Ein Flüstern in der Wüstennacht

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Scheich Saladin Al Mektala weiß, dass Livvy Miller die beste Pferdeflüsterin der Welt ist. Sie muss ihm bei seinem Lieblingspferd helfen - doch sie sagt kühl Nein! Was soll er tun, damit die widerspenstige Engländerin mit ihm in sein Wüstenreich kommt? Sie verführen?


  • Erscheinungstag 24.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505079
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Livvy war gerade dabei, Mistelzweige aufzuhängen, als es an der Tür klingelte. Erschrocken fuhr sie zusammen, denn wegen des starken Schneefalls draußen war es bis eben fast vollkommen still gewesen. Und auf Besuch war Livvy nicht eingestellt!

Verschwinde, egal wer du bist! dachte sie, während mehrere weiße Beeren zu Boden fielen. Doch es klingelte wieder, diesmal ununterbrochen.

Sie wünschte, der Störenfried würde gehen, denn sie hatte noch so viel zu tun, bevor die Gäste kamen, und wegen des Schnees war ihre Aushilfe Stella nicht erschienen. Wenn man eine Pension leitete, konnte man sich allerdings nicht wie eine Primadonna aufführen – nicht wenn nur noch vier Tage bis Weihnachten blieben und alle Zimmer über die Feiertage vorgebucht waren. Also stieg Livvy die Leiter hinunter, aber ihr Ärger verflog sofort, sobald sie die Tür öffnete.

Der Mann auf der Schwelle kam ihr bekannt vor, doch es dauerte einen Moment, bis sie ihn einordnen konnte. Ja, er gehörte zur Welt des Pferderennsports! Eine Welt, zu der Livvy heute jedoch keinen Bezug mehr hatte …

Dort war dieser Mann eine bekannte Persönlichkeit, geradezu eine Berühmtheit! Auf jeden Fall war er unvergesslich mit den funkelnden Augen, dem dunklen Teint und den markanten Gesichtszügen. Und mit einem Körper, der sofort den disziplinierten Sportler verriet. Dies war definitiv ein Mann, dem eine Frau nur zu gern einen zweiten Blick zuwarf. Oder auch einen dritten …

Es war allerdings nicht nur sein Äußeres oder sein unleugbares Charisma, was Livvy gerade ungläubig blinzeln ließ. Denn der Mann, der sie mit ernster Miene betrachtete, war kein Geringerer als Saladin Al Mektala, der König von Jazratan. Ein echter Scheich stand vor ihrer Tür.

Sie fragte sich, wie man einen der reichsten Männer der Welt, der zudem einem Königshaus entstammte, dem Protokoll entsprechend begrüßte. Doch Livvy würde sich auf keinen Fall einschüchtern lassen! In den letzten Jahren war sie zwangsläufig erwachsen geworden, und ihre Erfahrungen hatten sie stark gemacht. Inzwischen führte sie ein unabhängiges Leben, auf das sie stolz war – auch wenn ihre Unabhängigkeit momentan bedroht war.

Livvy neigte den Kopf zur Seite. „Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass es unhöflich ist, Sturm zu klingeln?“

Erstaunt zog Saladin die Augenbrauen hoch, denn selbst hier, in England, wo das Protokoll nicht so streng war wie in seinem Heimatland, zollten die Menschen ihm fast immer bedingungslosen Respekt. Und wenn das nicht der Fall war, irritierte es ihn. Obwohl er sich oft bei seinen Beratern beschwerte, dass sich niemand ihm gegenüber normal verhielt.

Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er sein respektloses Gegenüber. „Wissen Sie, wer ich bin?“

Sie lachte tatsächlich. Sie lachte – und dabei wippte ihr glänzender Pferdeschwanz neckend hin und her, als wäre er lebendig.

„Ich dachte, so etwas fragen nur B-Promis, wenn sie versuchen, in den neuesten angesagten Nachtklub zu kommen“, erwiderte sie.

