Die Rückkehr der stolzen Prinzessin

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"Du wirst mir meine Tochter nicht nehmen." Stolz weist Jasmine den feurigen Scheich Tarek in die Schranken. Zwar ist er Leilas Vater - aber niemand trennt sie von ihrem Kind! Auch wenn sie Tarek dafür nach Aljazar begleiten muss, wo in einer sinnlichen Wüstennacht alles begann …


  • Erscheinungstag 04.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506267
  • Seitenanzahl 146
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Bringt sie zu mir zurück! Sofort!“

Tareks wutverzerrte Stimme schallte bis zu ihr, als sie durch die Tore des Palastes lief. Sie musste weiter, durfte auf keinen Fall umkehren. Denn in Aljazar blieb ihr nichts außer der schmerzhaften Gewissheit, von dem Mann, den sie liebte, verraten worden zu sein.

Man hatte die Hunde freigelassen und die Wachen suchten nach ihr. Plötzlich wurden die Gärten beleuchtet, um die Dunkelheit zu vertreiben und sie besser aufspüren zu können.

Sie stolperte, doch stand sofort wieder auf und sammelte ihren Mut, im Wissen, dass sie das Richtige tat. Vom Rauschen der Wellen ließ sie sich leiten und der Duft von Bougainvilleas – gemischt mit dem von Rosen – begleitete ihre Flucht.

Plötzlich gab der Boden unter ihren Füßen nach. Sie hatte den Schotterweg verlassen und trat nun auf Sand, der vom schimmernden Mondlicht erhellt wurde. Hastig zog sie ihre Sandalen aus, bevor sie zu dem bereitstehenden kleinen Boot rannte. Sie hatte große Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis Akim eingewilligt hatte, ihr bei der Flucht zu helfen. Würde er wie versprochen da sein?

Zu ihrer großen Erleichterung sah sie, wie er ihr zuwinkte und sie zur Eile antrieb.

„Da bist du ja endlich, Prinzessin. Ich dachte schon, du würdest nicht kommen.“

„Ich bin bereit, Akim. Lass uns von hier verschwinden“, sagte sie und warf einen letzten Blick auf den prächtigen Palast.

Bald wäre sie fort von hier. Weit weg von diesem Ort, der an eine Geschichte aus Tausendundeine Nacht erinnerte, an dem sie die schlimmsten und glücklichsten Momente ihres Lebens verbracht hatte. Weit weg vom finsteren, stolzen Scheich, der sie dazu gebracht hatte, sich selbst zu verlieren.

Sie gab ihre Träume auf, nahm jedoch ein Geheimnis mit.

Ein Geheimnis, das nie jemand herausfinden durfte.

1. KAPITEL

Vier Jahre später

„Glaubst du, der Mond schläft, Mami?“

Jasmine lächelte ihre Tochter an, deren sonderbare Fragen sie immer wieder aufs Neue amüsierten.

„Ich weiß nicht, aber ich bin sicher, dass du gut schlafen wirst. Süße Träume, mein Schatz.“

Unter ihre Bettdecke gekuschelt, schloss Leïla die Augen und schlief sofort ein. Wie jeden Abend blieb Jasmine eine Weile am Bettrand sitzen, um ihre Tochter zu betrachten.

Sie liebte Leïla seit der Sekunde, als sie in jener kalten Winternacht geboren worden war. Damals hatte Jasmine geglaubt, ihr Kind allein zur Welt bringen zu müssen. Die Straßen waren wegen des heftigen Schneefalls gesperrt gewesen und die Krankenwagen hatten nicht bis zu ihrem kleinen abgelegenen Haus am Waldrand durchdringen können.

Noch nie hatte Jasmine solche Angst erlebt. Die Feuerwehrleute, die sie in ihrer Panik anrief, versuchten sie zu beruhigen. Eine Geburt brauche Zeit, sagten sie immer wieder, während die Stunden vergingen. Die Straßen würden bald frei sein und ein Arzt würde sich auf den Weg machen, um ihr zu helfen.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu glauben und sich an die schwindende Hoffnung zu klammern, dass ihre Tochter doch noch unter guten Bedingungen und gesund auf die Welt kommen würde.

