Der verbotene Kuss des Wikingers

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Lady Annis muss um jeden Preis verhindern, dass der stolze Wikinger Rurik entdeckt, wer seinen Vater ermordet hat – und was ihre Familie damit zu tun hat! Um ihn von weiteren Nachforschungen abzuhalten, lockt sie Rurik mit einer List in die Falle. Eingesperrt im Keller ihrer Burg kann er ihr nicht mehr gefährlich werden! Doch sie hat nicht mit seiner erregenden Anziehungskraft gerechnet, der sie bald immer weniger widerstehen kann. Gegen jede Vernunft lässt sie sich von Rurik zu leidenschaftlichen Küssen verführen. Auch wenn sie fürchten muss, dass er sie nur benutzt, um seine Rachegelüste zu stillen …


  • Erscheinungstag 09.08.2022
  • Bandnummer 379
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507516
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Königreich Maerr, Norwegen, 874 n. Chr.

Eigentlich hätten sie eine Hochzeitsfeier vorfinden sollen, stattdessen stießen sie auf die Überreste eines Massakers. Brandgeruch hatte schon schwer in der Luft gelegen, lange bevor Rurik sein Pferd auf der Anhöhe zum Stehen brachte. Von dort aus starrte er ungläubig auf das Bild, das sich ihm im Tal bot. Maerr war vom Chaos heimgesucht worden, so als hätte eine Völva, eine Seherin, ihre finstere Magie eingesetzt und sein wunderschönes Zuhause in einen Hort aus Tod und Schmerz verwandelt. Dabei waren nur ein paar Stunden vergangen, seit sie aufgebrochen waren.

Sein ältester Halbbruder Brandt hielt sein Pferd gleich neben seinem an. „Welcher Wahnsinn hat hier getobt?“, flüsterte er mit Ehrfurcht in der Stimme, die sich einstellt, wenn das Grauen einer Situation die Vorstellungskraft übersteigt.

Rauch hing über dem Tal, Asche schwebte vom Himmel. Von irgendwoher war Wehklagen zu hören, doch Rurik vermochte nicht zu sagen, ob die auf der Lichtung verstreut liegenden Leiber tot waren oder nicht. Der schwache Sonnenschein des Nachmittags spiegelte sich im blaugrauen Wasser des Fjords und ließ ihn darauf aufmerksam werden, dass dort kein Mensch zu sehen war. Die Mörder hatten die Hochzeit seines Bruders Alarr in ein Blutbad verwandelt und offenbar die Flucht ergriffen.

Lebten seine Brüder noch? Alarr, Sandulf und Danr waren hiergeblieben, während Rurik gemeinsam mit Brandt zu einem benachbarten Dorf geritten war, um dort einen größeren Streit zu schlichten. Waren sie auf sich allein gestellt vom Tod überrascht worden? Oder befanden sie sich unter den Lebenden?

Als sein Herz, das für einen Moment wie gelähmt schien, wieder zu schlagen begann und das Blut in einem stürmischen Rhythmus durch seine Adern gepumpt wurde, brüllte Rurik seine ganze Wut und Angst hinaus. Dann folgte er Brandt nach Maerr, dicht hinter ihm eine Handvoll Krieger. Zorn überkam ihn und ließ seine Haut kribbeln. Da kein Gegner in Sichtweite war, konnte er nicht anders, als diese Wut gegen seinen Vater zu richten. Dessen Berater hatten ihn eindringlich davor gewarnt, so viele Krieger zur Hochzeit einzuladen, darunter auch einige ehemalige Feinde, die erst vor Kurzem zu Verbündeten geworden waren. Viele von ihnen waren für die Familie noch immer Fremde und stellten damit eine mögliche Bedrohung für sie dar.

Doch König Sigurd hatte davon nichts wissen wollen. Er strebte so sehr nach Macht, dass er auf keinen der gut gemeinten Ratschläge seiner Vertrauten hören wollte. Wenn es ihm gelang, die verschiedenen Gruppen zur Zusammenarbeit zu bewegen, konnte er so sehr an Einfluss gewinnen, dass er in der Lage sein würde, es mit König Harald Schönhaar aufzunehmen. Zumindest glaubte er das.

Sein Vater war über alle Maßen ehrgeizig, was ihn nun womöglich das Leben gekostet hatte.

Das Verlangen zu kämpfen trieb Rurik an, ein Verlangen, das er von Sigurd geerbt hatte und das sich nur schwer bändigen ließ. Er presste die Lippen zusammen und trieb sein Pferd zur Eile an, sodass er gleichzeitig mit Brandt die Lichtung erreichte.

„Wo ist Ingrid?“, rief Brandt seinem jüngsten Bruder Sandulf zu, der ihnen entgegengelaufen kam. Die Kleidung des Jungen, der schon bald ein Mann sein würde, war blutverschmiert, doch Rurik konnte nicht erkennen, ob es Sandulfs Blut oder das eines anderen Kriegers war.

Mit einem Schwung sprang er von seinem Pferd und lief zu Sandulf und Brandt. „Brandt, ich muss dir etwas sagen“, flüsterte Sandulf, gerade als Rurik dazukam. Seine Stimme zitterte.

Doch Brandt hörte ihm nicht zu, da sein Blick auf eine weiter entfernte Stelle gerichtet war. Rurik folgte der Richtung, in die sein älterer Bruder sah, und entdeckte mehrere Tote, die dort aufgereiht lagen. Rurik schaute zu jedem von ihnen nur flüchtig hin, weil er lieber niemanden wiedererkennen wollte, der ihm lieb und teuer war. Die letzte reglose Gestalt in der Reihe war von einer Flut goldblonden Haars umgeben, das, anders als das Kleid der Frau, vom Blut einer tiefen Wunde verschont geblieben war. Rurik musste nicht erst das Gesicht sehen, er wusste auch so, dass diese Tote Brandts schwangere Ehefrau war. Übelkeit überkam ihn, als er hörte, wie Brandt all seinen Schmerz hinausschrie.

Im Geiste sah er Ingrid noch so wie wenige Stunden zuvor, lächelnd und mit sanftem Ausdruck in den Augen, während sich Brandt über sie beugte, sie gegen die Mauer drückte, grinste und sie dann küsste … der letzte Kuss der beiden.

Mit ihrer Stimme so hell und klar wie Musik hatte sie ihnen hinterhergerufen, dass sie auf sich aufpassen sollten, aber keiner von ihnen war auf die Idee gekommen, diese warnenden Worte zurückzugeben. Andererseits hatte sie sich daheim im Kreis der Krieger ihres Vaters aufgehalten, wo sie eigentlich in Sicherheit hätte sein sollen.

Sandulf wollte Brandt folgen, doch Rurik hielt ihn zurück, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Lass ihn in Ruhe“, sagte er mit rauer Stimme, während in seinem Inneren der Zorn die Oberhand über seine Benommenheit gewann.

Als Sandulf innehielt, konnte Rurik ihn genauer betrachten und dabei feststellen, dass der Junge nur kleinere Verletzungen davongetragen hatte. Er schien eine Schulter zu schonen, und am Kopf war eine Schnittwunde zu sehen, die mit verkrustetem Blut überzogen war. Trotz seines jugendlichen Alters hatte der Junge schon einmal eine Schlacht miterlebt.

