Ein Kuss ist längst nicht genug

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Ein Kuss kann doch nicht schaden, oder? Als die ehrgeizige junge Reporterin Izzie einem sexy Fremden im Fahrstuhl begegnet, knistert es überraschend heiß. So heiß, dass Izzie plötzlich keine Lust mehr hat, immer die Vernünftige zu sein. Spontan gibt sie ihrem Verlangen nach und nimmt Alex’ Einladung in sein luxuriöses Londoner Penthouse an. Aber kaum hat sie die Nacht mit ihm verbracht, ist nicht nur ihr Herz, sondern auch ihre Karriere in Gefahr. Denn schockiert begreift sie, dass Alex der geheimnisvolle Milliardär ist, über den sie eine Enthüllungsstory schreiben soll!


  • Erscheinungstag 08.12.2015
  • Bandnummer 2208
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707224
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Was Glück anging, konnte sich Reporterin Isabel Peters aus Manhattan im Moment nicht beschweren. Sie hatte es tatsächlich geschafft, ein süßes Einzimmerapartment an der Upper East Side zu ergattern, das sie sich gerade so leisten konnte, und eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio um die Ecke gewonnen. Vielleicht würde sie sich so die überflüssigen acht Kilo vom Leib halten, die sie gerade verloren hatte. Und weil sie obendrein noch zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war, hatte sie eine pikante Story über das Wettrennen um den Bürgermeistertitel an Land gezogen. Damit würde sie sich in der Medienwelt einen Namen machen.

Doch als sie durch die Flure der Londoner Büros von Sophoro eilte, ihre Karte auf den mahagonifarbenen Empfangstisch der makellos geschminkten Rezeptionistin knallte und verlangte, mit Leandros Constantinou zu sprechen, sagte ihr der Blick der hübschen Blondine, dass es nun vorbei war mit ihrer Glückssträhne.

„Ich fürchte, Sie haben ihn knapp verpasst, Miss Peters“, erklärte die Dame kühl. „Mr Constantinou ist bereits auf dem Weg zurück in die Staaten.“

Verdammt! Izzie spürte, wie sie in sich zusammensackte. Sie hatte völlig unter Strom gestanden, seit ihr Chef sie an diesem Morgen auf die wilde Hetzjagd quer durch London geschickt hatte. Und nun hatte sie ihn verpasst. Der Sophoro-Milliardär und CEO des Unternehmens hatte sich längst aus dem Staub gemacht. Izzie hatte den transusigen Taxifahrer zu Höchstleistungen angespornt, doch der mittägliche Verkehr Londons hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Es fiel ihr schwer, sich ihre Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. „Ach so“, murmelte sie und ließ die Karte wieder in ihrer Handtasche verschwinden. „Wissen Sie zufällig, wohin genau er geflogen ist?“

„Dafür müssten Sie seine persönliche Assistentin kontaktieren“, erklärte die Blondine und musterte sie herablassend. „Sie sitzt in der Hauptgeschäftsstelle in New York. Soll ich Ihnen ihre Nummer geben?“

„Vielen Dank, ich hab die Nummer.“ Izzie überlegte. „Wie lang ist es her, seit er London verlassen hat?“

„Mehrere Stunden“, nuschelte die Empfangsdame und tat beschäftigt. Es war offensichtlich, dass sie Izzie loswerden wollte. „Tut mir leid, dass Sie umsonst gekommen sind.“

Izzie warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Hatte sie da nicht gerade ein verdächtiges Funkeln in den Augen der Blondine bemerkt?

Leandros Constantinou war berühmt für seine Ausweichmanöver, wenn die Presse hinter ihm her war. Saß er in diesem Moment womöglich seelenruhig in seinem Büro hier in London?

Nun, ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als die Aussage der Empfangsdame zu akzeptieren. Ihr Flug zurück nach New York ging in exakt dreieinhalb Stunden, und Izzie hatte nicht vor, ihn zu verpassen.