Saladin verspürte einen Anflug von Ärger. Und noch etwas, das er jedoch nicht ergründen konnte. Man hatte ihn davor gewarnt, dass sie schwierig sein könnte, stachlig und starrsinnig. Aber üblicherweise traten derartige Eigenschaften angesichts seiner starken Persönlichkeit und seiner gesellschaftlichen Stellung in den Hintergrund. Vor allem bei Frauen, die in seiner Gegenwart normalerweise sofort dahinschmolzen.

Am liebsten hätte er sie in ihre Schranken gewiesen. Livvy Miller hatte allerdings etwas, das er unbedingt wollte, und so schlug er widerstrebend einen freundlichen Tonfall an. „Die Frage war ernst gemeint. Ich bin Saladin Al Mektala.“

„Ich weiß, wer Sie sind.“

„Und meine Mitarbeiter haben versucht, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Wiederholt.“

Sie lächelte, doch der Ausdruck in ihren Augen blieb ernst. „Das weiß ich auch. In der letzten Woche haben sie mich sprichwörtlich mit E-Mails und Anrufen bombardiert.“

„Und Sie haben alle ignoriert?“

Livvy lehnte sich an den Türrahmen und senkte die Lider. „Ich habe ihnen jedes Mal dasselbe geantwortet, nämlich dass ich nicht interessiert bin. Und daran hat sich nichts geändert.“

Saladin konnte seinen wachsenden Ärger kaum verbergen. „Aber Sie wissen nicht, worum sie Sie gebeten habe.“

„Es hatte etwas mit einem Pferd zu tun. Und mehr brauchte ich nicht zu wissen.“

Nun richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf, doch er überragte sie immer noch. Und wie zierlich diese Frau war! Saladin hatte das Gefühl, sie locker mit einer Hand in die Höhe heben zu können. So hatte er sich jemanden mit der Fähigkeit, derart riesige und temperamentvolle Tiere wie Pferde zu beruhigen, nicht vorgestellt!

„Ich habe mit Pferden nichts mehr zu tun“, fügte sie ernst hinzu.

Nun sah er ihr tief in die Augen, die die Farbe von Bernstein hatten. „Warum nicht?“

Livvy stieß einen gereizten Laut aus, aber der Ausdruck, der in ihren Augen aufflackerte, entging ihm nicht.

„Das geht Sie wirklich nichts an.“ Trotzig hob sie das Kinn. „Ich muss mich nicht rechtfertigen, schon gar nicht Leuten gegenüber, die zu einer hektischen Zeit wie dieser unangemeldet bei mir auftauchen.“

Er war es nicht gewohnt, dass sich ihm jemand widersetzte, denn er bekam immer seinen Willen, vor allem bei Frauen. Ihre Haltung bestärkte ihn in seinem Entschluss und weckte gleichzeitig Verlangen in ihm, was ihn überraschte. Olivia Miller stand zwar in dem Ruf, eine magische Hand zu haben bei allem, was Pferde betraf, doch ihr eigenes Erscheinungsbild hatte wahrlich nichts Glamouröses an sich.

Saladin verzog die Lippen. Sie wirkte ausgesprochen jungenhaft, was ihm nicht gefiel, denn er bevorzugte weibliche Frauen. Ihr Haar war rot, aber zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihr sommersprossiges Gesicht ungeschminkt. Selbst ihre Jeans lag nicht eng an, sondern war weit geschnitten. Also, warum sollte er sich zu einer Frau hingezogen fühlen, die ihre Weiblichkeit so versteckte?

