Ein geheimnisvoller Geliebter

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So romantisch sich der Advent in der kleinen Stadt präsentiert, so abweisend ist der reiche Geschäftsmann Morgan gegenüber. Dabei ahnt sie, dass Nate sie mag! Doch er verbirgt etwas vor ihr. Wenn sie mit ihm ein Fest der Liebe feiern will, muss sie sein Geheimnis lüften …


  • Erscheinungstag 17.09.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520256
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tränen. Wüste Beschimpfungen. Durch die Luft fliegende Gegenstände. Ausgerissene Haare.

Es ging wie in einer dieser theatralischen Talkshows zu, die täglich über die Bildschirme flimmern, um die tristen Vormittage gelangweilter Hausfrauen mit ein wenig Dramatik zu versüßen. Nur dass sich diese Szene nicht in einem Fernsehstudio abspielte, sondern in Morgan McGuires Klassenzimmer.

Und schuld daran war allein Nate Hathoway, der Vater des Kindes, das im Zentrum des heutigen Dramas stand.

„Lass es bleiben“, sagte Mary Beth Adams resolut, als Morgan ihr eine Stunde später beim Mittagessen von ihrem Vorhaben erzählte. „Nate war noch nie ein einfacher Zeitgenosse, aber seit dem Tod seiner Frau ist es immer schlimmer mit ihm geworden. Ich jedenfalls würde mich nicht freiwillig in die Höhle des Löwen begeben.“

„Aber er ignoriert meine Nachrichten“, hielt Morgan ihrer Kollegin vor Augen. „Er hat nicht einmal das Erlaubnisformular für Cecilias Teilnahme am Weihnachtsengel unterschrieben. Und ohne das kann sie nicht bei den Proben mitmachen.“

„Cecilia?“

Morgan seufzte. „Ace Hathoway. Ihr richtiger Vorname ist Cecilia. Ich glaube, die Kleine braucht dringend eine feminine Note in ihrem Leben, und das betrifft leider nicht nur ihren Namen.“

„Mag sein“, räumte Mary Beth ein. „Nur wäre jeder Versuch, das Nate klarzumachen, völlig aussichtslos, um nicht zu sagen, selbstmörderisch. Nächste Woche trifft Mr. Wellhavens Frau hier ein, um mit den Chorproben zu beginnen, und wenn Nate den Erlaubnisschein bis jetzt nicht unterschrieben hat, wird er es auch nicht mehr tun.“

„Aber ich habe der Klasse schon gesagt, dass entweder alle dabei sind oder keiner.“

„Das war dumm.“ Mary Beth schürzte nachdenklich die Lippen. „Kann Ace nicht einfach in der Aula sitzen und ein Buch lesen, während die anderen Kinder proben?“

„Nein, das kann sie nicht!“

Wieso hatte Wesley Wellhaven sich nicht einen anderen Schauplatz für seine neueste Extravaganz ausgesucht? Vor einem Jahr hatte der öffentlichkeitsscheue Tenor seine erste eigene Produktion, Das Weihnachtswunder, auf die Bühne gebracht. Die Aufführung, die in einer Kleinstadt in Vermont stattfand, war von mehreren Fernsehsendern aufgezeichnet worden und hatte ganz Amerika zu Tränen gerührt. In diesem Jahr wollte Wellhaven die Welt nun mit seinem zweiten Werk, dem Weihnachtsengel, beglücken.

Und das ausgerechnet hier – in Canterbury, Connecticut!

Die Tatsache, dass der Background-Chor mit ortsansässigen Kindern – genau gesagt, mit Morgans Erstklässlern – besetzt werden sollte, hatte die ganze Stadt in einen Zustand ekstatischer Aufregung versetzt. Die arme Cecilia jedoch, die als Einzige noch keinen unterschriebenen Erlaubnisschein vorlegen konnte, wurde von ihren Mitschülern mittlerweile als das personifizierte Böse betrachtet.

„Wenn ich nicht mit ihm rede, wird Cecilia weiter leiden müssen, und das kann ich nicht zulassen“, erklärte Morgan entschieden.

