Die Rückkehr des unwiderstehlichen Milliardärs

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„Meine Damen und Herren, bitte erheben Sie die Gläser auf meine zukünftige Frau. Auf Miss Bridie Starr!“ Verblüfft hört Bridie die Worte des Milliardärs Judah Blake. Gerade erst ist er ins australische Outback zurückgekehrt. Ihretwegen hat er vor Jahren eine schwere Schuld auf sich genommen, wofür sie ihm zutiefst dankbar ist. Aber das heißt nicht, dass sie ihn heiratet! Doch während sie hitzig über die überraschende Scheinverlobung streiten, küsst Judah sie heiß. Bridie beschleicht ein dunkler Verdacht: Will er sich süß rächen – und sein Land zurück, das nun ihr gehört?



  • Erscheinungstag 15.11.2022
  • Bandnummer 2571
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510080
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Im Ballsaal schimmerten die alten Dielen aus dem Holz des Roten Eukalyptus, dank der frischen Bienenwachs-Politur, warm im sanften Schein Dutzender antiker Wandlampen. Alle Türen entlang der Wand nach Westen standen zur Veranda hin offen, obwohl dadurch die Motten ins Innere gelockt wurden. Auch der Rest des Hauses in Jeddah Creek war entstaubt und hergerichtet worden. Jetzt wirkte alles wieder wie die elegante viktorianische Idylle, die es früher gewesen war. Wer auch immer auf die Idee gekommen war, dieses Anwesen inmitten einer roten Wüstenlandschaft zu errichten, in der es nur Staub, Dürre und die unerbittlich vom Himmel brennende Sonne gab, musste ziemlich verrückt gewesen sein. Das, oder er stammte aus England und konnte nicht damit aufhören, von der Welt zu träumen, die er hinter sich gelassen hatte.

Judah Blake fragte sich oft, wie lange seine englischen Vorfahren gebraucht hatten, um zu begreifen, dass die Menschen hier von etwas ganz anderem träumten.

Seit etwas mehr als einer Woche war er zurück. Noch immer fühlte es sich seltsam an, einfach durch eine offene Tür zu gehen oder das zu essen, worauf er gerade Lust hatte. Allerdings behielt er dieses Gefühl lieber für sich. Er war in Jeddah Creek geboren und aufgewachsen; das raue Land mit all seinen Wundern war ihm vertraut. Schon bald würde er sich daran gewöhnt haben, wieder hier zu sein.

Sein achtzehnjähriger Bruder Reid hatte vorgeschlagen, Judahs Rückkehr mit einer kleinen Party zu feiern. Judah hingegen hatte die bescheidene Idee seines Bruders in ein gesellschaftliches Großereignis verwandelt. Er musste herausfinden, wie sehr sein Gefängnisaufenthalt dem Ansehen seiner Familie geschadet hatte. Was gab es da Besseres, als Einladungen zu einem Wohltätigkeitsball zu verschicken und abzuwarten, wer kommen würde?

Er hatte keine Kosten gescheut. Über seine Gastfreundschaft würde sich niemand beschweren können. Was auch immer ein Gast begehrte, er würde es bekommen. Neben dem Essen waren auch das gesamte Catering-Personal und die Musiker eingeflogen worden. Eine kleine Armee aus Reinigungskräften, Handwerkern und Event-Planern hatte eine Woche damit verbracht, die gesamte Anlage für die Party vorzubereiten. Tagelang hatten Arbeiter einen Parkplatz für die Privatflugzeuge und Hubschrauber angelegt, mit denen die Gäste eintreffen würden. Nicht alle Gäste würden wohlhabend sein. Einige würden auch in kleineren Helikoptern aus dem Outback anreisen, die eher für das Treiben von Rinderherden ausgelegt waren. Jeddah Creek lag unmittelbar an der Grenze zwischen Queensland und dem Northern Territory, weshalb es über die Straße nur schwer erreichbar war.

Trotz der Schwierigkeiten bei der Anreise waren von den mehreren Hundert Einladungen, die er so kurzfristig verschickt hatte, nur eine Handvoll abgelehnt worden. Einen Teil der Zusagen hatte er vermutlich seinem Namen zu verdanken. Immerhin hatte sein Urgroßvater zum britischen Adel gehört. Er war ein einfacher Lord gewesen, der die Tochter eines Viscounts geheiratet hatte und dann nach Australien ausgewandert war. Aber seine Eltern waren tot, gestorben innerhalb der vergangenen sechs Monate. Jetzt war Judah der Blake, mit allen Verpflichtungen und allen Verbindlichkeiten, die der Titel mit sich brachte.

