Die falsche Braut des Kronprinzen

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Der Kronprinz erwartet sie vor dem Altar? Entsetzt erkennt Ilaria, worauf sie sich eingelassen hat. Sie wollte doch nur ihre adlige Cousine, der sie verblüffend ähnelt, bei einem Date mit Frediano, dem Thronerben von Vantonella, vertreten. Doch offenbar soll sie den attraktiven Prinzen heiraten! Dabei verabscheut sie das Königshaus, das am Tod ihres Vaters Schuld ist. Gezwungen sagt Ilaria „Ja“ – und versteht schon bald eins nicht: Woher kommt bei diesem kalten Arrangement bloß ihre brennende Sehnsucht nach ihrem Ehemann, dem Prinzen?


  • Erscheinungstag 22.08.2023
  • Bandnummer 2611
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518741
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war nicht „bloß ein Dinner“, wie Ilaria Russo es erwartet hatte.

Eigentlich hatte es ganz einfach sein sollen: Sie würde sich als ihre Cousine Sophia ausgeben, ein endloses, langweiliges Dinner mit irgendeinem Lord oder Duke über sich ergehen lassen und ihm auf seinen unvermeidlichen Heiratsantrag hin einen Korb geben. In der Zwischenzeit würde Sophia mit dem Mann davonlaufen, den sie liebte – einem einfachen Seemann, mit dem ihr Vater Giovanni nicht einverstanden war.

Giovanni Avida war zwar Ilarias Onkel – er hatte die Schwester ihrer verstorbenen Mutter geheiratet –, dennoch sah Ilaria ihn als einen ihrer wenigen Feinde an. Seine unersättliche Raffgier war für die schrecklichen Arbeitsverhältnisse in der Mine verantwortlich gewesen, in der ihr Vater gearbeitet hatte und umgekommen war. Bei dem Unglück waren nicht nur ihr Vater, sondern noch zwanzig weitere Männer aus ihrem Dorf gestorben.

Doch statt bestraft zu werden, war Giovanni ein Posten im königlichen Ministerium angeboten worden. Zu allem Überfluss hatte er sich geweigert, seiner verwaisten Nichte zu helfen und sie zu sich in die wohlhabende Stadt Roletto einzuladen. Sein einziger „Freundschaftsdienst“ hatte darin bestanden, dass er es seiner Frau und ihrer Tochter Sophia gestattete, Ilaria ab und zu in Accogliente zu besuchen. Ilaria hatte immer vermutet, dass ihre Tante darauf bestand.

Während Ilaria die enge Freundschaft mit ihrer netten Cousine in den letzten zehn Jahren aufrechterhalten hatte, war Giovanni damit beschäftigt gewesen, sich zu bereichern und sich immer mehr Einfluss zu verschaffen. Verzweifelt versuchte er nach wie vor, Sophia an einen Adligen zu verheiraten, damit auch er selbst zu einem Adelstitel kam.

Als sich also die Chance geboten hatte, seine Pläne zu durchkreuzen und gleichzeitig ihrer Cousine zu helfen, die es verdiente, der strikten Kontrolle ihres Vaters zu entrinnen, hatte Ilaria die Chance ergriffen. Und nun war sie hier in Roletto. Weil sie und Sophia sich sehr ähnlich sahen, sollte es ein Leichtes sein, sich in Vantonellas Hauptstadt als ihre Cousine auszugeben.

Obwohl Ilaria nicht an ihrem Vorhaben zweifelte, war sie nervös, als der Zug in die glitzernde Stadt einfuhr, die zwischen den hohen Alpengipfeln und dem schimmernden Lago di Cornio lag. Überall standen Häuser, und im Bahnhof herrschte großes Gedränge – ein krasser Gegensatz zu Ilarias Zuhause tief in der Pecora-Bergregion von Vantonella. In den vierundzwanzig Jahren ihres bisherigen Lebens hatte sie auf dem Bauernhof in der jahrhundertealten kleinen Kate gewohnt, die von ihren Vorfahren erbaut worden war. Dort hatte sie sich um den Garten gekümmert, Schafe gehütet und ihrem Großvater geholfen, bis er letztes Jahr gestorben war.

