Diamanten am Abend

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Bitte trag das Collier heute Abend. Clementine starrt auf Sergejs Karte. Sie hatte eine heiße Nacht mit ihm, doch dieser Satz lässt sie frösteln. Hält der attraktive Hüne sie etwa für käuflich? Oder verschenken reiche Russen Diamanten statt Rosen? Sie muss es herausfinden …


  • Erscheinungstag 14.05.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514453
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Clementine traute ihren Augen nicht. Sie trat näher an die Schaufensterscheibe, bis sie fast mit der Nasenspitze dagegen stieß.

Begierde – unverhüllte Begierde erfüllte sie.

In der Auslage prangte ein russisches Wintermärchen in der Gestalt von schenkelhohen pelzgefütterten Wildlederstiefeln!

Ich bin nur noch einen Tag in St. Petersburg, sagte sie sich. Irgendein Andenken sollte ich mir wirklich gönnen, außerdem habe ich eine Belohnung verdient.

Sekunden später schritt sie über die himbeerrote Auslegeware des Ladens. Andächtig schlüpfte sie erst in den einen, dann in den anderen Stiefel. Sie fühlte sich wie Cinderella, die in ihre Pantöffelchen steigt. Die eigentliche Herausforderung stand ihr jedoch noch bevor, denn die Frage war, ob der Reißverschluss sich tatsächlich bis über die Knie hochziehen lassen würde. Immerhin betrug ihre Körpergröße eins achtzig, und ihre wohlgeformten Beine nahmen einen Großteil davon ein.

Beinahe hätte sie einen Freudenschrei ausgestoßen, als sie es tatsächlich schaffte. Die Verkäuferin, die vor ihr auf dem Boden kauerte, lächelte anerkennend und schlug die Stulpen um.

„Das verlängert den Stiefelschaft noch um einiges“, meinte sie in perfektem Englisch, wie alle Verkäuferinnen in diesen Luxusboutiquen es sprachen.

Ohne zu zögern zog Clementine den Saum ihres burgunderroten Lederrocks hoch, um die Stiefel uneingeschränkt bewundern zu können. Sie kam sich äußerst verwegen vor, das mitten in einem Laden zu tun, noch dazu, weil man nun ihre Strapse sah. Bewundernd strich sie über einen der Stiefelschäfte, die bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichten. Der weiche Pelz fühlte sich auf ihrer Haut an wie eine Liebkosung.

Fasziniert betrachtete sie sich im Spiegel. Ihre Beine schienen gar nicht enden zu wollen. Sie streckte erst das eine, dann das andere vor und drehte sich ein wenig. Dabei bemerkte sie im Spiegel eine Bewegung hinter sich, und ihr Blick traf den eines Mannes. Er beobachtete sie von der Tür aus, und zwar nicht verstohlen, sondern ganz demonstrativ.

Mit seiner Präsenz füllte er nicht nur den Türrahmen, er nahm auch den Laden für sich ein, als würde der ihm gehören, und er schaute ihr geradewegs in die Augen.

Seine hochgewachsene, athletische Gestalt überragte sie mindestens um Haupteslänge. Eigentlich gab es diese Sorte Mann überhaupt nicht mehr. Er schien ein Überbleibsel zu sein aus der Zeit, als die Ernährer mit Musketen in den Krieg zogen, oder als sie noch Knüppel benutzten, um Tiere zu erlegen. Clementine hatte keine Schwierigkeiten, ihn sich im Lederschurz und mit einer Keule in der Hand vorzustellen. Natürlich würden Narben von Säbelzahntigern seine breite Brust zeichnen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn die Steppe durchstreifen.

Heutzutage, in unseren hoch technisierten, von der Frauenbewegung und der Gleichberechtigung bestimmten Zeiten, braucht man Männer wie ihn überhaupt nicht mehr, dachte sie, außer im Bett. Sie biss sich auf die Unterlippe.

Diese Hände auf meinem Körper! Diese Hände, wie sie mir die Stiefel anziehen!

Verstohlen glitt ihr Blick im Spiegel zu ihm hin. Der Kosak hatte sich keinen Millimeter bewegt und starrte sie immer noch an – sie erkannte unverhüllte Faszination, unverhüllte, testosterongesteuerte, maskuline Faszination, die ihr galt. Als befände er sich in einer privaten, nur für ihn bestimmten Peepshow.

Clementine fühlte sich, als hätte sie einen Fieberschub, denn sie spürte, wie sein Blick über ihren Körper kroch. Fast war es, als würde er sie berühren.

