Ein Lebensretter zum Verlieben

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Dr. Ben Ross’ erster Arbeitstag in der Praxis endet dramatisch: Er rettet dem Sohn seiner neuen Kollegin Kat das Leben und wird dabei verletzt! Glück im Unglück: Kat nimmt ihn in ihrer kleinen Familie auf. Fast, als hätte sie nur auf ihn gewartet …


  • Erscheinungstag 26.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729882
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Er ist da“, sagte die Stimme am Telefon etwas atemlos und mit einem ungewohnt aufgeregten Unterton.

Katriona, von allen nur Kat genannt, unterdrückte ein Grinsen über den Versuch ihrer Empfangsdame Rose, verschwörerisch zu flüstern. Offensichtlich stand der Bewerber, den sie ankündigen wollte, ganz in ihrer Nähe. Auf jeden Fall schien er sie mächtig beeindruckt zu haben, durch sein Auftreten, seine guten Manieren oder sein Aussehen.

„Darauf kommt es mir nicht in erster Linie an“, dachte Kat. Würde sie wieder nur ihre Zeit verschwenden? Sie brauchte vor allem einen erfahrenen, qualifizierten und verlässlichen Kollegen, der bereit war, ihr einen Teil der Arbeit in der Praxis abzunehmen.

„Dann bitte ihn herein, Rose“, schlug sie vor. Hoffentlich war ihr nicht anzuhören, dass sie auch von diesem Gespräch wenig erwartete.

Wie viele Vorstellungsgespräche hatte sie in den vergangenen Tagen geführt? Sie wusste es nicht mehr. Es hatten sich eine ganze Reihe von Bewerbern vorgestellt, aber würde der vorerst letzte Kandidat nicht genauso schnell wie die anderen kein Interesse mehr an dem Job haben, wenn er erst einmal herausfand, wie schwierig die Lage in der Praxis war und wie viel Arbeit ihn dort erwartete?

Als es an der Tür klopfte, setzte sie sich aufrecht hin und rang sich ein geschäftsmäßiges Lächeln ab.

„Herein!“, rief sie – und erwartete, zuerst Roses immer fröhliches, mütterliches Gesicht zu sehen, bevor sie die Tür ganz öffnete und den Besucher hineinführte. Aber es trat ein großer, hagerer Mann ein, den eine Aura von Düsterkeit und Trauer umgab. „Es kann also nicht sein Charme gewesen sein, der Rose so beeindruckt hat“, dachte Kat.

„Ihre Mitarbeiterin am Empfang hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, sie müsse sich noch um die O’Gormans kümmern“, sagte der Mann mit etwas rauer Stimme, wobei er die Tür hinter sich schloss.

Eine Sekunde lang war Kat versucht, ihm zu sagen, er möge die Tür offen lassen. Eine seltsame Spannung lag seit seinem Eintritt in der Luft. Kat verspürte so etwas wie Beklemmung.

„Bitte … setzen Sie sich doch, äh, Dr. …“ Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Jetzt war ihr auch noch der Name ihres Besuchers entfallen, was ihr außerordentlich peinlich war.

„Ross, Benjamin Ross.“ Er schaute Kat ganz ruhig an. „Normalerweise nennt man mich Ben.“

Er hat grüne Augen, stellte Kat verwundert fest. Ungewöhnliche Augen, die von dichten dunklen Wimpern umgeben waren. Als er die Augenbrauen leicht hochzog, wurde Kat klar, dass sie ihn unbewusst angestarrt hatte.

„Also gut, Dr. Ross … äh, Ben …“, stammelte Kat, während sie verzweifelt versuchte, ihre Nerven unter Kontrolle zu bekommen.

„Bleiben wir bei Ben … das ist einfacher“, sagte er ohne besondere Betonung. Aber seine Hand, mit der er die Informationsbroschüre über die Praxis, die ihm Rose wohl gegeben hatte, umklammerte, machte deutlich, dass er nicht so ruhig war, wie es auf den ersten Blick schien.

„Nun, Ben“, fuhr Kat fort. „Was wissen Sie über die Situation hier in Ditchling?“

„Wenn Sie danach fragen, ob ich Ihre Anzeige in einer Fachzeitschrift gelesen habe, muss ich Sie enttäuschen. Ich war nicht auf der Suche nach einem Job“, meinte er trocken. „Ich hörte von einem Freund Ihres verstorbenen Mannes, dass Sie Unterstützung brauchen.“

„Das stimmt“, sagte sie fast tonlos. Ein scharfer Schmerz ließ sie einen Moment lang verstummen. Sie holte tief Atem. „Richard ist vor knapp einem Jahr an Leukämie gestorben, nur drei Wochen, nachdem die Krankheit bei ihm diagnostiziert worden war.“

Erstaunt stellte sie fest, dass ein dunkler, quälender Schatten die Augen ihres Gegenübers verschleierte.