Ilaria spürte, wie Panik in ihr aufstieg, und kurz überlegte sie, umzukehren und zurück nach Hause zu flüchten. Doch Sophia und ihr Seemann hatten sie unter all den Menschen schon entdeckt. Sophia benahm sich irgendwie seltsam, gab ihr aber die nötigen Kleidungsstücke und Ausweise und nahm sie kurz in den Arm. Ilaria wünschte ihrer Cousine viel Glück.

Nach dem Treffen mit ihr fühlte sie ihren Mut zurückkehren, doch das Gefühl hielt nicht lange an. Als Ilaria an der Adresse ankam, die Sophia ihr genannt hatte, stand sie vor einer alten Kathedrale, nicht vor einem Restaurant. Dann wurde sie von einem Soldaten in Paradeuniform hereingewinkt und entdeckte am Ende des Kirchengangs im Halbdunkel einen großen Mann, der offenbar auf sie wartete.

Irgendetwas an dem reich verschnörkelten Altar machte Ilaria äußerst nervös, und dass der Soldat, der ihr die Tür geöffnet hatte, sie jetzt beobachtete, half auch nicht gerade. Sie wischte ihre verschwitzten Hände an den Hüften ihres geborgten Kleids ab.

„Ihre Handtasche.“ Der Soldat streckte die Hand aus.

Ilaria sah auf das Täschchen hinunter, an dem sie sich festklammerte. Wie alles, was sie anhatte, gehörte es Sophia, und es kam ihr falsch vor, es aus den Händen zu geben. Doch dem Soldaten schien Ilarias Zögern nicht zu gefallen, und sie wusste, dass sie sich anstrengen sollte, nicht wie das Mädchen vom Lande zu wirken, das sie war.

Heute Abend bist du die wohlhabende, kultivierte Sophia Avida. Du wirst den Heiratsantrag, der kommt, nachdrücklich ablehnen. Und du wirst Sophia genügend Zeit zur Flucht verschaffen, damit ihr tyrannischer Vater sie nie finden wird.

Sobald sie wüsste, dass Sophia geheiratet hatte und in Sicherheit war, würde Ilaria zurück auf ihren Hof fahren, wo sie solange fähig vertreten wurde.

Nach dem Minenunglück vor zehn Jahren hatte ihr Großvater verwaiste Kinder eingestellt, die ihm mit den Schafen geholfen hatten. Mit ihm gemeinsam hatte Ilaria den Kindern und ihren verwitweten Müttern alle erdenklichen Möglichkeiten eröffnet, damit sie in ihrem Heimatdorf bleiben konnten und nicht ins Heim oder in Obdachlosenunterkünfte in der Stadt gesteckt wurden. Denn das waren die Hilfsmaßnahmen gewesen, die der König und ihr Onkel nach dem Unglück vorgeschlagen hatten.

Ilaria und ihr Großvater hatten aus der Tragödie das Beste gemacht. Die Kinder waren inzwischen erwachsen, hatten etwas gelernt und ein bisschen Geld beiseitegelegt, mit dem sie ein neues Leben beginnen konnten. Und die Witwen hatten das gute Gefühl, für ihre Kinder dagewesen zu sein – und das in einem Dorf, in dem es außer den alten Bauernhöfen nach der Schließung der Mine nicht viele Möglichkeiten zum Geldverdienen gab.

Der Gefallen, den Ilaria Sophia tat, spielte zwar nicht in der gleichen Liga, aber Ilaria gefiel der Gedanke, dass sie etwas Ähnliches wie ihr Großvater tat: Sie würde jemandem einen Weg in die Freiheit und ins Glück eröffnen.

Ihren Vater hatte sie nicht vor dem Minenunglück beschützen können, und auch den körperlichen Abbau ihres Großvaters, der letztes Jahr schließlich zu seinem Tod geführt hatte, hatte sie nicht verhindern können. Aber sie konnte Sophia vor einem trübseligen, manipulierten Leben in den Adelskreisen von Roletto retten.