In der schrecklichen Zeit des Wartens fing sie an zu beten. Nicht zu Gott, der sie anscheinend vor langer Zeit verlassen hatte, sondern zu dem Baby, das sie in sich trug. Während sie über ihren schmerzhaften Bauch streichelte, bat sie es immer wieder zu warten. Und Leïla wartete.

Schließlich geschah doch noch ein Wunder: Jasmine hörte drei Schläge an der schweren Eichentür, die sie normalerweise vor der Außenwelt schützte. In jener Nacht fürchtete sie sich jedoch nicht vor der Vorstellung, dass ihr Besucher ein ungebetener Gast aus der Vergangenheit sein könnte, der ihre neu gefundene Ruhe zerstören wollte. Nein, sie dankte ihrem Glücksstern und empfing den jungen, von der Situation offenbar genauso überforderten Medizinstudenten, als wäre er der renommierteste Geburtshelfer der Welt.

Sie ermutigten sich gegenseitig und brachten das schönste kleine Mädchen zur Welt, das Jasmine je gesehen hatte. Dort, auf dem alten Sofa in ihrem einsamen, schneebedeckten Häuschen am Waldrand.

Genau in dem Moment, als Leïla zum ersten Mal schrie, schien der Mond durch das Fenster herein und hüllte das kleine Haus in unendlich weiches Licht.

Jasmine sah darin ein Zeichen: den Beginn eines neuen, hellen Lebens zusammen mit diesem Kind, das das Schicksal ihr geschenkt hatte. Sie schwor sich, sich nicht länger vor der Vergangenheit zu fürchten und sich eine Zukunft aufzubauen. Eine Zukunft, die ihr plötzlich strahlend schön erschien.

Nachdem sie sich neun Monate lang versteckt hatte, war es nun an der Zeit, das Leben wieder zu genießen. All das verdankte sie ihrer Tochter, die erst wenige Minuten alt war und bereits so viele Gefahren überstanden hatte.

Die Geburt änderte alles. Kurz darauf gab Jasmine ihre geschätzte Ruhe und Zurückgezogenheit auf und öffnete sich wieder anderen Menschen. Sie wagte sich in das Dorf unten im Tal und stellte sich den Nachbarn vor, denen sie bisher aus dem Weg gegangen war. Sie fand sogar eine Freundin: Mary, mit der sie sich nun regelmäßig traf.

Das schlichte Häuschen verwandelte Jasmine in ein warmes Zuhause, ein kleines, gemütliches Nest für sie und ihre Tochter. Die weißen Wände wurden mit farbenfrohen Gemälden dekoriert und die dunklen antiken Möbel in verschiedenen Farbtönen lackiert. Mit der Zeit sammelte sich überall Spielzeug an und der Ort erwachte zum Leben.

Jasmine beschloss, nicht mehr in Angst zu leben. Niemand in ihrem Umfeld wusste über ihre Herkunft oder ihre überstürzte Flucht Bescheid. Nie hatte ihr jemand Fragen gestellt. Wahrscheinlich, weil die Bewohner dieser abgelegenen Region ihre eigenen Geheimnisse zu hüten hatten und es ihnen daher nicht in den Sinn gekommen wäre, die der anderen zu enthüllen.

Vier Jahre lang hatte Jasmine alles darangesetzt, ihre Tochter glücklich zu machen – und mit Erfolg. Dafür waren Leïlas Lächeln und ihre fröhliche Natur jeden Tag der strahlende Beweis.

Trotz der schweren Zeit, die hinter ihr lag, hatte Jasmine ihr Glück gefunden. Und sie bemühte sich, die guten Dinge im Leben zu schätzen.

Liebevoll streichelte sie über das schwarze lockige Haar ihres Kindes, bevor sie sich auf Zehenspitzen aus dem rosafarbenen Zimmer schlich.

Im Wohnzimmer setzte sie sich im Schneidersitz auf die Couch und griff nach ihrem Laptop.

Wo bist du?

Es ist jetzt einen Monat her, dass du mir geschrieben hast, und ich fange an, mir Sorgen zu machen. Und daran bist allein du schuld: Seit unserem Abschied habe ich mich daran gewöhnt, jeden Tag, oder zumindest fast jeden Tag, von dir zu hören. Wahrscheinlich bist du sehr beschäftigt, aber bitte nimm dir die Zeit, mich zu beruhigen.