Unwillkürlich fragte sich Rurik, wieso Sandulf nicht schwerer verletzt war, da er doch in den Kampf involviert wurde. „Was ist geschehen?“, fragte er ihn.

Der Junge, bleich und sichtlich erschüttert, antwortete leise: „Sie gingen alle in die Halle und sperrten die Türen hinter sich zu. Ich habe noch versucht …“ Er musste schlucken, so als sei die bloße Schilderung für ihn eine Qual. „Vater ist tot, Rurik.“

Abrupt drehte sich Rurik zu den Toten um, die am Rand der Lichtung lagen. Wenn Sigurd tot war, gab es für Rurik keine Hoffnung mehr auf eine Aussöhnung. Sie hatten sich nie gut verstanden, doch Rurik hatte es nie für möglich gehalten, dass ihm die Gelegenheit zur Versöhnung genommen werden könnte. Sein Blick wanderte zu einem Toten am anderen Ende der Reihe, ein Mann, dessen breite Schultern etwas Vertrautes hatten. Ein Stich ging durch Ruriks Brust, der seinen Atem stocken ließ.

Sandulf packte ihn fast verzweifelt am Arm. „Ich habe versucht, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Ich habe einen von ihnen markiert.“

Rurik hätte hier sein sollen, um eingreifen zu können, doch stattdessen war er nach Norden geschickt worden. Er hätte die Ereignisse aufhalten sollen, dann hätte Ingrids Leben nicht in den Händen dieses Jungen gelegen. Es war nicht angebracht, das zu sagen, doch Rurik konnte die Worte nicht zurückhalten: „Nur markiert? Warst du nicht in der Lage, einen von denen zu töten?“

Er ging weg, bevor Sandulf antworten konnte. Rurik musste seinen Zwillingsbruder Danr sowie Alarr finden. Sie waren alles, was ihm von seiner Familie geblieben war. Die Einzigen, die ihm wirklich noch wichtig waren. Als er Alarr entdeckte, lag der in einer Lache seines eigenen Bluts.

Rurik eilte zu ihm und kniete sich neben ihn hin. „Wo bist du verwundet worden, Bruder?“

„Gilla“, krächzte Alarr mit heiserer Stimme, so als hätte er Stunde um Stunde nach seiner Braut geschrien. Er schien nur wenig von dem mitzubekommen, was sich um ihn herum abspielte. Sein Blick wanderte umher, ohne sich auf einen Punkt konzentrieren zu können.

Jemand hatte bereits mit Stoffstreifen beide Unterschenkel abgebunden, um zu verhindern, dass er noch mehr Blut verlor. Überall war Blut in solchen Mengen, dass Rurik sich nicht sicher war, ob sein Bruder je wieder würde gehen können.

„Wer hat dir das angetan? Sag es mir, und dann schwöre ich dir, dass ich den Feigling jagen und zur Strecke bringen werde.“ Rurik wusste nicht, ob Gilla noch lebte, doch die Tatsache, dass er sie bislang nicht zwischen den Überlebenden hatte entdecken können, verhieß nichts Gutes.

„Feann“, flüsterte Alarr. „Feann und seine Männer.“

Er schloss die Augen, als Alarrs Mutter Hilda zu ihnen kam und ihm ein feuchtes Tuch auf die Stirn legte. Von Rurik nahm sie keine Notiz, ganz so, wie er es sein Leben lang von ihr gewöhnt war. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass er der lebendige Beweis für die Untreue ihres Ehemanns war.

Es überraschte ihn nicht, dass sich der irische König gegen sie gewandt hatte. Die verschlagenen Augen und das herablassende Lächeln dieses Mannes hatten Rurik von Anfang an misstrauisch gemacht. Um Feann würde er sich noch kümmern. „Ich werde ihn finden. Das verspreche ich dir“, sagte er zu seinem Halbbruder.

Zunächst musste er jedoch herausfinden, ob Danr noch lebte. Rurik stand all seinen Brüdern nahe, doch Danr war sein Zwilling und damit der Einzige, der nicht nur ein Halbbruder war. Er war die einzige noch verbliebene Verbindung zu seiner leiblichen Mutter. Sollte Danr ebenfalls ermordet worden sein … Er zwang sich, den Schmerz hinunterzuschlucken, der ihm die Kehle zuschnürte, und beobachtete Hilda.

Angesichts dessen, was geschehen war, wirkten Hildas Hände fast schon beängstigend ruhig, während sie ihre Arbeit tat. Ganz so wie immer. Ganz gleich, was ihr Sigurd oder das Leben selbst vor die Füße warf, sie nahm es mit großer Gelassenheit auf. Rurik hätte ihr dafür durchaus Respekt gezollt, aber sie brachte für ihn nicht einmal einen Hauch jener Zuneigung auf, die sie für ihre leiblichen Kinder empfand. Sie hatte ihn und Danr nie leiden können, standen sie beide doch für eine Zeit, in der Sigurds Liebe der Frau gegolten hatte, die später die Zwillingsbrüder zur Welt brachte.

„Hast du Danr gesehen?“, brachte er schließlich an Hilda gewandt heraus. „Lebt er noch?“

Sie spannte ihre Schultern an. Schließlich antwortete sie, allerdings ohne ihn dabei eines Blickes zu würdigen: „Ich weiß es nicht.“

Aufgebracht schnaubend atmete er aus und betrachtete wieder das Massaker ringsum. Die Überlebenden eilten hin und her, um die Flammen zu ersticken, die über die Lichtung verstreut an verschiedenen Stellen aufflackerten. Außerdem kümmerten sie sich um die Verwundeten. Am liebsten hätte er vor Wut und Trauer laut aufgeschrien. Danr musste einfach noch leben, nichts anderes wollte er glauben. Dann endlich entdeckte er den einsam dastehenden Mann, der die Gefallenen betrachtete. Er stand in der Nähe des toten Kriegers, von dem Rurik wusste, dass er sein Vater war.

„Er ist tot“, flüsterte Danr, nachdem Rurik zu ihm geeilt war.

Er zog Danr an sich und schloss ihn in seine Arme, während er den Göttern dafür dankte, dass sie ihn hatten leben lassen. „Bist du verwundet?“ Eine Verletzung konnte Rurik nicht an ihm feststellen, doch Danrs Kleidung war mit Ruß überzogen, als hätte er mitgeholfen, die Flammen zu ersticken.

Danr schüttelte den Kopf und drehte sich zu ihm um. Seine Augen spiegelten den Schmerz in seinem Inneren wider. Zwar ähnelten die beiden sich hinsichtlich der Statur, doch sein Bruder war blond, während Rurik dunkles Haar hatte. Überhaupt schien Danr für das Licht zu stehen, während Rurik mehr die Schattenseite verkörperte. Danr war schnell mit einem Scherz dabei, wenn die Situation es ergab. Rurik dagegen hing lieber seinen düsteren Gedanken nach. Das änderte aber nichts an dem unverbrüchlichen Band zwischen ihnen.

„Ich war gar nicht hier“, antwortete Danr mit einem Anflug von Abscheu in der Stimme.