„Sophia, bitte komm weiter nach vorn“, wies der Mann sie streng an. Seine Stimme kam aus der Dunkelheit am Ende des Ganges.

Ilaria schluckte. Sie musste ihre Nervosität in den Griff bekommen und die Schultern straffen. Sie durfte nicht den Mut verlieren.

Es war ein langer Weg den Kirchengang hinunter. Sie warf einen Blick zurück, aber der Soldat stand jetzt direkt vor dem Ausgang, als würde er ihn blockieren.

Das hier ist grundverkehrt.

Trotzdem bewegte sie sich weiter auf den Mann am Ende des Ganges zu.

Für Sophia. Und in gewisser Weise auch für Onkel Giovanni.

Jeder ihrer Schritte hallte in der beeindruckenden Marmorkathedrale wider. Durch glänzende Buntglasfenster fiel sanftes Licht herein, und überall, wo sie hinsah, schien etwas golden und silbrig zu schimmern.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel Prunk gesehen. Sie war an geflickte Dächer, schlammige Straßen und die Geräusche von Vieh auf der Weide gewöhnt.

Als sie das Ende des Ganges erreichte, entdeckte sie zwei beängstigende Dinge. Zum einen stand hier noch ein zweiter Mann. Ein kleinerer, hinter dem Altar, mit einer aufgeschlagenen Bibel vor sich. Und zum anderen, und das war noch viel wichtiger: Der Mann, der hier auf sie wartete, war kein Duke und kein Lord. Es war Prinz Frediano Montellero, der Thronerbe von Vantonella.

Ilaria befürchtete, dass sie ihn wenig höflich anstarrte. Ihr Entsetzen musste sich deutlich auf ihrem Gesicht abzeichnen. Selbst in ihrem kleinen Dorf hatte sie Bilder des berühmten Prinzen gesehen – des Thronerben, der so ganz anders war als seine wilden, impulsiven Eltern, die beim Freeclimbing am gefährlichen Monte Morte jung gestorben waren. Prinz Frediano war angeblich so diszipliniert und ehrenhaft wie sein Großvater, der berühmte König Carlo.

Ilaria hatte allerdings nie verstanden, wie das Königshaus ehrenhaft genannt werden konnte, wenn es Posten in seinen Ministerien an Intriganten vergab, die praktisch Mörder waren. Und wenn es so wenig Verständnis für bedürftige Menschen hatte, dass es vorschlug, die, die alles verloren hatten, in überfüllte Räume und Kinderheime in der Stadt umzusiedeln.

Das bedeutete jedoch leider nicht, dass sie immun gegen Prinz Frediano war, der mit dem perfekt definierten Gesicht, den überraschend breiten Schultern und einem dunklen Anzug, der zweifelsohne mehr gekostet hatte, als sie in ihrem ganzen Leben ausgegeben hatte, neben ihr stand. Mit seinen sehr kurzen, glänzenden schwarzen Haaren wirkte er wie ein Krieger. Bestimmt fragten selbst seine Barthaare erst um Erlaubnis, bevor sie wuchsen.

Alles an ihm schien „Nicht anfassen!“ zu signalisieren. Aber mit Ilaria musste irgendetwas nicht stimmen, denn ihre Finger wollten genau das – die Kanten dieses markanten Kiefers berühren und herausfinden, ob seine Haare ebenso weich waren wie die eines normalen Menschen.

Er sah aus, als wäre er nicht von dieser Welt.

Überirdisch.

Sie hätte ihm auf die Schuhe spucken sollen. Doch obwohl es ihr wie Verrat vorkam, konnte sie nicht damit aufhören, ihn anzustarren. Wenn sie wollte, konnte sie die Hand ausstrecken und einen Prinzen berühren. Ihre Welt stand Kopf.

Prinz Frediano nickte dem Mann mit der Bibel zu.

„Sie dürfen beginnen“, sagte er.