Mit einem Nicken wandte sie sich um. James, ihr Chef, würde fluchen. Der Skandal, der Constantinous Software-Imperium bedrohte, würde bald publik werden. Und wenn NYC-TV es nicht schaffte, vorher ein Interview mit Constantinou zu führen, dann würde bald jeder Nachrichtensender im Land an seine Tür klopfen. Und dann hätten sie kaum mehr eine Chance auf die Rechte an der Story.

Seufzend eilte sie durch den Empfangsbereich auf die Glastüren zu, hinter denen sich der Aufzug befand. Ein Blick in die leeren gelangweilten Gesichter der Angestellten, die im großzügigen Aufenthaltsbereich ihrem Koffein- und Nikotinrausch frönten, sagte ihr, dass sie direkt in die Mittagspause geplatzt war. Nicht dass sie selbst keine Laster hätte. Ihre Vorliebe für gutes Essen ließ sie ständig mit den Pfunden kämpfen. Aber was blieb einer jungen Frau auch übrig, wenn die Mutter eine berühmte Hollywood-Diva und die Model-Schwester auf den Laufstegen der Welt zu Hause war? Kein Wunder, dass sie vor lauter Frust häufig zu viel in sich hineinstopfte. Bei so viel Perfektion in der eigenen Familie.

Der Klingelton des Aufzugs riss sie aus ihren Gedanken. Die Türen öffneten sich, und Leute strömten heraus. Dann drängte sich die Gruppe Wartender neben ihr hinein. Gequetscht wie die Sardinen standen sie in der kleinen Kabine, und Izzie hätte mitgehen sollen. Schließlich musste sie die Zeit im Blick behalten. Doch der Anblick der schmalen Aufzugkabine mit den vielen Menschen darin schnürte ihr die Kehle zu. Wieder einmal holten sie die Erinnerungen an damals ein.

Ein Blick auf die Feuerschutztür ließ sie einen kurzen Moment überlegen, wie lange es wohl dauern würde, vierzig Stockwerke über die Treppen hinabzusteigen. Zu lange, entschied sie. Ihre Sieben-Zentimeter-Absätze waren für derart sportliche Aktivitäten ohnehin nicht geeignet. Außerdem musste sie ihren Flug erwischen. Es wäre besser, sie überwand ihre Angst und stieg in diesen Aufzug. Nur dann würde ein Dutzend Leute Zeuge ihrer lächerlichen Aufzugphobie.

Als die schweren Stahltüren sich vor ihrer Nase schlossen, stieß sie die Luft aus. Dann würde sie eben den nächsten nehmen. Schließlich war sie kein kleines Mädchen mehr, sondern eine souveräne und viel beschäftigte junge Frau, auf deren Schultern eine Menge Verantwortung lastete.

Nervös ließ sie den Blick durch die Lobby schweifen. Neben ihr stand eine großgewachsene Frau mit perfekter Figur in einem eng sitzenden Kleid. Zweifellos Haute Couture, stellte Izzie bewundernd fest. Waren diese Frauen eigentlich überall? Und dann auch noch in Designer-Stilettos! Das war einfach nicht fair! Das einzige Paar Designer-Schuhe, das sie besaß, waren rote herabgesetzte Pumps, für die sie fast ihr halbes Monatsgehalt ausgegeben hatte. Sie schmunzelte, als sie sich daran erinnerte, wie sie dafür wochenlang Müsli zum Abendessen gegessen hatte.

Ihr Blick wanderte weiter zu dem älteren Mann im grauen Anzug, der offensichtlich eine Vorliebe für süßes Gebäck und fettiges Essen hatte, denn sein Hosenbund war bis zum Platzen gespannt.

