Die Erben des Rancher - Verhängnissvolle Versuchung in Texas (3-teilige Serie)

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MIT TEXANERN SPIELT MAN NICHT!
Colt Elliott will ihrem hoch verschuldeten Vater helfen? Von wegen! Annabelle ist überzeugt, dass der Millionär einen ganz anderen, perfiden Plan hat: Er möchte das Land ihrer Familie an sich reißen, das ihr Dad ihm als Sicherheit bietet. Das kann Annabelle auf keinen Fall zulassen! Sie will diesem Mr. Elliott anbieten, die Schulden ihres Vaters abzuarbeiten. Allerdings hat sie nicht geahnt, dass ihr berechnender Feind ein sexy Traummann ist! Sein freches Lächeln verrät, wo er sie am liebsten hätte ...

VERHÄNGNISVOLLE SEHNSUCHT NACH DIR
Nolan Elliott ist genauso sexy wie damals, als sie ein junges, verliebtes Paar waren - und er Pepper das Herz brach. Nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie ihn wiedersieht. Das wusste Pepper. Aber dass der breitschultrige Texaner schon bei der Eröffnung ihren kleinen Laden für Blumen und Kunsthandwerk betritt ... Pepper muss die Vergangenheit vergessen und nach vorn schauen. Doch egal, wohin sie blickt: Nolan ist immer für sie da. Und wie früher löst er eine verhängnisvolle Sehnsucht in ihr aus ...

SÜNDIGE VERSUCHUNG IN TEXAS
"Was machen Sie hier?" Erschrocken dreht Alexa sich um und steht unvermittelt einem Traummann gegenüber. Das Klügste wäre, Hayes Elliotts Ranch so schnell wie möglich zu verlassen. Im Leben der alleinerziehenden Mutter ist kein Platz für Leidenschaft. Aber das Schicksal hat andere Pläne: Während eines Sturms sind Alexa und Hayes zusammen eingeschlossen. Und plötzlich ist das Verlangen stärker als jede Vernunft ...


  • Erscheinungstag 01.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506601
  • Seitenanzahl 438
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Jules Bennett

Die Erben des Rancher - Verhängnissvolle Versuchung in Texas (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Jules Bennett
Originaltitel: „Twin Secrets“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 2024 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Victoria Werner

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733720643

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Wie konnte es sein, dass ihr Vater alles verspielt hatte? Wirklich alles bis auf den letzten Cent! Seine Sucht hatte ihn ins Verderben gestürzt. Genauer gesagt: sie alle. Er hatte schon vorher vieles verspielt: den Wagen, seine Altersvorsorge, den Schmuck ihrer Mutter – bis auf ein Teil, das Annabelle versteckt hatte. Aber diesmal war er wirklich zu weit gegangen.

Als ob Annabelle Carter nicht schon genug um die Ohren gehabt hätte! Gemeinsam mit ihren süßen, sechs Monate alten Zwillingen Emily und Lucy war sie nach Stone River, Texas, zurückgekehrt, um einen Neuanfang zu wagen. Eigentlich hatte sie ihren Traum – eine Idee ihrer verstorbenen Mutter – verwirklichen wollen.

Aber nein. Stattdessen saß sie jetzt im Wagen und fuhr zur Nachbarranch, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Sie atmete tief durch, als sie in die lange Auffahrt einbog, die von einem makellos weiß gestrichenen Zaun eingefasst war. Das von massiven Steinsäulen getragene Metallschild über der Einfahrt gab einen ersten Vorgeschmack auf den Wohlstand der Besitzer.

Bisher war sie nie auf der Pebblebrook Ranch gewesen. Sie gehörte den Elliotts, einer angesehenen Familie, die definitiv in anderen Kreisen verkehrte als die Carters. Zur Ranch gehörten gut zweitausend Hektar Land mit mehreren Gebäudekomplexen. Jedes einzelne der Wohnhäuser war mehr wert als die ganze Farm der Carters – zu dem Zeitpunkt, als noch Vieh dazugehört hatte. Das hatte ihr Vater auch verspielt. Annabelle war zwei Jahre fort gewesen und hatte in Houston gelebt. In dieser Zeit hatte er absolut alles durchgebracht.

Sie spürte heißen Zorn in sich aufsteigen. Was hätte er getan, wäre sie nicht nach Hause gekommen, um ihre eigenen Wunden zu heilen? Verbittert dachte sie daran, wie ihr Verlobter und ihre Schwester sie hintergangen hatten. Dann der Schock über den Tod der beiden. So viel Schmerz! Annabelle wusste nicht, wie sie damit fertigwerden sollte.

Und nun musste sie sich zu allem Überfluss auch noch mit Colt Elliott herumschlagen. Sie kannte den Mann nicht, hatte aber von den Elliott-Brüdern gehört. Allesamt ausgesprochen sexy und älter als sie. Wenn sie sich recht erinnerte, war Colt ein Zwilling. Waren die Zwillinge die jüngsten der Geschwister?

Nicht, dass es irgendeine Rolle gespielt hätte. Wichtig war nur, dass ihr Vater sich Geld bei Colt Elliott geliehen hatte, um den Kredit bei der Bank zu tilgen. Sonst wäre ihre Farm zwangsversteigert worden, wovon er ihr nichts erzählt hatte. Dass er sich ausgerechnet an Colt Elliott gewandt hatte! Nicht, dass ihm viele Menschen hätten helfen können, aber er hätte zuerst einmal seine Tochter fragen können. Zwar besaß sie nicht so viel Geld, hätte aber lieber Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, bevor sie sich Geld von den Elliotts geliehen hätte.

Jetzt schuldete ihr Vater Colt das Geld statt der Bank. Echt super. Der Kredit war fast getilgt gewesen, aber es hatte einfach nicht mehr gereicht. Ihr Vater hatte auch den letzten Cent noch verspielt. Er war mit Colt übereingekommen, die Schuld innerhalb von drei Monaten zu tilgen. Sollte die letzte Zahlung einen Tag zu spät kommen oder auch nur ein Cent fehlen, gehörte die Farm Colt.

Annabelle war bereit, den Part ihres Vaters zu übernehmen, denn sie weigerte sich, auch noch das Letzte zu verlieren, was ihr geblieben war. Das Zuhause ihrer Kindheit sollte nicht an eine Familie fallen, die sich wahrscheinlich den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigte als damit, Geldbündel zu zählen.

Zwar behauptete Annabelles Vater, Colt habe ihm geholfen, aber sie war skeptisch. Leute wie die Elliotts taten nichts aus reiner Freundlichkeit. In puncto Reichtum und Einfluss waren sie allen anderen hier in der Gegend weit überlegen. Mit ihrem Vieh erwirtschafteten sie Milliardenumsätze. Kein anderes Unternehmen erreichte auch nur annähernd diese Größenordnung. Pebblebrook war eine Art Heiligtum, zu dem Normalsterbliche keinen Zutritt hatten.

Wie auch immer – sie war hier, um herauszufinden, was Colt Elliott wirklich im Schilde führte. Sie vermutete, dass er ihr Land wollte, und das würde sie nicht zulassen. Schließlich hatte sie ihre eigenen Träume: Heirat. Geschwister für ihre Zwillinge. Ihr eigenes Bed and Breakfast. Sie hatte nicht die Absicht, das Dach über ihrem Kopf und damit ihre Zukunft zu verlieren.

Langsam näherte Annabelle sich dem dreistöckigen Haupthaus, das aus Holz und Stein gebaut war. Eine Veranda lief rund um das Erdgeschoss und den ersten Stock. Im zweiten Stock gab es zwei große Balkone. Wahrscheinlich gehörten sie zu den Schlafzimmern. Sie stellte sich vor, wie Colt auf einem dieser Balkone stand und sich wie ein Herrscher an der Weite seines Landes ergötzte.

Plötzlich kam ein Pferd um die Ecke des Stallgebäudes. Annabelle war wie gebannt. Aber es war nicht der schwarze Hengst, der ihre Aufmerksamkeit fesselte.

Was für ein Cowboy! Was für ein Oberkörper! Noch dazu nackt!

Sie mochte einiges an Herzschmerz hinter sich haben, aber sie war nicht tot. Dieser heiße Typ mit seiner gebräunten Haut war eine Augenweide, die wohl jeder Frau das Wasser im Munde hätte zusammenlaufen lassen. Wie viel Arbeit mochte in einem derart perfekten Körper stecken? Arbeit auf einer Ranch war ganz eindeutig …

Annabelle erschrak. Ihr Wagen war gegen etwas geprallt und kam abrupt zum Stehen. Erschrocken umklammerte sie das Lenkrad und schloss die Augen. Sie war abgelenkt gewesen und hatte irgendetwas angefahren … Hoffentlich keinen Menschen! Oder ein Tier!

Zögernd öffnete sie die Augen, sah aber nichts außer dem Stall und weiten Weideflächen … und einem eingeknickten Pfosten, der wohl zum Zaun gehört hatte. Sie war so fasziniert gewesen von diesem optischen Leckerbissen zu Pferde, dass sie gegen den Zaun gefahren war. Nicht die eleganteste Art, sich einzuführen!

Mit zitternden Fingern stellte Annabelle den Motor ab. Glücklicherweise hatte sie die Babys nicht dabei. Plötzlich wurde die Tür neben ihr aufgerissen.

„Alles in Ordnung?“

Der weiche Südstaatenakzent und der Anblick der nackten Brust reichten aus, um ihr für einen Moment die Sprache zu verschlagen. „Mir ist nichts passiert“, erklärte sie schließlich und schwang die Beine aus dem Wagen, um auszusteigen. Der Cowboy wich nicht zurück. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie seine Nähe als Ablenkung von ihrem Ex-Verlobten willkommen geheißen, aber jetzt war nicht der Moment für solche Gedanken. Sie erschauerte, als sie sah, wie er sie musterte.

„Das mit dem Zaun tut mir leid.“ Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Ich bezahle die Reparatur.“

Von dem Geld, das ich nicht habe.

„Die Sonne hat mich geblendet“, fuhr sie fort. Unter gar keinen Umständen würde sie zugeben, dass es sein Oberkörper gewesen war, der sie abgelenkt hatte.

„Machen Sie sich keine Gedanken wegen des Zauns.“

Sie registrierte gern getragene Cowboystiefel, eng anliegende Jeans über schmalen Hüften … die von Schweiß glänzende Brust und seinen Stetson. Natürlich schwarz.

„Was führt Sie nach Pebblebrook?“ Fragend sah der Cowboy sie an.

Annabelle atmete tief durch. „Ich möchte Mr. Elliott sprechen. Mein Name ist Annabelle Carter. Ich lebe auf der Ranch nebenan. Ich meine, ich lebe wieder dort – ich war zwei Jahre fort.“

Der Mann lächelte leicht. „Wissen Sie, Mr. Elliott hat gerade zu tun. Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Vielleicht mit einem Glas Tee? Sie sehen so aus, als könnten Sie eine Stärkung gebrauchen.“

Eine Teepause mit diesem optischen Leckerbissen wäre sicher verlockend, stand aber heute nicht auf ihrem Plan. Annabelle schluckte. Mr. Elliott hatte zu tun. Natürlich. Wahrscheinlich war er auf der Bank, um sich an seinem Kontostand zu weiden. Ein Mann wie Colt schuftete nicht draußen in der Hitze. Das wäre unter seiner Würde.