„Wieso? Wo warst du?“

„Ich … ich wollte später herkommen.“ Er holte tief Luft. „Da war diese Frau.“

Rurik drehte sich zur Seite, da ihm die Worte einen Stich gaben. Wenn es um Danr ging, dann war da immer eine Frau im Spiel.

„Alarr sagt, das hier war König Feanns Werk“, sagte Rurik.

„Da waren auch noch andere, aber die kannte ich nicht. Ich weiß nur, dass es ganz plötzlich zu einem brutalen Kampf kam“, erwiderte Danr.

Schließlich ließ Rurik seinen Blick zu den Toten wandern, die vor ihm auf dem Boden lagen: sein Vater, Alarrs Braut und ihre Eltern, Ingrid ganz außen. Was für ein sinnloses Morden. Er hätte ja noch verstehen können, wenn dem Angriff nur sein Vater zum Opfer gefallen wäre. Aber warum hatten Ingrid und ihr ungeborenes Kind sterben müssen? Er betrachtete Sigurds Gesicht, das einen seltsam friedfertigen Ausdruck hatte. Die Arme waren vor seiner Brust verschränkt, und seine dichten Augenbrauen wirkten so furchteinflößend wie eh und je.

Mitgefühl und Zorn wetteiferten in Ruriks Brust um die Oberhand. Als unehelicher Sohn war es ihm immer so vorgekommen, als würde zwischen ihm und seinem Vater eine große Entfernung existieren. Der Mann hatte ihn und Danr als seine leiblichen Kinder anerkannt, dennoch hatte Rurik immer eine gewisse Ablehnung empfunden, weil seine leibliche Mutter nie dazugehört hatte. Sie war kaum besser behandelt worden als eine Sklavin. Und nun würde diese Distanz für immer bestehen bleiben.

Sein Blick kehrte zurück zum Fjord, wo nur noch die Wracks der ausgebrannten Boote auf dem Wasser trieben. Sandulf und Alarr waren als Einzige hier gewesen, um den Mördern entgegenzutreten. Rurik und Brandt waren nach Norden geschickt worden, Danr hatte sich mit einer Frau vergnügt. Der Angriff hätte also zu gar keinem besseren Zeitpunkt stattfinden können. Es war geradezu so, als hätte jemand gewusst, dass die Familie zu dem Zeitpunkt hatte überrumpelt werden können.

„Niemand bedauert mehr als ich, was hier geschehen ist“, erklärte Danr auf einmal.

In den Augen des jungen Mannes konnte Rurik eine bei ihm noch nie entdeckte Ernsthaftigkeit ausmachen. Dieser Tag hatte jeden von ihnen zu einem anderen gemacht, auch wenn keiner von ihnen jetzt schon sagen konnte, was von nun an alles anders sein würde. In diesem Moment war ohnehin rasende Wut das vorherrschende Gefühl, das Trauer und Schmerz in den Hintergrund rücken ließ.

Wie hatten diese Leute es nur wagen können, herzukommen und sie alle zu ermorden?

Er sah von Sigurd zu Alarrs Braut, die sich in diesem Moment eigentlich darauf hätte vorbereiten sollen, am Abend ihrer Hochzeit zu tanzen. Dann schaute er zu Ingrid, die in wenigen Wochen Mutter geworden wäre. Brandt hätte sich darauf freuen sollen, bald sein Kind auf dieser Welt willkommen zu heißen. Ganz gleich, was Sigurd getan haben mochte, um dieses Ende zu provozieren – keiner dieser unschuldigen Menschen hätte sein Schicksal teilen dürfen.

Das Verlangen, Rache zu üben, war von diesem Moment an für Rurik wichtiger als sein eigenes Leben. Anders konnte er der unbändigen Wut, die in ihm zu kochen begonnen hatte, nicht mehr Herr werden.

„Wir werden die Mörder finden“, sagte er zu Danr. „Jeden einzelnen von ihnen.“

1. KAPITEL

Glannoventa, Northumbria

Zwei Jahre später

Die Sünden der Vergangenheit geraten nie in Vergessenheit. Pater Cuthbert hatte einen Großteil von Annis’ Kindheit darauf verwandt, ihr diese Erkenntnis zu vermitteln. Zu ihrer ewigen Schande musste Annis von Glannoventa zugeben, dass sie dem alten Mann nie ernsthaft zugehört hatte. Er hatte auf sie eingeredet und von ihr verlangt, an der Abteimauer strammzustehen und ihm zuzuhören. Ihre Beine und der Rücken hatten ihr davon wehgetan, doch all seine Bemühungen waren so gut wie vergebens gewesen.

Erst jetzt, an diesem Abend, als sie im Schatten einer heruntergekommenen, zweifelhaften Taverne am Meer stand, wusste sie zu schätzen, was er seinerzeit für sie getan hatte. Mit dem Dolch, den sie unter ihren Gürtel geschoben hatte und den zu benutzen sie bereit war, befand sie sich nicht in der Position, in der man um göttlichen Beistand bitten kann. Dennoch schickte Annis ein Gebet in Richtung Himmel, während sie sich vergewisserte, dass der Dolch von ihrem langen Mantel verdeckt wurde. Ihre Finger berührten das kalte Metall und strichen über das filigran gearbeitete Heft. Auch wenn der Dolch die wunderschöne Arbeit eines meisterlichen Schmieds war, trug sie ihn nicht nur zur Zierde, sondern zu ihrem Schutz. Immer wieder hatte die Waffe ihre Nützlichkeit unter Beweis gestellt, zum letzten Mal vor zwei Jahren.

Sie schloss die Augen, als die Erinnerungen an jenen lange zurückliegenden Tag in Maerr auftauchten. Mehr Blut, als sie je zu Gesicht bekommen hatte, war dort vergossen worden. So viel Blut, dass dessen Geruch sie noch monatelang verfolgt hatte. Es war so unerträglich gewesen, dass sie den Dolch in der Waffenkammer weggeschlossen hatte, weil sie ihn niemals wiedersehen wollte.

Bis zum heutigen Abend.

Heute hatte sie die Waffe wieder an sich genommen, dabei aber gehofft, dass sie nicht gezwungen sein würde, sie zu benutzen. Das hing jedoch davon ab, ob der Wikinger das tat, was sie von ihm erwartete. Er stand zehn Schritte von ihr entfernt am anderen Ende der gut besuchten Schänke. In diesem Moment ließ er seinen Blick umherwandern. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Krug mit Ale. Den Pelzmantel, der an seinen Schultern festgemacht war, hatte er so zurückgeschlagen, dass jeder die beiden bösartig aussehenden Klingen sehen konnte, die er an den Hüften trug. Zweifellos hatte er auf dem Rücken ein noch längeres Schwert, das zusammen mit den beiden anderen Waffen keinen Zweifel daran ließ, welches Schicksal sie erwartete, sollte ihr Vorhaben scheitern.

In der Schänke wimmelte es von immer mehr Männern, die alle von dem Schiff kamen, das an diesem Tag eingelaufen war. Mit diesem Schiff war auch der Wikinger gekommen. Sie war gezwungen, sich an einigen dieser Männer vorbeizudrängeln, was für einige verwunderte Blicke sorgte, da sie offensichtlich kein Schankmädchen war. Sie biss sich auf die Unterlippe, um Ruhe zu bewahren. Dabei ließ sie den Mann nicht aus den Augen.

