Die Bravo-Royals - 9-teilige Serie

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In dieser Miniserie begegnen Sie neun sympathischen Geschwistern aus dem adeligen Bravo-Clan, wie sie in Montedoro leben und lieben!

CHAMPAGNER, KÜSSE UND EIN TRAUMPRINZ

Sydney glaubt zu träumen, als Rule Bravo-Calabretti sich anbietet, sie unverzüglich zu heiraten und mit ihr ein Kind zu bekommen. Spürt er es etwa auch? Diese Magie, diesen sinnlichen Zauber! Doch dann gesteht er ihr nach einem romantischen und luxuriösen Champagnerdinner, wer er wirklich ist. Jetzt weiß Sydney, dass er nur mit ihr spielt, und all ihre Träume zerplatzen. Denn für eine heiße Affäre ist sie sich zu schade …

DER PRINZ, DEN ICH HEIRATEN MUSSTE

Prinzessin Lili heiratet Prinz Alex einzig und allein, um der Pflicht gegenüber ihrem Land zu gehorchen. Als sie mit ihm zur Hochzeitsreise auf der Fürstenjacht aufbricht, hat sie all ihre romantischen Träume bereits begraben. Zu Unrecht? Schon bald erlebt sie eine Überraschung …

NUR DU UND ICH IM MONDSCHEIN

Als sie in seinen Armen liegt, leuchtet der Himmel in zauberhaften Farben: Das Nordlicht macht den Kuss zwischen Prinzessin Arabella und Preston zu etwas Magischem. Wenn diese Umarmung nur nie enden würde! Doch wenn Preston von Arabellas Geheimnis erfährt …

DER SÜßE KUSS DER PRINZESSIN

Das größte Geheimnis des Palastes ist in Gefahr! Denn Marcus Desmarais wird zum Bodyguard von Prinzessin Rhia ernannt. Wie sollen sie da die magische Anziehungskraft verbergen, die zwischen ihnen herrscht?

DAS PRINZESSINNEN-PROJEKT

Keine Eskapaden mehr - Prinzessin Alice will sich künftig untadelig benehmen. Doch beim Anblick des neuen Pferdepflegers schmilzt ihr Vorsatz dahin. Alice ahnt nicht, dass der vermeintliche Habenichts ein Tycoon ist, der zwei Trophäen begehrt: ihren Lieblingshengst - und ihre Hand!

LUCY UND DIE KUNST DES KÜSSENS

Nach langer Krankheit will Lucy so vieles nachholen. Erotik inklusive. Und ausgerechnet er soll ihr Lehrmeister sein! Dabei empfindet Damien wie ein Bruder für die zarte Designerin. Bis sie ihn küsst, und ein knisternder Weihnachtsflirt beginnt. Ein Strohfeuer … oder mehr?

PRINZ MEINES LEBENS

Es war ein Fehler! Lani hätte sich nicht auf eine heiße Nacht mit Prinz Maximilian einlassen dürfen - so sehr sie sich auch nach ihm sehnt! Denn sie weiß, dass Max nie heiraten will. Und schon gar keine einfache Nanny wie sie. Lani wird gehen - auch wenn ihr Herz daran zerbricht …

DER ANDERE BRÄUTIGAM

Ihr Lachen bezaubert ihn, und ihre Augen versprechen das Paradies - Rafe kann dieser Frau nicht widerstehen! Obwohl er weiß, dass er von verbotenen Früchten nascht, denn Genevra wollte seinen verstorbenen Bruder heiraten. Jetzt umarmt sie Rafe und schwört ihm die ewige Liebe …

PRINZESSIN AURORAS WEIHNACHTSKUSS

Sobald der umwerfend attraktive Rancher Walker sie ansieht, verspürt Prinzessin Aurora dieses wundervolle Kribbeln … Doch ihre Sehnsucht nach heißen Küssen unterm Weihnachtsbaum scheint vergeblich, denn Walker besteht darauf, dass sie nur gute Freunde sein können. Aber warum?


  • Erscheinungstag 26.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735692
  • Seitenanzahl 1170
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Christine Rimmer

Die Bravo-Royals - 9-teilige Serie

IMPRESSUM

Champagner, Küsse und ein Traumprinz erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2012 by Christine Rimmer
Originaltitel: „The Prince’s Secret Baby“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1879 - 2013 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Valeska Schorling

Umschlagsmotive: Kiuikson, phaisarn2517 / GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733754839

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Halten Sie an“, wies Rule Bravo-Calabretti seinen Chauffeur an, während er beobachtete, wie der Mercedes Benz vor ihm in den letzten freien Parkplatz vor Macy’s bog.

Die Bremslichter des Mercedes’ erloschen, und kurz darauf tauchten der Kopf und die Schultern einer Frau mit streng gescheiteltem braunem Haar über den Dächern der parkenden Autos auf. Mit einer energischen Bewegung hängte sie sich ihre Handtasche über die rechte Schulter, klappte ihre Autotür zu und schloss den Wagen mithilfe der Zentralverriegelung ab.

Sie sah genauso aus wie auf den Fotos des Privatdetektivs – nur irgendwie attraktiver. Nicht wirklich bildhübsch, aber sehr interessant, was Rule anziehender fand als bloßes gutes Aussehen. Sie war groß und schlank und trug ein konservatives blaues Seidenkostüm, dessen Rock ihr bis zu den schlanken Knien reichte.

Rule beobachtete, wie sie sich das Jackett zurechtzupfte und sich entschlossen Richtung Kaufhaus umdrehte. Sie hatte etwas sehr Zielstrebiges an sich, und das gefiel Rule. Nicht ein einziges Mal hatte sie in seine Richtung gesehen. Offensichtlich hatte sie nicht bemerkt, dass sie verfolgt wurde.

Er brauchte nicht lange, um seine Entscheidung zu treffen: Er musste sie kennenlernen. Und das, obwohl er sich strikt vorgenommen hatte, keinen Kontakt mit ihr aufzunehmen. Schließlich hatte er sich bereits vergewissert, dass sie eine erfolgreiche Anwältin war und gut für das Kind sorgte. Wozu sich in ihr Leben einmischen? Umgangsrecht hatte er ohnehin nicht.

Aber es ging ihm nicht um seine Rechte und auch nicht darum, ihr ihre streitig zu machen. Er wollte einfach nur … mit ihr reden. Herausfinden, ob an der Faszination, die sie auf ihn ausübte, etwas dran war. Oder ging es ihm in Wirklichkeit doch nur um das Kind?

Er wusste, dass er gerade mit dem Feuer spielte. Es wäre das Klügste, einfach seine Geschäfte abzuwickeln, zurück nach Montedoro zu fliegen und sich an die Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft mit Lili zu gewöhnen. Und das würde er auch tun. Später. Jetzt jedoch würde er sich endlich einen lang gehegten Traum erfüllen, Sydney O’Shea von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.

Sydney war fassungslos. Da stand dieser total scharfe – und ihr seltsam bekannt vorkommende – Kerl in Macy’s Haushaltswarenabteilung und machte ihr doch tatsächlich schöne Augen. Was absolut untypisch für Männer seines Kalibers war. Typen wie er baggerten eigentlich nur Frauen an, die genauso umwerfend aussahen wie sie selbst.

Nicht dass sie hässlich war, aber eine Schönheit war sie auch nicht gerade. Dazu war sie viel zu … pragmatisch und unabhängig. Und ihr Ehrgeiz und ihre Intelligenz schreckten die meisten Männer schon auf den ersten Blick ab.

Hm. Ob sie sich das Ganze nur einbildete? Den Blick auf ein Preisschild senkend, warf sie einen weiteren verstohlenen Blick in Richtung Mr Augenschmaus. Er wandte offensichtlich genau denselben Trick wie sie an, denn er drehte im selben Moment den Kopf zu ihr, als sie ihn ansah. Einer seiner Mundwinkel zuckte.

Ob er vielleicht mit jemandem hinter ihr flirtete?

Sydney sah sich verstohlen um. Nichts. Niemand da. Nur Regale voller Töpfe und Pfannen, auf die sie sich jetzt viel dringender konzentrieren musste. Entschlossen drehte sie sich um und versuchte, die Anwesenheit dieses Mannes zu verdrängen. Sie brauchte nämlich dringend ein Hochzeitsgeschenk. Denn schon wieder heiratete jemand aus der Kanzlei, diesmal die Rechtsanwaltsgehilfin Calista Dwyer, die schon morgen mit ihrem Freund auf irgendeine tropische Insel fliegen, ihn heiraten und zwei Flitterwochen im Paradies verbringen würde.

Das war der Grund, dass Sydney ihre Mittagspause jetzt bei Macy’s verbrachte, obwohl sie es eigentlich hasste, Hochzeitsgeschenke zu kaufen. Es machte ihr nämlich immer wieder schmerzlich bewusst, dass alle Leute außer ihr heirateten.

Natürlich hätte sie die Besorgung des Geschenks auch ihrer Assistentin überlassen können, aber sie war von ihrer Großmutter erzogen worden, und Ellen O’Shea hatte grundsätzlich jedes Geschenk selbst ausgesucht und eingepackt. Sydney setzte diese Familientradition getreu fort, so nervig sie sie auch manchmal fand.

„Kochtöpfe. Praktisch, aber nicht gerade originell“, hörte sie plötzlich eine tiefe und sehr erotische männliche Stimme an ihrem Ohr. „Es sei denn, Sie kochen gern.“

Großer Gott, Mr Heiß und Scharf stand direkt hinter ihr! Jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, dass er tatsächlich mit ihr geflirtet hatte.

Langsam drehte Sydney sich zu ihm um. Mann, war der Typ umwerfend! Es gab keinen passenderen Ausdruck, um ihn zu beschreiben. Er hatte rabenschwarze Augen, Wangenknochen, die wie gemeißelt aussahen, ein markantes Kinn und eine gebogene Nase. Seine Schultern waren unglaublich breit. Und seine Art, sich zu kleiden … lässig, aber teuer. Er trug eine helle Hose und ein marineblaues Jackett über einem karierten Hemd.

Er hob eine ebenholzschwarze Augenbraue. „Und?“, fragte er. „Tun Sie es?“

Sydney musste sich dazu zwingen, weiterzuatmen. „Wie bitte?“, fragte sie verwirrt. „Was soll ich gern tun?“

„Ob Sie gern kochen.“ Er starrte sie an, als fiele es ihm schwer, den Blick von ihr loszureißen. Was ging denn hier ab?

Moment mal! War er womöglich ein Gigolo? Vielleicht sah sie ja wie typische Gigolo-Beute aus, und es war gerade in, Sugarmommys in Haushaltswarenabteilungen aufzureißen. Auf der anderen Seite kam er ihr immer noch verdammt bekannt vor. „Kennen wir uns vielleicht?“

Langsam ließ er den Blick an ihr hinuntergleiten und hob ihn dann wieder zu ihren Augen. Er sah sie an, als hätte er nichts dagegen, sie an Ort und Stelle zu vernaschen. Zu allem Überfluss lachte er auch noch – und sein Lachen klang genauso sexy, dunkel und erregend wie seine Stimme. „Ich hoffe doch, dass Sie mich nicht so schnell vergessen hätten, wenn wir und schon mal begegnet wären.“

Da hatte er natürlich recht. „Ich … äh …“ Verdammt, ihr fiel nichts ein. Der Kerl hatte ihr doch tatsächlich die Sprache verschlagen. So etwas passierte ihr sonst nie!

Schluss jetzt. Reiß dich zusammen. Sie gab sich einen Ruck und streckte die Hand aus. „Sydney O’Shea“, stellte sie sich vor.

„Rule Bravo-Calabretti.“

Als er ihre Hand ergriff, unterdrückte Sydney ein erschrockenes Keuchen. Sie empfand seine Berührung wie einen Stromschlag. Prickend heiß durchzuckte sie ihren ganzen Arm und machte keineswegs an ihrer Schulter Halt. Nein, sie schoss ihr direkt in den Unterleib. Hastig ihre Hand losmachend, trat Sydney einen Schritt zurück, wobei sie fast gegen das Regal hinter sich gestoßen wäre. „Rule, haben Sie gesagt?“

„Ja.“

„Lassen Sie mich raten, Rule. Sie kommen nicht aus Dallas.“

„Woher wissen Sie das?“

„Na, wegen Ihrer Designerklamotten und Ihres doppelten Nachnamens. Sie sprechen zwar fließend Englisch, aber auffallend akzentfrei. Ich glaube, Sie kommen nicht nur nicht aus Dallas, sondern noch nicht einmal aus den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Er lachte schon wieder. „Sind Sie etwa Dialekt-Expertin?“

„Nein, ich bin nur klug. Und aufmerksam.“

„Klug und aufmerksam. Eine gute Mischung.“

Schade, dass Sydney ihn nicht für den Rest ihres Lebens ansehen und ihm zuhören konnte. Aber sie musste jetzt Calistas Hochzeitsgeschenk kaufen. Und danach rasch etwas essen, bevor das wichtige Meeting zum Binnelab-Fall anfing.

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Sydney“, sagte er mit einer Stimme, die sie an geschmolzenes Karamell erinnerte.

„Hm … welche Frage?“

„Ob Sie gern kochen?“

Ihr gefiel die Art, wie er ihren Namen aussprach. Alarmierend gut.

Vorsorglich wich Sydney noch ein Stück zurück. „Ich und kochen? Nur wenn es sich nicht vermeiden lässt.“

„Und warum habe ich Sie dann ausgerechnet in der Haushaltswarenabteilung gefunden?“

„Gefunden?“, fragte sie argwöhnisch. Was wollte dieser Typ bloß von ihr? „Haben Sie mich denn gesucht?“

Lässig zuckte er die Achseln. „Ich habe gesehen, wie Sie vom Parkplatz zum Eingang gingen. Sie wirkten so … zielstrebig.“

„Und deshalb sind Sie mir gefolgt?“

„Ja. Ich fand Sie faszinierend.“

„Zielstrebigkeit fasziniert Sie also?“

Er lachte. „Klar. Meine Mutter ist auch so.“

„Und Sie lieben Ihre Mutter natürlich“, sagte sie spöttisch. Sie wurde immer sarkastisch, wenn sie nervös oder unsicher war – und dieser Mann machte sie sehr nervös. Er war einfach zu gut, um wahr zu sein.

Doch entweder fiel ihr Sarkasmus Mr Bravo-Calabretti nicht auf, oder er ignorierte ihn. „Ja, ich liebe meine Mutter, sehr sogar. Und ich bewundere sie.“ Er musterte sie mit unverhüllter Neugier. „Sie sind ganz schön kratzbürstig, oder?“, fragte er belustigt.

Sydney bekam sofort Schuldgefühle. „Ja, bin ich“, antwortete sie schroff. „Die meisten Männer finden das eher abstoßend.“

„Die meisten Männer sind Idioten“, antwortete er sanft. „Was suchen Sie hier bei den Töpfen und Pfannen?“, fügte er hinzu.

„Ein Hochzeitsgeschenk für eine Mitarbeiterin aus meiner Kanzlei“, gestand sie.

Seine dunklen Augen leuchteten auf wie Sterne am Mitternachtshimmel. „Ein Hochzeitsgeschenk?“

„Genau.“

„Dann erlauben Sie mir, einen Vorschlag zu machen.“ Er griff um sie herum nach einem roten herzförmigen Le-Creuset-Schmortopf. „Hier.“

Sydney fiel auf, dass er keinen Ehering trug. „Wie romantisch“, sagte sie ironisch. „Welche Braut sehnt sich nicht nach einem herzförmigen Schmortopf?“

„Kaufen Sie ihn. Und danach machen wir, dass wir hier rauskommen.“

„Wir?“

Jetzt stieg ihr auch noch sein verführerisches Aftershave in die Nase. Ein toller Duft – subtil und luxuriös zugleich.

Intensiv sah er sie an. „Ja. Sie und ich.“

„Aber ich werde nirgendwo mit Ihnen hingehen“, sagte sie empört. „Ich kenne Sie doch gar nicht.“

„Stimmt. Leider.“ Er zog eine übertrieben tragische Grimasse. „Essen Sie mit mir zu Mittag, Sydney. Dann haben wir genug Zeit, einander kennenzulernen.“

Sie öffnete protestierend den Mund, doch er hatte den Schmortopf bereits aus dem Regal gezogen. „Hier geht’s lang.“ Mit der freien Hand zeigte er auf die nächste Kasse.

Verwirrt ging sie vor ihm her. Aber – warum eigentlich nicht? Das mit dem Schmortopf war wirklich eine gute Idee … was natürlich nichts daran änderte, dass sie diesem Rule Bravo-Calabretti eine unmissverständliche Abfuhr erteilen würde, sobald sie den Topf bezahlt hatte.

Die junge hübsche Frau an der Kasse nahm Rule errötend den Topf ab und warf ihm schmachtende Blicke zu.

Sydney empfand spontan Mitgefühl für sie. Rule sah aus wie einem Liebesschmöker entsprungen – ein fast irreal gut aussehender charmanter und kultivierter Liebhaber, der wie aus dem Nichts auftaucht und die gutherzige, aber ansonsten völlig gewöhnliche Heldin von den Socken haut.

Hatte sie tatsächlich Liebhaber gedacht? Sie musste dringend ihre überschießende Fantasie zügeln!

„Was für ein süßer Schmortopf“, sagte die Kassiererin. „Soll es ein Geschenk sein?“

„Ja“, antwortete Sydney. „Ein Hochzeitsgeschenk.“

Das Mädchen warf Rule einen weiteren schmachtenden Blick zu. „Tut mir leid, aber wir packen hier nichts mehr ein“, sagte sie atemlos.

Rule nickte nur kurz.

„Kein Problem“, antwortete Sydney und zog ihre Kreditkarte aus ihrer Handtasche. Während sie bezahlte, versuchte sie, die Gegenwart des viel zu attraktiven Mannes neben sich zu ignorieren.

Die Kassiererin reichte Sydney den Kassenbon – und Rule die Tüte mit dem Topf. „Hier, bitte schön. Und kaufen Sie bald wieder bei uns ein. Jederzeit.“

Sydney bedankte sich höflich und drehte sich zu Rule um. „Die Tüte nehme ich.“

„Nicht nötig. Ich trage sie für Sie.“

„Ich sage doch, ich nehme sie!“

Widerstrebend reichte er ihr die Tüte, machte jedoch keinerlei Anstalten, sich von ihr zu verabschieden.

„Es war nett, Sie kennenzulernen“, fügte Sydney hinzu. „Aber jetzt muss ich wirklich …“

„Es handelt sich nur um ein Mittagessen“, sagte er sanft. „Nicht um eine lebenslange Verpflichtung.“

Als sie ihm in die verführerischen dunklen Augen sah, hörte sie plötzlich die strenge Stimme ihrer besten Freundin Lani im Hinterkopf: „Mal ehrlich, Syd! Wenn du einen Mann willst, solltest du ab und zu auch mal einem eine Chance geben …“

„Also schön“, hörte sie sich zu ihrer Überraschung sagen. Was soll’s, ein Mittagessen war schließlich kein Verbrechen. Sie würde einfach die erregende und sehr schmeichelhafte Gesellschaft Rules genießen und sich dann von ihm verabschieden. Was war schon dabei?

„Na, so was, Sie lächeln ja“, sagte er, den Blick auf ihren Mund gerichtet. „Endlich!“

Sydneys Lächeln vertiefte sich. Rule Bravo-Calabretti gefiel ihr immer besser. Er sah nicht nur umwerfend gut aus, sondern hatte auch noch Humor. „Okay, aber erst muss ich eine Geschenktüte besorgen.“

Sie standen noch immer da und sahen einander an. Es war ein aufregendes Gefühl, hier bei Macy’s zu stehen und sich in den Augen eines tollen Mannes zu verlieren. „Ich glaube, da drüben ist ein Informationsschalter“, sagte Rule schließlich und führte sie genauso dorthin wie eben zur Kasse.

Kurz darauf betraten sie einen Laden mit Geschenkpapier. Nachdem Sydney eine hübsche Tüte, eine glitzernde Schleife und eine Glückwunschkarte erstanden hatte, waren sie fertig. „Wohin gehen wir?“, fragte sie, als sie wieder draußen waren.

„Wir sind in Texas“, sagte Rule jungenhaft grinsend. „Steak essen natürlich.“

Sydney war nicht überrascht, dass Rule eine Luxuslimousine hatte. Irgendwie passte ein solcher Wagen zu ihm. Er schlug ihr vor, dass sie mit ihm zusammen ins Restaurant fuhr, doch sie bestand darauf, ihm hinterherzufahren. Sie entschieden sich für ein Restaurant im Stockyards-Viertel, das für seine urtümliche texanische Atmosphäre bekannt war.

Als sie an einem Ecktisch saßen, über dem ein Leuchter aus Geweihen von der zinnverkleideten Decke hing, bestellte Rule eine Flasche erstklassigen Rotwein. Sydney lehnte zunächst ab, gab dann aber doch nach und ließ sich ein halbes Glas einschenken. Der Wein schmeckte fantastisch – weich und angenehm würzig.

„Schmeckt er Ihnen?“, fragte Rule.

„Ja, er ist wundervoll.“

Er hob das Glas. „Auf kluge aufmerksame und zielstrebige Frauen.“

„Vergessen Sie das ‚kratzbürstig‘ nicht“, rief sie ihm ins Gedächtnis.

„Wie könnte ich eine so charmante Eigenschaft vergessen?“

„Geschickt aus der Affäre gezogen.“

Rule hob sein Glas noch höher. „Na schön, auf kluge, aufmerksame, zielstrebige und entschieden kratzbürstige Frauen.“

Lachend stieß sie mit ihm an.

„Erzählen Sie mir von Ihrem Karrierejob“, forderte er sie auf, nachdem der Kellner ihren Salat gebracht hatte.

Sydney trank noch einen Schluck Wein – mehr als sie in Anbetracht des bevorstehenden Meetings zu sich nehmen sollte. „Woher wissen Sie, dass ich einen Karrierejob habe?“

„Sie haben vorhin erwähnt, in einer Kanzlei zu arbeiten.“

„Ich könnte doch einfach nur Daten eingeben. Oder Anwaltsgehilfin sein.“

„Ausgeschlossen, das sieht man schon an Ihrer Kleidung.“ Er musterte ihr maßgeschneidertes Kostüm und ihre einreihige Perlenkette. „Und an Ihrer Art …“

Sydney fühlte sich plötzlich erregend leichtsinnig. Anscheinend stieg ihr der Wein schon zu Kopf. Sie beugte sich vor. „Was für eine Art?“

„Man merkt Ihnen einfach an, dass Sie niemandes Gehilfin sind.“

Sydney lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Hände im Schoß. „Ich bin Anwältin bei einer Wirtschaftskanzlei.“

Das glaube ich Ihnen sofort.“

Sydney nahm ihre Gabel und begann zu essen.

Rule folgte ihrem Beispiel. Für einen Moment herrschte ein überraschend angenehmes Schweigen zwischen ihnen. „Und was ist mit Ihnen?“, fragte sie irgendwann. „Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?“

„Ich bin zurzeit Geschäftsmann. Internationaler Handel.“

„Zurzeit? Wollen Sie damit sagen, dass Sie Ihren Job öfter wechseln?“

„Ich realisiere nur Projekte, die mich interessieren. Und sobald ich eines zu meiner Zufriedenheit erledigt habe, ziehe ich weiter zum nächsten.“

„Und womit handeln Sie?“

„Mit Orangen. Aus Montedoro.“

„Montedoro? Klingt irgendwie exotisch.“

„Die Montedoro-Orange ist eine sehr süße Blutorange. Sie schmeckt ein wenig nach Himbeere, und die Schale ist glatt, nicht genarbt wie bei anderen Orangen.“

„Dann kann ich hier also demnächst Montedoro-Orangen bei Walmart kaufen?“

„Wohl kaum, dazu ist das Handelsvolumen zu gering. Aber ich könnte sie mir gut in speziellen Gourmet- und Spezialitätengeschäften vorstellen.“

„Montedoro …“, wiederholte Sydney nachdenklich. „Das ist doch ein kleines Land in Europa, oder? An der Côte d’Azur?“

„Stimmt genau. Das ist meine Heimat.“ Als er Sydney noch mehr Wein eingoss, hielt sie ihn nicht zurück. „Montedoro ist einer der acht kleinsten Staaten Europas, ein Fürstentum am Mittelmeer. Meine Mutter wurde dort geboren. Mein Vater war Amerikaner, zog jedoch ebenfalls dorthin, als sie heirateten. Er heißt Evan Bravo und stammt ursprünglich aus Texas.“

Sydney liebte den Klang seiner Stimme. Bei ihm klang jeder Satz wie Musik … oder wie Poesie. „Haben Sie noch Verwandte in Texas?“

„Ja, in San Antonio. Und entferntere Verwandte in einer Kleinstadt in der Nähe von Abilene. Außerdem gibt es noch Bravos in Kalifornien, Wyoming und Nevada. In den ganzen Staaten eigentlich.“

„Dann ist Calabretti also der Nachname Ihrer Mutter?“

„Stimmt.“

„Macht man das so in Ihrem Land? Die Nachnamen von Mann und Frau verbinden?“

Er nickte.

„Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Wo könnte ich ihn schon mal gehört haben?“

Er zuckte die Achseln. „Vielleicht fällt es Ihnen ja noch ein.“

„Mag sein.“ Sie senkte die Stimme. „Ich habe sowieso die ganze Zeit das Gefühl, dass wir uns schon mal begegnet sind.“

„Man sagt ja, dass jeder seinen Doppelgänger hat. Vielleicht sind Sie meinem mal begegnet.“

Das war eigentlich nicht das, was sie meinte, aber egal. „Haben Sie Geschwister?“

„Ja, drei Brüder und zwei Schwestern. Ich bin der Zweitälteste. Mein älterer Bruder heißt Maximilian, und nach mir kamen Zwillinge – Alexander und Damien. Danach wurden meine Schwestern geboren – Bella, Rhiannon, Alice, Genevra und Rory.“

„Wow, eine ganz schön große Familie.“ Sydney ließ sehnsüchtig ihre Gabel sinken. „Sie sind zu beneiden. Ich war leider Einzelkind.“

Als Rule ihre Hand ergriff, reagierte Sydney körperlich genauso heftig wie vorhin. Ihr ganzer Körper schien vor Erregung zu vibrieren.

Er beugte sich vor und sah sie voller Mitgefühl an. „Dann bedauern Sie es also, keine Geschwister zu haben?“, fragte er.

„Ja.“ Als sie sich bei dem Wunsch ertappte, er möge ewig ihre Hand halten, machte sie sich aus Vernunftgründen los. Kommentarlos lehnte Rule sich wieder zurück. „Wie alt sind Sie, Rule?“, fragte sie.

Er lachte. „Irgendwie komme ich mir gerade vor wie bei einem Vorstellungsgespräch.“

Sie griff nach ihrem Weinglas und drehte es am Stiel herum. „Es war nur eine Frage. Ist das irgendwie ein heikles Thema für Sie?“

„Ehrlich gesagt ja“, antwortete er plötzlich ernst. „Ich bin zweiunddreißig. In meiner Familie ist das für einen unverheirateten Mann ein gefährliches Alter.“

„Warum? Das ist doch noch jung.“

Erst recht für einen Mann. Für eine Frau sah die Sache schon anders aus – zumindest, wenn sie Kinder haben wollte.

„Ich muss demnächst heiraten“, sagte er düster. Seine Augen verdunkelten sich plötzlich.

„Das verstehe ich nicht. Gibt es in Ihrer Familie denn eine Frist, bis zu der man geheiratet haben muss?“

Er lächelte. „Wie Sie das ausdrücken, klingt es total absurd.“

„Es ist absurd.“

„Sie haben ja sehr ausgeprägte Ansichten“, sagte er fast bewundernd. „Aber Sie haben recht, in meiner Familie erwartet man sowohl von den Männern als auch von den Frauen, zu heiraten, bevor sie dreiunddreißig werden“, fügte er hinzu.

