Ein Highlander und Gentleman

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1740: Diese verflixten Mitgiftjäger! Auf der Flucht vor ihnen zieht Daisy, Lady Chatwick, von London auf ihr Anwesen in die Highlands. Hier will die vermögende junge Witwe die Ankunft ihres Jugendfreundes abwarten, um mit ihm eine Vernunftehe einzugehen. Doch als sie ihrem Nachbarn Cailean, Laird of Attadale, begegnet, erwacht in ihrem Herzen eine nie gekannte sinnliche Sehnsucht. Wie mag es sein, Caileans kräftige Hände auf ihrem Körper zu spüren und in seinen starken Armen zu liegen? Der wilde Highlander ist für sie eine Verlockung, der sie unbedingt nachgeben muss! Daisy ahnt nichts von seinem Schwur, niemals eine Engländerin zu lieben …


  • Erscheinungstag 11.09.2018
  • Bandnummer 331
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734121
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Schottische Highlands 1742

Balhaire

Die Kutsche knarrte und schwankte, während sie eine Straße entlangfuhren, die beinahe nicht mehr passierbar war. Die Insassen schlitterten über die Bänke und dann wieder zurück in die Polster. Der junge Lord Chatwick war ganz grau im Gesicht geworden und lehnte teilnahmslos an der Wand.

„Mein armer Liebling“, säuselte seine Mutter Daisy, Lady Chatwick, und strich ihm dabei über das Haar.

„Ich habe von Anfang an gesagt, dass so eine aufreibende Reise das Kind krank machen wird. Wir können nur beten, dass er sich schnell wieder erholt.“

Diese ausgesprochen zuversichtliche Bemerkung kam von Daisys Cousine, Miss Belinda Hainsworth.

„Mir geht es gut, solange sich die Kutsche nicht bewegt“, stöhnte Ellis.

„Mein lieber Junge, das kommt dir nur so vor“, sagte Belinda mit einem traurigen Lächeln, das zu sagen schien, Ellis’ Verstand habe unter der Reise gelitten und er wisse nicht einmal mehr, was er gerade fühlte. Sie warf Daisy einen Seitenblick zu. „Es ist noch nicht zu spät. Wir können immer noch umkehren und uns allen die ganze Sache ersparen!“

Zu spät? Es war allerdings zu spät! Sie waren schon seit einer Ewigkeit unterwegs, und bis zu ihrem Ziel waren es jetzt nur noch wenige Meilen. „Doch, es ist zu spät“, sagte Daisy und schloss die Augen.

Sie hatte das Gefühl, dass sie vor Wut und Erschöpfung jeden Augenblick explodieren und dabei in eine Million Stücke zerspringen könnte. Die ganze Reise dauerte nun schon drei Wochen. Sie waren zunächst von London bis nach Liverpool gefahren, von dort aus hatten sie mit dem Schiff die raue See bis nach Schottland überquert, und seitdem ratterten sie unerbittlich an Hütten aus Torf und Lehm vorbei, vor denen Leute in seltsamen Kleidern standen, die klein gewachsenes Vieh und kläffende Hunde dabeihatten. So ging es Meile um Meile durch unbewohnte Gegenden, während ihrem kleinen Sohn vom Schaukeln der Kutsche übel wurde und sie keine Gesellschaft hatte außer ihrer ständig niedergeschlagenen Cousine. Außerdem gab es keine Möglichkeit für sie, sich auszuruhen, außer hin und wieder ein ärmliches Gasthaus.

Es war wirklich eine furchtbare Reise.

„Du wirkst gereizt, Daisy.“

Daisy öffnete die Augen; Belinda hatte den Kopf zur Seite gelegt und musterte sie neugierig. „Das bin ich auch. Ich habe die Fahrt in dieser Kutsche so was von satt“, meinte Daisy aufgebracht. „Und es wird eine echte Erleichterung sein, wenn ich endlich einmal dieses verfluchte Mieder ablegen kann.“ Sie presste sich eine Hand an den Brustkorb und seufzte tief, denn sie konnte spüren, wie sich die Stäbe ihres Korsetts in ihre Rippen bohrten.

Im selben Augenblick geriet die Kutsche heftig ins Schwanken und sank so weit nach rechts, dass das Korsett sich Daisy noch tiefer in den Brustkorb drückte. Mit einem dumpfen Laut landete ihr Sohn auf ihr, und Belinda wurde gegen die Wand der Kutsche geschleudert, sodass sie vor Schreck laut aufschrie.

„Um Himmels willen“, sagte Daisy atemlos.

„Madam!“, rief jemand von draußen; dann wurde die Tür der Kutsche geöffnet. „Sind Sie verletzt?“

„Es geht uns gut. War das ein Rad?“

„Allerdings“, sagte ihr Begleiter, Sir Nevis, und hob dabei ihren Sohn aus der Kutsche.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Belinda und kroch dabei vorsichtig rückwärts ins Freie. „Wir haben kein Werkzeug dabei, um den Schaden zu reparieren. Wir müssen wohl hier an Ort und Stelle kampieren!“

„Wir versuchen es erst einmal mit einer Reparatur“, entgegnete Sir Nevis und streckte dabei die Hand aus, um Daisy beim Aussteigen zu helfen.

Vorsichtig setzte sie ihre Füße auf festen Boden und rückte ihr Korsett zurecht, so gut sie konnte, ohne dazu das Kleid ausziehen zu müssen. Am liebsten hätte sie sich das verdammte Ding vom Leib gerissen. Doch stattdessen trat sie neben Sir Nevis, um sich die Bescherung anzusehen. Eine Speiche war gebrochen, und das Rad war verbogen. Der Kutscher und sein Gehilfe waren sofort dabei, die Pferde aus dem Geschirr zu befreien.

„Wir müssen die Kutsche hochstemmen, damit das Rad nicht ganz durchbricht“, erklärte Sir Nevis. Er sah die drei Männer an, die sie im Hafen angeheuert hatten, damit sie sie nach Auchenard begleiteten. Sie waren Gordons, hatte er gesagt. Das war ein einflussreicher Clan, hatte er hinzugefügt. Daisy hatte keine Ahnung, wie einflussreich die Gordons sein mochten, aber der Anblick dieser drei hatte ihr von Anfang an nicht gefallen. Sie waren dünn wie Schilfrohr, ihre Kleider waren abgetragen und schmutzig, und sie betrachteten sie mit einem Blick, wie ihn kleine Jungen haben, wenn sie die Süßigkeiten in der Auslage eines Geschäfts anstarren. Sie waren dem Whisky sehr zugetan, und falls einer von ihnen Englisch sprach, hätte sie das nicht mit Sicherheit sagen können, denn sie gaben kaum ein Wort von sich. Wenn sie einmal sprachen, dann mit so starkem Akzent, dass Daisy kein Wort verstehen konnte. Jetzt standen sie an der Seite und betrachteten das Rad mit der gebrochenen Speiche voller Abscheu.

„Madam, vielleicht könnten Sie und Seine Lordschaft sich dort drüben bei den Bäumen unterstellen“, meinte Sir Nevis und deutete mit einem Nicken auf einen kleinen Unterstand ein paar Meter von der Kutsche entfernt. „Das hier dürfte sicher eine Weile dauern.“

Dürfte? Daisy seufzte erschöpft. Das hier war nicht ihre erste Reise mit einer Kutsche, und wenn sie die Lage richtig einschätzte, dann würde sie das hier wahrscheinlich den ganzen Tag kosten. Sie sah sich um. Es war ein sonniger Tag, die Luft war unangenehm warm. Selbst der Federschmuck ihrer Kutsche schien verwelkt zu sein. Es gab hier keine Zuflucht für sie. Hier war meilenweit, so weit das Auge reichte, nichts anderes als menschenleere Hügellandschaft und Schwärme von Mücken.

Ellis beugte sich vor, um einen Felsen in Augenschein zu nehmen. Zumindest hatte er jetzt wieder ein wenig Farbe im Gesicht; dafür war sie schon dankbar. „Schau, Mama“, sagte er und hielt einen Stein hoch. „Das ist ein Pyrit.“

„Wirklich?“, fragte sie und beugte sich über den Stein, der gelblich glänzte. „Du hast recht“, stimmte sie ihm zu, obwohl sie keinen blassen Schimmer hatte, was das für ein Gestein sein konnte. Sie sah sich über ihre Schulter hinweg nach ihrem Gefolge um – drei Dienstboten und ein Hauslehrer; Sir Nevis und sein Diener, Mr. Bellows, der sie von London aus hierherbegleitet hatte, standen neben den beiden Kutschern. Mr. Green kümmerte sich um die beiden offenen Wagen, die mit Kisten und Koffern beladen waren, in denen sich ihre Habe befand. Mrs. Greene und das Hausmädchen fuhren in einer kleineren Kutsche hinter ihnen her.

Es kam ihr so vor, als ob sie einen Trupp fahrendes Volk durch die Highlands führen müsste.

Drüben am See bewegte sich etwas, und Daisy bemerkte, dass die Gordons dort am Ufer zusammenstanden. Aber natürlich sollten die armen Kerle baden gehen. Vielleicht konnten sie sich etwas von dem ganzen Schmutz abwaschen, während ihre Leute sich in der sengenden Sonne mit dem Rad abmühten. Wie viel hatte sie diesem Trio von Halunken noch bezahlt?

