Die Geliebte des Wüstenkönigs

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Auf der Flucht vor einer arrangierten Ehe findet Tara Schutz in den starken Armen von Scheich Raif ibn Ansar. Völlig überraschend fühlt sie sich bald schon unwiderstehlich zu dem charismatischen Wüstenkönig hingezogen. Seine tiefe Stimme und der feurige Blick aus seinen dunklen Augen jagen wohlige Schauer über ihren Körper. Unter dem magischen Sternenhimmel von Nahrat lassen Raifs glühende Küsse Tara dahinschmelzen. Doch kann sie ihm wirklich vertrauen? Oder verfolgt der mächtige Herrscher ganz eigene Ziele?


  • Erscheinungstag 13.07.2021
  • Bandnummer 2500
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718855
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Laster stoppte. Taras Puls beschleunigte sich. Jetzt kam der Teil, vor dem sie Angst hatte. Der gefährliche Teil.

Sie konnte kaum glauben, dass sie es wahrhaftig tat – das Gesetz brach und versuchte, illegal in ein Land einzureisen.

Aus einem Land zu fliehen. Das traf es genauer.

Tara bekam eine Gänsehaut, als sie an das Schicksal dachte, das ihr bevorstand, wenn sie in Dhalkur blieb.

Bei dieser Aussicht verblassten sämtliche Zweifel an dem Plan, ihr Schicksal in die Hände eines nahezu fremden Mannes zu legen. In der Heimat ihrer Mutter zu bleiben und Fuad ausgeliefert zu sein … ausgeschlossen.

Übelkeit stieg in Tara hoch. Es war erdrückend heiß, und Furcht nagte an ihr. Sie hatte das Gefühl, ihre Rippen würden sich um die Lungen zusammenziehen und nur noch ganz flache Atemzüge zulassen. Vielleicht lag es aber auch an dem engen Kokon, in dem sie steckte, eingezwängt hinten im Laster. Obwohl es noch früh war, machte sich die Wüstenhitze schon bemerkbar.

Es gab einen Ruck, als ob der Fahrer ausstieg oder jemand zustieg. Der Motor wurde angelassen, und sie fuhren weiter.

Über die Grenze.

Erleichtert holte Tara Luft. Jedenfalls so tief, wie es ging. Sie hatte sehr wenig Platz und Sauerstoff, doch daran durfte sie nicht denken. Auf gar keinen Fall durfte sie jetzt Platzangst bekommen. Sobald sie außer Sichtweite der Grenze waren, wollte Yunis anhalten und ihr aus der Enge heraushelfen. Sie musste bloß ruhig bleiben und warten – was sie allerdings ihre ganze Kraft kostete.

Der letzte Monat war der schlimmste ihres Lebens gewesen. Ein Albtraum. Sie trauerte nach wie vor. Die Welt wirkte trüb und grau. Das Einzige, was sie in Farbe sah, war Fuad – und sie wünschte, sie würde es nicht tun.

Nie wieder wollte Tara ihren Cousin sehen. Er hatte sich von einem boshaften, sadistischen Jungen zu einem rücksichtslosen, habgierigen Mann entwickelt, der bereit war, jeden zu zerschmettern, der zwischen ihm und seinem Ziel stand.

Tara zum Beispiel.

Wieder bekam sie eine Gänsehaut. Gleich bist du frei, sagte sie sich. Yunis würde den Laster stoppen und sie rauslassen. Yunis, der ihre Mutter gut gekannt hatte und ein enormes Risiko einging, indem er Tara half. Sobald sie in Sicherheit wäre, würde sie einen Weg finden, um ihm zu danken.

Trotz der Gefahr musste sie gähnen. Die Hitze und der Sauerstoffmangel forderten ihren Tribut.

Bald würden sie anhalten und dann …

Alles war dunkel, als Tara aufschrak. Panik ergriff sie. Es war unsäglich heiß. Rühren konnte sie sich nicht; ihre Arme und Beine waren eingeklemmt. Sie sah nichts und hörte nichts, fühlte sich, als läge sie gefesselt unter einem schweren Gewicht. Sie wusste nicht einmal, wo oben und unten war.