„Und was passiert, wenn Sie es nicht tun?“

Er legte den Kopf schief und lächelte geheimnisvoll. „Dann drohen schreckliche Konsequenzen“, sagte er so sanft, dass bei ihr sämtliche Nervenenden verrücktspielten. Ein Schauer der Erregung lief ihr über den Rücken.

„Wollen Sie mich etwa aufziehen?“

„Ein bisschen vielleicht. Ich mag Sie, Sydney. Das wusste ich sofort, als ich Sie das erste Mal sah.“

„Und wann war das?“

„Haben Sie das etwa schon vergessen?“ Seine verzweifelte Grimasse war absolut hinreißend. „Dann bin ich also doch nicht so unvergesslich, wie ich dachte. Macy’s? Ich habe Sie reingehen sehen?“

Der Kellner räumte ihre leeren Salatteller ab und servierte Rib-Eye-Steak mit Zitronenbutter. Als er wieder gegangen war, sah Rule sie forschend an. „Ich habe irgendwie den Eindruck, dass Sie mich die ganze Zeit auf die Probe stellen.“

Wozu es abstreiten? „Sie haben recht.“

„Na hoffentlich bestehe ich den Test. Wohnen Ihre Eltern hier in Dallas?“

Sydney erzählte ihm ihre traurige Geschichte. „Nein, sie kamen aus San Francisco, wo ich auch geboren wurde. Meine Eltern verunglückten bei einem Seilbahnunglück, als ich erst drei Monate alt war.“

Rule sah sie voller Mitgefühl an. „Wie schrecklich.“

„Ich kann mich natürlich an nichts davon erinnern. Meine verwitwete Großmutter – die Mutter meines Vaters – nahm mich mit nach Austin und zog mich allein groß. Sie war einfach toll. Sie bestärkte mich darin, meine Träume zu verwirklichen, und brachte mir bei, dass man als Anwältin eine große Verantwortung hat. Und dass Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit die wichtigsten Werte sind.“

Seine Augen blitzten ironisch auf. „Und trotzdem wurden Sie Anwältin?“

Sydney lachte. „Dann gibt es also auch in Montedoro Anwaltswitze?“

„Ich fürchte ja – vor allem über Wirtschaftsanwälte.“

„Dann sollte ich jetzt wohl lieber nichts sagen, um mich nicht weiter zu belasten“, sagte sie krampfhaft locker.

Rule durchschaute sie sofort. „Ist Ihr Job etwa Ihr wunder Punkt?“

Ihre ehrliche Antwort schockierte sie selbst. „Er ist anspruchsvoll und lukrativ. Mir war immer sehr wichtig, dass ich gut für mich selbst sorgen kann und mir keine finanziellen Sorgen machen muss.“

„Aber?“

„Trotzdem frage ich mich in letzter Zeit häufiger, ob es nicht befriedigender wäre, Menschen zu helfen, die mich wirklich brauchen, anstatt die überfließenden Schatullen milliardenschwerer Firmen zu schützen.“

Bevor Rule etwas darauf erwidern konnte, vibrierte ihr BlackBerry, den sie aus reiner Gewohnheit auf den Tisch gelegt hatte. Sie warf einen Blick auf das Display. Magda, ihre Assistentin, die sich bestimmt wunderte, warum Sydney noch nicht zurück war.

Rule hatte sein Besteck genommen und die Aufmerksamkeit aus Essen gerichtet, damit sie ungestört telefonieren konnte, doch Sydney ließ das Telefon in ihre Tasche gleiten, von wo sie es nicht mehr hören konnte.

Mit der lässigen Eleganz eines geborenen Diplomaten fuhr Rule mit dem Gespräch fort, als sei es nie unterbrochen worden. „Sie haben vorhin in der Vergangenheitsform von Ihrer Großmutter gesprochen …“

„Sie starb vor fünf Jahren. Ich vermisse sie sehr.“

„So viele Verluste.“ Mitfühlend schüttelte er den Kopf. „Das Leben kann ganz schön grausam sein.“

„Stimmt.“ Sydney aß ein Stück von ihrem Steak. Hm, lecker. Sie war dankbar, dass Rule keine Bemerkung über ihren BlackBerry gemacht oder „das tut mir leid“ gesagt hatte, als sie ihm vom Tod ihrer Eltern und ihrer Großmutter erzählt hatte.

Er sah sie an, wobei er den Kopf auf eine Art neigte, die ihr schon wieder seltsam vertraut vorkam. „Waren Sie mal verheiratet?“

„Nein. Ich bin Katholikin und glaube daher, dass eine Ehe für immer halten sollte. Leider habe ich noch keinen Mann gefunden, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Aber ich hatte zwei ernste Beziehungen. Sie … haben nicht funktioniert.“ Das war die Untertreibung des Jahres, aber wozu darüber reden? Sydney hatte ohnehin schon viel zu viel über sich erzählt. „Ich bin übrigens dreiunddreißig“, fügte sie hinzu. „Finden Sie das … schlimm?“

„Das ist ja schrecklich!“, sagte er mit gespieltem Entsetzen. Bei ihm wirkte sogar das erotisch. Im Grunde genommen war alles an ihm sexy. „Sie müssen so schnell wie möglich heiraten und neun Kinder bekommen. Mit einem reichen Mann, der Sie anbetet.“

„Hm. Ein reicher Mann, der mich anbetet? Nichts dagegen. Aber neun Kinder? Das ist mir zu viel.“

„Wollen Sie etwa keine Kinder?“, fragte er überrascht.

Um ein Haar hätte sie ihm von Trevor erzählt, aber sie wollte diesen wunderschönen Augenblick nicht zerstören, sondern weiter träumen. Trevor gehörte zu ihrem wirklichen Leben, und daran wollte sie gerade nicht denken – auch wenn er der schönste und bedeutendste Teil davon war. „Das habe ich nicht gesagt. Ich will Kinder, aber neun würden mich überfordern.“

„Nun ja, vielleicht können wir uns auf weniger einigen. Ich kann auch vernünftig sein.“

„Wir?“

„Solche Entscheidungen sollten immer gemeinsam getroffen werden.“

„Rule.“ Mit gespielter Dramatik legte Sydney sich eine Hand auf die Brust und riss die Augen auf. „Soll das etwa … oh, ich kann es nicht glauben! Ist es möglich, dass Sie mir einen Heiratsantrag machen?“

„Klar. Wie der Zufall so spielt, bin ich reich. Und es würde mir nicht schwerfallen, Sie anzubeten.“ Seine dunklen Augen funkelten.

Sydney glaubte zu träumen. Es war total verrückt, aber das war ja das Schöne daran. Sie erlebte gerade einen dieser Momente, die einem immer dann passieren, wenn man am wenigsten damit rechnet. Das Leben steckte eben voller Überraschungen.

Es bestand nicht nur daraus, Fälle zu gewinnen – oder zu spät nach Hause zu kommen, um seinen Sohn ins Bett zu bringen. Auch die ehrgeizigste Frau musste mal eine Mittagspause machen. Erst recht, wenn sie mit einem Mann zusammen war, der ihr nicht nur das Gefühl gab, brillant und clever, sondern auch noch schön und begehrenswert zu sein.

„Tut mir leid, aber aus uns wird leider nichts“, sagte sie mit gespielter Zerknirschung.

Er spielte den tief Getroffenen. „Aber warum denn nicht?“

„Sie leben in Montedoro. Meine Karriere – mein ganzes Leben – spielt sich hier ab.“

„Sie könnten doch den Beruf wechseln. Einfach ein neues Leben beginnen.“

Ha! Typisch Mann. „Warum ziehen Sie nicht nach Texas?“

„Für Sie, Sydney, würde ich alles tun.“

„Eine perfekte Antwort.“

Schweigend sahen sie einander an. Für einen wunderbaren Moment gab es nur sie beide auf der Welt – und das verrückte Gefühl vollkommener Übereinstimmung zwischen ihnen.

Sydney ließ es einfach geschehen. Sie hatte keine Lust mehr, immer vorsichtig und misstrauisch zu sein. Außerdem handelte es sich ja nur um ein Mittagessen. Und sie würde jede Sekunde davon genießen.

2. KAPITEL

Das Meeting wegen des Binnelab-Falls war schon halb vorbei, als Sydney um Viertel nach zwei in den Konferenzraum schlüpfte. Ihre Kollegen am Konferenztisch drehten sich nach ihr um und starrten sie an. „Entschuldigen Sie“, sagte sie errötend. „Tut mir wirklich leid. Ich hatte … einen Notfall.“

Die anderen gaben gemurmelte Verständnisbekundungen von sich und wandten sich wieder der Diskussion über die beste Verhandlungsstrategie zu. Niemand reagierte ungehalten auf ihre Verspätung.

Sie kam sonst nämlich nie zu spät – und musste daher einen guten Grund für ihre Verspätung haben. Schließlich war sie Sydney O’Shea, die mit zwanzig das College abgeschlossen hatte, mit vierundzwanzig das erste Mal im Gerichtssaal gestanden hatte und mit dreißig Partnerin geworden war – genau ein Jahr vor der Geburt ihres Sohnes. Sydney O’Shea, die das Talent hatte, wichtige berufliche Kontakte zu knüpfen, und die rund um die Uhr schuftete.

Wenn sie ihren Kollegen erzählen würde, dass sie gerade in Macy’s Haushaltswarenabteilung von einem gut aussehenden Orangenhändler aus Montedoro angesprochen worden war und das halbe Meeting mit ihm verbracht hatte, hätten sie das bestimmt nur für einen makabren Scherz gehalten.

Da sie den Fall in- und auswendig kannte, brauchte sie nur wenige Minuten, um den Anschluss zu finden. Am Ende des Meetings hatte sie ihre Kollegen geschickt in eine etwas andere Richtung gedrängt, und alle schienen mit dem Ergebnis zufrieden zu sein.

Als sie in ihr Büro zurückehrte, stand ihre sonst immer so gelassene Assistentin Magda völlig aufgelöst im Zimmer und hielt ratlos eine Orchidee in der Hand. Hilflos starrte sie auf den Seitentisch, auf dem nicht weniger als zwölf spektakuläre Blumensträuße in unterschiedlichen Kristallvasen standen.

Auch sämtliche anderen Abstellflächen quollen von Blumen über – der Sofatisch, beide Beistelltische und der Schreibtisch, ganz zu schweigen von den Fensterbänken. In sämtlichen Arrangements steckte ein weißes Kärtchen. Es duftete wie im Treibhaus.

Rule. Wer sollte sonst dahinterstecken? Ein rascher Blick auf eine der Karten bestätigte Sydneys Verdacht.

Bitte gehen Sie heute Abend mit mir aus. Zum Herrenhaus am Turtle Creek. Um acht Uhr. Hochachtungsvoll, Rule.

Wie hatte er nur herausgefunden, wo sie arbeitete? Sydney hatte ihm den Namen ihrer Kanzlei doch gar nicht verraten. Na ja, vermutlich war er nicht schwer im Internet herauszufinden.

„Wow, wir ersticken ja förmlich in Blumen“, sagte sie zu Magda und wurde schon wieder von einem wunderbaren Gefühl der Magie überwältigt. Alles erschien ihr plötzlich möglich zu sein. Rule gab ihr das Gefühl, frei zu sein. Und schön. Und begehrenswert. Aber wieso auch nicht? Das war doch schließlich kein Verbrechen, oder? Und falls doch, hatte sie komplett vergessen, wieso.

„In der letzten halben Stunde kam ein Strauß nach dem anderen“, erklärte Magda hilflos. „Ich glaube, die Orchidee ist die letzte Lieferung, aber ich finde keinen Platz mehr für sie.“

„Sie würde sich bestimmt toll auf Ihrem Schreibtisch machen. Nehmen Sie einfach die Karten ab, geben Sie sie mir und lassen Sie uns die Blumen verteilen.“

Fragend hob Magda die Augenbrauen. „Sie wollen sie verschenken?“

„Klar. Fangen Sie bei den Datentypistinnen an. Ich möchte nur eine Vase mit gelben Rosen für mich behalten.“

„Sind Sie sicher?“

„Ja.“

Rule würde das bestimmt nichts ausmachen, und sie hatte einfach Lust, ihr Glücksgefühl mit ihren Kollegen zu teilen. „Sagen Sie den anderen, dass sie die Blumen ruhig mit nach Hause nehmen können – und beeilen Sie sich. Calistas Party fängt bald an.“

„Da scheint ja jemand ganz verrückt nach Ihnen zu sein“, sagte Magda lächelnd.

Sydney konnte nicht anders, als ihr Lächeln zu erwidern. „Sieht wohl so aus. Und jetzt verteilen Sie die Blumen und machen danach den Champagner auf.“

Lachend zog Calista den Schmortopf aus der Geschenktüte. „Na, jetzt werde ich wohl doch kochen lernen müssen.“

„Warten Sie damit aber bis nach den Flitterwochen“, sagte Sydney und hob ihr Champagnerglas. „Auf Sie, Calista. Und auf eine lange und glückliche Ehe.“

Da sie zum Mittagessen schon zwei Glas Wein getrunken hatte, gestattete sie sich nur ein halbes Glas, hatte jedoch trotzdem jede Menge Spaß. Seltsam, was die Begegnung mit einem tollen Mann alles bewirken konnte.

Nach der Wedding Shower kehrte Sydney in ihr Büro zurück, um ihre Aktentasche, ihre Handtasche und die letzte Vase mit gelben Rosen zu holen. Normalerweise wäre sie mindestens noch zwei Stunden länger geblieben, aber heute war Freitag. Sie wollte noch ihren kleinen Sohn sehen, bevor er ins Bett ging.

Außerdem musste sie dringend mit Lani reden, Trevors Nanny, die zugleich ihre beste Freundin war. Sie brauchte ihren Rat, ob sie Rules Einladung zum Abendessen annehmen sollte.

Zu Hause in Highland Park saß Trevor in der Küche im Hochstuhl und aß Spaghetti mit Hackbällchen. „Mommy Hause! Drücken!“, krähte er und streckte ihr die Arme entgegen.

Sydney ließ ihre Taschen fallen, stellte die Blumen auf der Arbeitsfläche ab und ging zu ihm. Er schlang die Arme um ihren Hals und verschmierte dabei Spaghettisoße auf ihrer Wange. „Wie geht es meinem Kleinen?“, fragte sie liebevoll.

„Gut.“

„Mir auch.“ Sie umarmte ihn noch fester. „Vor allem jetzt, wo ich wieder bei dir bin.“ Er roch nach Tomaten, Hackbällchen und Babyshampoo. Eine wunderbare Mischung.

„Du bist heute ja früh dran“, stellte Lani fest und sah Sydney über den Rand ihrer schwarz geränderten Brille an. „Tolle Rosen.“

„Nicht wahr? Und was meine frühe Heimkehr angeht – es ist schon fast Wochenende.“

„Das hat dich bisher noch nie davon abgehalten, länger zu arbeiten.“ Lani lehnte sich gegen die Spüle und trocknete sich die Hände ab.

Mit vollem Namen hieß sie Yolanda Ynez Vasquez. Die zierliche Frau mit dem langen schwarzen Haar arbeitete schon seit fünf Jahren für Sydney. Sie hatte zunächst während ihres Literaturstudiums als Haushälterin bei ihr angefangen und war nach ihrem Abschluss geblieben und Trevors Nanny geworden.

Sydney hatte keine Ahnung, wie sie ohne Lani je zurechtkommen würde. Lani hielt nämlich nicht nur ihren Haushalt in Ordnung, sondern war wie eine zweite Mutter für Trevor. Außerdem war sie seit dem Tod ihrer Großmutter Sydneys beste Freundin.

„Du strahlst ja richtig, Syd“, stellte Lani fest.

Sydney legte die Hände auf die geröteten Wangen. „Mir ist irgendwie heiß. Vielleicht habe ich ja Fieber …“

„Oder es liegt daran, dass dir jemand gelbe Rosen geschenkt hat.“

Lachend schüttelte Sydney den Kopf. „Du durchschaust mich wie immer.“

„Und? Wie heißt er?“

„Rule.“

„Hm. Klingt ziemlich … bestimmend.“

„Ist er auch. Aber auf eine sehr angenehme Art. Ich war heute mit ihm zu Mittag essen. Er hat mich zum Abendessen eingeladen.“

„Für heute?“

Sydney nickte. „Im Herrenhaus am Turtle Creek. Um acht.“

„Und du gehst hin.“ Das war eine Feststellung, keine Frage.

„Wenn du hier die Stellung hältst?“

„Kein Problem.“

„Und was ist mit Michael?“ Michael Cort war Softwareentwickler und seit einem Jahr Lanis Freund.

Sie zuckte die Achseln. „Du kennst ihn doch. Er bleibt sowieso am liebsten zu Hause. Ich lade ihn einfach hierher ein und bestelle eine Pizza. Los, erzähl mir mehr von diesem Rule.“

„Ich habe ihn erst heute kennengelernt. Klingt verrückt, oder?“

„Ein Date mit einem Typen, der dich zum Strahlen bringt? Was soll denn daran verrückt sein?“

„Mommy, Getti?“ Trevor hielt ihr eine Handvoll Spaghetti hin.“

„Nein danke, mein Schatz.“ Sydney bückte sich und küsste ihn liebevoll auf die Wange. „Du darfst die Spaghetti ganz allein aufessen. Mommy geht gleich noch essen.“

„Mmh!“

Angesichts ihres strahlenden kleinen Jungen wurde ihr ganz warm ums Herz. Ihr Leben war einfach vollkommen: Sie hatte ein gesundes glückliches Kind, eine tolle beste Freundin, ein komfortables Leben, einen Job, für den die meisten Anwälte töten würden – und ein Date mit dem bestaussehenden Mann der Welt.

Die nächste Stunde verbrachte sie mit ihrem Sohn – etwas, wozu sie leider nicht oft kam. Sie spielte mit ihm, badete ihn, brachte ihn ins Bett und las ihm eine Geschichte vor. Als er eingeschlafen war, schlich sie sich auf Zehenspitzen aus seinem Zimmer.

Lani blickte vom Sofa hoch, als Sydney das Wohnzimmer betrat. „Es ist schon nach sieben“, erinnerte sie ihre Freundin. „Du solltest dich lieber beeilen, wenn du noch rechtzeitig für deinen Traummann fertig sein willst.“

„Ich weiß. Leistest du mir dabei Gesellschaft?“

Lani folgte ihr ins Elternschlafzimmer, wo Sydney rasch unter die Dusche ging und anschließend ihr Make-up erneuerte. Hinterher stand sie ratlos in ihrem begehbaren Kleiderschrank.

„Nimm das hier.“ Lani griff nach einem ärmellosen roten Satinkleid. „Du siehst umwerfend in Rot aus.“

„Hm, glaubst du wirklich?“

„Ich weiß es. Los, zieh es an. Trag dazu die Diamantenohrstecker und das Granat-Diamant-Armband deiner Großmutter. Und die roten Jimmy Choos.“

Sydney nahm ihr das Kleid ab. „Du hast recht, das sieht bestimmt toll aus.“

Lani lächelte. „Ich habe immer recht.“

Sydney zog sich die Sachen über und stellte sich stirnrunzelnd vor den Spiegel. „Ich weiß nicht recht …“ Zögernd berührte sie ihr hochgestecktes braunes Haar. „Sollte ich es nicht lieber offen tragen?“

„Nein, dein Haar sieht so fantastisch aus.“ Lani zupfte Sydney an den Schläfen und im Nacken ein paar Strähnen aus der Frisur und zog ihr den breiten Ausschnitt über die Schultern. „Da, perfekt. Jetzt siehst du total scharf aus.“

„Ich und scharf?“

„Na klar. Du betrachtest dich nur nie so.“ Lani drehte Sydney an den Schultern zu sich herum. „Glaub mir, du siehst umwerfend aus. Und jetzt geh. Ich wünsche dir einen tollen Abend.“

„Ich bin aber so nervös.“

„Syd, du gehst jetzt!“

„Und was ist, wenn er gar nicht kommt?“

„So ’n Quatsch!“ Lani drückte ihr beruhigend die Schultern. „Jetzt mach dich endlich auf den Weg.“

Rosewood Mansion am Turtle Creek war eines der schönsten historischen Gebäude von Dallas. Früher einmal ein herrschaftlicher Wohnsitz, war das Haus inzwischen ein Fünfsternehotel und – restaurant – ein elegantes Refugium mit Marmorfußböden, Buntglasfenstern und handgeschnitzten Kaminsimsen.

Sydneys Herz klopfte vor Aufregung und Nervosität, als sie das Foyer betrat und auf den Ober zuging. „Ich bin hier verabredet“, erklärte sie. „Rule Bravo-Calabretti?“

„Dort entlang, bitte.“ Er führte sie zu einer Art Separee, einer mit Vorhängen abgetrennten Sitzecke auf der Terrasse.

Rule saß bereits am Tisch. Er trug einen edlen schwarzen Anzug. Seine dunklen Augen leuchteten bei ihrem Anblick erfreut auf. „Sydney!“ Er wirkte genauso glücklich über ihr Erscheinen wie ihr kleiner Sohn heute Abend. „Sie sind tatsächlich gekommen.“ Die Erleichterung in seiner Stimme war nicht zu überhören, was Sydney etwas überraschte. Er wirkte eigentlich nicht wie jemand, der sich Sorgen über das Auftauchen eines Dates machen musste.

Seine Reaktion machte ihn für sie nur noch liebenswerter – falls das überhaupt möglich war. „Das hätte ich mir doch nie entgehen lassen“, sagte sie leise und sah ihm in die Augen.

Der Ober öffnete die Champagnerflasche, die schon in einem Silberkühler bereitstand.

„Ich habe mir erlaubt, schon mal mit dem Koch zu reden und ein Menü auszusuchen, das Ihnen meiner Meinung nach gefallen wird“, erklärte er. „Wenn Sie jedoch lieber selbst etwas aussuchen möchten …“

Sydney gefiel es, dass er sich bereits Gedanken über das Essen gemacht hatte. Und dass er sie nach ihren Vorlieben fragte. „Das Essen hier ist immer ausgezeichnet, also schließe ich mich Ihrer Wahl an.“

„Dann halten Sie also keine Diät oder lehnen bestimmte Speisen ab?“ Rule sah sie so aufmerksam an, als wolle er sich ihre Gesichtszüge unauslöschlich einprägen.

„Nein. Ich vertraue Ihnen.“

In seinen Augen flackerte etwas auf. „Sehr gut“, antwortete er mit einer Stimme, die sie wie eine warme Decke einhüllte. Er nickte dem Ober zu. „Danke, Neil.“

„Ja, Euer …“ Neil stockte. „Ihr Kellner wird gleich bei Ihnen sein“, stammelte er, verbeugte sich leicht und ging davon.

„Neil wirkt etwas nervös“, flüsterte sie, als er fort war.

„Ach, wirklich? Ist mir gar nicht auffallen“, sagte Rule leichthin. „Sie sollten immer Rot tragen“, wechselte er das Thema.

„Wäre das auf die Dauer nicht etwas langweilig?“

„Sie und langweilig? Sie erinnern mich an diesen Song, ‚Lady in Red‘. Ich bekomme sofort Lust, mit Ihnen zu tanzen.“

Wie machte der Kerl das nur? Schmeichelte ihr schamlos und klang dabei auch noch total aufrichtig. „Danke übrigens für die Blumen.“

Lässig winkte er ab. „Ich hoffe, ich habe es nicht übertrieben.“

„Nein, ich habe mich sehr gefreut. Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, dass ich die Blumen mit einigen Angestellten geteilt habe?“

„Warum sollte es? Es sind Ihre Blumen. Offensichtlich sind Sie nicht nur die faszinierendste Frau, der ich je begegnet bin, sondern auch sehr großzügig.“

Sie schüttelte den Kopf. „Sie erstaunen mich, Rule.“

Er hob eine Augenbraue. „Hoffentlich auf positive Weise?“

„Oh ja. Ich ertappe mich bei dem Wunsch, alles glauben zu wollen, was Sie sagen.“

Als er ihre Hand nahm, begann ihr Herz schneller zu klopfen. Er hatte eine unglaubliche Wirkung auf sie.

„Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Sie schlecht behandle?“

Unwillkürlich fröstelte sie. „Warum fragen Sie so etwas?“

Er hob ihre Handfläche zu den Lippen und küsste sie.

Sydney wurde ganz heiß, als sie seinen Atem an ihrer Haut spürte.

„Weil ich alles über Sie erfahren will“, murmelte er, ließ ihre Hand sanft auf das weiße Tischtuch sinken und verschränkte seine Finger mit ihren. „Manche Frauen genießen eine gewisse Unverbindlichkeit bei einem Mann und finden es reizvoll, sich seiner nicht sicher zu sein. Sie behaupten zwar in der Regel, dass sie einen guten Mann wollen, der sie zu schätzen weiß, aber in Wirklichkeit ist es anders.“

Sydney beugte sich über den Tisch. „Ich mag Sie so, wie Sie sind. Bitte verstellen Sie sich nicht.“

„Dazu bin ich gar nicht in der Lage. Trotzdem kann ich auch unangenehm werden.“ Er sagte das ganz beiläufig, doch Sydney glaubte ihm. Sie spürte die eiserne Entschlossenheit hinter seinem Charme.

„Lieber nicht. Ich habe die Nase voll von unangenehmen Männern. Ich …“ Sie verstummte, als der Kellner sich ihrem Tisch näherte, doch als Rule ihm einen Blick zuwarf, drehte er sich sofort wieder um und ging.

„Erzählen Sie weiter“, sagte Rule leise. „Welche Männer meinen Sie?“

Na toll, jetzt hast du den schönen Abend ruiniert, Syd. „Das interessiert Sie doch bestimmt nicht.“

„Doch. Ich meinte es ernst, dass ich Sie kennenlernen will, Sydney. Ich will alles über Sie erfahren.“

Seine Augen waren unglaublich dunkel. Sydney hätte sich am liebsten in ihren Tiefen verloren … bis sie sich selbst komplett vergaß. So etwas war ihr bisher noch nie passiert. „Wie soll ich sagen? Ich scheine etwas an mir zu haben, das …“ Himmel, wollte sie wirklich darüber reden? „Ich scheine Männer anzuziehen, die behaupten, meine Stärke, Intelligenz und Unabhängigkeit zu mögen und die dann versuchen, mich klein zu machen.“

In seinen Augen flackerte etwas auf. Etwas … Gefährliches. „Wer hat versucht, Sie klein zu machen?“

„Müssen wir jetzt wirklich darüber reden?“

„Nein. Aber manchmal tut es gut, sich zu öffnen.“

Er sah sie so zärtlich an. So verständnisvoll.

Sydney gab nach. „Okay. Ich habe während des Studiums mit einem Mann zusammengelebt. Ryan hieß er. Er war witzig und lebenslustig, doch kaum zogen wir zusammen, kündigte er seinen Job, lag nur noch auf dem Sofa herum, sah den Sportkanal und trank Dosenbier. Als ich ihn bat, etwas mehr Motivation an den Tag zu legen, ging es mit unserer Beziehung bergab. Er behauptete, sich neben mir wie ein Versager zu fühlen, und dass ich ihn quasi entmannen würde. Dann bat er mich, ihm gefälligst aus dem Weg zu gehen, da er sonst nicht fernsehen könnte.“

Rule zuckte die Achseln. „Also haben Sie ihn zum Teufel gejagt.“

„Ja, das habe ich getan. Und da warf er mir ins Gesicht, dass er mich betrogen hätte, weil es seine einzige Chance gewesen sei, sich wieder als Mann zu fühlen. Er war also nicht nur ein Nichtsnutz, sondern auch ein Betrüger und Lügner. Nach Ryan nahm ich mir eine fünfjährige Auszeit von den Männern. Danach traf ich Peter. Er war Anwalt wie ich, arbeitete jedoch für eine kleinere Kanzlei. Irgendwann drängte er mich, ihm einen Job bei Teale, Gayle and Prosser zu verschaffen.“ Sydney seufzte.