„Hoffentlich werden wir nicht tatsächlich gezwungen sein, hier zu kampieren“, sagte Belinda und fächelte sich dabei Luft zu. „Wir finden hier doch weit und breit kein Dach über dem Kopf! Und dann sind wir Plünderern und Dieben völlig schutzlos ausgeliefert.“

„Belinda, um Gottes willen, hör schon auf“, bat Daisy matt. „Ich höre mir schon die ganze Zeit deine Klagen an, ich halte das nicht mehr aus. Wir können an unserer Lage jetzt überhaupt nichts mehr ändern. Wir sind nun einmal hier. Wir werden schon nicht sterben. Es wird uns nichts passieren. Es gibt hier auch keine Diebe, die uns überfallen könnten!“

Vor vielen Jahren, als Daisy gerade frisch verheiratet gewesen war, hatte sie ihrer Tante, der Schwester ihrer Mutter, auf dem Sterbebett versprochen, sich um Belinda zu kümmern. Leider war ihre eigene Mutter schon lange nicht mehr am Leben, und so hatte niemand sie warnen können, was so ein Versprechen bedeutete. Es war für sie eine Selbstverständlichkeit, sich um Belinda zu kümmern – sie liebte ihre Spielgefährtin aus Kindertagen. Sie hatte erst herausgefunden, wie trübselig ihre Cousine sein konnte, als sie mit ihr unter einem Dach wohnte.

Belinda reagierte nicht auf Daisys Zurechtweisung. Ihr Blick war vielmehr starr auf irgendetwas hinter Daisy gerichtet. Ungehalten knurrte Daisy: „Was ist denn jetzt schon wieder los? Sind jetzt doch Plünderer aufgetaucht?“ Sie drehte sich um, um zu sehen, was Belinda so erschreckt hatte, und dabei rutschte ihr das Herz bis in die Kniekehlen – fünf Gestalten, die wie Highlander gekleidet waren, galoppierten den Hügel hinab auf sie zu.

„Keine Plünderer“, sagte Belinda, und ihre Stimme zitterte dabei. „Schmuggler. Ich habe schon gehört, dass die sich hier in den Hügeln verstecken.“

Diese Feststellung raubte Daisy vollständig den Atem.

Als der Rest von Daisys Gefolge die Reiter bemerkte, schrien sie alle plötzlich voller Entsetzen auf. Sie benahmen sich, als hätte jemand mehrere Salven Schüsse auf sie abgegeben; ihre Leute rannten los, rafften ihre Sachen zusammen und beeilten sich, sich hinter den Kutschen zu verstecken.

„Lady Chatwick!“, rief Sir Nevis. „Suchen Sie in der Kutsche Zuflucht!“

Er hatte sein Schwert gezogen und stand zusammen mit Mr. Bellows breitbeinig da, um sich den Eindringlingen entgegenzustellen, falls es zum Kampf kommen sollte. Belinda hatte sich sofort in Bewegung gesetzt und Ellis am Arm gepackt, der noch dabei war, die Steine zu sortieren, die er gesammelt hatte. Sie zog ihn hinter sich her auf die Kutsche zu.

Aber Daisy? Die rührte sich nicht vom Fleck. Sie war wie betäubt und konnte sich nicht bewegen. Sie war gleichzeitig versteinert vor Angst und voller Heiterkeit, sie hätte genauso gut vor Angst laut schreien wie übergeschnappt lachen können, weil ihre Lage so völlig absurd war – sie wurden in den Highlands von Dieben überfallen, das hatte ja so kommen müssen! Das war genau die Art von Katastrophe, die Belinda ihnen die ganze Zeit vorausgesagt hatte.

Bei dem Gedanken an diese Katastrophe gehorchten ihr ihre Beine auf einmal wieder; sie wirbelte herum, um die drei Gordons zu sich zu rufen, die aber waren vom Seeufer verschwunden. Sie waren einfach weggelaufen. Weggelaufen! Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie wandte sich abrupt um… beinahe erwartete sie zu sehen, dass die Gordons sich den Reitern angeschlossen hatten.

Die Highlander hatten ihre Tiere gezügelt und näherten sich ihnen jetzt vorsichtig. Einer von ihnen – es sah fast so aus, als wäre es eine Frau – trieb einen Zelter an, sodass er sich mit einem Sprung an die Spitze setzte. Umherziehende Diebesbanden wurden doch nicht von Frauen angeführt, oder doch? Vielleicht war das hier alles nicht das, wonach es aussah.

Der laute Knall eines Schusses erschreckte Daisy so sehr, dass sie sich auf alle viere fallen ließ, ehe ihr klar wurde, dass es Mr. Bellows gewesen war, der mit seiner Muskete gefeuert hatte. Er hatte jedoch nicht gut gezielt, und sein Schuss war von einem Baumstamm rechts von den Highlandern abgeprallt.

Einer der Reiter trieb sein Pferd plötzlich vorwärts und ergriff die Zügel des Zelters, damit die Frau nicht direkt in die Schusslinie geriet. Er hielt sie fest und brachte die Pferde unsanft zum Stehen. „Um Gottes willen, legen Sie doch die Waffe weg!“, brüllte er auf Englisch. „Verfluchte Hölle, Junge, Sie könnten damit jemanden töten, aye?“

Mr. Bellows richtete das Gewehr auf den Mann. „Wir haben hier weder etwas für Wegelagerer noch für Jakobiter übrig, Sir! Wenn Sie nicht sofort weiterreiten, ziele ich zwischen Ihre Augen!“

Daisy kam wieder auf die Füße und trat schnell vor. Sie hatte irgendwie vorgehabt, sich in der in Schieflage geratenen Kutsche in Sicherheit zu bringen. Doch stattdessen blieb sie neben dem Kutschbock stehen und spähte über die Fußstütze hinweg zu den Männern hinüber, von denen jetzt ein Weiterer auf den Ersten zugeritten kam und in der Sprache der Schotten etwas zu ihm sagte.

Der erste Mann antwortete, und seine Stimme klang dabei ruhig und gelassen. Was auch immer er gesagt hatte, brachte seine beiden Begleiter zum Lachen. Er aber lachte nicht. Er saß aufrecht und regungslos auf seinem Pferd. Sein Gesichtsausdruck zeugte von grimmigem Stolz, sein Blick war scharfsinnig, und er ließ Sir Nevis und Mr. Bellows nicht aus den Augen. Er schien einen ganzen Kopf größer als die beiden anderen zu sein. Er hatte breite Schultern und ein energisches Kinn. Sein dickes kastanienbraunes Haar trug er im Nacken zusammengebunden. Seine ganze Erscheinung wirkte so wild, so überwältigend männlich, dass Daisy das Blut in den Adern kochte. Sie war gleichzeitig völlig verängstigt und fasziniert. Er sah aus, als wäre er stärker als jeder andere Mann, dem sie je begegnet war, so als ob er ganz allein diese Hügel hier aus dem Granit gehauen hätte.

Ein zugleich schneidendes und warmes Gefühl überkam Daisy, sodass sie kaum noch atmen konnte, geschweige denn sich bewegen.

Er sagte etwas zu der Frau, der ganz offensichtlich nicht gefiel, was er zu sagen hatte, denn sie blickte ihn wütend an und antwortete mit vor Erregung erhobener Stimme.

„Tu was ich dir sage, Mädchen“, sagte er, und seine Stimme war dabei unheimlich ruhig. „Männer, die sich fürchten, schießen ohne Vorwarnung und ohne zu zielen.“

Die Frau murmelte etwas vor sich hin, aber sie wendete ihren Zelter und zog sich hinter die drei anderen Männer zurück.

Jetzt trieb der Mann sein Pferd vorwärts, dabei ließ er Mr. Bellows und sein Gewehr noch immer nicht aus den Augen.

„Keinen Schritt näher!“, warnte ihn Mr. Bellows und sah sich dann um. „Gordon, wo sind Sie? Tun Sie doch irgendetwas!“, brüllte er.

Der Mann lachte leise. „Die Gordons helfen Ihnen jetzt überhaupt nicht weiter, mein Junge.“ Einer der Reiter murmelte etwas, woraufhin die anderen zu lachen anfingen. Sie hatten überhaupt gar keine Angst vor Mr. Bellows’ Gewehr oder davor, dass sie in der Minderheit waren, stellte Daisy fest, und dabei pochte ihr das Herz wie wild gegen die Rippen. Die fanden das alles… amüsant.

Wie eine Katze auf der Jagd wandte der Mann plötzlich den Kopf nach links; Daisy folgte seinem Blick und bemerkte, dass der Kutscher und sein Gehilfe sich um einen der offenen Wagen herumgeschlichen hatten. Beide hatten Musketen in den Händen. Der Mann seufzte tief, als die beiden Kutscher ihn aufs Korn nahmen. „Wir sind keine Wegelagerer“, sagte er brüsk. „Legen Sie Ihre Waffen nieder, aye? Ich habe keine Lust dazu, Sie zu töten, bislang hatten wir nämlich einen ausgesprochen schönen Nachmittag.“ Er schwang sich vom Pferd; alle auf Daisys Seite machten einen Schritt zurück.

Abgesehen von Daisy, die ganz offensichtlich noch ihr letztes bisschen Verstand verloren hatte. Ihr war natürlich absolut klar, dass sie sich in Sicherheit bringen musste. Sie musste Ellis verstecken und etwas finden, mit dem sie sich verteidigen konnte … aber es wollte ihr nicht gelingen, die Augen von diesem perfekt gebauten Prachtexemplar von Mann abzuwenden. Wildes Verlangen schoss ihr wie ein Pfeil das Rückenmark hinab, sie hatte sich noch nie zuvor so gefühlt wie jetzt, als sie ihn ansah. Er stand vor ihr, hatte sein Gewicht auf eine Seite verlagert und zog sich die Handschuhe aus. Er sah nicht im eigentlichen Sinne gut aus. Wahrscheinlich war mit seinem Aussehen schon alles in Ordnung, aber es fesselte sie etwas ganz anderes an ihm – seine ganze Erscheinung und das Selbstvertrauen, das er ausstrahlte, verliehen ihm eine außergewöhnliche Art von Präsenz.