Ein Teil der Zusagen beruhte wahrscheinlich auch auf der Tatsache, dass er mit einem hübschen Gesicht gesegnet, noch keine dreißig und nicht verheiratet war. Außerdem war er reich. Er besaß Geld, altes Geld – auch wenn sein kürzlich verstorbener Vater den Großteil davon verspielt hatte. Außerdem besaß er neues Geld im Wert von dreißig Milliarden Dollar, das er zwei Investitionen in Kryptowährung verdankte, die er zum richtigen Zeitpunkt getätigt hatte. Er hatte versucht, den Gewinn geheim zu halten, aber in der Welt der Superreichen gab es immer einige, die wussten, wohin Geldströme flossen.

Auch das gehörte zu den Gründen, weshalb sich heute Abend so viele Leute hier einfinden würden. Jetzt, da er dreißig Milliarden in der Tasche hatte, fiel es offenbar denselben Leuten, die ihn mehr als sieben Jahre lang ignoriert hatten, ganz leicht, ihm seine Sünden zu vergeben und ihn wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen.

Erstaunlich, wie viele von ihnen bereits wegen Investitionsmöglichkeiten mit ihm Kontakt aufgenommen hatten. Sie könnten ihm helfen, hatten sie angedeutet, seinen angeschlagenen Ruf wiederherzustellen. Er jedoch hatte nur knapp gelächelt und geantwortet, er freue sich darauf, sie bald auf der Party zu sehen.

Sie hatten ja keine Ahnung, was für ein Mann er geworden war. Er wusste es ja selbst nicht – jetzt, da er sich wieder in Freiheit befand und mehr Geld besaß, als er ausgeben konnte. Auf einmal standen ihm alle Türen offen.

Sein einziger Wunsch war, dass alles wieder so wurde, wie es früher gewesen war. Seine Eltern sollten noch leben. Seine Seele sollte noch keine Ahnung davon haben, wie es sich anfühlte, in einem Gefängnis zurechtzukommen. Aber dafür war es jetzt zu spät, und auch seine Eltern konnte er nicht von den Toten erwecken.

Doch was die Teile von Jeddah Creek anging, die sein Vater verkauft hatte … das war etwas, was er in Ordnung bringen konnte. In dem Gedanken fand er Trost. Es war sein Land, nicht das von Bridie Starr.

„Tun Sie nichts Unüberlegtes, wenn Sie wieder draußen sind“, hatte der Gefängnispsychologe ihm in den Tagen vor seiner Entlassung geraten.

Als ob Judah in den vergangenen sieben Jahren nicht gelernt hätte, jeden Gedanken und jedes Gefühl zu kontrollieren!

„Vermeiden Sie impulsive Entscheidungen.“

Vermutlich hatte der Arzt nie einen Mithäftling mit einer Klinge in der Hand auf sich zukommen sehen.

„Geben Sie sich Zeit, sich anzupassen.“

Wenigstens das klang nach einem halbwegs guten Rat.

„Es wird Ihnen anfangs schwerfallen, die Menschen richtig einzuschätzen. Im Zweifel für den Angeklagten.“

Den Teufel würde er tun!

Bridie Starr hatte sich vorrübergehend ein Stück Land angeeignet, das ihm, Judah, gehörte. Die Lösung war ganz einfach, daran war nichts Unüberlegtes: Er wollte es zurückhaben.

1. KAPITEL

„Weißt du schon, was du anziehen wirst?“

„Ich habe mich noch nicht entschieden.“ Bridie Starr starrte verzweifelt auf den Zitronenkuchen, den Gertie scheinbar aus dem Nichts gezaubert hatte, und fragte sich nicht zum ersten Mal, wo die andere Frau wohl kochen gelernt hatte.