Sein Profil war markant, die Nase gerade, der Kiefer kantig, aber nicht zu ausgeprägt. Er hatte breite Schultern, und sein dunkles Haar schimmerte immer dann golden, wenn es vom Kaminfeuer beschienen wurde. Von Nahem betrachtet war er größer, als sie ursprünglich angenommen hatte. Diese Größe gepaart mit einem schlanken, muskulösen Körper machten ihn zu einem sehr gefährlichen Mann, der wusste, wie man kämpfte.

Sie war nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt, als er sich zu ihr umdrehte und sie anschaute. Abrupt blieb sie stehen. Seine blauen Augen hatten etwas Durchdringendes, so als könnte er ihr ansehen, dass sie ein Wolf im Schafspelz war. Eine tiefe Furche zeichnete sich zwischen seinen Augenbrauen ab. Sie vermutete, dass er nur selten lächelte.

Glücklicherweise konnte sie in seinen Gesichtszügen nichts Grausames entdecken, nur eine Ernsthaftigkeit, die ihr sagte, dass er sich von niemandem zum Narren machen ließ. Sie hätte ihn vermutlich gut leiden können, wäre er nicht der Mann gewesen, den sie gefangen nehmen sollte.

Sein gutes Aussehen machte es ihr unerwartet leicht, ihm ein Lächeln zu schenken, das hoffentlich sinnlich und auffordernd war und ihn lange genug über ihre wahren Absichten täuschte, um dicht an ihn heranzukommen. Dabei musste sie ein Zittern ihrer Hände unterdrücken, während sie ihre Kapuze weit genug nach hinten schob, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Sie konnte nur hoffen, dass niemand sonst in der Schänke ihr rotbraunes Haar bemerkte und sie daran wiedererkannte.

„Guten Abend“, sagte sie und stellte sich zu ihm. Mit ihrer Hüfte strich sie an seiner entlang, als sie sich so drehte, dass sie sich mit dem Ellbogen auf dem abgenutzten alten Stehtisch abstützen konnte. Der Wikinger wich zurück, jedoch nicht so weit, dass er zu ihr richtig auf Abstand gegangen wäre.

Durch seine Bewegung wehte ihr das Aroma entgegen, das er verströmte und das sie zu ihrem Erstaunen als sehr anziehend empfand. Es war eine Mischung aus frischem Schweiß und Rauch, ergänzt um etwas, das sie nicht näher bezeichnen konnte. Vermutlich eine Art Seife. Ein Blick auf seine noch feuchten und gekräuselten Nackenhaare bestätigte, dass er wohl kürzlich ein Bad genommen hatte. Sie lächelte ihn flüchtig an und überlegte, welche geistreiche Bemerkung sie machen konnte.

Jetzt, da sie neben ihm stand und all das tatsächlich geschah, was sie zuvor nur in Gedanken durchgespielt hatte, merkte sie mit einem Mal, dass sie zu zögern begann. Er starrte ihr Profil an, und sie konnte förmlich spüren, wie sein Blick über sie wanderte. Es war, als hätte sie eine Schlange vor sich, von der sie nicht wusste, wann genau sie zuschnappen würde.

Ihr drohte der Atem zu stocken, sodass sie sich zum Luftholen zwang. Dabei sagte sie sich immer wieder, dass der Wikinger ja gar nicht wusste, dass sie der Feind war, vor dem er sich in Acht nehmen musste. Sie durfte nicht schwach und kleinlaut wirken, sonst würde er ihr nicht nach draußen folgen.

Also zwang sie sich, ihre Hand in Richtung seines Unterarms zu führen, während sie sich vorbeugte, damit er bei dem in der Schänke herrschenden Lärm überhaupt ein Wort verstehen konnte. Als ihre Finger seine Muskeln ertasteten, fühlte sie Unbehagen in sich aufsteigen.

„Die Straße ist ziemlich staubig, und meine Kehle ist ausgedörrt. Für ein Ale wäre ich Euch sehr dankbar.“ Innerlich verdrehte sie bei diesen Worten die Augen, weil sie sie so billig erscheinen ließen. Einer solchen Frau würde er sicher niemals nach draußen folgen.

Seine Miene hellte sich erwartungsgemäß nicht auf, auch nicht, als er dem Schankmädchen ein Zeichen gab. Die junge Frau hatte auf dieses Zeichen nur gewartet und reagierte für Annis’ Empfinden ein wenig zu schnell darauf. Sie eilte zu ihrem Tisch und stellte ihr einen Krug hin.

Annis holte eine Münze aus ihrer Geldbörse, doch der Wikinger war schneller und warf seinerseits eine Münze auf den Tresen.

„Vielen Dank“, sagte sie lächelnd und legte eine Hand um den Krug, während ihr Blick noch einen Moment lang auf seine Augen gerichtet war und dann, dem Plan folgend, zu seinen Lippen wanderte. Es überraschte sie, dass diese vollen Lippen genau dem entsprachen, was ihr gefiel. Der Schwung dieser Lippen war einfach so perfekt, dass sie sich nur wundern konnte, wieso sie bei Männern nie zuvor darauf geachtet hatte.

Waren Grims Lippen schmal oder voll gewesen? Es beschämte sie, dass sie die Antwort darauf nicht wusste. Ein paar Jahre sollten doch wohl nicht ausreichen, um zu vergessen, wie ihr eigener Ehemann ausgesehen hatte!

„Ich habe einen Platz für Euch, wenn Ihr ihn wollt“, sagte ein ausgesprochen unhöflicher Mann, der an einem der umliegenden Tische saß und auf seinen Schoß deutete. Das verkrustete Salz in seinem Bart und das schüttere Haar verrieten, dass er ein Seemann war. Jedoch fragte Annis sich, wie es ein so dürrer Mann schaffte, nicht von der ersten Sturmböe ins Meer geweht zu werden.

„Ihr seid zu gnädig, aber ich bevorzuge herkömmliche Sitzplätze.“ Damit drehte sie dem Mann am Tisch den Rücken zu, während die anderen Männer in der Schänke zu einem betrunkenen Gelächter ansetzten.

Die Mundwinkel des Wikingers zuckten nach oben, als er seinen Krug hochhob. Annis entspannte sich ein wenig und merkte amüsiert an: „Jetzt versteht Ihr sicher, warum ich mich für den Platz an Eurer Seite entschieden habe.“ Genau genommen war dies ohnehin der einzige Platz, für den sie sich hätte entscheiden können. Dieser Mann strahlte etwas so Bedrohliches aus, dass sonst niemand neben ihm stehen wollte.

„Reist Ihr alleine?“, fragte er. Für jemanden, der eigentlich ihr Feind sein sollte, klang seine Stimme angenehm tief und weich.

Sie gab vor, von ihrem Ale zu trinken, ließ aber nur einen kleinen Schluck des bitteren Getränks an ihre Zunge gelangen. Dem Ale hatte man Mohn und Baldrian untergemischt, was ihr Vorhaben durchkreuzte, ihm ihren Krug zu überlassen, damit er den auch noch austrank. Er hatte soeben seinen Krug geleert, machte aber nicht den Eindruck, als ob ihm das Bier geschmeckt hätte.

