Ein Held zum Verlieben

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Hilfe! Auf einer Weide werden Charlotte Franklin und ihre kleine Tochter von einem wütenden Stier überrascht. In letzter Sekunde kann der Polizist Jack Hanna die beiden retten. Weil sein Wagen dabei Schaden nimmt, lädt Charlotte ihren gut aussehenden Retter zu sich nach Hause ein. Als Jacks Hilfe in einem Entführungsfall gebraucht wird, verlängert sich sein Aufenthalt. Und schon bald geraten Charlottes Gefühle durcheinander: Fühlt sie sich aus Dankbarkeit zu Jack hingezogen - oder ist da mehr? Haben sie eine Zukunft? Denn sie spürt, dass Jack etwas aus seiner Vergangenheit belastet …


  • Erscheinungstag 01.09.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783862787012
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Sala

Ein Held zum Verlieben

Roman

Übersetzung aus dem Amerikanischen von

Kris Amegee

MIRA® TASCHENBUCH

Band 55632

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

A Place To Call Home

Copyright © 1999 by Sharon Sala

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises, S.A., Schweiz

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN epub 978-3-86278-701-2

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

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1. KAPITEL

„Was zum Teufel ist los mit Ihnen, Hanna? So geht das nicht weiter!“

Detektive Jack Hanna warf seinem Vorgesetzten einen entnervten Blick zu, doch Roger Shaw ließ sich nicht abbringen. „Sie brauchen mich gar nicht so anzuschauen. Es ist mir verdammt ernst.“

Aber Jack war schon wieder ganz woanders mit seinen Gedanken. Er stand auf und ging zur Tür. Shaw war kurz davor, die Fassung zu verlieren. „Das Gespräch ist noch nicht beendet! Setzen Sie sich sofort wieder hin. Das ist ein Befehl!“

Jack seufzte resigniert. Einem direkten Befehl seines Captains konnte er sich nicht widersetzen. Er lief zurück zu seinem Stuhl, setzte sich wieder und starrte vor sich hin. Die Gedanken kreisten wild in seinem Kopf umher. Warum nur hatte er das Gefühl, sein Leben, die Dinge um sich herum nicht mehr im Griff zu haben? Er atmete hörbar aus.

„Was denn noch – Sir?“

Shaw holte tief Luft und steckte sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund, um nicht loszubrüllen. Er spürte bereits, wie sein Blutdruck gefährlich stieg. Polizeichef von Tulsa zu sein, war schon anstrengend genug. Aber dieser Sturkopf von Hanna machte das Maß voll.

„Hören Sie, Hanna, ich meine es ernst. Wir sind hier bei der Sitte, und bei der Sitte arbeitet man verdammt noch mal im Team. Sie können nicht ständig den unbesiegbaren Einzelgänger spielen. Benutzen Sie Ihr Funkgerät. Fordern Sie Unterstützung an. Arbeiten Sie mit Ihrem Partner zusammen. Dafür ist er doch da.“

Jacks Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Mein Partner ist tot“, sagte er kurz angebunden.

Shaw fuhr sich entnervt durch das schüttere Haar. Er hatte ihm vor mehr als einem Monat einen neuen Partner zugeteilt, aber Jack weigerte sich vehement, ihn zu akzeptieren.

„Glauben Sie im Ernst, dass es für uns einfach ist, Dan Mayers so verloren zu haben, wie es der Fall war? Alle hier haben Dan gemocht. Aber das Leben geht weiter, Jack. So ist das leider nun mal. David Sanger ist jetzt Ihr Partner, und als solchen werden Sie ihn auch akzeptieren!“

Jack schien wie durch ihn hindurchzusehen und antwortete nicht. Natürlich war ihm bewusst, dass alle hier bei der Polizei um Dan trauerten. Aber sie wussten nicht, dass die Kugel, die Mayers getötet hatte, eigentlich für Jack bestimmt gewesen war. Jack war sich nicht sicher, ob er jemals darüber hinwegkommen würde, seinen Partner nur drei Tage vor dessen Pensionierung auf diese tragische Weise verloren zu haben. Seit jenem unheilvollen Tag hatte er keine Nacht mehr richtig geschlafen.

Shaw musterte Jacks unbewegliches Gesicht. Wenn er doch nur zu dem Mann durchdringen könnte! Er seufzte und versuchte es dann auf andere Weise.