„Arbeiten Sie hier?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Ja, Ma’am.“

„Dann richten Sie Ihrem Boss bitte aus, dass ich mit ihm über die Nachbarfarm sprechen möchte. Genauer gesagt über die Vereinbarung, die er mit meinem Vater getroffen hat. Bitte sagen Sie Mr. Elliott, dass er fortan mit mir zu tun hat. Ich erwarte seinen Besuch in meinem Haus.“

Denn hier würde sie mit Sicherheit kein zweites Mal auftauchen.

Mit dem Finger tippte der Cowboy an die Krempe seines Stetson. „Ich werd’s ihm ausrichten.“ Erneut ließ er den Blick über ihre Figur gleiten und löste prickelnde Schauer in ihr aus. „Sind Sie sicher, dass Sie nichts trinken möchten? Wir könnten uns auf die Veranda setzen.“

„Nein, danke, ich habe keine Zeit.“ Davon abgesehen hatte sie Mühe, den Blick von dieser breiten Brust und dem Tattoo auf seinem rechten Oberarm zu lösen.

„Gibt es sonst noch etwas, das ich ihm sagen soll?“

„Ja“, erwiderte sie, ohne groß nachzudenken. „Richten Sie ihm aus, dass ich nicht so leicht über den Tisch zu ziehen bin wie mein Vater. Er hat vierundzwanzig Stunden Zeit, sich bei mir zu melden.“

Sonst was? Die Frage hing in der Luft, aber da Annabelle nicht wusste, was sie sonst tun würde, beließ sie es dabei. Sie hoffte, einigermaßen cool zu klingen, aber das war irgendwie schwierig in Anbetracht der Tatsache, dass sie gerade eben einen Zaun gerammt hatte.

Interessiert betrachtete der Cowboy den Schaden. Sie wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, welche Auswirkungen die Beule auf ihre Versicherungsprämie haben würde.

„Ihr Wagen hat ganz schön was abbekommen, Ma’am.“

Er schob den Stetson ein wenig nach hinten. Das Blau seiner Augen war atemberaubend. Waren alle Cowboys hier so attraktiv, dass sie einen Kalender hätten zieren können? Die Fotoserie hätte sie sich gern übers Bett gehängt.

„Ich glaube, er passt auf die Ladefläche meines Trucks.“ Er unterdrückte ein Grinsen. „Soll ich ihn zu Ihnen nach Hause bringen?“

„Ich kann fahren, vielen Dank.“

Schnell setzte sie sich wieder ans Steuer und ließ den Motor an. Der Cowboy schloss die Tür. „Ich bin sicher, Mr. Elliott wird sich noch heute bei Ihnen melden.“

Annabelle nickte und gab Gas. Sofort wich er zurück und gewährte ihr einen letzten flüchtigen Blick auf diesen atemberaubenden Körper, den sie gern ausführlicher studiert hätte.

Sie war enttäuscht, Colt Elliott nicht angetroffen zu haben. Während der Fahrt legte sie sich zurecht, was sie ihm sagen wollte. Sie hatte genug davon, dass das Leben sie um ihre Träume betrog. Das Leben und die Männer.

Er sah dem kleinen roten Wagen nach, bis er am Ende der Auffahrt aus seinem Blickfeld verschwunden war. Annabelle Carter war scharf, keine Frage. Das leuchtend rote Haar und die blitzenden grünen Augen faszinierten ihn mehr, als ihm lieb war.

Als er um die Ecke des Stalls gebogen war, um Lightning in die Box zu bringen, hatte er den roten Wagen kurz wahrgenommen, bevor er auch schon in den Zaun gekracht war.

„Colt?“

Er drehte sich um und sah Josh, einen seiner besten Männer, auf sich zukommen.

„Ist alles in Ordnung?“ Josh war fast vierzig und arbeitete von allen auf der Ranch sicher am härtesten. Colt nickte zum Zaun hinüber. „Das hier hat oberste Priorität. Bitte Ryan, dir zu helfen. Ich bringe Lightning in die Box.“

Fast bedauerte er in diesem Moment, dass er in der vergangenen Woche einen Mann entlassen hatte, aber es war unumgänglich gewesen. Faulheit konnte er nicht akzeptieren. Dafür arbeitete er selbst zu hart. Nur weil sein Bankkonto ein paar Nullen mehr aufwies als das der meisten anderen Menschen, hieß das nicht, dass er nicht mit anpackte.

Josh nickte. „Ist alles in Ordnung mit der Lady?“

Unwillkürlich musste Colt daran denken, wie sie nach „Mr. Elliott“ gefragt hatte. Sie schien keine hohe Meinung von ihm zu haben, und er war nicht bereit gewesen, ihr zu sagen, wer er war, solange er nicht wusste, was sie wollte. Einer der Vorzüge, auf der Ranch mitzuarbeiten, war, dass man ihn für einen schlichten Cowboy halten konnte, auch wenn er der Besitzer war – zusammen mit seinen drei Brüdern.

Er bemühte sich, immer alles unter Kontrolle zu haben. Da er Annabelle in dem Glauben gelassen hatte, er sei einfach nur ein Cowboy, blieb ihm Zeit, sich zu überlegen, wie er mit der Situation umgehen sollte.

Sie sagte, sie sei auf die Ranch zurückgekehrt, und er hatte sehr wohl bemerkt, wie sie dabei seine Brust angestarrt hatte. Vielleicht war ein lockerer Flirt das Gebot der Stunde. Oder sollte er sie gar verführen?

Colt bestieg den Hengst und lenkte ihn zum Stall, während Josh sich das Werkzeug holte, um den Zaun zu reparieren. Okay, Annabelle mochte finanziell vielleicht etwas beschlagener sein als ihr Vater, aber das änderte nichts an den Tatsachen: Die Dokumente, die Neil Carter unterschrieben hatte, ohne sie durchzulesen, waren absolut legal und bindend.

Colt wollte das Land schon seit Jahren haben. Im Vergleich zu seiner war die Farm der Carters mit ihren zweihundert Hektar zwar nicht groß, aber ihm schwebte vor, dort eine Ferienranch einzurichten. Das Haus der Carters war ideal, um Gäste unterzubringen.

Das Ganze war ein Traum seines Vaters gewesen. Er wollte Feriengästen das Leben auf einer Ranch nahebringen, aber er war nie über das Planen hinausgekommen. Inzwischen litt Grant Elliott unter Demenz, sodass es Colt überlassen war, die Idee seines Vaters umzusetzen. Und dabei sollte ihm nichts im Wege stehen. Nicht einmal die sexy Ms. Carter.

Nachdem er Sattel und Decke verstaut hatte, machte er sich daran, den Hengst zu striegeln. Plötzlich hatte er einen Geistesblitz. Er würde Annabelle eine Chance geben, die Schuld zu begleichen. Es blieben noch sechs Raten. Nur noch drei Monate standen zwischen ihm und seinem Ziel. Vielleicht war Annabelle daran interessiert, die Schulden abzuarbeiten. Er würde ihr ein Angebot machen, das sie nicht ausschlagen konnte.

Colt klopfte dem Hengst die Flanken. Während er die Arbeit beendete, nahm sein brillanter Plan Form an. Er hatte nicht die Absicht, seine Ansprüche auf das Land wieder aufzugeben. Neil Carter musste seine Lektion lernen. Immerhin schuldete er ihm weit mehr als diese Summe, aber das musste Annabelle nicht wissen.

Eine so schöne Frau hier auf der Ranch zu haben konnte etwas Abwechslung ins Leben bringen. Sie hatte Temperament und Pep, und er bewunderte ihre Entschlossenheit.

Colt pfiff vor sich hin, als er ins Haus ging. Das Hinken, das vom Unfall zurückgeblieben war, störte ihn heute nicht. Manchmal hatte er Schmerzen, aber im Moment waren seine Gedanken woanders …

Er begab sich in sein Schlafzimmer im zweiten Stock, um sich auf ein sehr wichtiges Treffen vorzubereiten. Das Land war bereits seins, nun sollte ihm auch noch die Frau gehören.

Colt Elliott bekam immer, was er wollte.

2. KAPITEL

Der Mann trieb sie in den Wahnsinn!

Zum zweiten Mal an diesem Tag fand sich Annabelle auf dem Anwesen von Colt Elliott ein, obwohl ihr daran gelegen gewesen war, das Treffen bei sich abzuhalten. Schließlich hätte sie in ihrem Haus so etwas wie einen Heimvorteil gehabt. Aber Colts Assistent – oder wer auch immer es gewesen war, der sie angerufen hatte – hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass Colt zwar bereit war, sich mit ihr zu treffen, allerdings auf der Pebblebrook Ranch, und zwar um Punkt sieben Uhr. Sollte sie damit nicht einverstanden sein, hätte sich das Thema erledigt.

Ein schrecklicher Mann! Obwohl sie ihm noch kein einziges Mal begegnet war, hasste sie die Luft, die er atmete.

Wie auch immer. Sie musste es hinter sich bringen. Je eher sie Colt dazu brachte, ihren Vorstellungen zuzustimmen, desto besser. Mit etwas Glück sah er ein, dass diese neue Vereinbarung Vorteile für sie beide brachte. Sie würde nicht eher gehen, als bis sie etwas in der Hand hatte, auf das sie ihre Hoffnung setzen konnte. Schließlich war sie gerade mal vierundzwanzig und wollte nicht vor einem riesigen Scherbenhaufen stehen.

Sie war jetzt Mutter zweier süßer kleiner Zwillingsmädchen. Im Moment kümmerte sich ihr Vater um sie. Er musste den Babysitter spielen, wenn sie wieder einen Job fand. Zwar mochte er verantwortungslos sein, wenn es um Geld ging, nicht jedoch, wenn Kinder betroffen waren. Außerdem konnte sie sich keinen fremden Babysitter leisten – schon gar nicht für zwei Kinder.

Zuerst einmal musste sie die Sache mit diesem Kredit regeln, dann konnte sie sich um einen neuen Job bemühen. Irgendetwas würde sich in der Stadt schon finden. Sie war nicht wählerisch.

Nervös strich Annabelle das grüne Sommerkleid glatt und atmete tief durch. Ihre innere Anspannung ließ nicht nach. Dennoch gab sie sich einen Ruck und klingelte. Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, in die Höhle des Löwen eingelassen zu werden.

Das Haus war so riesig, dass es schon etwas Furchteinflößendes hatte – genau wie die hölzerne Brücke, die über einen Bach zwischen Auffahrt und Haus führte.

Der Mann saß förmlich in einer Burg, umgeben von einem Burggraben, und hielt Hof. Insgeheim wünschte sie sich, jemand würde ihn einmal von seinem hohen Thron herunterholen. Annabelle schluckte. Offensichtlich hatte sich ein riesiger Haufen ungesunder Aggressionen in ihr aufgestaut, die alle den Namen Colt Elliott trugen.