Jedenfalls nicht hier, so viel stand fest. Hier, das war eines der trockensten und am dünnsten besiedelten Gebiete von Australiens Outback, weit, weit entfernt von jeder größeren Stadt. Bridie war hier, in Devil’s Kiss, geboren und aufgewachsen. Gertie stammte aus Barcoo, ein paar Hundert Kilometer weiter südlich. Beide Orte waren nicht bekannt dafür, Meisterköchinnen hervorzubringen.

Alle zwei Wochen kam Gertie für drei Tage zu Bridie ins Haus und erhellte den Ort mit Bienenwachs, Lachen, gemeinsamem Kochen und Gesprächen, bevor sie sich auf den Weg ins benachbarte Jeddah Creek machte, um dasselbe für die Blakes zu tun. Nach einem weiteren zweitägigen Aufenthalt bei den Conrads im Norden kehrte sie in ihr eigenes Haus zurück, um kurz darauf die Reise aufs Neue zu beginnen. Gertie war der Klebstoff, der die Menschen hier zusammenhielt.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt zu dem Ball der Blakes gehe“, gestand Bridie.

„Irgendwie überrascht mich das nicht.“

Warum sollte es das auch? Bridies Introvertiertheit war nicht gerade ein Geheimnis.

„Aber du musst gehen“, fuhr die ältere Frau fort. „Alle wollen wissen, wie du dich verhalten wirst, jetzt, da Judah zurück ist.“

„Es ist nur … warum muss es unbedingt ein Ball sein? Ausgerechnet hier draußen, mitten im Nirgendwo?“

Auf Gerties schmalen Lippen erschien ein fröhliches Lächeln.

„Es gab einmal eine Zeit, da waren schicke Bälle in Jeddah Creek das Highlight des Jahres. Du bist zu jung, um dich daran zu erinnern. Wer etwas auf sich hielt, der kam. Was wir da alles angestellt haben …“ Ein fast wehmütiger Unterton hatte sich in ihre Stimme geschlichen. „Deine Mutter hat die Bälle geliebt. Sie und dein Vater haben die ganze Nacht durchgetanzt.“

Ihre Mutter hatte diese Welt verlassen, kaum dass Bridie sie betreten hatte. Gertie war der einzige Mensch, der jemals offen über sie sprach. Bridies Vater redete nie über seine Frau.

Also, ihre Mutter hatte Tanzen und Bälle geliebt. Vielleicht konnte Bridie lernen, dieselben Dinge zu lieben. Sie hatte die Einladung bereits angenommen und zugesagt, dass ihr Vater und sie nach Jeddah Creek kommen würden. Nach allem, was Judah für sie getan hatte, konnte sie unmöglich fernbleiben. Und sie musste vorzeigbar sein – was nicht schwer werden würde, weil ihr ein ganzer Schrank voller Designerkleider zur Verfügung stand. Zugegeben, die Kleider waren gut fünf Jahre alt, aber Haute Couture kam niemals so ganz aus der Mode.

Damals hatte sie als aufstrebender Star am Modehimmel gegolten, mit dem Gesicht eines Engels und einem Körper an der Schwelle zum Frausein. Sie hatte absolut keine Ahnung gehabt, was für Raubtiere sich in der glitzernden und verrückten Welt der Haute Couture herumtrieben. Es war ein hartes Erwachen gewesen.

„Wie waren die Leute früher auf diesen Bällen gekleidet?“, erkundigte sie sich. „Klassische Abendgarderobe?“

„Auf jeden Fall.“

„Orden und Schärpen und so? Handschuhe für die Frauen?“

„Nein zu den Orden und Schärpen, Ja zu Siegelringen und Schmuck, manchmal Handschuhe“, erwiderte Gertie. „Adel halt. Oft sind die Hinweise subtil, man muss genau hinschauen, aber dann erkennt man es.“

Bridie gab ein frustriertes Geräusch von sich, als sie versuchte, sich Judah von nebenan als Lord Judah Blake vorzustellen.

„Nun gut, Zeit für ein Kleid.“ Mit einer Hand fuhr sie sich durch die dicken, hellblonden Locken. Wieder einmal schwor sie sich, sich vor dem Ball um einen ordentlichen Haarschnitt zu kümmern.

„Er hat heute Morgen angerufen und wollte mit dir sprechen.“

„Wer? Judah?“ Bereits seit einer Woche wich sie seinen Anrufen aus.