„Und das passte Ihnen nicht?“

„Nein, und das habe ich ihm auch gesagt. Ich finde es gut, einander gegenseitig zu unterstützen, aber ich wollte nicht, dass mein Freund in derselben Kanzlei arbeitet wie ich, schon gar nicht auf meinen Wunsch hin. Das war mir einfach zu riskant. Zunächst schien er dafür Verständnis zu haben.“

Rule drückte ihre Hand. „Aber das war nicht der Fall.“

„Nicht im Geringsten. Er warf mir vor, kein gutes Wort für ihn einlegen zu wollen, wie er es ausdrückte. Von da an wurde es immer schlimmer. Er sagte viele verletzende Dinge zu mir. Bei einer Party betrank er sich und beklagte sich bei einem meiner Partner über mich. Als es dann zwischen uns aus war, habe ich …“ Sie rang nach den richtigen Worten.

Rule ergänzte den Satz für sie: „… haben Sie beschlossen, mit den Männern ein für alle Mal fertig zu sein.“

Sydney wandte den Blick ab.

Sanft berührte er sie am Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum. „Alles in Ordnung?“

Sie nickte schluckend. „Ja. Es ist nur … immer, wenn ich darüber rede, komme ich mir wie eine Versagerin vor.“

„Diese Männer, Ryan und Peter – das waren Versager!“, sagte Rule mit Nachdruck. „Sie haben mir gar nicht die Nachnamen der beiden verraten.“

„Das habe ich auch nicht vor. Wie schon gesagt, es ist schon lange vorbei, mit beiden.“

Rule lächelte. „Genau das wollte ich hören.“ Er ließ ihre Hand los – jedoch nur, um stattdessen die Finger über ihr Gesicht gleiten zu lassen.

Sydney lief ein Schauer über den Rücken.

Er berührte eine ihrer Haarsträhnen. „So weich“, flüsterte er. „Wie Ihre Haut. Und wie Ihr Herz …“

„Seien Sie sich da mal nicht so sicher. Ich bin nicht nur kratzbürstig, sondern ein totales Miststück“, flüsterte sie zurück. „Fragen Sie Ryan und Peter.“

„Nennen Sie mir die Nachnamen. Ryan, Peter und ich sollten uns mal gründlich unterhalten.“

„Ich halte das für keine gute Idee.“ Seine Berührungen waren so erregend, dass sich ihr die Zehen in den Jimmy Choos krümmten.

„Okay, ich werde ihnen nichts tun. Aber nur, wenn Sie bereit sind, anderen Männern eine Chance zu geben.“

„Warum nicht? Wenn der Richtige kommt.“

Er nahm ihr noch nicht angerührtes Champagnerglas und reichte es ihr. Dann griff er nach seinem. „Auf den Richtigen“, sagte er.

Sie stieß mit ihm an. „Auf den Richtigen“, stimmte sie zu.

Der Champagner war ausgezeichnet und prickelte köstlich auf der Zunge.

Plötzlich wusste Sydney, dass sie Rule von Trevor erzählen musste, und zwar sofort … bevor sie sich noch weiter auf ihn einließ. Bevor sie endgültig in diesen schönen schwarzen Augen versank …

„Da gibt es etwas, was ich Ihnen bisher noch nicht erzählt habe“, sagte sie.

Sein Gesichtsausdruck wurde unvermittelt ernst. Den Kopf auf jene ihr so vertraute Art neigend, wartete er darauf, dass sie fortfuhr.

„Ich …“ Sydneys Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an. Sie schluckte. Warum fiel es ihr nur so schwer, Rule von ihrem Sohn zu erzählen? Sie kannte diesen Mann doch kaum. Warum hatte sie nur solche Angst davor, dass er das Interesse an ihr verlor? Anscheinend bedeutete er ihr viel. Viel zu viel. Weil er einfach vollkommen war. Ihr lebendig gewordener Traummann …

Unwillkürlich musste sie an ihre Großmutter denken, die fest an Liebe auf den ersten Blick geglaubt hatte. Sie hatte sich selbst auf den ersten Blick in ihren Mann verliebt, genauso wie ihr Sohn in Sydneys Mutter.

Konnte so etwas genetisch sein?

Bei dieser Vorstellung musste Sydney unwillkürlich lächeln. Bisher hatte sie immer total danebengelegen, was Männer anging. Doch bei Ryan oder Peter hatte sie nie diese Magie gespürt wie bei Rule, noch nicht mal annähernd. Beide Beziehungen hatten sich erst ganz allmählich entwickelt. Sie hatte sich erst verliebt, nachdem sie die Männer besser kennengelernt hatte – oder das zumindest geglaubt hatte.

Und was hatte ihr das gebracht? Die bittere Erfahrung, dass sie weder Ryan noch Peter wirklich gekannt hatte. Zumindest nicht gut genug, denn beide hatten ihr das Herz gebrochen. Erfahrungen, die sie misstrauisch gemacht hatten. Bis heute. Bis sie Rule begegnet war.

Bei Rule war alles anders. In seiner Gegenwart wollte sie nicht mehr misstrauisch sein, sondern an Liebe auf den ersten Blick glauben. Hoffentlich schreckte es ihn nicht ab, dass sie schon ein Kind hatte …

Er schien ihr genau anzusehen, was in ihr vorging. „Ist schon gut“, sagte er sanft. „Fahren Sie fort.“

„Ich war fast dreißig, als mit Peter Schluss war. Ich hatte nicht nur Partnerin in meiner Kanzlei werden wollen, sondern wünschte mir auch eine eigene Familie. Immer schon. Ich traute mir beides zu.“

Er nickte langsam. „Aber die Männer waren nicht kooperativ.“

„Genau. Also beschloss ich … trotzdem ein Kind zu bekommen. Ohne Mann. Ich ging zu einer Samenbank.“

Sydney zitterten plötzlich die Hände. Hastig verschränkte sie sie im Schoß, damit Rule ihr ihre Nervosität nicht anmerkte. „Ich ließ mich künstlich befruchten und wurde schwanger“, fuhr sie fort. „Und jetzt habe ich einen wundervollen und gesunden zweijährigen Sohn.“

„Sie haben also ein Kind“, sagte Rule tonlos. „Einen Sohn.“

Sydney unterdrückte eine Welle der Übelkeit. Ob es jetzt zwischen ihr und Rule vorbei war – bevor es überhaupt begonnen hatte? Er schien perfekt zu ihr zu passen. Er war die Erfüllung all ihrer Träume. Seit sie ihn kannte, glaubte sie fast selbst an Liebe auf den ersten Blick.

Aber wenn er Trevor nicht akzeptierte, wollte sie nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dann würde sie sofort aufstehen, ihm eine gute Nacht wünschen und nie wieder zurückblicken.

Entschlossen straffte sie die Schultern. Ihre Hände hatten plötzlich aufgehört zu zittern. „Ja, Rule, ich habe einen Sohn. Und er bedeutet mir mehr als alles andere auf der Welt.“

Zu ihrer Überraschung lächelte Rule jedoch. „Das sind ja gute Neuigkeiten. Ich liebe Kinder. Wann kann ich ihn kennenlernen? Morgen?“

Sydney blinzelte überrascht. „Ich … wie bitte?“

Er lachte. „Dachten Sie etwa, ich will Ihren Sohn nicht kennenlernen? Sie kennen mich anscheinend noch nicht.“

„Ich … Sie haben recht, ich kenne Sie nicht.“ Sydney zwang sich, ruhig und tief weiterzuatmen, um ihren nervösen Magen zu beruhigen. Plötzlich verspürte sie ein intensives Glücksgefühl. Dann war es also doch noch nicht vorbei. Sie konnte hier sitzen bleiben, in diesem schönen Restaurant, und die Gegenwart dieses tollen Mannes genießen. „Ich vergesse andauernd, dass wir uns erst heute Mittag begegnet sind.“

„Geht mir genauso“, antwortete er. „Irgendwie kommt es mir vor, als würde ich Sie schon ewig kennen.“

„Stimmt. Das habe ich sofort gedacht, als ich Sie bei Macy’s sah.“

„Wirklich?“ Er sah plötzlich so jungenhaft aus, dass sie unwillkürlich wieder an Trevor denen musste.

„Ja. Ich hatte mich gewundert, dass Sie mich so interessiert ansehen, und dachte sofort, dass wir uns vermutlich kennen.“

„Warum sollte ich Sie nicht interessiert ansehen?“, fragte Rule fast entrüstet. „Leider hatten Sie beschlossen, mit dem Thema Männer durch zu sein.“

„Stimmt. Ganz schön blöd von mir, oder?“

„Kein Problem. Jetzt, nachdem ich die Gründe kenne, verstehe ich Sie vollkommen. Aber ich will mich nicht beklagen. Ohne Ihre Erfahrungen hätten Sie bestimmt längst jemand anders gefunden, und ich hätte keine Chance mehr bei Ihnen.“

„Was für eine Tragödie“, zog sie ihn auf.

„Das wäre wirklich eine Katastrophe. Jetzt muss ich Sie nur noch davon überzeugen, mir eine Chance zu geben.“ Er hob wieder sein Glas. „Sind Sie bereit für den ersten Gang?“

Erst jetzt merkte Sydney, wie hungrig sie war. „Ja, das bin ich.“

3. KAPITEL

Zwei Stunden später ließ Rule Sydneys Wagen vorfahren, nahm dann jedoch ihre Hand und führte Sydney ein Stück abseits unter eine der schönen alten Eichen um das Herrenhaus herum.

Seine Augen glühten in der Dunkelheit. Sanft ließ er die Hände über ihre nackten Oberarme gleiten und streichelte ihr Gesicht. „Sydney O’Shea“, sagte er leise. „Ich hatte schon Angst.“

Ein Schauer der Erregung lief ihr über den Rücken. „Warum?“

„Ich hatte schon befürchtet, dich nie zu finden … dir nie zu begegnen.“

„Ach so. Das.“ Sie lächelte.

„Ja. Genau das.“

Sie spürte seinen warmen Atem an der Schläfe, als er den Kopf senkte. Anscheinend wollte er sie jetzt küssen. Ihr erster Kuss … Sydney legte den Kopf in den Nacken und bot ihm ihren Mund.

Rules Kuss war fast andächtig. Sanft. Zärtlich. Und seine Lippen waren so warm … Zitternd schloss Sydney die Augen. Es war genauso schön wie in ihrer Fantasie …

„Sydney …“, flüsterte er an ihren Lippen.

Sie hörte sich aufstöhnen. Sie wollte mehr, wollte ihm näher sein. Musste ihm näher sein. Sie presste sich an ihn.

Rule verstand ihr Signal und vertiefte seinen Kuss, wobei er sie an sich zog, bis sie seinen harten Körper von Kopf bis Fuß spürte. Sein Kuss schmeckte nach Kaffee und nach der himmlischen Pistazien-Mascarpone-Torte, die sie sich zum Nachtisch geteilt hatten. Er war so zärtlich und gleichzeitig so leidenschaftlich … und mit absolut nichts und niemandem zu vergleichen, was sie je erlebt hatte.

Hoffentlich hörte er nie damit auf …

Doch irgendwann legte er die Hände auf ihre Schultern und löste widerstrebend die Lippen von ihrem Mund. „Morgen“, sagte er und sah sie unter schweren Lidern an.

„Ja“, hauchte sie willenlos, auch wenn sie nicht die geringste Ahnung hatte, was er meinte.

Als er ihr über eine Wange strich, lief ihr wieder einer dieser köstlichen Schauer über den Rücken, die seine Berührungen immer in ihr auslösten.

„Gleich morgen früh?“, fragte er heiser. „Ich hole dich und deinen kleinen Sohn ab. Wir könnten auf einen Spielplatz gehen. Meine kleine Nichte und mein Neffe lieben nichts mehr als ein paar Stunden in der Sonne mit einer Sandkiste und einer Rutsche.“

„Ich wusste ja gar nicht, dass du eine Nichte und einen Neffen hast.“

„Mein älterer Bruder Max hat zwei Kinder. Also, was hältst du von meinem Vorschlag?“

„Ich habe doch schon Ja gesagt, oder nicht?“

„Sag es noch mal.“

„Ja. Komm doch vorher zum Frühstück vorbei. Dann kannst du bei der Gelegenheit meine beste Freundin Lani kennenlernen. Sie hat einen Abschluss in englischer Literatur, ist eine tolle Köchin und passt auf Trevor auf, während ich arbeite.“

„Sehr gern.“

„Dann also bis halb acht?“ Sydney griff nach Rules Hand und verschränkte die Finger mit seinen – eine gleichzeitig prickelnde und sich so selbstverständlich anfühlende Berührung. Ihre Hände passten wunderbar zusammen. „Komm.“ Sie zog ihn rückwärts zu ihrem Auto. „Ich gebe dir meine Adresse und meine Telefonnummer.“

„Wo ist Michael?“, fragte Sydney, als sie um Viertel vor elf ihr Haus betrat und Lani allein im Pyjama auf dem Sofa vorfand.

„Wie war dein großes Date?“, fragte Lani zurück, ohne darauf einzugehen. Ihre Stimme klang eine Spur zu fröhlich.

Sydney streifte ihre Schuhe ab und ließ sich neben ihre Freundin aufs Sofa fallen. „Es war … absolut unglaublich. Geradezu traumhaft. Ich bin verrückt nach ihm. Er kommt übrigens morgen um halb acht zum Frühstück.“

„Sehr gut, dann kann ich ihn gründlich unter die Lupe nehmen. Mich vergewissern, ob er gut auch genug für dich ist.“

„Das ist er, glaub mir. Könntest du vielleicht eine deiner tollen Frittatas machen?“

„Aber gern.“ Lani nahm ihre Brille ab und legte sie auf den Beistelltisch.

„Hey.“ Sydney wartete, bis ihre Freundin sie ansah, und strich ihr eine ihrer dunklen Locken hinters Ohr. „Du hast meine Frage nach Michael noch gar nicht beantwortet.“

Lani sah plötzlich ganz niedergeschlagen aus. „Als ich dich heute dabei beobachtet habe, wie du dich für diesen neuen Mann umgezogen hast …“ Sie stockte.

„Ja? Erzähl weiter?“

„Da dachte ich plötzlich, dasselbe will ich auch. Mal so richtig verliebt sein, genauso wie Syd.“

„Ach, meine Liebe …“

Lani ließ die Schultern hängen. „Und dann kam Michael vorbei. Er ist ein lieber Kerl, aber mir wurde plötzlich bewusst, dass ich nicht mit ihm zusammenbleiben kann. Weil er einfach nicht der Richtige ist.“ Freudlos auflachend schüttelte sie den Kopf. „Verstehst du, was ich damit meine?“

Sydney nahm ihre Freundin in die Arme. „Ja“, flüsterte Sydney. „Ja, ich verstehe genau, was du meinst.“

Als es am nächsten Morgen Punkt halb acht an der Tür klingelte, machte Sydneys Herz einen nervösen Satz.

„Der Kaffee ist fertig, und die Frittata ist im Ofen“, sagte Lani zu ihr. „Du kannst also ruhig die Tür aufmachen.“

Sydney stand auf und ließ Rule hinein. „Hi“, sagte sie zur Begrüßung. Klang ihre Stimme wirklich so piepsig und atemlos, wie sie sich in ihren Ohren anhörte?

„Sydney.“ Rules Stimme hingegen war so samtweich wie immer.

Wie schaffte der Mann es bloß, von Mal zu Mal besser auszusehen? In der hellen Frühlingssonne glänzte sein Haar wie Rabenflügel, und sein Lächeln ließ ihr Herz noch schneller klopfen als ohnehin schon. Er hielt einen großen gelben Plastiklaster in einer und einen roten Ball in der anderen Hand. „Wie ich sehe, hast du dich perfekt vorbereitet.“

Er zuckte die Achseln. „Kleine Jungs mögen nun mal Lastwagen. Und Bälle.“

„Stimmt.“

Sydney starrte Rule an, und er starrte zurück. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Es gab nur noch sie und ihn auf der Welt … bis Trevors und Lanis fröhliche Stimmen aus der Küche in Sydneys Bewusstsein drangen. „Komm rein“, sagte sie, schloss die Tür hinter ihm und wollte ihm vorausgehen.

Rule hielt sie am Ellenbogen fest. Irgendwie war es ihm gelungen, sich den Spielzeuglaster unter den Arm mit dem Ball zu klemmen. „Warte“, sagte er.

Sie drehte sich zu ihm um, begegnete seinem Blick und … Hatte sie jemals etwas Derartiges empfunden? Er musste sie nur an sich ziehen, und ihre Welt war plötzlich hell und strahlend. Alles war möglich. Sie schmiegte sich an ihn. „Was ist?“, murmelte sie.

„Das hier.“ Er küsste sie. „Darf ich jetzt deinen Sohn kennenlernen?“

„Klar. Hier entlang.“

Trevor reagierte zunächst sehr scheu und zurückhaltend auf den neuen Gast. Mit großen Augen starrte er Rule an, als Sydney ihn vorstellte.

„Sag Hallo“, forderte Sydney ihn auf.

Der Kleine wandte das Gesicht ab.

Rule signalisierte ihr, Geduld zu haben. Er legte den Ball und den Spielzeuglaster unter einen Tisch an der Wand, akzeptierte einen Kaffee und setzte sich auf den leeren Stuhl zwischen Lani und Sydney.

Während des Frühstücks lobte er ausgiebig Lanis Frittata und den Kaffee, den sie grundsätzlich nur aus frisch gemahlenen Bohnen und mit einer französischen Presskanne herstellte. Er stellte ihr Fragen zu ihrem Studium, und schon bald waren sie in eine lebhafte Diskussion über Shakespeare verwickelt.

Lani gefiel „Der Sturm“, während Rule „König Lear“ bevorzugte.

Er drehte sich zu Sydney um. „Und was ist mit dir, Sydney? Hast du auch ein Lieblingsstück von Shakespeare?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich habe mal ‚Ein Mittsommernachtstraum‘ gesehen. Alle verliebten sich in den Falschen, aber am Schluss wird alles gut. Das gefiel mir.“

„Dann bevorzugst du also Happy Ends?“

„Na klar. Ich mag es, wenn sich alles zum Guten wendet. Vermutlich, weil das im echten Leben viel zu selten passiert.“

„Laster!“, rief Trevor und zeigte auf Rules Mitbringsel unter dem Tisch. Er schien seine Scheu überwunden zu haben.

Lächelnd drehte Rule sich zu ihm um. „Stimmt. Und weißt du was? Der ist für dich.“

Trevors Gesicht leuchtete auf. „Hab’ aufgegessen!“, rief er. „Will runter, Mommy.“

Sydney wischte ihm die Hände und das Gesicht mit einem feuchten Lappen ab und nahm ihn aus dem Hochstuhl. Der Kleine marschierte schnurstracks auf Rule zu. „Ru, komm. Laster spielen.“

„Sieht fast so aus, als wolle er dich erst mal in Beschlag nehmen“, sagte Sydney.

„Nichts wäre mir lieber – oder fast nichts.“

Sein anzügliches Grinsen verriet ihr, worauf er anspielte. Auf irgendetwas, das bestimmt mit ihr zusammenhing. Küsse zum Beispiel. Sie hätte nichts dagegen …

Rule legte sein Jackett auf das Sofa im Wohnzimmer und setzte sich zu Trevor auf den Fußboden. Der Kleine holte eifrig einen Lastwagen nach dem anderen herbei. Sie rollten die Laster über den Fußboden und ließen sie mit lauten Geräuschen zusammenkrachen. Währenddessen räumten Sydney und Lani den Tisch ab.

Eine Stunde später brachen sie zum Park auf. Da Lani nicht mitkommen wollte, waren sie nur zu dritt. Rule und Sydney nahmen Trevor in die Mitte an je eine Hand und lauschten seinem munteren Geplapper, als sie an den schönen alten Häusern des Viertels mit ihren großen gepflegten Gärten vorbeigingen.

Sie blieben fast drei Stunden auf dem Spielplatz. Vergeblich suchte Sydney bei Rule nach Anzeichen von Ermüdung oder Lustlosigkeit. Seltsam, er musste es doch irgendwann mal satthaben, Trevor Schwung auf der Schaukel zu geben oder mit ihm Karussell zu fahren, doch er schien jede Sekunde davon zu genießen.

Er kroch sogar mit dem Jungen durch die Betontunnels, ohne auf seine Designerhose zu achten, lachte, als Trevor ihn abhängte, und tat so, als wolle er ihn jagen, um sich für die Niederlage an ihm zu rächen. Trevor kreischte vor Vergnügen.

Als sie wieder nach Hause kamen, war der Kleine so erledigt, dass er sich nach dem Mittagessen bereitwillig von Lani hinlegen ließ. Danach waren Sydney und Rule zum ersten Mal seit vier Stunden wieder allein.

„Du hast dich wirklich toll um Trevor gekümmert“, sagte sie zu ihm.

Rule sah ihr in tief die Augen. Sie liebte die Art, wie er sie ansah – so als könnte er nicht genug von ihr bekommen. „Kein Problem, es hat mir einen Riesenspaß gemacht. Danke für die Einladung, Sydney“, fügte er mit der für ihn typischen europäisch-höflichen Art hinzu.

„Es war mir ein Vergnügen – und Trevor sowieso. Aber jetzt reicht’s dir doch bestimmt allmählich, oder?“

Er runzelte die Stirn. „Soll ich das als Wink auffassen, jetzt zu gehen?“

Sie lachte. „Unsinn. Ich gebe dir nur die Chance, dich zurückzuziehen, falls du für heute die Nase voll hast.“

„Ich würde lieber bei euch bleiben, falls es dir nichts ausmacht.“

„Natürlich macht mir das nichts aus.“ Ihr Herz klopfte schon wieder wie verrückt. „Im Gegenteil.“

Hoffentlich wirkte sie nicht zu begierig. Vielleicht wäre es klüger, sich etwas zurückzuhalten, aber wozu? Sie fühlte sich rundum wohl mit Rule, und warum sollte sie ihn wegschicken, wenn er doch gar nicht gehen wollte? Von ihr aus konnte er ruhig zum Mittagessen oder sogar zum Abendessen bleiben … oder gleich für immer, kein Problem. Jeder Augenblick, den sie mit ihm verbrachte, weckte in ihr nur den Wunsch, auch den nächsten mit ihm zu verbringen. Und den nächsten.

Und wenn es irgendwann doch wieder ein böses Erwachen gab? Irgendwie konnte Sydney sich das nicht vorstellen. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Rule wirklich ein Volltreffer war. Er war ein toller Mann, und er stand auf sie – sehr sogar. Noch dazu mochte er Kinder und verbrachte gern Zeit mit ihnen. Solange er ihr also keinen Anlass gab, an ihm zu zweifeln, würde sie einfach nicht an ihm zweifeln. Und damit basta!

Sie und Rule plünderten den Kühlschrank und trugen ihr Mittagessen hinaus in den Garten. Unter einer Eiche in der Nähe des Pools erzählte er ihr mehr von seiner Familie, unter anderem auch von seinem älteren Bruder Max, der seit einem tragischen Wasserskiunfall seiner Frau Witwer war. „Es muss schrecklich für ihn sein, ohne sie weiterzuleben“, sagte er düster. „Sie waren fast seit ihrer Kindheit zusammen. Ihre Ehe war sehr glücklich.“

„Ich habe Menschen immer beneidet, die schon früh die wahre Liebe finden“, antwortete Sydney sehnsüchtig. „Es ist wirklich unfair, dass dein Bruder und seine Frau nicht ihr ganzes Leben miteinander glücklich sein dürfen.“

Rule hielt ihr eine Hand hin. Ohne zu zögern ließ sie sich von ihm auf seinen Liegestuhl ziehen. Er schlang einen Arm um sie und hob mit der anderen Hand ihr Kinn. Sie küssten einander lange und zärtlich. „Ich liebe es, deine Lippen und deinen Körper zu spüren“, flüsterte er.

Sanft strich sie ihm übers Haar. Sie empfand es als Geschenk, ihn berühren zu können – und diejenige zu sein, die er berühren wollte. „Oh, Rule“, sagte sie leise. „Was geschieht nur mit uns?“

Er küsste sie erneut – wilder und leidenschaftlicher diesmal. „Weißt du das denn nicht?“

„Ich … ich glaube schon. Aber ich habe schon so lange auf jemanden wie dich gewartet, dass mir das hier fast zu schön vorkommt, um wahr zu sein.“

„Du zitterst ja.“ Er zog sie noch fester an sich.

Sie lachte verunsichert. „Jetzt bin ich nicht mehr kratzbürstig, oder?“

„Komm, entspann dich …“ Er streckte sich mit ihr zusammen auf dem Liegestuhl aus und drückte sie an sich. „Keine Angst“, sagte er, „ich werde dir nie wehtun. Ich bin nur so dankbar, dass ich dich endlich gefunden habe.“

„Dann hast du gestern also gelogen, als du gesagt hast, dass du mich nicht gesucht hast?“, neckte sie ihn.

„Kannst du mir die kleine Lüge verzeihen?“

Sie tat so, als müsse sie erst darüber nachdenken. „Ich werde es versuchen“, flüsterte sie schließlich.

„Gut. Ich habe nämlich schon mein ganzes Leben lang nach dir gesucht. Und jetzt, wo ich dich endlich in den Armen halte, werde ich dich nie wieder loslassen.“

„Ich will auch mit dir zusammen sein.“ Sie legte eine Hand auf seine Brust und spürte seinen kräftigen und gleichmäßigen Herzschlag. „Außerdem habe ich keine Angst … Okay, das stimmt nicht. Ich habe Angst – zumindest ein bisschen“, gestand sie seufzend.

„Wegen dieser beiden Idioten, Ryan und Peter?“

Sie nickte. „Ich habe einfach nicht viel Glück mit Männern.“

Er küsste ihr Haar. „Vielleicht nicht.“

Eindeutig nicht.“

„Bis jetzt“, korrigierte er sie.

Sie neigte den Kopf in den Nacken, sah Rule in die Augen und … glaubte ihm einfach. „Stimmt, bis jetzt“, wiederholte sie leise.

„Gehst du heute Abend mit mir aus? Ich hole dich ab. Wir gehen etwas essen und anschließend tanzen.“

Nachdem Trevor wieder aufgewacht war, spielte Rule mit ihm, bis es Zeit zum Abendessen wurde. Der Mann war Sydney ein Rätsel. Es schien ihm überhaupt nichts auszumachen, stundenlang mit einem Kleinkind zu spielen, im Gegenteil sogar. Ganz offensichtlich liebte er Kinder. Er würde bestimmt einen tollen Vater abgeben.

Nach dem Abendessen ging Lani mit dem Kleinen nach oben, um ihn fürs Bett fertigzumachen. Kaum waren die beiden außer Sichtweite, nahm Rule Sydney in die Arme und küsste sie. „Du hast einen prachtvollen Sohn“, sagte er und nahm ihre Hand.

„Oh, er kann auch anders“, antwortete sie lachend.

„Das ist ja auch völlig normal. Ich bin froh, dass du mir von ihm erzählt hast. Und dass du mir deine Erfahrungen mit Ryan und Peter anvertraut hast.“

„Ehrlichkeit und Offenheit sind mir wichtiger als alles andere.“

„Mir auch.“

Bildete sie sich das nur ein, oder sah sie einen Schatten über sein Gesicht huschen? Ihr Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich. „Ist etwas?“, fragte sie besorgt.

„Ich fürchte, ich muss dir ein Geständnis machen.“

Sydney klopfte das Herz jetzt bis zum Hals, und ihr wurde schlecht. Stellte sich jetzt womöglich heraus, dass Rule doch zu gut war, um wahr zu sein? „Schieß los“, forderte sie ihn auf.

„Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, wie sehr ich meine Mutter bewundere?“

Worauf wollte er hinaus? „Es geht also um deine Mutter?“

Rule strich Sydney so zärtlich über die Wange, dass es ihr einen schmerzhaften Stich versetzte. Sie liebte ihn sehr. „Nein, es geht nicht um meine Mutter. Zumindest nicht direkt.“

„Was meinst du damit?“

„Sydney, ich bewundere meine Mutter aus vielen Gründen. Unter anderem als Herrscherin meines Landes.“

Sydney war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. „Wie bitte? Deine Mutter herrscht über dein Land?“

„Ja. Sie ist Adrienne II, Fürstin und Landesherrin von Montedoro. Und mein Vater ist seine Königliche Hoheit Evan, Prinzgemahl von Montedoro.“

„Sag das noch mal. Hast du wirklich Fürstin und Landesherrin gesagt?“

„Ja. Meine Mutter sitzt auf dem Thron. Mein Vater ist Prinzgemahl und mein Bruder Maximilian der Thronerbe. Bevor seine beiden Kinder zur Welt kamen, war ich der Zweite in der Thronfolge.“

Sydney starrte ihn entgeistert an. „Willst du damit etwa sagen, dass du ein Prinz bist? Ein echter Prinz?“

Er lachte. „Ja, meine Liebe. Genau das wollte ich damit sagen.“

Ein Prinz. Prinz von Montedoro. Hätte sie das wissen müssen? „Warte! Evan Bravo? Jetzt fällt es mir wieder ein. Dein Vater war Schauspieler, oder?“

Rule nickte. „Es stand damals in allen Zeitungen, als meine Mutter einen Schauspieler heiratete. Er folgte ihr nach Montedoro, bekam viele Kinder mit ihr, und seitdem leben sie glücklich bis an ihr Lebensende.“ Er sah Sydney voller Mitgefühl an. „Du bist ja ganz blass aus geworden. Willst du dich nicht hinsetzen?“

„Nein. Nein, es geht mir gut.“

„Möchtest du vielleicht meinen Diplomatenpass sehen?“

„Aber nein! Ich glaube dir.“ Trotzdem vergewisserte sie sich verstohlen, dass nicht irgendwo eine Kamera versteckt war. Als sie den Blick wieder auf Rule richtete, gab sie sich Mühe, möglichst streng zu gucken. „Das hättest du mir schon viel früher erzählen sollen.“

„Ich weiß.“ Rule wirkte aufrichtig zerknirscht. „Aber irgendwie kam nie der passende Moment. Außerdem wollte ich, dass du mich erst ein bisschen kennenlernst, bevor ich das Thema zur Sprache bringe.“

„Gestern Abend im Herrenhaus. Der nervöse Ober …“

„Ich habe dort eine Suite. Daher weiß er, wer ich bin.“ Sanft hob er Sydneys Kopf. „Aber nichts davon spielt eine Rolle für uns.“

„Rule! Natürlich spielt es eine Rolle.“

„Nur, wenn du es zulässt. Für mich ist das hier das Wichtigste …“ Er senkte den Kopf und küsste sie.

„Ach, Rule …“, sagte sie seufzend. Sie musste sich an seinen Schultern festklammern, weil ihr ganz schwindlig geworden war. Ihre Knie gaben nach. Sie war verrückt nach ihm.

„Ich muss jetzt leider gehen“, sagte er und strich ihr liebevoll übers Haar.

Sydney beschloss, sofort die Gelegenheit zu nutzen, ihn zu googeln, sobald er weg war.

„Entschuldige, dass ich es dir jetzt erst erzählt habe.“

„Ich werde versuchen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, sobald mir nicht mehr der Kopf schwirrt.“

„Noch einen Kuss …“

Sie gehorchte, weil sie ihm einfach nicht widerstehen konnte – und weil sie es auch gar nicht wollte. Danach ließ er sie endgültig los. Sie öffnete ihm die Haustür und beobachtete, wie er zu seiner Limousine ging.

Kaum war der Wagen aus ihrem Blickfeld verschwunden, schloss Sydney die Tür und ging nach oben zu Lani, um ihre Pläne für den Abend mit ihr zu besprechen. Sie traf ihre Freundin und Trevor im Bad an. Der Kleine saß auf dem Fußboden und spielte mit einer Plastikente, während Lani die Wanne volllaufen ließ.

„Lani?“

„Hm?“ Lani prüfte die Wassertemperatur und drehte den Heißwasserhahn weiter auf.

„Ich wollte dich fragen, ob du heute Abend zufällig etwas vorhast.“

„Nein, ich bleibe hier. Und ja, ich passe gern auf Trevor auf.“

„Super!“ Dann war das also geklärt.

„Mommy, vorlesen!“, forderte Trevor.

Sydney bückte sich und gab ihm einen Kuss. „Erst baden, dann lese ich dir etwas vor.“

„Gut.“ Sie küsste ihn ein zweites Mal und lief rasch die Treppen hinunter in ihr Arbeitszimmer, um so viel wie möglich über Rule herauszufinden, bis Trevor wieder ihre Aufmerksamkeit forderte.

Es gab jede Menge Informationen zur Verlobung und spektakulären Hochzeit seiner Eltern, Artikel über Maximilian und den tragischen Tod seiner Frau Sophia und über den Drittgeborenen, Alexander, der jahrelang von afghanischen Terroristen als Geisel festgehalten worden war, bis ihm vor einigen Monaten auf wundersame Weise die Flucht gelang.

Prinz Rule hatte in Amerika studiert, in Princeton. Er war der Geschäftsmann der Familie, spielte eine wichtige Rolle im Außenhandel und engagierte sich für zahlreiche wohltätige Zwecke. Außerdem schien er ein begehrter Junggeselle zu sein. Im Laufe der Jahre war sein Name mit vielen schönen Models und Schauspielerinnen in Zusammenhang gebracht worden, doch seine Beziehungen schienen nie von langer Dauer gewesen zu sein.

Einigen Quellen zufolge ging man davon aus, dass er eines Tages eine Freundin aus Kinderzeiten heiraten würde, Prinzessin Liliana des Inselstaates Alagonien. Bisher war die Verlobung jedoch noch nie offiziell bekannt gegeben worden.

Sydney fand zahlreiche Fotos der Prinzessin, die blond, blauäugig und so schön wie eine Märchenprinzessin war. Sofort bekam sie ein ungutes Gefühl. Warum hatte Rule ihr diese angebliche „Freundin aus Kindertagen“ verschwiegen? Sie würde ihm wohl heute Abend ein paar Fragen stellen müssen.

„Mommy, vorlesen!“

Sydney blickte vom Computer hoch und sah ihren Sohn und Lani in der Tür stehen.

„Tut mir leid, dich unterbrechen zu müssen, aber Trevor hat dein Versprechen nicht vergessen“, erklärte Lani.

„Kein Problem, ich lese ihm gern noch vor.“

Trevor lief auf Sydney zu und zerrte ungeduldig an ihrem Arm. „Komm mit, Mommy!“

Okay, weitere Recherchen zu Prinzessin Liliana mussten wohl noch warten. Sydney nahm den Kleinen schwungvoll auf den Arm und trug ihn nach oben.

Als er eine halbe Stunde später fest eingeschlafen war, eilte sie in ihr Schlafzimmer, um sich ausgehfertig zu machen. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie Lani, dass Rule ein echter Prinz war.

„Wow! Und ich habe noch nicht mal einen Knicks gemacht, als du ihn mir vorgestellt hast.“

„Es ist wohl ein bisschen zu spät, um sich jetzt noch Gedanken über die Hofetikette zu machen.“ Sydney beugte sich zum Spiegel vor und trug ihr Make-up auf. „Was mir nur recht ist.“

„Stell dir mal vor, wie es wäre, einen echten Prinzen zu heiraten“, sagte Lani versonnen.

„Wer redet denn von Ehe? Wir sind uns doch gerade erst begegnet.“

„Aber ich habe den Eindruck, dass es mit euch etwas Ernstes ist. Oder täusche ich mich?“

Sydney legte die Puderquaste weg, stand auf und drehte sich zu ihrer Freundin um. „Nein, mir geht es genauso. Heute Nacht könnte es daher spät werden.“

Vorausgesetzt natürlich, Rule gestand ihr nicht doch noch, dass er die schöne Prinzessin Lili heiraten würde. In diesem Fall würde sie früh nach Hause kommen, sich an Lanis Schulter ausheulen und für die nächsten zehn Jahre den Männern abschwören. Mindestens!

„Ach, Syd!“ Lani seufzte sehnsüchtig. „Du siehst einfach wunderschön aus. Das smaragdgrüne Kleid steht dir toll, es betont die Farbe deiner Augen. Ich wünsche dir einen aufregenden Abend.“

„Danke.“ Sydney glättete ihr Haar und gab sich Mühe, Prinzessin Lili aus ihren Gedanken zu verbannen.

4. KAPITEL

Pünktlich um acht erschien Rule mit seiner Limousine. Als Sydney einstieg, stellte sie fest, dass neben dem livrierten Chauffeur noch ein Mann saß: eine Art Türstehertyp mit geschorenen Haaren und einem Bluetooth-Gerät im Ohr. Trotz der Dämmerung trug er eine Sonnenbrille. Rule stellte ihn ihr als Joseph vor.

Sydney beugte sich vor, wobei sie den subtilen Duft von Rules Aftershave genoss. „Sag nicht, du hast einen Leibwächter engagiert.“

Er zuckte die Achseln. „Sicherheitsmaßnahmen sind heutzutage leider nötig.“

Der Chauffeur brachte sie zu einem weiteren ausgezeichneten Restaurant, wo sie wieder unter sich waren.

Sydney wartete bis zum Hauptgang, bis sie das Thema Lili zur Sprache brachte. „Erzähl mir von Prinzessin Liliana von Alagonien. Man munkelt, dass ihr heiraten werdet.“

Rule hielt ihrem Blick stand. „Du solltest nicht auf Gerüchte hören.“

„Das war keine Antwort auf meine Frage, Rule.“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und trank einen Schluck Wasser.

„Lili ist acht Jahre jünger als ich. Ich betrachte sie eher als kleine Schwester.“

„Aber sie ist nicht deine Schwester.“

„Ich habe nicht vor, Liliana zu heiraten, Sydney. Wir sind weder verlobt, noch habe ich ihr je einen Antrag gemacht.“

Nach der Lektüre der Artikel hatte Sydney einen anderen Eindruck bekommen. „Aber sie will dich heiraten“, äußerte sie ihren Verdacht. „Und man geht davon aus, dass du sie auch heiraten wirst.“

Rule hielt ihrem Blick noch immer stand, wirkte jedoch etwas verlegen. „Sie … blickt zu mir auf“, sagte er ausweichend.

Was bildete er sich eigentlich ein? Dass Sydney ihn mit diesen Ausflüchten davonkommen lassen würde? Falls ja, hatte er sich gründlich in ihr getäuscht! „Warum gibst du nicht einfach zu, dass sie dich heiraten will?“

Rule lehnte sich ebenfalls in seinem Stuhl zurück. Sein Blick war plötzlich distanziert und kalt. „Ich werde mir nicht anmaßen, für Liliana zu sprechen“, sagte er schroff. „Aber du hat insofern recht, dass eine Verbindung mit Lili von unseren beiden Familien aus Staatsgründen begrüßt werden würde.“

„Und warum heiratest du sie dann nicht?“, fragte Sydney scharf.

Rules Augen waren plötzlich tiefschwarz – voller dunkler Geheimnisse, wie es Sydney vorkam. Ihr wurde wieder bewusst, dass sie im Grunde genommen nichts über Rule wusste. Ihre kurze gemeinsame Zeit war bisher absolut zauberhaft gewesen … aber möglicherweise doch nur eine schöne, aber flüchtige Fantasie, die der Realität nicht standhielt.

„Ich habe dir doch erzählt, dass von uns erwartet wird, mit dreiunddreißig verheiratet zu sein, oder?“

„Stimmt.“

„Hast du gedacht, ich wollte dich damit nur aufziehen?“

„Nein, ich hatte lediglich den Eindruck, dass deine Familie einfach nur einen gewissen Druck auf dich ausübt, so wie es ihn in vielen Familien gibt.“

„Es geht dabei um viel mehr als nur das. Die Frist ist gesetzlich festgelegt.“

Ungläubig sah Sydney ihn an. „Das ist jetzt aber wirklich ein Witz, oder?“

„Ganz im Gegenteil sogar. Mein Land war früher einmal französisches Protektorat. Und Frankreichs Schatten … ist lang, wie man bei uns sagt. Wir haben ein Abkommen mit Frankreich unterzeichnet, in denen Frankreich uns zusagt, unsere Souveränität zu garantieren.“

Als Anwältin ahnte sie schon, worauf er hinauswollte. „Und die simple Tatsache, dass ein anderes Land die Macht hat, eure Souveränität zu garantieren, zieht auch Probleme nach sich“, ergänzte sie.

„Ganz genau. Obwohl meine Familie offiziell herrscht, muss die französische Regierung den nächsten Landesherrn oder die nächste Landesherrin absegnen. Sollte es mal keinen Thronfolger geben, wird Montedoro wieder französisches Protektorat. Deshalb gibt es bei uns ein Gesetz, das garantieren soll, dass niemand von uns sich vor seiner Verpflichtung drücken kann, einen Thronfolger zu produzieren. Die Prinzen und Prinzessinnen von Montedoro müssen vor ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag heiraten, wenn sie nicht ihre Titel und ihr Einkommen verlieren wollen. Und ich werde am vierundzwanzigsten Juni dreiunddreißig.“

„Das sind ja nur noch zweieinhalb Monate.“

„Richtig.“

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Rule würde Liliana ganz bestimmt heiraten, ganz egal, was er sagte. Das zwischen ihnen war nur … was? Eine letzte heiße Affäre, bevor er seiner Verpflichtung nachkam und einen Haufen kleiner Prinzen und Prinzessinnen mit Liliana bekam?

Warum hatte er sich ausgerechnet Sydney ausgesucht? Sie war doch nur eine ehrgeizige und überarbeitete alleinerziehende Mutter, die alles andere als eine wilde Romanze mit einem Mann brauchen konnte, der jemand anders heiraten wollte. Schließlich hatte sie schließlich schon genug Enttäuschungen hinter sich, vielen Dank auch!

Sydney versuchte verzweifelt, wütend auf Rule zu sein, aber es klappte einfach nicht. Sie fühlte sich hundeelend. Am liebsten hätte sie die Hände vors Gesicht geschlagen und wäre in Tränen ausgebrochen.

Verdammt noch mal, nein! Sie war eine O’Shea, und die O’Sheas waren stark. Niemals durfte sie sich die Blöße geben, vor ihm zusammenzubrechen. „Findest du nicht, dass du deine Frist ganz schön ausreizt?“, fragte sie daher nur kühl.

„Ehrlich gesagt sogar mehr als nur ein bisschen. Deshalb habe ich bis vor Kurzem noch ernsthaft darüber nachgedacht, Liliana einen Heiratsantrag zu machen.“

Überraschung, Überraschung! „Und? Was hat dich davon abgehalten?“

„Kein Mann heiratet gern eine Frau, die für ihn wie eine Schwester ist, noch nicht mal, um sein Erbe zu retten. Nur deshalb habe ich die Entscheidung immer weiter hinausgezögert.“

„Worauf wartest du eigentlich noch? Hör auf zu zaudern und heirate sie einfach!“

Seine Mundwinkel zuckten belustigt. „Prinzen zaudern nicht.“

„Nenn es, wie du willst. Für mich sieht es nach Zaudern aus.“

„Falls ich jemals gezaudert haben sollte, Sydney – und ich behaupte keineswegs, dass ich das getan habe –, dann jetzt nicht mehr.“

Genervt verdrehte sie die Augen. „Okay, ich kann dir nicht mehr folgen.“

„Ich bin mir inzwischen absolut sicher, dass Liliana niemals meine Frau wird. Im Bruchteil einer Sekunde hat sich alles für mich verändert.“

Sydney hatte noch immer keine Ahnung, worauf er hinauswollte. Sie wusste nur, dass es zwischen ihnen vorbei war, bevor es überhaupt begonnen hatte. „Wovon redest du überhaupt?“

„Das Ganze wurde mir nach unserem Mittagessen gestern klar.“

Was wurde dir klar?“

„Als du dich von mir verabschiedet hast und in dein Auto gestiegen und davongefahren bist, habe ich mir vorzustellen versucht, dich nie wiederzusehen. Aber es ging einfach nicht. Und in diesem Augenblick wusste ich, dass ich Lili nicht heiraten kann.“

Hastig griff Sydney nach ihrem Glas und trank einen großen Schluck Wein. „Also, ich …“ Ihre Stimme zitterte so stark, dass Sydney tief einatmen musste, bevor sie weiterreden konnte. „Du wirst die Prinzessin also nicht heiraten? Bist du dir sicher?“

„Ja. Absolut sicher.“

„Meinst du das ernst? Wirklich ernst?“

„Natürlich, Sydney. Von ganzem Herzen.“

„Spiel keine falschen Spielchen mit mir, Rule.“

„Ich schwöre dir, dass ich das nicht tue.“

Sydneys Hals fühlte sich so zugeschnürt an, dass sie schlucken musste. „Okay“, flüsterte sie. „Dann heiratest du sie also nicht.“

„Ganz richtig. Gut, dass wir das endlich geklärt haben.“ Er lächelte nachsichtig. „Du hast dein Essen bisher kaum angerührt. Schmeckt es dir nicht?“

„Nein, es ist gut. Wirklich. Köstlich.“ Sydney nahm ihre Gabel und begann zu essen.

Für eine Weile aßen sie schweigend.

„Mir gefällt dieses smaragdgrüne Satinkleid an dir“, sagte Rule irgendwann. „Fast so gut wie das rote.“

„Danke.“

„Ich möchte immer noch mit dir tanzen gehen.“

Sydney trank einen weiteren Schluck Wein und sah Rule an. Sein Blick war unglaublich zärtlich und liebevoll. Und plötzlich war sie sich seiner so sicher, wie er sich ihrer zu sein schien. Sie wollte ihn. Sie wollte mit ihm schlafen, ganz egal, wie es mit ihnen ausgehen würde. „Ich hätte da einen anderen Vorschlag.“

„Ich bin immer offen für Vorschläge, vor allem für deine.“

„Lass uns in dein Hotel fahren, Rule. Und in deiner Suite tanzen.“

Er wohnte in einer der beiden Terrassen-Suiten im obersten Stockwerk. Mehr als zweihundert Quadratmeter purer Luxus. Im Wohnzimmer stand eine Flasche Champagner für sie bereit – und eine Kristallschale mit Montedoro-Orangen.

Nachdem Rule sein Jackett und seine Krawatte abgelegt hatte, führte er Sydney zum Sofa, um den Champagner zu trinken. Sie streifte ihre Schuhe ab, während er ihr eine Orange schälte.

Stück für Stück fütterte er sie Orangenspalten. „Hm, köstlich“, sagte sie genießerisch. Noch nie hatte sie eine so leckere Orange gegessen.

Rule beugte sich vor und küsste sie, zunächst sanft und zärtlich und dann immer leidenschaftlicher, bis sie irgendwann völlig außer Atem war. „Süß“, sagte er, als er die Lippen von ihr löste. Und er meinte nicht die Orange damit.

Anstatt zu antworten, sah sie ihn nur an. Ihr Herz klopfte heftig, ihr war heiß, und ihre Lider waren plötzlich schwer. Das Sofa war groß und bequem. Sie wollte Rule gerade an sich ziehen, als er sein Champagnerglas abstellte, die Fernbedienung vom Sofatisch nahm und den großen Flatscreen-Fernseher an der Wand einschaltete. Bevor sie ihn fragen konnte, warum er ausgerechnet jetzt fernsehen wollte, stellte er einen Musiksender ein. Ein langsamer, romantischer Song erklang.

„Komm.“ Er führte Sydney auf die Terrasse, wo sie eine Weile auf die Lichter von Dallas hinunterblickten. Und dann tanzten sie. Es war einfach himmlisch, ein wahrgewordener Traum – sie und er, eng umschlungen, sich schweigend und versunken im Takt der Musik bewegend.

Schließlich hob Rule ihr Kinn, und sie sah ihm in die dunkel schimmernden Augen.

Bisher hatte sie nie wirklich an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Woher sollte man auch die Gewissheit nehmen, dass man den Rest seines Lebens mit jemandem verbringen wollte? Man musste sich doch erst gründlich kennenlernen, bevor man wusste, ob man eine Chance für eine gemeinsame Zukunft hatte, oder?

Doch seinem Blick nach zu urteilen, glaubte Rule an Liebe auf den ersten Blick. Und er weckte in Sydney den gefährlichen Wunsch, selbst daran zu glauben.

„Ich sehe dich“, flüsterte er.

Unwillkürlich musste sie lächeln. Er erinnerte sie schon wieder an ihren Sohn, und zwar, wenn er Kuckuck spielte.

„Es ist vermutlich albern, etwas so Offensichtliches zu sagen“, fügte er hinzu.

„Nein, das nicht. Du hast mich nur gerade an Trevor erinnert.“

„Ach so.“ In seinem Blick flackerte etwas auf. „Schön, dass ich dich an ihn erinnere. Was ich jedoch damit sagen wollte, ist, dass du alles bist, was ich immer gesucht habe, auch wenn mir das bis gestern gar nicht bewusst gewesen war. Immer wenn ich in deine Augen sehe, weiß ich, dass du das Beste in mir hervorbringen und mich glücklich machen wirst. Und dass ich dich glücklich machen will.“

„Du führst mich ganz schön in Versuchung, weißt du das eigentlich?“

„Das will ich doch hoffen.“ Er küsste sie sanft – ein Kuss, der hinterher ein unsichtbares Brandmal auf ihren Lippen hinterließ. „Ich will dich nämlich in Versuchung führen, Sydney. Weil ich noch nie jemandem wie dir begegnet bin. Ich will mit dir zusammenbleiben, für immer.“

Er küsste sie wieder, lange und sinnlich, während sie tanzten. Sein Mund war so weich und verführerisch. Sie fühlte sich … verloren, wenn auch auf eine wundervolle Art und Weise.

Wo würde das alles nur hinführen? Sie hatte keine Ahnung. Dabei wusste sie, Sydney Gabrielle O’Shea, doch sonst immer, wo es langging. Sie hatte immer ein Ziel vor Augen, weil ihr einfach keine andere Wahl blieb. Denn wer würde sie sonst wieder zur Vernunft bringen? Ihre Eltern waren gestorben, bevor sie sie wirklich hatte kennenlernen können, und ihre starke verlässliche Großmutter war ihnen viel zu schnell gefolgt. Und auf die Männer, denen sie vertraut hatte, hatte sie sich nicht verlassen können.

Sie hatte nur Lani, ihre treue Freundin, und Trevor, den Lichtblick ihres Lebens.

Und jetzt war plötzlich dieser Mann hier. Rule.

Es war ein Wunder. Sydney hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, nie einen Mann zu finden, der zu ihr passte. Doch seit sie Rule kannte, lösten ihre Zweifel sich nach und nach in Luft auf. Er nahm sie ihr. Durch seine Zärtlichkeit, sein Verständnis, seine Aufrichtigkeit … und sein unverhülltes Verlangen nach ihr.

Es hatte keinen Zweck, sich weiterhin etwas vorzumachen. Sie glaubte doch an Liebe auf den ersten Blick, genauso, wie ihre Großmutter es getan hatte. Vorausgesetzt, man traf den Richtigen. Den Mann, dem man voll und ganz vertrauen konnte. Der für einen da war, wenn man eine Schulter zum Anlehnen brauchte. Der alles an ihr liebte, sogar ihre kratzbürstige Art und ihre bisweilen scharfe Zunge.

Sie genoss die Erregung und die Begierde, die er in ihr weckte. Und dass er ihr zugleich das Gefühl gab, ihm vertrauen zu können. Immer wenn sie die Zweifel in sich aufsteigen spürte – an ihm oder dem, was zwischen ihnen passierte –, gelang es ihm sofort, sie zu verbannen. Er bewies ihr wieder und wieder, dass er tatsächlich der Mann war, der er zu sein vorgab – der Mann, den zu finden sie kaum mehr zu hoffen gewagt hatte.

Sydney legte Rule die Arme um den Hals und strich ihm durch das seidige dunkle Haar, während sie sich seinen Küssen hingab. Er neigte den Kopf auf die andere Seite und küsste sie weiter.

Seufzend schmiegte sie sich an ihn. Jede auch noch so leichte Berührung mit seinem muskulösen Körper war unglaublich elektrisierend … und steigerte ihr Verlangen nach ihm ins Unerträgliche.

Als er schließlich den Mund von ihrem löste, stöhnte sie frustriert auf – bis sie seine Lippen auf ihrer linken Wange und Schläfe und schließlich an ihrem Ohrläppchen spürte. Behutsam nahm er es zwischen die Zähne und knabberte daran. Gierig presste sie sich an ihn. Sie wollte mit ihm verschmelzen, ein Teil von ihm werden.

Langsam ließ er die Lippen an ihrem Hals hinabgleiten, schob ihr den linken Träger ihres Kleides über die Schulter und küsste ihre Schulter. Seine Zunge fühlte sich köstlich heiß und prickelnd auf ihrer Haut an. Und seine Zähne erst … oh, diese Zähne …

Sie hatten inzwischen aufgehört zu tanzen und standen im Schatten einer Topfpalme in einer Ecke der Terrasse. Rule schob Sydney das Kleid weiter nach unten, sodass sie die warme Nachtluft spüren konnte. Er küsste ihre linke Brust, nahm die Knospe in den Mund und saugte rhythmisch daran, wobei er leise ihren Namen flüsterte.

Sydney schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Schauer der Wollust liefen ihr über den Rücken, bis sie ganz schwach war und willenlos seinen Namen stöhnte.

Als Rule den Kopf hob, blinzelte sie benommen. Sie fühlte sich, als sei sie aus einem wundervollen Traum gerissen worden.

„Lass uns reingehen“, sagte er mit rauer Stimme, biss ihr sanft in die Unterlippe und ließ die Zunge darüber gleiten.

Sydney zitterte vor Begierde. Ihre Brustspitze war jetzt fast schmerzhaft hart – ein wundervolles erregendes Gefühl. Sie versuchte, sich den Träger hochzuschieben, doch Rule fing ihre Hand ab, führte sie an die Lippen und küsste sie. „Nicht“, sagte er heiser. „Lass das Kleid so, wie es ist. Deine Brüste sind wunderschön …“

Er hob sie so mühelos hoch, als wöge sie nichts, und trug sie durch die offene Terrassentür. Im Fernsehen lief gerade ein neuer Song. Abrupt blieb er stehen. „Lady in Red“, flüsterte er.

„Nicht heute.“

„Es ist egal, ob du gerade Rot trägst oder nicht. Der Song da gerade. Du bist meine Lady in Red …“

„Ach, Rule.“ Zärtlich strich sie ihm über eine Wange.

Er begann sie wieder zu küssen, so wild und leidenschaftlich diesmal, dass sie von seinem Verlangen mitgerissen wurde.

Er trug sie ins Schlafzimmer und legte sie so vorsichtig und behutsam auf das Bett, als sei sie ein unglaublich kostbarer zerbrechlicher Gegenstand. Dann wandte er ihr den Rücken zu, zog sich aus und warf seine Kleidungsstücke achtlos auf einen Stuhl. Der Anblick seiner fantastischen Rückenansicht raubte ihr den Atem.

Schließlich drehte er sich zu ihr um und sah sie mit glühenden Augen an. Was für ein Bild von einem Mann! Nackt und aufregend – aufregender, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hätte. Die Muskeln auf seiner Brust, auf seinen Armen und seinem Bauch waren scharf modelliert, seine Beine lang, gerade, kräftig und behaart.

Sie ließ den Blick zu seinem Schritt wandern. Er war unglaublich erregt. Zitternd atmete sie ein.

Er legte sich zu ihr und küsste sie, bis sie vor Begierde fast verging, bevor er ihr den anderen Träger ihres Kleides über die Schulter streifte und ihre rechte Brust genauso verführerisch küsste wie auf der Terrasse die linke. Als er sie schließlich auf die Seite drehte, um den Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen, war sie mehr als bereit. Für alles, was gleich kommen würde. Und für morgen Nacht genauso. Und alle anderen Nächte. Für immer …

Träumte sie das Ganze etwa nur? Falls ja, wachte sie hoffentlich nie mehr auf.