Dazu kam noch der Zorn auf ihren Vater, der sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte. Glücklicherweise hatte er ihr versichert, er habe sich das Ganze schriftlich geben lassen und es sei von einem Notar beglaubigt worden. Nur gut, dass er die Vereinbarung nicht auf althergebrachte Weise mit einem Handschlag besiegelt hatte. Annabelle vertraute Colt Elliott gerade einmal so weit, wie sie ihren Kühlschrank werfen konnte, und keinen Millimeter weiter.

Die Doppeltür ging auf, und ein älterer Mann stand vor ihr. „Kommen Sie herein, Ms. Carter. Mr. Elliott erwartet Sie.“

Sie trat über die Schwelle – und musste einen Aufschrei unterdrücken. Wenn sie schon das Äußere des Hauses beeindruckend gefunden hatte, dann war das Innere es umso mehr. Der Eingangsbereich gewährte einen Blick bis hinauf in den zweiten Stock. Beide Etagen verfügten über einen offenen Gang, der von der einen Seite zur anderen reichte, sodass man von oben das ganze Foyer überblicken konnte.

Annabelle hatte das Gefühl, dass Colt gern von oben auf die Menschen herabsah, um sie kleinzumachen. Nun gut, er mochte ihren Vater ausgenutzt haben, aber jetzt hatte er es mit ihr zu tun. Sie wollte ganz genau wissen, wieso er ihrem Vater das Geld geliehen hatte. So etwas tat niemand einfach nur, um nett zu sein.

„Ich bin Charlie.“ Der ältere Mann verbeugte sich leicht. „Wenn Sie mir bitte folgen würden, ich bringe Sie zu Mr. Elliott.“

Annabelle fuhr fort, die Schönheit des Hauses in sich aufzunehmen, und bemühte sich, nicht neidisch zu sein. Das beruhigende Geräusch plätschernden Wassers zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, als sie am Wohnbereich vorbeikam. Wer, um alles in der Welt, hatte einen Wasserfall in seiner Wohnung? Natürlich. Menschen, die Geldzählen zu ihrem Hobby gemacht hatten.

Annabelle unterdrückte ihren Frust. Es ging jetzt um Wichtigeres. Was hatte es für einen Sinn, über den Reichtum dieser Familie nachzudenken, wenn sie gerade alles verloren hatte? Aber sie hatte ein klares Bild von ihrer Zukunft. Sobald sie die Probleme ihres Vaters gelöst hatte, wollte sie neu durchstarten. Es ging jetzt nicht mehr länger nur um sie selbst, sondern auch um ihre beiden süßen kleinen Mädchen.

Charlie führte sie durch ein wahres Labyrinth, und sie fragte sich, ob sie je wieder den Weg hinaus finden würde. Endlich blieb er vor einer großen Tür stehen und klopfte kurz an, bevor er sie aufzog.

„Sir, Ms. Carter ist hier.“ Charlie trat mit einer leichten Verbeugung zurück, um wieder im Labyrinth der Gänge zu verschwinden.

Annabelle drückte die Schultern durch und betrat ein geräumiges Büro. Eine ganze Wand wurde von Fenstern eingenommen, die einen Blick über das Land gewährten. Suchend sah Annabelle sich um.

„Sie!“, entfuhr es ihr, als sie den Cowboy vom Morgen entdeckte.

Colt hatte recht gehabt. Sie war genauso atemberaubend wie in seiner Erinnerung. Das leuchtend rote Haar. Die großen grünen Augen. Ein schlichtes Make-up. Ein grünes Kleid, das sie sicher praktisch fand – er hingegen verführerisch. Wie lange würde er brauchen, jeden dieser winzigen Knöpfe zu öffnen?

„Sie haben gelogen!“, beschuldigte sie ihn, ohne auch nur einen Schritt näher zu kommen.

Colt lehnte sich gegen den Schreibtisch, der bereits seinem Vater und seinem Großvater gehört hatte. „Ich habe nicht gelogen“, widersprach er. „Ich habe gesagt, Mr. Elliott habe zu tun. Und das stimmte. Ich hatte gerade den Hengst bewegt und musste ihn striegeln und füttern.“

Ihm entging nicht, wie sie ihn musterte. Sollte sie nur. Wenn sich alles entwickelte wie geplant, dann hatte sie noch mehr als genug Gelegenheit, ihn nicht nur mit Blicken zu erkunden.

„Wieso wollten Sie mich sprechen?“ Er war neugierig, wie sie ihre Probleme lösen wollte. Dann konnte er ihr seinen eigenen Plan präsentieren.

„Im Hemd hätte ich Sie kaum wiedererkannt.“

Aha. Ms. Annabelle zeigt ihre Krallen. Das mochte er an einer Frau, besonders wenn sie diese Krallen in seinen Rücken drückte. Aber im Moment sollten Worte ihm genügen.

„Falls Sie möchten, dass ich es ausziehe, will ich das gern tun.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das Einzige, was mich interessiert, ist die Vereinbarung, die Sie mit meinem Vater getroffen haben.“

„Nicht meine erste Wahl bei der Begegnung mit einer schönen Frau.“ Colt richtete sich auf. Wenn es denn sein musste, war er bereit, zuerst einmal diesen Punkt abzuhaken. „Die Vereinbarung ist simpel, wie er Ihnen sicher erzählt hat. Ich habe seinen Kredit getilgt, und nun schuldet er mir das Geld. Er muss noch sechs Raten zahlen. Ich berechne keine Zinsen.“

„Wie nett von Ihnen“, bemerkte sie trocken.

Colt zuckte die Schultern. „Das fand ich auch.“

Annabelle trat auf ihn zu – so nah, dass er die verschiedenen Grüntöne ihrer Iris erkennen konnte. Ein Grün, in dem ein Mann sich verlieren konnte. Nicht er, aber jeder andere. Colt hatte nur rein physische Beziehungen, nicht mehr.

„Von jetzt an haben Sie es mit mir zu tun.“

Oh, das wollte er doch hoffen!

„Ich werde die Zahlungen übernehmen, aber dafür müssten Sie mir ein paar Wochen Zeit geben, bis ich einiges geregelt habe. Ich habe im Moment keinen Job, da ich früher als erwartet nach Stone River zurückgekehrt bin.“ Ihr Blick war traurig. „Unsere Ersparnisse sind … Aber das muss Sie nicht interessieren. Ich habe heute Nachmittag schon ein paar Telefonate geführt und bin sicher, bald einen Job zu bekommen.“

Sie hätte ihm nicht besser in die Hände spielen können. Er wollte ihr gerade seinen brillanten Plan erklären, als sie die Hand hob.

„Falls Sie mir zu Anfang zwei Wochen Aufschub geben können, zahle ich Ihnen gern Zinsen – auch wenn die nicht vereinbart waren.“ Annabelle presste die Lippen aufeinander. „Ich habe Pläne für meine Zukunft, Sie dürfen also sicher sein, dass ich die ganze Sache nicht mehr als nötig in die Länge ziehen möchte.“

Colt bewunderte ihre Entschlossenheit. Schließlich wusste er nur zu gut, wie es war, sich ein Ziel zu stecken und darauf hinzuarbeiten. Er hatte sein ganzes Leben lang nichts anderes getan. Der Traum von der Ferienranch, den er mit seinem Vater teilte, war nur das letzte Puzzleteil, das ihm noch fehlte.

Auf dem Weg dorthin hatte es einige Rückschläge gegeben. Natürlich hatte Colt nicht erwartet, dass sein Vater an Demenz erkranken und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung brauchen würde. Ebenso wenig hatte er damit gerechnet, sich einen Hüftknochen zu brechen, während er dabei half, einen Stall zu reparieren, nachdem ein Tornado im vergangenen Jahr über das Land gefegt war. Seine Brüder hatten ihm sofort vorgehalten, er brauche keinen Finger zu rühren, weil sie Kräfte dafür eingestellt hatten, aber Colt liebte körperliche Arbeit – genauso wie diese Ranch. Und er war nicht bereit, sich von irgendjemandem – nicht einmal von seiner sexy Nachbarin – daran hindern zu lassen, seine Pläne voranzutreiben.

„Hier ist der Deal.“ Er trat einen Schritt auf sie zu, und sie hob den Kopf, sodass ihre Blicke sich trafen. „Sie zahlen pünktlich auf die Minute, so wie ich es mit Ihrem Vater vereinbart habe. Zahlen Sie zu spät, gehört das Land mir.“

Es würde letztlich ohnehin ihm gehören, aber sollte sie einen Zahlungstermin versäumen, erreichte er sein Ziel noch früher.

„Bis gestern Abend hatte ich keine Ahnung von diesem Deal. Ich bin noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden wieder hier. Ich brauche ein wenig Zeit, um einen Job zu finden, bevor die erste Rate fällig wird. Es kann doch nicht sein, dass Sie derart hartherzig sind.“

Für einen Moment verspürte er so etwas wie Mitleid, aber er wollte ihr ja die Hand zur Hilfe reichen – ob sie sie annahm oder nicht, war dann ihre Sache. Auf jeden Fall war er letztlich der Sieger.

„Durchaus nicht.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das schon manche Frau hatte niederknien lassen – im wahrsten Sinne des Wortes. „Ich habe einen Job für Sie. Direkt hier auf Pebblebrook.“

Einen Moment herrschte Schweigen, während er auf ihre Antwort wartete. Sie wussten beide, dass er alle Trümpfe in der Hand hatte. In ihr arbeitete es sichtlich, als sie ihn mit wütenden Blicken maß. Ihr Widerstand war unglaublich sexy.

Ob sie nun zustimmte oder nicht – er würde diese Frau in seinem Bett haben. Im Geiste sah er vor sich, wie sich das rote Haar über seine dunkelblauen Laken ergoss. Aber die Verführung musste erst einmal warten. So lange, bis Annabelle nicht mehr drohte, ihn mit Blicken zu durchbohren.

„Ich möchte nicht mal wissen, welche Position Sie mir zugedacht haben.“

Colt lachte. Bei ihrer bissigen Bemerkung fühlte er sich so lebendig wie schon seit Langem nicht mehr. „Ich mag Sie.“

„Und ich hasse Sie.“

Er zuckte die Schultern. „Sie sind das Ying zu meinem Yang. Klingt doch ganz so, als würden wir uns im Stall perfekt ergänzen.“

„Im Stall?“ Sie hob eine Braue.

„Mir fehlt gerade ein Cowboy, und Sie brauchen einen Job. Sie können morgen anfangen. Ihren Lohn verrechne ich mit dem Kredit.“

Annabelle schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht Vollzeit arbeiten, weil ich noch andere Verpflichtungen habe. Der Job muss mir Flexibilität garantieren.“

„Wie ich das sehe, haben Sie keine Wahl. Falls diese anderen Aufgaben Sie stören, sollten Sie sie schnellstmöglich aufgeben.“

„Das geht nicht. Ich bin bereit, hier zu arbeiten, aber Sie müssen akzeptieren, dass ich auch andere Verpflichtungen habe. Ich kann immer nur ein paar Stunden am Stück arbeiten.“

Colt überlegte. An sich war es nicht seine Art, sich auf solche Vorstellungen einzulassen, aber er musste zugeben, dass die neue Nachbarin ihm gefiel.