Er trug einen Überwurf aus Tartanstoff, und seine Beine, du lieber Himmel, seine sehnigen, muskulösen Beine steckten in so etwas wie rot-weiß karierten Strümpfen, die gerade unterhalb des Knies mit Strumpfhaltern befestigt waren. Er war wirklich groß, aber nicht zu sehr, und er war schlank und doch gleichzeitig kräftig. Er war glatt rasiert, aber sein Haar wirkte ungebändigt, und das obwohl er es im Nacken zusammengebunden hatte. Er schien so ruhig zu sein, so unerschütterlich – er strahlte eine geradezu spürbare Macht aus.

Wenn sie irgendwo anders gewesen wäre, hätte Daisy sich jetzt bestimmt Luft zugefächelt. Sie war jetzt schon einer Ohnmacht nahe. Ihre heftige körperliche Reaktion auf diesen Mann überraschte sie selbst, denn nach allem, was sie wusste, konnte er entweder ein Mörder, ein Schmuggler oder ein Dieb sein – aber verflucht noch einmal, in diesem fieberhaften Moment voller Lust und Furcht konnte sie sich nicht erinnern, schon einmal von einem Mann so in den Bann geschlagen worden zu sein.

Er hatte in der Zwischenzeit seine Handschuhe abgestreift und sie irgendwo in seinen Tartanüberwurf gesteckt, jetzt ging er gelassen auf Mr. Bellows zu, während Sir Nevis sich ihm von der anderen Seite näherte. Er hatte sein Schwert gehoben und war bereit anzugreifen.

Mi Diah, schauen Sie doch erst einmal genau hin, wen Sie vor sich haben, aye?“, sagte der Schotte. „Überfallen eine Lady und ein paar Gentlemen in Lederstiefeln üblicherweise Kutschen? Und dann auch noch hier? Wo so gut wie niemand wohnt?“ Er machte eine ausladende Geste mit seinem starken Arm, mit der er auf die Landschaft um sie herum zeigte. „Wir sind weder Jakobiten noch Wegelagerer. Und wenn wir es wären, würden wir uns an der Straße nach Inverness auf die Lauer legen. Nicht hier, wo fast nie jemand vorbeikommt.“

In Daisys Ohren klang das nach einer absolut vernünftigen Erklärung. Oder irrte sie sich vielleicht? Sie wollte ihm gern glauben, aber etwas in ihr, wahrscheinlich ihr angeborener Pragmatismus, sagte warnend, dass diese ganze Situation hier ein abgekartetes Spiel sein konnte. Vielleicht hatten die Gordons sie gerade deshalb hierhergebracht, damit diese Männer sie ausrauben konnten. Bei dem Gedanken an eine möglicherweise bevorstehende Gefahr klopfte ihr Herz wie wild, ihre Handflächen wurden feucht, und sie vermochte nur noch ganz flach zu atmen. Trotzdem lief sie nicht weg, um sich zu verstecken – sie schob sich um die Kutsche herum, während Mr. Bellows noch immer seine Waffe auf den Mann gerichtet hielt.

„Wir sind verpflichtet, Lady Chatwick und ihren Sohn zu beschützen, und wir werden nicht zögern, unser Leben für sie zu opfern, falls das nötig sein sollte, Sir! Kommen Sie keinen Schritt näher!“ Mr. Bellows’ Hand zitterte.

Wenn diese Schotten hier mit den Gordons unter einer Decke steckten, dann waren sie hier bald in der Überzahl. Ein eiskalter Schauer überlief Daisy bei der Vorstellung, dass gleich Dutzende von ihnen die Hügel herunterkommen würden, um sie auszuplündern, wie Belinda es vorhergesagt hatte.

„Wir wollen doch nur helfen, aye?“, sagte der Schotte. Er sprach bei Weitem nicht mit so starkem Akzent wie die Gordons. Sie glaubte vielmehr, dass seine Aussprache eine leichte englische Färbung hatte.

Er hob beide Hände auf Schulterhöhe, damit alle sehen konnten, dass er unbewaffnet war. „Wir haben nicht die Absicht, Ihnen in irgendeiner Weise zu schaden; darauf haben Sie mein Wort als Highlander und als Gentleman.“ Im Gegensatz zu Mr. Bellows zitterte er überhaupt nicht, er machte nicht einmal einen besorgten Eindruck. Er kam Daisy lediglich ein wenig ungeduldig vor, so als wollte er dieses Zusammentreffen so schnell wie möglich hinter sich bringen.

„Und das sollen wir Ihnen einfach so glauben?“, fragte Mr. Bellows scharf.

„Also von uns hat jedenfalls niemand Lust dazu, so viele Kisten und Koffer die Straße entlangzuwuchten.“

Einer der Reiter, die hinter dem Schotten standen, sagte etwas in ihrer Landessprache, und als er sprach, machte Mr. Bellows den Fehler, zu ihm hinüberzusehen. Diesen kurzen Augenblick der Unachtsamkeit nutzte der Schotte sofort und stürzte sich auf den Lauf der Muskete, sodass Daisy unwillkürlich einen Schreckensschrei ausstieß. Er zog das Gewehr einfach aus Mr. Bellows Händen und drehte es mit einer einzigen Bewegung so um, dass er damit auf ihn zielen konnte. „Und jetzt befehlen Sie Ihren Begleitern, dass sie ihre Waffen niederlegen, aye?“, meinte er vollkommen gelassen.

Daisy war überzeugt davon, dass sie in Kürze um das Leben ihres Sohnes feilschen musste, und überlegte fieberhaft, was sie jetzt tun sollte. Sollte sie sich ihn schnappen und mit ihm zum See hinunterlaufen? Sie blickte zur Kutsche hinüber, wo Ellis sich versteckt hatte, und sah, dass Mr. Green verstohlen seine Muskete hob und zielte. Mr. Green war ihr Hausmeister und hatte mit Sicherheit in seinem ganzen Leben noch nie auf einen anderen Mann geschossen. „Nein!“, schrie sie, ohne darüber nachzudenken. Dabei erschrak sie selbst über den verzweifelten Klang ihrer eigenen Stimme. „Sie alle! Tun Sie alle, was er sagt, meine Herren, bitte.“

Der Schotte ließ Sir Nevis nicht aus den Augen. „Hören Sie auf Ihre Herrin.“

„Ich bitte Sie, Madam, begeben Sie sich in die Kutsche!“, rief Sir Nevis.

„Wenn die Männer hier vorhätten, uns auszurauben, dann hätten sie es doch mittlerweile längst getan, oder nicht?“, meinte sie und stolperte dabei über die Riemen des Kutschgeschirrs, während sie um den Wagen herumging. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass es zur Katastrophe kam. „Hätten die Männer, die wir angeheuert haben, dann nicht längst eingreifen müssen? Ich glaube, dass er die Wahrheit sagt.“

„Ah, endlich die Stimme der Vernunft“, sagte der Schotte gedehnt.

Von Vernunft konnte bei Daisy allerdings keine Rede sein – sie hatte keine Ahnung, was diese Männer vorhatten, und redete so schnell sie konnte in der Hoffnung, irgendwie ein Blutvergießen vermeiden zu können. „Bitte, Sir Nevis, sagen Sie Ihren Männern, sie sollen die Waffen niederlegen“, flehte sie ihn an. „Wir wollen doch alle keinen Ärger haben.“

Sir Nevis reckte das Kinn, aber er wandte sich ein Stück weit um und nickte den anderen Männern zu. Diese ließen langsam und voller Misstrauen die Waffen sinken.

Der Schotte grinste, dann drehte er die Muskete noch einmal um, sodass der Griff von ihm wegzeigte, und übergab sie Mr. Bellows. „Nun gut … dürfen wir Ihnen vielleicht dabei helfen, das Rad zu reparieren?“, fragte er in einem Ton, dem man nicht hätte anmerken können, dass zwischen ihnen noch immer eine bedrohliche Spannung herrschte. So wie er redete, erschien es Daisy geradezu lächerlich, dass hier noch vor Kurzem irgendjemand um sein Leben gefürchtet haben sollte.

„Das ist nicht nötig“, erklärte Sir Nevis steif.

Der Schotte zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Aye, na dann. Wir reißen uns nicht um die Arbeit in der heißen Sommersonne.“ Er drehte sich um, als hätte er vor zu verschwinden, doch dann fiel sein Blick auf Daisy, und er blieb stehen, dabei sah er ihr direkt in die Augen.

Daisy atmete heftig; sie wäre zuerst beinahe rückwärtsgegangen und weggelaufen. Dann besann sie sich jedoch eines Besseren, denn seine Augen waren von ganz erstaunlichem Blau. Blau wie der Sommerhimmel. Sie bewegte sich, ohne darüber nachzudenken, von der Kutsche weg. Dabei presste sie ihre feuchten Handflächen vorne in den Stoff ihres Kleides.

Er musterte sie mit erregtem Blick von oben bis unten, seine Augen brannten dabei wie Fackeln, sein Blick schien ihre Haut zu versengen, während er jede Einzelheit ihres Kleides und der Schuhspitzen, die unter den Röcken hervorlugten, genau betrachtete. Dann hob er den Blick bis zu ihrem Busen, wo er ihn ungeniert verweilen ließ, ehe er ihr schließlich ins Gesicht sah.