„Hanna, Sie wissen genau, dass die Vorschriften dazu da sind, die Sicherheit aller Kollegen zu garantieren. Ich möchte nicht noch einmal auf eine Beerdigung gehen. In diesem Falle meine ich Ihre.“

Jack brummelte vor sich hin und Shaw glaubte zu hören, wie er so etwas wie „das würde doch sowieso niemanden kratzen“ sagte.

„Okay, jetzt reicht es!“ Shaw war außer sich. „Geben Sie mir Ihre Dienstmarke und Ihre Waffe. Sie sind ab sofort krankgeschrieben, bis Sie wieder klar denken können.“

Endlich hatte er Jacks Aufmerksamkeit. „Das können Sie nicht tun“, widersprach er. „Wir sind ganz nahe dran, Dans Mörder zu finden.“

Shaw wies mit dem Finger auf Jack. „Genau das meine ich ja“, brüllte er. „Der Fall Dan Myers ist Sache des Morddezernats. Wir sind hier bei der Sitte!“

Jack schluckte die Panik, die in ihm aufstieg, hinunter. Er konnte doch nicht einfach aufgeben. Wieso verstand Shaw ihn nicht?

„Hören Sie, Captain, Dan war mein Partner. Er hat eine Kugel eingefangen, die für …“

Shaw schüttelte den Kopf. „Sie haben gehört, was ich gesagt habe. Von dieser Sekunde an sind Sie krankgeschrieben. Sie werden sich ab morgen jeden Tag um neun Uhr bei Dr. Wilson einfinden und das genau so lange, bis er sie wieder für diensttauglich hält.“

Zum Seelenklempner der Polizei? Niemals. „Einen Teufel werd ich tun!“

Shaw lehnte sich weit über seinen Schreibtisch und funkelte Jack giftig an. „Das ist Ihre letzte Chance, Hanna. Sie brauchen hier nicht wieder zu erscheinen, bevor Dr. Wilson Ihnen nicht grünes Licht gegeben hat.“

Jack stand auf, warf seine Marke auf den Tisch, legte seinen Revolver daneben und ging ohne ein weiteres Wort zur Tür.

„Hanna …“

Jack blieb zwar stehen, drehte sich aber nicht wieder um. Shaw musste schon mit seiner Kehrseite vorlieb nehmen.

„Neun Uhr morgen früh.“

Jack verließ das Büro seines Chefs und knallte die Tür vielsagend hinter sich zu.

Shaw griff zum Hörer und wählte eine Nummer. Ungeduldig wartete er darauf, dass sich jemand meldete.

„Dr. Wilson, ich bin’s, Shaw. Ich habe Jack Hanna gerade Genesungsurlaub gegeben. Er wird morgen früh um neun in Ihrer Praxis erscheinen. Ja, im Augenblick steht er auf der Kippe. Ich weiß nicht, was genau da los ist, aber ich möchte, dass Sie den Kerl wieder in Ordnung bringen, bevor es zu spät ist und ich ihn auch noch verliere.“

Stan legte auf, lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Es war ihm nicht leicht gefallen, so hart mit Jack Hanna umzuspringen, denn er mochte den Mann nicht nur gern, er bewunderte ihn sogar. Natürlich war es für einen Polizisten verdammt schwer, wenn sein Partner getötet wurde. Shaw seufzte erleichtert auf. Zumindest hatte er jetzt alles eingeleitet, um Hanna zu helfen, darüber hinwegzukommen und wieder er selbst zu werden.

Doch für Jack war die Welt alles andere als in Ordnung. Jetzt, wo er quasi vom Dienst suspendiert war, wusste er nicht, was er mit sich anfangen sollte. Ziellos ließ er sich durch die Straßen von Tulsa treiben. In seine Wohnung wollte er nicht, sie war für ihn kein Zuhause, sondern nur ein Ort zum Schlafen, und dafür war es noch viel zu früh. Er lief an einer Bar vorbei und entschied sich, hineinzugehen.

Um diese frühe Zeit herrschte kaum Betrieb und Jack ließ sich auf einen der Barhocker gleiten. Entnervt fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Wie war es nur dazu gekommen, dass ihm sein Leben derart außer Kontrolle geraten war?

„Was darf’s sein?“, fragte der Barkeeper.

„Whiskey“, brummte Jack abwesend.

Der Barkeeper stellte ihm ein Schälchen mit Knabberzeug hin und machte sich daran, den Drink einzuschenken. Jack schob das Schälchen weg. Er wollte nicht essen, er wollte vergessen!