Er kniff die Augen zusammen. „Ist Ihnen klar, dass ich das als Beleidigung auffassen könnte?“, fragte er leise. „Und dass es unklug ist, dem König von Jazratan so zu antworten?“

Wieder hob sie das Kinn. „Das war nicht meine Absicht“, sagte sie, doch ihre funkelnden Augen straften ihre Worte Lügen. „Wie ich mein Leben gestalte, hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich schulde Ihnen keine Erklärung, denn ich bin keine Ihrer Untertanen.“

„Nein, aber Sie könnten wenigstens so höflich sein, mich anzuhören“, erwiderte er scharf. „Oder bedeutet das Wort Gastfreundschaft Ihnen nichts? Ist Ihnen klar, dass ich einen weiten Weg bei den ungünstigsten Wetterbedingungen zurückgelegt habe, nur um mit Ihnen zu reden?“

Livvy dachte an all die Dinge, die sie vor Ankunft ihrer Gäste noch erledigen musste. Und dieser attraktive und ein wenig furchteinflößende Fremde hinderte sie daran, die lange Liste abzuarbeiten. „Sie haben dafür den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gewählt.“

„Und wann wäre ein günstigerer Zeitpunkt gewesen?“, konterte er. „Sie haben sich ja auf nichts eingelassen.“

„Die meisten Leute hätten den Wink verstanden und aufgegeben.“

„Ich bin ein König. Für mich gibt es keine Winke“, entgegnete er hart.

Livvy zögerte. Sein Verhalten bestätigte alles, was sie über den Scheich gehört hatte. Auf der Rennbahn war er für seine Arroganz bekannt gewesen, und sie hätte ihn jetzt am liebsten aufgefordert zu verschwinden. Doch sie war Unternehmerin, auch wenn die Geschäfte momentan nicht gut liefen, und wenn sie Saladin Al Mektala noch mehr verärgerte, würde er womöglich ihrem ohnehin angeschlagenen Ruf schaden.

Hinter ihm sah sie den Schnee, der seit dem frühen Morgen in dichten Flocken fiel. Der Rasen war inzwischen unter einer weißen Decke verschwunden, und wenn es so weiterschneite, wären die Straßen bald unpassierbar und sie würde den Scheich nicht wieder loswerden. Es passte ihr nicht, dass er vor ihr stand, vor Testosteron nur so strotzte und sie an Dinge denken ließ, die sie schon lange verdrängt hatte. Die Gefühle, die dieser Mann in ihr weckte, gefielen ihr überhaupt nicht.

Ein Stück weiter die Auffahrt entlang entdeckte sie einen schwarzen Geländewagen.

„Was ist mit Ihren Leibwächtern? Sind die im Wagen?“ Livvy blickte sich in dem winterlichen Garten um. „Verstecken sie sich vielleicht hinter den Büschen oder warten darauf, vom Baum zu springen?“

„Ich habe keine Leibwächter dabei.“

Dann waren sie also ganz allein.

Ihr Unbehagen wuchs. Irgendetwas an seinem muskulösen Körper und seinen finsteren Zügen weckte eine dunkle Vorahnung in ihr – und eine geradezu alarmierende Vorfreude. Spontan wünschte Livvy, sie hätte einen Hund, der ihren ungebetenen Besucher jetzt ordentlich anbellen würde. Statt einer Katze namens Peppa, die sich im Augenblick wahrscheinlich behaglich vor dem Kamin im Wohnzimmer ausstreckte und zufrieden vor sich hin schnurrte …

Doch sie würde sich von diesem Mann nicht einschüchtern lassen. Auch wenn sich ein Gespräch mit ihm wohl kaum vermeiden ließ. Vielleicht war es die einzige Möglichkeit, ihm begreiflich zu machen, dass sie es ernst meinte. Wenn Livvy ihm ihren Standpunkt noch einmal deutlich klarmachte, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als ihr zu glauben. Und sie in Ruhe zu lassen.