Mary Beth schüttelte langsam den Kopf. „Lass sie einfach in der Aula sitzen.“

„Es geht nicht nur um den Erlaubnisschein. Ich muss auch noch einige andere Probleme ansprechen.“

„Na schön, dann tu eben, was du nicht lassen kannst.“ Mit einem beinah mitleidigen Lächeln tätschelte Mary Beth ihrer jungen Kollegin die Hand. „Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Trockenes Laub knirschte unter Morgans Füßen, als sie das von einer Baumgruppe umstandene Haus erreichte. Man konnte sehen, dass es einmal sehr geliebt worden war, aber inzwischen wirkte es leicht vernachlässigt. Die Blumenbeete waren mit Unkraut überwuchert, und die indigoblaue Farbe, die einmal einen hübschen Kontrast zu den weiß getünchten Wänden abgegeben haben musste, blätterte von Türrahmen und Fensterläden.

Obwohl die Dämmerung bereits eingesetzt hatte, brannte im Haus kein Licht, was Morgan nicht weiter überraschte. Sie wusste, dass Cecilia noch in der Schule war und am Nachmittagsprogramm teilnahm. Unbeirrt folgte sie weiter der Auffahrt, bis sie vor einem massiven alten Steingebäude mit der Aufschrift Hathoways Schmiede stand.

An der Eingangstür klebte ein Schild mit der wenig ermutigenden Aufforderung „Draußen bleiben!“, aber Morgan war nicht den ganzen Weg hier hergelaufen, um sich davon abschrecken zu lassen. Sie straffte die Schultern, atmete mehrmals tief durch und klopfte.

Nichts passierte.

Fest entschlossen, sich nicht länger von diesem Mann ignorieren zu lassen, klopfte sie wieder. Dieses Mal so laut, dass es selbst ein Schwerhöriger mitbekommen hätte. Als erneut eine Reaktion ausblieb, drückte sie energisch den Türgriff herunter und trat ein.

Nachdem sie mit einer Art düsterer, verrauchter Vorhölle gerechnet hatte, brauchte Morgan einen Moment, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. Durch die großen, in etwa zwei Meter Höhe angesetzten Fenster fiel das letzte Tageslicht ins Innere des riesigen, gewölbeartigen Raums, der noch zusätzlich von starken Beleuchtungskörpern erhellt wurde. Links und rechts neben der Tür standen ausrangierte Whiskyfässer voller Schürhaken und Kohleschaufeln, und überall befanden sich Regale, die mit einem ganzen Arsenal verschiedenster Haltevorrichtungen und Gefäße bestückt waren.

Seit ihrer Ankunft in Canterbury hatte Morgan immer wieder gehört, dass Nate Hathoway als einer der besten Kunstschmiede des Landes galt. Dass dies jedoch nicht das einzig Bemerkenswerte an ihm war, wurde ihr augenblicklich klar, als sie die breitschultrige Gestalt vor der riesigen Feuerstelle stehen sah.

Schon seine Rückseite raubte ihr den Atem.

Tiefbraunes Haar, dicht und glänzend, streifte den Nackenhalter seiner Lederschürze. Die hochgekrempelten Ärmel seines Hemdes entblößten seine muskulösen Oberarme, und unter der verwaschenen Jeans zeichnete sich der knackigste Po ab, den Morgan je zu Gesicht bekommen hatte.

Es war, als würde mit einem Schlag alle Luft aus ihren Lungen gesogen. Einen Moment lang erwog sie, sich klammheimlich davonzuschleichen, bevor er sich zu ihr umdrehte, doch dann rief sie sich in Erinnerung, dass sie im Interesse eines sechsjährigen Mädchens hier war, das ihr Eingreifen bitter nötig hatte.

Im Übrigen hatte sie die Nase gestrichen voll von attraktiven Männern.

Bis vor drei Monaten war Morgan mit einem von ihnen verlobt gewesen, und es tat immer noch weh, daran zu denken. Zuerst war Karl nur amüsiert gewesen, dass sie die schlecht bezahlte Lehrerinnenstelle in einem Kaff wie Canterbury überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Als ihm jedoch klar wurde, dass seine Zukünftige tatsächlich die Dreistigkeit besaß, an ihre eigene berufliche Entwicklung zu denken, anstatt seine ungleich bedeutendere Karriere an die erste Stelle zu setzen, war seine Belustigung umgehend verflogen. Nach mehreren hässlichen Auseinandersetzungen hatte Morgan schließlich erkannt, dass sie keine Zukunft miteinander hatten, und schweren Herzens die Beziehung beendet.

