teil der Vereinbarung erfüllte.

Duncan hielt ihr seinen Arm hin, und sie legte ihre Hand darauf, damit er sie führen und ihr Halt geben konnte. Sie zitterte immer noch und richtete deshalb ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Stufen, die sie im Geiste mitzählte. An der Treppe angelangt, ging ihr ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Waren dies die gleichen Stufen, auf denen Connors erste Frau zu Tode gekommen war?

Ihr kurzes Innehalten entging Duncan nicht. Er schien ihre Gedanken zu erahnen, denn er beantwortete ihre unausgesprochene Frage mit einem Kopfschütteln: „Nein, hier ist es nicht geschehen.“

„Ich … hörte …“ Sie wusste gar nicht, was sie erwidern sollte.

Duncan hatte aus seinem Missfallen keinen Hehl gemacht, als sie zuvor von der Bestie sprach. Wie würde er jetzt reagieren, nachdem sie zu erkennen gegeben hatte, dass sie auch mit dem Rest der schauerlichen Geschichte vertraut war?

„Er würde Euch auch nicht ihre Gemächer geben. Niemand hat sie seit ihrem Tod je wieder betreten.“

„Dann stimmt es also? Hat er sie getötet?“

Als sie daraufhin Duncans zornigen Blick bemerkte, stockte ihr der Atem, und sie zog ihre Hand zurück, da sie sich vor seiner möglichen Reaktion fürchtete. Bevor er jedoch darauf antworten konnte, mischte sich eine andere Stimme in ihr schwieriges Gespräch ein.

„Ich habe dich gebeten, meine Frau in den Saal zu bringen, Duncan. Du sollst mit ihr keine Besichtigung der Treppe veranstalten.“

3. KAPITEL

Connor stand einige Schritte von ihnen entfernt und beobachtete sie. Wieder hatte er die Arme vor der Brust verschränkt, und Jocelyn war sich sicher, dass er immer noch wütend auf sie war, weil sie an seiner Ehre gezweifelt hatte. Schließlich hielt er ihr aber den Arm hin, und sie kam schweigend zu ihm und hakte sich bei ihm unter. Danach führte er sie in den großen Saal, den sie jetzt zum ersten Mal genauer betrachten konnte – einschließlich der Menschen, die dort versammelt waren.

Diese Halle war wesentlich größer und befand sich in einem besseren Zustand als die auf der Burg ihres Vaters. Wie sehr die MacCallums das Glück verlassen hatte, war am Verfall der Festung ebenso abzulesen wie am Fehlen jeglicher Bequemlichkeit. Die drohende Armut hatte ihren Vater für MacLeries Angebot überhaupt erst empfänglich werden lassen.

Sie betraten den Saal von der rückwärtigen Seite, sodass sie an allen vorbeigehen mussten, die sich dort zum Frühstück versammelt hatten. Niemand lächelte sie an, niemand rief ihr etwas zu, und sie sah nur in fremde Gesichter. Es war unmöglich, diesen Menschen anzusehen, was in ihnen vorging, denn sobald Jocelyn in ihre Nähe kam, drehten sie sich demonstrativ weg.

Nie zuvor war ihr solche Ablehnung entgegengeschlagen. Fürchteten sich diese Menschen vor ihrem Laird, dass sie so beharrlich schwiegen? Brachten sie ihr genauso wenig Hochachtung entgegen, wie Connor es tat? Ihr schauderte, und unwillkürlich zog sie das Schultertuch enger um sich, als sie schließlich die auf einem Podest gelegene Tafel erreichten. Falls ihrem Mann ihr Unbehagen aufgefallen war, ließ er sich das nicht anmerken. Aber er nahm ja nicht mal Notiz von ihr, als sie Seite an Seite durch den Raum schritten, einzig grüßte er den einen oder anderen Anwesenden. An der Tafel angelangt, wartete er, bis sie ihren Platz gleich neben einem großen, kunstvoll geschnitzten Stuhl eingenommen hatte, der eindeutig für den Laird bestimmt war.

Während er seinen Arm sinken ließ, verstummte das Gemurmel im Saal, und er erklärte mit lauter Stimme: „Dies ist Lady Jocelyn MacCallum, die jetzt meine Ehefrau ist.“

Sie wartete, dass er ihre Vorstellung zu Ende brachte, doch das war nach diesem einen Satz bereits geschehen. Als sie sich zu ihm umdrehte, musste sie feststellen, dass er bereits auf seinem Stuhl saß. Was genau sie von ihm erwartet hatte, vermochte sie nicht zu sagen, doch diese Bekanntmachung war in jedem Fall enttäuschend, denn knapper hätte sie nicht ausfallen können. Sie sah die Leute an, die mit an dieser Tafel saßen, doch alle schauten rasch zur Seite. Da ihr klar wurde, dass sie durch ihr weiteres Stehenbleiben erst recht auf sich aufmerksam machte, setzte sie sich hin und zog ihren Hocker näher an die Tischkante. Auf MacLeries Zeichen hin brachten die Diener ihnen Tabletts mit Brot und Käse, dazu Krüge mit Wasser und Ale. Als Nächstes wurde jedem Einzelnen von ihnen eine Schale mit dampfendem Porridge serviert. Die Aromen der verschiedenen Speisen verteilten sich im Saal, und Jocelyns Magen knurrte in freudiger Erwartung einer Mahlzeit.