Verlegen strich sich Daisy mit dem Handrücken über die Wange. Sie fragte sich, ob sie wohl schmutzig und erschöpft aussah.

Er starrte sie so unverfroren und dreist an, dass Daisy ihn ängstlich anlächelte. „Äh … v-vielen Dank für Ihr Angebot, uns zu helfen“, stotterte sie. Was zum Teufel sollte sie in dieser Situation denn sagen?

Er blickte sie unverwandt an.

„Madam, ich muss darauf bestehen, dass Sie sich mit Ihrer Begleiterin zusammen wieder in die Kutsche setzen und abwarten“, bat Sir Nevis sie.

„Ja, das werde ich“, versicherte sie ihm, aber sie machte keinerlei Anstalten, seiner Bitte nachzukommen. Sie rührte sich nicht einmal von der Stelle, als sie hörte, wie Belinda nach ihr rief. Sie konnte ihren Blick einfach nicht von dem Schotten abwenden.

„Wer sind Sie?“, fragte er plötzlich.

„Wer, ich?“, fragte sie albern, doch dann kam sie wieder zu sich und trat vor, streckte eine Hand aus und sank in einen tiefen Knicks in der vagen Hoffnung, dass, wenn alles andere versagte, Höflichkeit ihr vielleicht weiterhalf. „Ich bitte vielmals um Verzeihung. Ich bin Lady Chatwick.“ Sie sah auf, ihre Hand hielt sie noch immer ausgestreckt. Der Schotte erwiderte finster ihren Blick. Ihre Hand nahm er indes nicht.

Verlegen erhob Daisy sich wieder. Sie hatte noch nie so blaue Augen gesehen, das wusste sie genau – sie hatten die Farbe des Himmels an einem sonnigen Tag. „Ich weiß Ihr Angebot, uns zu helfen, wirklich zu schätzen. Wir haben eine sehr lange Reise hinter uns, und die Straßen hier sind in einem äußerst schlechten Zustand.“

Drohend kniff er die Augen zusammen und kam einen Schritt auf sie zu. Und dann noch einen. Er legte den Kopf zur Seite und betrachtete sie mit einem Blick, als wäre sie ein seltenes Tier, das er noch nie zuvor gesehen hatte. „Was hat eine englische Adelsdame hier in unseren Hügeln verloren?“ Er klang misstrauisch.

„Wir sind auf dem Weg nach Auchenard“, sagte sie. „Das ist ein Landhaus …“

„Aye, ich weiß genau, was das ist“, unterbrach er sie unwirsch. „Heute verirrt sich aber niemand mehr nach Auchenard, abgesehen von brünstigen Hirschen. Was wollen Sie denn dort?“

Sie war ein wenig entsetzt über seine grobe Bemerkung. „Äh … nun ja, Auchenard gehört jetzt meinem Sohn. Ich dachte, er sollte es sich einmal ansehen.“

Er musterte sie mit gerunzelter Stirn, als ob er ihr nicht glauben würde. Dann senkte er den Blick auf ihre Lippen.

Daisy schoss das Blut in die Wangen. Unwohl tastete sie nach einer Locke in ihrem Nacken. „Ich bitte um Verzeihung, aber dürfte ich wohl erfahren, wer Sie sind?“

Er sah ihr wieder direkt in die Augen. „Arrandale.“

„Arrandale“, wiederholte sie.

Plötzlich trat er noch einen Schritt auf sie zu und stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen.

„Treten Sie sofort zurück!“, brüllte Sir Nevis, doch der Schotte kümmerte sich nicht um ihn.

Daisy zog sich das Herz in der Brust schmerzhaft zusammen. Sie konnte genau sehen, dass er eine Andeutung von Bartschatten hatte und dass seine Augen von dunklen Wimpern gerahmt wurden. Auf der Nasenwurzel hatte er eine kleine Narbe, ebenso wie am Kinn. Seine Lippen waren dunkelrot.

„Sie hätten nicht herkommen sollen“, sagte er leise. „Die Gegend hier ist nicht sicher für Engländerinnen und ihre Kinder. Reparieren Sie ihr Rad, kehren Sie um und machen Sie sich auf den Weg in Richtung Meer.“

Daisy blinzelte. „Ich muss doch sehr bitten, aber wir …“

Er wandte ihr plötzlich den Rücken zu und ging mit langen Schritten zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Er sagte irgendetwas zu den anderen, und dann ritten sie einfach fort, in dieselbe Richtung, aus der Daisy und ihre Begleiter sich schon den ganzen Tag hier hinaufgequält hatten.

Es kam Daisy wie eine Ewigkeit vor, ehe sie wieder normal atmen konnte. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie Sir Nevis an, der endlich anfing, den anderen Anweisungen zu geben. „Alle hinüber zum Rad“, sagte er. „Wir müssen uns beeilen.“

„Was ist denn passiert?“, hörte Daisy Belinda hinter sich rufen. „Wo sind sie hin?“

„Seien Sie lieber dankbar, dass sie weg sind und weder Ihre Geldbörse noch Ihre Ehre angerührt haben, Madam“, meinte Sir Nevis finster und drehte sich auf dem Absatz um. Dann ging er zu den anderen hinüber, um bei der Reparatur des Rades zu helfen.

Daisy spürte, wie Belinda ihr die Hand auf den Rücken legte. „Du zitterst ja“, sagte sie. „Beruhige dich doch, Daisy. Sie sind weg – du bist zumindest im Augenblick in Sicherheit.“

Doch Daisy zitterte nicht vor Angst. Sie bebte, weil sie noch nie in ihrem Leben von einem Mann so in den Bann gezogen worden war.

2. KAPITEL

Über zwei Stunden nachdem der Schotte und seine Leute verschwunden waren und sie auf der Straße ganz allein zurückgelassen hatten, war das Rad so gut es eben ging repariert. Daisy und ihre Reisegesellschaft konnten ihren mühsamen Weg nach Osten fortsetzen.

Während der holprigen Fahrt flatterte ihr Herz noch immer ein wenig. Sie wurde das Bild von diesem Mann einfach nicht wieder los. Sie hörte Belinda nur halbherzig zu, die das kleine Fenster mit Beschlag belegt hatte, in die Landschaft hinaussah, deren unendliche Einsamkeit sie immer wieder kommentierte, und die Gefahren beschrieb, die deshalb dort draußen auf sie lauerten. Doch Daisy dachte die ganze Zeit nur an ihn.

„Ich wäre nicht im Mindesten überrascht, wenn diese wild gewordenen Kerle uns doch noch überfallen würden“, sagte Belinda mit einem Schaudern.

„Am Ende kamen sie mir gar nicht so wild geworden vor, meinst du nicht?“, entgegnete Daisy. Sie musste an die warnenden Worte denken, mit denen ihre Freundinnen sie bedacht hatten, ehe sie sich auf den langen Weg nach Schottland gemacht hatte. Sie hatte einige der Damen zu sich zum Tee eingeladen. „Sie werden dort oben auf jeden Fall in große Schwierigkeiten geraten, bei den ganzen Verrätern, die sich dort herumtreiben“, hatte Lady Dinsmore gerufen. „Sie dürfen nicht fahren! Ich habe gehört, dass diese Leute Engländer geradezu abschlachten.“

„Das sind Barbaren“, hatte Lady Whitcomb mit ernster Stimme hinzugefügt. „Der Einfluss der Stuarts auf sie ist unnatürlich groß, sodass sie in keiner Weise vertrauenswürdig sind! Sie sind in großer Gefahr, solange Sie bei ihnen sind – es ist ja allgemein bekannt, dass eine Engländerin dort sogar als besondere Trophäe gilt.“

Daisy war bei Weitem nicht so pessimistisch wie sie. Sie war mit einem Mann verheiratet gewesen, der selbst seiner Abstammung nach Schotte war, und er hatte ihr nie auch nur den geringsten Anlass gegeben zu glauben, dass sich vor ihm fürchten müsste. Doch andererseits hatte sie auch noch nie so einen Schotten gesehen wie den, dem sie heute begegnet waren.

Belinda offensichtlich auch nicht, denn sie drehte abrupt den Kopf zur Seite und ließ die Augenbrauen derart in die Höhe schnellen, dass sie beinahe in ihrem Haaransatz verschwanden. „Ich danke unserem Herrgott, dass wir unverletzt entkommen sind!“

Ellis sah seine Mutter an, dabei machte er ein sorgenvolles Gesicht. Daisy lächelte ihm aufmunternd zu und zog ihn mit einem Arm an sich. „Alles ist in Ordnung, Liebling.“

Sie hatte sich insgeheim schon oft gefragt, ob sie während ihrer Schwangerschaft irgendetwas getan hatte, was aus ihrem Jungen ein so unruhiges und ängstliches Kind gemacht hatte. Wie sollte man das sonst erklären? Er war neun Jahre alt, und es hatte ihm noch nie an irgendetwas gefehlt, er hatte keine nennenswerten körperlichen Beschwerden, und trotzdem war er so furchtsam. Ein Arzt in London hatte vor einigen Jahren warnend zu ihr gesagt, dass ihr Sohn an einer schwachen Konstitution litt. „Ich zweifle nicht daran, dass er sein Leben lang kränklich bleiben wird“, hatte er verkündet, während er seine Tasche zuklappte.

Mit einer solchen Feststellung hatte Daisy nicht gerechnet. Sie sah ihn verwirrt an und fragte: „Kränklich? Was soll das heißen?“

„Genau das, was ich sage.“ Der Arzt hatte weder vor ihr Achtung noch vor Ellis, der alt genug war, um zu verstehen, was über ihn gesagt wurde.