Seine Stimme war wie ein Donnerschlag. Tief hallte sie in ihr wider, brachte etwas vollkommen Unbekanntes zum Pulsieren und machte sie stumm. In ihrem Dorf war Ilaria daran gewöhnt, etwas zu sagen zu haben, auch wenn sie älteren Menschen natürlich mit Respekt begegnete. Sie begriff diese Wortlosigkeit nicht, gegen die sie anscheinend machtlos war.

Der Pfarrer begann langsam und monoton, von der Heiligkeit der Ehe und des Eheversprechens zu sprechen.

Als er den Prinzen fragte: „Wollen Sie diese Frau zu Ihrer Ehefrau nehmen?“, entfuhr Ilaria ein Quieken. Hektisch sah sie vom Pfarrer zum Prinzen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen – irgendetwas –, aber es kam nur noch ein weiteres Quieken heraus.

Und der Prinz sagte mit entsetzlicher Leichtigkeit Ja, so als würde dies alles einen Sinn ergeben. Als würde er jede Frau heiraten, die um diese Uhrzeit in die Kathedrale gestolpert kam.

Der Pfarrer sprach weiter, und Ilaria zitterte. Sie wusste, sie brauchte unbedingt ihre Stimmbänder, aber so etwas wie panische Angst ließ sie erbarmungslos stumm bleiben – bis der Pfarrer sie ansah, als wartete er auf ihre Antwort.

Noch immer konnte sie nicht sprechen, aber lachen ging anscheinend – allerdings leicht hysterisch. Denn nichts von alldem hier ergab einen Sinn. Es musste sich um einen seltsamen … Streich handeln. Um ein Missverständnis.

Es hatte ein Dinner sein sollen. Ein Heiratsantrag.

Keine Hochzeit.

„Es tut mir leid“, brachte sie heraus, wenn auch nur krächzend. „Hier liegt ein Irrtum vor.“

Zum ersten Mal sah der Prinz sie an. In seinen dunkelbraunen Augen lag eine solch kalte Verachtung, dass sie kein Wort mehr herausbrachte, aber sie bebte am ganzen Körper. Sie konnte sich nicht erklären, warum.

„Es gibt keinen Irrtum“, sagte er nachdrücklich. „Ich toleriere keinen Irrtum.“

Das war beängstigend. Aber sie konnte wohl kaum zustimmen, ihn zu heiraten, wenn er sie für Sophia hielt. Außerdem war er ein Prinz. Der Enkel des Mannes, der ihren Onkel befördert hatte, statt ihn hinter Gitter zu bringen. Es musste sich um eine Halluzination handeln.

„Ich bin nicht …“, begann sie.

„Du bist doch hier, oder nicht?“

„Ja. Aber …“

„Na bitte. Sie hat Ja gesagt.“ Sein Blick richtete sich wieder auf den Pfarrer. „Machen Sie weiter, Padre.“

„Nein! Zu dem Gelöbnis habe ich nicht Ja gesagt. Ich bin nicht …“

Aber der Pfarrer machte tatsächlich weiter. Und warum auch nicht? Schließlich hatte es ihm ein Prinz befohlen. Der Mann, der hier alle Macht hatte.

„Das muss ein Traum sein“, murmelte Ilaria. Ein Albtraum.

„Ich nehme an, du meinst, dass alle deine Träume in Erfüllung gegangen sind. Gern geschehen.“ Er verbeugte sich sogar leicht, obwohl sie den Eindruck hatte, dass unter allen seinen Bewegungen Ungeduld schwelte. „Damit wären die Formalitäten erledigt. Lass uns in den Palast fahren.“ Er musterte sie eindringlich. „Bis wir dich morgen der Öffentlichkeit präsentieren, liegt noch ein bisschen Arbeit vor uns.“

„Arbeit …“ Sie wusste nicht, was das bedeuten sollte. Was irgendetwas von alldem hier bedeuten sollte.

Der Prinz schritt durch den Gang davon. Offenbar erwartete er, dass sie ihm folgte.