Soll er doch, dachte sie. Der Anstand hätte geboten, den Rock hinunterzuziehen, doch nach einem Jahr absoluter Keuschheit genoss sie die Aufmerksamkeit. Das Ganze war letztendlich harmlos. Wenn er schauen wollte – bitte sehr! Viel Spaß, dachte sie. Schließlich konnte nichts passieren mitten in diesem Laden. Sie waren zwei Fremde in einem fremden Land. Sie befand sich in Sicherheit.

Sie bückte sich und krempelte erst den einen Stiefelstulpen um, dann den anderen. Damit bot sie dem Kosaken den unverhüllten Anblick ihrer Schenkel. Als sie fertig war, zog sie Zentimeter für Zentimeter den Rock nach unten, wie sie es unzählige Male bei den Models gesehen hatte.

Okay. Die Show ist vorbei!

Jetzt musste sie die Objekte ihrer Begierde nur noch bezahlen, dann ging es zurück in dieses Rattenloch, in dem man sie untergebracht hatte. Auf dem Weg zur Kasse blickte sie verstohlen zur Tür. Er war immer noch da und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die Designerjacke spannte über seinen athletischen Schultern.

Wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag. Er war ganz einfach ein Traum von einem Mann, die fleischgewordene Fantasie jeder Frau. Allerdings wirkte er auch ein bisschen bedrohlich, nicht nur wegen seiner Größe. Clementine hatte deutlich das Gefühl, er warte auf sie.

Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken. Sie schüttelte die Nervosität ab und kramte nach ihrem Geldbeutel. Den Rest der Woche würde sie von Wasser und Brot leben müssen.

„Sie haben einen Bewunderer“, flüsterte die Kassiererin ihr zu, wobei sie einen Seitenblick zur Tür warf, und verstaute Clementines alte Schuhe in einer Tüte.

„Wahrscheinlich ein Schuhfetischist“, bemerkte Clementine trocken. Auf ihren Lippen lag jedoch ein leichtes Lächeln. Sie holte tief Luft und drehte sich schwungvoll um. Der Kosak war verschwunden.

Sie verließ den Laden, trat auf den Fußweg, schwang betont unbekümmert ihre Designerhandtasche und ging Richtung Metro – da sah sie ihn! Er lehnte an einer Limousine, hatte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans gehakt und musterte sie ungeniert. Sein Blick verweilte etwas länger auf ihrem Busen und ihren runden Hüften. Plötzlich war ihre Kehle wie zugeschnürt, und ihr Herz fing an zu flattern.

Du gehst ganz ruhig weiter, befahl sie sich. Auf keinen Fall bleibst du stehen! Designerklamotten, Limousine – Kerle wie ihn sollte man tunlichst meiden. Solche Typen kannte sie, leider. Einmal war genug. Das Gewerbe, in dem sie tätig war, verleitete Frauen, den leichten Weg zu wählen und ihre weiblichen Attribute einzusetzen, um sich einen bestimmten Lebensstandard zu sichern. Zu denen hatte sie nie gehört, und sie würde auch jetzt nicht damit anfangen.

Sergej starrte wie gebannt auf den Schwung ihrer Hüfte und den Streifen Haut, der zwischen Rocksaum und dem Schaft ihrer Stiefel aufblitzte. Er wusste, wodurch ihre Seidenstrümpfe vor dem Rutschen bewahrt wurden, von mitternachtsblauen Spitzenstrapsen.

Er war gerade im „Krassinsky“ gewesen, dem russischen Äquivalent zu „Tiffanys“, wo er alte Manschettenknöpfe, die einmal seinem Vater gehört hatten, zur Reparatur abgegeben hatte. Als er das glasüberdachte Atrium des Luxuskaufhauses durchquerte, sah er dieses wundervolle Wesen in der Boutique.

Ein junge Frau, die sich trotz der Kürze ihres Lederrocks bückte, als wäre sie allein. Der Rock schmückte äußerst attraktiv gerundete Hüften, die bei ihrem Versuch, in die Stiefel zu schlüpfen, verführerisch hin und her schwangen. Dann war ihm auch noch ein Blick auf den Spitzensaum der Seidenstrümpfe und auf die Strapse vergönnt. Als sie den Reißverschluss der Stiefel hochzog, durchfuhr ihn pure Begierde.

