Der Kuss der wilden Rose

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Ein Schlossgarten für die Prinzessin: Doch leider braucht Gärtnerin Lotte Rosenblad ausgerechnet Lorenz Bengtsson für dieses Projekt! Er war ihre große Liebe, die mit einer Enttäuschung endete. Aber warum sehnt sie sich dann immer noch so sehr nach ihm?


  • Erscheinungstag 01.02.2013
  • ISBN / Artikelnummer 9783862789733
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Pia Engström

Mittsommerhochzeit – Der Kuss der wilden Rose

Roman

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH

Originalausgabe

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-86278-973-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

PROLOG

Damals

Die Kronprinzessin von Schweden stand neben ihren Eltern und ihren jüngeren Geschwistern auf dem Balkon des Kungliga Slott in Stockholm. Die sandsteinfarbene Fassade des imposanten Gebäudes hob sich gegen den strahlendblauen Sommerhimmel ab. Die Familie winkte ihren versammelten Untertanen zu, die sich in den Straßen rund um das Schloss versammelt hatten. Anlässlich des Nationalfeiertags am 6. Juni flatterten Fähnchen und Wimpel in den schwedischen Landesfarben im Wind.

Die vierzehnjährige Lotte Rosenblad hatte bereits geahnt, dass es Schwierigkeiten geben würde, als ihre Lehrerin ihr ein Foto reichte, über das sie einen Aufsatz zum Thema “Mein Schweden” schreiben sollte. Ausgerechnet über die königliche Familie! Lotte gehörte nicht zu der Sorte von Mädchen, die lächelnd einfach das sagten, was die Erwachsenen gern hören wollten. Sie schrieb den verlangten Aufsatz – und zwar so, wie sie wirklich dachte. Entsprechend schlecht fiel die Note aus, die sie dafür bekam.

Es war so ungerecht! Ihr Aufsatz war gut, auch wenn sie darin eine andere Ansicht vertrat, als man von ihr erwartete. Aber Lotte dachte gar nicht daran, sich in irgendwelche Schubladen stecken zu lassen. Dazu liebte sie ihre Freiheit einfach viel zu sehr.

Sie steckte das Heft mit dem Aufsatz und der Fotografie zurück in ihren Rucksack, stieg auf ihr Fahrrad und trat in die Pedale, um zu ihren beiden älteren Schwestern Milla und Noelle aufzuschließen. Die beiden hatten bereits einen beachtlichen Vorsprung. Links des Pfades begann der Wald, kühl und schattig, während sich zu Lottes Rechten, so weit das Auge reichte, endlose saftig grüne Wiesen und goldene Weizenfelder erstreckten. Die Sonne stand noch niedrig am Himmel, doch man konnte bereits erahnen, dass dem nordschwedischen Forsjö-Tal ein schöner, sonniger Tag bevorstand.

An einer Abzweigung folgten die drei Rosenblad-Schwestern dem Weg, der in den Wald hineinführte. Sie fuhren zu der Stelle, an der sie sich bereits zweimal versammelt hatten – zu Millas und Noelles vierzehntem Geburtstag.

Heute war Lottes großer Tag. Sie würde es ihren älteren Schwestern gleichtun, den feierlichen Eid ablegen und einen Gegenstand als Symbol in die kleine Metallkiste legen, die sie unter der alten Eiche im Wald vergraben hatten. Ein Symbol für das, was sie in ihrem Leben auf gar keinen Fall wollten.

In Lottes Fall handelte es sich um ihr Aufsatzheft. Es stand dafür, dass sie sich nie verbiegen lassen, niemals ihre Meinung verheimlichen wollte, nur weil sie damit möglicherweise aneckte.

Ihr großer Traum war es ohnehin, Schweden eines Tages zu verlassen. Südamerika, ja, dort wollte sie irgendwann einmal leben.

Doch der Tag, an dem sie sich entscheiden musste, entweder ihr großes Ziel zu verfolgen oder auf die Stimme ihres Herzens zu hören, lag noch in weiter Ferne …

1. KAPITEL

Vierzehn Jahre später –
zwei Jahre nach der königlichen Hochzeit …

“Jetzt nur nicht in Panik geraten”, versuchte Lotte Rosenblad sich selbst Mut zuzusprechen. “Du schaffst das!”