„Wenn Ihr wissen wollt, ob ich mit einem Mann reise … Ich bin verwitwet.“ Sie war zu dem Schluss gekommen, dass ihr Lügen leichter über die Lippen kamen, wenn sie sich so weit wie möglich an die Wahrheit hielt. „Ich werde von meiner Dienerschaft begleitet.“

Er sah kurz zur Tür. „Vielleicht hättet Ihr besser einen Eurer Diener hereingeschickt, anstatt selbst herzukommen.“

Die Verärgerung über seine Worte sorgte dafür, dass sich ihre Nackenhaare sträubten. „Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“ Es war genau die falsche Antwort, denn sie war hergekommen, um ihm eine Verführerin vorzuspielen und ihn so dazu zu verleiten, mit ihr nach draußen zu gehen. So konnte sie allein mit ihm sein. Sie wollte die hilflose Witwe spielen, die seinen Beistand benötigte. Das würde ihr nicht gelingen, wenn sie ihn mit ihrer Verärgerung gegen sich aufbrachte.

Sie ließ ein Lächeln folgen, um ihre Worte sanfter wirken zu lassen.

„Das ist mir nicht entgangen“, bemerkte der Wikinger. Er sah über die Schulter zu dem Mann, der die anzügliche Bemerkung gemacht hatte.

Ihr entging nicht, dass einer der Freunde des Seemanns diesen davon abhielt, von seinem Platz aufzustehen. Ob der Seemann vorgehabt hatte, sich dafür zu rächen, dass sie ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, oder ob er die Schänke verlassen wollte, war nicht ersichtlich.

Sie wandte sich wieder dem Wikinger zu, der sie fragte: „Reist Ihr öfter allein, um auf Euch selbst aufpassen zu können?“

„Für einen Mann, dessen Namen ich nicht kenne, stellt Ihr viele Fragen. Reist Ihr allein?“

Gemächlich betrachtete er ihr Gesicht – auf eine ähnlich verführerische Weise wie sie kurz zuvor ihm gegenüber. In ihrer Magengegend verspürte sie ein aufgeregtes Kribbeln.

„Manchmal ja“, sagte er. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass er damit auf ihre Frage antwortete.

Warum ließ sie sich nur von ihm so aus der Fassung bringen? Ehe sie ihre Gedanken sortieren konnte, fügte er hinzu: „Seid vorsichtig, von wem Ihr Euch ein Ale ausgeben lasst. Jemand könnte von Euch eine Gegenleistung erwarten.“

Sie erschrak, als ihr klar wurde, dass er im Begriff war zu gehen und sie damit diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen musste. Es war ihren Leuten nicht gelungen herauszufinden, wo er nächtigte. Es war daher möglich, dass er sich nach oben unters Dach zurückzog oder aber im Gemeinschaftsraum schlafen würde, wo sie nicht mit ihm allein sein konnte.

Hastig legte sie eine Hand auf seinen Arm und fragte: „Waren meine Antworten Gegenleistung genug? Oder hattet Ihr mehr erwartet?“

Noch nie hatte Annis eine Verführerin gespielt, nicht einmal bei ihrem Mann. Doch jetzt musste sie es tun. Mit dem Daumen strich sie über sein Handgelenk und ließ ihren Blick in einer Weise auf seinem Gesicht ruhen, als würde sie darauf hoffen, dass er mehr erwartet hatte.

Der Wikinger beugte sich so weit vor, dass sein Atem über ihre Wangen strich, als er entgegnete: „Trinkt Euer Ale aus, Frau, bevor Ihr Euch auf etwas einlasst, dem Ihr nicht gewachsen seid.“

„Ihr habt meine Frage nicht beantwortet“, beharrte sie. „Seid Ihr allein?“

Sie fragte ihn das aus gutem Grund. Sie musste wissen, ob jemandem sein Verschwinden auffallen würde. Cedric und seine Männer hatten bislang nicht herausfinden können, ob er in Begleitung unterwegs war oder nicht.

„Ihr wollt wissen, ob ich mit einer Frau unterwegs bin?“ In seinen Augen blitzte etwas Schalkhaftes auf. „Nein, es gibt keine Frau.“

„Auch keine, die zu Hause auf Euch wartet?“

Mit einem Mal wurde er ernst. „Ich habe kein Zuhause.“

„Dann seid Ihr nach Glannoventa gekommen, um Euch hier niederzulassen?“

Er schüttelte den Kopf und sah zu dem Tisch, an dem sich die Männer lauter als zuvor unterhielten. „Ich bin nur auf der Durchreise.“

Ehe sie darauf etwas erwidern konnte, zog ihr jemand die Kapuze vom Kopf. Sie drehte sich um und sah einen Mann vor sich stehen, den sie nicht kannte. Vermutlich war er ein Fischer, da ihr ein intensiver Fischgeruch entgegenschlug. Außerdem klebten ein paar Schuppen an seinen Ärmeln.

Anstatt sie wieder loszulassen, drehte er die Faust, mit der er den Stoff festhielt. Ihre Finger zuckten, weil sie gern nach ihrem Dolch gegriffen hätte. Doch sie wollte niemanden wissen lassen, dass sie diese Waffe bei sich trug. Von oben herab sah er sie an und grinste lüstern. „Bist du allein, Weib?“

„Lasst meinen Mantel los!“ Sie sprach die Worte in dem bestimmenden Ton, den sie sich in den Jahren als Lady of Mulcasterhas angeeignet hatte.

Der Fischer und der Wikinger hielten beide gleichermaßen erschrocken inne, doch der Angreifer überwand den Schrecken als Erster. Er grinste sie höhnisch an, da er den Schluss gezogen hatte, dass sie allein sein musste. Schließlich war niemand in der Schänke zu ihrer Verteidigung herbeigeeilt.

Der Mann setzte zum Reden an, doch weiter kam er nicht. Der Wikinger machte abrupt einen Schritt nach vorn und packte ihn am Hals. Nur ein Röcheln kam dem Fischer über seine Lippen. Annis konnte kaum fassen, wie schnell der Wikinger war, und machte vor Schreck einen Satz nach hinten. Dabei fiel ihr Krug mit dem Ale auf den mit Stroh bedeckten Boden.

Am anderen Ende des Schankraums stand Alder von seinem Platz auf, aber sie schüttelte nur leicht den Kopf, um den treuesten ihrer Krieger davon abzuhalten, in den Kampf einzugreifen. Der Wikinger war Herr der Lage, denn der Fischer hatte sie losgelassen und stattdessen mit beiden Händen den Arm des Mannes gepackt, um sich aus dessen Würgegriff zu befreien. Da der Wikinger ihn so hochhielt, dass seine Füße den Boden nicht mehr berühren konnten, waren seine Anstrengungen jedoch wirkungslos.

„Verschwinde von hier“, sagte der Wikinger in einem ruhigen Tonfall, der im Widerspruch zu der Tatsache stand, dass er im Begriff war, einen Mann zu erwürgen.

Der Fischer nickte, so gut er konnte. Kaum hatte der Wikinger ihn abgesetzt, verschwand der Mann hastig in der Menge.

