Ein gekaufter Earl für Miss Cross

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Was für ein himmelstürmendes Glück! Eigentlich hat die unscheinbare Eliza Cross die Hoffnung, einen Gatten zu finden, längst aufgegeben. Doch nun macht ihr der ebenso attraktive wie charmante Hugh Deveraux, Earl of Hastings, leidenschaftlich den Hof. Beseelt von seinen zärtlichen Liebesversprechungen, nimmt die reiche Erbin seinen Heiratsantrag an. Sie ahnt nicht, was hinter Hughs amourösen Bemühungen steht: Ihr Vater hat ein gewaltiges Vermögen geboten, mit dem der Earl seinen verschuldeten Familiensitz retten kann - wenn er Eliza heiratet. Doch die Lüge drängt ans Licht! Unausweichlich droht Elizas Herz zu brechen …


  • Erscheinungstag 25.02.2020
  • Bandnummer 350
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749170
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

1817

Wenn Hugh Deveraux sich etwas von seinem Vater zu eigen gemacht hatte, so dessen Lebensmotto, auch in widrigen Situationen stets Haltung zu bewahren.

Die Tragweite dieser Einstellung wurde Hugh allerdings erst nach dem Tod seines Vaters bewusst, als er feststellen musste, in welch katastrophale Situation der die Familie gebracht hatte.

Was zu vermeiden gewesen wäre. Joshua Deveraux, sechster Earl of Hastings, schien von Geburt an in jeder Beziehung gesegnet zu sein. Keine Widrigkeit konnte seine gute Laune trüben oder seinen Esprit dämpfen, daher wurde er von Verwandten und Freunden geschätzt und bewundert. Er entwickelte sich zu einem legendären Bonvivant, anders als seine Vorväter, denen Pflichtbewusstsein und Verantwortung oberstes Gebot war. Sein herzlicher Umgang mit Menschen brachte ihm Lob und Achtung von Gleichgestellten und Untergebenen gleichermaßen ein. Während seine Vorfahren es als Ehrensache erachteten, sich mit einer reichen Erbin zu vermählen, um das Familienvermögen zu mehren, bestand Joshua darauf, die junge Dame zu heiraten, die er liebte, eine gefeierte Schönheit mit großem Charme und kleiner Mitgift. Als junger, bemerkenswert gut aussehender Mann erbte er Titel nebst beträchtlichen Ländereien und galt als einer der glücklichsten Aristokraten in England.

Hugh wuchs in diesem Glauben auf. Von seinem Vater verwöhnt, gab es keinen Menschen, den er mehr bewunderte. Auch seine Mutter war gütig und liebevoll, aber sein Vater war mehr als das – klug, witzig, heiter, vital und niemals mürrisch. Wenn Hugh als Halbwüchsiger in Schwierigkeiten geriet, machte seine Mutter ihm unter Tränen Vorhaltungen, während sein Vater ihm auf die Schulter klopfte und mit ihm einen Ausritt übers Land machte. Es hat keinen Sinn, Geschehenes zu bedauern und Trübsal zu blasen, pflegte er zu sagen. Kopf hoch und schau nach vorne.

Erst nach dem Tod seines Vaters erkannte Hugh, dass die Güte seines Vaters gravierende Mängel verschleiert hatte. Joshua hatte seine Gemahlin und Kinder innig geliebt und ihnen nie einen Wunsch abgeschlagen. Er erzog seinen Sohn zum künftigen Gebieter über ausgedehnte Ländereien, ohne ihm Einblick in die Bücher oder die Finanzen der Besitztümer zu gewähren. Alle Welt wusste – und bewunderte ihn dafür –, dass der Earl alles andere als geizig zu nennen war, und niemand ahnte die traurige Wahrheit bis zu seinem Tod im Alter von achtundfünfzig Jahren.

Ein Gallenleiden, diagnostizierte der Arzt an seinem Totenbett.

Erdrückende Schuldgefühle, dachte Hugh grimmig, zwei Tage später.

Wie sich herausstellte, war Joshua in keiner Weise mit seinem pflichtbewussten, umsichtigen Vater und Großvater zu vergleichen. Statt das Familienvermögen zu mehren, hatte er es vergeudet – das gesamte Vermögen. Nichts war zur Seite gelegt worden für die Mitgift seiner Töchter, und die Altersversorgung seiner Witwe war erbärmlich gering. Joshua hatte sich nicht darum gekümmert, seinen Reichtum zu erhalten, hatte jeden in Not geratenen Freund großzügig unterstützt, enorme Summen für Kunstobjekte und Pferde und Herrenhäuser ausgegeben, an Spieltischen hohe Summen gesetzt und verloren, und eines der größten Vermögen im Königreich buchstäblich verschleudert. Und niemand hatte eine Ahnung davon gehabt.

„Die gute Nachricht, Mylord, ist, dass die Hypothekenraten relativ niedrig sind“, erklärte der Rechtsanwalt; ein erbärmlich schwacher Trost.

Hughs Finger waren taub geworden, so stark hatte er die Hände zu Fäusten geballt, während Mr. Sawyer ihm seit einer Stunde seine bejammernswerte finanzielle Situation auseinandersetzte. „Ich verfüge also über großen Landbesitz und besitze keinen Penny, um ihn zu erhalten.“

Mrs. Sawyer zögerte. „Eine sehr klare Sichtweise … aber ja, leider korrekt.“

Hugh legte die flachen Hände auf die Platte des Schreibtischs. Ein kostbares Möbelstück, von der Kunsttischlerei Chippendale für seinen Großvater, den fünften Earl, angefertigt. Großvater hatte große Stücke auf gute Qualität gehalten. Hugh musste tief durchatmen, um nicht gotteslästerlich zu fluchen. „Wie viele Ländereien sind belastet?“

„Oh, alle“, antwortete der Anwalt. „Ihr Herr Vater sorgte dafür, dass die Hypotheken fristgemäß verlängert wurden.“

„Das bedeutet, dass ich nichts verkaufen kann“, sagte Hugh tonlos.

„Ähm … richtig.“ Mr. Sawyer schwieg eine Weile, bevor er zuversichtlich hinzufügte: „Aber Eure Lordschaft sind jung und gesund, und wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf, ein gut aussehender Mann. Es gibt mit Sicherheit einige Erbinnen …“

Hugh sprang auf und schob den Stuhl so heftig vom Schreibtisch zurück, dass der nach hinten kippte. Gleichfalls von Chippendale gefertigt. Er bekam ihn im letzten Moment zu fassen. Er konnte es sich nicht leisten, den Stuhl zu beschädigen; vielleicht musste er ihn mit anderen Objekten verkaufen, um Mutter und Schwestern zu ernähren. „Mit anderen Worten“, presste er zwischen den Zähnen hervor, „ich muss tun, was mein Vater nie tat – mich einschränken und sparen und eine reiche Frau heiraten.“

Mr. Sawyer hüstelte verlegen. „Das wäre zu empfehlen, Sir.“

Hugh machte eine unwirsche Handbewegung. „Gehen Sie.“

Der Mann blinzelte verdutzt, dann sammelte er seine Unterlagen ein. „Sehr wohl, Mylord. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung, wenn Sie …“

„Sie sind entlassen. Ich will Sie nicht mehr sehen.“

Der Rechtsanwalt erbleichte, wagte jedoch keine Widerworte. Hugh kochte innerlich vor Wut, als der Mann sich unter Verbeugungen zurückzog. Sawyer musste seit Jahren gewusst haben, dass der verstorbene Earl weit über seine Verhältnisse lebte. Offensichtlich hatte er ihn nicht darauf hingewiesen und auch Hugh nicht vor dem drohenden finanziellen Ruin gewarnt.

Wusste seine Mutter davon? Die Countess befand sich in tiefer Trauer, ihre Augen waren immer noch vom Weinen gerötet. Hugh dachte an die Liebe seiner Eltern, an seinen Vater, der sie gerne lachend geneckt hatte, und wusste, dass er ihr das niemals gestanden hätte. So leichtsinnig er auch gewesen war, der verstorbene Earl hatte seine Gemahlin geliebt und hätte ihr nie Sorgen bereiten wollen.

Und das bedeutete, dass Hugh gezwungen war, diese Aufgabe zu übernehmen.