Gerade wollte sie schreien, da fiel es ihr wieder ein. Der Laster. Die Grenze. Yunis’ Angebot, sie zwischen den Waren zu verstecken, die er nach Nahrat transportierte.

Ich bin eingenickt, erkannte sie. Vor Erleichterung hätte sie beinahe geschluchzt.

War ihr je zuvor so unerträglich heiß gewesen? Ihre verschwitzte Haut juckte, und die Haare hingen ihr feucht um das Gesicht. Wie lange sie wohl schon hier lag?

Mit einem dumpfen Schlag öffnete jemand die Rückseite des Lasters. Hörte sie da Stimmen?

Tara schluckte die Worte herunter, die ihr auf der Zunge lagen. Yunis hatte versprochen, sie auf dem Weg zur Hauptstadt an einem ruhigen Ort abzusetzen. Von anderen Leuten war nicht die Rede gewesen.

Doch sie hörte Männerstimmen, gedämpft, weil sie zwischen der Ladung verborgen war und ihr das Blut in den Ohren dröhnte.

Wo waren sie? Wer waren die Männer? Hätte sie Yunis nicht trauen dürfen?

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als jemand an dem Bündel zerrte, in dem sie sich verbarg. Männer redeten und lachten. Jemand warf Tara mit Schwung über etwas, möglicherweise eine Schulter. Zum Glück hatte sie nicht gefrühstückt.

Um nicht vor Schreck und Schmerz aufzuschreien, biss sie sich fest auf die Unterlippe. Sie schmeckte Blut, konnte nur still sein und hoffen.

Ihr Magen krampfte sich zusammen bei der Vorstellung, dass Fuad sie aufgespürt hatte – oder dass Yunis sie skrupellosen Männern auslieferte, die eine Verwendung für Fuads Cousine hatten, über die sie lieber nicht nachdachte.

Raif wartete, bis er allein war. Dann erhob er sich von dem vergoldeten Thron in der Mitte des marmornen Podiums.

Die jahrhundertealte Tradition der wöchentlichen Anhörung war wichtig. Seine Untertanen brauchten das Gefühl, dass ihr Scheich ein offenes Ohr für sie hatte.

Die Versammlung hatte mit einem Grundstücksstreit begonnen, der seit mehreren Generationen schwelte. Anschließend war der angebliche Diebstahl einer Mitgift zur Sprache gekommen, danach der neue Zuschnitt von Wahlbezirken und das mögliche Fehlverhalten eines Beamten.

Die Türen wurden geöffnet. Raifs Haushofmeister kam herein, verbeugte sich und deutete auf einen Mann, der etwas Langes über der Schulter trug. Der Fremde schwitzte und atmete schwer. Lag das an seiner Last, oder war er so nervös? Der königliche Audienzsaal war opulent eingerichtet, um Gäste zu beeindrucken.

„Rasch“, drängte der Haushofmeister. „Lassen Sie Seine Majestät nicht warten.“ Mit einer weiteren Verbeugung ging er über den Boden mit den prächtigen Intarsien bis zum Podium. „Eure Majestät, Ihr wolltet informiert werden, wenn das Geschenk für Eure Tante eingetroffen ist. Einer meiner Mitarbeiter war zufällig an der Grenze, als die Lieferung eintraf. Möchtet Ihr Euch davon überzeugen, dass es Euren Vorstellungen entspricht?“

Raif nickte. Sein Haushofmeister war ein guter Mann, wenn auch manchmal übereifrig. Gut möglich, dass er seinen Mitarbeiter angewiesen hatte, an der Grenze zu warten.

Der Fremde keuchte, als er seine Last auf dem Boden deponierte. Dann verneigte er sich tief.

„Sie dürfen sich aufrichten“, sagte Raif.

Zögernd tat der Mann es. Er heftete den Blick auf Raifs Füße.

„Öffnen Sie das Paket.“ Der Haushofmeister machte einen Schritt auf das Bündel zu.