Und dann sah sie ihn, und ihre Augen wurden ganz groß. Stand er schon die ganze Zeit dort? Wie hatte sie ihn bloß übersehen können? Ein Meter neunzig pures Testosteron. Sein grauer Designer-Anzug war ihm wie auf den Leib geschneidert. Wow! Sie hatte tatsächlich noch nie einen Mann gesehen, der eine derart gute Figur im Anzug abgab. Da konnten nicht einmal die eitlen Pfauen in den Bars des Manhattaner Finanzdistrikts mithalten. Der dunkle graue Stoff schmiegte sich nahezu perfekt an den schlanken muskulösen Körper des Fremden.

Er sah unverschämt gut aus. Und Izzie wurde mit einem Mal schrecklich heiß unter ihrem Kleid. Verstohlen sah sie auf, um einen Blick auf sein dunkelhäutiges sexy Profil zu erhaschen. Und erstarrte. Er musste bemerkt haben, dass sie ihn beobachtete, denn er sah von seinem Handy auf … und ihr direkt in die Augen. Du lieber Gott, dieses Grübchen da auf seinem Kinn und dieser Blick. Dieser Mann war wirklich zum Anbeißen schön.

Unwillkürlich hielt sie die Luft an, als sie spürte, wie er sie musterte. Kein Vergleich zu ihren schüchternen Blicken. Nein – das hier war der selbstsichere Kennerblick eines erwachsenen Mannes, der es gewohnt war, sich die Frauen aussuchen zu können.

Izzie schluckte. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Es war ihrer Berufserfahrung als selbstbewusste Reporterin zu verdanken, dass sie es schließlich schaffte, den prüfenden Blick aus seinen blauen Augen zu erwidern. Wenngleich sie sicher war, dass ihre Wangen mittlerweile die Farbe von Roter Bete hatten.

Ein quälend langer Moment verging. Dann endlich wandte er sich ab, um sich wieder dem Display seines Handys zu widmen.

Test nicht bestanden.

Ihre Wangen glühten noch heißer. Ganz ehrlich, Izzie, was hattest du eigentlich erwartet? Dass er anfangen würde, mit dir zu flirten? Ausgerechnet ein Mann wie er? Es war doch offensichtlich, dass sie nicht in sein Beuteschema passte.

Lateinamerikanische Musik drang durch die Lobby vor den Aufzügen. Und wurde immer lauter. Adonis sah auf und runzelte die Stirn. Ihr Handy! Auch das noch! Hastig fummelte sie in ihrer Tasche und zog es heraus.

„Und?“ Die Stimme ihres Chefs klang angespannt. „Wie lief es?“

„Ich hab ihn nicht mehr erwischt, James, tut mir leid. Der Verkehr hat mich aufgehalten.“

Sie hörte, wie James enttäuscht die Luft ausstieß.

„Ich weiß ja, dass er nicht so leicht zu haben ist, aber ich dachte, das gilt nur für die Damenwelt.“

Izzie hatte keine Ahnung, wie Leandros Constantinou aussah. Sie wusste rein gar nichts über ihn. Weder hatte sie von seiner Computerspielefirma jemals etwas gehört, noch von Behemoth, dem Spiel, das dem Unternehmen zu immensem Reichtum verholfen hatte. Jedenfalls nicht, bis sie James’ Nachricht heute Morgen erhalten hatte, als sie gerade auf dem Rückweg ihrer Reise in die Toskana war. James hatte ziemlich aufgeregt geklungen und gemeint, sie müsse unbedingt einen Zwischenstopp in London einlegen. Angeblich war Constantinous ehemaliger Entwicklungschef Frank Messer, der vor Jahren achtkantig aus dem Unternehmen geworfen worden war, heute bei NYC-TV aufgetaucht und hatte behauptet, Behemoth sei in Wahrheit seine Idee gewesen. Er würde ein Gerichtsverfahren gegen Sophoro anstrengen und den ihm zustehenden Anteil einklagen. Er hatte Izzies Chef ein Exklusivinterview angeboten, um seine Sicht der Dinge mitzuteilen.