„Rufst du ihn zurück?“

Bridie nickte, obwohl sie genau wusste, dass ein Rückruf mehr Mut erforderte, als sie hatte. Auf dem Ball würde sie zumindest von vielen Menschen umgeben sein, dort würde ein Gespräch nicht so schnell zu persönlich werden. Sich langsam an die Dinge herantasten, lautete ihre Devise.

„Du wirst dich nicht bei ihm melden, oder?“, stellte Gertie fest.

„Nein. Aber ich werde auf den Ball gehen. Und dann werde ich mit ihm sprechen und ihn zu Hause willkommen heißen. Ich werde ihn mit Dankbarkeit überhäufen und alles tun, was sonst noch nötig ist. Vertrau mir, Gertie. Ich habe einen Plan.“

„Braves Mädchen“, lobte die ältere Frau. „Nimm dir noch ein Stück Kuchen.“

Irgendetwas war im Busch. Gertie ließ niemanden an ihren Zitronenkuchen, bevor er abgekühlt war. Aber jetzt schnitt sie Bridie ein Stück ab und sah missbilligend zu, wie sich die noch warme Füllung auf dem Teller verteilte.

„Und nun …“ Ihr stählerner Blick hätte ein Wildschwein auf hundert Schritt Entfernung töten können. „Wollen wir eines klarstellen, mein süßes Blümchen …“

Süßes Blümchen … Oh, das war schlimm. Schlimmer als damals, als Bridie die riesige Vase, die am Ende des Flurs stand, als Zielscheibe für ihr Frisbee benutzt und getroffen hatte.

„Was wirst du anziehen?“

Von seinem Aussichtspunkt am Ende der Veranda im Erdgeschoss beobachtete Judah, wie seine Gäste aus dem Ballsaal in die Nacht strömten, mit begeisterten Worten die Landschaft lobten, die sie überflogen hatten, um hierherzugelangen, und die Schönheit des alten zweistöckigen viktorianischen Hauses mitten im Nirgendwo bewunderten.

„Jeddah Creek, was für ein herrlicher Ort.“

„Judah, gut sehen Sie aus.“

Und für die wirklich Mutigen: „Ich vermisse Ihre Eltern. Ihr Verlust tut mir sehr leid.“

Sein Bruder befand sich irgendwo im Haus – er war zehn Jahre jünger und fast ein Fremder für ihn. In den vier Monaten, die zwischen dem Tod ihres Vaters und Judahs Heimkehr lagen, hatte er Jeddah Creek geleitet. Und er hatte seine Sache gut gemacht.

Der Junge – der Mann – hatte ein starkes Netzwerk aus Schulfreunden, die alle dieses Jahr ihren Schulabschluss gemacht hatten. Die meisten von ihnen legten gerade ein Jahr Pause ein, bevor sie den Job antraten, den ihre Familie für sie geplant hatte.

Viele von Reids Freunden waren heute Abend hier. Judah hoffte inständig, dass sie ihren Alkoholkonsum unter Kontrolle hatten. Vielleicht sollte er mal mit dem Barpersonal reden, das die Eventplaner unbedingt hatten einstellen wollen.

Unvermittelt gesellte sich Reid zu ihm. Suchend schaute er sich um.

„Sie ist noch nicht da, aber sie hat versprochen zu kommen“, platzte es aus ihm heraus.

„Wer?“

„Bridie.“

Es gab nur eine Bridie in Judahs Universum, und er hatte tagelang versucht, ein Treffen mit ihr zu arrangieren. Bisher hatte sie noch nicht einmal die Höflichkeit besessen, auf seine Anrufe zu reagieren.

„Vielleicht hat sie anderswo einen dringenderen Termin“, mutmaßte er.

„Nicht Bridie“, widersprach sein Bruder. „Sie lebt praktisch wie eine Einsiedlerin. Nach dem Vorfall hat sie Devil’s Kiss jahrelang nicht verlassen. Und selbst jetzt noch muss sie sich regelrecht überwinden, nach draußen zu gehen.“

„Dann arbeitet sie vielleicht gerade daran.“

Der Gedanke, dass Bridie nicht das Beste aus ihrer Freiheit machte, behagte ihm nicht. Unvermittelt flackerte Wut in ihm auf. Er hatte seine Freiheit geopfert, um ihr zu helfen. Das Mindeste, was sie im Gegenzug tun konnte, war, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen.