Sofort stellte sich ihm der Träger in den Weg, als wolle er seine Lieferung schützen. „Nein!“ Zum ersten Mal schaute er Raif in die Augen. Verzweiflung lag in seinem Blick. „Mit Verlaub, Eure Majestät – Ihr müsst allein sein, wenn es geöffnet wird.“ Er sah über seine Schulter zur Wache an der Tür.

Neugierig musterte Raif ihn. „Warum?“

Der Fremde klappte den Mund auf und wieder zu, als würde er im Geiste mögliche Antworten durchgehen. „Bitte, Eure Majestät. Es ist wichtig. Dies ist nur für Eure Augen bestimmt.“

„Also wirklich.“ Der Haushofmeister machte noch einen Schritt, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wieder stellte sich ihm der Fremde in den Weg.

„Wie heißen Sie?“, fragte Raif.

„Yunis, Eure Majestät. Ich bin Vorsitzender der Königlichen Dhalkur-Gilde der …“

„Ich weiß, wer Sie sind.“ Raifs Tante schwärmte von diesem Mann. Deshalb hatte er sein Geschenk für sie ja auch in Yunis’ Werkstatt bestellt. „Ich freue mich darauf, zu sehen, was Sie mir bringen.“ Nicht nur, weil er etwas Besonderes für seine Tante wollte, sondern auch, weil sie neben Yunis’ Arbeit obendrein dessen Charakter lobte.

„Bitte, Eure Majestät.“ Er legte sich die rechte Hand aufs Herz. „Ich schwöre, dass ich keine bösen Absichten hege.“

Mit einem abrupten Nicken schickte Raif die Wache fort.

„Eure Majestät!“, protestierte der Haushofmeister.

Raif ignorierte ihn. Bewaffnet hätte Yunis den Palast nicht betreten können. Außerdem hielt Raifs Tante viel von ihm. „Öffnen Sie das Paket.“

Yunis kniete sich hin und knotete die Stoffbänder auf, die das zylinderförmige Paket zusammenhielten. Er raunte etwas, was Raif nicht hören konnte. Dann rollte er den langen Teppich auseinander, so vorsichtig, als bestünde der aus gesponnenem Gold und Edelsteinen.

Das Licht fiel auf eine von Quasten umrahmte Ecke. Gold mischte sich mit den blassen Farben des Wüstensandes, kontrastierte mit Indigoblau und sattem Violett.

Seine Tante würde den Teppich lieben, das wusste Raif. Es war ein Meisterstück. Doch warum sollte es nur für seine Augen bestimmt sein? Und warum dauerte diese Prozedur so lange?

Offenbar dachte der Haushofmeister dasselbe, denn er packte den Läufer und zog ruckartig daran. Mit einem dumpfen Geräusch rollte der Teppich auseinander. Raif starrte auf nackte Arme und Beine, zerzauste dunkle Haare und große Augen.

Entsetzt schrie der Haushofmeister auf und machte einen Satz rückwärts. Yunis stand regungslos da.

Der Eindringling war eine Frau. Sie trug ein Kleid, das die Farbe reifer Himbeeren hatte. Genau genommen trug sie es mehr oder weniger, denn sie zeigte ziemlich viel golden schimmernde Haut, wohlgeformte Waden und glatte Oberschenkel. Ihre Brüste hoben und senkten sich rasch unter dem dünnen Stoff, während sie nach Luft schnappte. Und sie sah Raif an; er konnte ihren Blick geradezu körperlich spüren.

Nach einem Moment hob die Frau einen schlanken Arm und schob sich die langen Haare aus dem geröteten Gesicht.

Sie war wunderschön.

Vielleicht lag es an ihrem Mund, dass sie so hinreißend wirkte. Sie hatte volle Lippen, die an den Mundwinkeln leicht nach unten zeigten, doch statt ihrem Gesicht einen missmutigen Ausdruck zu verleihen, wirkten sie sinnlich.

Raif fühlte sich, als würde ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzen.