„Wir müssen ebenfalls gehen“, sagte der Wikinger zu ihr und sah sich um, als rechne er damit, dass die Freunde des Fischers sich auch mit ihm anlegten.

Sie nickte und machte einen großen Schritt über den Krug hinweg, während er sie am Arm fasste, um sie nach draußen zu bringen. So hatte sie mit ihm die Schänke zwar nicht verlassen wollen, doch das Ergebnis war das gleiche.

„Wo werdet Ihr die Nacht verbringen?“, fragte er, als sie beide unter freiem Himmel standen. Die Tür zur Schänke fiel mit einem dumpfen Knall hinter ihnen zu, die Stimmen waren nur noch gedämpft zu hören. Er machte keine Anstalten, ihren Arm loszulassen, und sie ließ ihn gewähren, da er unwissentlich genau das tat, was sie wollte.

Nach der drückenden Wärme in der Schänke tat die kalte Luft auf ihrer Haut gut. Als sie ausatmete, bildete sich vor ihrem Mund eine kleine Wolke. „Ich weiß nicht, ob ich Euch das tatsächlich verraten soll.“

Er legte den Kopf schräg und fragte: „Glaubt Ihr etwa, dass ich Euch in der Schänke vor Unheil bewahre, um jetzt über Euch herzufallen?“

„Vielleicht teilt Ihr ja nur nicht gern mit anderen“, sagte sie und ging den ausgetretenen Weg entlang, der durch das Dorf und am Hafen vorbeiführte. Einige ihrer Männer warteten dort, denn da war es dunkler, sodass niemand etwas davon mitbekommen würde, wenn sie ihn überwältigten. Gleichzeitig regte sich ihr schlechtes Gewissen, verstärkt dadurch, dass er ihr ein wenig zu gefallen begann.

„Außerdem habt Ihr mich nicht vor dem Angreifer gerettet“, fügte sie grinsend hinzu, als er sie eingeholt hatte. „Ich hatte Euch ja gesagt, dass ich sehr gut auf mich selbst aufpassen kann.“

„Oh ja, ich habe Eure lautstarken Worte gehört. Sie waren wahrhaftig beängstigend.“

Gegen ihren Willen musste sie über seine ironischen Worte lachen. Er redete so, als hätte sie ihn in ihren Plan eingeweiht, und er würde einfach mitspielen. „Es war ein Befehl und eine Warnung. Hätte er nicht aufgehört, dann hätte als Nächstes sein Schritt mit meinem Knie Bekanntschaft gemacht“, erklärte sie.

„Er hätte Euer Knie blockiert“, stellte der Wikinger klar, während er wachsam die Schatten zu beiden Seiten des Wegs beobachtete, da überall der nächste Angreifer lauern konnte. Dieser Mann war ein erfahrener Krieger, den sie besser nicht unterschätzte.

Damit er weiterhin redete und hoffentlich nicht auf Alder aufmerksam wurde, der ihnen zweifellos folgte, fragte sie: „Was bringt Euch auf diesen Gedanken?“

Seine Hand schloss sich ein wenig fester um ihren Arm, ohne ihr jedoch wehzutun. Mit der anderen Hand deutete er auf ihre Kleidung. „Die Wolle Eurer Röcke. Sie ist zu schwer. Mit Sicherheit hätte er sein Knie viel schneller hochziehen können als Ihr, wodurch Euer Tritt nicht annähernd so wirkungsvoll gewesen wäre.“

Seit sie acht war, hatte Annis im Haushalt ihres Schwiegervaters Wilfrid gelebt. Da keine seiner Töchter noch lebte und seine Frau starb, kurz nachdem Annis zu ihnen gekommen war, hatte er keine weibliche Anleitung gehabt, wie man ein Mädchen großzieht. Kurzerhand hatte er sie so erzogen wie seine Söhne. Sie war in Kampftechniken und im Umgang mit Waffen unterrichtet worden, sodass sie mit der Überzeugung aufgewachsen war, ganz allein für ihren Schutz sorgen zu können. Womöglich war sie infolgedessen ein wenig zu sehr von ihren Fähigkeiten eingenommen, schließlich war ihr nie in den Sinn gekommen, dass ihre schwerere Winterkleidung sie beeinträchtigen könnte.

„Ich glaube wirklich nicht …“ Weiter kam sie nicht, da er plötzlich eine Hand um ihre Taille legte und sie zu sich herumwirbelte. Im nächsten Moment stand sie mit dem Rücken an der Außenmauer eines Ladens, der schon vor Stunden geschlossen hatte. Vor ihr ragte der Wikinger wie ein Hüne auf.

„Versucht es“, forderte er sie siegessicher auf.

Sie war froh, dass in dieser Nacht ein Vollmond am Himmel stand. Auch wenn es bewölkt war, gelangte dennoch genügend Mondlicht zwischen den Wolken hindurch, um den Mann deutlich sehen zu können. Ihr Magen machte vor Freude einen Satz, als sie sah, wie er sie anschaute. Es war ein hitziger, begeisterter Blick. Ob die Begeisterung etwas mit seinem Vorhaben oder mit ihr selbst zu tun hatte, vermochte sie nicht zu sagen.

„Das kann ich nicht machen.“

„Tut es“, beharrte er.

„Ich könnte Euch wehtun.“

Er schüttelte den Kopf und grinste unglaublich frech: „Das würde Euch niemals gelingen.“

Mit seinen Worten wollte er sie herausfordern, damit sie tat, was er von ihr verlangte. Einerseits verabscheute sie, dass sie so leicht darauf ansprang, andererseits wollte sie nichts lieber, als diesem Mann zu zeigen, wie sehr er sich irrte.

Diese Seite gewann die Oberhand. Annis drückte sich gleich darauf gegen die Mauer und zog das Knie mit Kraft hoch. Tatsächlich konnte er ihren Tritt abwehren und sie so drehen, dass sie mit dem Rücken gegen ihn gepresst dastand und sich mit den Händen an der Hauswand abstützen musste.

„Seht Ihr?“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Ein wohliger Schauer lief ihr dabei über den Rücken. „Ich sehe es.“ Dabei nickte sie ruckartig, um diese seltsame Empfindung abzuschütteln.

„Es wäre besser, wenn Ihr in solchen Situationen sofort zu Eurer Waffe greifen würdet“, riet er ihr.

„Und wenn ich gar keine Waffe trage?“

Sie musste ein Keuchen unterdrücken, als seine Hand über ihre Hüfte glitt. „Aber Ihr tragt eine Waffe“, sagte er, während seine Finger das Heft ihres Dolchs berührten.

Auch wenn sie sich heute Abend einen Fehler geleistet hatte, war sie immer noch davon überzeugt, dass sie den Mann zu Boden hätte schicken können, wenn es wirklich notwendig gewesen wäre. Das sprach sie aber nicht aus, sondern drehte sich in seinen Armen zu ihm um. Dass er sie nicht sofort wieder losließ, überraschte sie so, dass sie ein wenig außer Atem war, als sie fragte: „Warum ist Euch das so wichtig?“

Er starrte sie an. „Das ist es nicht.“

Sie lächelte, da er ganz offensichtlich log. „Ich glaube, es ist Euch wichtig.“

Dann wurde sie schnell wieder ernst, als sein Blick an ihren Lippen hängen blieb. Die Stimmung zwischen ihnen hatte sofort etwas Bedeutungsschwangeres, obwohl seine Hände etwas leichter auf ihren Hüften lagen, aber er hielt sie nach wie vor fest. Seine Augen waren so wachsam wie zuvor, und dennoch kam es ihr vor, als würde er gerade darüber nachdenken, wie es wohl wäre, sie zu küssen.