Als das Glas vor ihm stand, hob er es an die Lippen. Und genau in diesem Moment sah er sein Spiegelbild in dem Spiegel hinter der Bar. Doch es war ein seltsames Wiedererkennen. Statt den Mann zu sehen, der er war, erblickte er den kleinen Jungen, der er einst gewesen war. Sein Magen zog sich zusammen und das Herz tat ihm weh, als die Erinnerung in ihm hochstieg.

Der Brief seines Arbeitgebers brannte Joe Hanna in seiner Gesäßtasche wie glühende Kohle. Die Tatsache, dass er gefeuert worden war, hatte ihn vollends aus dem Gleichgewicht gebracht. Er war in die nächste Bar gestürzt und hatte sein letztes bisschen Geld dafür ausgegeben, seine Sorgen zu ertränken. Und jetzt hatte er nichts mehr, weder Arbeit noch Geld. Nur noch die kalte Wut darüber, dass ihm das Leben nichts als Enttäuschungen bescherte. Das Leben war ungerecht! Und es hatte ihm zu allem Übel auch noch einen zehnjährigen Sohn aufgebürdet, der ihm völlig egal war. Fluchend torkelte er nach Hause.

Als er endlich an seinem Haus angekommen war, packte ihn erneut die Wut. Da brannte ja nirgendwo Licht! Wenn der verflixte Junge noch nicht aus der Schule zurück war, würde er ihm das Fell schon über die Ohren ziehen. Joe war so betrunken, dass es ihm überhaupt nicht in den Sinn kam, dass sein Sohn schon seit mehr als sieben Stunden aus der Schule zurück sein musste. Er hatte auch nicht dafür gesorgt, dass irgendetwas Essbares für den Kleinen im Hause war. Joe empfand keinerlei Schuldgefühle darüber, dass er sich nicht um seinen Sohn kümmerte. Dank ihm hatte der Kleine immerhin ein Dach über dem Kopf, und das war mehr, als sein eigener Vater je für Joe getan hatte.

Er stolperte auf der Treppe und konnte sich gerade noch mit den Händen abfangen. Dabei fuhr ihm ein stechender Schmerz in die Hand. Fluchend kam er wieder auf die Beine, öffnete die Tür und wankte ins Haus. Dem Jungen würde er jetzt die Leviten lesen, der war doch sowieso an allem schuld. Joe knipste das Licht an.

„Junge, wo zum Teufel steckst du?“

Er bekam keine Antwort. Wütend polterte er in die Küche und stöberte im Küchenschrank herum, dort, wo er den Alkohol aufbewahrte. Er brauchte unbedingt was zu trinken. Aber die Flasche war verschwunden.

Außer sich vor Wut knallte er die Schranktür zu. „Ich warne dich, Jack Hanna! Du solltest lieber antworten! Was hast du, verdammt noch mal, mit meinem Whisky gemacht?“

Stille. Seine Wut steigerte sich ins Unermessliche. Er spürte, wie sein Magen anfing zu revoltieren und wie ihm schwindelig wurde. Doch bevor er sich hinlegen würde, wollte er es diesem verdammten Balg noch zeigen.

Während er durch die Zimmer schwankte, brüllte er immer wieder Jacks Namen und von Mal zu Mal wurde sein Ton bedrohlicher. Er knallte mit den Türen und warf eine Lampe auf den Boden, die klirrend zerbrach. Die Schande, gefeuert worden zu sein, gekoppelt mit dem Gefühl der Ohnmacht wegen seines frustrierenden Lebens, ließen seinen Hass auf den Jungen jede Sekunde stärker werden.

Er wankte zurück in die Küche. Und während er schwankend dastand, fiel ihm auf, dass die Kellertür nur angelehnt war. Ein eiskaltes hinterhältiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Er riss die Tür auf und brüllte Jacks Namen in die unter ihm liegende Dunkelheit.

Der Keller war feucht und strömte einen ekelerregenden Geruch von Dreck und Schimmel aus. An den Füßen des kleinen Jack Hanna huschte irgendetwas flink vorbei, und der Junge konnte einen entsetzten Aufschrei gerade noch unterdrücken. Doch er fürchtete die Dunkelheit weitaus weniger als den Mann, der jetzt auf dem Treppenabsatz stand. Seinen Vater.

„Jack – Jack, Junge, ich weiß, dass du da unten bist. Jetzt antworte mir, verdammt noch mal!“

Jack hielt den Atem an. Bloß keinen Laut von sich geben. Als sein Vater langsam die Treppe herunterpolterte, saß er völlig starr vor Angst da. Lieber Gott, bitte lass ihn mich nicht finden.

