Die falsche Braut für Ewan?

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Überzeugt, dass ihre Schwester auf einen Mitgiftjäger hereingefallen ist, versucht Claire, die Hochzeit zu verhindern. Ein schwieriges Unterfangen! Erst recht, als sie erfährt, dass ihr zukünftiger Schwager der Highlander Ewan Geddes ist, den sie schon als junges Mädchen unwiderstehlich fand!


  • Erscheinungstag 18.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749538
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

London, 1875

Meine Stiefmutter? Gott, wie lästig!“ Claire Brancaster Talbot blickte von ihrem Schreibtisch auf, wo sie gerade einige Briefe der Admiralität durchgesehen hatte.

Soweit sie sich erinnern konnte, hatte Lady Lydiard noch nie zuvor einen Fuß über die Schwelle von Brancasters Büroräumen am Strand, einer belebten Londoner Straße, gesetzt. „Hat sie gesagt, in welcher Angelegenheit sie mich sehen will, Catchpole?“

Das plötzliche Auftauchen von Lady Lydiard schien den bisher durch nichts zu erschütternden Mr. Catchpole, einen Mann mittleren Alters, völlig aus der Fassung gebracht zu haben. Claire hatte schon lange den Verdacht gehegt, dass ihr übereifriger Sekretär vor Personen von Stand insgeheim tiefste Hochachtung empfand.

„Ihre Ladyschaft hat diese Information nicht preisgegeben, Miss.“ Catchpole nahm seinen Kneifer ab und setzte ihn sogleich wieder auf. „Hätte ich mich erdreisten sollen, sie zu fragen?“

„Ich würde es kaum dreist nennen, einen Besucher nach seinem Anliegen zu fragen.“ Claire unterdrückte einen Seufzer und legte ihren Papierkram beiseite. „Wie auch immer, ich bezweifle, dass Ihre Ladyschaft mich lange über ihr Begehr im Unklaren lassen wird. Bitten Sie sie herein.“

Claire stand auf und strich den Rock ihres karierten Seidenkleides glatt, in der Hoffnung, dass ihre Stiefmutter sich nicht über die sparsame Tournüre oder das vollkommene Fehlen eines Korsetts aufregen würde. Eigentlich benötigte Claire mit ihrer kantigen Figur keineswegs ein Korsett, um eine schlanke Taille zu erzielen. Es mochte zwar stimmen, dass ein Mieder dazu beitrug, den Anschein eines Busens zu erwecken, aber in der Geschäftswelt konnte sie darauf sehr gut verzichten.

Die Tür zu ihrem Büro öffnete sich, und Lady Lydiard segelte herein, die Taille so fest eingeschnürt, dass Claire staunte, wie die Frau noch atmen konnte, von sitzen oder essen ganz zu schweigen.

Mr. Catchpole trottete mit einem schmierigen Lächeln im Gesicht hinter Ihrer Ladyschaft her, das in Claire den Wunsch weckte, ihn zu schütteln, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen. „Lady Lydiard für Sie, Miss Brancaster Talbot. Soll ich Ihnen beiden Tee bringen?“

„Ein Name genügt vollkommen, danke, Catchpole“, erwiderte Claire.

Den Geburtsnamen ihrer Mutter anzunehmen war eine Klausel im Testament ihres Großvaters gewesen. Obwohl sie geschäftliche Korrespondenz mit beiden Namen unterzeichnete, fand sie die Kombination für den alltäglichen Gebrauch zu umständlich.

„Und machen Sie sich keine Umstände wegen des Tees“, fügte sie hinzu, ohne ihre Stiefmutter zu konsultieren. „Ich bezweifle, dass dies ein gesellschaftlicher Besuch ist.“

Was auch der Grund für Lady Lydiards Besuch sein mochte, Claire hatte nicht den Wunsch, ihn unnötig zu verlängern.

„Wie Sie wünschen, Miss.“ Catchpole verbeugte sich tief und ging rückwärts aus dem Büro.

Sein unterwürfiger Rückzug führte an Lady Lydiard vorbei, die gerade ihren Blick durch Claires spartanisches, wenngleich geräumiges Büro schweifen ließ, die Nase leicht gerümpft, als könne sie den unangenehmen Geruch von Geschäften wittern. „Also hier verbringst du deine ganze Zeit?“

„Nicht meine ganze Zeit.“ Claire wandte sich um und blickte aus ihren Bürofenstern auf den regen Betrieb in Londons Geschäftsviertel. „Nur gerade genug, um zu verhindern, dass deine Anteile an Wert verlieren und um das Vermögen wachsen zu lassen, das deine Enkelkinder eines Tages erben werden.“

Lady Lydiard gab einen erstickten Laut von sich, bei dem Claire ihre versteckte Drohung sogleich bedauerte. Ihrer geliebten Halbschwester zuliebe hatte sie sich vorgenommen, das kühle Verhältnis zu ihrer Stiefmutter zu verbessern, zumindest bis Tessas Hochzeit vorüber war.

Als sie sich der Frau wieder zuwandte, um sich auf irgendeine Weise zu entschuldigen, sah sie, dass Lady Lydiard ein Taschentuch an ihre bebende Unterlippe presste. Claires Mut sank, während gleichzeitig Wut in ihr aufstieg. Es war einfach ungerecht, dass eine Frau, die ihr nicht das Geringste bedeutete, sie in so unangenehmem Maße reizen konnte.

„D…deswegen bin ich hergekommen!“ Ihre Ladyschaft begann prompt zu weinen und weckte so einerseits Claires Bedauern, machte sie andererseits aber auch ungeduldig.

Ihr graute förmlich vor den tränenreichen Ausbrüchen, zu denen Lady Lydiard neigte.

„Warum … setzt du dich nicht?“ Claire dachte krampfhaft darüber nach, was sie gesagt haben konnte, das ihre Stiefmutter zu ihrem Besuch veranlasst hatte … oder ihrem plötzlichen Heulkrampf.

Geldsorgen? Das konnte es nicht sein. Egal welche Unstimmigkeiten sie mit der Frau hatte, Claire musste zugeben, dass Lady Lydiard sich mit ihrer großzügigen Rente stets bequem eingerichtet hatte.

„Soll ich Mr. Catchpole rufen und ihm sagen, dass wir doch Tee möchten?“ fragte sie, eine Spur von Verzweiflung in der Stimme.

Sie fand, dass das Ritual des Teetrinkens in unbehaglichen gesellschaftlichen Situationen oft für eine Ablenkung sorgte. Auf die momentane Situation passte diese Beschreibung jedenfalls eindeutig.

„Kein Tee.“ Lady Lydiard unternahm sichtlich eine Anstrengung, sich zusammenzureißen, als sie sich auf den Stuhl vor Claires Schreibtisch setzte. „Ich will dich nicht lange von … was auch immer du gerade tust abhalten.“

Claire schluckte eine spitze Antwort herunter. Die Arbeit, die sie für Brancasters Marine Works verrichtete, war mit Sicherheit mindestens ebenso wichtig wie die Dinge, mit denen die meisten Frauen ihrer Schicht sich üblicherweise die Zeit vertrieben.

„Ich brauche deine Hilfe!“ Die Worte brachen wie ein Schuldgeständnis aus Lady Lydiard heraus. „Es ist wegen Tessa. Sie hat Zweifel wegen der Hochzeit mit Spencer!“

War das alles? Claire lachte erleichtert, als sie sich wieder hinter ihren Schreibtisch setzte.

