Du hast mir gezeigt, was Liebe ist

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Einmal das Leben außerhalb ihrer Amisch-Gemeinde kennenlernen, davon träumt Anna schon lange. Daher sagt sie spontan Ja, als Colt sie um Hilfe mit seinen kleinen Neffen bittet. Schnell verliert sie ihr Herz an den attraktiven FBI-Agenten. Aber kann sie in seiner Welt glücklich werden?


  • Erscheinungstag 11.05.2020
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716806
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

FBI-Agent Colt Ashers neuester Auftrag lautete: in ein amisches Dorf eindringen und ein gestohlenes schwarz-weißes Meerschweinchen namens Sparkles zurückholen.

Dabei sollte Colt eigentlich gerade seinen Urlaub planen – eine dringend benötigte Ruhepause –, zum Beispiel am Golf von Mexiko. Er könnte auch nach New Orleans reisen, Beignets essen und guten Bourbon trinken. Oder seinen Reisepass entstauben und sich auf den Weg nach Frankreich, Italien oder Deutschland machen. Vielleicht sein Spanisch in Madrid aufbessern.

Doch stattdessen hatte sein Chef Harlan Holtzman ihn am Spätnachmittag vor Beginn seines zweiwöchigen Urlaubs mit einer persönlichen Bitte in sein Büro gebeten.

Am Tag zuvor hatte Harlan seine achtjährige Nichte zu deren Geburtstag in eine Pizzeria in Grass Creek, einem Vorort Houstons, in dem das Büro des FBI lag, eingeladen. Auf dem Weg dorthin hatte das Mädchen ein schwarz-weißes Meerschweinchen im Schaufenster einer Tierhandlung entdeckt und voller Sehnsucht verkündet, sich genau dieses Meerschweinchen und nichts anderes zum Geburtstag und zu Weihnachten zusammen zu wünschen und es Sparkles nennen und sich immer gut darum kümmern zu wollen.

Also war Harlan, der alte Softie, an diesem Mittag zur Tierhandlung gegangen und hatte das Tier mitsamt Käfig, Sägespänen und Tunnels erstanden. Er hatte Sparkles auf dem Bürgersteig neben seinem Pick-up abgesetzt, um kurz in den Laden zurückzukehren und die Beutel mit Spänen und Futter zu holen, doch dann hatte ihm ein Angestellter einen endlosen Vortrag über die Haltung von Meerschweinchen gehalten und Harlan schließlich dazu überredet, zusätzlich zu allem anderen auch noch ein Buch mit dem Titel „Wie versorge ich mein Meerschweinchen?“ zu erstehen.

„Das Zwanzig-Dollar-Geschenk hat mich am Ende mehr als hundertfünfzig gekostet!“, grummelte Harlan.

Das eigentliche Problem war jedoch, dass das Meerschweinchen mitsamt Käfig verschwunden war, als Harlan den Laden schließlich wieder verließ. Ein Meerschweinchendieb in Grass Creek? Eher unwahrscheinlich.

Der Chef fragte herum und fand eine Frau, die beobachtet hatte, wie ein amisches Mädchen mit roten Zöpfen den Käfig in eine Kutsche lud, wobei der Frau nicht bewusst gewesen war, dass sie Zeugin eines Diebstahls geworden war. Ich meine, die Amischen stehlen doch nicht, oder?

Offensichtlich doch. Oder zumindest dieses Mädchen.

In Grass Creek war der Anblick Amischer nicht ungewöhnlich, denn sie hatten hier – nur ungefähr zehn Autominuten von ihrer Gemeinde entfernt – eine gut besuchte Markthalle, in der sie unter anderem Backwaren und handgetischlerte Möbel verkauften. Colt hatte dort seine Tische und die beiden Babywiegen für seine seinerzeit mit Zwillingen schwangere Schwester gekauft. Er wäre nirgendwo anders hingegangen. Die Handwerkskunst der Amischen war unübertroffen.

Colt ging auch nie am Stand mit Zitronenscones und Sauerteigbrot vorbei, ohne sich einen Vorrat für sein Tiefkühlfach zuzulegen. In der Gemeinde selbst war er jedoch noch nie gewesen. Doch wenn er in seinen zehn Jahren als FBI-Agent eins gelernt hatte, dann, dass sogar einem amischen Mädchen mit roten Zöpfen und Haube alles zuzutrauen war. Colt hatte Männer verhaftet, die aussahen wie die Schurken in Actionfilmen … und engelsgleiche Frauen, denen man nie etwas Böses zutrauen würde.