Sie öffnete den Mund einen Spaltbreit, als er den Kopf nur ein wenig zur Seite neigte. Wie aus weiter Ferne nahm sie den Widerhall von schweren Schritten auf dem Kopfsteinpflaster wahr, doch es schien für sie nahezu bedeutungslos zu sein. Jeglicher Gedanke verflüchtigte sich aus ihrem Verstand, als er sich noch weiter vorbeugte. In diesem Moment war der Wunsch, von ihm geküsst zu werden, stärker als alles andere.

Dann jedoch wurden die Schritte einfach zu laut, um sie noch länger zu ignorieren. Das Scheppern von Schwertern mischte sich unter dieses Geräusch.

Der Wikinger wirbelte herum und blieb schützend vor ihr stehen, während er sich den Männern stellte, die im Halbkreis um sie herum Position bezogen hatten. Mit einer gewissen Erleichterung stellte Annis fest, dass es sich bei ihnen tatsächlich um Alder und seine Leute handelte. Viel größer war jedoch ihr Bedauern, dass sie sich den denkbar schlechtesten Moment ausgesucht hatten, um in Erscheinung zu treten.

Einen Augenblick früher, und es hätte nie einen Gedanken an einen Kuss gegeben. Einen Augenblick später hätte sie wenigstens gewusst, wie sich seine Lippen auf ihren anfühlten.

„Zieht Euren Dolch“, wies der Wikinger sie an, während er selbst beide Schwerter zog.

Sie kam seiner Aufforderung nach und kämpfte gegen ihr schlechtes Gewissen an. Er hatte keine Ahnung. Ihm ging es immer noch darum, sie zu beschützen, und dabei ahnte er nicht, dass sie ihm gleich buchstäblich in den Rücken fallen würde.

„Diese Männer sind keine Freunde des Mannes in der Schänke“, ließ sie ihn wissen.

Er drehte den Kopf ein Stück weit zu ihr herum, ohne die Gruppe aus den Augen zu lassen. „Dann sind es Diebe?“

Sie zog sich zurück, bevor er reagieren konnte, und stellte sich zu den anderen. „Nein, auch keine Diebe“, sagte sie.

In diesem Moment verstand er, was sie meinte. Der Schmerz des Verrats flackerte in seinen Augen auf, dann waren sie nur noch von glühendem Zorn erfüllt.

Alder nutzte die Tatsache, dass der Wikinger abgelenkt war, und schlug ihm mit dem Heft seines Schwerts auf den Hinterkopf. Der Mann sackte in sich zusammen und blieb reglos auf dem Kopfsteinpflaster liegen.

Obwohl sie sich sagte, dass sie das nur tat, um sie alle vor ihm zu beschützen, brach es ihr dennoch fast das Herz, als er ohnmächtig zu Boden ging.

2. KAPITEL

Rurik öffnete die Augen und sah nur Schwärze. Durch das Fehlen jeglichen Lichts kam es ihm so vor, als würde er sich irgendwo tief unter der Erde befinden. Er zwinkerte ein paarmal und überlegte, ob er womöglich erblindet war, da er einfach nichts sehen konnte. Zudem war es so vollkommen still, dass er in den Ohren ein lautes Rauschen vernahm.

War er gestorben? War es sein verdammtes Schicksal, hier in diesem Nichts zu verharren? Der Gedanke ängstigte ihn so sehr, dass sich seine Lungen verkrampften und ihm das Atmen schwerfiel.

Er ballte die Fäuste und presste seine kurzen Fingernägel gegen seine Handflächen, bis er Schmerzen spürte und die Vernunft wieder die Oberhand gewann. Nein, tot war er nicht. In Gefangenschaft zwar, aber nicht tot. Er war zuvor schon einige Male auf einem Karren liegend aufgewacht, doch jedes Mal war er fast sofort in die nächste Ohnmacht gefallen. Die Wut darüber, wie die Dinge sich entwickelt hatten, drohte ihn zu überwältigen. Trotzdem gelang es ihm, sie im Zaum zu halten. Angst und Wutausbrüche konnten ihm jetzt nicht weiterhelfen. Es war das Blut seines Vaters, das ihn oft dazu trieb, seinem Zorn freien Lauf zu lassen. Er hatte Jahre gebraucht, um zu lernen, diesen Zorn zu bändigen, und das würde er nun notfalls auch über den Tod hinaus weitermachen.

Er atmete einige Male tief durch und rührte sich nicht von der Stelle, solange er nicht ganz genau wusste, was mit ihm geschehen war. Während er dalag und wartete, schälten sich nach und nach schwache Umrisse und Schatten aus der Dunkelheit. Es roch nach frischem Stroh, und einige Halme stachen ihm in den Rücken. Der angenehme Duft konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Luft an diesem rätselhaften Ort muffig und abgestanden war. Wie lange er bereits dort lag, konnte er nicht sagen. Er spürte nur, dass die Kälte der Umgebung bereits bis auf seine Knochen vorgedrungen war.

Nachdem das anfängliche Entsetzen ebenso nachgelassen hatte wie das Rauschen in seinen Ohren, konnte er hören, dass nicht allzu weit von ihm entfernt beständig Wasser tropfte. Er musste sich hier unter der Erde befinden. Hatten die Sachsen ihn tief unter der Erde in einer Gruft lebendig begraben?

Als sich seine Augen noch etwas besser daran gewöhnt hatten, so gut wie kein Licht zu haben, fielen ihm die Ecken, Kanten und schroffen Spitzen der Wand gleich neben ihm auf. Dann wusste er, dass er richtig vermutet hatte. Dies hier war keines der einfach gebauten Häuser aus dem Dorf. Er befand sich wahrhaftig unter der Erde.

Er setzte sich auf und tastete nach der Stelle an seinem Hinterkopf, von der ein dröhnender Schmerz ausging. Fast im gleichen Moment, in dem er das Rasseln einer Kette hörte, wurde ihm bewusst, dass etwas Schweres seinen Arm nach unten ziehen wollte. Er stieß einen leisen Fluch aus, der in der Grabesstille wie ein lauter Schrei wirkte. Er ließ die Hand sinken und hob stattdessen die andere. Sein Hinterkopf reagierte empfindlich auf die Berührung seiner Finger, doch zumindest klebte kein Blut an ihnen. Er hatte keine offene Wunde davongetragen.

Er war sich sicher, den Schlag auf den Kopf zu überleben, allerdings wusste er ja nicht, wie lange man ihn leben lassen würde. Vorsichtig drehte er sich zur Seite, um aufzustehen. Kaum kamen seine nackten Füße mit dem kalten Boden in Berührung, überkam ihn ein Schwindelgefühl, das ihn dazu veranlasste, sich mit der freien Hand an der glitschigen Wand seines Gefängnisses abzustützen.