„Tessa hat zum zwanzigsten Mal Zweifel wegen der Hochzeit mit dem armen Spencer. Es wird zwangsläufig immer schlimmer, wenn der Tag näher rückt. Bereite dich schon mal darauf vor. Aber sie wird es trotzdem durchziehen. Der gute Spencer ist genau die Art von verlässlichem Kerl, die sie braucht. Ich vermute, dass sie das allen Zweifeln zum Trotz in ihrem tiefsten Inneren auch weiß.“

Claires Meinung nach störte es zudem kein bisschen, dass die Verbindung auch aus geschäftlichen Gründen herrlich sinnvoll war. Spencer Stantons Familie besaß eine große Reederei, die zu Brancasters besten Kunden zählte. Außerdem hatte Tessa ihre Debütantinnenzeit längst hinter sich gelassen. Ihre unkonventionelle Art hatte weniger standhafte Freier schon vor Jahren abgeschreckt.

„Diesmal ist es anders!“ beharrte Lady Lydiard. „Es gibt da einen anderen Mann, in den sie heftig vernarrt ist. Aus … Amerika.“ Sie sagte das Wort, als wäre es eine Beschimpfung. „Gillis heißt er … oder war es Getty? Egal. Ich bin überzeugt, dass er ein Mitgiftjäger ist.“

Die Anspannung, die wieder aus Claires Körper gewichen war, kehrte zurück und war stärker denn je.

Sie würde die schmerzhaften Worte nie vergessen, die ihr Vater an einem Abend vor zehn Jahren zu ihr gesagt hatte. Meine Liebe, du bist zu reich, zu klug und zu unansehnlich, als dass irgendein Mann dich je wollen würde, außer vielleicht deines Geldes wegen.

Sie hatte ihm nicht glauben wollen. Welches Mädchen in ihrem Alter hätte das schon getan? Die Männer, die ihr über die Jahre hinweg den Hof gemacht hatten, ließen jedoch die Überzeugung in ihr wachsen, dass die harten Worte ihres Vaters der Wahrheit entsprachen.

Also hatte sie ihre wenigen, bescheidenen Illusionen tief in ihrem Inneren vergraben, zusammen mit dem wehmütigen Wunsch nach einer Familie. Über die Jahre hatte sie all die Zeit und die treue Hingabe, die sie sonst vielleicht einem Ehemann und Kindern geschenkt hätte, Brancasters gewidmet. Im Gegenzug hatte das Unternehmen ihre Zuwendung mit Wachstum und Wohlstand belohnt.

Und verdammt noch mal, sie würde nicht zulassen, dass dies alles jener verabscheuungswürdigsten aller Kreaturen zum Opfer fiel – einem Mitgiftjäger! Vor allem nicht einem, der versuchte, sich zur Hintertür hereinzuschleichen, indem er ihre Halbschwester benutzte.

„Ich werde mit Tessa reden.“ Claire sagte das mit einer solchen ernsten Entschlossenheit, als würde ihr Eingreifen zwangsläufig alles in Ordnung bringen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass sie als Stimme der Vernunft den kapriziösen Anwandlungen ihrer Schwester entgegentrat. Hinterher war Tessa stets dankbar. Manchmal schien sie sich auf eine seltsame Weise geradezu danach zu sehnen, dass Claire sie wieder zurück auf den Boden der Tatsachen holte, selbst während sie sich noch in den Fängen irgendeiner neuen Schwindel erregenden Faszination befand.

„Ich habe bereits mit ihr gesprochen.“ Lady Lydiard umklammerte ihr Taschentuch. „Es ist sinnlos. Sie will einfach nicht zuhören. Sie ist völlig vernarrt in diesen Kretin, sage ich dir. Gott sei Dank ist Spencer gerade geschäftlich unterwegs. Er hat all die Jahre hindurch unglaublich viel Geduld mit ihr gehabt, aber ich fürchte, das hier könnte ihm endgültig zu viel werden.“

Claire war sich da nicht so sicher. Tessas Schwärmereien währten nie lange. Je heißer die Flamme brannte, umso schneller schien sie auch wieder zu verglimmen. Trotzdem konnte Claire es sich nicht leisten, ein Risiko einzugehen, wenn für Brancasters so viel auf dem Spiel stand.

Sie legte den Zeigefinger an die Unterlippe, während sie überlegte, was der beste Schlachtplan war.

„Ich würde diesen Mann gerne einmal selbst kennen lernen“, sagte sie schließlich. „Bis dahin werde ich ein paar Erkundigungen über ihn einziehen, und dann können wir weitersehen.“

Lady Lydiard schluchzte noch einmal, wirkte aber ansonsten schon wesentlich entspannter. „Danke, Claire. Du warst schon immer so vernünftig und unvoreingenommen. Es ist eigentlich beinahe so gut, wie mit einem Mann zu reden.“

„Danke …“, murmelte Claire.

„Lord und Lady Fortescue geben heute Abend einen Ball“, erzählte Lady Lydiard. „Ich bin mir sicher, dass er dort sein wird. Der Schurke hat es irgendwie geschafft, zu jedem gesellschaftlichen Ereignis eingeladen zu werden, das Tessa in den letzten zwei Wochen besucht hat. Und da Sylvia Fortescue Amerikanerin ist …“

Claire nickte. Hochzeiten von verschuldeten britischen Adeligen mit amerikanischen Erbinnen waren in der letzten Zeit geradezu eine Seuche geworden.

Sie überlegte einen Moment. „Ich glaube, ich habe eine Einladung von Lady Fortescue bekommen. Nachdem ich keine Absage geschickt habe, schätze ich, es steht mir frei zu kommen, wenn ich möchte, und eine passende Begleitung kann ich auch mitbringen.“

„Du machst dir nie die Mühe, eine Absage zu schicken.“ Lady Lydiard schnalzte ob solch ungehöriger Nachlässigkeit mit der Zunge. „Dann kommst du trotzdem nicht und bringst die Sitzordnung jeder Gastgeberin durcheinander, die närrisch genug ist, dich zu erwarten. Und an was für eine passende Begleitung hattest du gedacht?“

„An einen privaten Ermittler, wenn du es unbedingt wissen musst. Ich habe ihn schon einmal beschäftigt, um Informationen für mich zu beschaffen. Er hat sich als äußerst diskret und zuverlässig erwiesen. Ich hätte gerne, dass er sich diesen neuen Bewunderer von Tessa einmal genauer ansieht.“

Claire öffnete die oberste Schublade ihres Schreibtisches und warf schwungvoll die Papiere von der Admiralität hinein. Sie würde heute wohl keine Zeit mehr für reguläre Geschäftsangelegenheiten haben, wenn sie Mr. Hutt noch erreichen und verpflichten wollte und sich dann für den Ball bei den Fortescues angemessen ankleiden und herrichten lassen musste.

Aber es führte kein Weg drum herum. Die Ziele dieses Mitgiftjägers zu durchkreuzen mochte sich als ebenso notwendig für ihren künftigen Wohlstand erweisen wie jeder Marinevertrag. Außerdem empfand es Claire als ihre Pflicht, Tessa vor ihrer eigenen Dummheit zu bewahren.

Der Tanz hatte bereits begonnen, als Claire und ihr Begleiter an jenem Abend im Stadthaus der Fortescues am Grosvenor Square eintrafen.

„Miss Talbot, was für eine freudige Überraschung.“ Lady Fortescue sah weder erfreut aus, noch hörte sie sich so an. „Lady Lydiard hat mir eine Nachricht geschickt, dass Sie heute vielleicht doch noch kommen würden.“

„Das war nett von ihr.“ Claire erwiderte das schwache, unaufrichtige Lächeln ihrer Gastgeberin. „Darf ich Ihnen meinen Begleiter vorstellen? Mr. Obadiah Hutt, ein Geschäftsfreund.“

Lady Fortescue hieß Mr. Hutt kühl, aber gnädig willkommen. Er wirkte in Abendkleidung überraschend distinguiert. Claire fragte sich, ob ihre Gastgeberin ebenso freundlich gewesen wäre, wenn sie die Wahrheit über die Art ihrer Bekanntschaft gewusst hätte.