Sie stand an der Reling des Motorboots, das sie vom Festland zu der kleinen schwedischen Ostseeinsel Kärlekholmen brachte. Möglicherweise die Insel ihrer Träume – oder aber auch die ihrer Albträume, je nachdem, wie sich alles für sie entwickelte.

Der Wind spielte mit ihrem kupferfarbenen Haar, während das Boot durch das glitzernde Wasser schoss und eine Spur weißer Gischt hinter sich herzog. Es war ein traumhafter Sommertag. Die Sonne strahlte, und es war trotz des Fahrtwinds, der ihr ins Gesicht schlug, herrlich warm.

Dennoch konnte Lotte sich nicht wirklich daran erfreuen. Düstere graue Wolken hätten viel eher ihrer augenblicklichen Stimmung entsprochen.

Seufzend fuhr sie sich mit der Hand über die Augen und versuchte für einen Moment all die Sorgen und Probleme zu verdrängen, die sie in letzter Zeit ständig mit sich herumschleppte. Dies war womöglich ihre große Chance, alles wieder ins Reine zu bringen. Trotzdem konnte sie sich nicht so recht darauf freuen. Sie hatte ja keine Ahnung, was sie auf Kärlekholmen erwartete. Welche Ansprüche würde man an sie stellen? Und war sie überhaupt in der Lage, diese zu erfüllen?

Unsinn! Sie beherrschte ihren Job, und das wusste sie auch. Sonst hätte man ihr wohl kaum dieses Angebot unterbreitet und …

Der Klingelton ihres Handys riss sie aus ihren fruchtlosen Grübeleien. Sie warf einen Blick aufs Display und erkannte die Nummer ihrer Freundin und Mitbewohnerin Clarissa, die in Deutschland geblieben war, um sich um Lottes Gärtnerei zu kümmern.

Als ob das nötig wäre, so wie die Geschäfte derzeit liefen …

“Hej”, meldete sie sich gespielt fröhlich. “Hast du etwa schon Sehnsucht nach mir?”

“Vorhin war ein Geldeintreiber hier”, sprudelte es aufgeregt aus Clarissa heraus. “Als ich ihm sagte, dass du nicht da bist, ist er wieder abgezogen, aber er wird garantiert wiederkommen.” Sie atmete zitternd ein. “Mir ist echt nicht wohl bei der Sache. Was soll ich denn machen, wenn er nicht locker lässt?”

Lotte holte tief Luft. “Jetzt beruhige dich erst mal”, bat sie. “Und dann erzähl noch einmal genau, was eigentlich passiert ist.”

Mit jedem Satz, den Clarissa sagte, sank Lottes Stimmung weiter dem Nullpunkt entgegen. Sie hatte ja gewusst, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, aber dass es schon so schlimm stand …

Vor zwei Jahren hatte sie endlich ihren großen Traum in Angriff genommen und ihr Heimatland Schweden verlassen. In Deutschland betrieb sie seitdem eine kleine Gärtnerei, die auch recht gut anlief – bis zu dem Tag, an dem sie den größten Fehler ihres Lebens beging. Lotte stellte jemanden ein, der ihr zum Dank für ihr Vertrauen das Bankkonto leer geräumt und mit ihrem gesamten Vermögen das Weite gesucht hatte.

Nein, korrigierte sie sich selbst. Dies war ihr zweitgrößter Fehler. Der allergrößte lag schon länger zurück. Fünf Jahre, um genau zu sein. Damals hatte sie ebenfalls einem Mann vertraut, wenn auch in völlig anderer Hinsicht, und es kurze Zeit später bitter bereuen müssen.

Lorenz …

Sie schüttelte den Kopf, weil sie jetzt lieber nicht darüber nachdenken wollte. Das Thema Lorenz gehörte endgültig der Vergangenheit an, sie würde ihn nie wiedersehen, und das war gut so.

Energisch lenkte sie ihre Gedanken wieder in die Gegenwart. Deutschland hatte auf ihrer großen Reise eigentlich nur die erste Station von vielen sein sollen. Sie hatte so viele Pläne gehabt! Die ganze Welt wollte sie sehen und dann nach Brasilien gehen, um dort endlich die Parks und Gärten zu gestalten, von denen sie schon ihr ganzes Leben lang träumte.

Doch wie es aussah, war gleich die erste Station zur Endstation geworden.

“Hör zu”, informierte sie Clarissa. “Ich regle das alles, sobald ich wieder zurück bin. Und wenn noch einmal einer von diesen Kerlen in der Gärtnerei auftaucht, rufst du mich sofort an, verstanden?”