„Antworte gefälligst, du erbärmlicher Feigling! Ich weiß, dass du hier bist!“

Jack kniff die Augen fest zusammen und drückte sich ganz dicht an die Wand. Wenn er seinen Peiniger nicht sehen konnte, konnte der ihn auch nicht sehen, oder? Und manchmal funktionierte das sogar.

„Was hast du mit meinem Whisky gemacht, Junge? Ich verlange eine Antwort! Zwing mich nicht, erst nach dir zu suchen!“

Jack biss die Zähne zusammen, um nicht zu weinen. Er wollte ruhig bleiben. Auf keinen Fall durfte er jetzt in Panik geraten.

Joe fluchte leise und drückte auf den Lichtschalter. Doch es blieb dunkel. Er fluchte lauter, ahnte jedoch nicht, dass sein Sohn die Glühbirne herausgedreht hatte in der Hoffnung, dass er ihn dann nicht finden würde.

Jack rutschte ganz in das Eck hinein, machte sich so klein wie möglich und betete.

„Ich weiß, dass du hier unten bist“, flüsterte Joe heiser.

Jack schlug das Herz bis zum Halse, und der metallene Geschmack von Furcht machte sich in seinem Mund breit.

„Du kannst dich vor mir nicht verstecken. Komm schon raus und nimm deine Strafe entgegen wie ein Mann!“

Jack wurde übel. Bitte, Gott, wenn es dich gibt, dann bring mich fort von hier. Ich flehe dich an.

„Ha! Hab ich dich endlich!“ Joes Finger krallten sich in Jacks Nacken, und der Kleine wusste, dass er verspielt hatte. Aber noch gab er nicht auf. Er wehrte sich nach Kräften gegen den schmerzhaften Griff, versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Wenn er es bis zur Treppe schaffte, wäre er schon fast in Sicherheit. Sein Vater würde in Kürze umkippen und in einen tiefen Schlaf fallen. Das tat er immer, wenn er so betrunken war. Doch Joe schlug seinen Sohn mit geballter Faust brutal ins Gesicht und fluchte, als er sich dabei die Haut an Jacks Zähnen aufriss.

„Wage es nicht noch mal, mich zu beißen“, knurrte er erbost.

Jacks Lippe schwoll an. Er versuchte verzweifelt, von seinem Vater freizukommen. „Das wollte ich nicht, Daddy. Bestimmt nicht.“

„Lüg mich nicht an“, fuhr Joe ihn an und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. „Warum hast du nicht geantwortet, als ich dich gerufen habe? Und wo ist mein Whisky?“

Noch betäubt von dem Schlag fiel es Jack schwer, zu denken, ganz zu schweigen davon, zu antworten. Er konnte nur die Hände abwehrend vors Gesicht halten und versuchen, den weiteren Schlägen seines Vaters auszuweichen.

Joe hatte sich unterdessen so sehr in seinen Wahn hineingesteigert, dass er meinte, den Mann, der ihn gefeuert hatte, vor sich zu haben. Und er sah den Barkeeper, der ihm den letzten Drink verweigert hatte, und die Frau, die sich über ihn lustig gemacht hatte, als er aus der Bar herausgetorkelt war.

Der stechende Schmerz in seiner Hand, die er erneut zum Schlag erhoben hatte, drang in sein benebeltes Gehirn ein. Joe wurde schlecht. Er musste sich jetzt unbedingt hinlegen.

„Also“, murmelte er undeutlich und lehnte sich erschöpft an die Kellerwand, „lass dir das eine Lehre sein.“

Er hatte erwartet, dass der Junge sofort aus dem Keller rennen würde. Als er jedoch reglos stehen blieb, zuckte Joe gleichgültig die Achseln und hielt sich am Treppengeländer fest, um nicht zu fallen. Normalerweise rannte sein Sohn doch immer heulend davon, wenn er eine Tracht Prügel bekommen hatte. Diese Reglosigkeit wurde ihm jetzt doch unheimlich. „Du bist selbst schuld“, nuschelte er unbehaglich.

Jack holte langsam und behutsam Luft. Lieber würde er sterben, als seinen Vater wissen zu lassen, dass er ihm wehgetan hatte.

Joe sah zu, wie sich ein dicker Blutstropfen unter Jacks Nase bildete. Er wurde nervös. Wenn Jack morgen in diesem Zustand zur Schule ging, würden sich die Behörden vielleicht in sein Privatleben einmischen. Und Joe hatte zu viel zu verlieren, als dass er das zulassen würde.