Ihre Mutter, die immer so getan hatte, als würde sie Karl mögen, hatte die Nachricht von der Trennung mit einem erleichterten Seufzer und der Bemerkung quittiert: „Ich wünschte, du würdest endlich aufhören, nach einer Vaterfigur zu suchen, Darling. Das funktioniert sowieso nicht, und mir macht es entsetzliche Schuldgefühle.“

Ganz so entsetzlich konnten Louise McGuires Schuldgefühle allerdings nicht gewesen sein. Anstatt ihrer am Boden zerstörten Tochter über Weihnachten zur Seite zu stehen, hatte sie ihr ein Buch mit dem Titel Endlich Single! Der ultimative Ratgeber für ein glückliches Leben allein geschenkt und war dann wie geplant zu ihrem mehrmonatigen Selbstfindungsurlaub nach Thailand aufgebrochen.

Einige Tage lang hatte Morgan das Buch mit Nichtachtung gestraft. Dann hatte sie es an einem Abend, an dem es ihr besonders schlecht ging, schließlich doch aufgeschlagen, und von da an war es ihre Bibel.

Durch Endlich Single! hatte sie erkannt, dass nur sie allein wissen konnte, was gut und richtig für sie war. Und dass sie lernen musste, sich bezüglich ihres Wohlbefindens ganz auf ihre innere Stimme zu verlassen. Nicht auf die eines Mannes und schon gar nicht auf die ihrer Mutter.

Seit Morgan vor zweieinhalb Monaten in Canterbury angekommen war, traf sie ihre eigenen Entscheidungen, und sie liebte es! Sie konnte in ihrem eigenen kleinen Heim schalten und walten, wie es ihr gefiel. Sie kaufte die Lebensmittel ein, auf die sie Lust hatte, ohne befürchten zu müssen, dass jemand die Nase darüber rümpfte oder missbilligend bemerkte: Weißt du eigentlich, wie viel Zucker dieses Zeug enthält?

Genau wie Endlich Single! es versprach, hatte sich jeder einzelne Tag ihres unabhängigen Lebens als Abenteuer entpuppt.

Jedenfalls bis jetzt.

Denn als Nate Hathoway sich unvermittelt zu ihr umdrehte, wusste Morgan, dass sie den Begriff „Abenteuer“ umgehend neu definieren musste. Dieser Mann war zweifellos mit allen Facetten dieses Themas vertraut. Und er hatte ganz sicher nicht erst gestern beschlossen, ein unabhängiges Leben zu führen.

Unwillkürlich dachte Morgan an das berauschende Gefühl grenzenloser Freiheit, das sie beim Kauf ihres lila Samtsofas empfunden hatte, das Karl mit Sicherheit verabscheut hätte. Amelia Ainsworthy, die Autorin von Endlich Single!, hatte dem Thema „Möbel“ ein ganze. KAPITEL gewidmet, und Morgan wusste, dass sie stolz auf sie gewesen wäre.

In diesem Augenblick jedoch, als Nate Hathoway sie im flackernden Schein des Feuers mit seinen unergründlichen dunklen Augen musterte, schien jener denkwürdige Akt der Befreiung plötzlich alle Magie verloren zu haben.

Mit seinen wie gemeißelt wirkenden Gesichtszügen – ausgeprägte Wangenknochen, gerade Nase, markantes Kinn und ein streng geschnittener und zugleich unglaublich sinnlicher Mund – war Cecilias Vater der mit Abstand attraktivste Mann, dem Morgan jemals begegnet war.

„Haben Sie das Schild nicht gelesen?“, fuhr er sie barsch an. „Dies ist ein Arbeitsplatz und kein Ausstellungsraum für neugierige Touristen.“

Seine Stimme klang rau, ungeduldig und verboten sexy. Als er das glühende Eisenstück, das er mithilfe einer schweren Zange in die Flammen gehalten hatte, auf einen Amboss legte, spürte Morgan, wie ihr ein prickelnder Schauer über den Rücken lief.

Ohne sie weiter zu beachten, griff Nate Hathoway nach einem Hammer und demonstrierte ihr seine beeindruckende Körperkraft. Angesichts der Mühelosigkeit, mit der er das Eisen seinem Willen unterwarf, stand Morgan wie benommen da und beobachtete fasziniert das Muskelspiel seiner starken, sehnigen Unterarme.