Lotte beendete das Gespräch und schloss gequält die Augen. Ihre Knie waren plötzlich ganz weich, und ihr Herz hämmerte wie verrückt. Was sollte sie nur tun? Sie besaß keinerlei finanzielle Rücklagen mehr, und selbst wenn alles optimal lief, würde sie kaum vor Ablauf des Monats wieder über Geld verfügen. Ob sich ihre Gläubiger in Deutschland so lange vertrösten ließen? Sie konnte es nur hoffen.

Eines stand jedenfalls fest: Sollte es ihr nicht gelingen, die Aufgabe, für die sie zurück nach Schweden gekommen war, zu erfüllen, brauchte sie sich keine Hoffnungen mehr zu machen. Dann war alles aus.

Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sie Kärlekholmen fast erreicht. Wie ein grünes Juwel ragte die kleine Insel aus den blaugrauen Fluten der Ostsee. Über die Wipfel der Bäume hinweg konnte sie einen ersten Blick auf Kärlekholmen Slott erhaschen – dem Schloss, das in den nächsten Wochen ihr neuer Wirkungskreis sein würde und das geradewegs einem Märchenbuch entsprungen zu sein schien. Die Fassade schimmerte in einem zarten Rosa, und fast das gesamte untere Stockwerk des dreigeschossigen Hauptgebäudes bedeckten üppig blühende Kletterrosen. Vier schlanke Türme, deren blaugrüne Kupferdächer im strahlenden Sonnenschein schimmerten, begrenzten den Mittelbau. Ein großer Schlossgarten umgab die Gebäude. Jahrzehntelang in Vergessenheit geraten, sollte er jetzt im Auftrag der königlichen Familie wieder zu neuer Pracht erweckt werden.

Lotte holte tief Luft. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass ausgerechnet sie für das schwedische Königshaus arbeiten sollte. Wo sie doch die Monarchie für das beste Beispiel einer hoffnungslos altmodischen und verstaubten Institution hielt. Was für eine Ironie des Schicksals!

Nachdem sie Schweden vor zwei Jahren endgültig den Rücken gekehrt hatte, war sie fest entschlossen gewesen, nie wieder zurückzukehren. Doch nun war sie wieder da, und es gab keinen Grund, sich darüber zu beklagen. Denn dieses Angebot gab ihr die einmalige Chance, ihre Existenz zu retten, und sie konnte es sich nicht erlauben, wählerisch zu sein. Wenn sie hier scheiterte, würde ihr keine andere Wahl bleiben, als ihre Träume endgültig zu begraben.

Dann müsste sie Deutschland verlassen, für immer zurück nach Schweden kommen und ihren Eltern gegenüber eingestehen, versagt zu haben.

Doch das wollte sie nicht, und genau deshalb hatte sie die Chance dankbar ergriffen.

Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass alles gut lief.

“Gleich sind wir da, fröken”, rief Henner, der Kapitän des Motorboots. Er war ein alter Schwede mit wettergegerbter Haut und hellblauen Augen, der immer wieder mit einer Hand unter seine marineblaue Schiebermütze fasste, um sich am Kopf zu kratzen. “Wenn Sie mir die Frage erlauben: Was will eine so bezaubernde junge Dame wie Sie auf diesem gottverlassenen Steinbrocken mitten im Meer?”

Lotte lachte leise. “Mir eine neue Zukunft aufbauen”, erwiderte sie und wurde gleich wieder ernst. “Zumindest mit ein bisschen Glück.”

Darauf brummte der alte Schwede irritiert, hakte jedoch nicht weiter nach. Lotte wandte ihren Blick wieder Kärlekholmen zu und beschirmte die Augen mit der Hand gegen die blendende Sonne. Sie sah eine Person am Ende des Anlegestegs, von der sie allerdings lediglich Umrisse erkennen konnte.

Das wird dann wohl mein Begrüßungskomitee sein …

Henner legte an und half ihr von Bord. Dann reichte er Lotte ihren Koffer.

“Na dann, alles Gute und viel Glück!”, verabschiedete er sich freundlich.

“Tack!”, bedankte sie sich lächelnd. “Das kann ich brauchen!”