Das Herz wurde ihm schwer. Seine Mutter hatte die Liebe ihres Lebens verloren, und nun musste sie von ihrem Sohn auch noch erfahren, dass sie keine finanziellen Rücklagen hatte und möglicherweise auch noch ihr Zuhause verlor. Es war völlig aussichtlos, den Besitz von Pachteinkünften zu erhalten. Sein Vater hatte nicht nur jahrelang Kapitalvermögen ausgegeben, er hatte auch nicht dafür gesorgt, dass seine Ländereien Gewinn abwarfen. Sein Besitz bestand aus gepflegten Parkanlagen und sorgsam geschnittenen Hecken, Fischweihern und Tempeln und Pavillons. Es gab weder Höfe oder Minen oder Ackerland, die ein wie immer geartetes Einkommen erwirtschaftet hätten.

Als Hugh sich einmal darüber gewundert hatte, wieso anderer Landbesitz nutzbar gemacht wurde, hatte Joshua gelacht. „Wer will denn an Weizenfeldern entlangreiten? All diese Höfe sind so verdammt hässlich. Es gibt so viel Ackerland, über das man nicht reiten kann.“ Und Hugh, der Idiot, hatte diese Antwort akzeptiert und war sogar noch stolz auf seinen Vater gewesen, als er beim nächsten Mal durch die schöne Landschaft und den Wald geritten war.

Das alles musste sich ändern, aber es brauchte viel Zeit und Kapital, zwei Dinge, die ihm fehlten.

Ein Klopfen an der Tür holte ihn aus seinen Grübeleien. Seine Schwester Edith huschte ins Zimmer. „Bist du fertig?“, fragte sie. „Ich sah, dass Mr. Sawyer ging.“

Er stieß den Atem aus. „Ja, er ist fort.“ Der Teufel soll ihn holen.

Edith durchquerte den Raum und ergriff seine Hand. „War er sehr unangenehm?“

Hugh verzog die Mundwinkel. „Sind das nicht alle Anwälte?“

Sie lachte, wurde aber rasch wieder ernst. „Ich wünschte, Papa würde noch leben.“

„Ich weiß.“ Hugh legte einen Arm um seine Schwester und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Edith war hübsch und zierlich wie ihre Mutter und noch zu jung, um sich mit Geldproblemen zu belasten. Sein Vater hatte jede Unannehmlichkeit von seiner Frau und seinen Töchtern ferngehalten, und Hugh wollte seinem Vater in dieser Beziehung nacheifern, zumindest vorerst.

Was wäre geschehen, wäre sein Vater nicht verstorben? Hugh schloss die Augen, denn die Antwort lag klar auf der Hand. Die Ländereien wären mit noch mehr Hypotheken belastet und ausgeblutet worden. In fünf oder zehn Jahren hätte Hugh noch schlimmere Zustände vorgefunden – und wäre höchstwahrscheinlich genauso wenig darauf vorbereitet gewesen wie jetzt.

„Mama saß eine Stunde weinend vor Papas Porträt“, sagte Edith leise. „Können wir nichts tun, um sie ein wenig aufzuheitern? Sollen wir nach Rosemere reisen?“

Rosemere war der Landsitz in Cornwall, ruhig und idyllisch gelegen, ein wunderschöner Ort, an dem die Countess sich von ihrem Herzeleid erholen könnte. Das Lieblingshaus seines Vaters, das er unter enormem Kostenaufwand renovieren und auf den Namen von Hughs Mutter umbenennen ließ, zum Zeichen seiner großen Liebe. Wenn seine Mutter irgendwo glücklich sein könnte, dann in Rosemere.

Aber all die Landhäuser zu erhalten, würde ein Vermögen verschlingen. Sawyer hatte ihm jede einzelne Rechnung vorgelegt, und die Kosten waren schwindelerregend. Hugh war sich darüber im Klaren, dass die größten Anwesen geschlossen werden mussten, bis geeignete Mieter gefunden waren. Sie selbst würden mit dem bescheidensten Haus vorliebnehmen müssen.

Ironischerweise war es das Londoner Haus. Sein Vater hatte sich in London nicht wohlgefühlt, daher war Hastings House am St. James’s Square vernachlässigt worden. Es war einige Jahre vermietet gewesen und stand im Moment leer. Für seine Mutter eine grässliche Vorstellung, die Trauerzeit in London zu verbringen, aber seine Schwestern würden demnächst ihr Debüt haben – vorausgesetzt, Hugh konnte es sich leisten, sie standesgemäß in die Gesellschaft einzuführen. Wenn Edith und Henrietta sich anständig verheiraten würden, wären wenigstens sie versorgt. Natürlich war es nötig, jegliches Anzeichen von Armut zu verbergen, ein weiterer Punkt, warum er seiner Familie verschweigen musste, wie schlecht es um sie bestellt war.

Es gab einige Gründe, warum London für Hugh der ideale Ort war. Er war zum Gentleman erzogen worden, ohne einen Beruf oder irgendetwas Nützliches erlernt zu haben. Auf eine Sache verstand er sich allerdings bestens, gegen die auch sein aristokratischer Vater nichts einzuwenden gehabt hätte. In London gab es viele Spielclubs und noch mehr Glücksspieler. Wenn Hugh also seine Ausgaben einschränkte und ihm das Glück an den Spieltischen einigermaßen hold war, könnte er die Familie so lange über Wasser halten, bis er den Heiratsvertrag mit einer Erbin in der Tasche hatte.

Denn darin bestand tatsächlich seine einzige Rettung. Der gesamte Besitz war mit Hypotheken belastet. Jedes Möbelstück und jedes Gemälde in Auktionen versteigern zu lassen, wäre letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Er musste eine reiche Braut finden, und der beste Ort, sich danach umzusehen …

Er drückte Edith an sich. „Nicht Rosemere. Ich dachte eher an London.“

1. KAPITEL

1819

Greenwich

Elizabeth Cross hatte eine vornehme Erziehung genossen.

Ihre Mutter war bei der Geburt ihres zweiten Kindes verstorben, des Geschwisterchens, das die dreijährige Eliza sich so sehr gewünscht hatte. Eine Woche nach Susannah Cross’ Tod war auch der kleine Junge verstorben, den Eliza Flopsy genannt hatte. Als sie etwas älter war, erfuhr sie, dass der richtige Name ihres Brüderchens Frederick lautete, nach ihrem Großvater, aber damals weinte sie um Flopsy und Mama und opferte ihr zweitliebstes Spielzeug, das sie mit ins Grab legen ließ. Von da an gab es nur Eliza und Papa.

Ihr Vater war ein vielbeschäftigter Mann, aber Eliza war der Mittelpunkt seiner Welt. Er wünschte sich nur das Beste für sie und sorgte dafür, dass sie alles lernte, was ihre Mutter ihr beigebracht hätte. „Aus dir soll eine echte Lady werden wie deine Mutter“, pflegte er zu sagen, wobei Mrs. Cross nur die Tochter eines Baronets gewesen war und demnach keine geborene Lady.

Als Kind befürchtete Eliza fortwährend, den Erwartungen nicht zu entsprechen. Wenn sie schüchtern fragte, ob sie auch alles richtig machte, um eine Dame zu werden, versicherte Papa ihr, dass sie ausgezeichnete Fortschritte erzielte, und er bemühte sich, die besten Lehrerinnen für sie zu finden.

Eliza lernte fleißig, anfänglich von einer Gouvernante, dann als Schülerin in Mrs. Uptons Internat für Höhere Töchter und später von einer Gesellschafterin, die ihr den letzten gesellschaftlichen Schliff beibrachte. Als Neunzehnjährige war sie selbstbewusst genug, um es mit jeder Duchess aufzunehmen, wenn es galt, Tee zu servieren, Blumenbouquets zu arrangieren, einen festlichen Empfang auszurichten oder modische Garderobe auszusuchen.

Andererseits war ihr ebenso klar, dass sie in der Londoner Gesellschaft, die ihr Vater so gerne beeindrucken wollte, immer als Nouveau Riche gelten würde. Edward Cross hatte sein beträchtliches Vermögen an der Börse mit Aktien in Eisen und Stahl erworben, Rohstoffe, die von der Britischen Marine in Kriegszeiten dringend benötigt wurden. Mochte sie sich auch noch so elegant kleiden und anmutig tanzen, nichts hätte die Tatsache vergessen lassen können, dass ihr Vater sein Vermögen mit Börsenspekulationen erworben hatte. Sie war eine Erbin – und zwar eine steinreiche –, aber keineswegs eine Lady.