„Ich nehme an, Sie haben diese Praxis gemeinsam mit Ihrem Mann betrieben“, meinte er. „Haben Sie seit seinem Tod versucht, allein zurechtzukommen?“

„Versucht ja, aber vergeblich“, dachte Kat.

„Mir war klar, dass ich es allein nicht schaffen würde“, gab sie zu. „Ich hatte schon verschiedene Aushilfen. Und einmal sah es so aus, als ob ich einen jungen Kollegen gefunden hätte, der als Partner für die Praxis in Frage kam.“ Sie seufzte. „Leider stellte er sich als unerträglich arrogant heraus. Er hatte gerade erst seine Assistenzzeit beendet und besaß kaum praktische Erfahrung, meinte aber, er könne gleich die Leitung der Praxis übernehmen. Er war zu sehr von der Überlegenheit des männlichen Geschlechtes überzeugt.“

Ben verzog so ärgerlich das Gesicht, dass Kat fast gelächelt hätte.

„Mit den Bewerbern, die danach kamen, hatte ich ebenso wenig Glück“, fuhr sie fort. „Keiner war bereit, so viel Zeit in den Job zu investieren, wie es erforderlich ist. Und die meisten fanden das Leben in einer Kleinstadt wie dieser für sich selbst und ihre Familien zu öde.“

„Und was war mit den Aushilfen?“, wollte er wissen.

„Aushilfen sind teuer“, gestand Kat. „Manchmal blieb mir nichts anderes übrig, als eine Aushilfe zu engagieren, aber …“ Kat verstummte achselzuckend. Sie hatte sich die Aushilfen nur leisten können, indem sie noch mehr arbeitete und auf jede Art von Freizeit verzichtete.

Ob Ben tatsächlich Interesse an dem Job hatte?

Sie gab sich einen Ruck. Schließlich führte sie das Vorstellungsgespräch, also durfte sie auch die Fragen stellen. „Was bringt Sie hierher an die Westküste? Haben Sie Verwandte in der Gegend? Oder wollen Sie sich mit Ihrer Familie hier niederlassen?“

„Ich bin alleinstehend“, sagte er in einem Ton, der ihr zeigte, dass er über dieses Thema nichts weiter sagen wollte. „Ich bin noch niemals zuvor in dieser Gegend gewesen.“

Kats Zuversicht schwand. Dann würde er es wohl auch nicht lange in dieser Abgeschiedenheit aushalten. Für einen ledigen Mann gab es kaum Gelegenheit, eine Frau kennenzulernen. Aber sie schob ihre Zweifel beiseite. Wenn sie ihn überzeugen könnte, wenigstens eine Zeit lang für ein erträgliches Honorar in der Praxis mitzuarbeiten, würde sie sich in Ruhe nach einem möglichen Ersatz umsehen können.

„Wenn ich davon ausgehe, dass Sie die notwendigen Qualifikationen für den Job haben … wie lange würden Sie bleiben wollen?“ Kat wusste nur zu gut, dass schon ein einziger Monat ihr wirklich helfen würde. Jeder weitere wäre ein Geschenk.

„Reden wir erst einmal von zwei Wochen“, meinte er. Fast hätte sie aufgestöhnt. Dafür lohnte sich kaum der Aufwand, die nötigen Formulare auszufüllen. „In dieser Zeit können wir feststellen, ob wir miteinander auskommen“, fuhr er fort. „Wenn wir uns nicht vertragen, würde ich nach den zwei Wochen wieder gehen.“

„Und im anderen Fall?“, fragte sie gespannt. Verwundert stellte sie fest, dass seine Antwort ihr sehr wichtig war.

„Wenn wir gut zusammenarbeiten, würde ich auf jeden Fall drei Monate lang bleiben, vielleicht sogar ein halbes Jahr“, schlug er vor. „Aber länger kann ich nicht.“

Sie war kurz davor, nach den Gründen zu fragen. Aber sein verschlossenes Gesicht machte deutlich, dass er keine persönlichen Fragen zu hören wünschte. Und Kat wollte ihm auf keinen Fall Anlass geben, es sich vielleicht doch noch zu überlegen.