Noch einmal winkte sie ihm mit der freien Hand zu, dann drehte sie sich um und ging den Steg hinunter. Noch immer blendete sie die Sonne, und sie wusste nicht, wer sie am anderen Ende des Anlegers erwartete. Allerdings wunderte sie sich schon ein wenig darüber, dass die Person ihr nicht entgegenkam, um ihr mit dem schweren Koffer zu helfen. Aber vielleicht erwartete sie auch einfach zu viel.

Inzwischen hatte sie das Ufer beinahe erreicht. Irritiert blinzelte sie gegen die Sonne an. Etwas an der Person vor ihr kam ihr merkwürdig bekannt vor.

Kein Zweifel, es handelte sich um einen Mann. Und die Art und Weise, wie er die Hände in den Taschen vergrub, die leicht zur Seite geneigte Haltung … Nein, unmöglich! Die Person, an die sie unwillkürlich dachte, konnte es nicht sein.

Und dennoch, für einen kleinen Moment …

“Willkommen auf Kärlekholmen”, sagte eine tiefe raue Stimme, in der kaum verhohlene Feindseligkeit mitschwang. “Schauen Sie sich ruhig um – und dann kehren Sie am besten gleich wieder dorthin zurück, wo Sie hergekommen sind!”

Unwillkürlich zuckte Lotte zusammen. Was sollte das? Diese Stimme …

Nein, dachte sie entsetzt. Das kann nicht sein. Das darf einfach nicht sein!

In diesem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne – und beseitigte auch den letzten Zweifel.

Vor Schreck glitt ihr der Griff des Koffers aus der Hand.

“Lorenz!”

“Lotte?” Ungläubig starrte Lorenz die Frau an, die gerade mit dem Motorboot vom Festland angekommen war. Zuerst hatte er ihr Gesicht nicht richtig erkennen können, da sie mit einer Hand ständig ihre Augen beschirmte. Dann war er im ersten Moment überzeugt gewesen, sich zu täuschen, aber nun, als sie direkt vor ihm stand, gab es keine andere Möglichkeit mehr: Es war Lotte.

Seine Lotte!

Wie lange mochte es her sein, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten? Das musste er sich jedoch gar nicht fragen, denn er wusste es genau. Fünf Jahre und einen Monat – eine unendlich lange Zeit.

Sie war noch immer wunderschön. Nein, sogar noch schöner als früher. Ihr kupferfarbenes Haar, das im goldenen Sonnenlicht schimmerte, fiel ihr in weichen Wellen bis auf die Schultern, und die türkisfarbenen Augen glänzten wie das Meer an einem sonnigen Sommertag.

Er hatte sie nie vergessen können. Wie auch, schoss es ihm durch den Kopf. Dann, mit einem Mal, schwang seine Stimmung um. Der winzige Anflug von Freude über das unerwartete Wiedersehen wich einer grenzenlosen Wut.

Wut, die einzig und allein dieser Frau galt, der er nie mehr hatte begegnen wollen. Die ihm das Schlimmste angetan hatte, was eine Frau einem Mann antun konnte.

“Was hast du hier zu suchen?”, machte er seinem Ärger Luft. “Kärlekholmen ist in Privatbesitz, unbefugtes Eindringen ist strengstens verboten. Ich könnte die Polizei rufen, ist dir das eigentlich klar?”

Lotte verschränkte die Arme vor der Brust, und ihre Augen verengten sich. “Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich werde erwartet. Doch wenn ich gewusst hätte, dass ich ausgerechnet dich hier treffe …”

“Was soll der Unsinn? Du wirst ganz bestimmt nicht erwartet! Heute soll niemand mehr kommen, außer …” Als sich die einzelnen Puzzleteilchen plötzlich zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügten, verstummte er. Der Schock hätte größer nicht sein können. “Nein, nicht ausgerechnet du! Sag, dass das nicht wahr ist!”

Auch Lotte schien eins und eins zusammengezählt zu haben und erbleichte. “Heißt das etwa, du bist der Gartenarchitekt, mit dem ich zusammenarbeiten soll?”

Lorenz konnte es nicht fassen. Vor nicht einmal einer Stunde hatte Viggo Tjaderborg, der Verwalter der königlichen Güter, ihm völlig unerwartet eröffnet, dass er einen Landschaftsgärtner eingestellt hatte. Dieser solle ihn bei der Arbeit unterstützen und sei bereits auf dem Weg hierher.