„Kommen Sie rein“, forderte Livvy ihn deshalb auf, als ein eisiger Windstoß die Schneeflocken in die Eingangshalle trieb. „Ich habe allerdings nur eine halbe Stunde Zeit, denn ich erwarte Gäste zu Weihnachten und habe noch eine Menge zu tun.“

Sie sah sein leicht triumphierendes Lächeln, als der Scheich eintrat, und ihr fiel auf, wie klein die Eingangshalle plötzlich wirkte, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. Er war so maskulin, wie Livvy sich widerstrebend eingestehen musste. Plötzlich begann ihr Herz vor Aufregung wie wild zu pochen. Tu einfach so, als wäre er ein ganz normaler Gast! ermahnte sie sich.

„Kommen Sie doch ins Wohnzimmer“, schlug sie höflich vor. „Da ist es warm.“

Der Scheich nickte. Während er Livvy folgte, betrachtete er aufmerksam die hohe Decke und die Holztreppe. „Das ist ein schönes altes Haus“, meinte er beifällig.

„Danke“, erwiderte sie geschäftsmäßig. „Der Kern stammt aus dem zwölften Jahrhundert. Heute werden solche Häuser nicht mehr gebaut, und das ist vielleicht auch gut so, weil sie sehr aufwendig und teuer im Unterhalt sind.“ Die historische Substanz war einer der Gründe, warum Gäste an diesen abgelegenen Ort kamen. Zumindest war das der Fall gewesen, bevor man in der Nähe einige Boutiquehotels errichtet hatte, die ihr nun ernsthaft Konkurrenz machten und ihr schmerzliche Umsatzeinbußen bescherten.

Trotzdem konnte Livvy ihre Begeisterung nicht verbergen, denn obwohl es teilweise renovierungsbedürftig war, war sie stolz auf das Haus, das sich schon lange im Besitz ihrer Familie befand.

Das Feuer im Wohnzimmer verbreitete einen würzigen Duft, weil sie auch Scheite von Apfelbäumen daruntergemischt hatte. Der große Weihnachtsbaum war noch nicht geschmückt. Später würde sie den Schmuck, der sich ebenfalls schon seit Generationen im Besitz ihrer Familie befand, vom Dachboden holen und den Baum zum Leben erwecken. Und für eine Weile würde der Zauber von Weihnachten die Vergangenheit und die Gegenwart verbinden. Was für Livvy nicht leicht zu ertragen war …

Als Livvy merkte, wie Saladin Al Mektala sie forschend betrachtete, erschauerte sie leicht und musterte ihn ebenfalls.

Statt des traditionellen Gewands trug er einen dunklen Mantel, den er gerade ungefragt auszog, und darunter einen eng anliegenden hellgrauen Pullover und anthrazitfarbene Hosen. Dieser Mann hatte wirklich eine umwerfende Figur! Sein geradezu beunruhigend modernes Erscheinungsbild stand allerdings in krassem Widerspruch zu dem ebenso beunruhigend archaischen Funkeln in seinen dunklen Augen. Nachdem er den Mantel über einen Stuhl gehängt hatte, trat der Scheich näher ans Feuer. In seinem schwarzen Haar glitzerten noch einige helle Schneeflocken.

„Nun…“, begann sie. „Wenn Sie in den hintersten Winkel von Derbyshire reisen, müssen Sie etwas ganz dringend wollen!“

„Richtig“, erwiderte er sanft. „Ich will Sie.“

Sein sinnlicher Tonfall weckte Empfindungen in ihr, die sie lange unterdrückt hatte, und sekundenlang malte sie sich aus, wie es wäre, das Objekt der Begierde eines Mannes wie Saladin Al Mektala zu sein. Würde der Ausdruck in seinen Augen sanfter werden, bevor er eine Frau küsste? Würde sie sich hilflos fühlen, wenn sie in seinen Armen lag?