Als plötzlich das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete, schrak Kat auf. „Entschuldigung“, sagte sie und hob den Hörer ab. „Was gibt es, Rose?“

„Josh und Sam sind hier“, teilte die Empfangsdame ihr mit. „Sie sind mit dem Bus gekommen. Sam hat wohl seinen Rucksack mit den Sachen für den Sportklub heute Abend vergessen.“

Seufzend schaute Kat auf die Uhr. Eigentlich hätten die Jungen den ganzen Tag in der Schule bleiben sollen, damit sie mit der Arbeit in der Praxis und bei dem Vorstellungsgespräch mit Dr. …, also mit Ben, nicht unter Zeitdruck stand. Stattdessen waren die beiden gleich nach Unterrichtsschluss nach Hause gekommen, weil sie etwas vergessen hatten. Das hieß, sie musste sie mit dem Wagen wieder zur Schule zurückfahren – und die lag ziemlich weit entfernt.

„Es tut mir leid. Ich fürchte, ich muss mich beeilen“, sagte sie, schaltete ihren Computer ab, sammelte rasch die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zusammen und verstaute sie in der Schublade. „Vergessliche Kinder können jede noch so sorgfältige Terminplanung auf den Kopf stellen.“

„Ihre Kinder oder die von Rose?“ Ben war aufgestanden, als sie sich erhoben hatte. Seine altmodische Höflichkeit überraschte sie, und ihre Wangen röteten sich leicht.

„Meine“, sagte sie, während sie sich bückte, um ihre Handtasche aus dem unteren Fach des Schreibtisches zu nehmen.

„Wer ist das?“, fragte Josh mit der unverblümten Direktheit eines Elfjährigen, als Kat mit Ben zur Rezeption kam.

„Benimm dich, Josh“, ermahnte sie ihn. Sie wusste, wie sehr ihr älterer Sohn bis heute unter dem Verlust seines Vaters litt. Ihre Bekannten hatten sie zu trösten versucht und gesagt, Josh würde mit der Zeit darüber hinwegkommen. Aber sie hatten sich getäuscht. Josh schien immer tiefer in seinem Schmerz zu versinken.

„Also, wer ist das?“, fragte Josh noch einmal ziemlich aufsässig. Er schien zu merken, dass Ben nicht irgendein Patient war.

„Das sind meine beiden Söhne, Josh und Sam“, sagte Kat, die etwas überreizt und müde war, da sie in der letzten Zeit kaum mehr als fünf Stunden pro Nacht geschlafen hatte. „Dieser Gentleman und ich haben ein Vorstellungsgespräch geführt.“

„Will er hier arbeiten?“, fragte Kats achtjähriger Sohn Sam. „Dann sind Sie ein Doktor, wie mein Daddy einer war.“

„Stimmt“, meinte Ben lächelnd zu dem Jungen. „Eure Mutter möchte gern mehr Zeit mit euch verbringen, aber dazu braucht sie jemanden, der ihr bei der Arbeit hilft.“

Joshs Gesicht war noch verschlossener geworden, als Sam den Vater erwähnte. Kat ahnte, dass ihn Bens Anwesenheit irgendwie störte. Ihre Ahnung bestätigte sich sofort.

„Die Arbeit hier wird Ihnen bestimmt keinen Spaß machen“, stieß Josh hervor. „Hier in der Stadt ist es langweilig. Warum arbeiten Sie nicht in einem Krankenhaus?“

„Das hätte ich tun können“, meinte Ben ungerührt. „Aber ich habe schon in einem Krankenhaus gearbeitet. Deshalb wollte ich jetzt einmal etwas anderes machen.“

Kat wunderte sich darüber, mit welchem Nachdruck Ben gesprochen hatte. Aber in Gegenwart ihres immer noch misstrauisch schauenden älteren Sohnes stellte sie die Frage nicht, die ihr auf der Zunge lag.

„Jedenfalls“, meinte Ben mit einem raschen Seitenblick auf Kat, „haben eure Mutter und ich uns geeinigt, dass ich vorerst für zwei Wochen hier bleibe. Dann hat sie endlich etwas Ruhe und kann sich mit euch beschäftigen.“

„Mum, wir kommen zu spät in den Sportklub, wenn wir jetzt nicht losfahren“, unterbrach Sam ihn.

„Sam …“, sagte Kat mit einem warnenden Unterton. Sie wusste, er war ein kleiner Pünktlichkeitsfanatiker, aber das war keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen.