Seine Frau war schon vor längerer Zeit gestorben, erschöpft von den Jahren an seiner Seite. Nur deshalb hatte er den Jungen allein auf dem Hals. Dennoch hatte der Kleine auch etwas Gutes: Bis zu dessen achtzehntem Lebensjahr gab es jeden Monat einen ordentlichen Scheck vom Sozialamt. Und genau dieses Geld brauchte Joe, um die Miete zu zahlen und sich mit ausreichend Bier zu versorgen.

Sogar im betrunkenen Zustand war ihm klar, dass er dieses Geld verlieren würde, wenn man ihm das Sorgerecht für seinen Sohn nahm. „Wage es ja nicht, zu deinen Lehrern zu laufen und zu petzen“, herrschte er das Kind an. „Die werden dir nämlich sowieso nicht helfen. Und weißt du auch, warum? Weil du Müll bist. Nichts anderes als Müll.“

Der Junge war doch nichts weiter als ein Weichling, ein Versager. „Ich bin müde. Ich gehe jetzt schlafen.“ Und damit stieg er die Treppe hinauf. Auf halbem Wege durchschnitt Jacks Stimme die Stille.

„Dad!“

Joe drehte sich um und blinzelte betrunken in das Halbdunkel. Sein Sohn war nur ein vager Schatten.

„Was willst du?“

„Vergiss nicht zu beten, bevor du ins Bett gehst.“

„Was soll der Quatsch?“

„Wenn du schläfst, werde ich dich umbringen.“

Das klang nicht wie eine Drohung, sondern wie eine Feststellung. Jacks Stimme war eiskalt. Und als er in den Lichtkreis trat, der aus der Küche in den Keller fiel, war der Hass, der auf seinem Gesicht geschrieben stand, so überwältigend, dass Joe instinktiv einen Schritt zurückwich. Er versuchte zu lachen. Jack war doch nichts weiter als ein kleiner Junge. Trotzdem packte ihn eine panische Angst. Er hastete hinauf in die Küche, sein Herz raste, der Magen zog sich zusammen. Joe schwankte gefährlich und er wusste, dass er gleich umkippen würde.

Wenn du schläfst, werde ich dich umbringen. Die Worte hallten in seinem Kopf. Er hörte Schritte auf der Kellertreppe, stürzte aus dem Haus, in den Garten und durch das Gebüsch hinaus auf die Straße. Eine aufgescheuchte Katze warf einen Mülleimer um, Joe stolperte dagegen, der Eimer schepperte, und der Nachbarhund bellte Alarm. Joe blieb kurz keuchend stehen und sah hinter sich. Hatte sich da nicht etwas bewegt? Ihm war, als würde sein Herz aussetzen. Er nahm die Beine in die Hand und versteckte sich schließlich im Stadtpark, wo er in einen tiefen Alkoholschlaf fiel.

Als die Behörden Jack dann einige Tage später abholten, fühlte sich Joe nur erleichtert. Und der Junge war froh, dass sein Vater endgültig aus seinem Leben verschwunden war. Er hatte keine Angst, ohne Familie aufzuwachsen – was ihn anging, so war er schon jahrelang allein gewesen. Er hatte zu Gott gebetet, dass er ihm helfe, aber nach dem, was im Keller geschehen war, war er überzeugt, dass auch Gott ihn verlassen hatte.

Ein lautes Klirren in der Bar ließ Jack zusammenfahren. Er blinzelte leicht desorientiert und betrachtete den Mann im Spiegel, der das Glas nur Zentimeter vom Mund entfernt hielt. Er schüttelte sich entsetzt. Er musste etwas ändern. Sofort. Sonst würde er noch wie der Mann werden, den er abgrundtief hasste.

Abrupt stellte er das Glas ab, ohne davon getrunken zu haben. Er warf etwas Geld auf den Tresen und trat entschlossen hinaus auf die Straße. Sein Chef hatte recht. Er spielte tatsächlich mit seinem Leben. Warum das so war, wusste er nicht, aber auf keinen Fall konnte er so weitermachen. Zumindest nicht, wenn er leben wollte.

Jack lief noch stundenlang ziellos durch die Straßen. Er überlegte, welche Möglichkeiten er hatte, um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Seine Miete war bis zum Ersten des nächsten Jahres bezahlt, und die Nebenkosten wurden direkt von seinem Konto abgebucht. Er war niemandem Rechenschaft schuldig, und er hatte keineswegs vor, sich im Alkohol zu verlieren. Also hatte er nur eine Chance, und die musste er wahrnehmen, bevor es zu spät war.