Ich vermisse dich!

Deine Freundin fürs Leben

Von einem unguten Gefühl erfüllt, starrte Jasmine für einen Moment ins Leere, ohne den Bildschirm vor sich wahrzunehmen. Sie hatte Akim vor zehn Jahren kennengelernt und immer gewusst, wo er war und was er tat. Bis jetzt. Natürlich war es dumm von ihr, sich Sorgen zu machen. Prinz Aal Shelad musste vielen Pflichten nachkommen, die ihm wenig Zeit für sein Privatleben ließen – schon gar nicht für eine Korrespondenz mit seiner Jugendfreundin. Doch sie konnte nicht anders als zu befürchten, dass Akim etwas zugestoßen war.

Für Jasmine war er wie ein Bruder. Akim war ihre Familie. In seinen Armen hatte sie als Vierzehnjährige um den Tod ihrer Eltern geweint. Mit ihm war sie aufgewachsen, und zusammen hatten sie die magischsten Momente in Aljazar erlebt. Ihn hatte sie um Hilfe gebeten, als sie beschlossen hatte, aus dem Palast zu fliehen.

Akim war immer für sie da gewesen. Trotz der Entfernung, die nun zwischen ihnen lag, war er ihr Fels in der Brandung geblieben.

Als Jasmine ihr Leben als Prinzessin aufgegeben hatte, um in der Anonymität zu versinken, hatte sie darauf geachtet, alle Verbindungen zur Vergangenheit zu kappen. Sie durfte nicht gefunden werden, und dieser Entschluss verlangte ihr viele Opfer ab. Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, den Kontakt zu Akim abzubrechen.

Daher hatten sie sich in den vergangenen vier Jahren heimlich geschrieben. Wie damals erzählten sie sich von ihrem Leben und teilten ihre Freuden und Sorgen miteinander. In der Hoffnung, sich eines Tages wiederzusehen.

Antworte mir, betete Jasmine, aber der Bildschirm blieb unerträglich leer.

Seufzend streckte sie sich auf der Couch aus, legte die weiche Decke über ihre Füße und schlief kurz darauf ein.

Plötzlich riss ein ohrenbetäubendes Geräusch Jasmine aus ihren Träumen. Jemand hämmerte gegen die Tür.

Sie schreckte hoch und sah auf die Uhr, die in einer Ecke des Wohnzimmers hing. Es war kurz vor sieben und sie erwartete keinen Besuch. Die einzige Person, die oft unangekündigt vorbeikam, war Mary – und die war gerade mit ihrer Mutter am anderen Ende des Landes im Urlaub. Sie würde erst in zwei Tage zurück sein.

Neugierig eilte Jasmine zur Tür. War ihre Freundin vielleicht doch früher als erwartet zurückgekehrt? Sie konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen, sie hatte ihr viel zu erzählen.

„Ich komme!“, rief sie, als die Schläge schneller wurden.

Schwungvoll öffnete sie die Tür – und erstarrte.

Tarek.

Sofort spürte Jasmine, wie das Blut in ihren Adern gefror und ein vergessenes Gefühl in ihr hochstieg: Panik.

„Hallo, Jasmine. Es ist lange her …“

Seine tiefe Stimme klang noch genauso unverfroren, wie sie sie in Erinnerung hatte, und besaß immer noch die Macht, sie zu verärgern.

Er sah besser aus denn je. In Aljazar hatte er traditionelle Kleidung getragen: eine weiße Abaya und ein blaues Keffiyeh. Doch der Anzug, den er heute trug, brachte seine große Statur und seine breiten Schultern zur Geltung. Das weiße maßgeschneiderte Hemd unterstrich seinen von der Wüstensonne gebräunten Teint.

Während Tarek sie mit seinem dunklen Blick durchbohrte, verzog er missbilligend den Mund.

„Oder bist du es gar nicht? Die Jasmine, die es vor vielen Jahren wagte, sich mir zu widersetzen, hätte niemals solche Kleidung getragen.“

Sie errötete und blickte automatisch an sich herab, auf die schwarzen Leggings und das türkisfarbene Top, das sie sich abends immer anzog, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Sie war am Vorabend darin eingeschlafen.