Hätte sie jetzt innegehalten, wäre es ihm vielleicht noch möglich gewesen, einfach weiterzugehen. Unglücklicherweise streckte sie jedoch ein Bein aus, und er sah einen wohlgeformten Oberschenkel. Genau die Stelle, wo der Bund des Seidenstrumpfs sich leicht in das weiße Fleisch drückte und eine kleine Wölbung verursachte. Sergej schluckte schwer. Nur noch ein kleines Stück höher, bat er inständig.

Als hätte sie seine Gedanken gehört, sah sie auf und entdeckte ihn im Spiegel. Sie erstarrte. Ihr herzförmiges Gesicht, der großzügige Mund, das schmale Kinn – all das nahm er im Bruchteil einer Sekunde wahr. Trotz ihrer aufreizenden Kleidung, ihres provozierenden Benehmens und des schweren Make-ups wirkte sie wie die Unschuld vom Land. Voller Spannung wartete er auf ihre Reaktion, jetzt, da sie ihn bemerkt hatte. Prompt wurde er durch ein verstohlenes Lächeln belohnt.

Er sah ihr nach, wie sie sich zur Kasse begab, und seine Erregung verflüchtigte sich. Sie war einfach nur eine Frau, die sich etwas gönnte. Sein Interesse erlosch, und er verließ das Kaufhaus, ging zu seinem Wagen, übergab seinem Chauffeur die Aktentasche und öffnete die Tür des Fonds. Doch dann zögerte er, drehte sich um und beobachtete die Boutique.

Und tatsächlich, sie kam heraus – in diesen unglaublichen Stiefeln! Als wäre das nicht genug, sah sie aus wie ein Pin-up-Girl aus den Fünfzigern. Langes, schimmerndes goldenes Haar, schmale Schultern, volle Brüste, runde Hüften, eine Wespentaille und Beine, die schier nicht enden wollten.

Sein gesunder Menschenverstand riet ihm, das Ganze auf sich beruhen zu lassen. Er hatte schließlich Wichtigeres zu tun. Außerdem war es ja nun nicht so, als könnte er keine Frau finden, die ihn im Bett warmhielt.

Dann sah den er Schwung ihrer Hüfte, und seine Entschlossenheit war dahin.

Er registrierte genau den Moment, in dem sie ihn entdeckte. Sie senkte die Lider, sah zu Boden und beschleunigte ihre Schritte. Wenn er noch lange zögerte, würde der Moloch Stadt sie verschluckt haben.

Als würde sie seine Unentschlossenheit spüren, blickte sie über die Schulter zurück. Ein Lächeln, um das Mona Lisa sie beneidet hätte, umspielte ihre Mundwinkel. Ein verstohlenes, leichtes Kräuseln der Lippen – kaum sichtbar, und trotzdem …

Komm doch, schien es zu locken.

Sie warf mit einer energischen Bewegung ihr Haar in den Nacken und verschwand in der Menge.

Wie von einem Magneten angezogen nahm Sergej die Verfolgung auf.

Clementine schaffte es nicht, den Impuls zu unterdrücken. Sie musste sich umdrehen, sah seinen Blick und lächelte. Offensichtlich genügte das, denn der Fremde kam ihr nach.

Instinktiv ging sie schneller.

Verstohlen sah sie sich erneut um – der Kosak war immer noch da. Man konnte ihn nicht übersehen, er überragte alle anderen, und bei seinem fantastischen Aussehen fiel er sowieso auf. Das dunkle lockige Haar hing ihm verwegen in die Stirn und kringelte sich im Nacken. Im hellen Sonnenlicht entging ihr auch der Schatten eines Dreitagebarts nicht, ebenso nicht sein kantiges, energisches Kinn und dieses unverschämte Siegerlächeln, das seine Lippen umspielte.

Ich sollte ihn wirklich nicht ermutigen. Sie zog kurz in Erwägung, ihn zur Rede zu stellen, verwarf diese Idee jedoch sofort. Im Gegenteil, sie betonte ihren Hüftschwung und ging langsamer.

Wieder sah sie sich um. Er war noch da, ließ sie nicht aus den Augen, verringerte aber auch nicht den Abstand zwischen ihnen. Kein Anlass zur Sorge.

Sergej zögert kurz, als er sah, wie das gestiefelte Kätzchen, wie er sie insgeheim spontan getauft hatte, den Nevsky Prospekt überquerte, ungeachtet des Wahnsinnsverkehrs. Sie verursachte ein Hupkonzert und Bremsenquietschen, wahrscheinlich aber eher wegen ihrer unglaublich langen Beine als wegen der Verkehrsbehinderung.