Sobald sie außerhalb von Lady Fortescues Hörweite waren, beugte Mr. Hutt sich zu Claire hinüber und murmelte, „Ich werde dann mal gehen und mich umschauen und umhören, wenn es Ihnen recht ist, Miss.“

„Aber sicher.“ Claire ließ ihren Blick rasch durch den Ballsaal schweifen, sah jedoch nirgendwo eine Spur von Tessa oder Lady Lydiard. „Es ist mir immer recht, wenn Leute das tun, wofür sie bezahlt werden.“

Der Ermittler ließ seinen geübten Blick über die anderen Gäste gleiten. „Wenn sich dieser Kerl in den letzten ein bis zwei Wochen öfter in der Gesellschaft hat sehen lassen, muss einfach irgendjemand etwas über ihn wissen.“

Je mehr Mr. Hutt herausfindet, umso besser, selbst wenn nichts besonders Belastendes dabei sein sollte, dachte Claire, als er davonhuschte, um seine Arbeit zu tun. Geheimnisse übten immer eine ganz besondere Anziehungskraft auf Tessa aus.

„Ah, Miss Talbot!“ Eine vertraute, samtige Männerstimme ertönte hinter ihr. „Sind Sie es wirklich, oder habe ich schon zu viel getrunken?“

Sie wandte sich um und sah Major Maxwell Hamilton-Smythe, der sie beobachtete. Wie immer sah er tadellos aus in seiner Galauniform. Und wie immer hatte er ein Glas in der Hand und ein schelmisches Funkeln in den Augen.

Claire konnte nicht umhin, sein Lächeln zu erwidern. „Niemand, der Sie kennt, würde letztere Möglichkeit ausschließen, mein lieber Max.“

Der Mann war eine Schlange. Claire hatte das schon vor langer Zeit festgestellt, als er sie noch unablässig verfolgt hatte. Aber er war die attraktivste Schlange, die ihr je unter die Augen gekommen war. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie jünger gewesen war und sich noch nicht mit einem Leben als alte Jungfer abgefunden hatte, da hatte Max Hamilton-Smythe sie dazu veranlasst, sich zu fragen, ob es denn wirklich so schrecklich wäre, sich einen Ehemann zu kaufen, vorausgesetzt sie wusste, was sie tat, und bekam etwas für ihr Geld.

„In Wirklichkeit“, fügte sie mit gespieltem Ernst hinzu, „bin ich eine Doppelgängerin, die Miss Talbot engagiert hat, um sie bei langweiligen gesellschaftlichen Zusammenkünften zu vertreten, die sie anders nicht vermeiden kann.“

Der ironische Scherz hatte gerade ihre Lippen verlassen, als ihr plötzlich jeder Sinn für Humor schlagartig abhanden kam. Was nun, wenn Max Tessas Mitgiftjäger war?

Mit einem Schwindel erregenden Gefühl von Erleichterung erinnerte sie sich daran, dass Tessas Freier Amerikaner war. Außerdem hatte Max vor kurzem irgendeine bemitleidenswerte Kreatur geheiratet, deren Reichtum sowohl ihre Schönheit als auch ihre Vernunft bei weitem überstieg.

Max schüttete den Rest seines Drinks herunter und gab dann das Glas einem Diener, der gerade vorbeiging. „Nun, egal wer Sie sind, würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?“ Er bot Claire seinen Arm. „Um alter Zeiten willen?“

„Ich bin nicht davon überzeugt, dass die alten Zeiten das rechtfertigen.“ Sie nahm seinen Arm trotzdem und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. „Außerdem – sollten Sie heute Abend nicht Ihre Frau begleiten?“

„Sie ist nicht hier.“ Max zog fröhlich die Schultern hoch, als würde ihre Abwesenheit ihn nicht sonderlich kümmern. „Fühlt sich nicht wohl, der arme Schatz.“

Während Max mit ihr durch den Ballsaal wirbelte, versuchte Claire sich zu entscheiden, ob sie Mrs. Hamilton-Smythe mehr bedauerte, weil sie vernachlässigt wurde, oder ob ihr Neid überwog, weil die Frau ein Kind erwartete.

Nach zwei Walzern und einem weiteren freundschaftlichen Schlagabtausch verabschiedete Claire sich von dem Major, mehr denn je überzeugt, dass es weise gewesen war, sich seinen attraktiven Fängen zu entziehen.

„Es war nett, Sie wiederzusehen, Max. Aber ich darf Sie nicht länger von Ihrem Vorhaben abhalten, Lord und Lady Fortescues Weinkeller zu leeren. Richten Sie Ihrer Frau bitte aus, dass ich ihr eine gute Besserung wünsche.“

„Wegen meiner Frau …“ Max manövrierte Claire in eine Ecke nah bei dem Podest der Musiker und senkte die Stimme. „Nur weil ich jetzt verheiratet bin, heißt das noch nicht, dass du und ich nicht …“

„Das heißt es ganz entschieden, Max, du Schlange.“

Er sah sie an, als hätte sie ihn mit einem Kosewort bedacht, und fügte mit einem einschmeichelnden Murmeln hinzu: „Barbara und ich haben eine Übereinkunft.“

„Aha.“ Claire unterdrückte den Wunsch, ihn ins Gesicht zu schlagen. „Dann sollten du und ich vielleicht auch eine haben.“

Seine meergrünen Augen glitzerten vor Lust … oder war es Gier? Claire hatte diese beiden Gefühle noch nie wirklich auseinander halten können.

„Ich stelle einvernehmlich fest, dass du noch immer derselbe monströse Schuft bist wie eh und je.“ Ihrem Tonfall nach hätte jeder, der vorbeikam, glauben können, sie mache ihm ein Kompliment. „Und du begreifst vielleicht endlich, dass ich mit dir nie etwas anfangen würde, selbst wenn du der letzte Mann auf Erden wärst. Verstehen wir uns jetzt?“

Hätte sie die Hoffnung gehabt, den Major dazu zu bringen, seine Selbstbeherrschung zu verlieren, dann wäre Claire enttäuscht worden.

Er schnalzte nur mit der Zunge und strahlte unerträgliche Selbstzufriedenheit aus. „Ich kann dir sagen, du weißt nicht, was du verpasst. Wenn du je deine Meinung ändern solltest, weißt du ja, wo du mich findest.“

Claire wandte sich von Max ab und wollte ihm im Weggehen noch eine kleine Beleidigung zuwerfen.

Stattdessen schienen plötzlich ihre Füße am Boden festgenagelt zu sein, als sie Tessa in den Armen eines Mannes im Walzerschritt vorbeischweben sah.

Tessas Partner war nicht so groß wie der Major, und die meisten Frauen hätten ihn wohl auch als nicht halb so gut aussehend bezeichnet. Aber Claire konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden, denn er tanzte, wie er ging, mit einer unbeschwerten, athletischen Grazie, die die Blicke auf sich zog, wo auch immer er vorbeikam.

Sein dunkelbraunes, gelocktes Haar war kurz geschnitten. Er hatte eine Adlernase und einen großen, geschwungenen Mund, der irgendwie gleichzeitig Freundlichkeit und unerschütterliche Entschlossenheit ausstrahlte. Wache, rastlose graue Augen lagen unter kräftigen dunklen Brauen. Einen Augenblick lang hefteten sie sich mit einer Intensität auf Tessa, die Claire den Atem raubte.