Um aristokratische Verehrer anzulocken, die ihr zu dem gesellschaftlichen Ansehen verhelfen sollten, das ihr Vater sich ersehnte, brauchte ein Mädchen drei Dringe: Schönheit, adelige Beziehungen und Geld. Eliza war keine Schönheit und hatte auch keine adelige Verwandtschaft vorzuweisen. Nur eins der drei Dinge war im Überfluss vorhanden. Auch wenn sie nie heiraten oder zu keinem gesellschaftlichen Ereignis eingeladen werden sollte, so bliebe ihr immer noch ein schönes Heim, jeder erdenkliche Luxus und ihr Hund.

Ihr Hund war ihr wichtiger als aller Luxus. Eines Tages auf dem Heimweg vom Dorf hatte sie Willy als Welpen gefunden, ein wuscheliges schwarzweißes Fellknäuel, unter einem Forsythienstrauch versteckt. Als Eliza sich hinkauerte und ihm die Hand entgegenstreckte, kroch er näher und beschnupperte ihre Finger. Und als sie ihn kraulte, schmiegte er sich an sie, und ihr Herz schmolz vor Liebe. Sie trug ihn nach Hause und überlegte sich alle möglichen tollen Namen für ihn.

Papa war nicht erfreut. „Ein Straßenköter“, meinte er abfällig.

„Ein süßes Hundebaby“, widersprach sie. Der Welpe kuschelte sich in ihre Arme und wedelte zutraulich mit dem Schwanz. Eliza gab ihm einen Kuss auf die Stirn und lächelte.

Papa knurrte. „Und wenn jemand ihn sucht?“

„Er wird von niemandem gesucht; er hat auf mich gewartet.“ Wortlos verließ sie das Zimmer. Bis zum Abendessen war das Hündchen gebadet, gefüttert und in einem gepolsterten Körbchen in Elizas Zimmer untergebracht. Als Einzelkind musste Eliza auf manche Freuden verzichten, genoss allerdings auch viele Vorzüge, da ihr jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde. Niemand hatte je wieder ein Wort darüber verloren, Willy loszuwerden.

Und Eliza war zufrieden mit ihrem Leben. Papa war häufig geschäftlich und privat unterwegs. Er war ein Mann in seinen besten Jahren, vital und gesund, und Eliza vermutete, dass er die Gesellschaft einer Witwe suchte, die am Portland Place in London wohnte. Ein Umstand, der ihr manche Freiheiten bescherte. Alle vierzehn Tage fuhr sie nach London zum Einkaufen und traf sich mit ihren zwei besten Freundinnen zum Tee, Lady Georgiana Lucas und Sophie Campbell, die sie aus ihrer Schulzeit im Internat von Mrs. Upton kannte. Sie machte lange Spaziergänge mit Willy und verbrachte viel Zeit in der Leihbücherei in Greenwich, half in der Kirche aus, besuchte mit Belinda Reeve, der Frau des Vikars, Gläubige ihrer Kirchengemeinde und arbeitete viele glückliche Stunden im Garten.

Der einzige Nachteil war die Tatsache, dass sie immer noch unverheiratet war, ohne einen Verehrer in Sicht. Eliza begann sich bereits damit abzufinden, als reiche alte Jungfer mit einer ganzen Hundeschar zu enden und hoffte, wenigstens eine exzentrische alte Dame zu werden, doch ihr Vater war bei Weitem nicht so gelassen bei dieser Aussicht.

„Ich dachte immer, nur verheiratete Ladys halten sich ein Schoßhündchen“, bemerkte Papa beim Frühstück.

„Tatsächlich?“ Willy lag gehorsam zu Elizas Füßen. Er war ein wohlerzogener Hund, so lange er die Aussicht auf einen Leckerbissen witterte. Eliza belohnte seine guten Manieren und gab ihm heimlich unter dem Tisch ein Stück Schinken. „Er fragte allerdings nicht, ob ich verheiratet bin, bevor er mir auf den Schoß hüpfte.“

„Eine junge Dame sollte ausgehen und mit Gentlemen tanzen, statt ihr Frühstück an einen Hund zu verfüttern.“

Eliza verdrehte die Augen und gab Willy noch ein Stückchen Schinken. „Wieder ein Beweis, dass ich keine Lady bin.“

„Aber du könntest. Du solltest.“ Papa kaute mit zusammengezogenen Augenbrauen, als müsste er über ein schwieriges Problem nachdenken. „Wenn du nur …“

„Papa.“ Sie stellte ihre Tasse ab und fixierte ihn mit ernstem Blick. „Hör auf.“

Brummend ließ er von dem Thema ab. Willy sprang auf und schnüffelte unter dem Tisch herum, ob noch ein Häppchen zu finden wäre.

„Ich dachte, wir hätten vereinbart, dass der kleine Köter im Garten bleibt“, sagte Papa.

„Es regnet.“ Eliza wies mit dem Arm zum Korb in der Ecke. Willy ließ die Ohren hängen und schaute traurig zu ihr auf. Eliza wies weiterhin stumm in die Ecke, bis Willy sich seufzend in sein Körbchen trollte, den Kopf auf den Rand bettete und sie aus braunen Augen fixierte.

„Das bisschen Regen macht einem Hund nichts aus. Wenn ich ihm einen Bissen von meinem gebratenen Nierchen in den Garten werfe, würde er freudig hinterherrennen.“ Papa spießte ein Stück Niere auf die Gabel und legte den Kopf seitlich. Willy spitzte die Ohren.

„Papa.“ Eliza furchte die Stirn. „Quäle ihn nicht.“

„Ich quäle ihn nicht. Ich würde es ihm geben.“ Papa aß sein Nierchen und legte die Gabel beiseite.

Eliza bedachte ihn mit einem strafenden Blick und wechselte das Thema. „Sophie bat mich und Georgiana übermorgen zum Tee. Und Mrs. Reeve ließ mich wissen, dass sie und Mr. Reeve nun doch nicht morgen zum Dinner kommen.“

„Was für eine gute Nachricht“, sagte Papa vergnügt.

„Mrs. Reeve ist eine sehr nette Dame.“ Eliza schenkte ihrem Vater Kaffee nach und fügte etwas Sahne hinzu, wie er es gern hatte. „Wenn du seiner Kirche eine Spende zukommen ließest, würde Mr. Reeve dir nicht mehr damit in den Ohren liegen.“ Der Vikar war weniger höflich als seine Frau.

„Wenn Mr. Reeve seine Predigten auf eine halbe Stunde beschränkt, bekommt er Geld von mir.“

„Ich denke nicht, dass er das gerne hört.“

„Und ich denke nicht, dass eine Kirche vergoldete Kerzenleuchter und einen Marmoraltar braucht. Mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt.“ Edward Cross trank seine zweite Tasse Kaffee. „Ich treffe mich heute mit Southbridge und Grenville. Es kann spät werden.“

„Verliere nicht zu viel Geld“, entgegnete sie. Sir David Southbridge und Robert Grenville waren nicht nur Geschäftsfreunde ihres Vaters, sondern auch leidenschaftliche Kartenspieler. Die drei Herren waren befreundet, aber auch gnadenlose Konkurrenten im Geschäftsleben und am Spieltisch. Wenn Papa nach einem Treffen mit den Herren spätnachts angetrunken nach Hause kam, erzählte er ihr Geschichten von Grenville, der tausend Pfund am Spieltisch gesetzt hatte, oder von Southbridges stoischer Gelassenheit, wenn er Anteile seines Handelsunternehmens auf ein Pferd gesetzt hatte.