Livvy schluckte, überrascht über ihre Gedanken, denn normalerweise fühlte sie sich nicht zu fremden Männern hingezogen. Tatsächlich fühlte sie sich überhaupt nicht zu irgendwelchen Männern hingezogen. Vermutlich reagierte sie so, weil Scheich Saladin sie bewusst herausforderte. „Sie müssen sich schon etwas klarer ausdrücken“, erklärte sie geschäftsmäßig. „Was soll ich tun?“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Ich habe ein krankes Pferd“, sagte er angespannt. „Mein Lieblingshengst ist schwer verletzt.“

Natürlich ließ sein Kummer sie nicht kalt. Allerdings hatte Livvy selbst genug Probleme. „Das tut mir leid“, antwortete sie. „Aber als wohlhabender König arbeiten Sie bestimmt mit den besten Tierärzten zusammen. Sicher werden die eine Lösung finden.“

„Ihnen zufolge gibt es keine.“

Livvy verschränkte die Finger. „Was hat es denn genau?“

„Eine Fesselträgerentzündung im fortgeschrittenen Stadium.“

Prompt zuckte sie zusammen. „Das ist schlimm.“

„Ja, das weiß ich“, stieß er hervor. „Was glauben Sie denn, warum ich hier bin?“

Sie beschloss, sein unhöfliches Verhalten zu ignorieren. „Heutzutage gibt es viele neue Behandlungsmethoden“, lenkte sie ein. „Man kann Stammzellen injizieren oder es mit Stoßwellentherapie versuchen. Das soll sehr erfolgreich sein.“

„Denken Sie etwa, ich hätte nicht schon alles probiert? Ich habe jeden Pferdeexperten einfliegen lassen, damit er ihn untersucht. Und nichts hat bisher Erfolg gezeigt. Die besten Spezialisten der Welt wissen nicht weiter.“ Der Scheich schluckte, und als er weitersprach, klang seine Stimme gequält. „Sie haben mir gesagt, dass es keine Hoffnung mehr gibt.“

Einen Moment lang empfand Livvy tiefes Mitgefühl, weil sie wusste, wie stark die Bindung zwischen einem Mann und seinem Pferd sein konnte – besonders bei einem Mann in seiner Position, der Tieren wahrscheinlich mehr vertrauen konnte als Menschen. Allerdings wusste sie auch, dass man manche Dinge einfach hinnehmen musste. Dass man der Natur manchmal nur ihren Lauf lassen konnte und alles Geld der Welt nichts nützte.

Das Funkeln in seinen Augen bewies ihr jedoch, dass der Scheich nicht lockerlassen würde. Sie seufzte. „Es tut mir wirklich leid. Aber wenn man Ihnen gesagt hat, dass es keine Hoffnung mehr gibt, weiß ich nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.“

„Doch, das wissen Sie, Livvy“, erklärte er heftig.

Seine nachdrücklichen Worte schockierten sie fast genauso wie die Tatsache, dass er sie mit ihrem Vornamen ansprach.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe schon seit Jahren nichts mehr mit Pferden zu tun. Das Kapitel meines Lebens ist abgeschlossen, und falls man Ihnen etwas anderes erzählt hat, dann stimmt es nicht. Tut mir leid.“

Er schwieg einen Moment. „Darf ich mich setzen?“, fragte er dann, während er auf die verblichenen Sessel neben dem Feuer deutete.

Dass er plötzlich die Taktik änderte, verblüffte sie. Und nicht nur das. Sie musste gestehen, dass seine Bitte ihr schmeichelte. Flüchtig fragte sich Livvy, ob er ihr erlauben würde, auf ihrer Webseite mit ihm zu werben. Auch der Scheich von Jazratan entspannt sich gern vor unserem antiken Kamin. Nein, vermutlich nicht, dachte Livvy, als sie das kalte Funkeln in seinen Augen bemerkte.

„Wenn Sie wollen.“ Sie schaltete eine der Lampen ein.