Ob ihr Ehemann davon etwas bemerkte, wusste sie nicht, da er einfach nur ein Stück Brot vom Laib abbrach und zu essen begann. Jocelyn wartete, die Hände verkrampft in den Schoß gelegt, während die anderen längst Connors Beispiel gefolgt waren. Ihr entging nicht, wie verstohlene Blicken sie unablässig musterten, während sie dann ebenfalls genießerisch einen Löffel von dem dicklichen Porridge nahm. Sie schluckte, und ihr Magen knurrte noch lauter als zuvor, woraufhin sie eine Hand auf ihren Bauch legte, als könnte sie so die Geräusche ersticken.

„Habt Ihr gestern Abend nicht genug gegessen?“, fragte Connor kauend.

„Nein, Mylord.“

„Ailsa sollte sich darum kümmern. Hat sie Euch keine Speisen gebracht?“

„Sie hat Eure Anweisung befolgt, Mylord, aber ich war wohl einfach so müde, dass es vor dem Einschlafen nur noch zu einem Bad gereicht hat.“

Mit einem Laut, der nach einem Brummen klang, nahm er ihre Antwort zur Kenntnis, weitere Fragen stellte er nicht. Plötzlich musste sie an ihren Bruder denken, und sofort verging ihr der Appetit. Der Löffel fiel scheppernd auf die Tafel, während sie sich vorstellte, wie er verletzt und hungrig in einer verdreckten Zelle wartete. Ihre Sorge schien man ihr anzusehen, da Connor stutzig wurde.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl? Euch ist eben alles Blut aus dem Gesicht gewichen.“ Er beugte sich vor und musterte sie aufmerksam.

Jocelyn wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Schon einmal hatte sie an diesem Tag ihre Befürchtungen um ihren Bruder zum Ausdruck gebracht – und damit Connors Ehre verletzt. Weitere Fragen in diese Richtung würde er zweifellos als erneuten Angriff auf seine Person deuten. Angesichts seines Rufs, dass er schnell beleidigt war und mit großer Härte seinen Namen verteidigte, hatte sie Angst vor dem, was er womöglich mit ihr anstellen würde, sollte sie das aussprechen, was ihr auf der Zunge brannte.

Sie wusste nicht, wodurch er ihre Gedanken erriet, die durch ihren Kopf gingen. Auf jeden Fall stand er im nächsten Moment schneller auf, als sie es ihm zugetraut hätte, wobei er seinen Stuhl umwarf. Während der mit lautem Knall auf den Boden aufschlug, packte Connor ihr Handgelenk und zog sie von ihrem Hocker hoch. Ohne ein erklärendes Wort zog er sie hinter sich aus dem Saal und durch einen Gang, der in den hinteren Teil der Burg führte.

Die Luft erschien ihr umso schwerer und feuchter, je weiter sie in diesem vorankamen. Jocelyn konnte nicht sehen, was sich vor ihnen befand, zu dunkel war es hier. Daher hatte sie auch keine Ahnung, wie weit sie noch gehen würden. Plötzlich wurde Connor langsamer. Sie stiegen eine Treppe nach unten.

Wohin brachte er sie? Hatte sie durch ihr wiederholtes Aufbegehren ihr Leben verwirkt? Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien.

„Ich will nicht annehmen, dass Ihr Euch jedem meiner Worte und jeder meiner Handlungen widersetzen werdet, Frau. Ihr seid wie ein Hund, der an einem saftigen Knochen knabbert. Ihr gebt erst auf, wenn man Euch dazu zwingt.“

„Mylord …“, begann sie.

„Das ist das allerletzte Mal, dass ich Euch gegenüber solche Nachsicht walten lasse.“

Mit diesen Worten packte er sie an den Schultern und schob sie vor sich her, bis sie in eine kleine Zelle schauen konnte. Das Verlies. Ihr Bruder! Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte durch das Gitter. Dann sah sie ihren Bruder in der gegenüberliegenden Ecke auf einer Strohmatte liegen. Sie rief seinen Namen, doch er rührte sich nicht.

„Ihr habt nur kurze Zeit, mehr nicht.“ Connor wandte sich nun einem Wachmann zu, der ihr bis dahin nicht aufgefallen war: „Duff, du bringst die Lady zurück in den Saal, sobald die Zeit um ist. Und sie bleibt auf dieser Seite der Tür. Lass sie nicht in die Zelle.“

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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