„Miss Talbot?“

„Gehen Sie weg, Max!“, fauchte sie. „Ich will Sie als Liebhaber ebenso wenig, wie ich Sie als Ehemann haben wollte.“

„Ich bitte um Verzeihung, Miss Talbot, ich bin es nur – Hutt.“

Brennende Röte überzog Claires Gesicht, als sie sich dem Ermittler zuwandte. Einen Augenblick lang vergaß sie Tessa und diesen Mann. „Es tut mir leid, Mr. Hutt! Ich dachte, es wäre … jemand anders.“

„Keine Ursache, Miss.“ Nicht das geringste Anzeichen eines Lächelns zeigte sich auf den dünnen Lippen des Ermittlers.

Wieder einmal gratulierte sich Claire dazu, seine Dienste in Anspruch genommen zu haben.

„Meine Erkundigungen haben einige Informationen über den Herrn zu Tage gefördert, Miss Talbot.“ Auch wenn es ihm gelungen war, sein Amüsement über ihren Fauxpas zu verstecken, konnte Mr. Hutt die Zufriedenheit über seinen schnellen Erfolg doch nicht verbergen. „Ich dachte, Sie würden es sofort wissen wollen.“

Tessas Mitgiftjäger!

Claire wandte sich wieder um, und ihr Blick durchkämmte den Raum auf der Suche nach ihm.

Hinter ihr erstattete Obadiah Hutt voller Eifer seinen Bericht. „Ich konnte den Namen des Herrn in Erfahrung bringen, Miss. Und ich habe herausgefunden, dass er kein Amerikaner ist, wie Lady Lydiard fälschlicherweise angenommen hatte.“

Kein Amerikaner. Nein.

Von der anderen Seite des Ballsaals wurde seine Stimme hinübergetragen, weich und melodisch, mit dem typischen rollenden Singsang der Highland Glens. Claire versuchte, sich gegen ihren Zauber zu wappnen, doch es gelang ihr nicht.

Als Mr. Hutt weitersprach, hob sie die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten.

„Aber Miss, wollen Sie denn nicht den Namen des Gentleman wissen?“

Auf der anderen Seite des Ballsaals blickte Ewan Geddes auf und erwischte sie dabei, wie sie ihn beobachtete. Einen Augenblick lang runzelte er verwirrt die Stirn.

Dann klärte sich sein Blick.

Sein geschwungener Mund verzog sich zu einem breiten, teuflischen Grinsen, und er zwinkerte ihr zu.

„Ich kenne seinen Namen, Mr. Hutt.“ Die Hand, die Claire immer noch hochhielt, ballte sich zu einer Faust, ebenso wie die andere, die noch an ihrer Seite hing. „Darüber hinaus weiß ich auch, dass er kein Gentleman ist.“

2. KAPITEL

Nur gut, dass ich auf einem Ball bin und dass ein Orchester spielt, dachte Ewan Geddes. So konnte er durch den Raum tanzen, ohne dabei auszusehen wie ein Vollidiot!

Zehn Jahre lang hatte er gearbeitet und gekämpft, um dorthin zu gelangen, wo er jetzt war – mit Tessa Talbot in seinen Armen und niemandem, der die Macht hatte, sie ihm wieder wegzunehmen. Das Schicksal musste einfach gewollt haben, dass sie zusammen waren, egal wie unwahrscheinlich eine solche Verbindung früher einmal erschienen war. Wenn man bedachte, wie weit er es in der Welt gebracht hatte, wusste Ewan, dass für einen Mann, der an sich selbst glaubte und mutig genug war, entschieden zu handeln, wenn sich eine günstige Gelegenheit bot, nichts unmöglich war.

Die Musik verstummte, doch er wirbelte Tessa weiter über das Parkett und wich nur knapp einigen anderen Paaren aus, die warteten, bis das Orchester weiterspielte.

„Ewan!“, quiekte Tessa. „Was machst du da? Wir können doch nicht ohne Musik tanzen!“

„Ach, aber in meinem Herzen ist Musik, Mädchen.“ Als er in ihre riesigen türkisfarbenen Augen hinunterblickte, fielen all die Jahre von ihm ab, und er war wieder achtzehn – ein hitziger Bursche, der zum ersten und einzigen Mal verliebt war. „Kannst du sie nicht hören? Da spielt eine wilde, süße Melodie, seit dem Moment, in dem ich dich wiedergesehen habe.“

Tessa senkte sittsam den Blick und biss sich auf die volle Unterlippe.

Dieser Blick weckte in Ewan den Wunsch, sie zu küssen, aber das würde er nicht tun, bevor sie nicht versprochen hatte, seine Frau zu werden. Und dieses Versprechen konnte sie nicht geben, bevor sie ihre momentane Verlobung gelöst hatte.

Sie sah plötzlich wieder zu ihm hoch, und ihre Augen waren voller ausgelassener Freude. „Seit ich dich wiedergesehen habe, summe ich Tag und Nacht ein Lied.“

„Du summst im Schlaf?“, neckte Ewan, umfasste sie enger und verlangsamte den musiklosen Walzer, bis das Ganze kaum noch mehr war als eine Ausrede, um sie in aller Öffentlichkeit zu umarmen.

„Natürlich nicht, du Dummerchen!“ Ihr Lachen brachte die hoch aufgetürmten goldenen Löckchen auf ihrem Kopf dazu, einen eigenen, vibrierenden Tanz aufzuführen. „Aber die Melodie setzt sich in meinen Träumen fort.“

„Ich weiß, was du meinst.“ Ewan liebkoste ihr Gesicht mit seinen Blicken. „Der Klang deiner Stimme und deines Lachens geistert seit Jahren durch meine Träume.“

Und das Gefühl, wie sie an jenem letzten Abend in seinen Armen gelegen hatte.

Es war Ewans Glück, dass die Musik wieder einsetzte – ein schwungvoller Straußwalzer, der seine berauschenden Glücksgefühle perfekt zum Ausdruck brachte. Ansonsten hätte er möglicherweise sein Versprechen an sich selbst gebrochen und einen handfesten Skandal in der Londoner Gesellschaft ausgelöst, indem er die Verlobte eines anderen Mannes mitten im Ballsaal der Fortescues küsste.

Tessa seufzte atemlos. „Es ist so romantisch, dass du all die Jahre an mich gedacht hast, als du in Amerika warst und hart gearbeitet hast, um etwas aus dir zu machen.“

Kurz nach seiner Ankunft in Pennsylvania war es ihm nicht sehr romantisch vorgekommen, als er ein Junge von achtzehn Jahren gewesen war, der frisch aus den Highlands kam und keinen Penny in der Tasche hatte. Aber in ihm hatte ein Feuer gelodert, das von Ungerechtigkeit und durchkreuzter wahrer Liebe angefacht worden war. Dieses Feuer hatte seinen raschen Aufstieg angeheizt.

„Ich habe das alles nur für dich getan, Tessa Talbot. Um deiner Aufmerksamkeit und deiner Gesellschaft würdig zu sein.“

Nun, jedenfalls fast alles, versicherte Ewan seinem lästigen Gewissen. Es mochte vielleicht stimmen, dass er in jenen ersten Jahren mindestens ebenso versessen darauf gewesen war, sich irgendwie an ihrem Vater zu rächen, der ihn ohne jede Empfehlung hinausgeworfen hatte. Mit der Zeit jedoch hatte er die Herausforderung, sein Glück zu machen, um ihrer selbst willen schätzen gelernt. Als er erst die nötigen Ressourcen gehabt hatte, um seinen ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen, war er davon ausgegangen, dass Tessa schon längst mit jemand anderem verheiratet sein musste.