Die Röte von Wangen, Hals und Dekolleté, die zerzausten dunklen Haare, die Atemlosigkeit … Er musste an sein Bett denken. An sein Bett und eine leidenschaftliche Begegnung.

„Kleopatra, nehme ich an?“

Die Stimme passte zu ihm. Tief und gefährlich klang sie, bahnte sich schnurstracks einen Weg in Taras Brustkorb, wie ein samtenes Band, das einen Kern aus Stahl einhüllte.

Ja, die Stimme hatte definitiv etwas Stählernes. Ebenso der Blick, eindringlich wie der eines Falken, und die arrogante Art, mit der er das Kinn leicht vorreckte und eine schwarze Braue halb fragend, halb spöttisch hochzog.

Der große Mann schaute vom Podium auf sie hinunter. Winzig und unbedeutend kam sie sich vor, wie sie da vor ihm auf dem Boden lag. In seinem makellos weißen Gewand mit goldener Borte war er das genaue Gegenteil von Tara in ihrem schmuddeligen Zustand. Er hatte die Arme verschränkt und strahlte Autorität aus, in die ein Tick Ungeduld hineinspielte.

Umwerfend war er, und das wusste er auch. Offensichtlich war ihm klar, welche Macht und Männlichkeit er verkörperte.

Und er genoss es, das sagte ihr der Instinkt. Oder vielleicht nahm er es einfach als selbstverständlich hin.

Sie blinzelte entgeistert. Die Enge und der Sauerstoffmangel hatten sie benommen gemacht, deshalb begriff sie die Anspielung auf Kleopatra erst mit Verspätung. Angeblich hatte Kleopatra sich in einem Teppich in das Quartier von Julius Cäsar schmuggeln lassen, um ihn zu verführen.

Zuerst war Tara geschockt. Gleich darauf setzte sich das Gefühl durch, gedemütigt zu werden.

Fahrig nestelte sie am Knoten ihres Wickelkleides und stellte fest, dass er sich gelöst hatte. Der Ausschnitt klaffte weit auseinander. Sie schnappte nach Luft und tastete nach den losen Enden. Die Hände gehorchten ihr viel zu langsam, und ihr war speiübel.

Ihr Blick fiel auf den Marmorboden, in dem Halbedelsteine ein aufwendiges Muster bildeten. Als sie den Kopf hob, sah sie, dass sie sich in einem riesigen Saal mit einer glitzernden Kuppel befand. Bis auf das Podium, auf dem er stand, war der Raum leer.

Ihre unheilvolle Ahnung bestätigte sich. Eben war sie zu durcheinander gewesen, um mehr als die Anwesenheit eines großen Mannes wahrzunehmen, doch jetzt fiel der Groschen.

Dies war kein gewöhnlicher Raum. Ebenso wenig, wie der Mann, der sie so gebieterisch musterte, ein gewöhnlicher Mann war.

Tara erkannte das strenge, schöne Gesicht. Jeder, der sich für das Weltgeschehen interessierte, hätte es getan.

Yunis hatte sie nicht an einen Menschenhändler verkauft, sondern zum Scheich von Nahrat gebracht.

Bestürzt merkte sie, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte und die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten.

Sie hatte es über die Grenze geschafft, doch in Sicherheit befand sie sich nicht. Schlimm genug, dass dieser Mann sie dabei ertappte, wie sie sich in sein Land schlich. Noch schlimmer aber würde es ihr ergehen, wenn er herausfand, wer sie war, und sie zu ihrem Cousin zurückschickte.

Zutiefst verunsichert, raffte sie das Kleid um sich, rappelte sich mühsam hoch und versuchte, die Schultern zu straffen.

„Eure Majestät.“ Einen Hofknicks oder eine Verbeugung brachte sie nicht zustande. Also senkte sie nur den Kopf und konzentrierte sich darauf, trotz der wackeligen Knie und der Übelkeit stehen zu bleiben.

„Das war eine bemerkenswerte Vorstellung.“

Meinte er es sarkastisch? Tara hielt den Kopf gesenkt. Sie schluckte. Ich werde mich auf keinen Fall übergeben.