Doch ihr Herz begann zu rasen, als der Scheich sich in den Sessel setzte und die langen Beine ausstreckte. Er wirkte wie ein Panther, der aus der Wildnis in die Zivilisation gekommen war. Öffnete ihre sonst so friedfertige Katze deswegen plötzlich die Augen und fauchte ihn an, bevor sie aufsprang und den Raum verließ? Zu spät wurde Livvy bewusst, dass sie hätte Nein sagen sollen. Warum hatte sie ihn überhaupt hereingebeten?

Wenn sie den Scheich noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit nach draußen in den Schnee zurückschicken wollte, musste sie sich jetzt wirklich beeilen!

„Also“, fuhr sie fort und blickte dabei auf ihre Uhr. „Wie ich schon sagte, habe ich viel zu tun. Vielleicht könnten Sie zum Kern der Sache kommen.“

„Mein Hengst wird vermutlich nie wieder an Rennen teilnehmen können, obwohl er schon fast jeden Preis gewonnen hat. Den Tierärzten zufolge hat er so große Schmerzen, dass es grausam wäre, ihn so weitermachen zu lassen, und …“ Er verstummte.

„Und?“

Nun lehnte er den Kopf zurück und kniff die Augen zusammen. „Und Sie haben ein Händchen für Pferde, Livvy“, sagte er leise. „Eine seltene Gabe. Sie können sie heilen.“

„Wer hat Ihnen das erzählt?“

„Mein Trainer. Er sagte, Sie wären die beste Reiterin, die er je gesehen hätte. Aber Ihre wahre Gabe würde sich in der Wechselbeziehung mit dem Pferd zeigen. Er hätte erlebt, wie Sie Dinge mit Pferden anstellen, die sich nicht erklären lassen und alle Tierärzte verblüfft hätten.“ Als er fortfuhr, klang seine Stimme noch tiefer. „Und dass man Sie die Pferdeflüsterin genannt hätte.“

Es war lange her, seit Livvy so genannt worden war …

Schnell bückte sie sich, um einen Scheit nachzulegen. Als Livvy sich wieder aufrichtete, hatte sie sich so weit gefangen, um ruhig antworten zu können.

„Das ist Hokuspokus“, wehrte sie ab. „Die Leute glauben, was sie glauben wollen. Dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit zufolge wären die Pferde, die ich geheilt habe, auch von allein gesund geworden.“

„Aber ich weiß, dass die Natur oft ihrem eigenen Gesetz folgt“, widersprach er leise. „Hat nicht einer Ihrer bekanntesten Dichter so etwas geschrieben?“

„Ich lese keine Gedichte“, erwiderte sie ausdruckslos.

„Vielleicht sollten Sie das tun.“

„Leider nehme ich auch keinen Rat von Fremden an.“

Wieder funkelten seine Augen. „Dann arbeiten Sie für mich, und wir sind keine Fremden mehr.“

Ließ der Scheich jetzt etwa ganz bewusst seinen Charme spielen? Wollte er sie manipulieren?

„Hören Sie“, lenkte Livvy ein. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, aber ich habe keinen Zauberstab, mit dem ich Ihr Pferd heilen kann. Ich fühle mich zwar geschmeichelt, aber ich bin an Ihrem Angebot nicht interessiert.“

Saladin verspürte einen Anflug von Frust. War Livvy etwa nicht klar, dass er sie fürstlich bezahlen würde – ganz zu schweigen von dem Renommee, das ihr ein Auftrag für das Königshaus von Al Mektala verschaffen würde?

Er hatte gründlich recherchiert und wusste deshalb, dass sie dieses alte Haus geerbt hatte und ihre Pension in allen einschlägigen Reiseführern empfohlen wurde. Gebäude wie dieses waren allerdings sehr kostspielig im Unterhalt, und er sah selbst, dass es dringend renoviert werden musste. Und mit dem Honorar, das er ihr zahlen würde, konnte sie es generalüberholen lassen.