„Ich weiß, dass sie sich Sorgen macht, was die Gäste über sie und dich sagen werden“, fuhr Reid fort. „Vor diesem Teil hatte sie richtig Angst.“

Bu-hu!

„Sie ist jetzt Fotografin“, ergänzte Reid dann.

Das wusste Judah längst.

„Meistens Landschaften, hier aus der Gegend. Vor einem Monat habe ich sie im Hubschrauber mitgenommen. Irgendwann haben wir die Tür herausgenommen und sie in einen Gurt gehängt, damit sie sich hinauslehnen und Luftaufnahmen machen konnte. Ich habe die Bilder noch nicht gesehen, aber Bridie hat gemeint, sie seien sehr gut geworden.“

Ein flaues Gefühl – vielleicht ein unbewusster Groll? – breitete sich in seinem Magen aus, weil sein jugendlicher Bruder … was war? Ein Freund von Bridie Starr? Ihr Vertrauter?

Warum hatte sie auf keinen seiner Anrufe reagiert?

Altersmäßig lag Bridie zwischen ihm und seinem Bruder. Sie war jetzt dreiundzwanzig, kein ahnungsloses Mädchen mehr.

Würde er sie überhaupt wiedererkennen? Bei all den Fotos, die er in den vergangenen sieben Jahren erhalten hatte, war kein einziges von ihr dabei.

„Sieh zu, dass deine Freunde heute Abend nicht zu viel trinken. Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist ein Zwischenfall.“

„Das weiß ich, und sie wissen es auch. Es wird keinen geben.“

Wie konnte sein Bruder da nur so sicher sein?

Reid schien Judahs Gedanken zu lesen.

„Dein Ruf eilt dir voraus, Mann.“ Er lächelte, fröhlich und irgendwie vertraut. „Sie werden sich benehmen.“

„Macht dir das Probleme? Mein Ruf?“

„Nicht hier draußen“, antwortete Reid schulterzuckend.

„Und wie war es, als du zur Schule gegangen bist?“

Wieder ein Schulterzucken. „Hat mir den Ärger erspart, mich mit oberflächlichen Leuten abgeben zu müssen.“ Er schaute in Richtung Osten. „Das könnte sie sein.“

Judah wartete, bis sich die dünne Sandspirale am Horizont in eine Wolke verwandelte und ein mit Staub bedeckter, ehemals weißer Wagen in Sicht kam. Es war schwer zu sagen, was er fühlte, da er seine Emotionen so lange unterdrückt hatte. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, die Kontrolle zu verlieren.

Was also, wenn seine Neugierde ihn umbrachte?

Was also, wenn der Gedanke, dass sie zur Einsiedlerin geworden war, ihn vor Wut zum Kochen brachte?

Diese Informationen konnte er immer noch gegen sie verwenden, wenn sie sich nicht seinem Willen beugen und ihm sein Land zurückverkaufen wollte.

Aber warum sollte sie nicht verkaufen? Seit sie das Land besaß, hatte sie nichts damit gemacht. Es lag einfach nur brach und wartete darauf, zurückerobert zu werden. Von ihm.

Außerdem war sie ihm etwas schuldig.

Es dauerte noch eine Viertelstunde, bis Tom Starr und seine Tochter die Eingangstreppe zum Haus hinaufgingen und vor ihm stehen blieben. Hatte Judah Bridie schon vorher für unglaublich attraktiv gehalten, so war das nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt ausstrahlte. Ihr Mund schien wie geschaffen für sinnliche Küsse, ihre großen Augen schimmerten in einer satten Farbe von Cognac, und ihre Haare leuchteten in allen Erdtönen, die er sich vorstellen konnte – von sonnengebleichten, honiggoldenen Strähnen über warme Bronze bis zum tiefsten Mahagoni.

Ihr Körper glich noch immer dem einer Tänzerin, sportlich mit einem zarten Knochenbau. Sie bewegte sich mit Eleganz und Grazie. Ihr Kleid reichte vom Hals bis zu den Knien und schimmerte in einem tiefen Dunkelblau. Keine Ärmel, kein Schmuck. Ihr einziges Accessoire bestand aus einer kleinen schwarzen Handtasche, die sie mit so festem Griff vor ihren Bauch hielt, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Sie konnte ihn kaum ansehen.