„Ich und verlieren?!“ Ihr Vater war brüskiert. „Ich lasse mir doch von einem Mädchen keine Vorschriften machen, das einen zotteligen Köter verhätschelt.“

„Also, Papa“, protestierte sie. „Seit Jackson dir die Haare geschnitten hat, siehst du längst nicht mehr so zottelig aus wie früher.“

„Frechheit!“, knurrte er. „Ich begreife nicht, wieso der Herr mich mit einer vorlauten Tochter bestrafen musste.“

Sie strahlte. „Wer würde es sonst mit dir aushalten?“

Er sah sie aus verengten Augen an. „Du solltest es demnächst mit einem Ehemann aushalten.“

„Ich glaube nicht, dass es gut gehen würde“, erwiderte sie. „Ich könnte es mit keinem dieser Glücksritter und Idioten aushalten, die mir ihre Aufwartung machten.“

Ihr Vater verzog das Gesicht, schob den Stuhl zurück und stand auf. „Du hast es nicht nötig, einen klugen Mann zu heiraten! Dein Verstand reicht für beide.“

„Und mein Vermögen ebenfalls, ich weiß.“ Eliza faltete die Hände und setzte eine verträumte Miene auf. „Da draußen gibt es mit Sicherheit einen hochwohlgeborenen Baronet, gut aussehend, aber strohdumm und arm wie eine Kirchenmaus, der mich gerne nimmt.“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „So habe ich das nicht gemeint.“ Sie zog die Nase kraus, und er lachte. „Ich hab dich lieb, Lilibeth.“ Er nannte sie bei ihrem Kosenamen aus Kindertagen und küsste sie auf den Scheitel.

„Ich habe dich auch lieb, Papa, obwohl du mich gerne loswerden willst“, sagte sie mit einem liebevollen Lächeln.

Papa schnaubte verächtlich. „Dich loswerden! Was ist daran verwerflich, wenn ich mir wünsche, dass mein Mädchen heiratet und eine Familie gründet? Geschieht mir ganz recht, wie?“, sagte er an Willy gerichtet, der zustimmend bellte. „Sie dreht mir ständig das Wort im Mund herum.“

„Ich will nur sagen, dass ich glücklich bin“, widersprach sie. „Auch wenn ich keinen gut aussehenden, geistlosen, verarmten Baronet finde, bin ich mit dir und Willy und meinen Freundinnen glücklich.“

„Mal angenommen, dieser Mann wäre kein geistloser Idiot, würdest du ihn nehmen?“

Sie rollte mit den Augen. Ihr Vater war an diesem Morgen in Hochform.

„Du behauptest, glücklich zu sein“, fuhr er fort. „Aber wirst du nicht neidisch, wenn deine Freundinnen heiraten und Kinder kriegen? Wie ich höre, schafft Lady Georgiana es endlich, Sterling in diesem Sommer vor den Altar zu schleppen. Mit einem Baby auf dem Arm wird sie kaum Zeit für eure Teestunden und Einkaufsbummel finden.“

Eliza bestrich eine Scheibe Toast mit Butter. Darüber hatte sie bereits nachgedacht. Georgiana war nun seit zwei Jahren mit Viscount Sterling verlobt. Die Hochzeit hatte noch nicht stattgefunden, weil ihr Bruder, der Earl of Wakefield, ein mürrischer und eigenbrötlerischer Mensch, sich nicht mit ihm über den Ehevertrag einig werden konnte. Man munkelte bereits, Georgiana würde auf ewig verlobt bleiben, was natürlich nicht stimmte. Irgendwann würde sie Lady Sterling sein und seinen Erben zur Welt bringen. „Ich bin nicht neidisch, sondern freue mich sehr für sie“, antwortete sie auf Papas lästige Frage. „Sie ist, seit ich denken kann, in Lord Sterling verliebt.“

„Und du solltest dich auch verlieben! Deine Mutter würde mir zustimmen, wenn sie noch hier wäre.“

„Mama wäre dagegen, dass ich irgendeinen Mann heirate, nur um verheiratet zu sein“, hielt sie ihm entgegen. „Du doch auch, hoffe ich.“

Er stieß den Atem hörbar aus. „Natürlich. Ich wünsche mir nur, dass du dich nicht davor verschließt. Es gibt gewiss einen rechtschaffenen Adeligen, der erkennt, dass du ein Juwel bist.“

Eliza biss in ihren Toast. Dieser mythische Mann müsste schon sehr genau hinsehen, um in mir ein Juwel zu erkennen, dachte sie. Jedenfalls hatte ihr keiner der adeligen Herren, die sie kennengelernt hatte, einen zweiten Blick gegönnt. Im Übrigen auch keiner der nicht-adeligen Herren. Hätte sie länger darüber nachgedacht, wäre sie womöglich trübsinnig geworden. Ungeachtet ihrer stattlichen Mitgift, ihrer eleganten Garderobe und aller Vorzüge einer jungen Dame, zog Eliza selten mehr als einen flüchtigen Blick eines Mannes von Rang auf sich. Sie wusste, dass sie farblos und zurückhaltend war. Aber auch Lady Sarah Willingham, die Tochter des Duke of Jarros, hatte einige Verehrer, obwohl sie schüchtern war und leicht schielte.

„Vielleicht erkennt es ja einer, irgendwann“, sagte sie leichthin, um ihren Vater zu beruhigen.

Er nickte zuversichtlich. „Ganz sicher. Fragt sich nur, ob er auch den Hund nimmt.“

„Wenn er Willy nicht nimmt, nehme ich ihn nicht“, antwortete sie schlagfertig. „Ich würde nicht einmal ein Wort mit einem Mann sprechen, der Willy nicht leiden kann.“

„Verdammter Straßenköter“, knurrte Papa.

Aber Eliza sah, wie er ein Stück Schinken von der Platte klaubte und es dem Hund zuwarf. Willy schnappte es in der Luft auf und bedankte sich schweifwedelnd. Papa war bereits aus der Tür und schlüpfte im Gehen in die Ärmel seines Gehrocks.

Eliza bedachte ihren Liebling mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du bist schrecklich verwöhnt.“

Willy fiepte munter seine Zustimmung.

„Zur Strafe gehst du allein in den Garten.“ Sie stand auf. „James, sind Sie so nett und bringen ihn raus?“

„Gerne, Miss.“ Der Diener lockte Willy mit einem Fingerschnipsen, der die Ohren hängen ließ, weil sein Frauchen ihn nicht begleitete. Sie scheuchte ihn mit den Händen, und der Hund folgte James.

Eliza fragte sich, wann Papa endlich einsehen würde, dass Männer nichts für sie übrighatten. In seinen Augen war sie hübsch, aber Eliza wusste es besser. Auch unscheinbare Mädchen hatten Erfolg in der Gesellschaft, wenn sie geistreich und charmant waren. Eliza hingegen verstummte scheu in Gegenwart von Fremden, und wenn sie angesprochen wurde, war sie wie gelähmt, und ihr Verstand ließ sie völlig im Stich. Papa erhoffte sich zweifellos, ihre stattliche Mitgift würde mehr Gewicht haben als ihre Menschenscheu. Aber Eliza wollte lieber eine exzentrische alte Jungfer mit einem Haus voller Hunde werden als einen Mann heiraten, der es nur auf ihr Geld abgesehen hatte.

Sollte Papa getrost weiterträumen. In einem Winkel ihres Herzens hielt Eliza es nicht für aussichtslos, eines Tages einen liebenswürdigen Landjunker kennenzulernen, der nicht danach strebte, eine schöne und charmante Frau an seiner Seite zu haben, sondern sich mit einer stillen Frau begnügte, die gern mit ihrem Hund spielte und ihren Garten pflegte. Wenn nicht, sollte es ihr auch recht sein.

2. KAPITEL

Die Nacht versprach, erfolgreich für Hugh Deveraux zu werden.

Es war auch höchste Zeit. In den letzten vierzehn Tagen war es ziemlich trübe um sein Glück bestellt gewesen. Eigentlich schon im ganzen letzten Monat. Er hatte zwar keine hohen Summen verloren, aber auch nicht viel gewonnen. Obwohl er konzentriert und mit klarem Kopf spielte, war ihm keine Glückssträhne beschert. Wenn er in einer Nacht gewann, verlor er in der nächsten wieder.

Sein Londoner Plan hatte sich in den vergangenen anderthalb Jahren ziemlich gut bewährt. Seinem Glück an den Spieltischen war es zu verdanken, dass er die dringendsten Schulden begleichen, das Stadthaus beziehen und auch ein paar neue Kleider für seine Mutter und Schwestern bezahlen konnte. Leider reichte das bei Weitem nicht. Edith war volljährig, würde in Kürze ihr Gesellschaftsdebüt haben und brauchte bald eine Mitgift.