Immer auf alles gefasst sein, war sein Motto. Er war schließlich nicht ohne Grund so gut in seinem Job.

Nur bei seinem letzten Fall hatte er sein Motto missachtet. Eine dieser engelsgleichen Frauen hatte es geschafft, ein falsches Spiel mit ihm zu spielen und ihn reinzulegen. Er brauchte daher dringend eine Auszeit, um den Kopf freizubekommen. So ein Fehler durfte ihm nie wieder passieren.

„Ich bitte Sie wirklich nur ungern, ins Dorf der Amischen zu fahren, Colt“, sagte Harlan. „Aber Jones und Cametti sind gerade wegen eines anderen Falls im Einsatz, und ich muss zu einem dämlichen Wohltätigkeitsdinner. Und da Ihr Urlaub streng genommen erst beginnt, wenn Sie heute Feierabend machen, kann ich Sie noch guten Gewissens fragen.“

Colt lachte. „Kein Problem, Harlan. In zwei Stunden haben Sie Sparkles zurück.“ Eine Fahrt aufs Land war vielleicht genau das, was er brauchte, um sich in Urlaubsstimmung zu bringen. Der perfekte Auftakt.

„Ich weiß Ihre Bemühungen wirklich sehr zu schätzen, Colt. Vielen Dank.“

Colt würde jetzt also ins Dorf der Amischen fahren, seine Dienstmarke zücken und sich nach einem rothaarigen Mädchen erkundigen, das heute in Grass Creek gewesen war. Er würde das Meerschweinchen sicherstellen, es zurück zu Harlan bringen, seine Sachen packen und einen Dartpfeil auf die Weltkarte an seiner Wohnzimmerwand werfen. Und dort, wo der Pfeil stecken blieb, würde er hinreisen, um seinen katastrophal schiefgelaufenen letzten Fall aus dem Kopf zu bekommen.

Als Anna Miller Jordan Lapps Kutsche um die Kurve biegen sah, senkte sie die Milchflasche, mit der sie gerade ein Kälbchen fütterte, und schickte ein Stoßgebet gen Himmel: Bitte, bitte lass ihn nicht kommen, um mir einen Heiratsantrag zu machen!

Sie war vierundzwanzig und noch unverheiratet. Für eine amische Frau war sie damit praktisch eine alte Jungfer. In den letzten fünf Jahren hatte sie zehn potenzielle Verehrer zurückgewiesen und acht Heiratsanträge abgelehnt, die sie trotzdem erhalten hatte. Einige der Kandidaten wollten sie heiraten, weil sie das richtige Alter hatte, und andere mochten sie wirklich. Einer hatte sie sogar geliebt. Es hatte ihr schrecklich wehgetan, ihm das Herz brechen zu müssen.

Dabei war Anna eigentlich immer davon ausgegangen, dass die Männer ihrer Gemeinde sie sowieso nicht in Betracht ziehen würden, weil sie so offensichtlich „anders“ war. Sie war zu direkt. Sie redete zu viel über das, was sie in Romanen und Zeitungen las. Sie konnte nicht nachvollziehen, warum kochen und Wäsche waschen „Frauenarbeit“ war. Und sie trug Overalls statt Kleidern, wenn sie im Stall arbeitete oder die Möbel bemalte, die die Männer ihrer Gemeinde anfertigten.

Seit dem Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren war sie Vollwaise und lebte allein. Das war zwar ungewöhnlich bei den Amischen, aber ihrem Onkel Eli war es lieber, wenn sie allein in ihrem Elternhaus lebte statt bei ihm und Annas Aenti Kate, weil er ihren „schlechten Einfluss“ auf seine achtjährige Tochter Sadie befürchtete.

Ihr Onkel hatte einigen ihrer Verehrer sogar ein Pferd oder Möbel versprochen, wenn sie Anna heirateten. Der Mann meinte es nur gut, doch er bemühte sich eher seiner ständig um ihre Nichte besorgten Frau zuliebe, als um Anna zu kontrollieren. Dass sie sämtliche Anträge ablehnte, weckte jedoch seinen Zorn, irritierte ihre Tante und verschaffte ihr den „inakzeptablen“ Respekt ihrer kleinen Cousine Sadie.