„Also gut. Ich hole Sie morgen früh um sieben ab.“

„Ich kann selbst fahren.“

„Falls Sie meinen Zaun noch einmal rammen, muss ich Ihnen die Reparaturkosten in Rechnung stellen – und Sie stehen ja ohnehin schon bei mir in der Kreide. Die Sache mit dem Abholen ist nicht verhandelbar.“

Er erntete ein wenig damenhaftes Stöhnen und hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Den Seitenhieb mit dem Zaun hatte er sich einfach nicht verkneifen können, aber die Aussicht, jeden Tag ein wenig Zeit mit Annabelle zu verbringen, gefiel ihm.

„Gut“, räumte sie spürbar widerstrebend ein. „Ich werde fertig sein.“

Als sie sich zum Gehen wandte, registrierte er unwillkürlich den leichten Schwung ihres Rocks und stellte sich vor, was darunter sein mochte.

„Oh, eins noch.“ Er wartete, bis sie ihm einen Blick über die Schulter zuwarf. „Ziehen Sie etwas Altes an. Wir machen uns hier schmutzig.“

Sie räusperte sich. „Habe ich schon erwähnt, dass ich Sie hasse?“

„Na, dann kann’s ja nur besser werden“, gab er lächelnd zurück. „Wir sehen uns dann morgen früh.“

3. KAPITEL

„Du musst das nicht tun, Honey.“

Tief atmete Annabelle durch und zählte langsam von zehn an rückwärts. Schließlich sah sie ihren Vater an. Neil Carter stand an der Haustür, und sein Haar war nicht nur vom Schlaf zerzaust. Annabelle hatte nicht erwartet, dass er so früh schon auf sein würde, aber das war typisch für ihn. Er mochte ein Spieler sein, aber er liebte seine Familie. Nach dem Tod ihrer Mutter war er ihr Fels in der Brandung gewesen, aber dann war ihm alles zu viel geworden, und er begann zu spielen. Er litt. Annabelle wusste, dass Trishs Tod vor einigen Wochen ihn ebenso tief getroffen hatte wie sie. Aber im Moment konnte sie sich nur auf eine Krise konzentrieren.

„Ich muss es machen, Dad.“ Jetzt war nicht der richtige Moment, um über ihre Vereinbarung mit Colt zu diskutieren – nicht wenn er jeden Moment vor der Tür stehen konnte. „Du hast mir keine Wahl gelassen, da wir keine andere Möglichkeit haben zu zahlen.“

Ihr Vater hatte seinen Job in der Fabrik einer Nachbargemeinde verloren, weil er nicht pünktlich gewesen war. Es war ihm peinlich gewesen, ihr das zu gestehen, aber da sie nun wieder hier lebte, ließen sich Dinge dieser Art nicht verheimlichen. Wenn sie die Sache wieder in Ordnung bringen sollte, musste sie jede noch so schreckliche Wahrheit kennen.

Ihr Vater fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und starrte an die Decke. „Es tut mir leid, Kleines.“

„Lass gut sein, Dad. Wir schaffen das schon.“

„Ich werde mit Colt sprechen“, schwor ihr Vater und suchte dabei ihren Blick. „Ich kann aufhören mit dem Spielen, Belle. Außerdem suche ich mir einen neuen Job und verdiene auch Geld. Ich weiß, du und …“

„Nein.“ Sie hob die Hand. Er sollte keine Versprechen machen, die er dann nicht halten konnte. „Glaub mir, wir kommen schon durch. Ich werde alles tun, was ich mir vorgenommen hatte – nur eben etwas später.“

Vielleicht in ein paar Jahren. Das Familienleben, das Bed and Breakfast – diese Träume mussten im Moment warten.

Es klingelte. Ihr Vater wandte sich zu der alten Eichentür, aber Annabelle kam ihm zuvor. „Ich gehe schon.“ Beschwichtigend legte sie ihrem Vater die Hand auf die Schulter. „Vielleicht wäre es besser, wenn du jetzt gehst …“

„Aber …“

„Nein. Wir beide werden reden, aber nicht jetzt. Und du wirst nicht mit Colt sprechen. Schließlich hast du schon genug angerichtet.“

Ihr Vater wand sich, aber sie weigerte sich, ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie steckten in der Bredouille, und er war die Ursache für ihre missliche Lage. Allerhöchste Zeit, ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren.

Schließlich nickte er und ging zur Treppe. Annabelle wartete, bis er oben war, bevor sie einmal tief durchatmete und die Haustür öffnete.

Colt stand auf der Veranda, den schwarzen Stetson in der Hand. Es machte fast den Eindruck, als wolle er sie zu einem Date abholen. Zum Teufel mit diesem Mann! Als ob sein Charme und seine Manieren sie nicht sofort auf hundertachtzig gebracht hätten!

Dabei ließ sich nicht leugnen, dass er wirklich eine Augenweide war. Ein schwarzes T-Shirt dehnte sich über seinen breiten Schultern, und die enge Jeans betonte all die richtigen Stellen. Noch nie hatte sie einen attraktiveren Cowboy gesehen. Wäre sie ihm auf der Straße begegnet, hätte sie ihn niemals für einen milliardenschweren Rancher gehalten, der sich fremden Grundbesitz unter den Nagel riss, während er nichts ahnende Frauen mit seinem Charme bezirzte. Es war mehr als eindeutig, dass er ganz eigene Pläne für das Land ihrer Familie hatte …

Unverhohlen musterte Colt sie, während sie sich zwang, ihre Nervosität zu verbergen. Ein Mann wie Colt hatte wahrscheinlich jeden Tag eine andere Frau – oder sogar an jedem Arm eine. Zweifellos langbeinige Blondinen mit langem Haar und großen Brüsten, die ihm jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Wahrscheinlich trugen sie auch noch knappe Shorts und dazu sexy Cowgirl-Stiefel.

„Ich sehe, Sie haben sich passend für den Tag angezogen.“

Sie hatte sich für ihre älteste Jeans und ein schlichtes Oberteil entschieden, dazu ein Paar gut getragener Stiefel. Das Haar hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz gebunden. Auf Make-up hatte sie bewusst verzichtet. Sie war hier, um ihr Zuhause zu retten, nicht, um mit ihrem Outfit zu punkten.

Plötzlich hörte Annabelle hinter sich die vertrauten Geräusche, die sie in den vergangenen Monaten lieben gelernt hatte. Ehe sie sich umdrehen und etwas sagen konnte, bemerkte sie Colts verblüfften Blick. Sie wusste, was er sah.

Nicht, dass sie ihm tiefere Einblicke in ihr persönliches Leben gewähren wollte, aber es war ihr doch eine Genugtuung, zu sehen, dass es ihm für einen Moment die Sprache verschlug. Vielleicht war es doch möglich, Colt Elliott von seinem hohen Ross herunterzuholen.

„Wer sind denn die beiden Kleinen?“, fragte er verblüfft.

Annabelle lächelte. „Emily und Lucy. Meine Zwillinge.“

Colt war selten um Worte verlegen, aber Neil mit zwei Miniaturausgaben von Annabelle auf dem Arm zu sehen war doch ein ziemlicher Schock. Sie hatte nicht erwähnt, dass sie ein Baby hatte – oder sogar zwei. Jetzt verstand er, wieso sie auf flexiblen Arbeitszeiten bestanden hatte, und er kam sich vor wie der letzte Idiot.

Zwillinge waren eindeutig eine Belastung. Er sollte es wissen, denn das hatte seine Mutter ihm und seinem Bruder Beau oft genug gesagt. Insgeheim fragte sich Colt, wie Annabelle gleichzeitig arbeiten und sich um zwei kleine Kinder kümmern wollte, aber …

Nein. Er wollte sich nicht in diese Angelegenheit hineinziehen lassen. Für ihn standen nur zwei Themen an: das Geschäft und Annabelle zu verführen.

Aber konnte er sich unter diesen Umständen wirklich an sie heranmachen? War sie liiert? Sie hatte keinen Ring am Finger gehabt und einen potenziellen Ehemann mit keiner Silbe erwähnt. Nicht, dass er sie danach gefragt hätte …

Annabelle ging zu ihrem Vater und gab jedem der Mädchen einen Kuss auf die Wange. Sofort streckte eines der Babys die Hände nach ihr aus, aber Annabelle schüttelte den Kopf.

„Ich komme bald wieder. Ich liebe euch beide.“

Als sie sich abwandte, begann eines der Babys zu quengeln, woraufhin das zweite prompt losweinte. Aber Annabelle drehte sich nicht um, sondern ging weiter.

In jedem Arm ein unglückliches Kind, wich Neil Colts Blick nicht aus. Doch Colt weigerte sich, Gewissensbisse zu haben. Der Mann hatte seiner Familie schweren Schaden zugefügt. Er, Colt, konnte nur hoffen, dass Annabelle das wahre Ausmaß dieses Schadens nie erfuhr.

Er schloss die Tür hinter sich und setzte den Stetson auf. Verstohlen fuhr Annabelle sich mit der Hand über die Augen – als ob er die Spuren ihrer Tränen nicht bemerkt hätte!

„Wo ist der Wagen?“, fragte sie, offensichtlich um Fassung bemüht.

Gut. Ihm lag auch nicht daran, irgendwelche Gefühlen zuzulassen. Wahrscheinlich ein weiterer Bereich, in dem sie sich ähnlicher waren, als er zugeben mochte. Offensichtlich liebten sie beide ihre Familien und waren entschlossen, zu bekommen, was sie wollten.

Aber nur einer von ihnen würde aus dieser Sache letztlich als Sieger hervorgehen – und er verlor nie.

Colt verließ die Veranda und machte sich im Geiste eine Notiz, dass er sie verbreitern wollte, sobald das Haus offiziell ihm gehörte. Auch würde er den Weg von der Auffahrt zum Haus mit Steinplatten auslegen. Er musste sich auf sein Ziel konzentrieren. Das Haus hatte eine solide Grundstruktur, aber Colt wollte es seiner Ranch anpassen. Wenn sie die Anwesen miteinander verbanden und Gäste bewirten wollten, dann mussten alle Häuser denselben Standard aufweisen.

Colt deutete zur Hausseite. „Ich bin nicht mit dem Wagen hier.“

Als sie um die Ecke bog, blieb Annabelle abrupt stehen. „Sie machen Witze.“

Colt schüttelte den Kopf. „Der Hengst brauchte Bewegung, also nehmen wir ihn.“

Annabelle blieb neben Lightning stehen und warf Colt einen empörten Blick zu. „Ich reite nicht mit Ihnen.“

Er sah sich um. „Ich sehe kein zweites Pferd. Oder haben Sie eins?“

Wütend presste sie die Lippen aufeinander. Er wusste sehr gut, dass sie keine Tiere mehr hatten. Ihr Vater hatte sie alle verkauft.

„Ich hasse Sie!“, erklärte sie mit Nachdruck.