Anfangs hatte er gehofft, ihr ein Stück Land überschreiben zu können. Seine Rechtsberater hatten alle Verträge durchforstet mit dem Ergebnis, dass er keinem der Mädchen zur Hochzeit einen Teil des Besitzes übertragen durfte. Er hätte das Land mit weiteren Hypotheken belasten können, wodurch er allerdings nur noch tiefer in die Schuldenfalle geraten wäre. Er hatte einige Kunstgegenstände seines Vaters veräußert, aber jedes Stück, von dem er sich trennen wollte, löste bei seiner Mutter schlaflose Nächte und eine Tränenflut aus. Sie erinnerte sich genau daran, wann ein Objekt und aus welchem Anlass erstanden worden war und verfiel in tiefe Melancholie über den Verlust eines Andenkens an ihren Gemahl. Sie war eine gefühlsbetonte und zartbesaitete Frau, versicherte Hugh zwar, Verständnis für einen Verkauf zu haben, sah sich jedoch nicht imstande, das Bett bis zum Dinner zu verlassen, wenn ein Gemälde oder eine Marmorstatue zur Versteigerung aus dem Haus geschafft wurde.

Hugh hatte sich längst damit abgefunden, dass er von seiner Familie keinen Rückhalt erwarten konnte. Durch den Umzug in die Stadt war die Countess gezwungen gewesen, sich von der Grabstätte ihres Gemahls zu trennen und in dem düsteren Londoner Haus zu leben, das Joshua so gehasst hatte. Sie akzeptierte zwar Hughs Erklärung, der Umzug sei nötig, um Edith ihr Debüt zu ermöglichen und damit die Chance, einen Bräutigam zu finden, doch der Gram umwehte sie wie ein Trauerflor. Seine Schwestern waren keinen Deut einsichtiger. Edith beklagte sich darüber, dass man in dem muffigen Haus keine großen Einladungen geben konnte, und Henrietta lag ihm in den Ohren wegen ihrer neuen Garderobe, da sie sich neben Ediths modischer Erscheinung schäbig vorkam. Manchmal dachte Hugh bitter, im Schuldturm wäre mein Leben leichter.

Doch solche Gedanken würden Kapitulation bedeuten, und er weigerte sich zu kapitulieren. Sein Vater hatte ihm ein Chaos hinterlassen, aber er war fest entschlossen, sich daraus zu befreien. Und letztlich brauchte er dafür lediglich eine ordentliche Glückssträhne.

Sein bevorzugtes Spielcasino war der Vega Club im Herzen von London. Ein gut geführtes Etablissement in vornehmer Gegend, nach dessen Besuch man nicht befürchten musste, auf dem Heimweg ausgeraubt zu werden. Der Besitzer war ein harter, aber gerechter Geschäftsmann, der seinen Mitgliedern nur zwei Bedingungen stellte: Es durfte kein Klatsch über den Club verbreitet werden; und man hatte seine Schuldscheine pünktlich einzulösen.

Während Hugh die zweite Bedingung gelegentlich Kopfschmerzen bereitete, schätzte er die erste von ganzem Herzen. Bevor der dem Vega Club beigetreten war, waren seiner Mutter Gerüchte über seine Wetten – meist maßlos übertrieben – zu Ohren gekommen, worauf sie vor Aufregung einen Zusammenbruch erlitten hatte und sich Sorgen machte, er wäre auf die schiefe Bahn geraten.

Sein Vater war vor eineinhalb Jahren verstorben, und Hugh hatte ihr immer noch nicht gestanden, wie erbärmlich schlecht es um die Finanzen der Familie stand.

Wenn seine Glückssträhne nur ein paar Nächte hintereinander anhielt, bliebe ihm das vielleicht erspart.

Er war mit beinahe neuntausend Pfund im Plus. Heute Nacht saß er an einem Tisch mit einem Aristokraten und zwei vermögenden Männern aus dem Bürgertum. Hugh spielte gerne mit solchen Leuten. Sie waren stolz darauf, mit einem Earl zu spielen, und wenn sie verloren, wagten sie nicht, sich aus der Affäre zu ziehen. Dazu kam, dass die Runde an diesem Abend in Hochstimmung war. Ständig ließen die Männer sich Wein nachschenken, und Hugh war sich ziemlich sicher, dass alle drei ziemlich betrunken waren.

Man hätte es für unsportlich halten können, gegen ein paar Trunkenbolde zu spielen, doch Hugh war anderer Meinung. Sie waren nicht betrunken gewesen, als sie ihn eingeladen hatten, sich an ihren Spieltisch zu setzen, und er hatte den Rotwein nicht bestellt. Sie waren keine Grünschnäbel, und da Hugh erfahren hatte, dass sich ihr jeweiliges Vermögen auf zwischen zweihunderttausend und einer halben Million Pfund belief, ging er davon aus, dass sie es sich leisten konnten, sich sinnlos zu betrinken und ein paar tausend Pfund zu verlieren. Er rechnete sogar damit.

Sie begannen damit, einfaches Five Card Loo zu spielen. Wer eine einzige Trumpfkarte zog, konnte nicht verlieren. Hugh beherzigte diesen Punkt und passte, wenn er ein schlechtes Blatt auf der Hand hatte. Dafür musste er einige Hänseleien einstecken, die er gutmütig lachend quittierte. Allzu oft hatte er beobachtet, wie ein junger Mann – oder bei Vega eine junge Frau – sich durch Sticheleien dazu verführen ließ, leichtfertig zu spielen und Angst bekam, wenn er oder sie verlor. Hugh spielte nicht im Vega Club, um zu verlieren.

Nach einer Weile wurde das Spiel trotz hoher Einsätze für den einen oder anderen Mitspieler offenbar zu langweilig. „Wir drehen uns im Kreis“, beklagte sich Robert Grenville, der die Karten mischte. „Ohne Limit, meine Herren.“

„Ohne Limit?!“ William Harker, der jüngste Sohn von Viscount Ellery, erbleichte. Er warf unstete Blicke in die Runde, dann schob er seinen Stuhl zurück. „Das ist mir zu hoch.“

Grenville und George Alderton lachten hämisch. „Dann verzieh dich! Und komm wieder, wenn du erwachsen bist.“ Harker war Anfang dreißig. Er bekam schmale Lippen, stand auf, sammelte seine Jetons ein und ging. Hugh respektierte seine Haltung. Ein Mann, der seine Grenzen kannte.

Was ihn betraf … vor ihm lag ein hoher Stapel Jetons. Über achttausendachthundert Pfund in graviertem Elfenbein. Bei Loo ohne Limit konnte er den Gewinn verdoppeln oder verdreifachen. Es war Ediths Mitgift, die sich da vor ihm stapelte.

Hugh blieb am Tisch.

Der betrunkene Alderton übersah eine Trumpfkarte und musste den Pot verdoppeln, der dann bei tausend Pfund stand und sich schnell auf über dreitausend erhöhte. Hugh strich seinen Anteil – fast achthundert Pfund – mit einem Augenzwinkern und einer witzigen Bemerkung über Alderton ein, und erntete dafür schallendes Gelächter. Es wurde eine weitere Runde und noch eine gespielt. Der Pot enthielt achttausend Pfund und Hugh mahnte sich zur Vorsicht. Bei der nächsten Runde passte er, da er schlechte Karten ohne einen einzigen Trumpf gezogen hatte.

Und dann … passierte es. Er wusste nicht wirklich, wie es geschah. Er bekam ein gutes Blatt; hohe Karten mit zwei Trümpfen. Sie hätten ihm mindestens einen Stich garantiert. Aber jede seiner ausgespielten Karten wurde von einem anderen Spieler gestochen. Sogar seine Dame wurde vom König geschlagen. Die Runde endete, Grenville hatte gewonnen und Hugh hatte nichts mehr.

Sein Herzschlag dröhnte dumpf in seiner Brust. Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen; eine unheimliche Stille umgab ihn. Er hatte einen Fehler begangen, der ihn um seine sämtlichen Gewinne dieser Nacht brachte.