„Cousine Anna ist unabhängig“, hatte Sadie eines Nachmittags voller Stolz gesagt.

Sadies Mutter hatte nur eine Augenbraue gehoben und nichts darauf geantwortet. Anna war schließlich tatsächlich unabhängig. Als Folge davon war sie jedoch auch allein. Sadies Mutter baute daher darauf, dass ihre kleine Tochter eines Tages von selbst erkennen würde, welche Auswirkungen Annas Lebensentscheidungen auf ihr Leben hatten. Anna bewunderte ihre Tante trotzdem für ihre Zurückhaltung und Selbstbeherrschung.

Jordan stieg von seiner Kutsche. Oh je, er trug seine Kirchenkleidung – ein schwarzes Jackett mit schwarzer Hose und schwarzem Strohhut. Als er vor ihr stehen blieb, tätschelte er das Kalb und lächelte nervös. „Anna, es ist so: In den letzten zwei Monaten habe ich meinen Bruder und einen Cousin zu dir geschickt, um dich zu fragen, ob du mit mir zusammen sein willst, und du hast Nein gesagt. Also verstoße ich hiermit gegen die Tradition und komme direkt zur Sache: Willst du mich heiraten?“

Er zog eine Miniaturuhr aus Holz aus seiner Jackettasche. Wahrscheinlich hatte er sie extra für diesen Anlass angefertigt. Die Amischen machten ihre Anträge nicht mit Diamantringen.

Anna rutschte das Herz in die Hose. Sie mochte Jordan. Er war sympathisch und hatte schöne blaue Augen. Sie wollte weder seine Gefühle oder seinen Stolz verletzen noch ihm versagen, was auch immer ihr Onkel ihm versprochen haben mochte. „Jordan, du bist ein guter Mann, aber ich muss deinen Antrag leider ablehnen. Ich will nicht heiraten.“

Jordan runzelte irritiert die Stirn. „Was willst du denn stattdessen machen? Kranke Kälber füttern und Möbel bemalen, bist du alt bist? Wer wird dich lieben und sich um dich kümmern? Außerdem wirst du so keine Kinder bekommen.“

Anna wollte Kinder. Sie wollte auch einen Ehemann. Sie wusste nur nicht, ob sie sich an einen amischen Mann binden wollte, denn das bedeutete ein amisches Leben. Aber die Welt da draußen war groß. Sogar Grass Creek war groß – eine ganz andere Welt als dieses Dorf hier.

„Das weiß ich noch nicht. Es tut mir leid, Jordan. Würde ich heiraten wollen, würde ich jemanden wie dich nehmen.“

Er seufzte. „Okay, solltest du bis heute Abend deine Meinung ändern, sag mir Bescheid. Ansonsten frage ich Abigail. Sie sagt auch, was sie denkt – genauso wie du. Das gefällt mir.“

Anna lächelte. „Ich werde meine Meinung nicht ändern, Jordan. Geh, frag Abigail, ob sie mit dir zusammen sein will.“ Ihre Freundin aus Kindertagen schwärmte schon lange für ihn und würde sofort Ja sagen.

„Wirst du ihr auch nicht erzählen, dass ich dir einen Antrag gemacht habe?“

„Natürlich nicht.“

Nickend steckte er seine Uhr wieder ein und stieg in seine Kutsche.

Als Anna dem sich entfernenden Gefährt hinterhersah, hörte sie auf der Rückseite des Stalls einen Zweig knacken.

„Anna Miller, deine Mutter wäre nicht erfreut!“

Mist, Annas Aenti war hier. Und hatte offensichtlich alles mit angehört.

Anna stand auf, als Kate Miller mit einem Korb in einer Hand um die Ecke des Stalls bog. Annas Aenti brachte ihr oft etwas zum Mittagessen, wenn sie für ihre eigene Familie kochte.

„Hühnersuppe, Sauerteigbrot und eingemachte Erdbeeren“, sagte Kate und reichte Anna den Korb. Beim Anblick von Annas Jeansoverall und ihrer Baseballkappe runzelte sie missbilligend die Stirn. Kate trug das traditionelle, bis zur Wade reichende, schlichte Kleid und eine schwarze Haube, die ihren Status als verheiratete Frau anzeigte. Alleinstehende Frauen trugen weiße Hauben. Annas Baseballkappe hingegen war blau.

„Danke, Aenti“, sagte Anna. Ihr Magen begann zu knurren, als ihr der Duft der Suppe und des frisch gebackenen Brots in die Nase stieg.