Das war deutlich. Aber Colt registrierte auch, wie sie ihn ansah. Vielleicht hasste sie, was er tat, aber als Mann gefiel er ihr – und das sollte ihm nur recht sein. Alles auf das rein Physische zu beschränken hieß, alles unkompliziert zu halten.

Als er ihr in den Sattel helfen wollte, bedachte sie ihn mit einem Blick, der jedem anderen das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Er wich zurück und hob die Hände zum Zeichen, dass er ihr alles Weitere überlassen wollte.

Annabelle stemmte die Arme in die Seiten und starrte den Hengst an, so als erwäge sie ihre Optionen.

„Ich nehme meinen Wagen“, entschied sie.

„Das war nicht abgemacht. Steigen Sie auf.“

Sie ergriff die Zügel. „Kommt es eigentlich auch vor, dass Sie jemanden höflich um etwas bitten?“

„Ich kann sehr höflich sein, Annabelle.“ Er trat näher. Ihre Pupillen wurden weit, als er die Hand auf ihre legte. „Steigen Sie auf, oder ich bin gezwungen, Ihnen zu helfen wie der Gentleman, zu dem mein Vater mich erzogen hat.“

Sie entzog ihm ihre Hand und schwang sich auf den Rücken des Pferdes. „Ich kenne Ihre Brüder nicht, aber Sie sind ganz eindeutig kein Gentleman.“

Lächelnd schob Colt den Fuß in den Steigbügel und setzte sich hinter Annabelle. Ihr Po befand sich zwischen seinen Schenkeln, und er fing an, seine eigenen Motive in Frage zu stellen. Er hatte diese Zeit allein mit ihr gewollt, suchte eine Gelegenheit, um sie zu verführen. Die Idee mit dem gemeinsamen Ritt war ihm erst später gekommen.

Dabei hatte er allerdings nicht erwartet, dass sie das Ruder an sich reißen würde. Er war nicht davon ausgegangen, dass nicht er sie, sondern sie ihn verführen würde – auch wenn sie sich dessen nicht bewusst war.

Die letzte Frau, der er Macht über seine Gefühle gegeben hatte, hatte ihm das Herz gebrochen. Colt verdrängte die Gedanken an seine Ex und griff um Annabelle herum nach den Zügeln.

„Entspann dich.“ Eine leichte Bewegung der Zügel ließ Lightning lostraben. „Wir reiten nur nach nebenan.“

Unbewusst war er zum vertrauten Du übergegangen. Sie registrierte es, sagte aber nichts dazu. Irgendwie war es unter den Umständen nur natürlich.

Der Ritt würde mehrere Minuten dauern, da zwischen ihren Häusern große Felder lagen. Er war zudem entschlossen, den etwas weiteren Weg zu nehmen.

„Wieso nimmst du diese Richtung?“, fragte sie, während ihr Pferdeschwanz im Wind wehte und ihn am Hals kitzelte. Ein leicht blumiger Duft ihres Shampoos stieg ihm in die Nase und turnte ihn an.

„Du kennst dieses Land nur von eurer Seite“, erklärte er. „Ich möchte dich mit Pebblebrook vertraut machen.“

„Ich dachte, ich soll nur im Stall arbeiten und die Boxen ausmisten …“

„Natürlich, das wirst du auch.“ Er lachte. Sie hasste ihn wirklich, aber es war nur ein feiner Grat zwischen Hass und Lust. Zu gegebener Zeit würde er ihren Widerstand brechen. „Du wirst aber auch mit mir auf den Feldern arbeiten, daher solltest du dich auskennen. Bei zweitausend Hektar kann man leicht die Orientierung verlieren, auch wenn du mit mir zusammenarbeitest.“

Sie ließ die Schulter sinken. Es war nur eine kleine Bewegung, aber da er ihr so nah war, nahm er es genau wahr.

„Und was passiert am Ende?“ Sie sprach nur leise, klang fast geschlagen. „Dann wirst du uns unseren Besitz einfach zurückgeben und dich als Held feiern lassen, weil du uns einen schönen Tag beschert hast?“

„Ich lasse mich nicht feiern.“ Ihr Körper berührte seinen, während er ihr ins Ohr flüsterte. Er hatte nicht die Absicht, ihre Frage offen zu beantworten. „Ich habe meine Gründe, aber darüber müssen wir jetzt nicht reden.“

Annabelle fuhr herum. „Ich wusste, dass du das alles nicht einfach aus christlicher Nächstenliebe tust.“ Sie sah wieder nach vorn. „Wieso spielst du Spielchen mit uns?“

„Ich bin kein Bastard, Annabelle.“ Das würde sicher nicht jeder unterschreiben. „Ich gebe deinem Vater eine Chance, sich zu rehabilitieren. Zwar glaube ich nicht, dass ihm das gelingt, aber jeder hat eine zweite Chance verdient.“

„Du hast nicht damit gerechnet, dass ich nach Hause komme.“

„Eine kleine, aber nicht unerfreuliche Überraschung“, bestätigte er, während sie sich der Grenze zwischen den beiden Anwesen näherten.

„Das ist kein Spaß, Colt.“ Sie warf ihm einen durchdringenden Blick über die Schulter zu. „Du spielst mit unserem Leben, mit meinen Träumen.“

Sein Vater hatte auch Träume gehabt, und Colt würde sie verwirklichen, ganz gleich, welche Schönheit sich ihm in den Weg stellen mochte. Zuerst das Geschäft, dann die Verführung – nichts anderes zählte.

„Mir ist schon klar, worum es geht“, hielt er dagegen. „Auch ich habe meine Visionen.“

„Wie sehen die aus? Mit dem Leben anderer zu spielen und Geld zu horten?“

Er konnte verstehen, warum sie so zornig war. An ihrer Stelle würde es ihm nicht anders gehen. Aber er hatte sich nie in eine vergleichbare Lage gebracht. Sein Land war sein Leben. Schon als kleiner Junge hatte er gewusst, dass das Leben auf der Ranch das Einzige war, was für ihn in Frage kam. Seine Brüder hatten andere Wege eingeschlagen, aber Colt hatte sich mit dem Land verbunden gefühlt. Und ja, es stimmte: Geld war ein schönes Nebenprodukt des Lebensstils, den er liebte.

Die Elliott-Brüder waren im Luxus groß geworden. Sie taten alle das, was sie liebten, aber sie hatten auch jeder ein schönes Erbe von ihrem Großvater bekommen. Doch trotz ihres Reichtums arbeiteten sie hart.

„Du bist nicht die Einzige, die Träume hat“, bemerkte er, während er Lightning zum Haus seines Bruders lenkte, das am weitesten vom Haupthaus entfernt war. „Das Blockhaus dort drüben gehört Nolan.“

Seine Familie mochte ihr einerlei sein, aber sie würde für ihn arbeiten, und er nahm die Ranch sehr ernst. Und ganz unabhängig davon, dass er sie begehrte, musste sie die Arbeit tun, für die er sie eingestellt hatte.

Als sie nichts sagte, fuhr er fort: „Er ist der Älteste von uns. Eigentlich ist er Chirurg, hilft aber gelegentlich auf der Ranch aus. Seine Zeit ist begrenzt.“

„Er scheint nett zu sein.“

Colt stimmte ihr zu, auch wenn ihm klar war, dass sie versuchte zu sticheln. „Ich habe noch einen weiteren Bruder – Hayes. Er ist bei der Armee.“

„Wow. Zwei Brüder, die anderen helfen. Dann du, der die anderen bestiehlt. Aber wir haben noch nicht über deinen Bruder gesprochen, der beim Film ist.“

„Das ist mein Zwillingsbruder Beau. Er kommt nur selten nach Hause. Die Ranch war nie seine Welt.“

Beau und Colt waren selten bei irgendetwas einer Meinung, aber sie hatten eine besondere Verbindung. Colt liebte Beau, auch wenn er sich wünschte, er wäre öfter zu Hause. Offenbar war ihm der Ruhm wichtiger als die Familie.

„Klingt ganz so, als hätten die drei klügere Lebensentscheidungen getroffen.“

Colt hatte sich im Laufe der Jahre abgehärtet. Bei einem Rancher ging das nicht anders. Aber er hatte nicht die Absicht, seine Integrität in Frage stellen zu lassen – oder die Bestimmung, die er für sich gefunden hatte.

„Mein Großvater hat das erste Haus auf Pebblebrook gebaut – das, in dem Hayes wohnt, wenn er daheim ist. Dann hat er alles meinem Vater vererbt, der das Haus gebaut hat, in dem ich lebe. Wir arbeiten alle hart, Annabelle. Wir tun das, was wir lieben, und verdienen gutes Geld damit. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss.“

Erneut traf ihn ein Blick ihrer grünen Augen. „Mag sein, aber es gibt anderes, wofür du dich schämen solltest.“

Vielleicht. Vielleicht war er nicht besser als ihr Vater, der sie in diese Lage gebracht hatte. Colt wollte nicht auf die Gründe eingehen, die ihn dazu bewogen hatten, Neil den Kredit zu gewähren. Offensichtlich ahnte Annabelle, dass er ein Motiv hatte. Das sollte im Moment genügen. Ein kluger Geschäftsmann legte nicht gleich alle Karten auf den Tisch.

4. KAPITEL

Annabelle hasste es, zusammen mit Colt auf dem Pferd zu sitzen. Gut, rein körperlich genoss sie den Ritt, aber diese rein physische Reaktion hatte nichts zu bedeuten. Was war schon dabei, dass sein Körper perfekt zu ihrem passte? Und dass sein Atem ihr Ohr kitzelte und seine Stimme sie ein ums andere Mal erschauern ließ? Damit konnte sie umgehen. Sie hatte größere Probleme als die unerwünschten Reaktionen ihres Körpers.

Colt schien in mancher Hinsicht ein ganz normaler Mann zu sein. Wenn er über seine Familie sprach, wurde die Liebe deutlich, die er für sie empfand. Die Liebe, die sie ihrer eigenen Familie entgegengebracht hatte, war in tausend Teile zersprungen, und jetzt musste sie die Scherben einsammeln und versuchen, sie wieder zusammenzusetzen.

Die Zwillinge waren der einzige Lichtblick in diesem Chaos, und Annabelle war fest entschlossen, sie vor den Sorgen zu beschützen, die ihr Leben zurzeit bestimmten. Ihre Mädchen würden ein stabiles Familienleben kennenlernen. Vielleicht nicht das einer normalen Familie, wie sie sie gern gehabt hätte, aber was war heutzutage schon normal?

Plötzlich schlugen ihre Gedanken eine neue Richtung ein. Die Schauer, die jedes Mal ihren Körper überliefen, wenn Colt sie berührte, konnte sie nicht ignorieren. Sie fühlte seine breite starke Brust an ihrem Rücken, während seine Arme neben ihren lagen und die Zügel hielten. Seine Haut war gebräunt, ihre blass. Offensichtlich waren sie in so gut wie jeder Hinsicht vollkommen gegensätzlich.

Colt Elliott war ein atemberaubender Mann, das ließ sich nicht leugnen. Gleichzeitig war er arrogant und das Zusammensein mit ihm in höchstem Maße frustrierend.