Ihr Gang war derart sexy, Marilyn Monroe wäre vor Neid erblasst. Am meisten beeindruckte ihn, dass sie sich dessen anscheinend gar nicht bewusst war.

Er beschloss, sie auf keinen Fall aus den Augen zu lassen.

Clementine riskierte einen weiteren Blick über die Schulter, konnte ihn jedoch nicht mehr entdecken. Ihre Euphorie sank auf den Nullpunkt.

Vor ihr war die Unterführung, wie immer dunkel, feucht und leicht bedrohlich wirkend. Da muss ich durch, sagte sie sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Stiefel rieben an ihren Fersen, und statt sich weiter ihren sexuellen Fantasien zu widmen, dachte sie darüber nach, was sie noch alles zu erledigen hatte.

Sergej blieb an der Bordsteinkante stehen, als sie in die Unterführung hinabstieg. Mit einem Blick erkannte er, dass er nicht der Einzige war, der sie beobachtete. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sprintete er über die Fahrbahnen. Boshe! Herrgott noch mal, diese Frau war komplett verrückt. Sie weiß doch, dass ich ihr nachgehe, dachte er, wie können ihr da diese zwei Typen entgangen sein! Allerdings interessierten die sich weniger für den Schwung ihrer Hüften als für ihre Handtasche.

Man sollte sie wirklich nicht alleine auf die Straße lassen! Zwei Typen, zwei Faustschläge. Er holte aus und streckte den ersten nieder.

Adrenalin durchflutete seinen Körper. Endlich konnte er etwas anderes tun, als nur am Schreibtisch oder im Flugzeug zu sitzen. Er hatte sich immer fit gehalten, boxte regelmäßig, außerdem joggte er jeden Tag. Das Kämpfen lag in seinem Naturell. Jetzt hatte er Gelegenheit dazu.

Natürlich war es nicht wirklich eine Herausforderung. Dem Widerstand des ersten Angreifers setzte er einen Faustschlag entgegen. Unglücklicherweise beschloss die junge Dame ebenfalls, sich zu verteidigen. Sie schwang ihre Handtasche und schlug einem der beiden damit auf den Kopf.

Dadurch wurde er selbst abgelenkt, weshalb er sich einen Schlag gegen sein Kinn einhandelte. Das brachte ihn zur Besinnung. Er reagierte in Sekundenschnelle. Seine Fäuste flogen, trotzdem konnte er nicht verhindern, dass der zweite Typ sich die Tasche schnappte und davonrannte. Sergej ballte hilflos die Hände zu Fäusten.

„Sie haben sie entkommen lassen!“

Die Fremde stemmte entrüstet die Hände in die Hüften. Sergej rieb sich das Kinn. Es war müßig, ihr zu erklären, dass er die beiden natürlich liebend gerne zu Brei geschlagen hätte, es zu ihrer eigenen Sicherheit jedoch für ratsam hielt, sie gehen zu lassen. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich stattdessen.

„Die haben meine Tasche!“, rief sie hysterisch.

Ausländerin, konstatierte er, vielleicht Engländerin, ihre Stimme dunkel, ein satter Alt, etwas heiser.

„Da haben Sie noch Glück gehabt“, sagte er auf Englisch. „Diese Unterführungen sind gefährlich. Hätten Sie ihren Reiseführer etwas aufmerksamer gelesen, moja krassawitsa, wüssten Sie das!“

Sie sah ihn mit ihren großen grauen Augen vorwurfsvoll an. „Ach! Jetzt ist es also meine Schuld?“, fragte sie und stemmte die Hände in die Hüften, sodass ihre weiße Seidenbluse interessant über den Brüsten spannte.

Boshe! Oh mein Gott! Er erhaschte einen Blick auf schwarze Spitze. Diese Frau ist unmöglich! Weiß sie nicht, wie sie wirkt? Man sollte sie zwingen, einen bodenlangen Kaftan zu tragen. Zu ihrer eigenen Sicherheit.

Am liebsten hätte er ihr sein Jackett über die Schultern gelegt. Dummerweise würde es ihm dann den wundervollen Anblick verwehren.

Von Angesicht zu Angesicht entsprach sie nicht ganz dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte. Von Nahem sah sie noch viel besser aus – und jünger. Eher zwanzig als dreißig. Das lag vermutlich am Make-up, das sie eigentlich gar nicht brauchte, es ließ sie älter wirken. Ihre Haut war makellos und glich einem reifen Pfirsich.