Izzie spitzte die Lippen. „Ich habe die Dame am Empfang gefragt, wohin er geflogen ist, aber sie hat mir keine Auskunft gegeben.“

„Meine Quelle sagte mir, er sei unterwegs nach New York.“ Ihr Chef seufzte. „Mach dir keine Gedanken, Izzie, wir kriegen ihn schon. Er kann sich nicht ewig vor uns verstecken.“

Wir? Stirnrunzelnd überlegte sie einen Moment. „Möchtest du etwa, dass ich an dieser Geschichte arbeite?“

Am anderen Ende der Leitung war Stille.

„Ich wollte es dir eigentlich erst sagen, wenn du wieder da bist“, erklärte James zögernd. „Damit du dich nicht gleich verrückt machst deswegen. Catherine Willouby geht in den Ruhestand. Und die Geschäftsführer sind von deiner Arbeit in den letzten Monaten ziemlich beeindruckt. Sie hätten gern, dass du ihre Position übernimmst.“

Izzie blieb die Luft weg, ihr Magen schien Purzelbäume zu schlagen. Sie sollte Catherine Willouby, NYC-TVs berühmtes Aushängeschild und Chefsprecherin, ersetzen? Sie, die junge Lokalreporterin, für die sich niemand interessierte?

„Aber ich habe doch kaum Erfahrung“, stotterte sie und hätte sich im selben Moment dafür ohrfeigen können. Das war doch die Chance ihres Lebens!

„Wir müssen mehr junge Leute ansprechen“, entgegnete James unbeeindruckt. „Die Geschäftsführer sind der Meinung, du würdest mehr Pep in die Sendung bringen. Und du hast bereits einen guten Draht zu den Zuschauern.“

In Izzies Kopf drehte sich alles. Ihre Hände zitterten vor lauter Aufregung, sie musste aufpassen, dass ihr das Handy nicht entglitt. Eigentlich müsste sie sich freuen, stattdessen fühlte sie sich wie gelähmt. „Und was hat das alles mit der Constantinou-Geschichte zu tun?“

James räusperte sich scheinbar verlegen. „Nun, wir denken, dass du ein wenig mehr Erfahrung mit brisanten Wirtschaftsnachrichten sammeln solltest. Und dieser Fall hier wäre ideal für dich. Du wirst eine großartige Story daraus machen, da bin ich mir sicher!“

Oh! Izzie schluckte hart und wippte auf ihren Absätzen auf und ab. Diese Constantinou-Geschichte würde im ganzen Land für Schlagzeilen sorgen. War sie überhaupt bereit für all das?

„Bist du noch da?“, erkundigte James sich ungeduldig.

„Ja“, presste sie hervor, und ihre Stimme klang mehr wie ein Quietschen. „Ja“, wiederholte sie dann etwas klarer.

„Beruhige dich wieder“, ermahnte er sie. „Es geht erst mal nur um ein Vorstellungsgespräch, das ist alles. Weiter wirst du vielleicht ohnehin nicht kommen. Es sind noch einige andere Kandidaten im Gespräch.“

Ein Vorstellungsgespräch für den größten Medienmarkt weltweit. Sie würde vor einer Reihe furchtbar ernster Herren in dunklen Anzügen sitzen, die sie komplett durchleuchten würden. Den Geschäftsführern des Senders würde keine ihrer Regungen entgehen …

„Wann?“

„Morgen früh um zehn, hier bei uns in der Zentrale.“

Morgen schon? Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ein Aufzug kam. „James, ich …“

„Ich muss Schluss machen, Iz. Ich habe dir ein paar Fragen gemailt, damit du dich vorbereiten kannst. Studier deine Antworten gut ein, dann bist du perfekt vorbereitet. Zehn Uhr morgen Vormittag, komm nicht zu spät!“

Die Verbindung brach ab. Und Izzie schüttelte den Kopf. War das gerade wirklich passiert, oder hatte sie geträumt?