„Das mit deiner Schwester tut mir leid.“ Colts Worte, die durchaus aufrichtig klangen, holten sie in die Gegenwart zurück. „Ich weiß, du willst das nicht von mir hören, aber ein Familienmitglied zu verlieren ist immer hart.“

Und noch härter, wenn dabei auch noch Betrug im Spiel war!

Sie wollte weder sein Mitgefühl noch seine freundlichen Worte. Schließlich konnte – und wollte – sie es sich nicht leisten, ihm auch nur den Hauch eines positiven Charakterzugs zuzuschreiben. „Ich mache mir mehr Sorgen um meinen Vater und darum, wie er mit dem Verlust fertigwird.“

„Bist du deswegen zurückgekommen?“

Annabelle schluckte. „Das war einer der Gründe. Mein Verlobter und ich hatten Pläne, aber …“ Sie wollte nicht weiter darüber sprechen, wie ihr das Leben im Laufe der vergangenen Monate um die Ohren geflogen war.

„Ich wusste nicht, dass du verlobt bist.“

Sie verspürte einen Stich im Herzen, der aber nicht daher rührte, dass sie geglaubt hatte, Matt sei der Richtige für sie. Wenn sie jetzt zurücksah, begriff sie, dass sie weniger in den Mann verliebt gewesen war als vielmehr in die Idee, verliebt zu sein. Sie wollte Ehefrau und Mutter sein, nach Stone River zurückkehren und ihr Bed and Breakfast eröffnen.

„Mein Verlobter spielt keine Rolle mehr.“

Trotz der warmen Morgensonne erschauderte sie. Der Schmerz, der Verlust, das Vertrauen, das sie einmal zu Menschen gehabt hatte, die sie liebte, und das so schändlich missbraucht worden war – das war alles zu viel. Das Thema war ihr unerträglich.

„Was hast du gesagt? Wie viele Hektar hat die Ranch?“

„Gut zweitausend. Wir haben drei Wohnhäuser – für mich, Nolan und Hayes, wenn er einmal hier ist. Dazu gehören sieben Seen und acht Ställe.“

Annabelle musste zugeben, dass sie neidisch war. Nicht, dass sie einen großen Besitz wie Pebblebrook hätte haben wollen. Sie wäre schon damit zufrieden gewesen, ein Bed and Breakfast zu führen. Nein, sie war neidisch darauf, dass Colt offensichtlich schon von Kindesbeinen an gewusst hatte, was er wollte, und dass er alles erreicht hatte. Gut, das Gros hatte er geerbt, aber er hatte sich seines Erbes würdig erwiesen und die Ranch weiter vorangebracht.

Zorn stieg in ihr auf. Er war schwerreich, und doch wollte er immer noch mehr. Kampflos würde sie sich nicht geschlagen geben. Der Traum vom eigenen Bed and Breakfast und ihr Elternhaus waren alles, was sie hatte, um aus ihrem Leben etwas zu machen und Emily und Lucy ein gesichertes Leben bieten zu können. Was auch immer Colt in Bezug auf ihr Land für Pläne hatte – die konnte er getrost vergessen.

„Hast du vor, mehrmals täglich mit mir hin und her zu reiten?“ Sie hasste es, ihm einen Blick über die Schulter zuzuwerfen, weil sie dann jedes Mal die sexy Bartstoppeln auf seinem Kinn sah und diese unglaublichen blauen Augen. Abgesehen davon, dass die Bewegung des Pferdes ihre Körper aneinanderdrückte. Es schien fast so, als sei der Mann wie geschaffen dafür, sie um den Verstand zu bringen.

Immer wieder musste sie daran denken, wie er ohne Hemd ausgesehen hatte. Colt Elliott war zu einem Objekt ihrer geheimsten Fantasien geworden. Nicht, dass er es je erfahren würde …

„Falls ich keine Zeit habe, werde ich Ryan oder Josh bitten, dich zu fahren. Sie genießen mein uneingeschränktes Vertrauen.“

„Es ist nur eine kurze Strecke, Colt.“

Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. „Sie sind beide verheiratet.“

„Nur weil sie verheiratet sind, heißt das nicht, dass sie auch treu sind.“ Sie hasste die Bitterkeit, die in ihrem Ton mitschwang. „Und ich kann selbst auf mich aufpassen. Ich arbeite für dich und bin nicht die kleine Schwester, auf die du achtgeben musst.“

„In Anbetracht meiner Gedanken ist es nur gut, dass wir nicht verwandt sind“, erwiderte er lachend.

Annabelle spürte, wie ihr Puls raste. „Du wirst nicht mit mir flirten, Colt“, fuhr sie ihn an. „Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass die Zahlungen pünktlich erfolgen, damit ich mein Haus behalten kann. Also, was auch immer du denkst – behalt es für dich!“

„Jeder meiner Gedanken würde dir gefallen“, raunte er ihr ins Ohr.

Die leichte Berührung seiner Lippen löste einen Schauer prickelnder Erregung in ihr aus. Wie konnte sie ihn hassen und sich gleichzeitig derart heftig zu ihm hingezogen fühlen? Dieser Mann stand zwischen ihr und ihrer einzigen Chance auf eine stabile Zukunft.

Nein, ihr Vater war es, der ihr im Weg stand. Colt war nur ein zusätzliches Hindernis, das sie überwinden musste. Sie wollte wirklich nicht verbittert klingen, aber bisher hatte noch jeder Mann in ihrem Leben sie im Stich gelassen. Wieso sollte sie von Colt etwas anderes erwarten?

Außerdem versuchte er vermutlich einfach nur, sie zu verunsichern, was ihm auch gelang. Sie musste sich fortan besser konzentrieren – und er musste sein Hemd anbehalten.

„Wir sollten uns einfach an die Arbeit halten“, schlug sie vor, als sie sich einem großen Stallgebäude näherten.

Beim Anblick des steinernen Torbogens, der in den Gang der Pferdeboxen führte, unterdrückte sie einen Ausruf der Bewunderung. Das Holz der Boxen schien alt, aber auf diese unaufdringlich teure Art. Eine kleinere Luke in der Decke führte zweifellos zum Heuboden.

Unwillkürlich fragte sich Annabelle, wie viele Frauen Colt in diesem romantischen Ambiente schon verführt haben mochte. Sie schwor sich, keine von ihnen zu werden. Schließich war sie nicht naiv. Sie wusste, dass er Interesse an ihr hatte, aber sie und ihr Verlobter hatten nicht miteinander geschlafen, und mit Sicherheit würde sie sich auch nicht von Colt Elliott dazu verleiten lassen.

„Das sind die Boxen für unsere älteren Pferde. Wir haben zwei Stuten und drei Hengste hier. Ryan kümmert sich um diese Tiere.“

In diesem Moment kam ein Mann im karierten Hemd heraus. Er führte einen prächtigen schwarzen Hengst am Zügel.

Sofort lenkte Colt Lightning zu ihm hinüber. „Ryan, das ist Annabelle Carter“, sagte er. „Sie wird vorübergehend mit mir zusammenarbeiten.“

„Ma’am.“ Ryan tippte sich an die Krempe seines Stetsons. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Colt, der Architekt hat angerufen. Du sollst ihn zurückrufen, sobald du Zeit hast.“

„Mache ich. Heute Nachmittag“, versprach Colt.

Jedes Mal, wenn er etwas sagte, spürte sie die Vibrationen seiner Brust an ihrem Rücken. Diese Situation hatte etwas viel zu Intimes an sich. Die Art, wie sie so perfekt zwischen seine Schenkel passte, wie ihr heiß wurde – und das nicht von der Sonne. Die Art, wie er sie ansah, so als würde er sie am liebsten verschlingen.

Sie war überzeugt, dass er sich ganz bewusst dafür entschieden hatte, gemeinsam mit ihr auf einem Pferd zu reiten, um sie noch weiter zu verunsichern. Davon abgesehen schien er großen Respekt bei seinen Angestellten zu genießen, denn Ryan zuckte beim Anblick des personellen Neuzugangs und der Art, wie er hier erschien, nicht einmal mit der Wimper.

„Außerdem hat Monty vom Futtermittelhandel angerufen. Unsere Lieferung kommt gegen zwei Uhr heute Nachmittag.“

„Wir bringen sie auf der Westseite unter. Sag Josh Bescheid. Wir können jede Hand gebrauchen.“

Ryan nickte noch einmal und zog an den Zügeln seines Pferdes. „Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Ma’am.“

Dann schwang er sich in den Sattel und verschwand auf der anderen Seite des Stalls.

„Er scheint sehr nett zu sein. Erstaunlich, dass ihr miteinander auskommt.“

„Du verletzt meine Gefühle, Belle.“

Sie verzog das Gesicht. „Nenn mich nicht so.“

„Was ist dir lieber? Annabelle passt zu dir, ist aber ziemlich lang. Außerdem hätte ich gern meinen eigenen Namen für dich.“

„Wie wär’s mit Ms. Carter? Eigentlich musst du mich ja auch gar nicht anreden.“

Sein leises Lachen löste eine ganze Serie unerwünschter Reaktionen in ihr aus.

„Ach, komm schon, Belle. Das ist doch keine Art, deinen ersten Arbeitstag zu beginnen.“

Sie umklammerte den Sattelknauf und zwang sich, ein paarmal tief durchzuatmen. „Ich wollte mir einen anderen Job suchen. Jeder andere wäre mir offen gestanden lieber gewesen. Ich brauche einfach nur ein wenig Zeit, bis ich den ersten Lohnscheck bekomme.“

„Ich kann dir Zeit geben, aber dann verlierst du dein Land.“

„Ist das nicht ohnehin dein Ziel? Zu erleben, wie mein Vater und ich scheitern? Ich bin nicht naiv, Colt. Mir ist klar, dass du irgendwelche Pläne für unsere Farm hast.“

„Ich sehe ungern jemanden scheitern“, widersprach er. „Aber wenn es schon einen Kampf geben soll, dann möchte ich, dass er fair ist – damit mein Sieg dann um so süßer ausfällt.“

Ein Kampf. Genau das war es. Sie kämpfte um ihr Leben, um ihre Zukunft. Dabei hatte sie nur eins gewollt: mit ihren wenigen Ersparnissen einige Renovierungen am Haus vorzunehmen, um ihren Traum umzusetzen.

Aber dann war alles anders gekommen. Ihre Schwester und ihr Verlobter wurden ihr genommen, und Annabelle war plötzlich die Ersatzmutter für zwei Zwillingsmädchen. Dazu kam, dass ihr Vater sie in dem Moment im Stich gelassen hatte, als sie ihn am dringendsten brauchte.

Dennoch würde sie ihn jetzt nicht fallen lassen. Er litt, hatte seine Tochter verloren und war in der Hölle seiner Spielsucht gefangen. Annabelle war bereit, bis zum letzten Atemzug für ihre Familie zu kämpfen. Sie wollte Emily und Lucy ein Zuhause geben, wollte ihr Land zurückbekommen und das Bed and Breakfast in Schwung bringen.