Alderton schlug mit der Faust auf den Tisch. „Na endlich! Ich dachte schon, wir bringen den Kerl nie zu Fall!“

Grenville goss Wein nach und hob sein Glas. „Auf Hastings.“ Er grinste verschlagen. „Und auf sein Geld, das wir ihm mit Freuden abnehmen.“

Hugh brachte ein dünnes Lächeln zustande. Kopf hoch und Blick nach vorne. Mit einem Kopfschütteln schob er seinen Stapel Jetons in die Mitte des Tisches. Ediths Mitgift … fort. „Ich hätte mehr von Aldertons Bordeaux trinken sollen“, meinte er leichthin. „So verdammt nüchtern zu sein, bringt nur Pech.“

Grenville wieherte vor Lachen, und Alderton stellte die Flasche vor ihn hin. Hugh zwang sich, einen Schluck zu trinken. Der Wein schmeckte bitter. Hugh machte gute Miene zum bösen Spiel, die Nacht war ruiniert, aber er musste wieder mit diesen Männern spielen, morgen oder übermorgen. Kein anderer konnte so viel Geld verlieren, wie er gewinnen musste. Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung und ging mit der Flasche in der Hand.

Verflucht und zugenäht. Am liebsten hätte er die Flasche aus dem Fenster geworfen. Was war bloß schiefgegangen? Er wanderte durch die Clubräume und spielte in Gedanken die letzte ruinöse Runde noch einmal durch, um herauszufinden, was er falsch gemacht hatte und konnte nichts finden. Ein anderer hatte jede einzelne seiner Karten übertrumpft. Gottverdammter Mist!

Er stieß den angehaltenen Atem langsam aus, darauf bedacht, sich seinen inneren Aufruhr nicht anmerken zu lassen. Er hätte nur noch einen einzigen Stich zum Gewinn gebraucht. Hätte Grenville nur die Königin gehabt und nicht den König, hätte Hugh jetzt dreizehntausend Pfund in der Tasche, mehr als genug für Ediths Mitgift. Stattdessen waren es nur Jetons im Wert von knapp zwölfhundert Pfund, nur zweihundert mehr als zu Beginn des Abends, um ein Vielfaches weniger, als er brauchte.

„Ein schwerer Verlust“, ließ sich eine Stimme hinter ihm vernehmen.

Hugh bemerkte, dass er den Durchgang zum großen Salon blockierte und trat beiseite. „Verzeihung, Sir.“

„Lassen Sie nur.“ Der Mann blieb stehen und sah Hugh verständnisvoll an. „Grenville ist ein gerissener Mistkerl.“

„Tatsächlich?“ Hugh brachte ein dünnes Lächeln zustande. „Ziemlich beeindruckend, sturzbetrunken und zugleich gerissen.“

„Deshalb ist er ja gerissen – er trinkt gar nicht so viel, wie man denkt.“ Der Fremde nickte der Flasche in Hughs Hand zu. „Hätten Sie Lust auf einen guten Tropfen?“

„Der einzige Gewinn, den ich heute Nacht einstecken konnte.“ Er hielt die Flasche hoch. „Vielleicht behalte ich sie.“

„Als Erinnerung an gute Zeiten?“ Sein Gegenüber nahm ihm die Flasche ab und stellte sie auf das Tablett eines vorbeieilenden Kellners. „George Alderton trinkt Pferdepisse. Trinken Sie ein gutes Glas mit mir. Wollen wir?“ Er wies auf die Clubsessel, die in einer Ecke standen.

Hugh straffte die Schultern, wachsam geworden. „Verzeihung, Sir. Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Sie kennenzulernen.“

„Cross“, sagte der Fremde. „Edward Cross zu Diensten, Lord Hastings.“

Hugh verneigte sich höflich. Dieser Cross hatte ihn absichtlich angesprochen, er wollte etwas von ihm, was in seiner momentanen Situation nichts Gutes bedeuten konnte.

Mit dem Anflug eines Lächelns deutete Cross erneut auf die Sitzecke. „Trinken wir ein Glas zusammen.“

Kopf hoch. Hugh nickte knapp und ging voran. Der Salon lag abseits der Spieltische. Hier konnten die Gäste speisen oder es sich in tiefen Clubsesseln bequem machen, um sich nach einem riskanten Hazardspiel zu entspannen. Wie alle Räume bei Vega glich dieser Salon eher einem eleganten Herrenclub als einer Spielhölle. Um diese Stunde, kurz nach drei Uhr morgens, hatte sich der Salon fast geleert.

Cross nahm neben Hugh Platz und bestellte bei einem wartenden Kellner eine Flasche französischen Port und zwei Gläser. Hugh streckte seine langen Beine aus, verschränkte die Hände vor der Brust und wartete darauf, dass Cross ausspuckte, was er auf dem Herzen hatte.

Er war sich ziemlich sicher, dass er dem Mann kein Geld schuldete. Der Name sagte ihm nichts.

Hatte Cross von seinen Schwierigkeiten gehört und witterte eine Gelegenheit? Hugh hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Er hatte von Männern wie Cross zwei Angebote für das hochverschuldete Herrenhaus Rosemere erhalten, die er zu seinem großen Bedauern ablehnen musste. Es waren sehr großzügige Angebote gewesen.

„Ich habe Ihr letztes Spiel verfolgt“, sagte Cross, nachdem der Port eingeschenkt war, und der Kellner sich zurückgezogen hatte.

Hugh ließ sein Glas kreisen. Es war ein vorzüglicher Port. Sein Vater hätte auf der Stelle mehrere Fässer davon gekauft. „Nicht sehr unterhaltsam, da Vega so viel mehr zu bieten hat.“

„Oh?“ Cross zeigte wieder diesen Anflug eines Lächelns. „Ich setze mich nie mit Grenville oder Alderton an den Spieltisch, freue mich aber diebisch, wenn sie verlieren.“

Grundgütiger. Von diebischer Freude wollte Hugh nichts hören. Er trank einen Schluck, der Wein benetzte seidig warm seine Kehle. „Zu meinem Bedauern konnte ich Ihnen keinen Anlass zur Schadenfreude geben.“

Cross ließ ein verhaltenes Lachen hören. „Sie spielen gut.“

Nicht gut genug, nicht heute Nacht. Hugh bemühte sich um ein ironisches Lächeln. „Ich dachte, Sie hätten mein Spiel verfolgt.“

„Das habe ich“, antwortete Cross, keineswegs gekränkt. „Gegen Grenville haben schon viele Männer verloren. Sie hingegen …“ Er sah ihn mit seitlich geneigtem Kopf sinnend an. „Sie haben einen kühlen Kopf bewahrt und gut gespielt.“

„Und am Ende verloren.“ Hugh betrachtete sein Glas. „Wenn ich gut spiele, verliere ich nicht.“

„Ist das so?“, murmelte Cross und füllte beide Gläser nach, obwohl Hugh kaum getrunken hatte. „Sie haben Haltung bewahrt.“

„Über meinen Verlust?“ Hughs künstliches Lächeln begann zu schmerzen. Er hatte das merkwürdige Gefühl, dass Cross beeindruckt war. Aber wieso? Irgendetwas stimmte nicht; der Mann wirkte ehrgeizig, einer, der nicht gerne verlor. Sein volles dunkles Haar war an den Schläfen ergraut, aber er war ein Mann in den besten Jahren, sehnig und körperlich gestählt, seine Gesichtsfarbe leicht gebräunt. Mit Sicherheit ein reicher Kaufmann im maßgeschneiderten Gehrock, der es nicht nötig hatte, mit seinem Vermögen zu prahlen.

„Ja, den Verlust“, antwortete Cross. „Nicht jeder Mann kann damit umgehen.“

„Ein Gentleman steckt Verluste ebenso weg wie Gewinne: mit Anstand, das ist er seinem Rang und seinem Ruf schuldig.“ Diese Worte hatte sein Vater gerne benutzt. Hugh verspürte den ätzenden Geschmack des Verrats im Mund, als er sie wiederholte.

„Die meisten Menschen halten sich nicht daran, egal ob adelig oder nicht. Das sagt wohl einiges aus über Würde und Ehre.“

Vielleicht lag es aber auch an der Tatsache, dass sein Verlust ein schmerzhafter Dolchstoß in die Eingeweide war, der zur schwärenden Wunde wurde, wenn er nicht durch Gewinne wettgemacht wurde. Möglicherweise bedeutete es diesem Cross nichts, wenn ihm zwölftausend Pfund durch die Finger rannen, aber Hugh fühlte sich wie ein zum Tode Verurteilter, dessen Hinrichtung bedrohlich näher rückte, und die Hoffnung auf Begnadigung schwand.