Captain Roger Shaws Zufriedenheit darüber, wie elegant er das Problem Jack Hanna gelöst hatte, war nur von kurzer Dauer. Um neun Uhr dreißig am nächsten Morgen rief ihn Dr. Wilson an, um ihm zu sagen, dass Jack nicht zu dem Termin erschienen war.

Verärgert rief Shaw bei Jack an, doch da war nur eine elektronische Ansage, die bekannt machte, dass es unter dieser Nummer keinen Anschluss mehr gab. Was war geschehen? Wo um alles in der Welt war Jack Hanna?

Ende August, Call City, Wyoming

Jack Hanna sah auf die Landkarte, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. Es war fast fünf Uhr nachmittags. Vielleicht sollte er nach einer Bleibe für die Nacht Ausschau halten. Er war verspannt und müde vom langen Fahren. Wenn er Glück hatte, würde er endlich einmal wieder traumlos schlafen können.

Als er über den Hügelkamm fuhr, sah er eine Bewegung auf der unter ihm liegenden Weide. Er hielt an und sah genauer hin. Ein kleines Mädchen, höchstens zwei Jahre alt, tapste durch das Gras. Ungefähr einhundert Meter von ihr entfernt lief eine junge Frau mit fliegenden Haaren auf sie zu, den Mund zu einem Schrei geöffnet. Von rechts raste ein riesiger schwarzer Stier auf die Kleine zu.

Ohne nachzudenken, trat Jack aufs Gas und raste mit quietschenden Reifen los, durch den Stacheldrahtzaun hindurch, auf die Weide. Er bemerkte nicht, wie sein Jeep einige Pfosten mitriss, sondern fuhr in absoluter Konzentration auf den langsam schwindenden Zwischenraum zwischen Stier und Kind zu.

Waschtage wie heute mochte die zweijährige Rachel Franklin besonders gerne. Sie liebte es, ihrer Mutter Charlotte dabei behilflich zu sein, die Wäsche aus dem Wäschekorb zu holen und zu sortieren. Und Charlotte – für die meisten nur Charlie – liebte die Kleine mehr als ihr Leben, aber an Tagen wie heute hätte sie es vorgezogen, für ein paar Minuten ohne ihre Tochter zu sein. Charlie hatte die Buntwäsche nun schon zum zweiten Mal aussortiert, und jedes Mal hatte Rachel das rote T-Shirt wieder in die Weißwäsche gesteckt. Charlie war sicher, dass ihr Bruder Wade nicht sehr angetan gewesen wäre, plötzlich rosarot gefärbte Unterwäsche zu haben.

„Rachel, gib mir das rote T-Shirt.“

Die Kleine hob das T-Shirt von dem Haufen auf und übergab es ihrer Mutter mit einem stolzen Lächeln. Sie strahlte so bezaubernd, dass Charlie die Wäsche, die sie im Arm hielt, fallen ließ, um stattdessen ihre kleine Tochter aufzuheben und fest an sich zu drücken. Zärtlich kitzelte sie die zarte Babyhaut hinter Rachels Ohr mit der Nasenspitze.

Rachel schrie lachend auf und warf Charlie die Arme um den Hals. „Meine Mummy“, sagte sie selig und drückte so fest es ihre kleinen Ärmchen zuließen.

Charlie war gerührt. Das Kind war ihr Leben. Es war das einzig Gute, das aus ihrer Liebe zu Pete Tucker, dem Nachbarsohn, entstanden war. Er hatte mit Charlies Gefühlen nur gespielt, und als sie im zweiten Monat schwanger war, hatte er sich vor der Verantwortung gedrückt und sie verlassen. Seine Karriere als Rodeoreiter war ihm wichtiger gewesen. Nur einen Monat vor Rachels Geburt war er von einem Stier getötet worden.

Charlie hatte seinen Tod nur deshalb betrauert, weil Rachel ohne Vater auf die Welt kommen würde. Ihre Liebe zu Pete Tucker war an dem Tag erloschen, als er einfach gegangen war und sie ihrem Schicksal überlassen hatte.

„Will runter“, meldete sich die Kleine.