Sie eilte ihm hinterher, stolperte fast in den geborgten Schuhen. Sophias Schuhen.

Sie musste bloß die Worte finden, es zu erklären. Es wieder in Ordnung zu bringen. Das konnte sie. Als die Männer gekommen waren, um ihrem Großvater mitzuteilen, dass ihr Vater gestorben war, und er vor Verzweiflung zusammenbrach, hatte sie sich um ihn gekümmert. Es war ihr Vorschlag gewesen, dass er Waisen als Helfer auf den Hof holte. Und sie hatte auch die habgierigen Männer vor der Tür abgewiesen, die ihren Hof zu einem Spottpreis kaufen wollten. Sie wusste, mit Tragödien umzugehen. Sicher konnte sie da auch mit diesem Durcheinander fertigwerden.

Für Sophia.

„Warten Sie“, rief sie ihm nach.

Er wartete nicht und zeigte auch keinerlei Reaktion. Als er bei einer Seitentür der Kathedrale ankam, öffnete er sie und sah endlich zu Ilaria zurück.

Seine dunklen Augen musterte sie mit einer solchen Intensität, dass sie es kaum ertragen konnte. Sie wollte sich darunter krümmen, sich zusammenrollen.

Stattdessen schluckte sie und zwang die Worte aus ihrer staubtrockenen Kehle heraus.

„Ich bin völlig durcheinander. Ich verstehe nicht, was eben passiert ist.“

„Das bedarf doch keiner Erklärung, denke ich.“

„Na ja, es war eine Hochzeit.“ Sie lachte atemlos.

Also wirklich, wie konnte er nicht darüber lachen? Es war ja mehr als absurd.

Allerdings war seine Miene so kalt, dass ihr der Gedanke kam, er lache vielleicht niemals. Verzogen sich königliche Münder überhaupt auf diese Art? Sie hatte von ihm und seinem Großvater nur mürrische Porträts gesehen – angemessen königlich, aber ohne jegliche Spur von Humor.

Er zeigte auf die Tür. „Nach dir, Prinzessin.“

Prinzessin. Fast hätte sie wieder gelacht, und diesmal würde sie vielleicht lachen, bis sie weinte. Oder schrie.

„Es gab einen Irrtum“, sagte sie mit fester Stimme. Es war derselbe Tonfall, in dem sie Sophia versprochen hatte, sich um alles zu kümmern.

Na, du hast dich schön drum gekümmert, Ilaria.

„Selbst wenn Sie … keine Irrtümer mögen – es hat einen gegeben“, sagte sie, bevor er sie daran hindern konnte. „Sophia hat mir gesagt, sie solle mit einem Duke oder Lord zu Abend essen. Ich solle bloß mit dem Mann essen, den Heiratsantrag ablehnen, dann wieder zurück nach Accogliente fahren und …“

„Schweig!“

Auf den scharfen Befehl hin presste Ilaria sofort die Lippen zusammen. Es war ein ebenso automatischer Reflex wie das Atmen.

„Was willst du damit sagen?“, wollte der Prinz jetzt wissen.

In seinen Worten hallte etwas wider, was Ilaria nicht genau bestimmen konnte, denn er hielt seine Gefühle offenbar fest unter Verschluss. Aber irgendein Gefühl war es. Allerdings kein gutes.

Trotzdem musste sie all ihren Mut zusammennehmen und alles wieder ins Lot bringen. Ihr Herz trommelte, und ihre zusammengekrampften Finger zitterten, aber sie hielt seinem dunklen, einschüchternden Blick stand.

„Ich heiße nicht Sophia. Sophia ist meine Cousine. Sie haben die falsche Frau geheiratet.“

Frediano antwortete nicht sofort. Er hatte gelernt, seine niederen Instinkte zu zügeln – egal ob Wut, Gier oder Leidenschaft –, indem er sich Zeit ließ. Im Laufe der Jahre hatte er von seinem Großvater, der Vantonella seit vierzig Jahren ehrenhaft und gerecht regierte, die Kunst der Selbstkontrolle gelernt. Dieser Mann hatte ihm Sicherheit geschenkt, seinem Leben einen Sinn und ihm all das gegeben, was seine Eltern versäumt hatten.