So konnte es nicht mehr lange weitergehen. Vielleicht sollte er den Spieltischen den Rücken kehren und sich darauf konzentrieren, eine reiche Braut zu finden. Er hatte gehofft, wenigstens Edith unter die Haube zu bringen, bevor er diesen Schritt in Erwägung zog. Henrietta konnte noch ein Jahr warten, aber Edith hatte einen Verehrer, den ältesten Sohn von Viscount Livingston. Er schickte ihr Blumen und machte ihr zweimal in der Woche seine Aufwartung; Edith errötete jedes Mal, wenn sie seiner ansichtig wurde. Hugh lebte in der ständigen Furcht, der junge Mann würde demnächst bei ihm um ihre Hand anhalten. Dann musste er nämlich das ganze Ausmaß der Verschwendungssucht seines Vaters gestehen. Joshua hatte seinen Töchtern gerne gesagt, er sehe in jeder eine künftige Duchess und damit zu verstehen gegeben, beide hätten eine stattliche Mitgift zu erwarten. Hugh scheute sich, ihnen zu sagen, dass dafür nie Geld beiseitegelegt worden war, stattdessen wurde ein neuer Gebäudeflügel an Rosemere House angebaut und mit erlesenem Mobiliar ausgestattet.

„Ich muss gestehen, es ist erbaulicher, Gewinne einzustreichen, als Verluste hinzunehmen“, sagte er schließlich als Entgegnung auf die Bemerkung seines Gegenübers. „Würde und Haltung bewahrt man bei Erfolg müheloser.“

„Wohl wahr. Aber alles, was man tut, birgt ein Risiko. Jedes Unterfangen kann scheitern oder gelingen.“

Hugh nickte. Worauf wollte Cross hinaus?

„Sie sind eine seltene Ausnahme“, fuhr Cross fort. Und Hugh wandte sich ihm verblüfft zu.

„Inwiefern?“, fragte er, wachsam und argwöhnisch geworden.

Cross lächelte. „Ein Mann, der Haltung bewahrt, gefällt mir.“

Eine Sekunde lang dachte Hugh, der Mann wüsste über ihn Bescheid – etwas in seinem gedehnten Tonfall machte ihn stutzig. Sein Herzschlag geriet ins Stolpern, hatte er sich doch sorgsam darum bemüht, seine Situation geheim zu halten. Nur seine Rechtsanwälte kannten das ganze Ausmaß, und selbst ihnen gegenüber hatte er eine Pose aristokratischer Indifferenz in finanziellen Belangen eingenommen. Ihm war klar, dass er nicht als einziger Adeliger in London auf einem Schuldenberg saß. Wer allerdings das geringste Anzeichen von Sorge oder Furcht erkennen ließ, lockte die Wölfe an, die ihn zerfleischten.

Nein, Cross konnte unmöglich Bescheid wissen. Hughs Herzschlag beruhigte sich wieder, aber der Schaden war angerichtet. Er hatte einen großen Verlust zu verbuchen und keine Lust, darüber zu reden. Was immer Cross von ihm wollte, er zögerte zu lange, um zum Punkt zu kommen. Hugh leerte sein Glas und stellte es ab. „Danke für den Port, Sir, aber für mich ist es Zeit, zu gehen.“

„Es war mir ein Vergnügen, Mylord.“ Cross erhob sich zum Abschied mit einer Verneigung. „Vielleicht treffen wir uns wieder.“

Hugh lächelte dünn. „Vielleicht.“ Und er nahm sich vor, sich nie mit Cross an einen Tisch zu setzen. „Gute Nacht.“

3. KAPITEL

Hätte man Eliza gewarnt, dass etwas Bedeutungsvolles in ihrem Leben geschehen würde, hätte sie ein hübscheres Kleid angezogen.

Stattdessen trug sie ein verwaschenes, drei Jahre altes Musselinkleid und ein Kopftuch. Willy hatte sich in einem stinkenden Haufen gewälzt und musste gebadet werden. Willy war wasserscheu. Als er beobachtete, wie Eliza die große Kupferwanne unter dem Holztisch in der Waschküche hervorzog, verkroch er sich unter der Anrichte in der Speisekammer und musste an den Hinterpfoten hervorgezogen werden. Mit eingekniffenem Schwanz ließ er sich widerwillig von Eliza in das warme Wasser setzen.

„Wenn du nicht in Küchenabfällen wühlen würdest, müsste ich dich nicht baden“, schalt Eliza naserümpfend und seifte sein verklebtes, übel riechendes Fell ein. Willy ließ die Ohren hängen, als das Stubenmädchen sauberes Wasser über ihn goss und zappelte in Elizas Armen wild um sich.

„Mach die Tür auf, Louisa!“, rief Eliza der Küchenmagd keuchend zu, die den nassen, zappelnden Hund festhielt. „Ich bring ihn in den Garten zum Trocknen.“

Das Mädchen machte die Tür zum Küchengarten auf. Eliza hob Willy aus der Wanne und drückte ihn sich fest an die Brust. Der Hund war nicht schwer, aber ein zappelndes Muskelpaket und nass und glitschig wie ein Otter.

Natürlich versuchte er wieder, sich zu befreien, strampelte mit allen vieren und kratzte sie mit einer Vorderpfote am Kinn. „Autsch! Willy … halt still!“ Sie drückte ihn fester an sich, aber diesmal rutschte er ihr endgültig durch die Finger. „Willy … Willy, nein, böser Hund!“

Der Hund suchte das Weite, flüchtete sich unter den Waschtrog und warf klappernd einen Blecheimer um. Louisa, die dumme Gans, floh unter lautem Gekreische vor der vermeintlich wilden Bestie und stieß dabei versehentlich die Tür zum Küchengarten zu. Willy schlitterte auf nassen Pfoten mit voller Wucht gegen die geschlossene Tür, überschlug sich und rollte zur Seite. Eliza erstarrte vor Schreck, aber Willy war im Nu wieder auf den Beinen und flitzte los. Der arme Hund war angsterfüllt und wahrscheinlich verletzt. Eliza rannte los, um die Tür zum Garten wieder aufzumachen.

„Was soll dieser Lärm?“ Die Köchin riss die Tür zur Küche auf. „Louisa, was hast du hier zu suchen?“

„Nein!“, schrie Eliza. Willy sauste knapp an der Köchin vor, die ihrerseits vor Schreck aufschrie. Willy konnte eine Menge Unheil in der Küche anrichten, wenn er verfolgt wurde. Und Willy wurde oft verfolgt.

Die Köchin lehnte verdattert an der Wand, als Eliza an ihr vorbeihastete. „Tür zu!“, rief sie einem verblüfften Diener mit einem Stapel Teller in den Armen zu. Verzweifelt warf sie die Arme hoch, als Willy gegen die Schwingtür sprang und der Küche entkam.

Eliza zerrte sich das Tuch vom Kopf. „Bring mir ein Handtuch, Louisa!“, rief sie, raffte die Röcke und rannte hinter ihrem Hund her. Papa würde sehr ärgerlich sein. Sie hoffte, er war außer Haus oder in seinem Arbeitszimmer.

Als sie in die große Eingangshalle stürmte, kaum zwei Schritte hinter Willy, bot sich ihr ein fürchterlicher Anblick. Nicht Papa, viel schlimmer, ein Besucher, ein Fremder, den sie nie zuvor gesehen hatte, war im Begriff, dem Butler seinen Hut zu reichen und blickte verblüfft auf, als Willy ihm schwanzwedelnd entgegensauste. Willy liebte Menschen, besonders neue Menschen. Er sprang sie fröhlich an und leckte ihnen die Hände. Es war schon vorgekommen, dass er eine baumelnde Taschenuhr oder ein Einstecktuch von einem ahnungslosen Opfer erbeutet hatte. Auch waren seine Zähne ziemlich spitz, und er neigte dazu, kleine Löcher in Kleidungsstücke zu beißen, derer er habhaft werden konnte.