Unterstützen! Allein bei dem Gedanken stieg heiße Wut in Lorenz hoch. Er brauchte niemanden! Jeder, der ihn kannte, wusste, dass er grundsätzlich immer allein arbeitete. Er eignete sich nun mal nicht besonders gut zum Teamplayer, auch wenn er sich ansonsten für ziemlich flexibel hielt. So konnte er sich auf die verschiedensten Situationen einstellen. Und wenn einmal etwas Unerwartetes eintraf, gelang es ihm nahezu meisterhaft, solche Zwischenfälle zu bewältigen.

Nur eine Voraussetzung musste stets erfüllt sein: dass man ihm niemanden zur Seite stellte, mit dem er sich die Kompetenzen teilen sollte. Selbst wenn es sich dabei lediglich um einen Landschaftsgärtner handelte, der ihm nur zuarbeiten würde.

Er war eben der geborene Einzelgänger. Der letzte Versuch, mit jemandem zusammenzuarbeiten, hatte in einer persönlichen und privaten Katastrophe geendet.

Ausgerechnet sein eigener Vater war dabei betroffen gewesen …

Lorenz seufzte. Nach dem Gespräch mit Tjaderborg war er sofort zum Bootsanleger geeilt, um von Anfang an klarzustellen, dass er keineswegs für eine kollegiale Zusammenarbeit zur Verfügung stand. Er brauchte keinen Kollegen, der ihm in seine Arbeit hineinredete – und ganz gewiss keine Kollegin!

Wen er aber als allerletztes auf Kärlekholmen gebrauchen konnte, war Lotte Rosenblad!

Eine Zusammenarbeit mit ihr konnte nur in einem Desaster enden. Am liebsten hätte er das Motorboot zurückbeordert, damit es sie auf der Stelle wieder zum Festland brachte.

Doch dazu war es leider zu spät.

“Was ist denn nun?”, riss Lotte ihn aus seinen Gedanken. “Bringst du mich jetzt zum Schloss?”

“Vergiss es!”, stieß er wütend aus. “Wenn du schlau bist, fährst du gleich morgen mit dem nächsten Boot dorthin zurück, wo du hergekommen bist. Hier ist jedenfalls kein Platz für dich!”

Mit diesen Worten drehte er sich entschlossen um und ließ sie einfach stehen.

2. KAPITEL

“Lorenz!” Nachdem Lotte den ersten Schock überwunden hatte, schnappte sie sich ihren Koffer und lief dem Mann hinterher, den sie am allerwenigsten auf der ganzen Welt hatte wiedersehen wollen. “Verdammt, Lorenz, was soll das? Du kannst doch jetzt nicht einfach so abhauen!”

Doch er war bereits im Wald, der das Ufer säumte, verschwunden. Also blieb Lotte frustriert und verärgert zugleich zurück. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Was bildete er sich ein, so mit ihr umzuspringen? Nach allem, was er ihr angetan hatte, wäre eine Entschuldigung fällig gewesen! Das fand sogar ihre Schwester Milla, die immerhin viele Jahre eng mit ihm befreundet gewesen war. Sein rücksichtsloses Verhalten rundete das Bild von ihm, das Lotte im Laufe der Jahre gewonnen hatte, eigentlich nur ab. Er war ein Egoist, der immer nur an eines dachte: an sich selbst!

Ausgerechnet mit ihm sollte sie in den kommenden Wochen zusammenarbeiten? Wie sollte das funktionieren?

Sie stellte den Koffer ab, setzte sich auf ihn und barg das Gesicht in den Händen. Schlimmer hätte es wirklich nicht kommen können. Warum gerade Lorenz?

Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um in Selbstmitleid zu baden. Sie musste an die Zukunft denken, nicht an die Vergangenheit. Dies war ihre große Chance, alle Probleme auf einen Schlag zu lösen, und die würde sie sich von nichts und niemandem kaputt machen lassen.

Schon gar nicht von einem unzuverlässigen und rücksichtslosen Mann wie Lorenz Bengtsson!

Da offenbar niemand mehr kommen würde, um sie abzuholen und zum Schloss zu bringen, beschloss sie, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Von neuer Entschlossenheit erfüllt, stand sie auf, nahm den Koffer und folgte dem schmalen Pfad, der durch ein kleines Waldstück führte. Golden sickerte das Sonnenlicht durch die Kronen der Bäume. Am Wegesrand blühten blaue Kornblumen und leuchtend roter Klatschmohn. Die Luft roch nach Erde, Meer und süßem Jasmin.