Colt Elliott mochte ihr einen Knüppel zwischen die Speichen geworfen haben, aber sie war fest entschlossen, sich dadurch nicht von ihrem Ziel abbringen zu lassen.

Colt brannten die Schultern, und seine Arme schmerzten, als er den letzten Futtersack auf die Miete wuchtete, die Ryan und er gebildet hatten. Josh hatte einen Teil der Lieferung auf die anderen Ställe verteilt.

Annabelle hatte gut mitgehalten, auch wenn sie schweißgebadet war und das Tanktop ihr am Körper klebte. Einige Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst. Mittags war sie zu Hause gewesen und gerade rechtzeitig zum Eintreffen der Lieferung zurückgekehrt. Colt hatte zu tun gehabt und daher Ryan gebeten, sie zu fahren.

Unter gar keinen Umständen würde er sich die Gelegenheit entgehen lassen, sie wieder nach Hause zu bringen. Wenn er schon erschöpft war von der Arbeit, konnte er sich vorstellen, wie es ihr gehen mochte, da sie schwere körperliche Arbeit nicht gewohnt war.

Auf ihn warteten am Abend eine heiße Dusche und eine Flasche guten alten Bourbons, die er gerade bei seinem Speziallieferanten in Kentucky erstanden hatte.

Und auf Annabelle? Wenn sie nach Hause kam, musste sie sich um zwei Babys kümmern. Er bezweifelte, dass sie sich eine Pause gönnte.

Annabelle fuhr fort, Kartons von der Palette zu nehmen und sie in einer Ecke aufzuschichten. Kein einziges Mal sah sie in seine Richtung, sagte kein Wort und beklagte sich nicht. Schon jetzt war sie besser als der Cowboy, den er in der vergangenen Woche gefeuert hatte – nur dass sie keine reguläre Angestellte war.

Ein Teil von ihm neigte dazu, ihr zu sagen, sie solle gehen und ihren Vater die Suppe auslöffeln lassen, die er ihnen eingebrockt hatte, aber er wusste, sie würde sich darauf nicht einlassen. Dazu war sie zu stolz und zu loyal ihrer Familie gegenüber. Sie hatte ihre Schwester verloren, und ihr Vater hatte sie im Stich gelassen. Ihrem Ton nach zu urteilen, galt das auch für ihren Verlobten. Colt musste davon ausgehen, dass der Mann der Vater der Zwillinge war, aber er hatte keine Ahnung und kein Recht, danach zu fragen.

Je mehr Einzelheiten ihres Lebens er erfuhr, desto mehr wuchs seine Bewunderung für sie.

„Das war’s“, erklärte Ryan.

Colt nahm den Stetson ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Mach Feierabend“, schlug er vor. „Ich erledige den Rest.“

„Soll ich sie in meinem Wagen mitnehmen?“ Ryan nickte zu Annabelle hinüber, die gerade am anderen Ende des Stalls war.

„Ich kümmere mich darum.“

Stumm musterte Ryan seinen Boss.

„Sag es nicht.“

Ryan zuckte die Schultern. „Jemand muss es tun. Du spielst mit dem Feuer.“

Oh, das wollte er doch hoffen! Wie sonst sollte das Spiel der Verführung funktionieren? „Ich weiß, was ich tue.“

„Wirklich?“ Ryan zog die Brauen in die Höhe. „Weißt du, dein Vater mag eine Vision gehabt haben, aber niemals hätte er einer Frau dies alles zugemutet, nur um an das Land zu kommen.“

Colt zog sich die Arbeitshandschuhe aus und schob sie in die Taschen seiner Jeans. „Deswegen wird sie ja mit mir zusammenarbeiten. Ich werde ihr nicht mehr zumuten, als sie leisten kann.“

„Hast du gesehen, dass ihre Hand blutet?“

„Was?“ Colt sah zu ihr hinüber.

„Vorhin habe ich gesehen, wie sie sich die Hand an der Hose abgewischt hat, und dabei habe ich das Blut bemerkt. Die Arbeitshandschuhe sind eingerissen.“

Diese dickköpfige Frau! Wieso hatte sie nicht um Hilfe gebeten?

„Ich habe ihr ein neues Paar gegeben“, fuhr Ryan fort, „aber ich habe das Gefühl, sie würde eher verrecken, als von sich aus etwas zu sagen.“

Damit hatte er vermutlich recht. Colt rieb sich den Nacken. „Ich sorge dafür, dass das nicht noch mal passiert.“

„Das Land gehört dir sowieso“, setzte Ryan leise hinzu. „Wieso lässt du sie nicht einfach gehen?“

Dafür gab es Gründe, die er selbst nicht erklären konnte. Als sie am vergangenen Morgen auf dem Hof aufgekreuzt war, hatte er den Blick einfach nicht von ihr wenden können. Und er gab nie auf, wenn er etwas wollte – sei es Vieh, ein Geschäft, seien es Angestellte oder … Frauen.

Annabelle Carter konnte einem Spiel eine ganz neue Wende geben.

Colt sah zu, wie Annabelle den letzten Karton verstaute. Er machte sich Vorwürfe, als sie die Handschuhe auszog und ihre Hand betrachtete.

„Wir sehen uns dann morgen früh.“

Ryan ging schweigend.

Sofort trat Colt zu Annabelle. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du dich verletzt hast?“

Erschrocken fuhr sie herum. „Es ist nicht schlimm.“

Am liebsten hätte er sie geküsst. Das Feuer in ihrem Blick schien ihn magisch anzuziehen. Er trat näher. Noch nie war er einer Herausforderung ausgewichen, und Annabelle war eine Herausforderung, die ihn über die Maßen reizte.

Er nahm ihre Hand, um sie zu untersuchen. Eine Blase war aufgeplatzt.

„Ich habe einen Erste-Hilfe-Koffer im Büro.“

Als er aufsah, war er überrascht, keinen Zorn in ihrem Blick zu sehen. Nein, es war Verlangen. Interessant. Und nützlich. Leidenschaft machte die Menschen schwach, und er hatte vor, sich diese Schwäche zunutze zu machen.

Annabelle entriss ihm ihre Hand. „Ich kümmere mich darum, wenn ich nach Hause komme. Ich muss das Abendessen machen.“

„Du hast schon den ganzen Tag gearbeitet!“

Annabelle lachte freudlos. „So ist das wahre Leben nun mal, Colt. Menschen arbeiten, bereiten ihre Mahlzeiten vor und kümmern sich um ihre Familien. Wir können nicht alle im Luxus leben und uns entspannt zurücklehnen.“

So sah sie ihn? Er hatte geschuftet bis zum Umfallen, als sein Vater krank geworden war, und mehr Kraft und Herzblut in dieses Land gesteckt als jeder andere Mann der Familie. Als Jüngster hatte er immer das Gefühl, sich beweisen zu müssen, insbesondere gegenüber seinen Brüdern. Wie sollte er bestehen neben einem Chirurgen, einem Kriegshelden und einem Hollywoodstar? Er war einfach nur ein Rancher. Ein Milliardär zwar, aber dennoch ein Mann, der alte Jeans, staubige Stiefel sowie einen alten Stetson trug, der schon seinem Vater gehört hatte.

„Du kannst dir zwei Minuten Zeit nehmen und mich die Wunde reinigen lassen.“

Als sie sich die unverletzte Hand vor den Mund hielt, um ein Gähnen zu verbergen, fluchte er leise und ging, um den Koffer mit dem Verbandszeug zu holen. Wieso war sie nur so dickköpfig – und weshalb fand er sie gerade deswegen noch attraktiver?

Als er zurückkam, hatte sie sich auf eine der schweren Holzbänke zwischen den Boxen gesetzt. Sie hielt die Lider gesenkt und schien keine Kraft mehr zu haben. Gut. Dann konnte sie auch nicht mehr mit ihm streiten.

„Du arbeitest härter als fast jeder Mann, den ich kenne“, bemerkte er, während er den Koffer öffnete.

„Heißt das, ich bekomme eine Lohnerhöhung?“ Sie lehnte den Kopf gegen die Wand hinter der Bank.

Er lachte, während er vorsichtig die Wunde reinigte. Dann blies er vorsichtig auf ihre Hand, um die Tinktur zu trocknen. Als sie zitterte, sah er auf – direkt in ihre Augen. Dieses Grün setzte ihm jedes Mal erneut zu. Sie konnte einen Mann mit diesem Blick förmlich durchbohren und ihn so schnell in ihren Bann ziehen, dass er gar nicht wusste, wie ihm geschah.

„Ich weiß, dass du mich hasst, aber du solltest wirklich nicht die Schlachten deines Vaters schlagen.“

„Ist es nicht das, worum es in der Familie geht? Wenn einer schwach ist, übernimmt der andere für ihn. Wir haben nur noch uns. Meine Mutter ist gestorben, als Trish und ich noch klein waren. Und nun, wo Trish nicht mehr ist …“

Sie schüttelte den Kopf. Er hätte gern noch so viel mehr erfahren. Wenn er in der Vergangenheit eine Frau begehrt hatte, hatte er nie persönliche Fragen gestellt. Diese Dinge hatten im Bett nichts verloren. Wenn er nicht riskieren wollte, sich von Schuldgefühlen beeinflussen zu lassen, musste er sich das immer wieder vor Augen halten.

Er hatte ein Ziel, eine Vision, die er umsetzen wollte – um seinen Vater zu ehren und seinen Brüdern zu beweisen, dass er die Rolle des Cowboys nicht nur spielte. Vor allem sich selbst musste er beweisen, dass er es schaffen konnte. Die Ferienranch war in greifbare Nähe gerückt … er musste nur noch an dieser leidenschaftlichen Frau vorbei, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

5. KAPITEL

„Was, zum Teufel, soll das, Colt?“

Aufgebracht warf Nolan die Bürotür hinter sich zu. Colt hob den Blick von seinem leeren Glas. Er brauchte noch einen zweiten Drink, denn er wusste, sein ältester Bruder würde ihm laut und deutlich sagen, was er von der Sache mit Annabelle hielt. „Okay, spuck’s aus!“

Nolan stützte die Hände auf den Schreibtisch. „Du lässt die Tochter von Neil Carter hier arbeiten? Wozu?“

„Er schuldet mir Geld. Sie hat seine Verpflichtungen übernommen.“

„Und du stellst sie als eine Art Cowboy ein?“, brüllte Nolan. „Glaubst du allen Ernstes, Dad hätte das gewollt?“

Langsam erhob sich Colt. Das musste er sich von seinem Bruder nicht bieten lassen! „Dad hat mir die Kontrolle über die Ranch überlassen, weil ich seine Vision teile und ich derjenige bin, der sich sein ganzes Leben krumm und buckelig geschuftet hat, um sie umzusetzen.“

„Das brauchst du mir nicht um die Ohren zu hauen!“, fuhr Nolan ihn an.

Colt zuckte die Schultern. „Ich sage nur, wie es ist. Ich rede dir ja auch nicht rein, wenn es um deine Operationen geht.“

In Nolan arbeitete es sichtlich. Colt wollte seinen Bruder nicht gezielt reizen, sich aber auch nicht abkanzeln lassen wie einen Schuljungen. Niemand hatte das Recht, seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Er hatte genug an sich selbst gezweifelt – etwas, das ihm im Geschäftsleben sonst nie passierte.