„Ist Sadie hier? Sie ist nach unserer Rückkehr aus Grass Creek verschwunden.“

Anna sah sich um. „Ich habe sie nicht gesehen. Soll ich sie nach Hause schicken, falls sie hier auftaucht?“

Kate nickte. „Sie soll ein paar Sachen für mich nähen.“

Anna überraschte es nicht, dass ihre kleine Cousine weggelaufen war. Kate, die glaubte, dass Müßiggang aller Laster Anfang war, achtete immer darauf, ihre Achtjährige zu beschäftigen – schon allein, damit sie nicht allzu viel Zeit bei ihrer Cousine Anna verbringen konnte.

„Anna, ich versuche wirklich, dich zu verstehen“, sagte Kate. „Aber es ist inzwischen zwei Jahre her, dass deine Maemm gestorben ist. Du hast keinen Freund und lehnst eine gute Partie nach der anderen ab. Aber wenn du Amische werden willst, ist es deine Bestimmung, Ehefrau und Mutter zu sein.“

Tja, wenn. Anna hatte sich bisher noch nicht taufen lassen und war daher noch kein offizielles Mitglied der Gemeinde.

„Ich will dir ja keine Schuldgefühle einreden, Anna, aber du bist den Kindern hier im Dorf ein schlechtes Vorbild. Und Sadie ist so schrecklich leicht zu beeinflussen. Erst heute Morgen hat sie gesagt, dass sie so werden will wie du, wenn sie groß ist. Stell dir nur mal vor, dein Onkel hätte das mit angehört!“

Dann dürfte Sadie bestimmt nie mehr zu Anna gehen.

Kate hob das Kinn. „Ich finde, du solltest das Dorf verlassen, Anna.“

Anna sah ihre Aenti erschrocken an. „Was?“

„Ja. Deine längst überfällige Rumschpringe nachholen. Als du in dem dafür üblichen Alter warst, hattest du keine Gelegenheit. Geh in die Welt der Englischen und finde ein für alle Mal heraus, ob du Amische sein willst oder nicht.“ Ihre Tante drehte sich um, um zu ihrem Haus zurückzugehen, das eine Viertelmeile entfernt lag.

Rumschpringe.

Ihre ganze Kindheit hindurch hatte Anna mit angesehen, wie die Jungs und Mädchen ihres Dorfs in ihrer Pubertät eine Phase durchmachten, in der sie die gleichen Erfahrungen machen durften wie die „Englischen“, ohne Konsequenzen wegen ihres Verhaltens oder ihrer Entscheidungen befürchten zu müssen. Erst dann verschrieben sie sich dem Glauben ihrer Gemeinde, ließen sich taufen, nahmen den amischen Lebensstil an und lebten nach den Gesetzen der Gemeinde.

Oder auch nicht.

Als kleines Mädchen hatte Anna sich sehr auf diese Zeit gefreut. Wann immer sie die Gelegenheit gehabt hatte, nach Grass Creek zu fahren, hatte sie die Englischen beobachtet – von den Pennsylvaniadeutsch sprechenden Amischen wegen ihrer Sprache so genannt. Sie hatte sich genau angesehen, wie sie sich anzogen, welche Schuhe und welchen Schmuck sie trugen, weil das für Amische alles verboten war.

Sie hatte bisher selten in einem Auto gesessen, wenn, dann nur in einem Taxi oder Krankenwagen. Sie hatte nie über Kopfhörer Musik gehört und nie die „Gilmore Girls“ oder „Casablanca“ im Fernsehen gesehen – Filme und Serien, die sie nur aus Magazinen kannte, die sie in der Stadt las. Außerhalb ihres Dorfes befand sich eine große, weite Welt. Und während der Rumschpringe-Phase durfte sie all diese Erfahrungen machen.

Doch als sie fünfzehn war, war ihr Vater bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen, sodass sie ihre Rumschpringe verschoben hatte. Und zwei Jahre später, als sie zum ersten Mal das Internet in der Bücherei in Grass Creek benutzt hatte, um sich über ihre Optionen zu erkundigen, war ihre geliebte Maemm krank geworden. Krebs. Fünf Jahre lang hatte Anna sie gepflegt, bis zu ihrem Tod. Sie vermisste sie immer noch schrecklich.