Im Moment allerdings fluchte sie wie ein Matrose und ging nervös auf und ab. Dann, die Hände immer noch in die Hüften gestemmt, drehte sie sich auf dem Absatz um und sah ihn zum ersten Mal wirklich an. Ihr Kampfgeist schien sie zu verlassen. Sergej musterte sie: dichte, lange Wimpern, klare, graue Augen und Sommersprossen auf der Nase.

Entzückend!

„Entschuldigen Sie bitte“, stieß sie hervor. „Wie unhöflich von mir! Ich muss mich bei Ihnen bedanken. Sie haben mir geholfen, obwohl Sie das nicht mussten. Das werde ich Ihnen nie vergessen.“

Das hatte er nicht erwartet. Er zuckte die Achseln. Sentimentalität lag ihm nicht. Davon abgesehen – sie war ja nun nicht gerade ein Mauerblümchen. In St. Petersburg konnte man mit weitaus weniger Einsatz Mädchen aufgabeln.

„Was ist denn mit den Männern los, da wo Sie herkommen, kisa? Kümmern die sich nicht um ihre Frauen?“

„Gute Frage“, antwortete sie, zuckte die Achseln und lächelte.

Da war es wieder, dieses undefinierbare Mona-Lisa-Lächeln.

„Wahrscheinlich schon. Nehme ich an.“

Und damit ging sie. Ging einfach weg. Die Absätze ihrer hochhackigen Stiefel klackten auf dem Pflaster. Die Arme hielt sie seltsam steif, als koste es sie Kraft, die Balance zu bewahren.

Ihre ungelenken Bewegungen riefen ihm ins Bewusstsein, dass sie gerade einen schrecklichen Schock erlitten hatte. Er konnte nicht glauben, dass sie davonging.

Verdammt! „Warten Sie!“

Sie blickte über die Schulter.

„Kann ich Sie mitnehmen? Mein Chauffeur wartet.“

Unschlüssig sah sie ihn mit ihren großen unschuldigen Rehaugen an.

„Lieber nicht, Champion, aber vielen Dank für das Angebot.“

Das Klicken ihrer Absätze klang noch lange in seinen Ohren nach.

2. KAPITEL

„Verflixt!“, schimpfte Clementine, als sie in eine Pfütze trat. Sie lief eilig auf den Ausgang der Unterführung zu und überlegte, wie sie am geschicktesten vorgehen sollte. Zuallererst musste sie herausfinden, wo sich die australische Botschaft befand, dann musste sie sich von Luke, ihrem besten Freund, Geld borgen und anschließend die Bank in London anrufen, um Kreditkarten und Konten sperren zu lassen. All das würde sie erledigen, nachdem sie sich erst einmal richtig ausgeweint hatte.

Diese Handtasche war ihre Rettungsleine, sie war überlebenswichtig!

Das habe ich mir alles selbst eingebrockt. Normalerweise konnte sie sehr gut auf sich aufpassen, aber sie hatte sich derart in Fantasien mit diesem Kosaken hineingesteigert, dass sie alles andere vergaß. Und jetzt habe ich das auch noch vermasselt, dachte sie. Wegen des Schrecks hatte sie überhaupt nicht reagieren können. Nicht einmal richtig bedankt hatte sie sich für seinen heldenhaften Einsatz.

Die Erinnerung an ihn ließ ihren Herzschlag heftig flattern. Wie ein Drachentöter hatte er die Feinde besiegt. Solche Männer gab es eigentlich gar nicht mehr, sie gehörten einer ausgestorbenen Spezies an – zumindest in London.

Das helle Sonnenlicht blendete sie, als sie die Treppe aus der Unterführung hochstieg. Nervös zog sie den Saum ihres Rockes nach unten. Sie fror trotz des warmen Sonnenscheins. Das lag daran, dass sie ihre Arbeitskleidung trug. Ihr Auftraggeber, die Firma Verado, bestand auf diesem Kleidungsstil. Ich hätte mich umziehen sollen, dachte sie, doch sie hatte es eilig gehabt, und nun lief sie durch die Straßen von St. Petersburg in zugegebenermaßen fantastischen Stiefeln und diesem unangemessenen Outfit.

Sie ging auf einen Kiosk zu und sank dort auf einen Stuhl. Erst jetzt merkte sie, dass sie zitterte, und das nicht wegen der leichten Bekleidung. Wahrscheinlich eine Schockreaktion, überlegte sie. Ohne ihre Handtasche fühlte sie sich nackt – nackt und hilflos. Sie war es gewohnt, alles alleine zu schaffen, aber dafür brauchte sie ihre Tasche oder richtiger das, was sich darin befand. Allmählich bereute sie, ihren Retter weggeschickt zu haben. Es war sinnlos, ins Hotel zu gehen. Sie musste zurück in die Stadt zu Luke.