Dann war ihm ein Exemplar der London Times in die Hände gefallen. Ewan schwor sich, dieses wertvolle Schriftstück vergolden und rahmen zu lassen, denn es hatte ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass die Ehrenwerte Miss Tessa Talbot, Tochter von Lady Lydiard und ihrem verstorbenen Gatten, verlobt war.

Nur verlobt!

All die alten, fast vergessenen Gefühle für sie waren wieder zum Leben erwacht, und Ewan hatte eine Überfahrt auf dem schnellsten Dampfschiff über den Atlantischen Ozean gebucht.

„Würdig? Was für ein Unsinn!“ Tessa gab ihm mit der Hand, die auf seiner Schulter ruhte, einen sanften Klaps. „Du weißt genau, dass ich echte Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten, stets mehr geschätzt habe als nutzlose Aristokraten.“

Ihre leidenschaftliche Erklärung hätte ihn unendlich freuen sollen, aber aus Gründen, die Ewan nicht recht greifen konnte, fühlte er sich stattdessen seltsam beunruhigt. Er ermahnte sich, nicht so dumm zu sein. Alles, was er je gewollt hatte, war nun in greifbarer Nähe. Nichts und niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten, und am allerwenigsten irgendeine vage Vorahnung, die er noch nicht einmal in Worte fassen konnte.

Es war wie das Gefühl, das er früher manchmal bekommen hatte, wenn er in den Hügeln über Strathandrew auf der Pirsch gewesen war. Wenn er sich langsam umgedreht hatte, um festzustellen, dass ein Paar wilder, wachsamer Augen ihn beobachtete. Sosehr er es auch versuchte, es gelang ihm nicht, das Gefühl abzuschütteln.

Als die letzten Takte des Walzers verklangen, verbeugte er sich vor Tessa. „Wollen wir etwas zu trinken holen und uns dann ein ruhiges Plätzchen suchen, wo wir uns hinsetzen und reden können?“

Während er auf ihre Antwort wartete, schweifte sein Blick durch den Ballsaal der Fortescues.

Dort! Neben dem Podest, auf dem das Orchester stand. Eine große, elegant wirkende Frau beobachtete ihn.

Die Farbe ihres Haars, die biegsame Anmut ihrer Gestalt und die länglichen, feinen Gesichtszüge erinnerten ihn an ein Reh. Aber die unerbittliche Intensität ihres Blickes passte besser zu einer Wildkatze, die ihre Jungen verteidigt.

Kannte er die Frau? Ewan vermutete es. Aber woher?

Dann erinnerte er sich wieder.

Die ältere Miss Talbot. Wie hieß sie noch? Catherine? Charlotte?

Egal wie sie hieß, es war kein Wunder, dass sie ihn ansah, als wollte sie ihn mit ihren Blicken töten. Die Dame hatte ihn in den Sommern, in denen Lord Lydiard seine Familie auf sein schottisches Jagdgut im Norden gebracht hatte, stets verspottet und immer etwas an ihm auszusetzen gehabt.

Besonders seine offensichtliche Vorliebe für ihre Halbschwester hatte sie missbilligt. Ewan fragte sich, ob sie es möglicherweise gewesen war, die dem alten Lord Lydiard von seinem mitternächtlichen Treffen mit Tessa berichtet hatte, damals vor zehn Jahren in der letzten Nacht der Talbots in Schottland.

Nun, sie würde die Quittung dafür bekommen, wenn er Tessa zu seiner Braut machte!

Ewan hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, dass nichts die ältere Miss Talbot so sehr in Rage brachte, wie wenn er so tat, als könnte sie ihn mit ihren Bosheiten nicht ärgern. Jetzt schenkte er ihr ein breites Grinsen, um freundschaftliches Erkennen zu signalisieren, und nur ein kleines bisschen Spott funkelte dabei in seinen Augen. Er wusste, dass das bei ihr einen Sturm der Entrüstung auslösen würde. Nach all den Jahren genoss er immer noch den Gedanken, sie zu reizen.

Miss Talbot durchquerte den Ballsaal mit schnellen, zielgerichteten Schritten. Ein Mann folgte ihr.

„Claire!“ rief Tessa, als sie ihre Schwester sah. „Was machst du hier? Du gehst doch abends nie aus.“

Die beiden Frauen fassten sich bei den Händen und küssten sich mit echter Zuneigung gegenseitig auf die Wangen.

Ewan hatte sich oft darüber gewundert, wie nah sie sich standen. Schließlich waren sie nur Halbschwestern und so gegensätzlich, wie man nur sein konnte. Außerdem hatte jede reichlich Grund, auf die andere neidisch zu sein. Tessa hätte Claire um ihren Reichtum und die Stellung der älteren Schwester innerhalb der Familie beneiden können, Claire ihre jüngere Schwester um deren Schönheit und Charme.

Claire Talbot strich mit einer beinahe mütterlichen Geste eine Locke aus Tessas Stirn. „Ich schätze, es ist höchste Zeit, dass ich mich öfter in die Gesellschaft wage. Schon allein um ein Auge darauf zu haben, was du anstellst, während der arme Spencer fort ist. Schließlich wollen wir doch nicht, dass irgendwelches dummes Geschwätz eure Hochzeitspläne gefährdet, oder?“

Obwohl sie mit Tessa sprach, erkannte Ewan, dass Miss Talbots Warnung in Wahrheit ihm galt. Dachte sie, er wäre zu dumm, um von Tessas Verlobung zu wissen?

Claires sanfte Zurechtweisung schien Tessa durcheinander zu bringen, was Ewan auf die lange Liste der Dinge setzte, die er ihr übel nahm.

„Über all das reden wir ein anderes Mal, Claire.“ Tessa sah zu Ewan hinüber, und sofort leuchtete ihr Gesicht wieder. „Du kommst nie darauf, wer nach all den Jahren nach London gekommen ist!“

„Meine Fähigkeiten, die richtigen Schlüsse zu ziehen, sind besser, als du vielleicht denkst, Liebes.“ Claire wandte sich Ewan zu und hielt ihm die Hand hin. „Mr. Geddes, wenn ich nicht irre?“

Ewan ignorierte ihre offensichtliche Absicht, ihm die Hand zu schütteln. Stattdessen fing er ihre langen, schlanken Finger ein und hob sie an die Lippen. „Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie sich noch an mich erinnern, Miss Talbot.“

Wie er gehofft hatte, fühlte sie sich durch die Geste und die falsche Herzlichkeit seiner Begrüßung provoziert.

Sie entzog ihm die Hand und wahrte nur gerade eben noch den Anschein von Höflichkeit. „Fühlen Sie sich bitte nicht allzu geschmeichelt, Sir. Ich gebe mir Mühe, mir eine ganze Menge Menschen zu merken. Nicht immer aus den erfreulichsten Gründen.“

Tessa musste die Spannung zwischen ihnen gespürt haben, denn ihre Stimme war voller erzwungener Fröhlichkeit, als sie ihre Schwester fragte: „Wer ist denn dein Begleiter? Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt.“

Einen Augenblick lang starrte Claire Talbot ihre Schwester verdutzt an, dann drehte sie sich zu dem Mann hinter ihr um. „Oh! Wo hab ich nur meine Manieren gelassen? Dies ist Mr. Obadiah Hutt, ein Geschäftsfreund von mir. Mr. Hutt, erlauben Sie mir, Ihnen meine Schwester Tessa vorzustellen, und Mr. Ewan Geddes … einen alten Freund der Familie.“

Ewan sträubte sich innerlich. Glaubte sie, er schämte sich seiner Herkunft oder dessen, was er früher gewesen war? Enthielt ihre Art, ihn vorzustellen, eine versteckte Drohung, seine Vergangenheit preiszugeben?