„Was machst du hier, Tarek?“, fragte sie, die Schultern durchgestreckt.

Unter keinen Umständen würde sie sich von diesem Mann, der ihr als Teenager das Leben zur Hölle gemacht hatte, einschüchtern lassen. Sie war kein trauriges junges Mädchen mehr und hatte zu viel zu verlieren, um sich von diesem rücksichtslosen Scheich Vorhaltungen machen zu lassen.

„Die gleiche Frage könnte ich dir stellen, Jasmine. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du im Palast in meinen Armen gelegen. Und jetzt stehst du vor mir wie irgendeine Durchschnittsamerikanerin mitten im Nirgendwo! Hast du vergessen, wer du bist?“

Nein, leider hatte Jasmine ihre Wurzeln alles andere als vergessen. Jeden Tag wurde sie von ihrer Vergangenheit heimgesucht. Sie war in Razaghan in einem prachtvollen Palast geboren worden und hatte dort bis zum frühen Tod ihrer Eltern eine glückliche Kindheit verbracht. Der Verlust ihrer Eltern durch einen Flugzeugabsturz bedeutete nicht nur das Ende von Jasmines Unschuld, sondern auch den Beginn einer langen, schmerzhaften Trauerzeit.

Zu ihrem Glück nahm der Sultan von Aljazar, ein enger Freund ihres Vaters, sie auf und behandelte sie wie seine Tochter. Nie würde Jasmine vergessen, wie sie an ihrem vierzehnten Geburtstag im Palast ankam und zum ersten Mal Tarek und Akim begegnete, den Söhnen des Sultans. Im Sturm eroberte Tarek ihr Herz, wohingegen sie mit Akim eine tiefe Freundschaft knüpfte. Eine Freundschaft, die sie aus ihrer Trauer rettete und die ihr bis heute unglaublich wichtig war.

„Ich bin nicht mehr dieselbe wie früher. Und ich bitte dich, jetzt zu gehen.“

Mit diesen Worten versuchte sie, die Tür zu schließen, doch Tarek blockierte sie mit seinem Fuß und stieß sie voller Wucht auf.

„Es ist mir egal, wer du bist, Jasmine.“ Seine Stimme war von Wut erfüllt. „Ich bin nicht deinetwegen hier. Wo ist er?“

„Von wem sprichst du bitte?“, fragte sie, auch wenn die Antwort offensichtlich war.

Natürlich war Tarek wegen Akim gekommen. Was ihre Befürchtungen, die sie aufgrund der andauernden Funkstille plagten, leider nur bestätigte.

„Ich suche meinen Bruder. Das weißt du genau.“

„Dann such ihn woanders. Ich habe seit meiner Abreise aus Aljazar nichts von Akim gehört.“

Jasmine hätte Tarek gern über das Verschwinden ihres Freundes ausgefragt, doch das konnte sie nicht. Nicht, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Tarek musste so schnell wie möglich gehen, bevor er misstrauisch wurde und ihr Geheimnis herausfand.

„Du lügst, Jasmine. Akim und du, ihr wart all die Jahre in Kontakt. Das weiß ich.“

Jasmine spürte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Hatte Tarek die Briefe zwischen ihr und Akim entdeckt? Hatte er sie gelesen? Nein, das war unmöglich. Sonst wäre er nicht zu ihr nach Hause gekommen, um nach seinem Bruder zu suchen.

Von Angst überwältigt, blickte sie ins Haus. Leïla würde bald aufwachen. Jasmine musste schnell handeln.

„Hör zu, Tarek, ich muss mich fertigmachen, um zur Arbeit zu gehen. Warum besprechen wir das alles nicht später? Gib mir deine Handynummer und ich verspreche dir, dass ich dich heute Abend anrufe.“

„Du machst wohl Witze? Glaubst du, ich bin um die halbe Welt gereist, um mich jetzt von dir abwimmeln zu lassen? Ich will eine Antwort und zwar sofort. Wo ist Akim?“

Er würde nicht nachgeben. Wieso hatte sie das überhaupt gehofft?

„Ich weiß es nicht“, antwortete sie schlichtweg.