„Wollen Sie damit andeuten, dass er chronisches Fieber bekommen wird?“, hakte Daisy nach, denn es stimmte wohl, dass es in diesem einen Winter so aussah, als wäre ihr Sohn ständig krank. Anschließend führte sie den Arzt von Ellis’ Bett weg und fragte ihn flüsternd: „Oder etwa noch etwas Schlimmeres?“

Der Arzt zuckte mit den Schultern und erwiderte geistesabwesend: „Das kann man vorher nie wissen, wie sich so etwas im Einzelfall zeigt.“

„Lady Chatwick.“ Der Arzt seufzte, als ob sie seine Geduld besonders strapaziert hätte, dann sagte er mit ziemlich lauter Stimme: „Geben Sie sich keine Mühe, die medizinische Verfassung Ihres Sohnes in allen Einzelheiten zu verstehen. Vertrauen Sie mir einfach, wenn ich Ihnen sage, dass aus ihm nie ein robuster Junge wird.“

Ellis war in Tränen ausgebrochen, was Daisy nicht überrascht hatte, bedachte man, wie kaltschnäuzig der wenig feinfühlige Arzt über seinen Gesundheitszustand gesprochen hatte. In diesem Moment war Daisy klar geworden, dass es dem Mann nur darum ging, sein Honorar einzustreichen, und er sich dabei keineswegs für ihren Sohn interessierte. „Das ist allerdings ein Problem, Sir, denn ich vertraue Ihnen nicht im Geringsten“, erklärte sie und rief nach dem Butler, damit er den lieben Herrn Doktor zur Tür geleiten konnte.

Als sie sich später am Abend über sein Benehmen beschwert hatte, hatte ihr Ehemann ihr jedoch Vorwürfe gemacht, weil sie dem Doktor gegenüber so respektlos gewesen war.

Aber trotzdem glaubte sie nicht an dessen Vorhersage für Ellis’ Zukunft. Wenn sie ehrlich war, war die Gesundheit ihres Sohnes aber nur der zweite Grund dafür, dass sie die zunehmend gefährliche Reise in den Norden angetreten hatte.

Der erste Grund war Robert. Wenn Robert nur rechtzeitig angekommen wäre, wäre diese Reise vielleicht ganz und gar überflüssig gewesen.

Abwesend strich sie mit den Fingern über seinen Brief, den sie sicher in der Tasche ihres Kleides bei sich trug. Ich komme so schnell ich kann, sobald mein Auftrag erledigt ist, hatte er ihr geschrieben.

Es sollte sich herausstellen, dass das nicht schnell genug war.

„Wenn sie jetzt nicht zurückkommen, dann finden sie uns auf jeden Fall in diesem Landhaus“, murmelte Belinda missmutig, während sie sich zurück in die Polster lehnte. Offensichtlich hatte sie es immer noch darauf abgesehen, sie alle in Sorge zu versetzen.

„Wir sind absolut in Sicherheit“, sagte Daisy und versuchte, ihrer Cousine mit einem Blick zu signalisieren, dass es jetzt genug war. Doch Belinda bemerkte das natürlich nicht. Daisy lächelte und drückte Ellis’ Knie. „Hör einfach nicht auf Tante Belinda, Liebling. Der Tag war für uns alle ziemlich anstrengend.“

„Meine Sorge ist aber durchaus nicht unbegründet“, fuhr Belinda unbeirrt fort. „Wir hatten doch alle Angst vor diesen gefährlichen Männern.“

„Muss ich dich erst daran erinnern, dass diese gefährlichen Männer uns angeboten haben, unser Rad zu reparieren?“, fragte Daisy und hielt Ellis dann aus einem Impuls heraus die Ohren zu, ehe sie sich vorbeugte und flüsterte: „Vergiss das doch einfach wieder, Liebes. Hast du dir diesen Gentleman mal genauer angesehen? Er war so … anziehend.“

Belinda zwinkerte verwirrt. „Der Schotte? Anziehend? Daisy!“, rief sie atemlos. Sie war offensichtlich entsetzt. „Was ist denn nur los mit dir? Schotten sind niemals anziehend. Das sind Verräter an der Krone!“

Wenn sie nicht so müde gewesen wäre, hätte Daisy Belinda jetzt darauf hingewiesen, dass sie überhaupt gar keinen Schotten persönlich kannte und folglich überhaupt nicht wissen konnte, ob sie alle Jakobiten waren. Stattdessen war sie enttäuscht, dass Belinda nicht aufgefallen war, wie attraktiv der Mann war. So hatte sie niemanden, mit dem sie ihr Erstaunen darüber hätte teilen können, dass man einem Mann mit einer solchen außerordentlichen Ausstrahlung ausgerechnet auf einer einsamen Straße begegnete, die durch den entlegensten Teil der Welt zu führen schien. Mit einem Seufzen nahm sie die Hände von Ellis’ Ohren und wandte den Blick dem kleinen, verschmierten Fenster zu, während Belinda schon wieder Vermutungen darüber anstellte, ob sie wohl gezwungen sein würden, diese Nacht an der Straße zu kampieren.

So jemanden wie ihn hätte sie niemals erwartet. Daisy wurde schon wieder rot, wenn sie an den Schotten dachte. Oh, sie war einfach ein hoffnungsloser Fall. Wahrscheinlich hatte sie den Verstand verloren! Sie schauderte, wenn sie daran dachte, wie albern sie sich hatte betören lassen, ganz besonders, da sie doch in großer Gefahr hätte schweben können. Sie hatte immer schon etwas für kräftige, gesunde Männer übrig gehabt, aber das … das grenzte doch an Wahnsinn.

Und doch … sie hoffte insgeheim, ihn eines Tages wiederzusehen. Sie hätte ihn gern einmal lächeln gesehen, hätte gern diese blauen Augen zum Leuchten gebracht. Sie war sicher, dass das unter den richtigen Umständen geschehen konnte. Sie fröstelte ein wenig, wenn sie sich vorstellte, was sie dafür tun musste.

Oh ja, sie war verrückt – vollkommen und restlos verrückt.

Seitdem ihr Mann vor über zwei Jahren gestorben war, hatte Daisy immer häufiger solche Fantasien gehabt. Sie hatte sich immer wieder gestattet, in den Salons von Mayfair, in denen sie verkehrte, sich die verschiedenen gut aussehenden Gentlemen in mal mehr und mal weniger kompromittierenden Situationen vorzustellen. Das hatte sie mittlerweile so oft getan, dass sie das Gefühl hatte, nicht mehr anders zu können. Die Wahrheit war, dass Daisy sich nach der Berührung eines Mannes sehnte.

Ihr Ehemann, Clive, war ein robuster Mann gewesen, als ihre Ehe arrangiert wurde, aber schon bald nach Ellis’ Geburt hatte er sich mit einer Krankheit angesteckt, die ihn mehr und mehr schwächte. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er schwer gelitten, er war zu krank gewesen, um Vater zu sein, zu krank, um sich um sie zu kümmern, wie es die Pflicht eines Mannes war. Jetzt, mit neunundzwanzig, spürte Daisy die Sehnsucht wie einen Fluss in der Wüste ihres Körpers, der über die Ufer getreten war.

Der ständige Strom von Verehrern, die seit Clives Tod um sie gebuhlt hatten, war die Sturmflut, aus dem sich dieser Fluss speiste.

Doch der Schotte war keiner ihrer Verehrer, und sie sah ihn in einem gänzlich anderen Licht. Sie schloss die Augen und malte sich aus, wie er sie entführte, sie auf seinem Pferd mitnahm und sie dann hoch oben in seiner Burg irgendwo im Nirgendwo auf sein Bett warf. Sie stellte sich vor, wie er sie mit seinen großen Händen berührte, wie sie ihm zuerst Widerstand leisten und sich dann seinen erfahrenen Berührungen hingeben würde. Sie stellte sich vor, wie sich sein Körper anfühlte, wenn er warm und hart in ihr war, und wie er sie durchdringend mit seinen blauen Augen ansah, wenn sie zum Höhepunkt kam.

Daisy rutschte unruhig hin und her.

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Belinda.

Bei diesen Worten zerplatzte das Bild vor ihrem inneren Auge sofort. „Wie bitte?“ Daisys Wangen wurden ganz heiß, während sie wieder zur anderen Seite rückte. „Doch, alles in Ordnung.“

„Plagt dich dein Mieder?“, erkundigte sich Belinda mitfühlend. „So ein Mieder kann ganz schön gefährlich sein, wusstest du das?“, fuhr sie fort und setzte zu einem Vortrag über die Gefahren von Korsetts an.

Daisy ließ sich in die Polster sinken und beschloss, nicht mehr an den Fremden zu denken. Stattdessen dachte sie an London und an all die Gründe, weshalb sie so fest entschlossen war, die Stadt zu verlassen.

Ach ja, dieser Strom von Verehrern.

Das Testament ihres Mannes hatte dafür gesorgt, dass sie es in London nicht mehr aushalten konnte. Es war bei den Junggesellen unter den Gentlemen kein Geheimnis, dass sie innerhalb von drei Jahren nach seinem Tod wieder heiraten musste, wenn sie das Erbe ihres Sohnes nicht verlieren wollte.