„Willy!“ Eliza stürzte sich auf ihren Hund. Papa wäre gar nicht erfreut, wenn Willy einem Gast einen Handschuh mopste oder ihm den Gehrock zerfetzte. „Sitz!“

Das ungehorsame Tier entwischte flink ihrem Zugriff, blieb in knapper Entfernung stehen und schüttelte sich ausgiebig mit schlackernden Ohren. Der Gentleman wich mit einem Satz zur Seite, um dem Sprühregen aus dem nassen Hundefell zu entgehen. „Willy, sitz!“, befahl sie streng und näherte sich ihm. Aus den Augenwinkeln nahm sie Louisa wahr, die sich ängstlich mit einem Handtuch im Arm an den Türstock drängte. Vielleicht, wenn sie Glück hatte, hielt der Gentleman auch sie für eine Magd.

Willy beäugte sie aufmerksam mit geneigtem Kopf.

Eliza näherte sich ihm langsam, ohne den Blick von ihm zu wenden. Bleib, wo du bist, befahl sie stumm, wagte nicht, den Besucher anzusehen.

„Wenn Sie gestatten, Miss Cross“, sagte der Butler. Beim Klang seiner Stimme machte Willy einen Satz und rannte dem Besucher wieder begeistert entgegen.

Eliza stürmte mit einem Laut des Entsetzens los, bekam Willy zu fassen, verlor das Gleichgewicht, fiel auf die Knie und wurde von ihrem heißgeliebten Hund unter den großen runden Tisch in der Mitte der Halle gezerrt. Willy versuchte, sich wieder zu befreien, aber sie umklammerte ihn fest, bis er den Kampf aufgab und ihr freudig das Gesicht zu lecken begann.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte eine Stimme.

Eliza schob Willys nasse Schnauze von sich, als der Besucher sich mit besorgtem Blick unter den Tisch beugte. Sich ihrer entwürdigenden Position bewusst, durchflutete sie eine heiße Woge der Scham. „Ja, durchaus“, murmelte sie und kroch unter dem Tisch hervor, ihren nassen Hund an die Brust gepresst.

Der Fremde furchte zweifelnd die Stirn und streckte ihr eine Hand entgegen. „Welch ein Glück.“

Ihr blieb keine Wahl, als sich von ihm helfen zu lassen. Er zog sie, ungeachtet des zappelnden Hundes, mühelos auf die Füße. Die Berührung seiner Hand hinterließ ein warmes Prickeln auf ihrer Haut. Ihr wurde peinlich bewusst, wie eklig ihre glitschige Hand sich anfühlen musste. „Danke, Sir.“ Atemlos wischte sie sich eine feuchte Haarsträhne hinters Ohr. „Bitte seien Sie nachsichtig mit Willy. Er ist sehr … temperamentvoll. Aber harmlos!“

Der Blick des Fremden wanderte von ihr zu Willy, der sich wieder den Hals nach ihm verrenkte. Natürlich nur, um ihn freundlich zu beschnuppern, was der Fremde allerdings nicht wissen konnte. Der Gentleman straffte die Schultern und entfernte sich ein wenig, während Eliza die Arme um Willy schlang.

„Freut mich, zu hören“, sagte er. Eine schöne Stimme, melodisch tief und eindeutig Oberschicht; ein vornehmer Akzent, der ihm in die Wiege gelegt worden war. Dazu passte seine Erscheinung: hochgewachsen, elegant gekleidet und umwerfend gut aussehend. Dunkles, aus der Stirn gekämmtes Haar, das sich im Nacken kringelte. Markante Gesichtszüge, und obgleich er nicht lächelte, ließ der feine Faltenkranz um seine Augen darauf schließen, dass er gerne lächelte.

Aber der Ausdruck in seinen Augen machte ihr deutlich bewusst, wie zerzaust und schmuddelig sie aussah, mit ihrem Hund an die durchnässte Schürze gepresst. Seine Augen blickten freundlich, neugierig und ein wenig belustigt. Sie wusste, was dieses leichte Stirnrunzeln bedeutete. Er machte sich innerlich lustig über diese chaotische Szene, die sie ihm bot.

Und in ihrer namenlosen Verlegenheit machte Eliza das, was sie immer machte in Gegenwart eines attraktiven Mannes. Die Zunge klebte ihr am Gaumen, ihr Gesicht wurde flammend rot, und sie kicherte unsicher. Sie hätte sich vorstellen müssen. Sich entschuldigen. Etwas Geistreiches sagen oder wenigstens etwas Höfliches. Stattdessen starrte sie ihn an, geriet mit jeder Sekunde in tiefere Verlegenheit.

„Eliza.“ Papas Stimme klang scharf. „Was geht hier vor?“

Du liebe Güte. Sie riss den Blick von dem geheimnisvollen Fremden los. Papa stand auf dem Treppenabsatz mit Missbilligung im Blick. „Willy ist mir nach seinem Bad entwischt.“

Papa starrte den Hund finster an. Willys Schwanz klopfte gegen Elizas Hüfte, er fiepte erfreut bei Papas Anblick, der ihm gelegentlich gebratenen Speck zusteckte. „Lord Hastings, meine Tochter Elizabeth. Eliza, der Earl of Hastings.“

Ein Earl. Beschämt machte Eliza einen linkischen Knicks. „Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mylord“, murmelte sie.

„Miss Cross.“ Der Besucher verneigte sich. Der belustigte Glanz in seinen Augen war verschwunden.

„Ich bringe Willy in den Garten“, sagte sie. „Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Sir.“ Beim Versuch, noch einmal zu knicksen, drohte ihr Willy, wieder zu entwischen. Rasch festigte sie ihren Griff und eilte schnell davon. Louisa sprang ihr aus ihrem Versteck hinter der Tür mit dem Handtuch in den ausgestreckten Händen entgegen. Eliza starrte sie grundlos verärgert an. Louisa konnte nichts dafür, dass der Hund gerne Wettrennen veranstaltete. Sie konnte auch nichts dafür, dass die Köchin im falschen Moment die Küchentür geöffnet hatte. Es war allein Willys Schuld, und als Folge davon war sie einem gut aussehenden, freundlichen Gentleman begegnet … im Dienstbotenkleid, nach nassem Hund riechend.

Pech gehabt!, dachte sie, während Louisa das Handtuch um Willy wickelte. Und zu allem Überfluss war nun Papa auch noch böse auf sie, weil sie Willy im Haus herumlaufen ließ. „Böser Hund“, flüsterte sie ihm ins Ohr und ging mit ihm durch die Küche. Willy ließ die Ohren hängen, aber sobald sie ihn im Garten absetzte, jagte er mit freudigem Gebell einem Vogel hinterher.

„Tut mir leid, Miss“, meldete Louisa sich schüchtern zu Wort. „Ich war nicht darauf gefasst, dass er so schnell rennt.“

Eliza rang sich ein Lächeln ab. „In Zukunft machst du die Tür zu und erschrickst nicht, wenn er übermütig lossaust. Er tut dir nichts.“

Das Mädchen lächelte zaghaft und machte einen Knicks. „Nein, Madam.“

Plötzlich begriff Eliza. Louisa war erst vierzehn, ein halbes Kind noch. „Hast du Angst vor Hunden, Louisa?“

Sie bekam große Augen. „Nein, Miss“, antwortete sie mit dünner Stimme. „Nur ein wenig.“

Eliza tätschelte ihr aufmunternd die Schulter. „Keine Sorge. Wollen wir versuchen, dir die Angst vor Willy zu nehmen?“

Errötend nickte das Mädchen. Die Stimme der Köchin drang zu ihnen. Sie rief Louisa streng zu sich, um Töpfe zu spülen, und Louisa rannte los. Eliza hängte die durchnässte Schürze an einen Haken hinter der Tür, stellte die Seifenschale ins Regal und schob die Kupferwanne unter den Waschtisch, die schon jemand geleert und gesäubert hatte.

Als Willy an der Tür bellte und reingelassen werden wollte, rieb sie ihn mit dem Handtuch ab, bis ihm das Fell glänzend in alle Richtungen stand und ihm ein wuschelig verwegenes Aussehen gab. „Trotzdem bist du ein böser Hund“, schalt sie liebevoll und er leckte ihr zur Entschuldigung das Gesicht.

Autor

Caroline Linden

Caroline Linden studierte Mathematik in Harvard und arbeitete als Programmiererin, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und gewannen zahlreiche Preise, unter anderem den Daphne-du-Maurier- und den renommierten RITA-Award. Die Autorin lebt in Neuengland.

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