Und dann tauchte Kärlekholmen Slott vor ihr auf, und sie holte tief Luft.

Wie in einem Märchen …

Stolz ragten die vier von Zwiebelkuppeln gekrönten Türme des Schlosses in den strahlendblauen Sommerhimmel, und die zahllosen weiß umrahmten Fenster des Hauptgebäudes glitzerten im Sonnenlicht.

Kletterrosen rankten fast bis unter das geschwungene Dach aus blaugrünem Kupfer empor. Es war ein traumhafter Anblick. Genau so hatte sie sich als kleines Mädchen ein echtes Märchenschloss vorgestellt.

Fast rechnete sie damit, dass jeden Moment ein Ritter hoch zu Ross aus dem Unterholz brechen würde, um sie in sein Zauberreich zu entführen. Dabei glaubte sie schon lange nicht mehr daran, dass es so etwas wie einen Traumprinzen tatsächlich gab.

Nicht, nachdem Lorenz sie einfach …

Unwillig schüttelte sie den Kopf. Du wolltest doch nur noch nach vorn blicken, rief sie sich in Erinnerung.

“Lotte? Lotte Rosenblad?”

Der Mann, der ihr ziemlich außer Atem entgegenkam, entsprach gewiss nicht ihrer Vorstellung vom Traumprinzen, an den sie eben beim Anblick des Schlosses noch gedacht hatte. Er war Mitte bis Ende fünfzig und trug einen dichten weißgrauen Vollbart, der gut und gern sein halbes, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht bedeckte. Sein Lächeln war so einnehmend, dass er Lotte auf Anhieb sympathisch war. An seiner Seite trottete ein großer dunkler Hund, der bei Lottes Anblick freudig mit dem Schwanz wedelte. “Mein Name ist Petter. Petter Svensson, und das ist mein Hund Odin. Ich bin hier so etwas wie der Hausmeister und sollte Sie eigentlich abholen, aber ich komme wohl etwas zu spät.” Er holte tief Luft. “Välkommen auf Kärlekholmen!”

Dabei reichte er ihr die Hand, und Lotte lächelte erleichtert. Diese freundliche Begrüßung versöhnte sie fast damit, dass es sich bei dem ersten Menschen, dem sie auf Kärlekholmen begegnet war, ausgerechnet um Lorenz Bengtsson gehandelt hatte. “Tack så mycket!”, bedankte sie sich. “Ich freue mich, Sie kennenzulernen!”

“Sie müssen von der Anreise ziemlich erschöpft sein. Kommen Sie”, sagte er und nahm ihr den Koffer ab. “Ich bringe Sie zum Schloss und zeige Ihnen das Gästezimmer, in dem Sie für die Dauer Ihres Aufenthalts wohnen werden.”

Lotte nickte. Wieder kam ihr Lorenz in den Sinn. Bei dem Gedanken daran, ihn schon bald wiedersehen zu müssen, stieg ein beklemmendes Gefühl in ihr auf. Gleichzeitig war ihr klar, dass sie sich ihm früher oder später stellen musste. Aber jetzt galt es erst einmal, all die neuen Eindrücke, die auf sie einstürzten, zu verarbeiten.

Während Petter sie durch den Schlosspark führte, bekam sie einen ersten Eindruck von dem, was sie in den nächsten Wochen erwarten würde: eine Menge knochenharter Arbeit.

Dass die Gärten von Kärlekholmen Slott in keinem besonders guten Zustand waren, hatte sie natürlich gewusst. Dass sie allerdings so verwildert sein würden, damit hatte sie nicht gerechnet.

Die großen Hoffnungen, mit denen sie vor zwei Tagen in Deutschland aufgebrochen war, schwanden. Ihr blieben nur wenige Wochen, um den Auftrag zu erfüllen, Kärlekholmen Slott Gården in einen traumhaften Landschaftsgarten zu verwandeln. Es mangelte keinesfalls an Potenzial – aber waren all diese Arbeiten in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand, überhaupt zu bewältigen?

Autor

Pia Engström

Pia Engström liebt schon seit ihrer Kindheit das wunderschöne Schweden. In weiten Wäldern, zwischen Seen und Elchen, an der frischen Luft fühlt sie sich noch immer wohl, und das spiegelt sich wider in den wildromantischen Schauplätzen von Pia Engströms Romanen.

Auch das Schreiben gehört zu Pia Engströms wichtigsten Leidenschaften, die...

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