Charlie seufzte und setzte das Kind ab. Rachel wurde immer unabhängiger. Liebevoll strich Charlie ihr über den reizenden Lockenkopf. „Geh und spiel in deinem Zimmer, Schätzchen. Mummy muss diese Sachen in die Maschine stecken, damit Onkel Wade saubere Wäsche hat.“

„Onkel Wade?“

„Ja, mein Kleines. Das sind Onkel Wades Sachen.“

Rachel tapste zufrieden davon. Abgesehen von ihrer Mutter war Wade Franklin der Mensch, den sie am meisten in ihr Herz geschlossen hatte.

Charlie machte sich wieder an die Arbeit. Es dauerte einige Zeit, bevor ihr auffiel, wie still es im Haus war. Sie machte sich auf die Suche nach ihrer kleinen Tochter, aber sie war nirgendwo im Haus zu finden. Da sah sie, dass die Verandatür geöffnet war. Leicht beunruhigt eilte sie nach draußen.

„Rachel, wo bist du?“

Keine Antwort. Charlotte vergeudete kostbare Minuten, um das Haus herumzulaufen und im Sandkasten nachzusehen, aber Rachel war wie vom Erdboden verschluckt. Jetzt war Charlie ernsthaft beunruhigt. Sie drehte sich suchend um und ließ den Blick über die Weide gleiten. Everett Tuckers schwarzer Stier hatte sich schon wieder auf ihre Weide verirrt. Und das nicht zum ersten Mal. Wade hatte deswegen schon heftigste Auseinandersetzungen mit dem Nachbarn gehabt, der sich vehement weigerte, seinen Zaun zu reparieren. Sekundenlang musterte sie den Stier. Etwas an seiner Haltung irritierte sie. Er stand da mit lauernd erhobenem Kopf, starr, der ganze massige Körper schien angespannt, wie bei einem Tier, das gerade einen Eindringling in seinem Revier entdeckt hat. Charlie folgte dem starren Blick des Tiers.

„Oh Gott, bitte, nein“, stöhnte sie entsetzt und raste los, gerade, als der Stier sich wütend in Bewegung setzte.

Einige Feldblumen in der kleinen Faust tapste Rachel fröhlich durch das Gras. Charlie rannte, wie sie noch nie im Leben gerannt war, sprang wie schwerelos über den Zaun und schrie verzweifelt Rachels Namen.

Sie sah nur noch den Lockenschopf der Kleinen. Da ertönte das gereizte Brüllen des Stiers. Charlie schrie so laut sie konnte, um den Stier von der Kleinen abzulenken. Vergebens. Ihr wurde bewusst, dass gleich ein entsetzliches Unglück passieren würde. Sie rannte um das Leben ihres Kindes.

Da raste plötzlich wie aus dem Nichts ein schwarzer Jeep herbei, schien förmlich über die Weide zu fliegen. Und in diesem Augenblick knickte Charlie um und stürzte zu Boden. Erde drang ihr in die Augen, ihr Bein schmerzte höllisch. Sie starrte voller Angst in die Richtung ihrer Tochter. Verschwommen sah sie, wie der Jeep knapp einen halben Meter von Rachel entfernt anhielt, die Tür geöffnet wurde, ein Mann sich herausbeugte und die Kleine in das Auto riss und die Tür schloss, nur Sekunden, bevor der Stier mit Getöse auf den Jeep prallte.

Jack war wie betäubt. Der Adrenalinschub, der ihn bis zu diesem Moment angetrieben hatte, verebbte und er fühlte sich schwach und zittrig. Der Stier attackierte den Kühler des Jeeps mit aller Macht und eine Dampfwolke zischte unter der Haube hervor. Aber das war Jack gleichgültig. Das Kind war in Sicherheit, was mit dem Wagen war, war letzten Endes völlig unwichtig.

Besorgt tastete er den kleinen Körper ab, um sich zu vergewissern, dass die Kleine tatsächlich unverletzt war.

Der Stier hatte sich noch nicht beruhigt. Gereizt stampfte und scharrte er. Nervös sah Jack zu der jungen Frau hin, die auf dem Boden kniete, und hoffte inständig, dass der Stier sie nicht entdecken würde und dass sein Jeep noch fahrtüchtig war.

„Na schön, Baby, lass uns deine Mummy einsammeln.“

„Mummy“, plapperte die Kleine und deutete mit dem zerrupften Blumenstrauß in Richtung ihrer Mutter.

Der Jeep spie zwar Dampfwolken, aber er fuhr an und ruckelte hinüber zu der jungen Frau. Mit Glück würde der Stier noch ein paar Momente bleiben, wo er war.

Charlie wagte kaum zu atmen aus lauter Angst, dass der Stier auf sie aufmerksam würde.