Endlich gelang es ihr, sich aus ihrem Trancezustand zu reißen. „Ich kann durchaus lesen, Mr. Hathoway“, teilte sie ihm über den Lärm hinweg mit. „Außerdem bin ich keine neugierige Touristin, sondern Cecilias Lehrerin.“

Er hielt abrupt in der Bewegung inne und presste die Lippen zusammen. Nach einigen Sekunden hob er langsam den Kopf und musterte sie mit einem Gesichtsausdruck, den Morgan nur als feindselig interpretieren konnte. „Dann sind Sie also Mrs. McGuire“, stellte er fest, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Arbeit zuwandte. Nach einigen weiteren Hammerschlägen tauchte er das Eisenstück in einen Wasserbehälter. Es zischte und dampfte wie in einem Hexenkessel, als er seine ungebetene Besucherin erneut mit einem abschätzigen Blick fixierte.

Unwillkürlich fühlte Morgan sich an einen Wegelagerer erinnert. Vielleicht auch an einen Piraten oder einen anderen Gesetzlosen. Jedenfalls sah Nate Hathoway nicht aus wie der Vater eines sensiblen sechsjährigen Mädchens.

Sie holte tief Luft und besann sich auf die Aufgabe, die sie hierhergeführt hatte. „Miss McGuire, um genau zu sein“, korrigierte sie ihn. „In den ersten zwei Wochen habe ich es den Kindern immer wieder gesagt, aber es ist einfach nicht zu ihnen durchgedrungen, sodass ich es schließlich aufgegeben habe. Wahrscheinlich liegt es daran, dass in den Augen von Sechsjährigen jede Frau über einundzwanzig automatisch eine Mrs. ist. Besonders wenn es sich dabei um eine Lehrerin handelt …“

Morgan verstummte verlegen, als ihr bewusst wurde, was für einen Unsinn sie redete. Außerdem hörte sie sich an, als wollte sie unbedingt darauf hinweisen, dass sie unverheiratet war.

Was definitiv nicht in ihrer Absicht lag – Amelia möge ihr vergeben!

„Dann eben Miss McGuire.“ Seine Miene ließ nicht das geringste Interesse an ihrem Familienstand erkennen. Mit unverhohlener Ungeduld verschränkte er die muskulösen Arme vor seiner breiten Brust und wartete darauf, dass sie endlich zur Sache kam.

„Morgan“, berichtigte sie ihn erneut.

Sie versuchte sich einzureden, dass ihr Angebot, sie beim Vornamen zu nennen, lediglich Mittel zum Zweck war. Dass sie nur versuchte, einen Draht zu Cecilias unzugänglichem Vater zu finden, um ihre Mission zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.

„Zunächst möchte ich Ihnen sagen, dass ich Cecilia für ein Kind halte, das sehr geliebt wird.“ Es klang irgendwie einstudiert, was vermutlich daran lag, dass sie diesen Satz mindestens ein Dutzend Mal geprobt hatte. Jetzt wünschte sie, sie hätte einen Satz ohne das Wort „Liebe“ geprobt.

Nate Hathoway erwiderte nichts, aber das gefährliche Glitzern, das bei ihren Worten in seine Augen trat, sprach Bände. Ganz offensichtlich hatte ihr Plan, ihn mit dieser Einleitung in eine weichere Stimmung zu versetzen, nicht funktioniert.

„Cecilia besitzt das Selbstvertrauen und die Lebendigkeit eines Kindes, das sich seines Platzes in der Welt sicher ist …“

Ursprünglich hatte Morgan an dieser Stelle einflechten wollen, dass es von Vorteil wäre, wenn Cecilia ihre Lebendigkeit weniger häufig in ihre Fäuste lenken würde. Inzwischen hielt sie es jedoch für klüger, es sein zu lassen.

„… und ich bin davon überzeugt, dass Sie Ihr Bestes geben“, versicherte sie ihm stattdessen. „Wahrscheinlich liegt das Problem nur darin, dass Ihnen die Selbstverständlichkeit fehlt, ein kleines Mädchen aufzuziehen.“

Anscheinend gehörte Nate Hathoway nicht zu den Menschen, die positiv auf konstruktive Kritik reagierten. Seine Miene wurde noch eisiger, und seine Stimme klang scharf wie ein Rasiermesser, als er sie bat, ihm das Problem etwas genauer zu erläutern.