Seitdem kümmerte sie sich um kranke Kälber und bemalte die Möbel, die die Männer ihrer Gemeinde tischlerten. Inzwischen war sie vierundzwanzig und immer noch hier. Mit einem Fuß drinnen und dem anderen draußen. Noch immer fragte sie sich voller Sehnsucht, wie die Welt der Englischen wohl war.

„Meine eigene Rumschpringe war eher eine Enttäuschung“, hatte ihre Mutter ihr mal erzählt. „Die Auswahl ist einfach zu groß. Es gibt zu viel Technologie, zu viel von allem. Hier ist es ruhig und friedlich, und man benutzt nur das, was man wirklich braucht. So kann man sich viel besser auf das besinnen, was im Leben zählt, Anna.“

Bei der Erinnerung an ihre Mutter wurde Anna für einen Moment wieder von Trauer überwältigt … bis sie zwei rote Zöpfe im Stall aufblitzen sah. Die Gegenwart ihrer kleinen, temperamentvollen Cousine hellte Annas Stimmung immer auf. Das Mädchen versteckte sich wahrscheinlich gerade vor ihrer Maemm.

Anna wollte gerade in den Stall zurückkehren, um nach Sadie zu suchen, als ein schwarzer SUV mit einem Mann hinterm Steuer die Sandstraße entlangkam. Annas Haus war das erste. Sie ging davon aus, dass er vielleicht Möbel kaufen oder einfach nur die Einwohner anstarren wollte, doch er parkte vor ihrem Haus, stieg aus und sah sich um.

Als sein Blick an ihr hängen blieb, stockte ihr der Atem. Der Fremde war groß – deutlich über eins achtzig –, breitschultrig und schmalhüftig. Er trug ein langärmeliges Hemd und eine dunkelgraue Hose und war glatt rasiert. Nur ein paar Bartstoppeln schimmerten dunkel auf seiner Haut. Sein volles, dunkles Haar war zurückgekämmt wie bei einem Filmstar, und er hatte grüne Augen. Er war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, und sie hatte schon eine Menge Englische in Grass Creek gesehen.

Er hielt etwas in der rechten Hand. Eine Brieftasche? Nein … eine Dienstmarke.

Sie erstarrte. Polizei? Was wollte ein Gesetzesvertreter in ihrer Gemeinde?

Als der Mann näher kam, konnte Anna die Dienstmarke deutlicher erkennen. FBI. Sie spürte seinen prüfenden Blick. Offensichtlich versuchte er, sie einzuschätzen.

„Hi.“ Er hielt seine Dienstmarke hoch. „Agent Colt Asher, ich komme vom FBI in Houston. Eine Frau hat heute Mittag beobachtet, wie ein amisches Mädchen mit roten Zöpfen vor der Tierhandlung in Grass Creek einen Käfig mit einem Meerschweinchen vom Bürgersteig in eine Kutsche geladen hat. Ich bin hier, um das Meerschweinchen zurückzuholen.“

Anna legte den Kopf schief. „Ich dachte, FBI-Agenten sind für Entführungen, Drogen und das organisierte Verbrechen zuständig.“

„Und gestohlene Meerschweinchen, wenn der Bestohlene mein Chef ist“, erklärte er lächelnd. „Es handelt sich um das Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk für seine Nichte.“

Oh je!

„Haben Sie gesagt, die Täterin hatte rote Zöpfe?“, fragte Anna in der Hoffnung, sich verhört zu haben, obwohl sie schon jetzt wusste, dass sie sich nicht verhört hatte. Es gab nur ein Mädchen im Dorf mit rotem Haar. Ihre achtjährige Cousine Sadie.

Der Mann zog ein kleines Notizbuch aus seiner Tasche und blätterte es auf. „Ja. Rote, geflochtene Zöpfe.“

Ach, Sadie!

Annas Cousine wusste genau, dass Stehlen eine Sünde war. Die Zehn Gebote standen deutlich auf einer großen Tafel in der Küche ihrer Eltern. Aber in letzter Zeit hatte sie Anna viele Fragen über die Englischen gestellt und wie sie lebten. Anna konnte sich daher gut vorstellen, dass Sadie das Meerschweinchen mitgenommen hatte.

Verstohlen sah sie sich um, konnte jedoch niemanden entdecken. Sie sah auch keine Kutschen, die in die Stadt fuhren oder von dort zurückkehrten. Vielleicht hatte noch niemand den SUV gesehen. Falls ja, würde es auch keine neugierigen Fragen geben. Sadie und ihre Eltern konnten nämlich großen Ärger vom Bischof bekommen, sollte Sadie etwas genommen haben, das ihr nicht gehörte.