Der dunkelhaarige Adonis griff nach seiner Tasche und stieg in den leeren Aufzug vor ihnen. Ein schneller Blick durch die Lobby sagte ihr, dass sie mittlerweile die einzigen Wartenden waren. Hastig ließ sie ihr Telefon in der Handtasche verschwinden und folgte dem Fremden. Zwei Schritte vor der Aufzugschwelle blieb sie wie angewurzelt stehen. Der Anblick des leeren Metallkäfigs ließ ihren Puls hochschnellen.

Ungeduldig schob Adonis die Hand zwischen die sich gerade schließenden Türen und sah sie fragend an. „Kommen Sie?“

Izzie nickte. Eine Sekunde lang war sie abgelenkt von dem New Yorker Akzent mit leichtem fremdländischen Einschlag, was seine Stimme sexy klingen ließ. War es Griechisch?

Los, rief sie sich zur Vernunft und schaffte es sogar, einen Schritt auf den Aufzug zu zu machen. Doch je näher sie kam, desto mehr schnürte sich ihre Kehle zu. Nach Luft ringend blieb sie wenige Zentimeter vor der Schwelle stehen.

Der Fremde warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Sie legte den Kopf schief. „Ich fürchte, ich hab eine leichte Aufzugphobie.“

Belustigt zog er die Augenbrauen hoch. „Millionen von Menschen fahren täglich mit Aufzügen. Die Dinger sind verdammt sicher.“

„Da bin ich anderer Meinung“, murmelte sie und rührte sich nicht vom Fleck, während er die Augen verdrehte.

Und wie kommen Sie dann jeden Tag zur Arbeit?“

„Ich nehme die Treppen.“

Langsam schien er keine Geduld mehr mit ihr zu haben. „Wissen Sie was? Ich muss zum Flughafen. Entweder Sie steigen jetzt ein, oder Sie nehmen den nächsten …“

Izzie schluckte. „Ich auch … Ich meine, ich muss auch zum Flughafen.“

Adonis musste sich sichtlich anstrengen, ruhig zu bleiben. „Dann kommen Sie.“

Vor ihrem geistigen Auge tauchten Bilder von ihr und ihrer Schwester auf, wie sie in der Dunkelheit einer Aufzugkabine nach Hilfe riefen. Es passierte ihr jedes Mal, wenn sie kurz davor war, in einen Aufzug zu steigen. Sie erinnerte sich noch zu gut an die absolute Stille in ihrem metallenen Gefängnis. Wie sie zitternd am Boden gesessen hatten, die Knie bis ans Kinn angezogen. In dem ständigen Bewusstsein, dass der Aufzug jeden Moment abstürzen und ins Bodenlose fallen könnte. Überzeugt davon, dass niemand sie jemals finden würde und sie dort vielleicht verhungern und verdursten würden.

Der gut aussehende Fremde stieß einen leisen Fluch aus. „Tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht länger warten.“

Mit leerem Blick starrte Izzie ihn an, wie er die Hände zurückzog und einen der Knöpfe im Aufzug drückte. Wie hypnotisiert beobachtete sie, wie sich die Aufzugtüren vor ihr schlossen.

Ich darf den Flug nicht verpassen.

Mit einem tiefen Atemzug stürzte sie sich durch den verbleibenden Spalt zwischen den Türen hinein in das Innere der Aufzugkabine.

Adonis fluchte erneut und streckte blitzschnell die Hand zwischen die Türen.

„Was war das denn für eine Aktion?“, fuhr er sie an, während sie nach der Haltestange griff, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Izzie zuckte zusammen, als sie hörte, wie sich die Türen hinter ihnen schlossen und der Aufzug mit einem leichten Ruck anfuhr. „Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch“, erklärte sie noch immer außer Atem. „Ich darf meinen Flug nicht verpassen.“

„Ach so, und da dachten Sie sich, gestückelt kommen Sie schneller am Flughafen an, oder wie?“ Er schüttelte den Kopf und sah sie an, als sei sie verrückt.

„Ich erwähnte es doch bereits, ich hab Angst vor Aufzügen. Schon vergessen?“ Noch immer krampften sich ihre Finger um die Haltestange, als ginge es um ihr Leben.