„Ihr Name?“

Langsam blickte sie hoch, in der Hoffnung, er möge nicht mehr ganz so unbeugsam aussehen. Fehlanzeige. Scheich Raif ibn Ansar von Nahrat wirkte sogar noch herrischer.

„Tara, Eure Majestät.“ Sie drückte sich mental die Daumen. Unwahrscheinlich, dass ihm ihr Nachname etwas sagte. „Tara Michaels.“

„Und was bedeutet dieses Schauspiel, Miss Michaels?“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Ein origineller Auftritt, das räume ich ein, doch es mangelt ihm an … Würde. Anders als manche Leute glauben, interessiere ich mich nicht für Frauen, die mir zu Füßen liegen, weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn.“

Obwohl er ihr in die Augen blickte, kam es ihr vor, als würde er den Blick über ihren Körper wandern lassen. Ihr schoss das Blut in die Wangen.

Etwas an der Art, wie er sie betrachtete, machte ihr überaus bewusst, dass sie eine Frau und er ein Mann war.

Hatte er sie bereits taxiert und für ungenügend befunden?

Und seine unglaubliche Theorie, sie hätte diese Szene geplant! Als würde sich eine Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte zu seinen Füßen auswickeln lassen wie ein Geschenk!

„Bitte, Eure Majestät“, warf Yunis ein und stellte sich neben sie. „Es war ein Fehler. Dies hätte nicht geschehen sollen.“ Besorgt sah er Tara an. „Man hat mich an der Grenze abgepasst. Ich hatte keine Chance, zu stoppen und dich abzusetzen.“

„Menschenschmuggel.“ Der kleine rundliche Haushofmeister tauchte in Taras Blickfeld auf. „Ich rufe die Wache und lasse die beiden einsperren.“

Taras Mut sank. Wieder eingesperrt zu werden, nach allem, was sie bereits durchgemacht hatte! Ihre Knie wurden weich. Yunis packte ihren Ellbogen und stützte sie.

„Nicht nötig“, lehnte der Scheich ab. „Ich werde sie selbst befragen. Sie dürfen gehen. Und Sie behalten den Vorfall für sich, bis ich entschieden habe, was zu tun ist.“

Tara hörte kaum, wie der Haushofmeister den Saal verließ. Doch sie hörte sehr wohl die festen Schritte des Scheichs, der das Podium verließ und näher kam. „Sind Sie krank?“

Sie gab sich alle Mühe, aufrecht zu bleiben. „Reiseübelkeit“, murmelte sie. „Ich habe kaum Luft bekommen, und in dem Teppich war es sehr heiß.“

Schweigend sah der Scheich sie an. Seine Augen waren so dunkel, dass sie schwarz wirkten. Faszinierend.

Ich muss seinem Blick standhalten, befahl sie sich, um ihren rebellierenden Magen und die zittrigen Glieder in den Griff zu kriegen.

„Kommen Sie“, sagte Raif schließlich. Er drehte sich um und ging aus dem Saal, ohne sich zu vergewissern, dass sie ihm folgten.

Zwanzig Minuten später saß Tara auf einem bequemen Sessel in einem luxuriösen Wohnzimmer. Sie hatte sich auf ein karges Vernehmungszimmer gefasst gemacht, doch stattdessen servierte ihr eine lächelnde Frau kühles Wasser und Gebäck.

Nun, da ihr nicht mehr so übel war, wollte sie nur noch weg. Allerdings hatte der Scheich Yunis mitgenommen, und sie konnte nicht gehen, solange sie nicht wusste, ob ihr Helfer wohlauf war. Schließlich war es ihre Schuld, dass er in der Klemme saß.

Ohne die Wache vor dem Zimmer hätte sich Tara auf die Suche nach Yunis gemacht, doch so lehnte sie den Hinterkopf an das weiche Polster und schloss die Augen.

Im Nachhinein wusste sie nicht, was sie geweckt hatte. Vielleicht das Gefühl, beobachtet zu werden.

Scheich Raif saß ihr gegenüber und schaute sie mit unergründlichen dunklen Augen an.