Clive hatte ihr auf dem Sterbebett die Gründe dafür erklärt. „Das musst du verstehen, Liebes, ich kann nicht zulassen, dass du dich weigerst, wieder zu heiraten und stattdessen Ellis’ Erbe verbrauchst, um dein Leben so zu leben, wie es dir in den Kopf kommt. Du kannst dich auf Bischof Craig verlassen. Er hilft dir dabei, einen standesgemäßen Mann zu finden. Er sorgt auch dafür, dass der Mann, den du heiratest, die besten Schulen für Ellis finanziert und außerdem die richtigen gesellschaftlichen Verbindungen hat, die Ellis braucht, wenn er volljährig wird.“

Daisy war entsetzt gewesen. Sie wollte nicht akzeptieren, dass ihr Mann sterben musste, und schon gar nicht, dass er Pläne für sie für die Zeit nach seinem Ableben geschmiedet hatte. „Ich kann schon für ihn sorgen, Clive“, sagte sie. „Ich bin doch seine Mutter – natürlich sorge ich für ihn.“

Ihr Mann wurde von einem Hustenanfall geschüttelt, sodass er nicht gleich antworten konnte, dann tätschelte er ihr die Hand. „Du wirst tun, was ich für dich vorgesehen habe, Daisy. Ich verlasse mich darauf, dass du folgsam bist.“

Aber dazu war sie nicht bereit.

Die Ehe zwischen Daisy und Clive war so arrangiert worden, dass die Vermögen und die Ziele der Familien sich ergänzten. Er war fünfzehn Jahre älter als sie, und Daisy war seine zweite Frau. Die erste war zusammen mit ihrem ersten Kind bei der Geburt gestorben. Daisys Verbindung mit Clive war genau die Art von Eheschließung, auf die sie durch ihre Erziehung vorbereitet worden war, und sie hatte von ihrem Leben nichts anderes erwartet. Zuerst kommt die Pflicht, hatte man ihr das nicht immer schon eingebläut?

Im ersten Jahr ihrer Ehe war jedoch ein kleines Wunder geschehen – sie hatte ihre Zuneigung zu Clive entdeckt. Sie wurde zu einer unverbrüchlich treuen Partnerin für ihn und hatte ihm einen Sohn geschenkt. Sie war an seinem Krankenbett geblieben, auch dann noch, als andere Frauen sich wahrscheinlich schon längst anderweitig nach Unterhaltung umgesehen hätten, und sie hatte seine Hand gehalten, während er unter unerträglichen Schmerzen litt. Sie war für ihn die Ehefrau, die zu sein sie ihm versprochen hatte.

Zum Dank für ihre Hingabe hatte er ihr in den letzten Wochen seines Lebens dann seine letzten Wünsche mitgeteilt. Er hatte alles bereits geplant. Leider zeigte sich in seinen Plänen keine Spur von Achtung für sie.

Daisy fühlte sich benutzt und unwichtig. Während ihr Ehemann im Sterben lag, war ihr klar geworden, dass sie nichts anderes war als ein Mittel zum Zweck. Sie sollte einen Sohn gebären und sich bis zu dessen Volljährigkeit um ihn kümmern. Eine andere Rolle würde sie wahrscheinlich auch niemals spielen, denn nur darin bestand ihr Wert für Clive. Ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse waren vollkommen unerheblich für ihn.

Daisy gab sich große Mühe, ihre Verbitterung in den Tagen und Wochen nach seinem Tod nicht überhandnehmen zu lassen. Währenddessen breiteten sich flüsternd weitergegebene Gerüchte über seinen letzten Willen in den Salons von Mayfair aus. Das Vermögen der Chatwicks war auf dem Markt!

Zugegeben, die ganze Aufmerksamkeit hatte Daisy zunächst schon gefallen – sie war eine willkommene Abwechslung gewesen, nachdem sie sich zuvor so viele Jahre lang um einen kränkelnden Ehemann gekümmert hatte. Sie wurde schnell zu einer der gefragtesten Frauen von ganz London … aber, und das war für jeden offensichtlich, dabei ging es überhaupt nicht um sie. Sie war eine Witwe mit einem Vermögen und einem Stichtag für ihre Wiederverheiratung, und damit war sie für die Junggesellen der vornehmen Gesellschaft das Gleiche wie ein Stück rohes Fleisch für ein Löwenrudel. Sie rannten ihr die Tür ein.

Je mehr Zeit verging und je hartnäckiger sie von den Geiern umkreist wurde, desto größer wurde Daisys Misstrauen, was die Absichten eines jeden betraf, der sie besuchen kam. Die ganze Situation nahm ihr die Luft zum Atmen, und sie verlor das Vertrauen in ihr eigenes Urteilsvermögen. Bischof Craig machte die ganze Sache noch unerträglicher, indem er anfing, für sie die Verhandlungen zu führen – ohne ihr etwas davon zu sagen und mit Männern, die sie kaum kannte. Alle ihre Bitten an ihn, damit aufzuhören, stießen auf taube Ohren. „Ihr Ehemann hat mir sein Vertrauen geschenkt, Lady Chatwick. Ich werde ihn in dieser Angelegenheit nicht im Stich lassen.“

Sie konnte überhaupt nichts tun, und Daisy hatte sich beinahe schon mit ihrem Schicksal abgefunden. Doch dann, vor etwa fünf Monaten, hatte sie, wie von Engelsflügeln gebracht, plötzlich einen Brief von Robert Spivey erhalten. Rob.

Rob war inzwischen Kapitän bei der königlich-britischen Marine. Sie wusste von ihm nicht viel mehr als das, denn es war schon über elf Jahre her, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Sie hatte gedacht, dass er inzwischen verheiratet war und eigene Kinder hatte. Sie dachte, er hätte sie ganz und gar vergessen. Elf Jahre waren eine Ewigkeit für eine verloren gegangene Liebe oder etwa nicht?

Sie jedoch hatte ihn nicht vergessen. Er war ihre erste Liebe gewesen, ihre größte und einzig wahre Liebe.

Aber als sie sich kennenlernten, waren sie beide noch so jung und so hoffnungslos idealistisch. Sie hatten von einer gemeinsamen Zukunft geträumt – nicht von irgendetwas Großartigem, aber von einem Leben, das zu zwei Menschen passte, die nur füreinander und ihre Liebe lebten. In diesen Zukunftsträumen war nur Platz für sie beide.

Gott, wie naiv sie damals gewesen war! Sie malte sich in Tagträumen ihr gemeinsames Leben aus: in einem Haus mit Reetdach, vor dessen Fenstern Kästen voller Blumen hingen. Kinder hatten sie in ihren Träumen auch – robuste, gesunde Kinder, die durch Wiesen voller Heidekraut liefen. Sie selbst würde sich einen Garten anlegen, auf den sie sehr stolz war, und mit Gemüse und Blumen an den Wettbewerben im Dorf teilnehmen. Nachts würden Robert und sie im Bett miteinander kuscheln und auf die Atemzüge ihrer Kinder im Schlaf lauschen, während die Hunde in ihren Ecken lagen. Und sie würden sich lieben, liebevoll, sanft und ehrerbietig.

Was waren das für alberne Träume. Sie hatte von Anfang an genau gewusst, wie ihr Weg aussehen würde und dass dieser sich nicht ändern ließ, ganz gleich wie sehr sie sich das auch wünschte. Daisy war das einzige verbliebene Kind ihrer in die Jahre gekommenen Eltern und diente ihnen als funkelndes Lockmittel, das sie privilegierten und wohlhabenden Männern unter die Nase halten konnten. Sie hatte schon als kleines Mädchen gewusst, dass sie in eine gute Familie einheiraten musste, dass mit ihrer Ehe Vermögen und Grundbesitz abgesichert und wichtige Verbindungen geknüpft werden sollten. Doch dann hatte sie Robert kennengelernt und war dumm genug zu glauben, dass zwei Menschen schon einen Weg finden würden, wie sie zusammen sein konnten, wenn sie sich aufrichtig liebten.

In den Augen ihrer Eltern und der Gesellschaft hingegen war Robert einfach nicht gut genug für sie. Er hatte ihr selbst gesagt, dass es so war. Ihm war von Anfang an viel deutlicher als ihr bewusst gewesen, wie die Dinge für sie beide standen. Ihm war klar, dass ihre Eltern einer Hochzeit niemals zustimmen würden, weil er weder einen Titel besaß noch ein nennenswertes Vermögen und außerdem nur der Sohn des Vikars einer kleinen Gemeinde auf dem Land war. Und er hatte recht behalten – während sie noch von ihrem idyllischen Leben mit Robert träumte, waren ihre Eltern schon dabei, über eine Ehevereinbarung mit Clive zu verhandeln. Daisys Schicksal war besiegelt, ehe sie auch nur geahnt hatte, was bald auf sie zukommen würde.

Als sie es dann herausfand, flehte sie Robert an, mit ihr zusammen durchzubrennen, doch Robert, der ein vernünftiger Mensch war, lehnte dieses Ansinnen ab. „Ich würde deine Ehre niemals auf diese Weise beflecken, Daisy“, sagte er ritterlich.

Sie hatte es auf einen Streit mit ihm ankommen lassen. „Du kannst sie ruhig beflecken! Bring mich weg von hier, bitte! Du liebst mich doch – wie kannst du mich einfach so gehen lassen?“

Aber er hatte sie dann doch gehen lassen. „Du musst das einfach akzeptieren“, hatte er erklärt.

Es war schon komisch, aber Clive hatte viele Jahre später, auf seinem Sterbebett, dieselben Worte verwendet: Du musst das einfach akzeptieren.

Robert Spiveys Familie war es gelungen, ihn auf einem Posten bei der Marine unterzubringen, und er hatte Nottinghamshire kurz darauf verlassen, ohne sich von Daisy zu verabschieden. Er hatte sie dazu gezwungen, ihr Schicksal zu akzeptieren.