„Danke, dass ihr gekommen seid.“

Erschrocken blickte sie auf.

Unvermittelt fühlte er sich verloren. Erinnerungen, die er nicht in seinem Kopf haben wollte, stiegen in ihm auf.

„Ich hätte …“ Sie räusperte sich. „Ich hätte es nicht verpassen wollen. Danke für die Einladung.“

So schöne Lügen.

Am liebsten hätte er eine Hand nach ihr ausgestreckt, um herauszufinden, ob sich ihr Haar so seidig anfühlte, wie es aussah. Er wollte diese Frau besitzen, die ihm nie gehört hatte und die er kaum kannte – außer aus seinen Fantasien. Er wollte seinen Vater zurück und eine Erklärung für all die Fotos, die sie ihm Monat für Monat geschickt hatte.

Und vor allem wollte er wissen, warum sie sein Land gekauft hatte. Hatte sie wirklich geglaubt, er würde nicht zurückkommen und es einfordern?

Aber was er wirklich brauchte, war eine Auszeit von ihr, damit er die Gelassenheit zurückgewinnen konnte, die er in dem Moment verloren hatte, als sie ihm in die Augen gesehen hatte.

„Reid, warum zeigst du Bridie nicht, wo sie sich frisch machen kann, bevor du ihr einen Drink und einen Teller mit Essen holst.“

Genauso gut hätte er fragen können: Warum spielst du nicht den Babysitter für sie? Aber Reid schien mit seiner neuen Rolle durchaus zufrieden zu sein, und Bridie wirkte sogar dankbar.

Judah schaute ihr nach und erinnerte sich daran, dass sie mit sechzehn über die Laufstege von Paris geschritten war und das Cover der Vogue geziert hatte.

Man sah es ihr immer noch an.

Dann riss er seinen Blick von ihr los und begrüßte endlich ihren Vater. „Tom.“

„Willkommen zu Hause“, erwiderte der ältere Mann. „Es tut mir so leid, dass deine Eltern nicht mehr hier sind.“

„Mir auch.“ Als er fortgegangen war, hatte er sich nicht vorstellen können, dass sie bei seiner Rückkehr tot sein würden. „Vielleicht kannst du mir sagen, was mit dem Geschäftssinn meines Vaters geschehen ist und warum er praktisch bankrott gestorben ist.“

Und warum hat es mir niemand erzählt?

„Bist du sicher, dass du hier darüber reden willst?“ Tom Starr wirkte nicht wie jemand, der überhaupt etwas mit ihm besprechen wollte. „Wir können ein Treffen vereinbaren.“

„Seit einer Woche versuche ich, deine Tochter zu erreichen, Tom. Keiner hat auf meine Anrufe reagiert, ich bin mit meiner Geduld am Ende.“

„Warum rufst du Bridie an?“ Mit einem Mal wirkte der ältere Mann verwirrt. „Sie weiß doch gar nichts über die Geschäfte deines Vaters.“

Aber auf den Urkunden vom Notar stand nicht Toms Name, sondern Bridies.

„Was ist mit meinem Vater passiert?“ Zumindest konnte der ältere Mann ihm ein paar Informationen geben. „Bevor er starb, hat er all die Dinge vernachlässigt, die ihm sein ganzes Leben lang wichtig waren: die Blutlinien der Zuchtrinder, das Land …“

Judah beobachtete, wie Tom vor seinen Augen um ein weiteres Jahrzehnt zu altern schien.

„Trauer.“ Der ältere Mann schluckte schwer. „Trauer und Wut über die Art und Weise, wie man mit dir umgegangen ist. Nachdem du verurteilt worden bist, hat dein Vater mehr getrunken. Und ich auch. Meistens haben wir zusammen getrunken. Ich aus Scham, er, weil sein Sohn die Wehrlosen beschützt hatte und dafür einen ungerechten Preis zahlen musste. Dein Vater hat mir immer wieder versichert, dass seine hochkarätigen Anwälte genug Gründe für eine Berufung finden würden. Ich habe immer gebetet, dass es dazu kommen wird, aber es ist nie passiert.“

Gründe für eine Berufung. Was für ein Witz! Und an der Bewährung war er auch gescheitert.