Hastig stellte sie die untergeschlagenen Beine auf den Boden und setzte sich gerade hin. Mit den Fußspitzen tastete sie nach ihren Sandalen, gab es aber bald auf. Der Scheich hatte sie mit verrutschtem Kleid gesehen. Was waren dagegen schon nackte Füße?

Mit einem raschen Blick überzeugte sie sich davon, dass ihr Ausschnitt nicht wieder auseinanderklaffte. Dann faltete sie die Hände im Schoß. „Wo ist Yunis?“

„Sie brauchen sich keine Sorgen um ihn zu machen.“

„Haben Sie ihn gehen lassen?“

Mit den Fingerspitzen der linken Hand tippte der Scheich auf die Armlehne seines Sessels. „Natürlich nicht. Er hat gegen das Gesetz verstoßen, als er Sie über die Grenze geschmuggelt hat. Gerade wird der Rest seiner Ladung untersucht.“

Tara schüttelte den Kopf. „Yunis ist kein Schmuggler. Er hat mir einen Gefallen getan.“

„Das ist wohl kaum eine Entschuldigung. Schmuggeln ist eine Straftat. Wenn er unsere Grenzen nicht respektiert, hat er womöglich noch andere Verstöße begangen.“

Der Scheich blickte so ernst drein, dass Taras Herz sank. „Was haben Sie mit ihm gemacht?“

Einerseits galt Nahrat als fortschrittliches Land. Andererseits hatte Fuad ja gezeigt, wie wenig das Gesetz bedeutete, wenn ein mächtiger und gnadenloser Mann es ignorierte. Stand Yunis etwa mehr als ein Verhör bevor?

Erschrocken sprang Tara auf. „Haben Sie ihm wehgetan?“

Raif lehnte sich zurück. „Würde das eine Rolle spielen?“

„Natürlich! Folter ist falsch und illegal.“ Sie atmete zittrig ein, wich aber dem Blick aus seinen rätselhaften Augen nicht aus. Zuerst hatte sie diese Augen sexy gefunden, doch jetzt las sie Drohungen darin. „Yunis ist ein anständiger Mann. So etwas hat er nie zuvor getan. Er wusste, wie verzweifelt ich war, und hat angeboten, mir bei der Flucht zu helfen.“

„Das behauptet er auch. Er ist unversehrt und wartet jetzt, während seine Geschichte überprüft wird.“

Tara sank auf den Sessel. Ihr Herz hämmerte, und ihre Knochen schienen sich verflüssigt zu haben. „Warum haben Sie mich in dem Glauben gelassen, Sie hätten ihn verletzt?“

„Sie haben eine lebhafte Fantasie.“ Raif machte eine Pause. Als er weitersprach, klang er harsch und autoritär. Oder verärgert? „Ich achte die Gesetze meines Landes. Auch Gesetzesbrecher bekommen eine faire Anhörung.“

Hatte sie mit der Frage seinen Stolz verletzt? Vermutlich nicht. Der Mann hatte sie absichtlich manipuliert. Um sie zu verunsichern?

Sie hatte zu viel Zeit mit Fuad verbracht. Ihr Cousin tat alles, um zu kriegen, was er wollte. Er scheute auch nicht davor zurück, jemandem Schmerzen zuzufügen. Im Gegenteil, dabei blühte er förmlich auf. Hatte sie den Scheich fälschlicherweise mit Fuad über einen Kamm geschoren?

„Sagen Sie mir die Wahrheit, Miss Michaels.“

„Das tue ich!“ Sie setzte sich gerade hin und hoffte, dass sie gelassen wirkte, obwohl sie sich ganz und gar nicht so fühlte. Fuads Klauen war sie entkommen, aber falls dieser Mann sie zurückschickte, würde sie keine zweite Chance zur Flucht bekommen. Wie viel durfte sie dem Scheich offenbaren? „Ich bin britische Staatsangehörige und …“

„Glückwunsch. Sie sprechen unsere Sprache gut.“

„Meine Mutter stammte aus Dhalkur. Ich bin dort geboren und habe die ersten acht Jahre meines Lebens auch dort verbracht.“

„Dann sind Sie zurückgekehrt, um Verwandte zu besuchen?“

Tara zögerte. Sollte Scheich Raif herausfinden, wer ihr Cousin war, würde er sich verpflichtet fühlen, sie zu Fuad zurückzuschicken.