In diesem Moment entdeckte sie die Limousine, die mit laufendem Motor genau gegenüber parkte. Die Beifahrertür stand weit offen – und dann sah sie ihn. Er kam direkt auf sie zu. Da er sein Jackett ausgezogen hatte, bemerkte sie, wie durchtrainiert er war. Ihre Panikattacke löste sich in Luft auf.

Nie war sie jemandem wie ihm begegnet. Breite Schultern, muskulöse Oberarme, Beine wie ein Marathonläufer, dazu war er groß und schlank – und er hatte sie im Visier! Für sie hatte er sich geprügelt!

„Steigen Sie ein, ich bringe Sie, wohin Sie wollen.“

Unfähig, auch nur einen Muskel zu bewegen, starrte Clementine zu ihm hoch.

Besänftigend hob er die Hände. „Ich bin hier der Gute. Sie brauchen doch Hilfe, oder?“

„Ja.“ Mehr brachte sie nicht heraus, weil sie ihren Blick nicht von seinen wahnsinnig grünen Augen abwenden konnte.

„Wohnen Sie weit von hier?“

Ich sollte ihm gar nichts über mich erzählen, schoss es ihr durch den Kopf, und schon gar nicht in diesen Wagen einsteigen. Andererseits hatte er ihr geholfen und sich für sie in Gefahr begeben. Er war wirklich ein Guter und sehr, sehr sexy noch dazu. Nahm sie sein Angebot an, hätte sie eine zweite Chance bei ihm. Außerdem – sie war es so satt, immer und überall für sich selbst sorgen zu müssen. Was ist schon dabei, wenn ich einsteige?

„Wissen Sie, wo die australische Botschaft ist?“

„Werde ich finden.“

Daran zweifelte sie keine Sekunde.

Sergej gab seinem Chauffeur ein paar Anweisungen, dann widmete er seine volle Aufmerksamkeit der jungen Frau und bewunderte, wie sie es schaffte, diese nicht enden wollenden Beine im Wagen unterzubringen. Er stieg von der anderen Seite ein und setzte sich neben sie auf den Rücksitz. Sofort rutschte sie ein Stück weg, doch dann beugte sie sich vor – und zog langsam den Reißverschluss der Stiefel nach unten!

Erleichtert seufzend streifte sie sie ab. Sie schien es völlig unbewusst zu tun, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass ihr nicht klar war, wie das auf ihn wirken musste.

„Sorry, Champion, aber sie sind neu und drücken höllisch.“

Im nächsten Moment presste sie keusch die Knie zusammen und faltete die Hände im Schoß. Diese Frau ist unglaublich, dachte er.

„Sie sind Australierin? Aus Sydney?“ Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren rau und heiser.

„Melbourne.“

Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem leisen Lächeln, den Blick hielt sie jedoch scheu gesenkt. Diese Frau war ein wandelndes Rätsel. Wenn nur diese langen Beine nicht wären.

„So weit entfernt von Zuhause. Was bringt Sie denn nach St. Petersburg? Arbeit oder Vergnügen?“

„Beides. Ich bin zwar hier, um zu arbeiten, aber ich habe mein ganzes Leben davon geträumt, einmal diese Stadt zu besuchen. Sie ist so romantisch.“

„Und gefällt Ihnen, was es zu sehen gibt?“

„Sehr, sehr gut.“

Sie warf ihm einen Seitenblick zu, der deutlich besagte, dass sie ausschließlich die Sehenswürdigkeiten der Stadt meinte. Aber allein dieser Blick reichte aus, um die Spannung im Wagen um einiges zu erhöhen. Demonstrativ sah sie zum Seitenfenster hinaus. Nun konnte er in Ruhe die Linie ihres Halses bewundern und die goldenen Strähnen ihres Haars, die sich im Nacken ringelten.

Autor

Lucy Ellis
Früher hätte Lucy Ellis nie für möglich gehalten, einmal selbst Liebesromane zu schreiben, wie ihre Großmutter es ihr vorschlug. Heute tut sie genau das mit großer Freude und hat Spaß daran, ihre Liebe für Märchen, alte Filme, teure Unterwäsche und große, attraktive Männer in ihren Romanen einzubauen. Das Beste für...
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