Nur das Wissen, dass Cecilia sie brauchte, verlieh Morgan die Kraft, ihrer plötzlichen Zaghaftigkeit nicht nachzugeben. „Es hat einige Vorfälle gegeben, bei denen die anderen Kinder sich über Cecilia lustig gemacht haben“, eröffnete sie ihm ohne Umschweife.

Welche Kinder?“

Mit wenigen Schritten durchquerte er die Werkstatt und stand auf einmal so dicht vor ihr, dass Morgan fast das Herz stehen blieb. Er roch nach Hitze und harter Arbeit. Nach geschmolzenem Eisen und weichem Leder.

Mit anderen Worten, nach Mann!

Morgan schluckte hart, um die Zunge von ihrem trockenen Gaumen zu lösen. „Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich Ihnen die Namen nenne?“, brachte sie mühsam hervor.

„Sagen Sie mir, wer sich über Ace lustig macht“, verlangte er in drohendem Tonfall. „Dann werde ich die Angelegenheit umgehend regeln.“

Nachdem Morgan es glücklich geschafft hatte, sich vom Anblick seiner Lippen loszureißen, blieb ihr Blick nun an einer Schweißperle hängen, die langsam über seinen perfekt geformten Bizeps rann. Das Problem mit ihrer Zunge tauchte erneut auf, aber sie war fast froh darüber. Andernfalls hätte sie sich womöglich noch ungewollt die Lippen geleckt, weil einfach jeder Zentimeter an diesem Mann gnadenlos verlockend war.

„Wir sprechen hier über Sechsjährige“, stellte sie betont sachlich fest. „Daher wüsste ich gern, auf welche Weise Sie die Angelegenheit zu regeln gedenken, Mr. Hathoway.“

„Ich vergreife mich nicht an kleinen Kindern“, informierte er sie kalt. „Allerdings bin ich mit den Eltern dieser Kinder aufgewachsen, und ich beabsichtige, das eine oder andere Gespräch zu führen.“

Die Drohung war unmissverständlich. Offenbar liebte Nate Hathoway seine Tochter abgöttisch und würde vor nichts zurückschrecken, um sie zu beschützen. Morgan spürte, wie sie angesichts solch leidenschaftlicher Vatergefühle förmlich dahinschmolz.

„Hören Sie, Mr. Hathoway, einige kleine praktische Maßnahmen Ihrerseits würden schon genügen, um Cecilia zu helfen.“

„Weil Sie unfähig sind, Sie in der Schule vor Mobbing zu schützen?“

„Das ist unfair!“ Das schmelzende Gefühl verschwand, und unversehens war Morgan auch wieder Herrin ihrer Zunge. „Bei zweiundzwanzig Kindern kann ich unmöglich auf jedes Wort reagieren, das sie untereinander oder zu Cecilia sagen.“

„Was sagen sie denn?“

Sie hätte zahllose Beispiele nennen können. Die hämischen Bemerkungen über Cecilias „unsterbliche Liebe“ zu ihrem roten Samtkleid, um nur eines zu nennen. Es war zwar immer sauber, aber vom vielen Tragen schon so fadenscheinig, dass es im Grunde nur noch als Putzlappen taugte. Verschärfend kam hinzu, dass sie dazu keine normalen Schuhe trug, sondern klobige Wanderstiefel, die ihr mindestens eine Nummer zu groß waren.

Selbst Morgan konnte ein gewisses Befremden nicht leugnen, wenn sie Cecilia in diesem Aufzug sah, aber eins musste man der Kleinen lassen: Sie ließ sich nichts gefallen. Jede beleidigende Bemerkung beantwortete sie umgehend mit einer Kampfansage, auch wenn sie sich – so wie heute Vormittag – gegen die halbe Klasse behaupten musste.

Schon so manches Mal hatte Morgan sich gefragt, woher das Kind diese beeindruckende Unerschrockenheit hatte. Jetzt war sie über diesen Punkt nicht länger im Unklaren.

„Heute Morgen kam Cecilia mit einer sehr … eigenwilligen Frisur zur Schule“, sagte sie. „Und ich fürchte, das hat sie bereits einer Reihe von Sticheleien ausgesetzt, noch bevor sie offenbarte, womit sie diese Kreation in Form hielt.“

„Sie sagte mir, sie hätte Gel genommen.“

„Das hat sie auch. Nur war es nicht unbedingt für diesen Zweck geeignet.“

Nate Hathoway sah sie fragend an.