Und jetzt litt dieser wundervolle Mann an einer Herzschwäche. Die Ärzte hatten König Carlo gewarnt, dass er seinen nächsten Geburtstag nicht erleben würde, wenn er nicht abdankte, sich wie empfohlen operieren ließ, jeden Stress vermied und sich ausruhte.

Frediano wollte dafür sorgen, dass der große König Carlo noch mindestens zwanzig weitere Geburtstage feiern konnte. Deshalb hatte er sich eine Frau gesucht, denn er wusste, dass sein Großvater erst in Betracht ziehen würde, sein Amt niederzulegen, wenn Frediano mit einer geeigneten vernünftigen Frau verheiratet war, die am Hof nicht für Unruhe sorgen würde.

Egal, wie sehr Carlo Frediano vertraute – er würde nie wieder das riskieren, was schon einmal passiert war; denn dies war sein einziger noch lebender Nachkomme. Daher hatte Frediano sich die perfekte Frau ausgesucht und keine, die sich egozentrisch in die Schlagzeilen drängte, wie seine Mutter es getan hatte.

Frediano zwang sich, reglos zu bleiben, während er die Informationen verarbeitete, die diese … Person ihm soeben offenbart hatte.

Er hatte nicht Sophia Avida geheiratet – deren Vater ein wohlhabender Kaufmann und der königliche Energieminister war, die keinen Adelstitel hatte, aber auch nicht arm und daher so uninteressant und gefällig war, wie eine potenzielle Prinzessin es in seinen Augen sein konnte –, sondern ihre … Cousine.

Sophia kannte er nur oberflächlich, denn es ging bei dieser Eheschließung nicht um Liebe oder Gefühle. Es ging darum, dass er jeder Situation Herr sein würde. Es ging darum, seinen Großvater zu überzeugen, dass die Zeit zum Abdanken gekommen war.

Deshalb hatte Frediano keine Gäste zur Hochzeit eingeladen und die Öffentlichkeit nicht darauf vorbereitet. Er mied alles, was dem skandalösen, nach Aufmerksamkeit heischenden Verhalten seiner Eltern ähnelte. Er hatte sich eine fügsame, langweilige Braut ausgesucht, für die sich niemand interessieren würde, damit sein Großvater sich darauf verlassen konnte, dass weitere Skandale vom Hof ferngehalten werden würden.

Aber diese Frau …

„Ich soll glauben, dass du nicht Sophia bist, obwohl du genauso aussiehst wie sie?“

Die Frau wrang so stark die Hände, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Aber sie hielt seinem Blick stand und brach unter seinem barschen Ton nicht zusammen.

„Ich würde nicht sagen, dass ich genauso aussehe wie sie.“

Falls das stimmte, sah sie ihrer Cousine zumindest so ähnlich, dass er keinen Unterschied bemerkte. Aber natürlich war es in der Kathedrale schummerig, damit die Öffentlichkeit und die Presseleute keinerlei Verdacht schöpften, was er morgen bekannt geben würde.

Er musterte die Frau, die erstarrt in der Tür stand. Von einer Wandleuchte fiel etwas Licht auf ihr Gesicht. Sie hatte die gleichen schwarzen Haare wie Sophia. Grüne Augen mit blauen Sprenkeln. Jetzt fiel ihm auf, dass ihre Nase voller Sommersprossen war, und er bezweifelte, dass die vornehme Sophia viel Zeit in der Sonne verbrachte. Ihr Kleid war sittsam, aber teuer. Allerdings saß es um die Schultern herum nicht richtig. Es war wohl geliehen – zweifellos von der verräterischen Cousine, die gewusst hatte, dass sie an diesem Abend einen Prinzen heiraten sollte. Und die ihm stattdessen ihre Cousine geschickt hatte, die ihr ähnlich sah.