Spöttisch verzog Adonis den Mund, während sie versuchte, eine möglichst lässige Haltung einzunehmen. Jedenfalls soweit es ihr mit ihren zitternden Knien möglich war.

Der Aufzug glitt lautlos ein Stockwerk nach dem anderen abwärts. So schlimm war es doch gar nicht, sagte sie sich. Vielleicht war sie wirklich ein wenig verrückt. Was der Mann bloß von ihr denken mochte? Sie nahm einige tiefe Atemzüge und zwang sich, zu entspannen und den Griff um die Haltestange zu lockern. Sie würde es durchhalten, wiederholte sie wie ein Mantra in ihrem Kopf und beobachtete die blinkende Anzeige. Nur noch vierunddreißig Stockwerke …

Eine Gruppe Geschäftsleute, die sich über einen nicht ganz jugendfreien Witz amüsierte, stieg im dreiunddreißigsten Stock zu. Die tiefen Stimmen der Männer dröhnten in der kleinen Kabine. Als die Männer im nächsten Stockwerk ausstiegen, lächelte Izzie. Der Witz war etwas anrüchig, aber er hatte sie aufgelockert. Nun war sie wieder allein mit dem dunklen Fremden.

Als der Aufzug beschleunigte, richtete sie den Blick auf die Leuchtanzeige. Einunddreißig, dreißig, neunundzwanzig … Bildete sie es sich nur ein, oder flogen die Stockwerke schneller an ihnen vorbei? Sofort ging ihr Puls hoch. Das konnte nicht sein. Aufzüge änderten ihre Geschwindigkeit doch nicht, oder? Unsicher sah sie zu Adonis herüber. Auch er war auf die Anzeige fixiert. Achtundzwanzig, siebenundzwanzig, sechsundzwanzig … Sie wurden tatsächlich immer schneller.

„Was ist hier los?“, stieß sie atemlos hervor und griff wieder nach der Stange hinter ihr.

Adonis wandte sich zu ihr um, die Lippen grimmig aufeinander gepresst. „Ich weiß …“

Er kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn der Aufzug kam mit einem lauten Quietschen zum Stehen. Izzie schrie, als der gewaltige Ruck sie aus dem Gleichgewicht brachte und durch die Kabine stolpern ließ. Der Fremde versuchte, sie zu halten, doch die ruckelnde Kabine ließ ihn gegen sie taumeln. Im nächsten Moment lagen sie am Boden. Das schwere Gewicht seines Körpers drückte ihr die Luft ab. Dann hörte sie, wie ihr Kopf hart auf dem Boden aufschlug, und alles wurde still um sie.

Ein wenig benommen stützte Alex sich auf. Das Mädchen lag unter ihm und hatte die Augen geschlossen. Der Aufzug knarrte bedrohlich, und er wagte es nicht, sich zu bewegen. Nach einigen quälenden Sekunden war es schließlich still. Der Aufzug blieb, wo er war. Eine unheimliche Stille breitete sich in der Kabine aus. Die Notbremse schien ausgelöst worden zu sein. Gott. Sei. Dank.

Der Klang von stoßweisem Atem drang an sein Ohr. Sein Gesicht war in einem Meer von dichtem seidigem Haar vergraben. Unter sich spürte er den zarten Körper der jungen Frau und fluchte innerlich. Sicher hatte er sie verletzt. Eigentlich hatte er sie auffangen wollen, stattdessen hatte er selbst das Gleichgewicht verloren und war direkt auf sie gefallen.

Behutsam richtete er sich auf und hockte sich neben sie. Noch immer lag sie bis auf die hastigen Atembewegungen regungslos mit dem Kopf nach unten am Boden. Zögernd berührte er sie an der Schulter. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Sie antwortete nicht, und er drehte sie sanft auf Seite. Ihre glasigen Augen und das schneeweiße Gesicht machten ihm Angst. Christós! Die purpurfarbene Beule, die sich auf einer Seite ihrer Stirn bildete, verursachte einen leichten Schweißfilm auf seiner Haut. Sicher hatte sie eine Gehirnerschütterung?