„Sie wusste nicht, dass es unterschiedliche Sorten gibt, und hat Zahngel benutzt.“

Er stieß ein Wort hervor, das die meisten in Gegenwart einer Lehrerin vermieden hätten. Dann fuhr er sich langsam mit allen zehn Fingern durch seine eigene dichte Haarpracht.

Hilflos folgten Morgans Augen der sinnlichen Bewegung. „Haben Sie ihr denn nichts über ihre Frisur gesagt, bevor sie zur Schule ging?“

„Doch.“ Sein undurchdringlicher Panzer zeigte einen ersten winzigen Riss. „Ich sagte ihr, dass es scharf aussähe.“

Morgan wusste, dass sie jetzt auf keinen Fall lächeln durfte. Schließlich wollte sie von ihm ernst genommen werden. „Mr. Hathoway“, sagte sie daher mit unbewegter Miene. „Sie können Ihre Tochter nicht mit einer mit Zahngel verklebten Haifischflosse auf dem Kopf zur Schule schicken und erwarten, dass sie nicht gehänselt wird.“

Der winzige Riss vergrößerte sich noch ein wenig.

„Woher soll ich wissen, was bei Sechsjährigen angesagt ist?“, verteidigte er sich. „Und verglichen mit der verfilzten Mähne, die sie hatte, bevor ich ihr endlich das Haar kurz schneiden durfte, schien mir ihre Frisur von heute Morgen eine echte Verbesserung zu sein.“

Es fiel Morgan erstaunlich leicht, sich vorzustellen, wie er mit sanften Händen versuchte, das rebellische Haar seiner Tochter in den Griff zu bekommen. Doch es war gefährlich, den animalischen Magnetismus dieses Mannes mit Begriffen wie „sanft“ oder gar „zärtlich“ zu verbinden.

„Es war keine Verbesserung.“ In ihrem Bemühen, Cecilias Sache zu vertreten, geriet ihr Tonfall etwas schnippisch. „Die Kinder waren gnadenlos, selbst nachdem ich ihnen jeden weiteren Kommentar zu diesem Thema verboten hatte. Es fielen Bezeichnungen wie ‚Kapitän Colgate‘, ‚Zahnpastaqueen‘ oder ‚Fluorfrosch‘, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.“

„Ich wette, der Fluorfrosch ging auf das Konto von Bradley Campbells Sprössling.“ Nate Hathoways Miene verhieß nichts Gutes. „Ace hat mir neulich erzählt, dass er sie wegen ihrer Stimme ständig Miss Froggy nennt.“

„Ich habe Freddy schon eine Strafarbeit angedroht, falls er nicht damit aufhört“, versicherte Morgan ihm eilig. „Im Übrigen finde ich Cecilias Stimme anbetungswürdig. Jetzt mag man sie noch dafür hänseln, aber wenn sie einmal erwachsen ist, wird dieses raue Timbre zu ihren attraktivsten Attributen gehören.“

Nate Hathoway wirkte wenig überzeugt.

„Leider ist es noch zu einem weiteren Zwischenfall gekommen“, fuhr sie fort. „Eins der Mädchen hat behauptet, dass die Latzhose, die Cecilia heute trug, ihrer älteren Schwester gehören würde.“

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Sie hat Ace des Diebstahls bezichtigt?“

„Cecilia sagte, sie hätte sie in einer Kiste gefunden, die für die Altkleidersammlung bestimmt war.“

„Aber warum, zum Teufel, sollte sie in einer Altkleiderkiste herumwühlen?“

Morgan seufzte. „Wann haben Sie ihr das letzte Mal etwas zum Anziehen gekauft, Mr. Hathoway?“

Angesichts seiner offensichtlichen Bestürzung wurde ihre Stimme unversehens sanfter. „Ich habe Ihnen vor zwei Wochen eine Nachricht geschickt, in der ich Ihnen dringend einen kleinen Einkaufsbummel mit Cecilia ans Herz legte.“

„Ich lese Ihre Nachrichten nicht.“

„Verstehe. Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Weil ich keine neunmalkluge Collegeabsolventin wie Sie brauche, um zu wissen, wie ich meine Tochter großziehen muss. Im Übrigen verabscheue ich es, einkaufen zu gehen.“

„Ganz offensichtlich! Und Ihre Tochter muss darunter leiden.“

Er sagte nichts, starrte sie einfach nur an.

Autor

Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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