Und außerdem, wer war eigentlich dieser Hutt? Er besaß nicht die träge Ungezwungenheit eines Gentleman, und er schüttelte Ewans Hand mit festem Druck und sah ihm dabei direkt in die Augen … beinahe zu direkt.

„Was Miss Talbot meint, Sir“, Ewan versuchte, sie mit seinem Blick aus der Fassung zu bringen, aber sie zuckte mit keiner Wimper, „ist, dass ich früher auf dem Anwesen ihres Vaters in Schottland als Gillie gearbeitet habe.“

Als der andere Mann verwirrt die Stirn runzelte, erläuterte Ewan: „Ein Gillie ist eine Art Führer bei der Jagd und beim Angeln. Er schleppt die Ausrüstung, lädt die Gewehre und zieht die Beute ab. Solche Dinge.“

Tessa ergriff seinen Arm und demonstrierte so auf eine Weise ihre Unterstützung, die Ewan berührte. „Und er war wirklich sehr gut darin! Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er in seinem Kilt mit einem Gewehr auf der Schulter in die Hügel gegangen ist. Ich fand immer, er war genau wie einer der Helden von Sir Walter Scott.“

Miss Talbots Geschäftsfreund nickte bei der Erklärung. „Und was führt Sie aus Schottland hierher, Mr. Geddes?“

„Ich bin nicht aus Schottland gekommen, Sir.“ Sosehr er auch versuchte, sachlich zu klingen, es gelang Ewan nicht recht. „Ich habe vor zehn Jahren meine Heimat verlassen und war seither nicht wieder dort.“

Und das hatte er Lord Lydiard zu verdanken. Vielleicht mit etwas Hilfe von der Frau, die jetzt vor Ewan stand und ihn mit kaum versteckter Feindseligkeit anblickte.

Seine alten Rachepläne erschienen Ewan plötzlich wieder äußerst verlockend. Vielleicht sollte er doch noch ein paar Erkundigungen über Brancasters einholen.

Ich habe meine Heimat vor zehn Jahren verlassen.

Ewan Geddes’ Worte und die Empörung unter seiner zwanglosen, charmanten Fassade schnürten Claire die Kehle zu und ließen ihren Atem stocken, als hätten starke Hände die Bänder ihres Korsetts plötzlich mit einem Ruck noch enger gezogen.

Sie war an diesem Abend in der Erwartung gekommen, sich mit einem einfachen Mitgiftjäger anzulegen, einem wie Major Hamilton-Smythe. Stattdessen war sie auf einen alten Gegenspieler gestoßen, der womöglich von wesentlich düstereren Motiven getrieben wurde und viel größeres Unheil anrichten konnte. Auf jemanden, der möglicherweise den einzigen beiden Dingen auf der Welt, die ihr wirklich etwas bedeuteten, Schaden zufügen wollte – ihrer Schwester und Brancasters.

Als das Orchester eine neue Melodie anstimmte, wandte Claire sich Obadiah Hutt zu. Hinter ihrer behandschuhten Hand flüsterte sie: „Fordern Sie sie zum Tanz auf.“

Als er sie nicht zu hören oder vielleicht nicht zu verstehen schien, zischte sie: „Meine Schwester! Bitten Sie sie zum Tanz.“

„Miss Tessa?“ Mr. Hutt streckte Tessa seinen Arm hin, genau wie Claire ihn angewiesen hatte. „Darf ich um die Ehre dieses Tanzes bitten?“

Als Tessa Ewan Geddes einen zweifelnden Blick zuwarf, drängte Claire sie: „Geh schon, Liebes. Es gibt zwangsläufig weniger Gerede, wenn du mit mehreren verschiedenen Herren beim Tanz gesehen wirst, während Spencer nicht in der Stadt ist.“

„Na gut.“ Tessa blickte noch einmal zu ihrer Schwester hinüber, als sie mit Mr. Hutt auf die Tanzfläche ging – halb war es eine Warnung, halb eine Bitte, keine Szene zu machen.

Claire und Ewan standen einen Augenblick lang in unbehaglichem Schweigen da und beobachteten, wie Tessa und Mr. Hutt sich unter die umherwirbelnden Paare mischten.

„Nun?“ forderte sie ihn heraus, als klar war, dass er die Gelegenheit ignorieren wollte. „Wollen Sie mich nicht zum Tanz auffordern?“

Sie unterdrückte ein albernes, kurz aufflackerndes Verlangen danach, noch einmal in seinen Armen zu liegen. Hatten zehn Jahre und eine ganze Reihe von Männern wie Max Hamilton-Smythe sie denn gar nichts gelehrt?

Der Schotte zog die ausdrucksvollen, dunklen Brauen hoch und schob zweifelnd die Unterlippe vor. „Würden Sie das nicht als ungehörig empfinden – ein ehemaliger Diener, der sich Freiheiten mit der Tochter des Lairds herausnimmt?“

Claire starrte ihn mit einem eiskalten, vernichtenden Blick an, hielt ihren Tonfall und ihr Lächeln jedoch tadellos höflich. „Das wäre ja nicht das erste Mal, nicht wahr?“

Das war nicht fair, protestierte ihr Gewissen. Vor zehn Jahren hatte sie sich danach gesehnt, dass Ewan Geddes sich irgendwelche Freiheiten bei ihr herausnehmen würde. Das Problem war gewesen, dass er das stets nur bei ihrer schönen und lebhaften jüngeren Schwester hatte tun wollen.

Einen Augenblick lang wurden seine grauen Augen so dunkel wie schwere Gewitterwolken über Ben Blane. Dann klärten sie sich ebenso schnell wie der Morgendunst über Loch Liath. Beides wühlte in Claire etwas auf, an das sie nicht erinnert werden wollte. Der Himmel müsste ihr beistehen, wenn sie zuließ, dass dieser Mann je wieder Macht über ihr Herz erlangte, oder, noch schlimmer, erriet, welche Macht er über sie hatte.

Er verbeugte sich so tief und ausladend, dass es schon beinahe an Spott grenzte. „In diesem Fall, Miss Talbot, kann man mich ebenso gut wegen eines Schafes wie wegen eines Lammes hängen, wie man in meiner Heimat zu sagen pflegt. Erweisen Sie mir die Ehre dieses Tanzes?“

Niemand hatte ihr sonst eher ausgeglichenes Gemüt je so aufregen können wie er. Claire versuchte, ihre Gefühle zu unterdrücken.

„Haben die Menschen in Ihrer Heimat denn viele Schafe gestohlen?“, fragte sie mit schelmischer Höflichkeit, während sie Ewans Arm nahm und sich von ihm auf die Tanzfläche führen ließ.

„Nur so viele wie nötig, um nicht zu verhungern, nachdem sie von ihrem Land vertrieben worden waren.“ Die spöttische Heiterkeit seines Tonfalls stand im krassen Gegensatz zu seinen Worten. Aber als er Claires Hand nahm und seinen Arm um ihre Taille legte, konnte sie spüren, wie angespannt seine Muskeln waren.

Vielleicht hatte sie in ihm doch stärkere Gefühle ausgelöst, als er sie je hatte merken lassen. Der Gedanke gab ihr ein bisschen Selbstachtung zurück.

Nachdem ihr in dem Moment wieder einfiel, weshalb sie ihn auf die Tanzfläche gelockt hatte, ignorierte sie seine provozierende Bemerkung über verhungernde Highlander. „Sie sehen inzwischen sehr wohlhabend aus. Haben Sie es in Amerika weit gebracht?“

Sicherlich nicht so weit, dass ihn das Vermögen der Brancasters nicht mehr in Versuchung führen würde.