„Meine Mutter ist tot, Eure Majestät.“ Plötzlich fühlte sich ihre Kehle rau an. Ein Monat war nicht lang genug, um den Verlust zu überwinden.

Sie senkte den Blick auf ihre Hände und stellte fest, dass die Knöchel weiß waren, so fest hatte sie die Finger verschränkt. Bewusst entspannte sie sich und sah dem Scheich wieder in die Augen.

„In Dhalkur hat mich nichts gehalten“, erklärte sie weiter. „Ich will nach Hause. Aber ich – habe meinen Reisepass verloren …“

„Und Ihr Gepäck?“

„Bitte?“

„Im Laster lagen keine Koffer. Sie reisen mit leichtem Gepäck, Miss Michaels.“

Wäre sie in Dhalkur mit einem Koffer im Hof erschienen, hätte man sie aufgehalten.

„Ich war in Eile. Ich muss zurück nach London, und Yunis hat mir seine Hilfe angeboten. Er ist ein alter Freund meiner Mutter.“ Das wenigstens stimmte.

„Statt den Verlust Ihres Reisepasses zu melden, haben Sie also entschieden, das Gesetz zu brechen, auch Ihren Begleiter dazu anzustiften und die Grenze illegal zu überqueren.“ Seine Miene war gleichmütig, doch er klang streng. „Gewiss kriegen Sie das besser hin, Miss Michaels.“ Er zog den linken Mundwinkel ein wenig höher und lächelte so kalt, dass Tara ein Schauer über den Rücken lief. „Oder soll ich Sie lieber Prinzessin Tara nennen?“

2. KAPITEL

Tara atmete scharf aus. Sie hatte verloren. Mit hängenden Schultern lehnte sie sich in dem weichen Sessel zurück.

Das war es dann also. Ihr blieb keine Fluchtmöglichkeit.

Bei der Vorstellung, nach Dhalkur zurückzukehren, wurde ihr eiskalt. Sie widerstand dem Impuls, sich die Arme um den Oberkörper zu schlingen. Vor dem Scheich wollte sie sich keine Blöße geben.

Überraschung oder Genugtuung darüber, dass er ins Schwarze getroffen hatte, zeigte er nicht.

„Sie wussten es! Die ganze Zeit wussten Sie Bescheid und haben nichts gesagt.“ Tara setzte sich sehr aufrecht hin.

Lässig zuckte er mit den Schultern. „Ich habe darauf gewartet, dass Sie es mir erzählen.“

Als dürfte sie ihm vertrauen! Womöglich war er mit Fuad befreundet.

„Werden Sie Yunis freilassen, jetzt, wo Sie mich haben?“

Jäh veränderte sich seine unnachgiebige Miene. Ganz kurz wirkte er überrascht. „Sie klingen ja, als würde ich Sie haben wollen.“

Tara blinzelte. Bestand etwa die Chance, dass er sie einfach gehen ließ?

Du klammerst dich an einen Strohhalm, schalt sie sich. Selbst wenn der Scheich kein Freund von Fuad war, würde er sich als Regent eines Nachbarlandes verpflichtet fühlen, sie zu ihrem Cousin zurückzuschicken. Sicher würde er wegen einer Fremden keine diplomatischen Verstimmungen riskieren.