Sein Magen drehte sich um, und er bemerkte einen bitteren Geschmack im Mund. Unmittelbar bevor er angegriffen worden war, hatte er Mühe gehabt, das Gleichgewicht zu halten. Zudem hatte er sich fast berauscht gefühlt. Er hatte sich gefragt, ob diese Frau die Ursache dafür gewesen war. Jetzt allerdings begriff er, dass man ihn vergiftet hatte. Der seltsam süße und zugleich bittere Geschmack des Ales war durch ein Gebräu verursacht worden, das ihn die Kontrolle über sich selbst hatte verlieren lassen. Immerhin war er erleichtert darüber, dass dies der Grund war und er sich nicht von der Frau den Kopf hatte verdrehen lassen. Rurik war schließlich nicht Danr, der sich fast immer vergaß, sobald eine Frau im Spiel war.

Plötzlich hörte er schleifende Geräusche, so als würden schwere Eisenstücke über einen Steinboden gezogen, gefolgt von den Schritten eines Stiefels. Sofort fasste er aus Gewohnheit nach seinem Messer, obwohl er wusste, dass man ihm alle Waffen abgenommen haben musste. Lautlos fluchte er, dass dieses Messer nicht mehr da war. Die Klinge mit dem aus Knochen geschnitzten Heft war ihm von seiner Mutter vermacht worden und stellte das Einzige dar, was ihm von seinem irischen Erbe geblieben war.

Er richtete sich auf und spannte seinen ganzen Körper an, um auf den Moment gefasst zu sein, wenn ihm sein Kerkermeister gegenübertrat. Die großen Schnallen, mit denen das Fell an seinem Waffenrock befestigt wurde, waren nicht mehr da, doch das Fell hatte man ihm gelassen. Er ließ es zu Boden sinken, weil er die Arme für den Fall frei haben wollte, dass er sich verteidigen musste.

Der flackernde Schein einer Öllampe ließ ihn die Gitterstäbe sehen, die ihm den Weg nach draußen versperrten. Und dann tauchte die Frau auf. Dieses Weib aus der Schänke erkannte er auf den ersten Blick wieder. Sie trug noch immer diesen dunkelvioletten Mantel, nur war jetzt die Kapuze nach hinten geschoben. In der Schänke hatte Dämmerlicht geherrscht, sodass er nur einen rötlichbraunen Schimmer ihrer Haare hatte ausmachen können. Doch im hellen Schein der Öllampe konnte er nun erkennen, dass sie intensiv kastanienbraunes Haar hatte.

Der letzte Augenblick, bevor man ihn bewusstlos geschlagen hatte, war ihm nur noch undeutlich in Erinnerung. Er war sich daher nicht sicher, ob er tatsächlich mitangesehen hatte, wie die Frau sich zu den Angreifern stellte. Er konnte Lügner nicht leiden. Sein Leben lang war er von Lügnern umgeben gewesen, allen voran sein Vater, der zu den versiertesten Lügnern überhaupt gehört hatte. Immerhin hatte er seinen beiden unehelichen Söhnen nie die Wahrheit über ihr Geburtsrecht gesagt, nämlich dass König Feann ihr Onkel war. Rurik hatte davon erst erfahren, als er König Feann wegen des Massakers persönlich zur Rede gestellt hatte.

In den Jahren nach der missratenen Hochzeit hatten sich zu den Lügnern dann auch noch Betrüger hinzugesellt. Er konnte beide auf den Tod nicht ertragen. Als Freund einzutreffen, nur um dann ein Blutbad anzurichten, war nichts weiter als blanke Feigheit.

Diese Frau war nicht nur eine Lügnerin, sondern auch noch eine Betrügerin. Sie hatte vorgegeben, ihn aus der Schänke zu locken, um ihn zu verführen. Dabei war ihre einzige Absicht die gewesen, ihm sein Ende zu bereiten. Sie hatte die Angreifer gekannt und sich zu ihnen gestellt, kurz bevor er den Schlag auf den Hinterkopf bekommen hatte. Der Schlag hatte ihn schließlich in diese tiefe, stille Dunkelheit befördert.

„Es freut mich, dass Ihr wieder wach seid“, sagte die Frau ohne jeden Anflug von Freundlichkeit.

„Wenn Ihr gewollt hättet, dass ich wach bleibe, hättet Ihr Euren Leuten sagen müssen, dass sie mir nicht den Schädel einschlagen sollen“, sagte er mit leiser Stimme, aus der seine ganze Wut herauszuhören war. Womöglich verzog sie bei seinen Worten einen Mundwinkel, doch das konnte auch an den tanzenden Schatten liegen, die von der zuckenden Flamme verursacht wurden.

„Es war notwendig, Euch hierherzubringen“, entgegnete sie.

Ein rascher Blick auf seine Umgebung zeigte ihm im Schein der Lampe, dass er von drei Seiten dicker Mauern umgeben war. Die Zelle bot kaum Platz, um sich ausgestreckt hinzulegen. Die Gitterstäbe bildeten die vierte Wand und standen so eng beieinander, dass er nicht darauf hoffen konnte, sich irgendwie hindurchzwängen zu können, um zu entkommen. Die Decke war so niedrig, dass er gekrümmt hätte dastehen müssen, wäre er nur ein wenig größer gewesen. Das hier war ein Käfig für ein Tier. In diesem Fall war er das Tier.

„Wie lange bin ich schon hier?“, wollte er wissen. Seine leise, tiefe Stimme bebte wegen seiner Anstrengung, seine grenzenlose Wut zu beherrschen.

„Nicht sehr lange. Es ist noch nicht einmal Morgen“, erwiderte sie und ließ sich von seinem zornigen Blick nicht im Geringsten beeindrucken.

Wenn er jetzt schon wieder auf seinen Beinen stand, bedeutete es hoffentlich, dass seine Kopfverletzung nicht so schlimm war wie angenommen. „Ich möchte Euch raten, mich gehen zu lassen.“

„Wenn Ihr meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, wird es für mich möglicherweise keinen Grund geben, Euch länger hier festzuhalten“, ließ sie ihn wissen.

Er machte einen Schritt auf das Gitter zu und hoffte, sie durch seine beachtliche Größe einschüchtern zu können. „Ihr glaubt doch nicht, dass ich allein reise, nicht wahr? Meine Männer werden längst wissen, dass Ihr mich in Eure Gewalt gebracht habt. Sie werden mich hier herausholen.“

Nichts davon entsprach den Tatsachen. Sein törichter Stolz hatte ihn dazu gebracht, sich ganz allein auf die Suche zu begeben, was er nun teuer bezahlte. König Feann hatte ihm angeboten, ihm ein paar Männer als Eskorte zu überlassen, weil er hoffte, so sein eigenes schlechtes Gewissen wegen seiner Beteiligung an dem Massaker zu besänftigen. Doch Rurik war nicht bereit gewesen, auf dieses Angebot einzugehen. Nie zuvor hatte er es so sehr empfunden, dass er handelte, ohne abzuwägen.

Sie zuckte mit den Schultern und schien nicht weiter besorgt zu sein. „Eure Männer stellen für uns kein Problem dar.“

Autor

Harper St George
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