Rule streifte ihr das Kleid vom Körper – sanft und behutsam … so zart wie eine Liebkosung. Eine sehr erregende Liebkosung.

Sie half ihm, indem sie die Hüften hob. Einen BH trug sie nicht. Sie brauchte keinen. „Deine Brüste sind wunderschön“, flüsterte er.

Und sie glaubte ihm. Was er mit ihr tat, war so magisch, dass auch der letzte Rest ihrer gesunden Skepsis verschwand. Sie glaubte ihm alles, was er ihr ins Ohr flüsterte, jedes einzelne heiser-zärtliche Wort. Seine Finger dufteten nach Blutorangen – süß, verführerisch und rubinrot. Sein Duft.

Sydney keuchte erregt auf, als sie spürte, wie er eine Hand über ihren Bauch bis zum Bündchen ihres Slips und darunter gleiten ließ … und noch tiefer. Er flüsterte ihr ins Ohr, wie herrlich sie sich dort anfühlte, sodass auch ihre letzten Nervenenden in Flammen aufzugehen schienen.

Zitternd vor Begierde schloss sie die Augen und gab sich ganz ihrer Lust hin, die stärker und stärker wurde … bis sie erschauernd unter Rules magischen Fingern aufschrie.

„Ja“, flüsterte er. „Lass dich fallen.“

Nur langsam kam sie wieder zu sich. Er lag noch immer hinter ihr, fest an sie gepresst. „Du fühlst dich so gut an“, murmelte sie träge, nahm seine Hand und legte sie sich aufs Herz.

Doch er war noch nicht fertig. Er rollte sie auf den Rücken und legte sich wieder neben sie. Tief befriedigt seufzend ließ sie ihn mit ihr machen, was er wollte, wurde schwer und träge …

„Sydney …“

Widerwillig, den Nachhall ihrer Lust noch immer genießend, öffnete sie die Augen. Rule hatte sich auf einen Ellenbogen gestützt und sah sie an. Seine Augen waren schwarz wie der Mitternachtshimmel.

Sie hob die rechte Hand zu seinem Mund. „So weich“, sagte sie leise. „Deine Küsse sind unglaublich …“

Er senkte den Mund auf ihren, ihre Finger noch an seinen Lippen. „Sydney …“, flüsterte er an ihrem Mund, an ihren Fingern.

„Mmh?“ Sie zog die Hand weg und öffnete den Mund leicht. „Mmh …“ Vielleicht war sie doch nicht so schläfrig. Sie genoss das Gefühl seiner harten Schultermuskeln unter ihren Fingern, ließ die Hand zu seinem Nacken gleiten und strich ihm über den Rücken. „Ich will dich einfach überall berühren …“

Sie strich ihm über die Brust, dessen Haar in einem dunklen Streifen abwärts verlief. Langsam ließ sie die Hand tiefer gleiten und umfasste seine Männlichkeit. Sein gutturales Aufstöhnen erfüllte sie mit tiefer Befriedigung.

Was für ein Mann! Alles an ihm war perfekt – er war der leibhaftig gewordene Märchenprinz.

Die Augen schließend spürte sie seine Härte, seine glatte Haut. Sie wollte ihn, mit Haut und Haar. Sofort. „Rule“, flüsterte sie. „Jetzt. Bitte, jetzt …“ Einladend spreizte sie die Beine und zog ihn auf sich.

„Warte …“, flüsterte er an ihren Lippen.

Sie stöhnte frustriert auf. „Was ist?“, fragte sie. „Ich will nicht warten.“

„Sydney …“ Er löste den Mund von ihrem.

Ihre Lider fühlten sich bleischwer an, als sie die Augen öffnete und ihn ungeduldig ansah. „Was?“

Seine Mundwinkel zuckten belustigt. Er wies mit dem Kinn auf das Kondom, das er in der Hand hielt.

„Ups.“ Sydney spürte, wie ihr vor Verlegenheit das Blut ins Gesicht schoss. „Oh, daran habe ich ja überhaupt nicht gedacht!“, rief sie entsetzt. „Wie konnte ich das nur vergessen? Ich bin doch sonst nicht so verantwortungslos.“

„Schon gut. Es reicht schließlich, wenn einer daran denkt. Außerdem finde ich es sehr schmeichelhaft, dass du dich meinetwegen selbst vergessen hast.“

„Das hätte mir aber nicht passieren dürfen.“

Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Du bist wunderschön, wenn du dich selbst vergisst.“ Sein Lächeln, seine zärtlichen Worte, der schmelzende Klang seiner Stimme – wirklich absolut unwiderstehlich.

„Ich bin nicht schön, Rule, das weißt du genauso gut wie ich.“

„Doch, das bist du. Jetzt halt schön die Hand auf und widersprich mir nicht ständig.“

Dieser Mann war wirklich unwiderstehlich. Sie gehorchte.

Er legte das Kondom auf ihre Handfläche. „Erweist du mir die Ehre?“

Sie musste lachen – ein vor Erregung heiseres Lachen.

Er legte sich zurück und beobachtete, wie sie das Kondom auspackte. Sie beugte sich über ihn und ließ die Lippen über seine Brust und seinen flachen Bauch gleiten … und tiefer, bis sie ihn laut aufstöhnen hörte. Quälend langsam nahm sie ihn in den Mund und gab ihn dann wieder frei.

Einen erstickten Laut ausstoßend, bäumte Rule sich auf – eine wortlose Bitte nach mehr.

Sie gab ihm, was er wollte. Aufreizend, spielerisch.

Sein Stöhnen und sein stockender Atem verrieten ihr, dass er sich kaum noch länger zurückhalten konnte. Gut so. Sie wollte ihn über die Schwelle bringen und ihm die gleiche Befriedigung verschaffen, die er ihr geschenkt hatte.

Doch dann nahm er ihr Gesicht in die Hände und zog sie zu sich hoch, bis sie ihm direkt in die schönen Augen sah.

„Streif es über“, befahl er mit rauer Stimme. „Sofort!“

Sie gehorchte. Doch noch bevor sie sich auf ihn setzen konnte, rollte er sie auf den Rücken und kniete sich zwischen ihre gespreizten Beine, die Unterarme zu beiden Seiten ihres Gesichts aufgestützt, die Finger in ihrem Haar. „Sydney …“, sagte er heiser und küsste sie. Leidenschaftlich, heiß, köstlich erregend. Und dann drang er langsam in sie ein.

Es war unglaublich schön. Noch nie hatte sie so etwas erlebt, niemals zuvor.

Als Rule sich rhythmisch in ihr bewegte, vor und zurück, immer und immer wieder, bäumte Sydney sich auf, schlang die Beine um seine Taille und packte seine starken Schultern. Sie hatte das Gefühl zu fliegen, zu verbrennen. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt.

„Sydney …“, hörte sie ihn flüstern. Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr. „Sydney …“

Wohlig seufzend wandte sie den Kopf zur Seite. Nur noch ein bisschen Schlaf …

„Sydney!“ Rule küsste ihre Schläfe und zupfte spielerisch mit den Lippen an ihrem Haar.

Sie hielt die Augen stur zusammengekniffen. „Ich schlafe noch“, grummelte sie und spürte seine Lippen auf ihrer Wange. Warm. Verführerisch …

„Du musst jetzt aufwachen.“

Oh Schreck, Rule hatte vollkommen recht. Sie wandte ihm das Gesicht zu und klappte die Augen auf. „Wie spät ist es?“, fragte sie schlaftrunken.

„Schon nach drei Uhr.“ Rule lag auf einer Seite, den Ellenbogen aufgestützt. Unter der Decke zeichneten sich seine schmalen, muskulösen Hüften ab.

Aufstöhnend setzte Sydney sich auf und strich sich das Haar aus der Stirn. „Ich muss nach Hause.“ Sie versuchte, die Decke zurückzuschlagen, doch Rule hinderte sie daran. „Warte.“

„Was ist?“, fragte sie lächelnd.

Seine Augen leuchteten. Er sah plötzlich so jung aus. Jung, hoffnungsvoll und … nervös. War er tatsächlich nervös? Prinz Rule von Montedoro, nervös? „Rule?“ Sydney strich ihm über eine Wange. „Alles in Ordnung mit dir?“

Er nahm ihre Hand und küsste ihre Handfläche. Genauso liebevoll wie neulich im Restaurant, als er sie gefragt hatte, ob sie es lieber hätte, wenn er sie schlecht behandelte …

Sydney erschauerte unter einer plötzlichen Vorahnung, doch dann gab es nur noch Rules Mund, so weich und warm … und seinen Blick. Er sah sie an, als habe sie die Macht, den Mond vom Himmel zu holen.

Er löste die Lippen von ihrer Handfläche, legte etwas hinein und schloss zärtlich ihre Finger darum. Und dann sprach er die unmöglichen, unglaublichen Worte, und Sydney glaubte zu träumen: „Heirate mich, Sydney. Werde meine Frau.“

5. KAPITEL

Sydney öffnete die Hand und stöhnte erschrocken auf, als sie den wunderschönen Platinring mit dem riesigen, von zwei kleineren Steinen flankierten Diamanten sah. Wie betäubt hob sie den Blick zu Rule. „Sag mir bitte …“

„Alles, was du willst!“

„Passiert das hier gerade wirklich?“

Lachend strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. „Ja, mein Schatz. Es passiert wirklich. Ich weiß, dass es verrückt ist und viel zu schnell geht, aber das ist mir egal. Tief im Innern wusste ich schon bei deinem ersten Anblick, dass ich dich heiraten will. Und alles, was danach passiert ist, hat mich nur noch weiter darin bestärkt. Ich bin mir absolut sicher, dass du die Richtige für mich bist.“

„Aber du … ich … wir können doch nicht einfach …“

„Doch, das können wir. Heute noch. Lass uns nach Las Vegas fliegen und dort heiraten. Am Dienstag muss ich nämlich nach Montedoro zurück, und ich möchte, dass ihr mich dorthin begleitet. Du und Trevor.“

„Ich … das geht doch nicht … Ach, Rule, warum denn die Eile?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich will nicht länger warten. Verlang das bitte nicht von mir.“

„Aber ich habe schließlich einen Beruf“, brach es aus ihr heraus. „Ich habe ein Haus. Ich lebe in Texas. Ich …“

„Beruhige dich erst mal, mein Schatz.“

„Ich soll mich beruhigen? Du hast mich gerade gebeten, dich zu heiraten, und zwar noch heute!“

Rule lachte. „Stimmt, ich habe gut reden. Aber vielleicht solltest du zunächst mal tief Luft holen.“

Guter Tipp. Sydney atmete tief ein und langsam wieder aus.

„Besser?“, fragte er sanft.

Sie warf wieder einen Blick auf den Ring. „Ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig.“

„Du doch nicht“, widersprach er lachend. Trotzdem streckte er die Arme nach ihr aus und zog sie an sich.

Sydney legte den Kopf an seine Schulter und genoss seine Körperwärme und Kraft, seinen subtilen und trotzdem männlichen Duft. Sie liebte einfach alles an ihm.

Liebe.

War es möglich? Für Rule anscheinend ja. Aber selbst wenn das zwischen ihnen Liebe auf den ersten Blick war, hätte Sydney gern mehr Zeit gehabt, bevor er sie bat, sich für immer an ihn zu binden …

Sie rutschte ein Stück zurück, um ihn ansehen zu können. „Das Ganze geht so schnell, Rule. Ich meine, es ist doch noch viel zu früh, um zu heiraten.“

„Na und? Ist mir doch egal.“ Sein Blick war fest, sein Tonfall absolut überzeugt. „Endlich weiß ich, was ich will. Wie schon gesagt, ich habe mein ganzes Leben auf das hier gewartet, auf dich.“

„Stimmt. Aber trotzdem. Ehe? Das ist nicht nur ein leeres Wort für mich, sondern eine Verpflichtung fürs Leben.“

„Ich weiß. Und ich bin davon überzeugt, dass unsere Ehe ewig halten wird.“

Argwöhnisch sah sie ihn an. „Es liegt an diesem Ehegesetz, oder? Du musst dir eine Frau suchen, und zwar bald.“

„Das stimmt.“

„Aber du hast doch noch bis Juni Zeit. Wir könnten … mehr Zeit miteinander verbringen, zumindest ein paar Wochen. Einander besser kennenlernen.“

„Ich brauche nicht mehr Zeit, Sydney. Du bist die Richtige, das weiß ich einfach. Ich brauche dich. Bei mir. Ich will, dass endlich das Leben beginnt, von dem ich schon immer geträumt habe. Ich will das, was meine Eltern haben, und was Max mit Sophia hatte. Ich will, dass wir einander gehören, und zwar jeden Augenblick, den Gott uns schenkt. Denn das Schicksal kann sehr grausam sein, das habe ich bei Max gesehen. Ich will nicht einen Tag mehr verschenken, Sydney.“

„Ach, Rule …“

„Sag Ja. Sag einfach nur Ja.“

Sie wollte es. So sehr. Doch ihre innere Skepsis war noch nicht besiegt. „Aber … für ein ganzes Leben? Ich meine, sei doch mal ehrlich! Ich habe dich gegoogelt. Du bist der attraktive Junggeselle par excellence. Du warst doch unter Garantie noch nie mit einer Frau wie mir zusammen. Mit einer durchschnittlich aussehenden und ehrgeizigen Karrierefrau.“

Seine Augen blitzten auf. „Du siehst nicht durchschnittlich aus.“

„Na schön, dann bin ich eben halbwegs attraktiv. Aber ich bin keine international gefeierte Schönheit.“

„Für mich schon, und das ist alles, was zählt. Außerdem hast du Charme und eine enorme Ausstrahlung. Die Menschen haben Respekt vor dir. Ich glaube, du weißt gar nicht, wie du nach außen wirkst. Und deine Intelligenz, Entschlossenheit und Zielstrebigkeit sind absolut unwiderstehlich für mich.“ Er holte kurz Luft.

„Übrigens bist du nicht die Einzige, die weiß, wie man eine Suchmaschine benutzt, Sydney. Ich habe mich ebenfalls nach dir erkundigt. Ich weiß, dass du das College schon mit zwanzig abgeschlossen, zahlreiche Fälle gewonnen und trotz deines Ehrgeizes ein gutes Herz hast. Du bist unglaublich sinnlich und nicht zuletzt eine tolle Mutter. Natürlich will ich dich zur Frau. Du bist alles, wonach ich immer gesucht habe.“

Zärtlich ließ er eine Hand über ihre Wange gleiten. „Heirate mich, Sydney“, flüsterte er.

„Ich …“ Seine Worte hatten sie so tief berührt, dass sie schlucken musste. „Aus deinem Mund klingt das alles so einfach und wundervoll.“

„Weil du einfach wundervoll bist.“ Er nahm sie wieder in die Arme.

„Ach, Rule …“

„Sag Ja.“

Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. „Könntest du nicht hierher nach Texas ziehen?“

Er küsste sie aufs Haar. „Das geht nicht. Ich habe wichtige Verpflichtungen gegenüber meinem Land.“

Sie seufzte tief. „Typisch Mann. Ich wusste, dass du das sagen würdest.“

„Aber wir können oft hierher zurückkehren. Meine Geschäfte führen mich mehrmals im Jahr in die Vereinigten Staaten. Ist die Vorstellung, in Montedoro zu leben, denn so schrecklich für dich?“

„Nein. Nur so … überwältigend. Ich müsste Teale, Gayle and Prosser verlassen und …“

Sanft strich er ihr über einen Arm. „Du hast doch gesagt, dass du bereit für eine berufliche Veränderung bist. Dass du gern eine Chance hättest, Menschen zu helfen, die deine Hilfe wirklich brauchen.“

„Stimmt, das habe ich.“

„Als meine Frau hättest du jede Menge Gelegenheit, Gutes zu bewirken.“

„Aber was?“

Er hob ihr Kinn und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Mein Schatz, das musst du schon selbst herausfinden.“

Sydney wusste, dass er recht hatte. Sie hatte eine rasche Auffassungsgabe. Es gab nicht viel, was sie nicht schaffte, wenn sie es sich erst einmal vorgenommen hatte. Und Trevor? Nun, er war jung genug, um einen Wechsel gut zu verkraften. Schließlich ging er noch nicht zur Schule und hatte daher noch keine Freunde gefunden.

Doch dann fiel ihr zu ihrem Schreck Lani ein. „Mein Gott, Lani!“

„Was ist mit ihr?“

„Ich würde sie verlieren.“

„Nein, das würdest du nicht. Eine Freundin bleibt eine Freundin, ganz egal, wie viele Meilen zwischen euch liegen. Und wer weiß? Wenn du sie fragst, ob sie mitkommen will, sagt sie vielleicht Ja.“

„Dann dürfte sie uns also begleiten? Würde dir das denn nichts ausmachen?“

„Natürlich nicht. Ich mag sie, und außerdem will ich, dass du glücklich bist.“

„Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass sie Schriftstellerin ist?“

„Nein.“

„Sie arbeitet gerade an einem Roman. In Montedoro würde sie bestimmt jede Menge Anregungen finden.“

„Frag sie einfach.“ Rule küsste sie wieder, diesmal auf die Wange.

Doch Sydney wollte mehr. Sie drehte den Kopf, sodass ihre Lippen sich trafen.

Himmlisch. Es war einfach nur himmlisch, Rule zu küssen. Er legte sie zurück aufs Bett und küsste sie weiter. Sie hätte ewig so weitermachen können, aber es war schon nach drei Uhr – an ihrem Hochzeitstag. Sie hatte noch eine Million Dinge zu erledigen, bevor sie nach Las Vegas aufbrechen konnte. Entschlossen schob sie ihn von sich weg.

Er hob den Kopf und sah sie an. „Was ist los?“

„Willst du wirklich noch heute nach Las Vegas fliegen?“

„Ja, das will ich. Werd meine Frau, Sydney. Mach mich zum glücklichsten Mann der Welt. Nimm dein Kind und deine Freundin und lass uns heiraten. Und leb mit mir in Montedoro.“

Sanft berührte sie seine Lippen. Sydney liebte es einfach, ihn anzufassen. Und ja, sie war tatsächlich bereit für eine Veränderung. Sie wollte der Liebe eine Chance zu geben.

„Ich glaube, es würde Trevor guttun, wenn wir heiraten“, fuhr Rule fort. „Du könntest zum Beispiel mehr Zeit mit ihm verbringen und dir deine Arbeit so einteilen, dass du in den Jahren bei ihm sein kannst, in denen er dich am meisten braucht. Und vielleicht könnte ich ihn irgendwann adoptieren.“

Rule versetzte sie wirklich in Erstaunen. „Was? Du wärst bereit, ihn zu adoptieren?“

„Klar, sehr gern sogar. Und ich hoffe auch, dass wir noch mehr Kinder bekommen. Okay, vielleicht nicht gerade acht, aber eins oder zwei …?“

„Ach, Rule …“

„Sag Ja.“

Sie spürte seinen gleichmäßigen Herzschlag unter ihrer Hand. „Ich brauche mehr Zeit, bis ich nach Montedoro ziehen kann. Beispielsweise muss ich fristgerecht kündigen. Ich kann die anderen doch nicht einfach so im Stich lassen.“

„Kriegst du das vielleicht in zwei Wochen hin?“

„Völlig ausgeschlossen! Gerichtstermine müssen verschoben und Mandanten neu verteilt werden. Wenn ich mich wirklich anstrenge, schaffe ich es vielleicht in drei Monaten.“

„Und wenn du deiner Kanzlei zum Ausgleich wichtige Mandanten vermitteln würdest?“ Rule nannte die Namen einiger großer Ölfirmen und eine europäische Bank mit Niederlassungen in den Staaten.

Sydney klappte die Kinnlade nach unten. „Ist das dein Ernst? Die könntest du uns alle vermitteln?“

„Ich habe ausgezeichnete Beziehungen. Und wenn es bei einem oder zweien nicht klappt, fallen mir bestimmt noch ein paar andere ein, die genauso gut sind.“

„Wenn das so ist, könnte ich vielleicht schon in einem Monat hier wegziehen, falls meine Partner damit einverstanden sind.“

Sein Gesicht hellte sich auf. „Heißt das, du sagst Ja?“

„Ja“, sagte sie. Was für ein schönes Wort. „Ja, das tue ich, Rule. Ja!“ Sie schlang die Arme um seinen Hals und bestätigte ihr Jawort mit ihren Küssen.

„Wow, Syd. Wenn du dich erst mal für einen Typen entscheidest, dann aber auch richtig!“ Schlaftrunken griff Lani nach ihrer Brille, doch sie lächelte dabei.

Es war zehn nach fünf. Nach ihrer Rückkehr war Sydney sofort in Lanis Zimmer gegangen und hatte sich auf ihr Bett gesetzt, um ihr alles zu erzählen. Rule wollte sie nämlich schon um acht abholen und zu einem Privatjet bringen. Es war offensichtlich ganz hilfreich, ein reicher Prinz zu sein, wenn man Hals über Kopf nach Las Vegas durchbrennen wollte.

„Dann … dann hältst du mich also nicht für verrückt?“, fragte sie nervös.

„Auf keinen Fall. Ich wusste sofort, dass er der Richtige für dich ist.“

„Wirklich?“

„Na klar! Mal im Ernst, Syd, der Mann ist genau dein Typ.“

„Na ja, schon. Allerdings nur in meinen wildesten Träumen.“

„Und die sind jetzt Wirklichkeit geworden. Er ist intelligent, wortgewandt und kultiviert, noch dazu groß, dunkelhaarig, unglaublich gut aussehend und anscheinend ein wirklich toller Mensch. Und mit Trevor ist er einfach wundervoll umgegangen. Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass sie einander ähnlich genug sehen, um Vater und Sohn zu sein?“

Sydney lachte. „Stimmt, du hast recht.“

„Du weißt, dass mein Instinkt mich nur selten täuscht“, fuhr Lani fort. „Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass du mit Rule die richtige Entscheidung triffst.“

Sydney strahlte. „Du bist die beste Freundin, die eine Frau nur haben kann.“

„Dito.“

„Kommst du mit nach Las Vegas?“ Sydney setzte ihr flehentlichstes Lächeln auf.

„Machst du Witze? Das lasse ich mir doch auf keinen Fall entgehen! Klar komme ich mit.“

„Ich bin ja so froh!“ Sydney umarmte ihre Freundin stürmisch.

„Was muss ich alles einpacken?“, fragte Lani, nachdem Sydney sie wieder losgelassen hatte.

„Nur Sachen für eine Nacht. Ich werde mir morgen freinehmen, aber am Dienstag muss ich zurück in die Kanzlei und danach alles Nötige für den Umzug nach Montedoro vorbereiten.“

„Oh. Mein. Gott! Du heiratest einen Prinzen und ziehst nach Europa! Ich kann es nicht fassen. Das Ganze klingt total verrückt.“

„Stimmt, ich muss mich selbst kneifen, um es zu glauben.“ Sydney lachte glücklich auf.

Lani verzog übertrieben kummervoll das Gesicht und schob die Unterlippe vor. „Du wirst mir schrecklich fehlen, weißt du das? Und wie soll ich nur ohne Trevor zurechtkommen?“

„Kein Problem, wenn du uns begleitest.“

„Mit euch kommen? Du meinst, für immer?“

„Na klar. Ich würde mich total darüber freuen.“

Lani blinzelte überrascht. „Ist das dein Ernst?“

„Ja. Ich habe schon mit Rule darüber geredet. Er hätte nichts dagegen, im Gegenteil sogar. Und mich würdest du damit sehr glücklich machen – ich meine, falls diese Lösung für dich überhaupt in Betracht kommt. Natürlich brauchst du dich nicht sofort zu entscheiden. Lass dir ruhig Zeit. Kein Stress.“

Lani knuffte ihr gerührt die Schulter. „Ich werde darüber nachdenken – und danke.“

„Hey, bedank dich nicht bei mir. Ich bin diejenige, die dankbar sein wird, wenn du mitkommst.“

Wie Sydney während des Flugs erfuhr, hatte Rule väterlicherseits zwei Cousins zweiten Grades in Las Vegas, Aaron und Fletcher Bravo, beide Geschäftsführer von Hotelkasinos.

Da sie wegen der Zeitverschiebung zwei Stunden gewonnen hatten, landeten sie schon um kurz nach zehn auf dem McCarran International Airport, wo eine Limousine für sie bereitstand. Der Fahrer verstaute das Gepäck im Kofferraum, und Joseph nahm auf dem Beifahrersitz Platz, und sie brachen zu Aaron Fletchers High Sierra Resort und Kasino auf.

Nachdem Aaron sie am Eingang des Resorts begrüßt hatte, stellte er sie seiner Frau Celia vor, einer hübschen Rothaarigen mit großen haselnussbraunen Augen. Celia brachte sie zu ihrer Suite, die eine eigene Küche, einen großen Wohnbereich und vier Schlafzimmer hatte.

Der Sicherheitsbeamte Joseph schlief in einem Zimmer nebenan.

Als Erstes brauchten sie die Heiratslizenz. Lani blieb mit Trevor in der Suite, während Sydney, Rule und Joseph ins Lizenzbüro gingen. Schon eine Stunde später waren sie wieder zurück.

„Bist du bereit, dich verwöhnen zu lassen?“, fragte Sydney ihre Freundin. „Celia hat gesagt, das Spa bietet das volle Programm …“

„Geht ruhig“, schaltete Rule sich ein. „Die Hochzeit findet sowieso erst um vier statt. Ich passe so lange auf Trevor auf.“

„Nein, ich komme gerade so gut mit dem Schreiben voran, dass ich nur ungern aufhören würde“, antwortete Lani. „Geht du ruhig allein, Syd. Ich bleibe hier.“

Trevor, der unter dem Tisch saß, hob den Kopf zu Rule. „Komm, Ru. Laster spielen!“

Und so blieben Rule und Lani beide bei Trevor in der Suite, während Sydney allein ins Spa ging. Auf dem Weg dorthin ging sie noch beim Floristen des Resorts vorbei und bestellte einen Strauß gelber Rosen, die sie später selbst abholen wollte. Sie gab auch den Auftrag, Rule eine gelbe Knopfrose auf die Suite schicken zu lassen.

Im Spa entschied sie sich als Erstes für eine Lavasteinmassage und gönnte sich danach das volle Programm: Mani- und Pediküre, Haare schneiden und föhnen und Make-up. Als sie fertig war, erschien Celia mit einer großen, attraktiven Brünetten im Schlepptau, Fletchers Frau Cleo. Die beiden Frauen führten Sydney zum Brautausstatter nicht weit vom Spa entfernt.

Sydney entschied sich für ein schlichtes ärmelloses, eng anliegendes Kleid aus weißer Seide, einen kurzen Schleier und Peep Toe Pumps aus elfenbeinfarbenem Satin.

Celia sorgte dafür, dass Sydneys Alltagskleidung zurück in die Suite geschickt wurde, und Sydney verließ die Boutique perfekt für die Hochzeit gekleidet. Fehlte nur noch der Brautstrauß, doch auch das war bald erledigt.

Celia und Cleo brachten Sydney zur Hochzeitskapelle des Resorts, in deren Vestibül sie auf den Einsatz des Hochzeitsmarsches wartete. Aus Neugierde warf sie einen verstohlenen Blick durch die geöffnete Tür. Der Rest der kleinen Hochzeitsgesellschaft war bereits in der Kapelle versammelt: Lani mit Trevor auf dem Arm, Aaron und ein anderer dunkelhaariger Mann, vermutlich Cleos Mann Fletcher. Die Familienähnlichkeit mit Rule im Profil war unverkennbar.

Rule selbst stand bereits vorn beim Friedensrichter. In dem schwarzen Seidenanzug und dem mit einer kobaltblauen Krawatte kombinierten himmelblauen Hemd sah er fantastisch aus, wie immer. Im Kragen steckte die gelbe Rose, die Sydney ihm geschickt hatte.