Einen Moment lang sah er sie verächtlich an und wägte offenbar ab, ob sie die Wahrheit sagte.

„Ich hoffe, du versuchst nicht, mich zu täuschen. Wenn ich herausfinde, dass du meinen Bruder versteckst, wirst du dafür zahlen.“

Ohne dass sie ihn hätte aufhalten können, drängte er sie beiseite und marschierte eilig ins Wohnzimmer.

Verzweifelt versuchte Jasmine ihn aufzuhalten. Sie hatte das Gefühl, einen Albtraum im Wachzustand zu erleben. Als sie Tareks Reaktion sah, während er sich im Raum umsah, sprangen ihr auf einmal tausend Kleinigkeiten ins Auge, die von Leïlas Existenz zeugten. Die Puppe auf einem Stuhl, die sie ihr zum ersten Geburtstag geschenkt hatte. Die gemalten Bilder ihrer Tochter an der Wand. Die Bausteine, die überall verstreut lagen. Das Bilderbuch, das sie am Kamin liegengelassen hatten. So viele kleine persönliche Schätze, die für jeden Eindringling die Wahrheit aufgedeckt hätten. So auch für Tarek.

„Du hast ein Kind“, sagte er fassungslos.

Da es keine Frage war, schwieg sie.

„Aber du bist nicht verheiratet“, fügte er verächtlich hinzu.

Wieder sprach er in jenem sicheren, nüchternen Ton. Und tatsächlich ließ ihr überaus weiblich eingerichtetes Zuhause wenig Zweifel daran, dass kein Mann hier lebte.

„So etwas passiert, Tarek. Aber ich wüsste nicht, was dich das anginge.“

„Mein Vater hat dich wie seine Tochter aufgezogen. Wenn du ein Kind hast, hat es etwas Besseres verdient als ein Leben unter solch erbärmlichen Umständen.“

„Du weißt, wie sehr ich deinen Vater geliebt habe, Tarek, aber er ist tot und mich würden keine zehn Pferde nach Aljazar zurückbringen. Meiner Tochter geht es hier gut. Wag es ja nicht, daran zu zweifeln. Und jetzt verschwinde aus meinem Haus. Wie du siehst, versteckt sich niemand in meinem Wohnzimmer. Und wenn ich wüsste, wo Akim ist, würde ich es dir sagen.“

Das stimmte natürlich nicht. Sollte ihr Freund sie kontaktieren, würde sie Tarek garantiert nichts davon erzählen. Denn jetzt blieben ihr keine Zweifel mehr: Akim war vor dem Schicksal geflohen, das sein Erbe ihm aufzwang. Und sie wäre sicher nicht diejenige, die ihn dazu auffordern würde, seine Pflichten anzutreten.

„Du hast dich verändert“, sagte Tarek mit gedämpfter Stimme. „Früher hättest du nie in diesem Ton mit mir gesprochen.“

War das ein Vorwurf oder eher ein Kompliment? Jasmine konnte es nicht sagen. Aber eines war sicher: Tareks sanfte Stimme fühlte sich an wie eine Liebkosung auf ihrer Haut.

Plötzlich und entgegen aller Erwartungen lächelte er. Und sie erinnerte sich, wie sehr sie ihn geliebt hatte.

Dabei hatte er damals im Grunde alles dafür getan, damit sie ihn hasste. Wenn sie sich nach ihm gesehnt und sich um seine Aufmerksamkeit bemüht hatte, hatte er sie lediglich mit Verachtung gestraft. Immer wenn sie versucht hatte, ihm näherzukommen, hatte er sie zurückgewiesen. Tarek war ihr damals wie der perfekte Mann erschienen, doch er hatte nie etwas anderes in ihr gesehen als ein unbeholfenes Kind.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als Jasmine sein Lächeln erwiderte. Wie sie so vor diesem Mann stand, den sie nie hatte vergessen können, fühlte sie sich für einige Sekunden auf einmal wieder wie das vernarrte junge Mädchen, das in einem herrlichen Palast lebte.

„Guten Morgen, Mama.“

Leïlas Stimme riss sie aus ihrer Erinnerung.

Nach Luft schnappend drehte sich Jasmine zur Treppe, wo gerade ihre Tochter lächelnd die Stufen hinunterstieg.