Der gut aussehende FBI-Agent beobachtete Anna aufmerksam. Sie konnte förmlich spüren, dass er nur darauf wartete, dass sie sich verriet.

„Folgen Sie mir bitte“, sagte sie und ging ihm voran in den Stall. Drei Kälber, die bald zu ihren Eigentümern zurückkehren würden, hoben Heu fressend die Köpfe und sahen ihr neugierig entgegen. Sie stellte ihren Korb auf einem Tisch ab.

Im Stall war alles still, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Cousine trotzdem hier war.

„Sadie?“, rief sie. „Bist du da?“

„Ja“, hörte sie das kleinlaute Stimmchen des Mädchens, das hinter einem Pferch hervorkam.

„Sadie, das hier ist Colt Asher. Er ist FBI-Agent …“

Sadie brach in Tränen aus. „Es tut mir leid!“, schluchzte sie. „Ich wollte das Meerschweinchen gar nicht mitnehmen, aber es sah so allein und verlassen aus. Ich dachte, jemand hätte es ausgesetzt. Ich habe es zehn Minuten lang beobachtet, und es hat mich die ganze Zeit angesehen, als wolle es sagen: ‚Nimm mich mit nach Hause, Sadie.‘ Also habe ich den Käfig in die Kutsche gestellt und hierher gebracht.“

„Hierher?“, hakte Anna nach. „Meinst du ins Dorf oder in meinen Stall?“

Sadie biss sich auf die Unterlippe, trat zur Seite und schob einen Heuballen weg. Ein kleiner Käfig mit einem schwarz-weißen Meerschweinchen stand auf dem Fußboden. Das Nagetier knabberte gerade an einem Salatblatt und sah sie aus dunklen Knopfaugen an.

Sadie senkte schuldbewusst den Kopf. „Es tut mir so schrecklich leid!“

„Sadie, du hättest dich im Laden erkundigen müssen, ob das Meerschweinchen jemandem gehört, und deine Eltern um Erlaubnis bitten, ob du es mitnehmen darfst.“

„Ich weiß, Cousine, tut mir leid. Ich werde hier bei dem FBI-Agenten bleiben, damit du meine Maemm und meinen Daed holen und ihnen sagen kannst, was ich getan habe.“

Annie kniete sich vor ihre Cousine und nahm ihre Hände. „Sadie Miller, das werde ich nicht tun. Aber ich will, dass du mir versprichst, nie wieder etwas zu nehmen, das dir nicht gehört. Ich verlasse mich auf dein Wort.“

Sadie hob den Kopf und schlang erleichtert die Arme um Anna. „Ich verspreche es! Von ganzem Herzen.“ Sie drehte sich zu Colt Asher um. „Bringen Sie mich jetzt ins Gefängnis?“

Colt hockte sich ebenfalls hin. „Nein. Du hast versprochen, nichts mehr zu stehlen, und das reicht mir. Aber ich muss Sparkles jetzt zu seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückbringen. Er ist ein Geschenk für ein kleines Mädchen.“

„Sparkles?“ Sadie wischte sich die Tränen aus den Augen. Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. „Das ist ein hübscher Name.“

„Genauso wie deiner.“ Colt stand auf und drehte sich zu Anna um. „Und Sie heißen Cousine?“

Anna erwiderte sein Lächeln. „Nein, Anna. Anna Miller. Sadie nennt mich nur immer so.“ Sie errötete. Der Mann stand so dicht vor ihr und sah so gut aus und hatte so grüne Augen, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte. Sie wusste nicht, wann sie je so intensiv auf die Gegenwart eines Mannes reagiert hatte.

Sadie gab dem Agenten Sparkles Käfig. „Er ist so niedlich.“

„Ja“, bestätigte Colt. „Das ist er. Und er sieht aus, als hättest du ihn gut versorgt.“

„Es tut mir wirklich sehr leid“, wiederholte Sadie, bevor sie Anna ein letztes Mal umarmte und aus dem Stall floh.

Der Agent sah ihr hinterher und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Anna. „Ende gut, alles gut.“

Anna lächelte. „Shakespeare. Ich habe das Stück erst neulich gelesen.“

Autor

Meg Maxwell
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