Angestrengt versuchte er, ihren Blick zu fixieren, bis sie ihn anzusehen schien.

„Wie geht es Ihnen?“

Ihre Lippen öffneten sich. „Der … der Aufzug … Sind wir … sind wir stehen geblieben?“

Erleichtert stieß er die Luft aus. Wenigstens konnte sie noch sprechen. „Ja. Die Notbremsen haben unseren Fall gestoppt.“

Sie nickte und schien für eine Sekunde beruhigt zu sein. Dann begann sie, ihren Blick nervös durch die Kabine und an den metallenen Wänden entlang gleiten zu lassen. Ihr Atem beschleunigte sich wieder, und sie stützte sich auf in eine sitzende Position. „Ich … ich kann nicht …“, stotterte sie.

Energisch griff er sie bei den Schultern und versuchte, sie wieder auf den Boden zu drücken, damit sie sich hinlegte. „Sie müssen sich unbedingt beruhigen, sonst bekommen wir hier noch mehr Probleme“, redete er beschwörend auf sie ein. „Atmen Sie tief ein und aus. Und bleiben Sie liegen.“

Mit weit aufgerissenen Augen erwiderte sie seinen Blick. Langsam wurde ihr Atem wieder ruhiger, und die Panik wich aus ihrem Gesicht.

„Ich sehe kaum was“, murmelte sie. „Mein Brille … ich muss sie beim Sturz verloren haben.“

Schnell erhob er sich und fand sie in der Ecke des Aufzugs. Wie durch ein Wunder war sie nicht zerbrochen, und er reichte sie ihr. „Sie haben sich den Kopf angeschlagen. Ist Ihnen schwindelig?“

Sie richtete sich wieder auf und drehte den Kopf nach links und rechts. „Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls nicht, solange ich nicht darüber nachdenke, dass ich hier festsitze.“

„Dann denken Sie besser nicht daran.“ Er sprang auf und öffnete ein unauffälliges Fach in einer der Seitenwände. Heraus zog er ein Telefon und sprach hinein. In der Leitung knackte es laut. Dann ertönte die Stimme eines jungen Mannes. „Geht es Ihnen allen gut dadrinnen?“

„Ja“, brummte Alex grimmig. „Ist der Aufzug stabil oder besteht Absturzgefahr?“

„Sie müssen sich keine Sorgen machen. Wir hatten ein Problem mit dem Generator, aber die Notbremse hat gegriffen.“

Alex war beruhigt, sein Griff um den Telefonhörer lockerte sich etwas. „Wie lange dauert es, bis uns hier jemand rausholt?“

„Wir arbeiten bereits daran und haben die entsprechenden Fachleute informiert. Es kann allerdings ein paar Stunden dauern, bis wir die Lage genau geprüft haben und den bestmöglichen Rettungsweg gefunden haben.“

Alexs Blick glitt zu der blassgesichtigen jungen Frau am Boden. „Was bedeutet das genau?“

„Der Aufzug steckt zwischen zwei Stockwerken fest“, erklärte der junge Mann. „In solchen Fällen versuchen wir entweder, den Aufzug manuell zu bewegen und die Türen aufzubrechen, oder wir retten die Insassen durch das Dach der Kabine. Natürlich würden wir lieber den ersten Weg wählen, aber ohne den Generator wird das nicht möglich sein.“

Besorgt blickte Alex auf die Beule an der Stirn der jungen Frau. Mit einem Mal war es nicht mehr wichtig, ob er seinen Flug verpasste oder nicht. Wichtig war es, dass sie so schnell wie möglich von einem Arzt untersucht wurde. „Je eher, desto besser … Der andere Passagier, eine junge Dame, hat sich bei dem plötzlichen Stopp ziemlich den Kopf angeschlagen.“

„Wir tun unser Bestes“, versprach der Techniker.