„Ich hab gut geschlafen. Kann ich Pfannkuchen zum Frühstück haben?“

Als Leïla ihren Besucher bemerkte, blieb sie am unteren Ende der Treppe stehen und sah Tarek mit ihren durchdringenden schwarzen Augen an.

Jetzt war alles verloren. Das wusste Jasmine.

Tarek würde die Beweise nicht leugnen können. Wahrscheinlich hatte er schon längst alles verstanden.

Schweigend betrachtete er Leïla, doch in seinem Gesicht stand ein intensiver, gefühlvoller Ausdruck, den Jasmine noch nie zuvor darin gesehen hatte.

„Wer bist du?“, fragte Leïla mit unbekümmerter Stimme.

„Ich bin Scheich Tarek Aal Shelad, Sultan von Aljazar. Dein Vater.“

2. KAPITEL

Sie hatte seine Augen, seine Nase und seinen Mund.

Das Blut der Aal Shelads floss durch die Adern dieses Kindes, das er zum ersten Mal sah.

Beunruhigt von einem unbekannten, tief in seinem Inneren aufkeimenden Gefühl war Tarek außerstande, seine Gedanken zu sammeln. Aber eines war sicher: Die Kleine war seine Tochter und sie würde keinen Tag länger in diesem armseligen Häuschen bleiben, in dem er sie gefunden hatte.

„Wie heißt du?“, fragte er mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam.

„Leïla“. Das Mädchen betrachtete ihn misstrauisch. „Und ich habe keinen Vater.“

Seltsamerweise verletzten ihn diese Worte. Sie waren so voller Unschuld gesprochen und kamen vollkommen natürlich aus dem Mund eines Kindes, das mit einer Lüge aufgewachsen war.

Tarek versuchte zu lächeln, während sich in seinem Inneren eine blinde, unsägliche Wut ausbreitete. Jasmine hatte ihn auf abscheuliche Art und Weise hintergangen. Nach ihrer gemeinsamen Nacht war sie nicht nur davongelaufen, sondern hatte vor allem die Tatsache vor ihm verborgen, dass sie ein Kind von ihm bekommen hatte.

Schlimmer noch – sie hatte Leïla den Namen, den Titel und das Leben vorenthalten, das ihr als Prinzessin zustand.

Langsam drehte er sich zu Jasmine, die seit einigen Minuten still dastand. Ihr gebräuntes Gesicht war alarmierend blass. Ihre Lippen, die sich einst so weich auf seinen angefühlt hatten, waren zu einer angespannten Linie verzerrt. Ihr kurvenreicher Körper hatte sich versteift. Sie sah aus wie eine seiner antiken Statuen – Feuerseelen, die in kaltem Marmor eingefangen waren.

Jasmines Blick haftete auf ihrer Tochter. Auf ihrer gemeinsamen Tochter. Sie sah das Mädchen so an, als ob es die Antwort auf ein uraltes Rätsel der Menschheit wüsste, als ob es ihre Mutter aus der Hölle retten könnte, in die sich ihr Leben gerade verwandelt hatte.

„Warte in der Küche auf mich, Liebling. Ich komme und mach dir Pfannkuchen, sobald unser Gast weg ist. In fünf Minuten.“

„In Ordnung, Mama.“

Die gute Laune der Kleinen war bereits wieder zurück und sie trippelte aus dem Raum.

Erst da sah Jasmine zu ihm auf. Mit Augen dunkler als Ebenholz. Wenn Blicke töten könnten …

„Wie konntest du so etwas tun? Leïla ist erst drei Jahre alt. Dazu hattest du kein Recht!“ Ihre Stimme stieg mit jedem Wort an.

„Kein Recht?“, fragte Tarek mit überraschend ruhiger Stimme.

In ihm rang Fassungslosigkeit mit Wut. Offensichtlich war sich Jasmine nicht bewusst, was sie mit ihrem verräterischen Verhalten verursacht hatte. Hätte sie nur einen Funken gesunden Menschenverstand besessen, hätte sie sich ihm zu Füßen geworfen und ihn um Verzeihung gebeten. Sie hätte ihn angefleht, ihr diesen unsäglichen Fehler zu verzeihen.

Autor

Elisa Marshall
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