„Du bist aus Accogliente?“

„Ja“, antwortete sie.

Ein winziges, belangloses Bergdorf weit im Norden. Sophia war in Roletto aufgewachsen und hatte nicht nur eine gute Schulerziehung genossen, sondern auch Etikette gelernt. Ihr Vater strebte verzweifelt einen Adelstitel an. Frediano hatte das als einen Pluspunkt gesehen – etwas, mit dem man den Mann und seine Familie im Zaum halten konnte.

Doch diese Frau aus Accogliente würde nicht wissen, wie sie sich in Roletto zu benehmen hatte. Alles wies darauf hin, dass sie für Peinlichkeiten sorgen würde oder eine Lügnerin war. Oder, noch schlimmer: beides.

Das hier war ein Fehler, und zwar einer, den er sich nicht leisten konnte. Sophia war die perfekte Kandidatin gewesen, ganz anders als seine Mutter: still, hübsch und kein bisschen aufregend. Niemand hätte sich für sie interessiert. Sie hätte getan, was ihr gesagt wurde, keine Peinlichkeiten verursacht, ihn nicht im Stich gelassen …

Aber egal. Dem Pfarrer und den Soldaten, ja selbst dem Personal, das das Brautpaar im Palast erwartete, konnte Frediano ein Schweigegelübde auferlegen. Er konnte Sophia suchen lassen und verlangen, dass sie ihn heiratete.

Es würde sich alles wieder richten lassen, doch das kostete Zeit und barg zu viele Risiken; es konnten zu viele Komplikationen auftreten. Und die Gesundheit seines Großvaters würde immer mehr leiden, je länger es dauerte.

Frediano hatte ihm versprochen, seine perfekte Braut morgen der Öffentlichkeit vorzustellen, und dieses Versprechen würde er nicht brechen. Er konnte nicht ungetaner Dinge in den Palast zurückkehren. Und solange das Resultat das war, was er wollte, war es ihm schließlich egal, wen er heiratete.

Frediano kämpfte seine aufsteigende Wut nieder. Jemand hatte seine Pläne zunichte gemacht, hatte die eigenen Bedürfnisse vor die aller anderen gestellt. Es erinnerte ihn an seine Kindheit, in der er oft zusehen musste, wie er zurechtkam, während seine Eltern das Rampenlicht suchten und ihre abenteuerlichen Unternehmungen machten. Sie gingen so in sich selbst auf, dass sie perfekt zueinander passten. Ihre „Liebe“ zueinander hatte alle zerstört, die sich ihnen in den Weg gestellt hatten.

Aber er war kein Kind mehr, das frierend und einsam am Fuße des Berges saß, an dem seine Eltern in den Tod gestürzt waren. Er war ein Erwachsener. Ein Prinz. Ein zukünftiger König.

Er betrachtete seine Frau, eine Fremde.

Und in diesem Moment entschied er, dass sie genauso langweilig und lenkbar wie ihre Cousine sein konnte. Die Durchleuchtung von Sophias Vergangenheit und ihrer Familie hätte es sicher zutage gefördert, wenn sie irgendetwas Kritisches zu verbergen hätte.

Dieses Mädchen konnte Manieren lernen. Es konnte lernen, sich zu benehmen; genauso, wie er das alles einst gelernt hatte. Vielleicht war es besser so: Sie war wie ungeformter Ton.

Er würde aus diesem Irrtum einen Triumph machen, das war eine seiner Stärken.

Er zeigte erneut zur Tür. „Wir fahren jetzt.“

„Fahren?“ Sie riss die Augen auf, und ihre Hände fielen herunter.

„Wir sind verheiratet. Du bist jetzt die Prinzessin … Wie heißt du überhaupt?“

Sie starrte seine Hand an, mit der er sie am Ellbogen fasste und hinaus in die kühle Abendluft führte. Dort wartete bereits die unauffällige Limousine, die er benutzte, wenn er inkognito unterwegs war.