„Danke“, entgegnete Alex und legte auf. Es hätte nichts gebracht, dem Mann zu sagen, dass ihm fast das Gebäude gehörte. Dadurch würden sie auch nicht schneller gerettet werden.

Die junge Frau hatte ihn die ganze Zeit über wachsam aus ihren großen braunen Augen beobachtet. Ihr angespannter Gesichtsausdruck sprach Bände.

„Wann kommen wir hier raus?“

Seufzend ließ Alex sich neben sie auf den kühlen gefliesten Boden des Aufzugs sinken. „Es kann noch etwas dauern. Die Techniker müssen sich die Sache erst mal genau angucken und dann entscheiden, wie sie uns am besten rausholen.“

Izzies Augen wurden schmal. „Warum brechen sie nicht einfach die Türen auf?“

Er zögerte mit seiner Antwort, nicht sicher, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte. „Wir stecken zwischen zwei Stockwerken fest“, erklärte er schließlich.

„Was?“ Ihre Hände begannen wieder zu zittern.

„Kein Grund zur Aufregung“, beruhigte er sie sofort. „Sie finden einen anderen Weg.“

Izzie schluckte. „Wie lange meinten sie, würden sie brauchen?“

„Vielleicht ein paar Stunden.“

„So lange kann ich auf keinen Fall warten!“ Voller Panik sah sie ihn an. „Wirklich! Ich halte es in Aufzügen nicht lange aus.“

Lächelnd griff er nach ihren Händen und rieb sie zwischen seinen. Sie waren feucht und kühl. Noch immer zitterte sie wie Espenlaub. „Passen Sie mal auf …“, begann er und fixierte sie mit seinem Blick. „Darf ich Ihren Namen wissen?“

„Isabel Peters. Abkürzung: Izzie“, erklärte sie abwesend.

„Izzie“, wiederholte er. „Darf ich Du sagen?“

Sie nickte, ohne aufzusehen.

„Ich bin Alex“, fuhr er fort. „Und ich verspreche dir, dass uns nichts passieren wird. Diese Techniker haben tagtäglich mit solchen Situationen zu tun. Sie werden schon eine Lösung finden. In ein paar Stunden wirst du schon wieder darüber lachen, dass du dir solche Sorgen gemacht hast.“

Izzie wirkte nicht gerade überzeugt.

„Aber ich muss doch zum Flughafen“, nörgelte sie weiter. „Ich hab morgen früh ein wichtiges Vorstellungsgespräch in Manhattan.“

„Dann wirst du deinen Flug wohl auf heute Abend verlegen müssen.“

Er warf einen Blick auf seine Uhr. Viertel vor drei. Da war definitiv keine Chance mehr für ihn, seinen Flug nach New York zu erwischen. Und das war ein Riesenproblem. Denn Frank Messer würde versuchen, sein Unternehmen in Stücke zu reißen.

„Hast du vielleicht irgendwas in deiner Handtasche, womit wir deine Stirn kühlen könnten?“, erkundigte er sich, um auf andere Gedanken zu kommen.

Izzie schüttelte den Kopf. „Glaube nicht.“

„Darf ich nachsehen?“

Sie nickte, während er nach ihrer Ledertasche griff und darin herumwühlte.

Es war nicht zu fassen, was sie darin alles mit sich herumtransportierte. Schokolade, Wasser, Bücher, eine Bürste, Aspirin …

Autor

Jennifer Hayward
<p>Die preisgekrönte Autorin Jennifer Hayward ist ein Fan von Liebes- und Abenteuerromanen, seit sie heimlich die Heftromane ihrer Schwester gelesen hat. Ihren ersten eigenen Liebesroman verfasste Jennifer mit neunzehn Jahren. Als das Manuskript von den Verlagen abgelehnt wurde und ihre Mutter ihr empfahl, zunächst mehr Lebenserfahrung zu sammeln, war sie...
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