„Vor ein paar Jahren habe ich den Fehler gemacht, deinem Vater zu gestehen, dass ich derjenige war, der den Abzug gedrückt hat“, fuhr Tom düster fort.

Judah erstarrte. „Wir hatten eine Abmachung! Wir haben geschworen, dass es unter uns bleibt. Niemand sonst sollte davon erfahren!“ Sie hatten es getan, um Bridie zu schützen. Damit sie ihren Vater an ihrer Seite hatte, der ihr helfen konnte, die Scherben aufzusammeln, in die ihr Leben zerbrochen war. „Du hast es versprochen.“

Ein Mann war immer nur so viel wert wie sein Wort.

„Ich dachte, es würde ihm helfen zu wissen, dass du in doppelter Hinsicht ein Held bist.“

Ein Held … Eher ein Narr!

„Hat es geholfen?“

„Nein. Er wurde noch verbitterter und gefühlloser.“

„Wem hast du es noch erzählt? Weiß Bridie, dass du geschossen hast?“

„Niemandem. Niemand sonst weiß, was in jener Nacht passiert ist. Ich habe darüber nachgedacht, es ihr zu sagen, aber … nein.“

Und warum nicht?

Auf einmal sehnte er sich nach einem Streit, dabei hatte er keine Ahnung, wieso. Warum wurde sein Vater mit der Wahrheit belastet, nicht aber Bridie? Mittlerweile war sie doch erwachsen, oder nicht? Sie war nicht mehr das verängstigte Kind von damals.

„Beschütze Bridie“, bat Tom mit schwacher Stimme. „Sie würde die Wahrheit nicht verkraften.“

Beschütze Bridie. Das war der Grund, weshalb er überhaupt die Schuld auf sich genommen hatte – bis hin zum Gefängnis. Er war so arrogant gewesen zu glauben, dass seine Strafe nicht lang sein würde. Die besten Anwälte, die man für Geld kaufen konnte, und die Tugend waren auf seiner Seite gewesen. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er für seine vermeintlichen Sünden jahrelang im Gefängnis sitzen würde.

Unschuldige Kinder beschützen … was konnte daran falsch sein?

„Als mein Vater gestorben ist, hatte er kaum noch Geld. Er hat Land verkauft. Du warst sein Freund – zumindest hast du das behauptet. Was ist passiert?“

„Er fing an, Poker zu spielen. Ich denke, er wollte sich irgendwie ablenken. Er hat versucht, mich auch dafür zu begeistern, aber ich bin ein lausiger Kartenspieler. Außerdem war der Einsatz zu hoch für mich. Wie sich herausstellte, war dein Vater auch kein guter Spieler. Ein paarmal habe ich ihm aus der Patsche geholfen, ich habe sogar eine Hypothek aufgenommen. Aber schließlich konnte ich ihm nicht mehr geben, sonst hätte ich Devil’s Kiss verloren. Ich weiß, dass er von irgendwem Geld bekommen hat, aber nicht von mir.“

In Toms Worten lag zumindest ein Funken Wahrheit.

„Wie viel hast du ihm gegeben?“, wollte Judah wissen.

„Das geht dich nichts an, mein Junge. Gegeben ist gegeben. Ich verlange es nicht zurück.“

„Und du weißt nicht, warum der Name deiner Tochter auf einigen der Besitzurkunden von Jeddah Creek steht?“

Die Antwort bestand in Schweigen – ein tiefer Schock, der nicht vorgetäuscht werden konnte.

„Davon weiß ich nichts“, versicherte Tom.

Interessant.

„Ich kann nicht sagen, wie Bridie es geschafft hat, ihren Namen auf diese Urkunden setzen zu lassen“, meinte Tom schließlich. „Aber ich glaube, sie hat deinem Vater das Land abgekauft, weil er Spielschulden hatte, von denen deine Mutter nichts erfahren sollte. Bridie hat keine Ahnung von der Welt. Sie strebt nicht nach Macht, Geld oder Ruhm. Aus ihrer Zeit als Model besitzt sie Geld. Außerdem gibt es noch das Erbe ihrer Mutter. Sie hat keine Freunde, aber ein gutes Herz. Und sie steht in deiner Schuld, das tun wir beide. Wenn du sie also fragst, warum sie das getan hat, bitte ich dich, hör dir an, was sie zu sagen hat.“

Autor

Kelly Hunter

Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...

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