„Ganz ruhig, Lady“, ertönte plötzlich eine tiefe Stimme neben ihr. „Vorsichtig, ich helfe Ihnen.“

Charlies Stimme war ganz zittrig. „Mein Baby …“

„Es geht ihr gut“, versicherte ihr Jack. „Legen Sie die Arme um meinen Hals.“ Charlie tat instinktiv, wie ihr geheißen und ließ sich in den Wagen heben. Als sie dann auf den Beifahrersitz rutschte, stöhnte sie vor Schmerzen laut auf.

„Mummy“, freute sich Rachel und krabbelte eifrig auf Charlies Schoß, ganz so, als ob das, was gerade geschehen war, völlig alltäglich sei.

Dankbar schloss Charlie ihre Kleine in die Arme. Wenn der Fremde nicht gewesen wäre, hätte sie ihre Tochter verloren und wäre wahrscheinlich selbst auch umgekommen. Bei dem Gedanken stiegen ihr die Tränen in die Augen.

„Mummy weint?“ Verwundert berührte Rachel die Tränen, die Charlie über die Wangen liefen.

„Ja, Schätzchen, Mummy weint. Du hast mir Angst gemacht.“

„Hab dir Blumen gepflückt.“ Charlie nickte und lächelte zittrig.

„Es ist vorbei, Lady, Sie sind gleich zu Hause“, versuchte Jack die aufgewühlte Frau zu beruhigen. Er hatte inzwischen das Haus am Ende der Weide hinter der Umzäunung entdeckt.

2. KAPITEL

Das einstöckige weiße Wohnhaus war zwar alt, aber gepflegt. Um das Haus herum verlief eine überdachte Veranda und ein brauner Schornstein aus Mauersteinen erhob sich über der Nordseite des Daches. Jack stellte sich vor, wie anheimelnd es wäre, wenn an einem kalten Wintertag der Rauch in die Luft steigen würde.

Die Frau neben ihm weinte immer noch still vor sich hin. Der Jeep stotterte und ruckelte, aber sie schafften es noch bis vor das Haus. Jack stellte den Motor ab und musterte die Frau neben sich. Ihr Gesicht war schmutzig, ihre Knie bluteten, und als sie mit der Hand über das Lockenköpfchen der Kleinen strich, sah er, dass sie zitterte. Als erfahrener Polizist erkannte Jack, dass sie unter Schock stand. Es würde bestimmt nicht mehr lange dauern, bis sie zusammenbrach.

„Wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen ins Haus helfen. Danach müsste ich kurz einmal telefonieren, um den Abschleppdienst zu rufen.“

Erst jetzt wurde Charlie klar, was der Mann neben ihr alles riskiert hatte, um sie und ihr Kind zu retten. Sie nahm ihn zum ersten Mal richtig wahr. Er hatte blaue Augen, die so hell waren, dass sie fast durchsichtig schienen. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig, er hatte ein markantes Kinn und seine Nase war ein wenig schief, ganz so, als wäre sie einmal gebrochen gewesen. Auf der rechten Wange hatte er eine kleine Narbe.

„Bitte nennen Sie mich Charlie.“

Er lächelte. „Ich kannte mal einen Charlie, aber der war lange nicht so hübsch wie Sie.“

Das war genau die flapsige Bemerkung, die sie jetzt brauchte, um nicht zusammenzubrechen. „Das ist kurz für Charlotte. Charlotte Franklin.“

Jack bot ihr die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Kurz-für-Charlotte. Ich heiße Jack Hanna.“

Charlie gab ihm nach kurzem Zögern die Hand und wies mit dem Kopf auf die Kühlerhaube. „Mr Hanna, es tut mir so leid, dass Ihr Wagen gelitten hat.“

„Bitte nennen Sie mich Jack. Hauptsache, Ihnen und dem Kind ist nichts passiert. Aber jetzt sollte ich Sie beide wirklich ins Haus bringen.“ Er nahm Rachel hoch und trug sie auf die Veranda. „Warte hier, Schatz. Ich muss Mummy helfen.“

Autor

Sharon Sala
Es war ein Job, den sie hasste, der sie dazu brachte, ihre ersten Zeilen auf einer alten Schreibmaschine zu verfassen und es war ihre Liebe zu diesem Handwerk, die sie schreiben ließ. Ihre ersten Schreibversuche landeten 1980 noch unter ihrem Bett. Ein zweiter Versuch folgte 1981 und erlitt ein ähnliches...
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