„Du bist völlig vernagelt, was diese Ferienranch angeht, aber glaub mir: Du machst einen Riesenfehler.“

Langsam ging Colt zur Bar. Seine Hüfte schmerzte heute mehr als sonst, aber das war bei der schweren Arbeit nicht anders zu erwarten gewesen. Das war nur ein weiterer Bereich seines Lebens, in dem er sich nicht geschlagen geben wollte.

„Wir brauchen das Land. Neil hätte es an die Bank verloren. Hätte ich ihm das Geld nicht gegeben, hätte es jemand anders getan. Außerdem ist jetzt alles in trockenen Tüchern und vollkommen legal.“

Nolan verschränkte die Arme vor der Brust. „Mag schon sein, dass sich sonst jemand das Land unter den Nagel gerissen hätte. Aber darum geht es nicht. Das, was du anschließend gemacht hast, ist das, was ich nicht begreife.“

Darüber hatte Colt auch schon nachgedacht. „Zuerst wollte ich Neil eine Lektion erteilen. Er sollte tatsächlich einmal arbeiten. Und als Annabelle dann kam … ja, da konnte ich einfach nicht widerstehen.“

Er sah seinen Bruder nicht an, wollte seine Enttäuschung nicht sehen. Colt hatte Gründe für seine Entscheidungen, und er würde sich von niemandem davon abbringen lassen – nicht einmal von seinem ältesten Bruder.

„Ich möchte nicht, dass du noch einmal verletzt wirst“, erklärte Nolan. „Dad wäre stolz darauf, wie gut du hier alles im Griff hast. In dem Punkt musst du niemandem etwas beweisen.“

Colt schenkte sich noch einmal ein. „Anfangs habe ich es für ihn getan, aber jetzt ist es auch mein Traum. Ich will diese Ferienranch und möchte, dass Menschen überall auf der Welt erfahren, dass Pebblebrook die beste Ranch ist, die man sich nur denken kann. Ich will das Ergebnis der Arbeit zeigen, die unsere Familie hier investiert hat, und wenn ich nebenher ein wenig Spaß haben kann – wieso nicht?“

Colt hielt seinem Bruder ein Glas hin, aber Nolan schüttelte den Kopf. „Ich habe Bereitschaftsdienst.“ Er setzte sich auf einen Barhocker. „Das ist die erste Frau, die du seit Layla erwähnt hast.“

Nachdenklich nippte Colt an seinem Drink. „Ich habe nicht die Absicht, eine Familie zu gründen. Und Layla hat mit alledem nichts zu tun. Mich interessiert nur eines: die Ferienranch. Annabelle arbeitet hier, um ihre Schulden zu tilgen. Falls sie eine Zahlung auslässt oder am Ende der Frist nicht die gesamte Summe aufbringt, gehört das Land mir. Aber das tut es sowieso, auch wenn sie ihre Schulden abbezahlt. Neil hat sich den Vertrag nicht durchgelesen.“

Nolan schüttelte den Kopf. „Du kannst es handhaben, wie du willst, aber ich sage dir, moralisch ist das höchst verwerflich.“

Colt leerte sein Glas. „Ich habe auch sonst schon Fehler gemacht. Und falls Annabelle ein Fehler ist, dann ist er jedenfalls so sexy wie kein anderer.“

Layla war bisher seine einzige ernsthafte Beziehung gewesen. Er hätte wissen sollen, dass es zu schön war, um wahr zu sein, als sie gleich von Heirat sprach. Colt war davon ausgegangen, dass sie ihn liebte und dass sie seine Leidenschaft für die Ranch teilte. Aber ihr einziges Interesse galt allein seinem Bankkonto. Das Land, die Tiere, seine Träume – das war ihr alles einerlei. Sie interessierte sich nur für die neueste Mode, für teure Urlaubsreisen und Autos, und Colt war so blind gewesen, ihr alles zu geben, was sie wollte.

Als er seinen Unfall hatte und anschließend längere Zeit ans Bett gefesselt war, hatte er nur zu schnell erfahren, wie wenig er ihr bedeutete. Kaltherzig teilte sie ihm mit, sie brauche unbedingt etwas Abwechslung, und nahm den nächsten Flieger zu seinem Ferienhaus auf Aruba – zusammen mit einem anderen Mann. Hätte sein Reinigungsdienst ihn nicht davon in Kenntnis gesetzt, würde sie sich immer noch über ihn lustig machen.

Noch während er sich von dem Unfall erholte, beendete Colt die Beziehung, setzte Layla und ihren Lover vor die Tür und verkaufte das Haus. Ihm lag ohnehin nicht viel am Strandleben. Er brauchte nichts weiter als sein Haus in Texas. Okay, er reiste gern, aber wozu brauchte er ein zweites Haus? Sein Jet und sein Pilot würden ihn bringen, wohin auch immer er wollte.

Nach dieser Erfahrung hatte er genug von Beziehungen und wollte nichts mehr von Gefühlen oder Liebe wissen. Eigentlich hatte er Layla nicht einmal geliebt. Er hatte eine Familie gründen wollen und war in dem Irrglauben gewesen, er und Layla seien das ideale Paar. Doch trotz allem war es immer noch sein Traum, eine Frau und Kinder zu haben. Nichts wünschte er sich mehr, als eine neue Generation von Elliotts aufwachsen zu sehen und die Ranch an sie weiterzugeben. Familie und Loyalität waren das Höchste für ihn.

Einmal hatte er sich von seiner Libido leiten lassen, aber jetzt wusste er genau, was er fühlte. Alles, was Annabelle in ihm weckte, war pure Lust. Er begehrte sie, und er würde sie haben. Ende der Geschichte.

„Ist das hier nötig?“ Fragend sah Annabelle Colt an.

Fest hatte er die Zügel im Griff, während sein Körper sich an ihren drückte. Sie hatte also nicht bloß von seiner Kraft geträumt, als sie mitten in der Nacht nach einem sehr lebendigen, detaillierten Traum von ihrem neuen Arbeitgeber aufgewacht war und geglaubt hatte, die Fantasie sei mit ihr durchgegangen.

Jetzt wusste sie es besser. Am Vortag hatte sie sich bemüht, seinen Berührungen aus dem Weg zu gehen, aber auf dem Pferd war das unmöglich. Vielleicht war es an der Zeit, diese Sache mit dem Abholen und Bringen neu zu regeln.

„Es ist ein perfekter Tag für einen Ausritt“, entgegnete er.

Sein ruhiger Ton stand in direktem Kontrast zu dem Chaos, das in ihr tobte. Sie wollte ihn auch weiterhin hassen, und sie würde es tun, aber wieso musste sie sich gleichzeitig so zu ihm hingezogen fühlen?

„Ich könnte sehr wohl mit meinem Wagen fahren“, erklärte sie hitzig, während sie sich bemühte, nicht daran zu denken, wie nah seine Hände ihren Schenkeln waren. „Oder Josh oder Ryan könnten mich fahren.“

„Ich kümmere mich selbst um alles“, murmelte er an ihrem Ohr. „Du wirst dich daran gewöhnen.“

Genau das war das Problem. Dies war Tag zwei ihres neuen Arbeitsverhältnisses, und sie konnte nicht behaupten, dass dieser Teil daran ihr nicht gefiel. Nur allzu gern hätte sie es gehasst. Hätte gern mit dem Fuß aufgestampft wie ein Kleinkind und ihre Unabhängigkeit erklärt, indem sie nicht mit ihm auf das Pferd gestiegen wäre.

Aber sie war eben auch eine Frau. Trotz aller unguten Erfahrungen, die sie mit Männern gemacht hatte, hatte sie Bedürfnisse. Und ihr Körper reagierte genau so, wie es sein sollte, wenn ein sexy Mann auf der Bildfläche erschien: heiß, prickelnd und voller Verlangen.

„Du scheinst sehr angestrengt über etwas nachzudenken“, bemerkte er. „Du bist völlig verspannt.“

„Ach, ich zähle nur die Tage, bis ich frei bin und mich wieder um meine Pläne für das Haus kümmern kann.“

„An deiner Stelle würde ich diese Pläne erst mal auf Eis legen.“

Annabelle zuckte die Schultern. „Ich bin optimistisch. Schließlich weiß ich, dass ich keine Zahlung versäumen werde, und ich habe allen Grund weiterzumachen, auch wenn mir danach wäre, alles hinzuwerfen.“

Plötzlich spürte sie, dass er ihren Nacken berührte, und fuhr herum. „Was machst du da?“

Seine Lippen waren nur Zentimeter von ihren entfernt und sehr verlockend.

„Dein Haar hat mich gekitzelt. Wieso hast du es nicht zu einem Pferdeschwanz gebunden?“

„Ich hab’s nicht mehr geschafft. Emily hat sich in der Nacht erbrochen, und ich wollte schnell ihre Laken waschen und das Bett neu beziehen, damit Dad sie später hinlegen kann.“

Wieso hatte sie ihm das alles erzählt? Ihr Privatleben ging ihn nichts an.

„Du hättest mir eine SMS schicken können, dann wäre ich später gekommen.“

„Keine Chance. Ich bin immer pünktlich. So leicht lasse ich dich nicht gewinnen, Colt. Vergiss einfach, was ich gesagt habe“, setzte sie rasch hinzu. „Ich will weder Mitleid noch eine Sonderbehandlung. Sobald dieser Kredit getilgt ist, verfolge ich wieder meinen Traum.“

„Was ist das für ein Traum?“

Nach kurzem Zögern schüttelte Annabelle den Kopf. „Du hast mir schon genug genommen. Ich will nicht auch noch meine Hoffnungen verlieren.“

„Ich habe es nicht auf deine Geheimnisse abgesehen, Anna.“

Sie erstarrte. Er begehrte sie, das war offensichtlich, denn er versuchte nicht einmal, es zu verbergen. Aber sie hatte nicht die Absicht, sich dazu auszulassen.

„Nenn mich nicht Anna.“

Sein leises Lachen ließ seinen ganzen Körper vibrieren. „Ich bin bereit, dich wie auch immer zu nennen, aber dir gefällt keiner der Namen, die ich ausgesucht habe.“

„Wie ich schon sagte: Vielleicht wäre es am besten, wenn du mich gar nicht ansprichst – außer wenn es für die Arbeit nötig ist, und dann kannst du Ms. Carter zu mir sagen.“

Colt zog die Zügel an und brachte Lightning zum Stehen. „Und jetzt? Jetzt sind wir allein und nicht bei der Arbeit. Wie soll ich dich jetzt nennen?“

Langsam drehte Annabelle sich zu ihm um. Sie wusste sehr wohl, dass er sich vorlehnte, sodass sein Gesicht dicht an ihrem sein würde. Und genauso war es. Seine Lippen schienen über sie zu spotten. Die Krempe seines Stetsons streifte ihren Kopf. Mit seinen leuchtenden Augen sah er sie durchdringend an.

„Vielleicht sollten wir überhaupt nicht reden.“

Autor

Jules Bennett
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