In der Zwischenzeit war Daisy aber älter und klüger geworden und entschlossen, in ihrem Leben nicht mehr einfach so die Dinge zu akzeptieren. Sie würde nicht akzeptieren, dass ein alter Bischof entscheiden konnte, wen und wann sie zu heiraten hatte. Sie würde nicht akzeptieren, dass die wichtigste Entscheidung ihres Lebens von Vermögensfragen abhing, die ihr überallhin folgten.

Und dann hatte sie den Brief bekommen. Mit großer Trauer und Sorge habe ich erfahren, dass dein Ehemann verschieden ist, hatte Rob geschrieben. Ich habe dich so lange in meinem Herzen bewahrt, Daisy. Ich lasse nicht zu, dass ich dich noch einmal an einen anderen Mann verliere …

Er schrieb, sein Schiff solle bald in See stechen, aber dass sein Kommando bei der königlichen Marine dieses Jahr endete und dass er hoffte, sie werde ihn dann zu gegebener Zeit in London willkommen heißen.

Daisy war erstaunt. Sie wurde wieder zuversichtlicher. Wie war das nur möglich, dass ihre Liebe für Robert nach all den Jahren immer noch so hell brannte? Aber sie konnte sie zweifellos fühlen, zusätzlich zu der großen Hoffnung, die jetzt in ihr aufwallte. Leider hatte er nicht geschrieben, wann genau er in London eintreffen würde. Und was bedeutete „dieses Jahr“? Morgen? In sechs Monaten? Dann war es für Daisy zu spät.

Sie musste Robert Zeit geben, um zu ihr zu kommen und so dem ganzen Wahnsinn, der um sie herum tobte, ein Ende zu setzen. Der einzige Weg dahin war allerdings, für eine Weile aus London zu verschwinden.

Sie hatte den Brief und ihre missliche Lage mit ihrer guten Freundin Lady Beckinsal besprochen, die ihr dringend geraten hatte zu fahren. So konnte sie dem armen Mann Zeit geben, sein Kommando zu Ende zu führen und nach London zu reisen, um sie zu retten, ehe Bischof Craig sie in eine unglückliche Ehe hineindrängen konnte. „Falls er wirklich noch vor dem Sommer auftaucht, kann Ihr Butler ihn fragen, ob er Ihnen eine Nachricht zukommen lassen soll. Er wird auf Ihre Antwort warten, falls er Sie tatsächlich noch immer so sehr schätzt“, hatte Lady Beckinsal voller Zuversicht gesagt.

Ein Klopfen vom Dach der Kutsche riss Daisy abrupt aus ihren Gedanken; Belinda öffnete die kleine Luke, durch die man mit dem Kutscher sprechen konnte, und Daisy richtete sich auf. Sie zuckte vor Schmerzen zusammen, weil ihr Korsett sich schon wieder in ihre Rippen grub.

„Mylady, Auchenard liegt jetzt direkt vor uns“, rief der Kutscher zu ihnen hinunter. Sie machten eine Rechtskurve und verlangsamten die Fahrt.

Daisy stemmte sich mit den Armen gegen die Wände der Kutsche und spähte aus dem staubigen Fenster hinaus. Die Scheibe war so schmutzig, dass sie kaum etwas sehen konnte, aber sie erblickte einen Turm hinter einer hohen Mauer. Die Bäume und Sträucher neben der Straße wucherten so wild, dass sie sonst kaum etwas erkennen konnte. Es gab kein Vieh, keine Rinder und keine Schafe – nichts außer Wiesen, um die sich niemand zu kümmern schien, und Wald.

Nur wenige Augenblicke später hielt die Kutsche schaukelnd an. Ellis setzte sich auf und schob sich neben Daisy, um auch aus dem Fenster schauen zu können. „Sind wir da, Mama?“

„Wir sind da.“

Die Tür der Kutsche wurde geöffnet; Ellis klappte die Trittleiter mit dem Fuß herunter und sprang gleichsam aus dem Wagen. So viel Energie hatte er die ganzen letzten Tage nicht gezeigt. Daisy folgte ihrem Sohn, schüttelte ihre Röcke aus und reckte sich, während sie zu dem Gebäude hinaufsah, das vor ihnen lag.

Belinda stolperte ihr hinterher, rempelte sie an und musste sich mit einer Hand an ihrer Schulter abstützen. „Oh je“, sagte sie, während sie ebenfalls den Blick hob.

„Oh je“ war noch das Freundlichste, was man zu diesem Anblick hätte sagen können. Das alte Jagdhaus war viel größer, als Daisy es sich vorgestellt hatte – eigentlich sah es eher wie eine mittelalterliche Burg aus. Die Mauern waren schwarz und verwittert und nur zur Hälfte von wild wucherndem Efeu überwachsen. Seine langen Ranken tanzten im leichten Wind dieses frühen Abends hin und her. Das Gebäude wurde an beiden Enden von zwei Türmen flankiert. Die Fenster – ein paar von ihnen waren sogar mit Brettern vernagelt – waren dunkel und sahen aus, als wären sie seit Jahren nicht geputzt worden. Es gab eine ganze Reihe von Schornsteinen, mindestens zwei von ihnen fielen bereits in sich zusammen, doch aus keinem davon stieg Rauch auf. Es machte den Anschein, als wäre Auchenard vollkommen verlassen.

„Ich dachte, es gibt einen Verwalter, der sich hier um alles kümmert“, sagte Daisy verblüfft. Um dieses Haus hier hatte sich überhaupt niemand gekümmert – im Gegenteil, es war ja völlig verwahrlost.

„Ah, da bist du ja!“ Die große, hölzerne Vordertür wurde geöffnet, und der Bruder ihrer verstorbenen Mutter, Onkel Alfonso, kam mit langen Schritten auf Daisy zu, während die zweite Kutsche und die offenen Wagen die Auffahrt hinauffuhren. Sein volles graues Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, und seine große, schlanke Gestalt steckte in Kleidern, wie Daisy sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er hatte seine Jacke abgelegt, seine Hemdsärmel hochgekrempelt und sich eine Lederschürze umgebunden. „Na endlich! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“, rief er und lächelte dabei. „Ellis, mein Junge, komm her und umarme deinen alten Onkel.“

Mr. Rowley, der langgediente Butler der Chatwicks, erschien als nur etwas kleinere Ausführung von Onkel Alfonso in der Tür. Er war genauso angezogen wie er, aber er war noch dazu von Staub bedeckt.

Er verneigte sich. „Mylady.“

Onkel Alfonso und Rowley waren zwei Wochen vor Daisy und den anderen eingetroffen, um das Jagdhaus für sie alle bewohnbar zu machen. So wie es schien, war das wesentlich mehr Arbeit, als sie alle gedacht hatten.

„Ich freue mich so sehr, euch beide zu sehen!“, rief Daisy. „Es war eine fürchterliche Reise, ich dachte schon, wir kommen niemals an.“

„Ich habe mir auch schon Sorgen gemacht“, entgegnete Onkel Alfonso, während er sich vorbeugte, um Belinda einen Kuss auf die Wange zu geben. „Ihr seid bestimmt völlig erschöpft. Wir haben ein gutes Essen für euch, aber ihr solltet euch zuerst die Beine vertreten und euch in deinem Highland-Haus ein wenig umsehen“, sagte er, während er Ellis das Haar zerzauste. „Es ist alles nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht.“

Es sollte sich jedoch herausstellen, dass es allerdings so schlimm war, wie es auf den ersten Blick aussah.

Im Inneren war das Landhaus genauso heruntergekommen wie von außen. Überall auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht; an den Fußspuren in der Eingangshalle war deshalb deutlich abzulesen, wo Alfonso und Rowley schon herumgelaufen waren. Es roch durchdringend nach kalten Schornsteinen und feuchtem Torf. Die Felssteine, aus denen die Wände gemauert waren, waren so dick, dass es im Haus eiskalt war. Wahrscheinlich muss man ständig Feuer in den Kaminen haben, wenn man die Kälte vertreiben will, dachte Daisy. Außerdem war es dunkel. Das lag zum Teil daran, dass die zerbrochenen Fenster mit Brettern zugenagelt worden waren, und zum Teil daran, dass es keine Kerzen gab.

Das ganze Haus war sehr primitiv. Es war überhaupt kein Vergleich mit den sonnendurchfluteten Räumen von Chatwick Hall mit seinen Damastvorhängen und den Teppichen aus Aubusson, den Marmorböden und den französischen Möbeln. Es war auch vollkommen anders als das helle, offene Stadthaus in Mayfair.

Und doch, obwohl es überall so verfallen war, bemerkte Daisy eine Art rustikalen Charme, während sie durchs Haus gingen … sie würden jedoch eine ganze Armee von Hilfskräften brauchen, wenn sie den wieder zum Vorschein bringen wollten.

Als sie ihren Rundgang abgeschlossen hatten, führte Onkel Alfonso sie in einen Raum, den er als Herrenzimmer bezeichnete. Der Raum hatte eine hohe Decke, die auf dicken Holzbalken ruhte. Alfonso schob ein paar schwere Samtvorhänge beiseite, wobei er eine Staubwolke aufwirbelte, die sie alle zum Niesen brachte. Als Daisy die Augen wieder öffnete, erstreckte sich vor ihren Augen ein unerwartet schöner Ausblick auf einen See am Fuß einer sanften grünen Senke. In der Dämmerung stieg von der Wasseroberfläche Nebel auf, und die Hügel dahinter bildeten eine Kulisse von dunklem Grün, Gold und Violett. Sie musste vor Freude lächeln.