Bei seinem Anblick begann Sydneys Herz sofort schneller zu schlagen. Sie musste lächeln, als sie an all die Jahre zurückdachte, in denen sie geglaubt hatte, nie den Richtigen zu finden – jemanden, der zuverlässig, intelligent und humorvoll war … und grundehrlich. Jemanden, der ihr das Gefühl gab, schön, stark und aufregend zu sein. Der hinter die Mauern blickte, die sie um ihr verletztes Herz errichtet hatte. Der ihrem Sohn ein echter Vater sein wollte.

Rule war absolut ideal für sie. Die Tatsache, dass er ein echter Prinz war, fantastisch aussah und eine Stimme hatte, bei deren Klang Sydney immer weiche Knie bekam, war nur noch das Tüpfelchen auf dem I. Sie konnte den Beginn ihres gemeinsamen Lebens kaum erwarten.

Cleo half ihr, den Schleier zu befestigen, und dann setzte auch schon der Hochzeitsmarsch ein. Strahlend vor Glück schritt Sydney auf ihren wartenden Bräutigam zu.

„Ich erkläre Sie hiermit zu Mann und Frau“, sagte der Friedensrichter kurz darauf. „Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Rule hob den Schleier, zog Sydney an sich und gab ihr einen Kuss, der voller Liebe und Hingabe war und eine glückliche gemeinsame Zukunft verhieß.

Sydney schloss die Augen und wünschte, dieser Augenblick möge nie vorübergehen.

Nach der Zeremonie gingen sie alle zum Essen in einen privaten Nebenraum von High Sierras bestem Restaurant. Celia und Aaron und Cleo und Fletcher holten ihre Kinder dazu, worüber sich vor allem Trevor freute. Alle genossen das ausgezeichnete Essen und amüsierten sich prächtig.

Irgendwann wurden die Kinder jedoch unruhig. Lani bot Sydney an, Trevor ins Bett zu bringen, da sie ohnehin an ihrem Roman weiterschreiben wollte. Als sich schließlich auch die anderen Gäste verabschiedet hatten, zog Rule Sydney an sich. „Meine Frau …“, flüsterte er an ihren Lippen. „Meine Prinzessin.“

Sie kicherte. „So einfach ist das? Ich musste dich nur heiraten, um eine Prinzessin zu werden?“

Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust. „Allerdings, und du wirst immer über mein Herz herrschen.“

Sie prustete los. „Wie galant.“ Doch plötzlich wurde sie ernst. „Was ist eigentlich mit deiner Familie? Sie werden doch bestimmt ganz schön überrascht über deine Blitzhochzeit sein, oder?“

„Ja, aber angenehm überrascht.“

„Dann … hast du ihnen also noch nichts von mir erzählt?“

„Nur meinem Vater. Aber meine Mutter weiß inzwischen bestimmt auch schon, dass ich die einzige für mich infrage kommende Frau geheiratet habe.“

Forschend sah sie ihn an. „Das klingt alles so … geheimniskrämerisch.“

Er strich ihr das Haar hinters Ohr. „Ganz und gar nicht. Ich habe heute Morgen mit meinem Vater telefoniert, bevor ich dich zum Flughafen abgeholt habe. Er hat uns Glück gewünscht und freut sich schon jetzt auf seine neue Schwiegertochter und seinen Enkel.“

„Dann ist er also nicht allzu enttäuscht, dass du nicht Prinzessin Liliana heiratest?“

Rule ließ den Finger sinnlich am Rand ihres Ausschnitts entlanggleiten. „Nein. Mein Vater glaubt fest an eine Liebesheirat. Er will vor allem, dass ich glücklich bin, und er weiß jetzt, dass ich glücklich sein werde – mit dir.“

„Und deine Mutter?“

„Sie wird sich auch für mich freuen.“ Rule küsste Sydney, diesmal so wild und leidenschaftlich, dass sie für einen Moment ganz vergaß, wo sie waren. Erst als er die Lippen von ihrem Mund löste, sah sie einen Kellner in der Tür stehen und sie ansehen.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte der Kellner verlegen. „Ich komme später wieder …“

Rule schüttelte den Kopf. „Nein, wir wollten sowieso gerade gehen.“ Er stand auf und rückte Sydney den Stuhl vom Tisch. Als sie sich auf dem Weg zu den Fahrstühlen wieder und wieder küssten, blitzte es plötzlich grell auf.

Sydney lachte. „Anscheinend sehe ich schon Sterne.“

Rule erwiderte ihr Lächeln jedoch nicht. „Verdammt! Man hat also schon die Schakale auf uns gehetzt.“

„Wie bitte?“

„Paparazzi. Wir müssen sofort weg von hier.“ Er zog Sydney rasch vorwärts. Sie musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Noch mehr Blitzlichter zuckten um sie herum. Plötzlich tauchte ein Mann mit Halbglatze, schwarzem Hemd und einer dicken Goldkette um den Hals vor ihnen auf, hielt Rule ein Mikrofon ins Gesicht und bombardierte ihn im Laufen mit Fragen. „Genießen Sie Ihren Besuch in Amerika, Hoheit? Wer ist die Dame in Weiß? Ist das ein Ehering, den ich da an Ihrem Finger sehe?“

„Kein Kommentar“, entgegnete Rule schroff und beschleunigte seinen Schritt.

In diesem Augenblick tauchte Joseph auf. Er schien den Typen mit dem Mikrofon festzuhalten, denn der Mann stolperte plötzlich und blieb hinter ihnen zurück.

Rule eilte unbeirrt weiter. Als Sydney und er vor den Fahrstühlen ankamen, ging einer wie aufs Stichwort auf. Rule schob Sydney hinein, drückte auf den Knopf für den vierten Stock, und die Türen glitten hinter ihnen zu. Geschafft.

„Hier scheinen wir ja endlich in Sicherheit zu sein“, sagte Sydney belustigt.

Rules Miene war finster. „Ich hätte damit rechnen müssen, dass sie uns entdecken würden.“

Auf halbem Weg zur Suite holte Joseph sie wieder ein.

„Ist alles erledigt?“, fragte Rule ihn leise.

„Nein, zu viele Kameras“, antwortete Joseph mit gedämpfter Stimme. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Und sie haben sich geweigert, zu verhandeln. Die Fotos sind im Kasten.“

Rule stieß einen gedämpften Fluch aus und zog Sydney weiter zur Suite, die Karte für das Türschloss bereits griffbereit. Kurz darauf schlüpften sie hinein. In der Suite war alles still. Trevor schien bereits im Bett zu sein, und auch Lani musste schon in ihr Zimmer gegangen sein. Sie hatte jedoch das Licht im Flur brennen lassen.

Sydney ließ sich gegen die geschlossene Tür sinken. „Wow, das war ja ganz schön aufregend.“

Rule küsste sie leidenschaftlich. „Es tut mir leid“, flüsterte er.

„Was denn? Mir hat es nichts ausgemacht.“ Sydney strich ihm liebevoll durchs Haar. „Es ist doch kein Weltuntergang, wenn unsere Fotos in irgendwelchen Boulevardblättern landen.“

„In meiner Familie ziehen wir es aber vor, die Kontrolle zu behalten.“

„Wie meinst du das?“

„Ich hatte unsere Hochzeit eigentlich bis zu unserer Ankunft in Montedoro geheim halten und dann bei einer Pressekonferenz publik machen wollen. Dann hätten wir selbst Einfluss auf die Fotos gehabt.“

„Was? Ein Schnappschuss von uns mit vor Überraschung offenstehenden Mündern und durch einen Flur rennend ist dir nicht kontrolliert genug?“

Rule musste wider Willen lachen. „Nein.“

Sie zupfte ihm den Kragen seines Hemds gerade. „Ach, ist doch egal. Ich hatte viel Spaß.“

Rule sah sie schon wieder auf diese unnachahmliche Art an. So liebevoll und sexy, dass sie sofort wieder Lust auf ihn bekam. Er küsste sie auf die Stirn und ließ die Lippen über ihren Nasenrücken bis zu ihrem Mund gleiten. „Schön, dass du dich amüsiert hast.“

„Ja, das habe ich …“, hauchte sie.

Sein Kuss war einfach unglaublich. Gott sei Dank verhinderte die Tür, dass Sydney umfiel. Ihre Knie waren nämlich weich. Sie brauchte jedoch nicht lange aufrecht zu stehen, denn Rule hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer, in dem bereits zwei Kristallgläser und eine Flasche eisgekühlter Champagner bereitstanden. Eine Nachttischlampe brannte, und die Decke des Doppelbetts war einladend zurückgeschlagen.

Sydney stieß die Tür hinter ihnen mit der Hand zu, bevor Rule sie neben ihrem Bett absetzte und sie mit dem Rücken zu sich drehte. Sie schob sich das Haar aus dem Nacken, damit er den Reißverschluss ihres Kleides öffnen konnte.

„Komm her“, hörte sie Rules heisere Stimme hinter sich, nachdem sie es sich abgestreift hatte.

„Einen Moment noch …“ Sie warf ihm einen verführerischen Blick über die Schulter zu, ging zur Tür und deckte das Schlüsselloch zu. Dann zog sie sich ihre Schuhe, ihren BH und ihren weißen Spitzenslip aus und drehte sich zu ihm um. „Jetzt du.“

Er verschlang sie förmlich mit den Augen. „Rühr dich nicht von der Stelle. Ich bin gleich wieder da.“ Nach einem Abstecher in den begehbaren Kleiderschrank kehrte er mit zwei Kondomen zurück, die er auf den Nachttisch legte.

„Die werden wir nicht brauchen“, sagte Sydney.

Rule erstarrte. Etwas flackerte in seinen Augen auf – Triumph? Freude? „Bist du dir sicher?“

Sie nickte. „Wir wollen schließlich beide mehr Kinder, und ich finde, es gibt keinen besseren Zeitpunkt, als jetzt gleich damit anzufangen.“

„Sydney O’Shea Bravo-Calabretti, du überraschst mich.“

Der Klang ihres neuen Namens in seinem Mund gefiel ihr. „Ich weiß jetzt ebenfalls, was, ich will, Rule“, sagte sie leise. „Dich. Und eine Familie, zusammen mit dir und Trevor.“ Als er einen Schritt auf sie zuging, hob sie abwehrend die Hand. „Zieh dich erst aus. Alles. Bitte.“

Er gehorchte und warf seine Sachen achtlos auf einen Haufen.

Sein Anblick verschlug ihr wieder den Atem. Sie ging zu ihm, schlang die Arme um ihn und zog ihn an sich. Es gab nichts Herrlicheres, als seine starken Arme und seinen erhitzten Körper an ihrer nackten Haut zu spüren.

Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Ich bin heute der glücklichste Mann der Welt.“

Sie hob das Gesicht zu ihm. „Freut mich zu hören“, murmelte sie und küsste ihn. Sie würde nie genug von seinen Küssen kriegen können. Leidenschaftlich zog sie ihn mit zum Bett, wo sie sich der Berührung seiner Hände und seiner Lippen hingab. Er küsste sie überall, sogar in den Kniekehlen und Armbeugen, ließ die Lippen langsam über ihre Brüste und tiefer gleiten und liebkoste ihre empfindsamste Stelle mit der Zunge, bis Sydney vor Lust aufschrie und zitternd seinen Kopf packte.

Und plötzlich war er genau da, wo sie ihn spüren wollte. Aufstöhnend zog sie ihn an sich, während er in sie eindrang. Es war unbeschreiblich. Pure Magie. Sie hatte tatsächlich den Mann gefunden, den sie ihr ganzes Leben lang gesucht hatte – oder besser gesagt, er hatte sie gefunden.

Nichts würde sie je auseinanderbringen, davon war sie inzwischen fest überzeugt.

6. KAPITEL

Rule wachte mitten in der Nacht mit einem diffusen Unbehagen auf. Er drehte sich zu der schlafenden Frau an seiner Seite um. Im Zimmer war es dunkel, doch er konnte Sydneys gleichmäßige ruhige Atemzüge hören und ihre Umrisse unter der Decke erkennen.

Sie würde nicht begeistert sein, wenn sie die Wahrheit herausfand. Aber sie war eine sehr intelligente Frau, und die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach. Früher oder später würde sie ihm sein Schweigen bestimmt verzeihen, erst recht, wenn er ihr seine Beweggründe sachlich und vernünftig erklärte.

Irgendwann würde sie einsehen, dass sich durch sein Verhalten alles zum Besten gefügt hatte, auch wenn er ihr gegenüber nicht vollkommen ehrlich gewesen war. Schließlich wollte sie genauso gern mit ihm zusammen sein wie er mit ihr … und dem Jungen. Irgendwie würde schon alles gut werden.

Am liebsten hätte er die Arme nach ihr ausgestreckt, um sie wieder zu küssen … und mit ihr zu schlafen. Um zumindest vorübergehend zu vergessen, dass er sie geheiratet hatte, ohne ihr die volle Wahrheit zu sagen. Aber nein, es wäre egoistisch, sie zu wecken. Sollte sie ruhig ein paar Stunden ungestört schlafen.

Er drehte sich auf den Rücken und starrte rastlos in die Dunkelheit. Weshalb machte er sich eigentlich solche Gedanken? Das nützte doch niemandem etwas. Vielleicht wäre es sowieso das Klügste, ihr nie die Wahrheit zu sagen. Wozu auch?

Auf der anderen Seite jedoch hatte er sich immer für einen aufrichtigen Menschen gehalten, und die Vorstellung, Sydney zu belügen, machte ihm schwer zu schaffen. Die Ironie dabei war nur, dass er sich ganz bewusst für die Lüge entschieden hatte, als ihm klar geworden war, dass er sie zur Frau wollte. Weil er dieses Ziel sonst nicht erreicht hätte.

Anscheinend musste er sein Selbstbild gründlich revidieren …

In diesem Augenblick summte das Handy in der Tasche seiner achtlos über einen Stuhl geworfenen Hose. Um Sydney nicht zu wecken, richtete er sich vorsichtig auf, doch als er die Füße auf den Boden setzte, war das Summen bereits verstummt. Er suchte seinen Slip und seine Hose, zog sich beides über und schlich auf Zehenspitzen aus der Tür, die er geräuschlos hinter sich schloss. Am besten telefonierte er auf dem Balkon.

Sein Vater ging bereits nach dem ersten Klingelzeichen ran. „Ich muss dir gratulieren, wie ich gehört habe?“

„Stimmt, danke.“ Rule fragte nicht, woher sein Vater die Information hatte. Sie konnte aus den unterschiedlichsten Quellen stammen.

„Wie geht es dem Jungen?“

„Gut. Trevor ist … einfach toll. Warte nur, bis du ihn kennenlernst.“

„Ich freue mich schon auf ihn. Wann bringst du ihn mit?“

„Sydney sagt, dass sie hier noch einen Monat braucht, um alles für ihren Umzug vorzubereiten. Ich komme aber schon vorher für eine Woche bei euch vorbei, um meinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen, und kehre dann hierher zurück, um ihr beim Umzug zu helfen.“

„Wie ich hörte, hattest du einen kleinen Zusammenstoß mit der Presse?“

„Stimmt, sie haben Fotos gemacht und eins und eins zusammengezählt – Sydneys weißes Kleid und ihren Verlobungsring.“

„Ich verstehe. Die Story wird bald in sämtlichen Klatschblättern stehen.“

„Ich weiß.“ Rule wurde ganz übel bei der Vorstellung.

„Liliana hat noch keine Ahnung, dass du jemand anders geheiratet hast?“

„Nein.“ Rule lehnte sich gegen das Geländer und blickte auf den verlassenen erleuchteten Swimmingpool und die geisterhaften Reihen leerer Liegestühle unter sich hinunter.

„Deine Mutter weiß auch schon, dass du geheiratet hast.“

„Und? Ist sie enttäuscht von mir?“

„Sie wird darüber hinwegkommen.“

„Kann ich mich darauf verlassen, dass du mein Geheimnis wegen Trevor für dich behältst?“

„Ich habe es noch niemandem anvertraut, noch nicht einmal deiner Mutter.“

„Ich hätte Lili sofort von meiner Hochzeit erzählen sollen, vor allem in Anbetracht unserer früher etwas angespannten Beziehungen zu Leo.“ König Leo war Lilis aufbrausender Vater.

„Bist du dir bei dieser Frau so sicher? Du hast sie doch gerade erst kennengelernt.“

„Ja“, antwortete Rule mit fester Stimme. „Bin ich.“

„Und du wolltest sie nicht nur wegen des Kindes heiraten? Ist sie wirklich die Richtige für dich?“

„Ja, davon bin ich fest überzeugt.“

„Und trotzdem hattest du nicht genug Vertrauen in sie, um ihr die Wahrheit zu sagen?“

Rule verzog gequält das Gesicht. „Ich habe diese Entscheidung nun einmal getroffen und muss jetzt mit den Konsequenzen leben.“

Als sein Vater nichts sagte, machte Rule sich auf eine Standpauke gefasst. Vor mehr als drei Jahren hatte seine Sehnsucht nach etwas, das er noch nicht einmal verstanden hatte, seinen gesunden Menschenverstand ausgeschaltet. Und jetzt, wo er es endlich gefunden hatte, musste er lügen, um es nicht wieder zu verlieren. Und er würde weiterhin lügen …

Sein Vater reagierte anders als erwartet. „Ich kann deinen inneren Konflikt gut nachvollziehen, aber du solltest unbedingt mit Liliana reden, und zwar so schnell wie möglich. Sie muss es von dir erfahren. Schließlich ist sie an der ganzen Sache unschuldig.“

„Das ist richtig. Ich wollte eigentlich erst am Dienstag nach Montedoro kommen, werde jedoch versuchen, schon Montag aufzubrechen … ich meine, heute.“

„Tu das.“

Rule versprach es, und sie beendeten das Gespräch. Als er sich umdrehte, um wieder hineinzugehen, erstarrte er vor Schreck. Sydney stand hinter der geschlossenen Glastür des Balkons. Ihr Haar war zerzaust, und sie trug einen der weißen Bademäntel des Resorts. Fragend sah sie ihn an.

Gott sei Dank konnte sie das Gespräch unmöglich gehört haben. Nachdem Rule seinen ersten Schreck überwunden hatte, öffnete er die Balkontür. „Habe ich dich geweckt?“, murmelte er schuldbewusst.

„Nein, deine plötzliche Abwesenheit hat mich wachgemacht.“ Sydney nahm seine Hand, zog ihn in die Suite und schloss die Balkontür. Als sie zu ihm aufsah, hatte er das gleiche Gefühl, das er gerade seinem Vater beschrieben hatte. Dass es sich richtig anfühlte, mit ihr zusammen zu sein.

Zu blöd nur, dass dieses schöne Gefühl von der ständigen Furcht vor den Konsequenzen seines Betrugs getrübt wurde.

„Stimmt etwas nicht?“ Forschend sah sie ihn an.

Rule zog sie ins Schlafzimmer und schloss die Tür ab.

„Was ist los, Rule?“

Er nahm ihr Gesicht in die Hände. Er liebte ihren breiten Mund und ihre Nase, die vielleicht ein bisschen zu groß für ihr Gesicht war, sie aber umso interessanter machte. Dass er ihr etwas Entscheidendes verschwiegen hatte, war eine Sache. Aber bei allem anderen würde er strikt die Wahrheit sagen. „Du wirst bestimmt wütend auf mich sein …“

„Was ist denn, Rule? Du machst mir Angst. Sag mir bitte, was los ist.“

Rule führte sie zum Bett und setzte sich zusammen mit ihr hin. „Das war eben mein Vater am Telefon. Er hat mich gebeten, noch heute nach Montedoro zurückzukehren. Er findet, dass ich mit Liliana reden sollte, weil ich derjenige sein sollte, der ihr mitteilt, dass sie nicht mehr mit einem Heiratsantrag meinerseits rechnen kann.“

Sydney löste ihre Hand aus Rules Griff. „Und wie siehst du das?“

„Dein Vater hat recht.“

Sie fuhr sich durch das vom Schlaf zerzauste Haar. Rule hätte sie gern in die Arme genommen, traute sich jedoch nicht.

„Dann wartet Prinzessin Lili also nach wie vor darauf, dass du ihr einen Antrag machst?“

„Ich glaube schon. Sie wohnt bei uns im Palast. Es wäre unverzeihlich von mir, sie die Zeitungen lesen zu lassen, ohne ihr vorher von unserer Hochzeit zu erzählen. Wie schon gesagt, sie ist wie eine Schwester für mich, und kein Mann möchte gern seine Schwester heiraten – aber ich will ihr auch nicht wehtun.“

„Das kann ich nachvollziehen.“

„Sydney …“ Rule versuchte, einen Arm um sie zu legen.

Sie wich seiner Berührung aus. „Wie kommt sie eigentlich darauf, dass du sie heiraten wirst?“

Rule begegnete Sydneys prüfendem Blick. Ihre grünen Augen, deren Ausdruck so zärtlich und voller Verlangen nach ihm sein konnte, waren jetzt kühl und klar. „Ich habe dir doch schon erzählt, dass sie schon seit ihrer Kindheit in mich verliebt ist. Sie blickte zu mir auf, sie … wartete auf mich. Und als die Jahre verstrichen und ich nicht heiratete, haben unsere Familien immer öfter darüber geredet, dass Lili in mehrfacher Hinsicht eine gute Partie für mich wäre.“

„In welcher Hinsicht?“

Rule unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer. „Aus Staatsgründen, könnte man sagen. Zwischen Montedoro und Alagonien gab es immer wieder Konflikte.“

„Kriege, meinst du?“

„Nein. Kleine Staaten wie unsere werden nur selten in Kriege verwickelt. Wir haben noch nicht mal eine Armee. Aber es gab Zwistigkeiten zwischen unseren beiden Ländern. Der letzte entstand, als König Leo, Lilis Vater, meine Mutter heiraten wollte, aber sie nicht ihn. Als sie dann meinen Vater traf und ihn heiratete, war Leo so wütend und verletzt, dass er uns Handelsbeschränkungen auferlegte. Doch dann lernte er die Engländerin Lady Evelyn kennen, verliebte sich und heiratete sie. Er beendete den Rachefeldzug gegen Montedoro, und seine Frau und meine Mutter wurden enge Freundinnen. Seitdem herrscht Frieden zwischen unseren Familien.“

„Das heißt, dass eine Ehe mit Lili die Beziehung zwischen euren Ländern stabilisiert hätte und der Frieden jetzt auf dem Spiel steht? Dann hast du also Angst, dass sie sich bei ihrem Vater ausheult, weil du sie fallen lassen hast?“

„Das ist Blödsinn.“ Rule spürte, wie die Wut in ihm aufstieg, zügelte sie jedoch. „Kein Mann kann eine Frau fallen lassen, mit der er nie zusammen war. Ich schwöre dir, Sydney, ich habe Liliana noch nicht einmal geküsst, von ein paar brüderlichen Wangenküssen mal abgesehen.“

„Aber sie glaubt, dass sich das bald ändern wird. Dass sie noch vor dem vierundzwanzigsten Juni mit dir verheiratet sein wird.“

„Ja“, sagte er resigniert. „Ich vermute schon.“

„Ist dir eigentlich bewusst, wie erbärmlich dein Verhalten ist? Ich meine, wenn du sie nie ermuntert hast, warum rechnet sie dann überhaupt damit, dass du ihr einen Antrag machen wirst? Oder ist sie vollkommen schwachsinnig?“

„Lili ist nicht schwachsinnig. Sie ist nur … eine große Romantikerin, die in einer Art Fantasiewelt lebt.“

„Dann ist sie also beschränkt?“

„Natürlich nicht. Aber gutgläubig und naiv.“

Sydney schüttelte den Kopf. „So wie ich das sehe, hast du sie hingehalten.“

„Nein, das stimmt nicht. Ich habe sie nur nie …eines Besseren belehrt.“

„Ach, komm schon, Rule! Sie war das Ass in deinem Ärmel.“

Rule hatte das unangenehme Gefühl, dass Sydney ihn genau durchschaute, während er verzweifelt nach Argumenten suchte, um sein Verhalten zu rechtfertigen.

„Du hast sie vielleicht nicht gerade ermuntert, aber das war auch gar nicht nötig“, fuhr sie fort. „Weil du ihre große Liebe bist und sie eine Romantikerin ist. Du hast dich damit getröstet, dass du immer noch sie heiraten kannst, wenn du bis zu deinem dreiunddreißigsten Geburtstag niemand Besseres findest.“

„Ja, ja, schon gut!“ Rule hob abwehrend die Hände. „Ich geb’s zu, genauso war es.“

Sydney sah ihn vernichtend an. „Dein Verhalten war erbärmlich, Rule. Absolut erbärmlich.“

„Du hast ja recht. Und ich bin bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich werde mich persönlich bei Liliana entschuldigen.“

„Das will ich auch hoffen.“ Sydney schnaubte verächtlich.

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Rule starrte missmutig vor sich hin. Es war ihm sehr unangenehm, dass Sydney wütend auf ihn war. Und wenn sie schon wegen Lili so empfand, wie würde sie dann erst reagieren, wenn sie von Trevor erfuhr?

„Wir werden sofort nach dem Frühstück aufbrechen“, sagte Sydney entschieden. „Du solltest direkt nach Montedoro fliegen. Ich werde für Lani, Trevor und mich einen anderen Flug buchen.“

„Ich bringe dich nach Dallas.“

„Das ist nicht nötig, wirklich. Ich …“

„Keine Widerrede“, schnitt er ihr das Wort ab. „Ich bringe dich nach Texas und fliege von dort aus weiter.“

In Dallas stand schon ein Wagen für Sydney, Trevor und Lani bereit. Rule stieg kurz aus dem Flugzeug aus, um sie zum Auto zu begleiten und sich zu verabschieden.

Trevor ließ sich bereitwillig in die Arme nehmen. „Bye, Ru!“, sagte er und gab Rule einen schmatzenden Kuss auf die Wange. Rule küsste ihn zurück. „Bis bald. Und sei schön brav zu Mommy und Lani.“

Er reichte Trevor an Lani weiter und drehte sich zu Sydney um. „Hast du einen Moment Zeit?“, fragte er nervös.

Lani brachte Trevor zum Auto und ließ Rule und Sydney allein.

Sanft strich er Sydney über einen Arm. „Du hast mir nicht verziehen“, stellte er fest.

Sydney nahm ihm die abrupte Abreise am Tag nach ihrer Hochzeit tatsächlich übel, auch wenn sie natürlich froh war, dass er ihr die Wahrheit über die Hintergründe erzählt hatte. „Gute Reise“, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln.

„Verdammt, Sydney“, murmelte er und zog sie an sich.

Sie machte sich steif und versuchte, ihn von sich wegzuschieben, doch dann küsste er sie. Und er küsste so fantastisch und roch so gut … dass sie plötzlich die Arme um seinen Hals schlang und seinen Kuss erwiderte.

Als er schließlich den Kopf hob, wusste sie nicht, ob sie ihn schlagen oder wieder küssen sollte. „Küsse sind keine Lösung“, sagte sie scharf.

„Ich weiß. Aber ich kann dich auf keinen Fall ohne einen anständigen Abschiedskuss verlassen.“

Da hatte er natürlich recht. Insgeheim war Sydney froh, dass er sie geküsst hatte. Manchmal sagte ein Kuss eben mehr als Worte.

Sanft berührte sie seine Wange. „Richte Prinzessin Liliana aus … dass ich mich schon sehr darauf freue, sie kennenzulernen.“

Rule wandte den Kopf und küsste ihre Handfläche, so wie an ihrem ersten gemeinsamen Abend im Herrenhaus. „Ich komme in einer Woche zurück“, antwortete er. „Dann wirst du mir in deinem Haus Platz machen müssen. Weil ich nicht mehr ohne dich leben kann“, fügte er sanft hinzu.

Sosehr sie sich auch dagegen wehrte, bei seinen Worten schmolz sie wieder förmlich dahin. Sie liebte ihn, aber gleichzeitig hatte sie schreckliche Angst, wieder verletzt zu werden. Daher verdrehte sie nur ironisch die Augen.