„Bitte, lassen Sie wenigstens Yunis frei. Er wollte nur etwas Gutes tun.“

„Bedeutet er Ihnen so viel? Was ist er? Ihr Geliebter?“

„Natürlich nicht! Er ist alt genug, um mein Vater zu sein! Er ist ein alter Freund meiner Mutter. Um ihretwillen hat er mir geholfen.“

Der Scheich schwieg eine gefühlte Ewigkeit. Schließlich neigte er den Kopf. „Glücklicherweise ist Ihr Yunis auch ein Bekannter meiner Tante. Seine Befragung hat ergeben, dass er kein gewohnheitsmäßiger Schmuggler ist. Er wird mit einer Mahnung entlassen.“

Tara fiel ein Felsbrocken von der Seele, fast groß genug, um den Ärger darüber zu kompensieren, wie dieser Mann sie manipuliert hatte.

„Danke. Ist es wohl möglich, dass Sie … seinen Namen den Behörden in Dhalkur nicht nennen?“ Sonst würde Fuad sich an ihrem Helfer rächen.

„Ich werde es in Erwägung ziehen. Je nachdem, wie ehrlich Sie zu mir sind, Prinzessin.“

Ihr Körper versteifte sich. „Nicht, bitte. Ich bin keine Prinzessin.“

Er zog die ebenholzfarbenen Brauen hoch. „Sie sind die Nichte des Scheichs von Dhalkur.“

„Aber ich bin kein Mitglied der königlichen Familie. Ich wurde nicht im Palast erzogen und kann den Thron nicht erben. Mein Vater war Brite.“ Laut Gesetz durften in Dhalkur ausschließlich Männer das Land führen.

„Und doch würden manche Leute behaupten, dass Ihre Abstammung königlicher ist als die Ihres Cousins Fuad.“

Tara wurde hellhörig. Sahen ihr Cousin und Scheich Raif in ihr etwa eine Bedrohung für Fuads Herrschaft?

Eine böse Ahnung stieg in ihr auf. Als Gefangene in Dhalkur hatte sie ihr Schicksal schon schlimm genug gefunden. Doch wenn Fuad sie als Rivalin betrachtete statt lediglich als ein nützliches Werkzeug …

„Fuad ist der älteste Sohn meines Onkels und wird der neue Scheich, wenn mein Onkel stirbt.“ Angesichts des schlechten Gesundheitszustands des derzeitigen Scheichs würde das bald geschehen.

„Auf jeden Fall ist es das, was Prinz Fuad will.“ Er ließ den Blick von ihrem Gesicht zu den nackten Füßen wandern. Tara wünschte, sie würde etwas Stilvolleres tragen als ein Wickelkleid aus Baumwolle.

Er sah sie anders an als Fuad. In seinem Blick lag nichts offenkundig Sexuelles. Trotzdem machte er ihr bewusst, dass sie beide allein im Zimmer waren – und dass sie bisher nie einen derart maskulinen Mann kennengelernt hatte. Sogar jetzt, wo ihr Unheil drohte, fühlte sie sich in seiner Nähe ganz als Frau.

„Die Verbindung Ihrer Familie zur Krone ist stärker als seine.“ Viel zu verlockend klang die tiefe Stimme.

Tara grub die Fingernägel in die mit Seide bezogenen Armlehnen. Hinter vorgehaltener Hand gab es Proteste gegen Fuad als Thronfolger. Diese Proteste richteten sich gegen seinen Charakter und seine Eignung, das Land zu führen.

„Es heißt, der wahrhaft königliche Stammbaum sei Ihrer“, murmelte Raif.

„Nein! Mein Großvater hat meinen Onkel adoptiert und zu seinem Erben bestimmt. Der Königliche Rat war damit einverstanden.“

Ihre Mutter hatte ihr anvertraut, dass Taras Großvater, der frühere Scheich, sich aus Kummer über den Tod seiner ersten Ehefrau geweigert hatte, erneut zu heiraten und einen Erben zu zeugen. Schließlich war er unter dem Druck des Königlichen Rates eine Ehe mit der Witwe seines besten Freundes eingegangen und hatte ihren Sohn adoptiert. Angeblich war die Ehe nie vollzogen worden.

Tara fand die Geschichte unglaublich romantisch. Genau wie die von der Liebe auf den ersten Blick zwischen ihren Eltern. Wie auch immer, ihr Großvater hatte die Thronfolge gesichert.

Autor

Annie West
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