„Alles, was du hier siehst, gehört dir, Liebes“, sagte ihr Onkel.

„Wirklich? Wirklich alles?“

„Ja, alles“, bestätigte er. „Es ist schön hier, findest du nicht?“

„Es muss so viel getan werden“, meinte Belinda und verschränkte dabei die Arme vor der Brust. „Ich kann mir nicht vorstellen, wo du die Leute dafür hernehmen willst.“

„Wenn wir niemanden finden, der es machen will, dann machen wir es eben selbst“, verkündete Daisy und drehte sich zu ihrem Onkel um. „Gibt es hier denn keinen Verwalter?“

„Oh doch, es gibt schon einen Verwalter“, entgegnete er. „Aber ich habe den Eindruck, dass er sich wesentlich mehr Sorgen darüber gemacht hat, woher er seinen nächsten Drink herbekommt, als um Auchenard. Es ist wahrscheinlich besser für das Haus, wenn es leer steht, als wenn so ein Kerl wie der sich darum kümmert.“

Daisy seufzte resigniert. Es lag ihr überhaupt nicht, sich mit Dienstboten herumzuschlagen, die für ihr Geld nicht arbeiten wollten. „Und wie gefällt dir unser Jagdhaus, Liebling?“, fragte sie ihren Sohn.

Ellis seufzte nachdenklich. Ernsthaft wie immer!

„Ganz oben im Turm gibt es eine kleine Kammer, von der aus man hervorragend die Sterne beobachten kann“, sagte Onkel Alfonso einladend.

Ellis blinzelte. „Kann man denn von dort alle sehen? Sieht man Orion von da oben?“

„Orion“, wiederholte Alfonso fragend.

„Der Kapitän von unserem Schiff hat Ellis während der Fahrt das eine oder andere über Navigation beigebracht“, erklärte Daisy.

„Ja, ich bin sicher, dass man ihn sehen kann“, meinte Onkel Alfonso zuversichtlich.

„Es wäre vielleicht schön für Ellis und Belinda, wenn sie ihre Zimmer sehen könnten“, wandte sich Daisy an Rowley. „Belinda, kümmerst du dich darum, dass Ellis sich zurechtfindet? Mein Onkel und ich müssen noch ein paar Dinge besprechen.“

„Lass mich zuerst ganz kurz mit Sir Nevis reden“, sagte ihr Onkel und verließ hinter Belinda und Ellis den Raum.

Daisy blieb einen Augenblick lang stehen und lauschte den Schritten ihres Onkels, die im Korridor erklangen und dann verhallten. Als sie ganz sicher war, dass sie allein war, ließ sie sich auf eine Sitzbank fallen, die noch immer mit einem Staubüberwurf bedeckt war, und legte ihre Füße auf einen Sessel. Sie war todmüde und wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich in einem richtigen Bett schlafen zu können. Sie schloss die Augen und war mit den Gedanken sofort wieder beim See, den Hügeln dahinter … und den außerordentlich blauen Augen eines ganz bestimmten Schotten. Sie stellte sich noch einmal vor, wie er sie mit seinen Händen berührte – jetzt in einem richtigen Bett. Seine Berührungen waren ehrerbietig, sein Blick sanft.

Wie lange sie sich ihren Träumen hingegeben hatte, wusste sie nicht, aber sie wurde von einem leisen Lachen geweckt.

Daisy öffnete ein Auge. Vor ihr stand ihr Onkel, die Arme hatte er über seiner Schürze verschränkt, und er lächelte vor Vergnügen über ihren Mangel an Anstand.

„Willst du mir etwa Vorwürfe machen?“, fragte sie und richtete sich dabei mit einem Ruck auf. „Es war eine fürchterliche Reise.“

„Ja, das ist dir deutlich anzumerken.“ Er ging zur Anrichte hinüber und schenkte zwei Gläser Wein ein. Als er zurückkam, gab er ihr eins davon.

Daisy gähnte und nippte dann an dem Getränk. Sie zog die Nase kraus.

Onkel Alfonso zuckte mit den Schultern. „Das war das Beste, was in diesem Fischerdorf aufzutreiben war.“

„Dieses Haus hier ist ein einziges Chaos, Onkel Alfonso“, sagte sie missmutig. „Belinda hat ganz recht – das wird eine Menge Arbeit! Wie sollen wir hier nur für Ordnung sorgen?“

Onkel Alfonso schwieg und rieb sich die Augen. „Das weiß ich auch nicht“, gestand er schließlich. Langsam ging er mit dem Weinglas in der Hand zum Fenster hinüber und sah hinaus auf den Sonnenuntergang hinter den Hügeln.

Daisy stand auf und gesellte sich zu ihm. „Glaubst du, dass wir Leute dafür finden?“

„Ein paar schon, würde ich sagen“, antwortete er. „Ich lasse Sir Nevis morgen früh gleich auf die Suche gehen. Aber wir müssen alle auch selbst anpacken, Liebes.“ Er legte ihr einen Arm um die Schultern. „Und damit meine ich wirklich alle.“

Sie sah ihn mit einem schiefen Lächeln an. „Willst du damit etwa sagen, ich soll mir die Hände schmutzig machen?“, fragte sie mit gespieltem Erstaunen.

„Wir können jedes Paar Hände gebrauchen.“

Daisy küsste ihren Onkel auf die Wange, dann trat sie ein paar Schritte zurück und begann, sich die Haarnadeln aus der Frisur zu ziehen. „Belinda wird nicht begeistert sein, aber mir ist das ehrlich gesagt ganz recht. Ich habe es satt, den ganzen Tag herumzusitzen und außer Tratsch und Handarbeiten nichts zu tun zu haben.“ Sie wollte nicht zugeben, dass der Zustand des Hauses ihr Sorge bereitete; die Furcht, die in ihrem Bauch rumorte, würde sie für sich behalten.

„Soll ich Mr. MacNally, diesen angeblichen Verwalter, kommen lassen?“, fragte er.

Es war offensichtlich, dass sie sich um die Sache mit dem Verwalter kümmern musste, aber im Moment konnte Daisy an nichts anderes denken als daran, wie erschöpft sie war und dass sie ein Bad brauchte. Außerdem wollte sie sich endlich von diesem Mieder befreien. „Gleich morgen früh“, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab.

Sie wollte jetzt nicht mehr über das Chaos um sie herum nachdenken. Stattdessen war sie mit den Gedanken lieber wieder bei dem Schotten und versuchte, sich nicht allzu gründlich umzusehen. Die Frage, was alles zu tun war und wie sie sich in der neuen Umgebung zurechtfinden würde, hatte Zeit bis morgen.

3. KAPITEL

Als Fabienne anfing zu bellen, hob Cailean den Kopf und unterbrach seine Arbeit. Er wohnte ganz allein auf Arrandale – er baute sich sein Zuhause beinahe im Alleingang auf – und so kam fast nie jemand vorbei, es sei denn, es war jemand, den er engagiert hatte, um ein Dach zu decken oder einen Fußboden zu verlegen. Heute jedoch erwartete er seinen Bruder Aulay – der aber wollte mit dem Boot den Loch hinaufkommen. Er brachte den Wein und den Tee mit, den sie in Frankreich gekauft hatten … nur ohne die Steuerverwaltung über diesen Handel zu informieren.

Deshalb war er etwas misstrauisch, als ausgerechnet jetzt jemand an die Vordertür klopfte. Er ging mit langen Schritten nach vorn und schnappte sich auf dem Weg schnell eine Muskete.

„Arrandale!“, hörte er jemanden rufen, als er die Tür erreicht hatte. Er öffnete sie und schwang sich die Muskete auf die Schulter, als er den Mann erkannte, der vor ihm stand.

Padraig MacNally warf die Hände in die Luft und stolperte rückwärts, dabei fiel er beinahe über Fabienne, die wie wild mit dem Schwanz wedelte, so sehr freute sie sich über den Besuch.

„Was willst du hier?“, fragte Cailean unwirsch.

MacNally fing sofort an, auf Gälisch zu plappern, er sagte irgendetwas von einer Ausländerin und von Jahren, die er im Dienst von anderen gestanden hatte, ohne jemals dafür belohnt zu werden.

Mit einem verzweifelten Stöhnen senkte Cailean die Waffe. „Um Gottes willen, hol doch auch mal Luft, Junge. Ich versteh ja kein einziges Wort, das du sagst.“

MacNally schwieg und atmete tief ein. Dann sagte er, wieder auf Gälisch: „Eine Dame ist gekommen und hat mich aus dem Dienst entlassen!“ Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorn, dabei rieb er sich fahrig mit der Hand die Nase. Sein Tartanüberwurf war schmutzig, und jetzt, da er nur ein paar Meter von ihm entfernt stand, konnte Cailean den Whisky in seinem Atem riechen. Das überraschte ihn gar nicht – jeder wusste, dass die MacNallys in diesem Tal Trunkenbolde waren. „Ich bin jetzt ohne Stellung!“

„Aye, und wem hast du das zu verdanken?“ Cailean seufzte.

„Ich hab mich vierzehn Jahre lang um Auchenard gekümmert!“, heulte MacNally.

„Dich gekümmert? Von dem Haus ist doch nicht viel mehr übrig als ein Steinhaufen.“

„Der alte Mann hat sich geweigert, Geld für die Reparaturen zu schicken“, beteuerte MacNally, offenbar war er den Tränen nahe. „Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte überhaupt nichts machen, Lord! Ich brauche Ihre Hilfe“, sagte er, faltete seine schmutzigen Hände und rang sie in Caileans Richtung. „Bitte.“

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