Sie stolperte über ihren eigenen Namen. „I-Ilaria Russo.“

„Principessa Ilaria Montellero. Wir werden in den Palast fahren und uns auf die Bekanntmachung unserer Heirat morgen vorbereiten. Bis dahin hast du noch viel zu lernen.“

Der Fahrer hielt die Hintertür auf, während Frediano die stotternde Ilaria auf das Auto zuzog. Sie entriss ihm ihren Arm und drehte sich um, weigerte sich, einzusteigen.

„Der Pfarrer hat Sophia gesagt, nicht Ilaria“, erklärte sie, ohne seinem Blick auszuweichen.

Sie ballte die Hände zu Fäusten, als wollte sie handgreiflich werden. Hätte die Zeit nicht so gedrängt, hätte er vielleicht gelacht.

„Sie haben mich zu meinem Ja überlistet“, sprach sie weiter, immer noch mit geballten Fäusten. „Wir kennen uns nicht. Ich habe ein Zuhause und Menschen, die mich brauchen, und absolut nicht den Wunsch, eine Prinzessin zu werden.“

„Der Pfarrer wird eventuelle Irrtümer, die er mit dem Namen begangen hat, korrigieren. Für eine Ehe ist es unwichtig, ob man sich kennt oder nicht. Und was dein Zuhause angeht, werde ich sofort jemanden schicken, der die Erinnerungsstücke holt, an denen du hängst.“ Ihren mangelnden Wunsch, eine Prinzessin zu werden, sprach er nicht an.

„Ich habe einen Bauernhof. Ich habe Pflichten.“

„Von beidem kannst du dich für Geld trennen.“ Das fand er mehr als fair, wenn dadurch alles schneller ging.

„Ich will mich nicht davon trennen. Es gibt viele Menschen, die sich auf mich verlassen.“

Ihre Augen blitzten vor Wut, was seine eigene anfachte. Doch Frediano unterdrückte das Gefühl, während sie weitersprach.

„Sie können nicht plötzlich aufkreuzen und mir alles wegnehmen, nur weil Sie ein Prinz sind.“

„Du wirst sehen, dass ich genau das kann.“

„Das ist doch verrückt.“ Ihre Wangen glühten, und das Grün ihrer Augen schien sich mit ihren Emotionen zu verändern. Vielleicht hatte sie recht; sie sah nicht genauso wie ihre Cousine aus. Sie war ein bisschen hübscher – wenn sie wütend war.

Aber Frediano konnte sich weder auf Wut noch auf Schönheit einlassen. Die Situation unter Kontrolle zu behalten, war das Einzige, was zählte.

„Ich habe meine Cousine vor einem Heiratsantrag bewahrt, den sie nicht wollte. Sie hatte Angst, ihn nicht ablehnen zu können. Es tut mir leid, dass Sie das falsch verstanden haben und in diese Sache verwickelt wurden, aber …“

„Ich verstehe nichts falsch, sondern du tust das, glaube ich. Deine Cousine hat heute Abend keinen Antrag erwartet, Ilaria. Sie wusste, dass sie mich heiraten sollte. Sie hat mich getäuscht – und dich.“

Ihr Kinn sackte herunter, jedoch nicht nur vor Schock. In ihrem Blick stand Unglaube.

Doch auch das war Frediano egal. Jetzt ahnte er, mit welchen Methoden er sie zu dem machen konnte, was er haben wollte. Wenn sie sich einbildete, Sophias Beschützerin zu sein, würde sie nichts tun, was ihrer Cousine Schwierigkeiten machte.

„Ich versichere dir, dass ihr Täuschungsmanöver Konsequenzen nach sich ziehen wird. Aber was geschehen ist, lässt sich nicht ändern. Du bist meine Braut, meine Prinzessin.“

„Und wenn ich mich weigere?“, fuhr sie ihn mit blitzenden Augen an und ballte noch fester die Fäuste.

Fredianos Magen zog sich zusammen. Unerwünschte Glut im Kampf mit Eis. Aber das Eis gewann immer.

Autor

Lorraine Hall
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