„Es reicht jedenfalls.“ Seine Antwort bestätigte Claires Verdacht. „In der Neuen Welt sind einem Mann keine Grenzen gesetzt, wie weit er es mit Intelligenz und harter Arbeit bringen kann.“

Und wenn das nicht weit genug war, fügte Claire in Gedanken dazu, konnte er immer noch den Atlantik überqueren um zu sehen, wie weit hohler Charme und vollkommene Skrupellosigkeit einen dort bringen konnten.

„Ich glaube, dass ein wirklich entschlossener Mann es überall zu etwas bringen kann, Mr. Geddes. Mein Großvater, zum Beispiel. Er hat Brancasters aus dem Nichts aufgebaut, und er musste dafür nicht bis nach Amerika segeln.“

Ewan stimmte ihr mit einem Nicken zu. „Mit Sicherheit eine außerordentliche Leistung. Dadurch konnte er seine Tochter dann auch mit einem Laird verheiraten.“

Das tat weh. Hatte aus der schmerzlichen Warnung ihres Vaters gegen Mitgiftjäger die Erfahrung gesprochen? Claire ließ Ewan nicht merken, wie sehr er sie getroffen hatte. Dieser Tage war eine dicke Haut vonnöten, um sich mit dem Mann Wortgefechte zu liefern.

„Wenn Sie glauben, dass Ihnen das ein Recht gibt, meine Schwester zu verfolgen, dann haben Sie sich geirrt, Mr. Geddes. Schafe zu stehlen ist eine Sache, die Verlobte eines anderen Mannes, eine ganz andere. Was genau sind Ihre Absichten Tessa betreffend?“

„Ich habe nur die ehrbarsten Absichten, das kann ich Ihnen versichern.“ Der Griff seiner Hand um ihre wurde fester, und auch die Hand an ihrer Taille versteifte sich. „Ich stimme Ihnen zu, dass es einen Unterschied macht, ob man ein Schaf stiehlt oder einer Dame den Hof macht, Miss Talbot. Schafen ist es völlig egal, wer sie schert, diesen dummen Biestern. Aber eine Dame hat möglicherweise sehr klare Vorstellungen davon, wen sie gerne heiraten möchte. Wenn ihre Zuneigung von einem Mann auf einen anderen übergeht, noch bevor sie vor den Altar tritt, würde ich das kaum als Diebstahl bezeichnen.“

Himmel! Der Tanz war schon eher zu einem Degenduell mit Musik geworden. Trotz alledem genoss ein verräterisch großer Teil von Claire die kaum verschleierten Hiebe und Stiche. Sie hatte sich seit Jahren nicht mehr so lebendig gefühlt.

„Meine Schwester mag diese Woche eine sehr starke, sogar eine leidenschaftliche Vorliebe für einen Mann haben, Sir, und trotzdem schon nächste Woche für einen anderen schwärmen. Haben Sie sich noch nicht gefragt, warum eine so schöne und charmante Frau mit sechsundzwanzig Jahren immer noch unverheiratet ist?“

Ewans schweifender Blick glitt zu Tessa hinüber, die gerade in den Armen von Obadiah Hutt vorbeitanzte.

„Sie ist also etwas unstet in ihrer Gunst, ja?“ Er klang nicht so, als beunruhige ihn diese Möglichkeit so sehr, wie sie es hätte tun sollen. „Was ist mit Ihnen, Miss Talbot? Warum ist eine wohlhabende, attraktive Dame wie Sie immer noch unverheiratet, obwohl sie schon …?“

„… achtundzwanzig ist.“ Claire schleuderte ihm die Worte mit geradezu perversem Stolz entgegen. „Was Sie ganz genau wissen, Mr. Geddes, nachdem meine Schwester sechzehn und ich achtzehn war in Ihrem letzten Sommer auf Strathandrew.“

Sie ließ ihre Antwort einen Augenblick lang wirken, bevor sie fortfuhr, „Ich bin nicht aus Mangel an Gelegenheit unverheiratet geblieben. Dessen können Sie versichert sein. Keine Frau mit einem Vermögen wie dem meinen genießt den Luxus, nicht verfolgt zu werden, egal wie sehr es ihr an Schönheit und Witz mangelt oder wie unberechenbar ihr Temperament sein mag.“

Zum ersten Mal, seit sie sich wiedergesehen hatten, spürte Claire einen Wandel in Ewan Geddes Gebaren. Die Feindseligkeiten, die er als freundschaftlichen Schlagabtausch getarnt hatte, waren verschwunden. Irgendetwas, das sie gesagt hatte, musste bei ihm einen empfindlichen Nerv getroffen haben.

Aber was? Und warum?

Zum ersten Mal, seit er Claire Talbot vor über zwanzig Jahren kennen gelernt hatte, flackerte bei Ewan Mitgefühl für sie auf.

In den letzten paar Jahren war sie das Ziel mehrerer Mitgiftjäger gewesen. Das war eine Erfahrung, die er nicht einmal seinem größten Feind gewünscht hätte, geschweige denn der Schwester der Frau, die er liebte.

Um sie herum schwoll die Musik zu einem glanzvollen Schlussakkord an. Die Tänzer kamen zum Stehen und klatschten höflich. Manche verließen die Tanzfläche um sich auszuruhen oder etwas zu trinken zu holen, andere warteten, bis das nächste Stück anfing.

Obwohl er fest vorgehabt hatte, Miss Talbots Gesellschaft bei der nächstmöglichen Gelegenheit zu entkommen, hörte er sich selbst fragen, „Wollen wir es noch einmal versuchen?“

Sie schien von der Einladung ebenso überrascht zu sein wie er. „J…ja. Ich schätze schon. Danke.“

Über ihre Schulter konnte er sehen, wie Tessa mit einem Blick voller verwirrter Verärgerung zu ihm hinüberstarrte. Er zwinkerte ihr beruhigend zu, in der Hoffnung, sie würde verstehen, dass er gerade versuchte, ihre Schwester umzustimmen.

Er war zuversichtlich, dass Tessa ihre derzeitige Verlobung lösen würde, um ihn zu heiraten. Aber Ewan war sich nicht so sicher, ob sie das auch gegen den Willen sowohl ihrer Mutter als auch ihrer Schwester durchziehen würde. Sein Instinkt warnte ihn, dass er bei Lady Lydiard nie Zustimmung finden würde. Aber Claire Talbot könnte vielleicht mit der Zeit lernen, ihn zu mögen, wenn sie ihm nur eine Chance gab.

Vielleicht musste er bei der Dame einen anderen Kurs einschlagen. Sich erst mal selbst ins Gedächtnis rufen, dass er kein neunzehnjähriger Gillie mehr war, dessen Komplexe so groß waren wie eine ausgewachsene schottische Kiefer, und aufhören, sich ihre Spötteleien so zu Herzen zu nehmen. Ein wenig von dem Charme bei ihr spielen lassen, mit dem er das Herz ihrer Schwester gewonnen hatte.

„Nur ein vollkommener Idiot würde behaupten, Ihnen mangele es an Witz, Miss Talbot.“ Er hielt sie auf Armeslänge von sich und tat, als mustere er sie von Kopf bis Fuß. „Und ich kann nicht behaupten, dass ich an Ihrem Aussehen auch nur das Geringste auszusetzen hätte.“

Und das hatte er auch wirklich nicht.

Nun gut, sie mochte keine so atemberaubende Schönheit sein wie seine Tessa, aber Claire Talbot war nichtsdestotrotz eine attraktive Frau. Was ihren klaren, regelmäßigen Zügen an Sanftheit fehlte, machte sie durch Charakter wieder wett. Ihre Augen hatten nicht das warme Blaugrün eines südlichen Meeres, sondern das frische Blaugrau eines Lochs in den Highlands. Hätte er ihr Alter nicht gekannt, er hätte sie um einige Jahre jünger geschätzt.