Er nahm sie in die Arme. „Nein, besser gesagt: Ich will nicht ohne dich leben. Ich bin verrückt nach dir, das weißt du.“

Stimmt, das wusste sie. Ihr Widerstand ließ etwas nach. „Natürlich darfst du bei mir wohnen. Ich will nämlich auch nicht ohne dich leben, ganz egal, wie wütend ich gerade auf dich bin.“

„Gut.“ Er nahm wieder ihre Hand und küsste sie.

Die simple Berührung seiner Lippen ließ sie bis ins tiefste Innere erschauern – ein erregendes und tröstliches Gefühl zugleich.

„Ich werde dich jeden Tag vermissen und dich ständig anrufen“, fuhr er fort. „Du wirst schon bald die Nase voll vom Klingeln des Telefons haben.“

„Das macht mir nichts aus, solange nur du am anderen Ende der Leitung bist.“

„Sydney …“ Rule gab ihr einen letzten Kuss. „Eine Woche nur.“

Dann ließ er sie los. Sehnsüchtig sah sie ihm hinterher, als er die Stufen zum Flugzeug hinaufstieg, und winkte ihm zu, als er sich ein letztes Mal nach ihr umdrehte.

Und dann, viel zu schnell, war er fort.

Um fünf Uhr morgens kam Rule am Flughafen in Nizza an. Von dort aus war es nur noch ein Katzensprung bis nach Montedoro, weshalb er schon vor sechs in seinen Privaträumen im Palast ankam.

Um acht Uhr brachte seine Privatsekretärin Caroline de Stahl die Zeitungen, darunter auch drei Boulevardblätter. Er und Sydney waren überall die Titelstory. Und alle zeigten die gleichen Fotos: wie er und seine Frau einander küssten und durch einen Flur im Kasino flüchteten. Sofort rief er in Dallas an, auch wenn er Sydney nur ungern wecken wollte.

Sie ging schon beim zweiten Klingelton ran. „Es ist mitten in der Nacht“, murmelte sie schlaftrunken.

„Ich vermisse dich. Ich wünschte, ich wäre jetzt bei dir.“

„Ist das etwa ein obszöner Anruf?“

Er lachte. „Es könnte schnell einer werden.“

„Bist du etwa schon angekommen?“

„Ja, ich bin sogar schon im Palast. Meine Sekretärin hat gerade die Boulevardblätter gebracht. Wir stehen auf sämtlichen Titelseiten. Du wirst namentlich erwähnt und als meine Frau bezeichnet.“

„Verdammt! Ich hatte gehofft, meinen Partnern in der Kanzlei alles erklären zu können, bevor das Ganze publik wird. Hast du schon mit Liliana gesprochen?“

„Nein, aber das werde ich sofort nachholen.“

„Keine Ahnung, was ich sagen soll. Viel Glück. Und ruf mich an, sobald du es hinter dir hast.“

Rule sah Sydney plötzlich vor seinem inneren Auge, mit verschlafenen Augen und zerzaustem Haar. Er empfand ihre Abwesenheit so schmerzhaft, als fehle ein großer Teil von ihm. „Ich möchte dich nicht schon wieder wecken …“

„Das verstehe ich, aber ich kann jetzt sowieso nicht wieder einschlafen. Zumindest nicht, bis ich weiß, wie euer Gespräch gelaufen ist.“

Rule kam sich mal wieder vor wie ein Schuft. In mehrfacher Hinsicht. „Sorry, ich hätte dich nicht anrufen dürfen.“

„Oh doch. Melde dich einfach, wenn es vorbei ist. Ich meine es ernst.“

„Okay. Sydney, ich …“ Vergeblich rang er nach den passenden Worten.

„Ruf mich an“, flüsterte sie.

„Ist gut“, versprach er. Dann hörte er ein schwaches Klicken in der Leitung und war allein, eine halbe Welt von Sydney entfernt. Mit nur seinem schlechten Gewissen als Gesellschaft.

Zwei Stunden später saß Rule in dem kleinen Wohnzimmer der Suite, die Liliana immer bewohnte, wenn sie zu Besuch im Palast war, und wartete auf sie. Er hatte keine Ahnung, ob sie schon von seiner Ehe wusste oder nicht.

Als kurz darauf die Tür aufging, stand er nervös auf.

Lili war ganz in Weiß gekleidet und trug das lange blonde Haar offen. Ihre blauen Augen strahlten, und ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Sie war so wunderschön wie immer.

„Rule!“ Die Arme ausgestreckt, kam sie auf ihn zu.

Er umarmte sie zur Begrüßung und wünschte sich meilenweit weg.

Lili nahm seine Hände, trat einen Schritt zurück und strahlte ihn an. „Du bist gekommen. Endlich …“

Anscheinend wusste sie noch nichts. „Ja, ich bin fast sofort nach meiner Ankunft zu dir gegangen. Ich muss nämlich etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen.“

Lilis Lächeln vertiefte sich noch. „Ach“, sagte sie atemlos. „Wirklich?“

„Lass uns … hinsetzen.“

„Ja, natürlich.“ Erwartungsvoll zog sie ihn zu einem blauen Samtsofa. Sie setzten sich. „Was möchtest du mit mir besprechen?“

Rule hatte keine Ahnung, wie er anfangen sollte. „Ich … Lili, es tut mir wirklich leid“, brach es aus ihm heraus.

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Es tut dir … leid?“

„Ich weiß, dass du immer damit gerechnet hast, dass ich dir irgendwann einen Heiratsantrag mache. Mir ist inzwischen bewusst, wie falsch es von mir war, dich in diesem Glauben zu lassen und …“ Er hüstelte verlegen.

Ihr makelloses Gesicht war plötzlich auf eine fast schon unheimliche Art gefasst. „Ich verstehe. Dann bist du also nicht gekommen, um mir einen Antrag zu machen.“

„Nein, Lili, das werde ich nicht. Ehrlich gesagt bin ich gekommen, um dir zu sagen, dass ich schon verheiratet bin.“

Lili keuchte erschrocken auf und wurde kreidebleich, blieb jedoch aufrecht sitzen. „Sagst du mir, wie sie heißt?“, flüsterte sie.

„Sydney. Sydney O’Shea.“

„Dann kommt sie nicht aus Montedoro?“

„Nein. Ich habe sie in Amerika kennengelernt. In Texas.“

Lili schluckte. „Sydney O’Shea. Aus Texas.“

„Ja. Lili, ich …“

Sie winkte ab. „Nein. Bitte. Ich … ich weiß es jetzt. Ich hoffe, dass ihr sehr glücklich werdet, du und diese Sydney O’Shea.“ Irgendwie brachte sie ein Lächeln zustande. „Ich wünsche euch eine glückliche Zukunft.“ Sie stand auf. „Wenn es dir nichts ausmacht, dann möchte ich jetzt lieber allein sein.“

„Lili …“ Unbeholfen stand Rule auf. Er hätte sie gern in die Arme genommen, um sie zu trösten, wusste jedoch, dass das ein Fehler gewesen wäre. Damit würde er alles nur noch schlimmer machen. So wie es aussah, konnte er nichts mehr für sie tun.

„Geh“, wiederholte sie. „Bitte geh einfach.“

Rule gehorchte. Nickend drehte er sich um und ließ Lili allein.

Als er in seiner Wohnung ankam, rief er Sydney sofort an.

„Und? Wie lief es?“, fragte sie.

„Keine Ahnung. Sie hat mich weggeschickt.“

„Ist jemand bei ihr? Jemand, mit dem sie reden kann?“

„Mein Gott, Sydney, was spielt denn das für eine Rolle?“

„Männer können ja so begriffsstutzig sein! Sie braucht jemandem zum Reden, einen Menschen, der sie tröstet und versteht, was sie jetzt durchmacht.“

Rule brauchte auch etwas. Einen starken Drink nämlich, aber leider war es noch nicht mal elf Uhr vormittags. „Du kennst sie doch gar nicht, Sydney. Woher willst du wissen, was sie jetzt braucht?“

„Sie ist eine Frau, Rule, genauso wie ich! Natürlich braucht sie jemanden. Am besten eine gute Freundin, an deren Schulter sie sich ausweinen kann.“

„Sydney, du weißt, wie sehr ich dich und deinen Scharfsinn bewundere“, antwortete Rule kühl. „Was ich angerichtet habe, tut mir sehr leid. Aber du kennst Lili nicht und hast daher keine Ahnung, was sie braucht. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du das einsehen würdest.“

„Allmählich werde ich wirklich sauer auf dich, weißt du das?“

„Ja, das ist mir bewusst. Mir geht’s genauso mit dir!“

Todesstille am anderen Ende der Leitung. „Ich glaube, dich sollte jetzt auflegen, bevor ich etwas sage, was ich hinterher bereue“, sagte Sydney schließlich tonlos.

„Das sehe ich auch so. Geh wieder ins Bett, Sydney.“

„Als wenn ich jetzt noch schlafen könnte!“ Klick. Und Stille.

„Auf Wiederhören!“, brüllte Rule wütend in den Hörer, legte auf und starrte blind auf das pastorale Ölgemälde über dem Sofa. Am liebsten hätte er jemanden erwürgt. Vorzugsweise seine Frau.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. „Herein!“

Seine Sekretärin Caroline informierte ihn, dass ihre Königliche Hoheit und Prinz Evan ihn im Blauen Salon zu sprechen wünschten.

In den Privatgemächern seiner Eltern legte man keinen Wert auf Förmlichkeiten. Seine Mutter umarmte Rule herzlich und teilte ihm mit, dass sie ihm verzieh, mit seiner texanischen Braut durchgebrannt zu sein, ohne vorher seine Familie zu informieren.

Sein Vater gratulierte ihm ebenfalls und wiederholte, dass er sich auf Sydney und ihren Sohn freute. Gott sei Dank verriet er mit keiner Silbe, dass Rule ihm das Geheimnis von dessen Abstammung schon vor Wochen anvertraut hatte.

Als Adrienne ihren Sohn fragte, wie er seine Frau kennengelernt hatte, antwortete er so wahrheitsgemäß wie möglich. „Ich sah, wie sie ein Kaufhaus betrat, und wusste sofort, dass ich sie kennenlernen musste. Daher bin ich ihr gefolgt, habe sie dazu überredet, mit mir zu Mittag essen zu gehen, und habe sie so hartnäckig umworben, bis sie sich bereit erklärte, mich zu heiraten.“

Seine Version der Ereignisse fand die Zustimmung seiner Mutter, vermutlich, weil es ihr ähnlich ergangen war, als sie ihren zukünftigen Mann zum ersten Mal bei einer Hollywoodparty gesehen hatte.

„Du hast uns Sorgen gemacht“, schimpfte sie jedoch anschließend. „Wir hatten schon Angst, dass du dich nicht mehr rechtzeitig vor deinem dreiunddreißigsten Geburtstag für jemanden entscheiden würdest. Oder dass du womöglich unsere Lili heiraten und damit einen nicht wieder gutzumachenden Fehler machen würdest.“

Rule klappte fast die Kinnlade nach unten. „Hättest du nicht schon viel früher erwähnen können, dass Liliana und ich deiner Meinung nach schlecht zusammenpassen?“

Seine Mutter zuckte nonchalant die Achseln. „Und was hätte das gebracht? Du hättest sowieso nicht auf mich gehört, wenn ich dir gesagt hätte, dass unsere liebe Lili, die dir immer so viel bedeutet hat, nicht zu dir passt.“

Rule hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte. Er spürte, wie wieder die Wut in ihm aufstieg, aber das lag eher an dem Telefonat mit Sydney als an seiner Mutter.

Seine Eltern wechselten einen vielsagenden Blick, und Adrienne nickte.

„Ich hoffe doch, du wirst bald unter vier Augen mit Liliana reden?“, fragte Rules Vater.

„Ich habe schon mit ihr gesprochen“, gestand Rule.

Seine Mutter stand abrupt auf. Rule und sein Vater folgten langsam ihrem Beispiel. „Warum hast du das nicht eher gesagt?“, fragte sie erschrocken.

Kein Zweifel, jemanden zu erwürgen oder mit der Faust gegen die Wand zu schlagen, wäre gerade sehr befriedigend. „Ich habe es euch doch gesagt. Eben gerade.“

„Und wann genau hast du mit ihr geredet?“

Rule warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Vor einer Dreiviertelstunde.“

„Du hast ihr von deiner Frau erzählt?“

„Ja.“

Seine Eltern wechselten wieder vielsagende Blicke.

„Was ist? Hätte ich ihr es etwa nicht sagen sollen?“

„Doch, natürlich.“

„Dann verstehe ich nicht …“

„Ist sie jetzt allein?“

„Keine Ahnung. Ihre Cousine hat mir die Tür aufgemacht. Ich vermute, dass sie noch immer in Lilis Wohnung ist.“

„Solange Moltano ist jetzt keine ideale Gesellschaft für sie. Lili braucht jemanden, mit dem sie reden kann und der sie tröstet.“

Dasselbe hatte Sydney auch gesagt. Wütend biss Rule die Zähne zusammen und tat das, was er in den letzten Stunden andauernd zu tun schien: sich entschuldigen. Allmählich hing ihm das gründlich zum Hals heraus. „Das Ganze ist allein meine Schuld. Ich sehe ein, dass ich mich falsch verhalten habe.“

Seine Mutter strich ihm über eine Wange. „Nein, mein Lieber. Du hast getan, was du tun musstest. Aber du hättest mir eher davon erzählen müssen. Lili braucht mich jetzt nämlich. Ich muss sofort zu ihr.“ Mit diesen Worten fegte Adrienne aus dem Zimmer.

Rule und Evan blieben schweigend zurück. „Ich würde jetzt gern jemanden schlagen“, sagte Rule schließlich.

Sein Vater nickte. „Ich kenne das Gefühl.“

„Ich habe Lili das Herz gebrochen. Und meine Frau ist wütend auf mich.“

„Lili wird schon darüber hinwegkommen, Rule. Überlass die Sache ruhig deiner Mutter. Sie liebt Lili wie ihr eigenes Kind und weiß bestimmt, womit sie sie trösten kann. Aber warum ist deine Frau wütend auf dich?“, erkundigte Evan sich stirnrunzelnd. „Hast du ihr etwa von dem Jungen erzählt?“

Rule stieß einen leisen Fluch aus. „Nein, noch nicht. Und ich werde es auch nicht, auf jeden Fall nicht in absehbarer Zeit. Sydney ist wütend wegen Lili. Sie sagt, ich hätte sie als Ass im Ärmel missbraucht, als Notnagel, falls ich niemanden finde, den ich lieber heiraten will.“

„Sie scheint ein sehr ungewöhnlicher Mensch zu sein. Nicht viele Frauen hätten Mitgefühl für ‚die Andere‘.“

„Sydney ist anders als alle Frauen, die ich je kennengelernt habe“, bestätigte Rule frustriert.

„Ist das nicht etwas Positives?“

„Keine Ahnung, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Mir schwirrt dermaßen der Kopf, dass ich kaum noch durchblicke.“

„Das ist bei liebenswerten Frauen immer so.“

„Anscheinend habe ich alles versaut.“ Rule ließ sich zurück aufs Sofa fallen und schüttelte den Kopf. „Sydney ist bedingungslos ehrlich und erwartet daher auch dasselbe von anderen Menschen. Es hat sie tief enttäuscht, dass ich Lili gegenüber nicht aufrichtig war und ihr meine wahren Gefühle oder vielmehr meine nicht vorhandenen Gefühle verschwiegen habe. Das macht mir ehrlich gesagt Angst. Wenn sie mir das schon kaum verzeihen kann, was wird sie dann erst sagen, wenn sie die Wahrheit über Trevor erfährt?“

Evan setzte sich zu Rule. „Tja, sieht so aus, als hättest du ein Problem.“

„Ich habe mich immer für einen ehrlichen Menschen gehalten, für jemanden, der immer das Richtige tut. Aber ich kann es Sydney unmöglich sagen. Wenn überhaupt, hätte ich es ihr von Anfang an erzählen sollen, bevor ich sie dazu überredete, mich zu heiraten.“

„Und warum hast du es nicht getan?“

„Weil sie schon mit anderen Männern schlechte Erfahrungen gemacht hat. Wenn ich es ihr sofort gestanden hätte, hätte sie mich nie an sich herangelassen. Es ist genauso, wie ich dir schon am Telefon gesagt habe. Es gab einfach keine optimale Lösung. Ich habe mich für die entschieden, die mir zumindest noch eine Chance ließ. Zumindest habe ich das zum damaligen Zeitpunkt so gesehen.“

Evan schwieg für einen Moment. „Was hast du für wichtige Termine?“, fragte er plötzlich.

Fragend hob Rule eine Augenbraue. „Was hat mein Terminplan damit zu tun, dass ich als Mensch ein Versager bin?“

„Sag alles ab.“

„Meine Termine meinst du?“

„Ja. Erfüll nur die Verpflichtungen, die du nicht aufschieben kannst, und kehr nach Texas zurück. Versöhn dich mit Sydney. Sorg dafür, dass ihr eure kleine Krise überwindet, indem du Zeit mit Trevor verbringst und damit die Bindung zwischen euch Dreien stärkst. Und komm erst nach Montedoro zurück, wenn deine Frau bereit ist, mitzukommen.“

7. KAPITEL

Am nächsten Morgen lauerten Sydney zu ihrer Überraschung zwei Reporter in ihrem Vorgarten auf, als sie ihren Wagen rückwärts aus der Garage setzte. Sie bremste, kurbelte das Fenster herunter und ließ für gute sechzig Sekunden Fotos von ihr machen.

Während die beiden ein Foto nach dem anderen schossen, bombardierten sie Sydney mit Fragen, die sie jedoch so knapp wie möglich beantwortete. Ja, sie hatte ihren Prinzen geheiratet und war sehr glücklich, vielen Dank auch. Nein, sie hatte nicht die Absicht, der Presse ihre Pläne mitzuteilen.

Einer der Reporter fragte sie gehässig, ob sie schon die Prinzessin von Alagonien gesehen hatte. Sydney beantwortete die Frage mit Nein, erklärte jedoch, dass sie sich jedoch schon darauf freue, Prinzessin Lilianas Bekanntschaft zu machen – und übrigens sei das hier eine bewachte Wohnanlage. Das nächste Mal würde sie den Sicherheitsdienst rufen. Mit diesen Worten fuhr sie davon.

In der Kanzlei verabredete sie sich mit ihren Partnern, die bereits von der Hochzeit wussten und daher nicht weiter überrascht waren, dass sie Teale, Gayle and Prosser verlassen wollte. Natürlich waren sie nicht gerade begeistert, und als Sydney erklärte, möglichst schon in einem Monat umziehen zu wollen, schwiegen sie eisig und wiesen sie dann auf ihre Verpflichtungen und ihren Arbeitsvertrag hin.

Sydney erwähnte daraufhin die Mandanten, die sie der Kanzlei zum Ausgleich vermitteln wollte, und zählte die Firmen auf, die Rule ihr am Abend vor ihrer Hochzeit genannt hatte. Sie erklärte, dass ihr Mann über ausgezeichnete internationale Wirtschaftskontakte verfügte und kein Problem damit hatte, Teale, Gayle and Prosser davon profitieren zu lassen.

Als das Meeting vorbei war, lächelten ihre Partner wieder. Natürlich hing alles davon ab, ob sie ihre Versprechungen auch halten würde, aber zumindest würde man sie vorzeitig aus ihrem Vertrag entlassen, ohne dass ihr Ruf Schaden nahm oder sie sämtliche Brücken hinter sich abbrach.

Nachdem diese Hürde also überwunden war, stürzte Sydney sich voller Eifer in die Arbeit, um bis zu ihrer Abreise so viel wie möglich zu schaffen. Irgendwann fiel ihr auf, dass Rule sie seit ihrer Auseinandersetzung wegen Prinzessin Lili nicht mehr angerufen hatte. War sie zu hart mit ihm gewesen?

Na schön, vielleicht. Ein bisschen zumindest.

Aber sie fand es nun einmal unfassbar, dass er vor der armen liebeskranken Prinzessin die Bombe von seiner Hochzeit hatte platzen und sie dann allein gelassen hatte, nur weil sie ihn weggeschickt hatte!

Um fünf Uhr nachmittags wurde sie in den Hauptkonferenzraum gerufen, in dem sich sämtliche Partner, Kollegen, Rechtsanwaltsgehilfinnen, Sekretärinnen und sogar die Personalabteilung versammelt hatten. Es gab Champagner, einen Riesenstapel Geschenke und eine Torte für sie.

Sydney war überwältigt. Es passierte also tatsächlich. Sie bekam endlich die Büro-Wedding-Shower, mit der sie bis vor Kurzem gar nicht mehr gerechnet hatte.

Sie bedankte sich mit einer kleinen Rede bei den anderen und erklärte ihnen, wie viel sie ihr alle bedeuteten, und wie sehr sie sie vermissen würde. Anschließend aß sie zwei Stück Torte, trank ein Glas Champagner und machte glücklich die Runde.

Erst um neun Uhr verließ sie die Kanzlei.

Zu Hause angekommen, half Lani ihr, die Geschenke ins Haus zu tragen. „Du siehst ja total erschöpft aus“, sagte ihre Freundin mitleidig. „Leg einfach alles auf dem Tisch da drüben. Ich kümmere mich morgen darum.“

Sydney ließ den letzten Karton auf den Stapel fallen und sank erschöpft in einen Sessel. „Und? Wie war dein Tag?“, fragte sie ihre Freundin.

„Super. Trevor hat nach dem Mittagessen drei Stunden geschlafen, und ich habe währenddessen zehn Seiten geschrieben. Danach waren wir im Park. Er hat übrigens zwei Mal nach ‚Ru‘ gefragt, weil er mit ihm Laster spielen wollte.“

Sydney war froh, dass ihr Sohn sich so gut mit seinem Stiefvater verstand. Wenn sie doch nur ihre Nervosität und ihr Misstrauen ablegen könnte! Aber das mit Rule war alles so schnell passiert, und jetzt war er auf einmal fort. Irgendwie kam ihr die Situation total irreal vor. „Er hat gesagt, dass er in einer Woche zurückkommt.“

„Okay, gut zu wissen. Ist eigentlich alles in Ordnung zwischen euch?“

Sydney ließ die Schultern hängen. „Nein. Es gibt da ein paar Probleme.“

„Aber du bist zu erledigt, um jetzt darüber zu reden, stimmt’s?“, fragte Lani, die ihre Freundin wie immer durchschaute.

Sydney nickte.

„Hungrig?“

„Nein, ich habe schon im Büro gegessen. Ich gehe jetzt nur noch nach oben, küsse meinen schlafenden Sohn und nehme dann ausgiebig ein heißes Bad.“

Eine Dreiviertelstunde später kletterte Sydney ins Bett, stellte ihren Wecker auf halb sieben, knipste das Licht aus und war fest eingeschlafen, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührt hatte. Rule rief in dieser Nacht nicht an. Und auch nicht am nächsten Morgen.

Offensichtlich war er immer noch sauer auf sie. Sydney fand es zwar reichlich kindisch von ihm, sie zu ignorieren, nur weil er wütend auf sie war, aber auf der anderen Seite hinderte sie nichts daran, zum Handy zu greifen und ihn anzurufen. Und warum tat sie es dann nicht? Anscheinend war sie genauso kindisch wie er. Vielleicht hätte sie ihm gegenüber nicht so streng sein dürfen. Vielleicht …

Ach, wer wusste schon, wie sie sich hätte verhalten sollen? Sie kannte ihn schließlich kaum. Erst Freitag hatte sie ihn kennengelernt, und jetzt waren sie schon verheiratet und trotzdem eine halbe Welt voneinander entfernt. Kein Wunder, dass sie Probleme hatten.

Sie wusste nur eins: dass sie ihn schmerzlich vermisste. Seine Abwesenheit hinterließ eine gewaltige Lücke in ihrem Leben. Sie brauchte ihn, wollte ihn um sich haben und mit ihm reden. Sie sehnte sich schrecklich danach, seine Nähe zu spüren. Am liebsten wollte sie in ihn hineinkriechen, so sehr liebte sie seinen Geruch, den Klang seiner Stimme, sein Lachen, seine Berührungen und seine Küsse …

Sie war vollkommen verrückt nach ihm. Wenn er nicht wie versprochen zurückkam, würde sie bestimmt noch etwas völlig Verrücktes machen. Ihn aufspüren und niederschießen vielleicht – natürlich ohne ihn zu töten.

Am nächsten Tag in der Kanzlei erhielt sie die Anrufe zweier Ölfirmen, die Rule ihr als potenzielle Mandanten genannt hatte. Das beruhigte sie wieder ein bisschen. Er hatte sie zwar nicht so oft angerufen wie versprochen, aber immerhin sorgte er dafür, dass sie Texas reinen Gewissens verlassen konnte. Das war doch ein gutes Zeichen, oder?

Am Donnerstagmorgen um halb sieben, in demselben Augenblick, als ihr Wecker klingelte, summte ihr Handy. Schlaftrunken griff sie zunächst nach dem Wecker und stellte ihn aus, bevor sie nach dem Telefon griff. „Hallo?“, murmelte sie.

„Habe ich dich geweckt?“

Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte sie. „Hi!“

„Bist du immer noch wütend auf mich?“

Sydney drehte sich auf den Rücken. „Dasselbe könnte ich dich auch fragen.“

„Ich weiß, dass ich versprochen habe, dich täglich anzurufen, aber …“

Himmel, diese göttliche Stimme! So sanft, so tief und so unglaublich sexy.

„Du hast mir versprochen, mich ständig anzurufen“, korrigierte sie ihn. „Das ist sogar öfter als einmal täglich.“

„Kannst du mir verzeihen?“

Sydney lachte kehlig. Sie konnte einfach nicht anders. Ein Anruf von Rule, und ihre Welt war wieder in rosarotes Licht getaucht. „Könnte schon sein.“

„Gut zu hören.“ Die Erleichterung in seiner Stimme war unüberhörbar.

„Ich vermisse dich, Rule. Ich vermisse dich ganz schrecklich.“

„Ich dich auch.“

„Wie kommt das nur? Ich kenne dich doch erst seit fünf Tagen.“

„Genau genommen seit vier Tagen, neunzehn Stunden und drei Minuten. Aber ich bin froh, dass du mich vermisst. Schließlich bist du meine Frau. Es ist dein Job, mich zu vermissen, wenn wir getrennt sind.“

„Dann erledige ich meinen Job anscheinend hervorragend.“ Sie zögerte einen Moment. „Es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben“, fügte sie leise hinzu.