Außerdem hatte Livvy der Welt, die einmal ihr Leben gewesen war, den Rücken gekehrt und sich hier in der Einöde versteckt. Was war das für ein Leben für eine Frau von Ende Zwanzig? In seinem Land heirateten die Frauen jung und hatten mit fünfundzwanzig für gewöhnlich schon zwei Kinder. Saladin dachte an Alya und verspürte einen schmerzhaften Stich. Schnell verdrängte er diese düsteren Gedanken und blickte Olivia Miller an.

„Trotzdem möchte ich, dass Sie es versuchen, Livvy. Wie heißt es noch? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Außerdem werden Sie feststellen, dass ich Sie fürstlicher entlohnen werde, als Sie es sich in Ihren wildesten Träumen auszumalen wagen.“ Flüchtig lächelte er. „Und sicher möchten Sie einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen.“

Livvy lächelte nicht über diese Anspielung, sondern blickte ihn nur weiter starr an. Erneut fühlte er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen, denn ihr Trotz forderte ihn heraus. Bisher hatte noch keine Frau ihm etwas versagt.

„Wie oft muss ich denn noch Nein sagen, bis Sie mir glauben, dass ich es ernst meine?“, fragte sie kühl.

„Und wann werden Sie begreifen, dass ich ein sehr hartnäckiger Mann bin, der immer bekommt, was er will?“

„Sie können so hartnäckig sein, wie Sie wollen. Ich bleibe bei meinem Nein.“

Und plötzlich tat er, was er eigentlich nur im Notfall hatte tun wollen. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, lehnte er sich zurück. „So wollen Sie also den Rest Ihres Lebens verbringen, Livvy?“, erkundigte er sich leise. „Sich in der Einsamkeit verstecken und ein außergewöhnliches Talent brachliegen lassen – und das nur, weil irgendein Kerl Sie vor dem Altar hat stehen lassen?“

2. KAPITEL

Zuerst reagierte Livvy nicht auf Saladins grausame Worte, denn sie war gut darin, sich nichts anmerken zu lassen. Das war eines der Dinge, die sie sich beigebracht hatte, nachdem ihr Verlobter beschlossen hatte, einfach nicht zur Hochzeit aufzutauchen. Sie hatte gelernt, ihre Gefühle nicht zu zeigen.

Aber die Worte des Scheichs verletzten sie, obwohl schon lange niemand mehr so unhöflich gewesen war, sie daran zu erinnern, dass man ihr einmal den Laufpass gegeben hatte. Dass sie in einem albernen weißen Kleid vor dem Altar gestanden hatte, mit einem Lächeln, das immer mehr gefror, als die Minuten vergingen und der Hochzeitsgesellschaft langsam dämmerte, dass der Bräutigam nicht auftauchen würde.

Livvy betrachtete den Mann, dessen schroffe Züge vom Feuer erhellt wurden, und in dem Moment hasste sie ihn. Wie konnte er es wagen, etwas so Schmerzliches anzusprechen, nur um zu bekommen, was er wollte? Interessierten ihn die Gefühle seiner Mitmenschen nicht, oder war er einfach nur ein Meister der Manipulation? War ihm nicht klar, dass diese öffentliche Demütigung ihrem Selbstwertgefühl einen schweren Schlag versetzt hatte? Einen Schlag, von dem sie sich noch immer nicht völlig erholt hatte.

Dennoch war Livvy stark genug gewesen, um mit ihrem alten Leben abzuschließen und ein neues zu beginnen. Sie hatte die Arbeit mit ihren geliebten Pferden hinter sich gelassen und begegnete den Annäherungsversuchen von Männern seitdem misstrauisch.

Am liebsten hätte sie Saladin geschüttelt, mit den Fäusten gegen seine muskulöse Brust getrommelt und ihm gesagt, dass er ein gefühlloser Mistkerl war. Allerdings hätte es ihn wohl kaum beeindruckt und ihm womöglich sogar ein Triumphgefühl verschafft.

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

Sharon träumte davon, Journalistin zu werden, doch...
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