Sein bescheidenes Kompliment schien sie weitaus mehr zu verwirren als all seine subtilen Sticheleien. „Sie brauchen kein Mitleid mit mir zu haben, Sir. Ich habe lange genug mit meiner Schwester zusammengelebt, um weibliche Schönheit zu erkennen. Und um zu wissen, dass ich sie in meinem eigenen Spiegelbild nicht finde.“

Die Musik hob wieder an, diesmal mit einer sanfteren Melodie, die Ewan an das Flüstern eines Frühlingswindes in den Bäumen um Loch Liath erinnerte.

Er zog Miss Talbot an sich.

„Mitleid?“ Er starrte sie an, als hätte er noch nie etwas so Ungeheuerliches gehört. „Das bekommst du hier nicht, Mädchen. Denn damals hattest du nie auch nur einen Funken Mitleid für mich.“

Und das, erkannte Ewan, war eines der Dinge, die er an ihr stets gemocht hatte. Oh, sie hatte ihn verspottet, ihn manchmal sogar direkt beleidigt. Aber irgendwie hatte sie ihm das Gefühl gegeben, dass sie es tat, weil sie ihn als ebenbürtig empfand – als einen würdigen Gegner, nicht als irgendeine arme Seele, die sie gönnerhaft mit gnädigen Plattitüden bedenken musste.

„Ich finde, es gibt mehr als nur eine Art von Schönheit, meinen Sie nicht?“, fragte er.

„Was für Arten kann es denn noch geben?“ Ihre Stimme war voller Zweifel.

„Nun …“ Ewan bemühte sich, ein Beispiel zu finden, um seine These zu stützen. „Viele Menschen finden zum Beispiel Surrey schön.“

„Ich gehöre dazu.“

„Bedeutet das dann gleichzeitig, dass die Highlands nicht schön sind?“ Er drehte sie so schnell, dass ihm ein klein wenig schwindelig wurde. „Nur, weil sie nicht aussehen wie Surrey?“

„Nein, natürlich nicht!“

Die Ehrlichkeit ihrer Empörung berührte ihn.

„Nun, da sehen Sie’s. Vielleicht ist Miss Tessas Schönheit wie die von Surrey und Ihre wie die der Highlands.“

„Rau, hart und kalt?“ Ihre Augen glitzerten voller Triumph, weil es ihr gelungen war, seine Worte in eine Beleidigung zu verwandeln, die er nicht beabsichtigt hatte.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich schwören, dass Sie nach Komplimenten fischen, Miss Talbot.“

„Sie waren doch früher Gillie. Sagen Sie mir, benutze ich den richtigen Köder?“

Wenn er es nicht besser gewusst hätte, wäre Ewan möglicherweise auf den Gedanken gekommen, dass sie versuchte, mit ihm zu flirten. Aber der Gedanke, dass Claire Talbot kokettierte, war einfach zu abwegig.

„Sie sollten es nicht nötig haben, schlecht von sich zu sprechen, um Komplimente zu bekommen. Ich schätze, Sie kennen Ihren Wert ganz gut, und ich glaube, Sie wissen auch, was ich mit der Schönheit der Highlands meine.“

„Vielleicht weiß ich das, Mr. Geddes.“ Ihre Stimme war sanft, und einen Augenblick lang war ihr Gesicht nachdenklich. Dann hatte sie ihre Verteidigung wieder aufgebaut. „Sie sind geschickter im Schmeicheln als die meisten meiner Bekannten. Sie machen nicht den Fehler, zu dick aufzutragen.“

Ewan lachte. „Ich glaube, Sie haben mir gerade indirekt eine Antwort auf meine Frage gegeben, Miss Talbot.“

„Und welche Frage mag das gewesen sein?“

„Die ungehörige Frage, warum Sie noch keinen Ehemann gefunden haben.“

„Ah.“ Sie nickte. „Mit dem ebenso ungehörigen Hinweis auf mein fortgeschrittenes Alter?“

„Schuldig im Sinne der Anklage.“ Ewan schenkte ihr ein reumütiges Grinsen. „Darf ich es wagen, unterwürfigst um Verzeihung zu bitten und auf die Gnade des Gerichtes zu hoffen?“

„Alles ist möglich, auch wenn ich bezweifle, dass Sie einen einzigen unterwürfigen Knochen im Leib haben.“ Ihr Ausdruck wurde sanfter. „Nun gut, ich nehme Ihre Entschuldigung an. Ich schäme mich meines Alters nicht, genauso wenig wie der Tatsache, dass ich unverheiratet bin.“

„Dafür gibt es auch keinen Grund. Ich würde sagen, dass Sie noch nicht verheiratet sind, weil Sie keinen Mann gefunden haben, der Ihr Geld wert ist.“

Sie überdachte seine Aussage. „Wenn doch mal einer käme, würde er vermutlich unter all jenen verloren gehen, die nur auf der Jagd nach meinem Geld sind.“

Wieder musste Ewan über einen ihrer ironischen Scherze lachen. Er hatte oft etwas Ähnliches über sich selbst gedacht.

Das war auch der Grund, weswegen er sich entschlossen hatte, nicht den gesamten Umfang seines Vermögens zu offenbaren, bis Tessa seinen Antrag offiziell angenommen hatte. Er hatte keine Angst, dass sie ihn nur seines Reichtums wegen heiraten würde. Aber um wie vieles süßer würde sein Sieg erst sein, wenn sie keine Ahnung hatte, wie weit er es wirklich in der Welt gebracht hatte, und ihn trotzdem heiraten wollte.

Der Gedanke machte Ewan ungeduldig, wieder zu ihr zu kommen, sobald der Walzer zu Ende ging. Er überhörte beinahe die Worte, die Claire Talbot murmelte. Worte, die sie möglicherweise nicht hatte laut aussprechen wollen.

„Einmal dachte ich, einen Mann gefunden zu haben, der mein Geld wert war. Es stellte sich allerdings heraus, dass ich mich geirrt hatte.“

Ewan vergaß, dass er kein Mitleid für sie empfinden sollte.

Kein Wunder, dass sie seinen Gefühlen für Tessa misstraute, wenn sie von Mitgiftjägern verfolgt und von dem einen Mann, den sie geliebt hatte, im Stich gelassen worden war.

Die Musik verstummte, und wieder klatschten die Paare auf der Tanzfläche.

„Danke, Mr. Geddes.“ Claire Talbot trat einen Schritt von ihm zurück. „Sie sind ein hervorragender Tänzer.“

Er nahm das Kompliment mit einer Verbeugung zur Kenntnis. „Ich habe in den letzten zehn Jahren das eine oder andere gelernt. Unter anderem auch, dass ich es bin, der sich für Ihre Gesellschaft bedanken sollte.“

Als sie sich umwenden wollte, ergriff Ewan ihre Hand. „Ich schätze, wir haben uns beide in den letzten zehn Jahren ziemlich verändert, Miss Talbot. Vielleicht sollten wir aufhören, uns gegenseitig so zu behandeln, als wären wir immer noch dieselben wie damals, und einen neuen Anfang machen. Was meinen Sie?“

Ihr Blick schien erforschen zu wollen, ob er es ehrlich meinte.

Ewan stellte fest, dass er ihre Antwort mit wesentlich größerer Spannung erwartete, als sie es eigentlich verdiente.

Autor

Deborah Hale

Deborah Hale konnte es nie richtig glauben, wenn ihre Eltern erzählten, sie hätte schon mit sieben Monaten zu sprechen begonnen. Aber wie auch immer, eines ist sicher: Deborah liebt es, Geschichten zu erzählen, seit sie denken kann.

In ihrer Jugend las sie unendlich viele Romane über das Meer und schrieb...

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