„Mir auch.“

„Zwei Ölfirmen haben mich gestern angerufen. Ich habe schon Meetings mit meinen Partnern organisiert.“

„Ausgezeichnet.“

Sydney wollte die versöhnliche Stimmung zwischen ihnen nicht ruinieren, aber sie musste einfach wissen, wie es Prinzessin Liliana ging. „Alles in Ordnung mit Liliana?“

Rule schwieg einen Moment. „Du hattest recht“, gestand er schließlich. „Ich hätte jemanden zu ihr schicken sollen.“

„Oh nein! Ist etwas passiert?“

„Als ich meiner Mutter erzählt habe, dass Lili die Nachricht von unserer Hochzeit nicht gut aufgenommen hat, ist sie sofort zu ihr gegangen, um sie zu trösten. Lili war jedoch nicht in ihrem Räumen.“

„Oh mein Gott. Ist sie etwa verschwunden?“

„Nein, man hat sie kurz darauf gefunden. Sie ist einfach wieder aufgetaucht und hat versichert, dass es ihr ausgezeichnet geht.“

„Aufgetaucht?“

„Ja, einer der Diener hat sie etwas zerzaust im Flur zwischen Maximilians und Alexanders Wohnungen gefunden. Angeblich war sie nur spazieren.“

„Spazieren?“

„Das hat sie zumindest behauptet.“

„Ist sie denn mit deinen Brüdern befreundet? Hat sie vielleicht mit einem von ihnen über dich geredet?“

„Ausgeschlossen!“

„Warum?“

„Max ist bei seinen Kindern in seiner Villa. Und Alex und Lili haben sich noch nie gut verstanden.“

„Das heißt nicht, dass er sie nicht getröstet hat, als er sah, wie verstört sie war.“

„Seit seiner Rückkehr aus Afghanistan hat er kaum seine Zimmer verlassen. Aber du hast natürlich recht, alles ist möglich.“

„Es geht ihr doch hoffentlich gut, oder?“

„Ja, sie hat sich meiner Mutter schließlich anvertraut und ihr glaubhaft versichert, dass es ihr gut geht und wir uns keine Sorgen wegen ihres Vaters zu machen brauchen. Angeblich ist ihr endlich bewusst geworden, dass sie und ich nicht zusammenpassen. Sie wünscht uns eine glückliche Zukunft.“

„Okay. Hm. Das sind gute Neuigkeiten, oder?“

„Ich glaube schon, ja. Lili ist gestern Morgen nach Alagonien abgereist. König Leo ist bisher noch nicht mit gezücktem Schwert bei uns erschienen, daher nehme ich an, dass alles in Ordnung ist.“

„Ich bin ja so erleichtert! Ehrlich gesagt hatte ich mir schon Sorgen gemacht, dass Liliana etwas Verrücktes tun könnte. Vor allem, als du nicht angerufen hast.“

„Ich mache anscheinend alles falsch.“

„Wie soll ich da widersprechen?“, neckte sie ihn. „Hauptsache, du kommst wirklich spätestens am Dienstag oder Mittwoch zu mir zurück.“

„Tut mir leid, aber daraus wird leider nichts“, sagte er scherzhaft.

Diese Antwort war ein herber Schlag für Sydney. Ihr wurde fast schlecht vor Enttäuschung. Wie sollte sie nur reagieren, ohne sich wieder mit Rule zu streiten?

Doch dann sagte er: „Ich komme nämlich schon morgen.“

Sydney stockte der Atem. „Oh, Rule! Sag das noch mal.“

„Du vermisst mich ja tatsächlich“, sagte er zärtlich.

Sein Tonfall ließ ihr Herz noch schneller schlagen.

„Und wie“, antwortete sie voller Überzeugung. „Ich will mit dir zusammen sein. Wir sind verheiratet, wollen unser ganzes restliches Leben miteinander verbringen und hatten bisher kaum Zeit, einander kennenzulernen.“

„Bis morgen dann also. Ich werde allerdings erst spät ankommen, gegen zehn Uhr abends.“

„Keine Sorge, ich schaffe es sowieso nicht vor halb zehn, die Kanzlei zu verlassen.“

„Ich werde bei euch auch nicht gerade untätig herumsitzen. Schließlich muss ich deine Partner diversen hochrangigen potenziellen Mandanten vorstellen, damit sie begreifen, dass sie es dir schuldig sind, dich schneller gehen zu lassen.“

Sydney strahlte über das ganze Gesicht, auch wenn Rule das nicht sehen konnte. „Ich bin unglaublich froh, dass du schon so früh zurückkommst. Und ich kann es kaum erwarten, jeden Tag mit dir zusammen zu sein – auch wenn ich viel zu viel Zeit bei der Arbeit verbringen werde. Aber das wird sich bald ändern. Sobald ich aus der Kanzlei raus bin, werde ich nie wieder einen Job annehmen, bei dem ich meinen Sohn und meinen Mann kaum zu Gesicht bekomme.“

„Klingt gut.“

„Nicht wahr? Ach, ich habe ganz vergessen zu erwähnen, dass Trevor sich auch schon auf dich freut. Er hat ständig nach dir gefragt.“

„Sag ihm, ich bin schon unterwegs.“

Am Freitagabend stand Sydney ungeduldig vorm Wohnzimmerfenster und wartete auf die Ankunft von Rules schwarzer Limousine. Als der Wagen schließlich vorfuhr, machte ihr Herz einen Satz. Sie lief zur Haustür, riss sie auf und flog förmlich die Eingangsstufen hinunter, um sich in Rules Arme zu werfen.

Er küsste sie fast verzweifelt. „Ich dachte schon, ich komme nie hier an“, sagte er.

Sydney lachte glücklich. „Aber du bist hier. Und vielleicht lasse ich dich ja nie wieder gehen.“ Sie nahm seine Hand. „Komm rein.“

Der Fahrer, der bereits Rules Gepäck aus dem Kofferraum geladen hatte, folgte ihnen zusammen mit Joseph ins Haus. Nachdem er das Gepäck nach oben ins Elternschlafzimmer gebracht hatte, kam er wieder runter, tippte sich an seine Mütze und ging.

Joseph blieb. Ausnahmsweise trug er mal nicht seine dunkle Brille, hatte jedoch noch immer sein Bluetooth-Gerät im Ohr. Und er hatte eine schwarze Reisetasche dabei.

Rule sah Sydney verlegen an. „Ich fürchte, Joseph geht überall hin, wo auch ich hingehe.“

„Ich hoffe doch, es macht Ihnen nichts aus, getrennt von Ihrer Königlichen Hoheit zu schlafen?“, fragte Sydney den Leibwächter.

Der sonst immer so ernste Joseph deutete so etwas wie ein Lächeln an. „Wenn Sie ein Extrazimmer haben, Ma’am, wäre ich Ihnen dankbar. Falls nicht, genügt mir auch ein Sofa.“

„Ich habe ein Gästezimmer.“ Sie zeigte auf eine Tür am Ende des Flurs. „Die Küche liegt dort. Fühlen Sie sich ganz zu Hause, und bedienen Sie sich ruhig in der Speisekammer oder im Kühlschrank.“

„Danke, Ma’am.“

Sydney drehte sich zu Rule um. „Hast du Hunger?“

Nicht nach Essen, verriet sein glühender Blick. Sydney bekam sofort wieder weiche Knie. „Nein danke, ich habe schon im Flugzeug gegessen.“

Sie führte die beiden Männer in den ersten Stock und zeigte Rule ihr Schlafzimmer und Joseph seins. Bevor sie sich wieder zu Rule gesellte, klopfte sie noch bei Lani an und teilte ihr mit, dass Rules Leibwächter im Gästezimmer schlafen würde.

Lani sah sie über den Rand ihrer Brille an. „Danke für die Warnung – und bleib nicht zu lange auf.“

„Ja, Mommy.“

„Und grüß Rule von mir.“

„Mach ich.“

Als Sydney zu ihrem Zimmer zurückkehrte, stand Rule am Fenster und sah auf die ruhige Straße hinaus. „Schöne Grüße von Lani.“

Er drehte sich zu ihr um. „Dein Haus gefällt mir. Es ist gemütlich und geräumig.“

Sydney stand noch immer unschlüssig in der Tür. Plötzlich musste sie schlucken. „Stimmt. Und wir waren sehr glücklich hier. Es wird eine ganz schöne Umstellung sein, plötzlich in einem Palast zu leben.“

„Ich habe noch andere Immobilien. Villen, Stadthäuser. Wenn du willst, könnten wir auch dort wohnen.“

Sydney kam ihr Leben wieder völlig unwirklich vor. „Keine Ahnung.“

Rule hielt ihr die Hand hin. „Hast du plötzlich Angst vor mir?“, fragte er.

Ihr Hals schnürte sich zusammen. „Ein bisschen vielleicht“, sagte sie mit dünner Stimme und lachte nervös auf. „Albern, oder?“

Er schüttelte den Kopf. „Komm her. Ich werde dir die Sorgen vertreiben.“

Sie schloss die Schlafzimmertür, ging zu ihm und nahm seine ausgestreckte Hand.

Mit der freien Hand schloss er die Gardinen.

Sydney rückte ein Stück an ihn heran. „Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass du weggefahren bist“, sagte sie leise.

„Jetzt bin ich ja wieder da.“

„Darüber bin ich sehr froh.“

Als er ihr Gesicht in die Hände nahm und sie küsste, löste sich der Kloß in ihrem Hals auf, und sie spürte nur noch seinen Mund auf ihren Lippen und seine Hände auf ihren Wangen. Langsam ließ er sie an ihrem Hals hinuntergleiten, um die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen.

Sydney atmete schwer, als er ihr die Bluse und den BH auszog und ihr die Leggings hinunter schob, die sie nach der Arbeit angezogen hatte. Sie streifte sich ihre flachen schwarzen Schuhe ab und zog sich die Leggins aus.

Während er sich hastig seiner Kleidungsstücke entledigte, küsste er sie fast bis zur Besinnungslosigkeit. Anschließend trug sie nur noch ihren Slip, während er ganz nackt war. Sie immer noch küssend, schob er sie rückwärts zum Bett.

„Warte“, hauchte sie an seinen Lippen, musste ihn jedoch erst wegschieben, bevor er ungeduldig den Kopf hob.

„Du bringst mich um, weißt du das?“, grummelte er.

Sie legte ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. „Nur einen Moment …“

„Das dauert mir viel zu lange“, sagte er, ließ sie jedoch trotzdem los.

Sie drehte sich um und riss die Überdecke vom Bett. „So, fertig.“

„Sydney …“

Er legte ihr von hinten die Hände auf die Hüften.

„Ich bin ja hier …“ Sie hob die Arme zu ihm und drehte den Kopf weit genug, um ihn erneut küssen zu können. Sie spürte seine Zunge in ihrem Mund, seine Hände auf ihren Brüsten. Er war so warm und so stark, und seine Erektion an ihrem Rücken fühlte sich hart und heiß an.

Sydney war verrückt vor Begierde.

Als er sie zu sich umdrehte und sie aufs Bett legte, war sie die glücklichste Frau von ganz Texas. Es war ein herrliches Gefühl, ihn zu spüren und sich von ihm küssen und berühren zu lassen …

Er streifte ihr den Slip ab und suchte und liebkoste ihre empfindsamste Stelle. Aufstöhnend gab sie sich der lustvollen Berührung seiner Hände hin, bis sie es keine Sekunde länger aushielt. Sie umfasste seine Männlichkeit und führte sie dorthin, wo sie ihn spüren wollte.

Dann endlich drang er in sie ein, und sie schrie laut auf. Es fühlte sich einfach himmlisch an, so richtig …

Rule ließ die Zähne und die Zunge über ihren Hals gleiten und blies ihr auf die nackte feuchte Haut. Aufstöhnend zog sie ihn an sich und schlang ihm die Beine um die Hüften. Sie wollte mehr von ihm, alles …

In Momenten wie diesen hatte Sidney absolut keine Zweifel mehr. Sie wollte ihm bereitwillig überall hin folgen und glücklich sein. Nur er, sie und Trevor. Und vielleicht, wenn sie Glück hatten, noch mehr Kinder. Drei oder vier. Neun oder zehn, egal … Sie hatte ganz vergessen, auf wie viele Kinder sie sich geeinigt hatten, aber was spielte das für eine Rolle? Sie würde alle ihre Kinder lieben, jedes einzelne von ihnen.

Und plötzlich vergaß sie selbst das – sie hatte nur noch Sinn für das hier, den Mann, der sie hielt und ausfüllte. Ihre Lust blühte auf, wurde stärker und stärker, heiß und wundervoll. Sie schrie wieder auf, diesmal so laut, dass Rule ihren Mund mit der Hand bedeckte.

Wild lachte sie unter seinen Fingern, und er lachte mit ihr. Und immer noch wuchs ihre Lust, bis sie einander in die Arme sanken und stöhnend ihre Namen flüsterten.

8. KAPITEL

Sydney musste eine Weile geschlafen haben, denn als sie aufwachte, hatte Rule sich auf einen Ellenbogen gestützt und beobachtete sie. Seine Augen waren dunkel, und sein Mund war sündhaft sexy.

Sie hob eine Hand zu seinem Hinterkopf und küsste ihn zärtlich. „Es ist schön, aufzuwachen und dich neben mir zu sehen. Das könnte ich für den Rest meines Lebens haben.“

„Sollst du auch bald, mein Schatz. Und jetzt schlaf wieder ein.“

„Gleich. Erzähl mir von deinen Eltern. Sind sie wütend, dass du mich geheiratet hast?“

„Nein, sie freuen sich. Sehr sogar.“

Das kaufte Sydney ihm nicht ab. „Sie kennen mich doch gar nicht. Du hast mich ungefähr zehn Minuten nach unserer ersten Begegnung geheiratet. Wie sollen sie sich da freuen? Ich könnte es ja nachvollziehen, wenn du gesagt hättest, dass sie deine überstürzte Hochzeit akzeptieren. Aber Freude?“

„Sie spüren, dass ich glücklich bin, und glauben mir daher, dass ich die Frau gefunden habe, mit der ich mein Leben teilen will. Außerdem sind sie erleichtert und dankbar.“

Sydney ließ einen Finger über sein rechtes Ohr gleiten. „Das kann ich nachvollziehen. Sie haben sich bestimmt schon große Sorgen gemacht, dass du nicht mehr rechtzeitig heiraten würdest, oder?“

„Genau.“ Rule nahm ihre Hand und küsste ihr die Fingerspitzen.

„Aber hätte es sie nicht viel glücklicher gemacht, wenn du die Prinzessin von Alagonien geheiratet hättest?“

„Nein, sie haben mir gesagt, dass Lili und ich ihrer Meinung nach ohnehin nicht gut zusammenpassen.“

„Hätten sie dir das nicht schon früher sagen können?“

„Das war auch meine erste Reaktion.“

„Jemand sollte dieses lächerliche Gesetz ändern.“

„Der Urgroßvater meiner Mutter hat das damals getan, aber dessen Enkel hat es wieder eingeführt.“

„Warum?“

„Sein Vater hatte erst spät geheiratet. Er hatte zwar acht Kinder, aber nur eins war legitim, mein Großvater nämlich. Dieser wiederum hatte ebenfalls nur ein eheliches Kind, meine Mutter. Die Familie drohte auszusterben. Daher wurde mein Großvater aktiv und führte das Gesetz wieder ein.“

Sydney lachte. „Und deine Mutter hat es befolgt. Sie heiratete jung, brachte frisches Blut in die Familie und nahm ihre Pflicht, für Nachwuchs zu sorgen, sehr ernst.“

„Ja, das tat sie. Und jetzt sieh uns an.“

„Nachkommen, so weit das Auge reicht.“

„Stimmt. Daran erkennst du, dass das Gesetz durchaus seinen Sinn hat.“

Nachdenklich runzelte Sydney die Stirn. „Aber es muss doch jede Menge Schlupflöcher geben. Warum nicht rechtzeitig heiraten, um sich das Erbe zu sichern und sich dann sofort nach seinem dreiunddreißigsten Geburtstag scheiden lassen?“

Er küsste ihren Hals. „Schmiedest du etwa schon Pläne, wie du mich wieder loswirst?“

Sie lachte. „Niemals. Aber du verstehst doch, was ich damit sagen will, oder?“

„Wir sind Katholiken. Der Thronfolger heiratet immer kirchlich, weshalb eine Scheidung ausgeschlossen ist. Es gibt zwar Annullierungen, aber nur unter härtesten Auflagen. Du musst eines verstehen: In meiner Familie wird man dazu erzogen, das Gesetz zu achten und vor dem festgesetzten Datum einen geeigneten Partner zu finden.“

„Na schön, der Erfolg scheint euch recht zu geben.“

Sie küssten sich wieder und wieder, was über kurz oder lang zum Unvermeidlichen führte.

„Schlaf jetzt“, sagte Rule anschließend.

„Gleich.“

Sie unterhielten sich noch eine Stunde über Rules erfolgreiche Geschäftsidee, Orangen aus Montedoro in die USA zu exportieren, und über die Gründe, warum Alex und Prinzessin Lili einander nie verstanden hatten. Rule erzählte, dass Alex Lili immer für albern und oberflächlich gehalten hatte, während Lili seine Selbstgefälligkeit abstoßend fand.

Sydney erfuhr auch, dass Max’ Kinder Nicholas und Constance hießen, und dass die Wirtschaft von Montedoro zu Zeiten von Rules Urgroßvater fast ausschließlich von Einkünften aus den Kasinos abhängig gewesen war. Erst sein Großvater und seine Mutter hatten dafür gesorgt, die Wirtschaft weiter auszubauen.

Sydney erinnerte ihn daran, dass er zwar alles über Ryan und Peter wusste, sie jedoch von Liliana abgesehen nichts über seine Frauen.

„Ich habe dir erzählt, dass ich meine Mutter verehre“, sagte er mit glitzernden Augen.

„Deine Mutter und deine Schwestern zählen nicht. Ich spreche über Beziehungen, Rule, das weißt du genau.“

Er berichtete ihr von der griechischen Erbin, in die er sich mit vierzehn verliebt hatte, von einem Mädchen, das er in einem Pariser Café kennengelernt hatte, und einer Irin, deren Temperament er zunächst aufregend und dann anstrengend gefunden hatte.

„Gut, dass so viele Schauspielerinnen und Models nur auf eine Chance bei dir warteten.“

„Du scheinst mich ja für den reinsten Don Juan zu halten.“

„Warst du denn keiner?“

„Nein. Klar, ich war mit vielen Frauen zusammen, aber Verführung um der bloßen Verführung willen hat mich nie interessiert. Ich habe immer … nach einer ganz bestimmten Frau gesucht. Der Richtigen.“ Er senkte den Kopf, bis seine Nase ihre berührte. „Nämlich nach dir.“

Sydney schmolz wie immer dahin. „Ach, Rule …“

Er küsste sie auf die Stirn, die Wangen und die Lippen. „Wirst du jetzt endlich einschlafen?“ Er legte die Decke um sie. „Schließ die Augen.“

Sie gehorchte.

Der nächste Tag war ein Samstag. Sydney ließ Rule mit Trevor und Lani beim Frühstück allein und hielt sich den Vormittag über in der Kanzlei auf, um die Ruhe zu nutzen. Zum Mittagessen kehrte sie nach Hause zurück und verbrachte den Rest des Tages mit den anderen.

Abends gingen sie und Rule essen, liebten sich anschließend ausgiebig zu Hause und lagen hinterher eng umschlungen da. Kurz bevor sie einschlief, schoss Sydney durch den Kopf, dass sie jetzt absolut alles hatte. Ihr Leben war ganz so, wie sie es sich immer erträumt hatte.

Am Sonntag blieb sie zu Hause, und sie und Rule gingen mit Trevor in den Park. Als sie beobachtete, wie Rule dem Kleinen auf der Schaukel Schwung gab, fiel ihr wieder auf, dass die beiden wie Vater und Sohn wirkten. Trevor betete Rule förmlich an, Ru hier und Ru da – eine Zuneigung, die eindeutig erwidert wurde.

Eine ältere Dame, die mit ihrem Enkel gekommen war, beugte sich zu Sydney herüber, als sie beide nebeneinander auf einer Bank saßen. „Ihr Junge ist seinem Vater ja wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Sydney lächelte. „Nicht wahr?“ Die Frau hatte recht. Lani war die Ähnlichkeit auch schon aufgefallen. Rule und Trevor hatten sogar bestimmte Eigenarten gemeinsam – die Art, wie sie den Kopf beim Nachdenken nach links neigten, oder ihr hinreißendes Lächeln.

Sydney hielt das jedoch nicht für verwunderlich. Der Samenspender, für den sie sich entschieden hatte, hatte viel mit Rule gemeinsam – Haar- und Augenfarbe, Größe und Körperbau zum Beispiel. Und die Ähnlichkeiten beschränkten sich nicht nur aufs Äußere. Der Spender hatte ebenfalls einen Universitätsabschluss in Wirtschaft und liebte Reisen und Sport.

Dem Profil der Samenbank zufolge war er charmant, gut aussehend, intelligent und dynamisch. Ein geborener Führer und guter Zuhörer. Familie war ihm sehr wichtig, und er glaubte an die Ehe und daran, dass sie ein Leben lang halten sollte. Sydneys Wahl war damals auf ihn gefallen, weil er der Mann zu sein schien, den zu finden sie schon längst aufgegeben hatte.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie ihren Sohn und Rule beobachtete. Das Leben nahm doch manchmal seltsame Wendungen. Sie hatte mit dem Samenspender ihren persönlichen Traummann gewählt, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er irgendwann in Fleisch und Blut vor ihr stehen und sie heiraten würde, ganz zu schweigen davon, dass er ihrem Sohn ein hingebungsvoller Vater werden würde.

Montag war wieder ein Arbeitstag. Rule erschien kurz nach elf in der Kanzlei. Nachdem Sydney ihn herumgeführt hatte, ging sie mit ihm und zwei Partnern im Herrenhaus zu Mittag essen – ein Treffen, das sich als sehr produktiv erwies. Rule arrangierte nämlich noch drei weitere Meetings mit potenziellen Mandanten.

Rasch stellte sich ein fester Rhythmus ein: Wochentags ging Sydney arbeiten, war jedoch die Abende und den Großteil der Wochenenden bei ihrem Mann und ihrem Sohn.

Rule verbrachte viel Zeit mit Trevor, wodurch die Bindung zwischen den beiden immer stärker wurde. Er spielte stundenlang mit dem Kleinen und las ihm fast jeden Abend eine Gutenachtgeschichte vor.

Als Sydney am letzten Freitag im April nach Hause kam, hatten Rule und Lani mit dem Abendessen auf sie gewartet und sogar den stillen Joseph dazu eingeladen. Lani hatte sich selbst mit einem Lammbraten übertroffen, und Rule hatte eine gute Flasche Syrah geöffnet. Der Anlass war Lanis Entschluss, mit nach Montedoro zu ziehen.

Sydney sprang auf und umarmte ihre Freundin stürmisch. „Wow! Ich habe mich zurückgehalten, um dich nicht zu bedrängen, aber ich hatte es mir ja so gewünscht, dass du mitkommst.“

Lani lachte. „Machst du Witze? Ich kann mir doch unmöglich die Chance entgehen lassen, in einem königlichen Palast am Mittelmeer zu wohnen!“

Sogar der sonst immer so ernste Joseph lächelte. „Das sind ja gute Neuigkeiten“, sagte er und hob sein kaum angerührtes Weinglas.

Mitten in der Nacht wurde Sydney plötzlich aus tiefem Schlaf gerissen. „Mommy … Mommy …“, hörte sie Trevor weinen.

Rule setzte sich ebenfalls auf. „Ich gehe zu ihm.“

Sydney küsste ihn auf die Wange. „Nein, das übernehme ich.“ Nachdem sie sich ihren Morgenmantel übergestreift hatte, ging sie nachsehen, was los war.

Trevor fühlte sich heiß an, und sein dunkles Haar war schweißnass. Schluchzend presste er die Hände an die Wangen. „Aua, Mommy. Aua …“

Schlaftrunken kam Lani ins Zimmer und band sich ihren Bademantel zu. „Kann ich etwas tun?“

„Nein, ist schon in Ordnung. Ich nehme an, dass Trevor zahnt. Geh ruhig wieder ins Bett, ich bin ja jetzt hier.“

„Hol mich, falls du mich brauchst.“

„Mach ich.“

Gähnend kehrte Lani in ihr Zimmer zurück.

Sydney maß Trevors Temperatur, die etwas erhöht war, und ging mit ihm nach unten, um einen der Beißringe zu holen, die sie im Tiefkühlfach aufbewahrte. Wieder in seinem Zimmer, setzte sie sich mit ihm in den Schaukelstuhl, um ihn zu beruhigen.

Plötzlich stand Rule in der Tür.

„Ihm geht’s nicht gut“, erklärte sie. „Ich glaube, es sind die Zähne.“

Der Kleine hob den Kopf. „Ru! Aua. Aua!“, rief er und streckte seinem Stiefvater die Arme entgegen.

Ohne zu zögern ging Rule zu ihm und hob ihn hoch. Sofort schlang Trevor die Arme um Rules Hals, steckte sich zufrieden den Beißring in den Mund und lehnte den Kopf an Rules Brust.

Als Sydney beobachtete, wie Rule mit dem Jungen auf- und abging, spürte sie ein seltsames Gefühl in sich aufsteigen.

War sie etwa eifersüchtig?

Ein bisschen vielleicht. Rule kümmerte sich so selbstverständlich um Trevor, als sei er dessen Vater – und der Kleine benahm sich umgekehrt genauso. Er forderte Rules Aufmerksamkeit tagsüber, als sei es das Natürlichste der Welt.

Was eigentlich etwas Positives war, oder? Rule war schließlich der ideale Vater. Warum irritierte sein Verhalten sie dann so?

Vielleicht, weil sie wollte, dass er sich zuerst an sie wandte, wenn es um Trevor ging? War es das? Fühlte sie sich irgendwie in ihrer Rolle als Mutter bedroht, wenn er ihr so wie eben ihren Sohn wegnahm, ohne auch nur zu fragen, ob das in Ordnung für sie war? Lani und Trevor hatten auch eine sehr enge Beziehung, aber Lani respektierte, dass Sydney Trevors Mutter war und ihr Anspruch an erster Stelle stand.

Rule hingegen …

Aber war das nicht genau das, was sie sich immer gewünscht hatte?

Hm. Vielleicht hatte sie ja Schuldgefühle, weil sie nie genug Zeit für Trevor hatte. Sie arbeitete so viel, dass sie ihren Sohn bis auf einen Abschiedskuss am Morgen an manchen Tagen nicht wach zu Gesicht bekam. Kein Wunder, dass er Rule ihr gegenüber vorzog, wenn er Trost brauchte. Rule war inzwischen viel präsenter in seinem Leben, als sie es je gewesen war.

Aber das würde sich ändern, und zwar sehr bald schon. Dank Rule. Wegen all dessen, was er ihr und Trevor bot. Weil er ein wundervoller Ehemann und Vater war – jemand, der nicht nur einen ausgeprägten Familiensinn hatte, sondern auch ein echter Versorger war.

Sobald sie die Kanzlei verließ, würde sie mehr Zeit für Trevor haben – am Anfang würde sie sogar rund um die Uhr für ihn da sein können. Und selbst wenn sie in Montedoro eine interessante Aufgabe fand, würde sie dafür sorgen, dass ihre Arbeitszeiten sich in Grenzen hielten. Sie würde tatsächlich alles haben. Zeit für ihre Aufgaben als Mutter und Ehefrau und dafür, etwas zu bewirken.

Alles würde gut werden. Sie musste einfach ihre Schuldgefühle und ihre Eifersucht überwinden. Trevor hatte jetzt einen Vater, und nur das zählte. Manchmal zog ein Kind seinen Vater eben gegenüber seiner Mutter vor. Das war überhaupt nichts Ungewöhnliches.

Sydney lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Im nächsten Augenblick – oder zumindest kam es ihr so vor – flüsterte Rule ihr ins Ohr: „Komm zurück ins Bett, du Schlafmütze.“

Nur mühsam öffnete sie die Augen. „Was ist mit Trevor?“

Rule hob einen Zeigefinger an die Lippen und nickte in Richtung Gitterbettchen, in dem der Kleine friedlich schlief, seinen Lieblings-Stoffdinosaurier im Arm.

Sydney ließ sich von Rule aus dem Schaukelstuhl helfen. Eng aneinandergeschmiegt gingen sie ins Schlafzimmer zurück.

Im Bett nahm er sie in die Arme. „Du arbeitest zu hart“, sagte er und strich ihr sanft übers Haar.

„Nicht mehr lange. Eine Woche noch, und ich bin hier weg.“

„Ich kann es kaum erwarten, dich mit nach Hause zu nehmen – dich und Trevor.“

Zärtlich ließ sie die Finger über seine dunklen Augenbrauen gleiten. „Ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen.“

„Ich liebe Geheimnisse.“ Er küsste sie auf die Schläfe. „Vor allem deine.“

„Aber du darfst nicht lachen.“

„Mach ich nicht, versprochen.“

„Du weißt, dass du und Trevor euch sehr ähnlich seht?“

Rule küsste sie. „Stimmt, ein bisschen. Ist das dein Geheimnis?“

Autor

Christine Rimmer
Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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