Schuldbewusst senkte der Kleine den Kopf. „Tut mir leid, dass ich Sie unterbrochen habe, aber …“ Nervös hüpfte er von einem Fuß auf den anderen.

„Also“, meinte Kat entschieden und gab Sam den Hausschlüssel. „Ihr geht schnell ins Haus und holt eure Sachen. Wir treffen uns am Auto. Und rennt nicht so wild!“, rief sie ihnen nach, als die beiden aus der Empfangshalle stürmten. Sie zuckte zusammen und seufzte, als die Tür schmetternd ins Schloss fiel.

„Sind Sie sicher, dass Sie bei uns bleiben wollen?“, fragte sie Ben zögernd. „Sie können davon ausgehen, dass Ihnen zwei ziemlich aufregende und laute Wochen bevorstehen, wenn Sie hier bei uns wohnen.“

Verblüfft sah Ben sie an. „Ich soll hier bei Ihnen wohnen?“, wiederholte er ungläubig.

„Unterkunft wird zur Verfügung gestellt – so steht es in meinen Jobannoncen“, erwiderte Kat. „Das Haus verfügt neben den Praxisräumen und meiner Wohnung über eine separate kleine Wohnung im ersten Stock.“ Sie schaute ihn nicht an, weil sie nicht wusste, wie sie mit dem fragenden Blick seiner grünen Augen umgehen sollte.

„Es gibt einen Schlafraum, einen Wohnraum, ein Badezimmer und eine kleine Küche. Sie sind also völlig unabhängig. Wenn Sie den Wunsch haben, mit uns gemeinsam zu essen, dann sagen Sie es mir. Einige Aushilfen haben das früher gern getan.“ Sie bemühte sich, locker und unbefangen zu klingen.

„Hoffentlich war es richtig, dass ich das gesagt habe, und er ändert seine Meinung deswegen nicht“, dachte sie. Es schockierte sie, dass sie dabei nicht nur die Arbeit in der Praxis im Sinn hatte. Sie fühlte, dass ein seelisches Problem diesen stillen, zurückhaltenden Mann belastete. Plötzlich verspürte sie den Wunsch, ihm zu helfen.

„Soll ich die Praxis abschließen, wenn ich gehe?“, wollte Rose wissen. „Oder möchtest du, dass ich warte, bis du zurück bist?“

Kat schüttelte die Gedanken ab, denen sie nachgehangen hatte. „Schließ ruhig alles ab, wenn du gehst, Rose“, meinte sie. Lächelnd wandte sie sich an Ben. „Morgen ist nur vormittags Sprechstunde. Anschließend werde ich Ihnen dann die Arztpraxis zeigen – es ist übrigens die einzige in Ditchling.“

Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Was gab es mit den O’Gormans? Probleme?“

„Nicht im Geringsten“, meinte Rose fröhlich. „Ich habe den Jungs nur gesagt, dass ich sie einsperre, wenn sie sich nicht anständig benehmen.“

Kat musste lachen. Rose konnte bei all ihrer Gemütlichkeit auch eine Strenge zeigen, die vor allem Kinder im Vorschulalter beeindruckte.

„Gut“, erwiderte Kat. „Ich gehe jetzt besser, bevor Sam völlig ungeduldig wird.“ Sie winkte Rose und Ben zu und ging zur Tür, während sie sich bewusst war, dass ihr ein Elfjähriger mit düsterem Gesichtsausdruck folgte.

Kat seufzte innerlich. Sie hatte Ben als Aushilfe angestellt, weil sie sich von ihm Unterstützung erhoffte – und keine zusätzlichen Schwierigkeiten.

„Ich bin in einer guten Viertelstunde wieder hier“, meinte sie zu Ben. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie hier warten. Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel.“

„Ich warte“, sagte er. „Es gibt noch ein paar Fragen, die zu besprechen wären.“

„Schön“, antwortete Kat. Wo Sam nur wieder steckte? Er war schon nach draußen gegangen, aber sie konnte ihn nicht entdecken.

Sie stieg in ihren Wagen und warf einen Blick in den Rückspiegel, um sicher zu sein, dass Josh sich anschnallte. Dann startete sie den Motor und wollte den Wagen rückwärts aus der Parklücke rangieren, damit sie gleich losfahren konnte, wenn Sam endlich auftauchte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie im Rückspiegel eine Bewegung. In dieser Sekunde gab es einen dumpfen Schlag. Irgendetwas war gegen den Kofferraum ihres Wagens geprallt.

„Oh, mein Gott, oh, mein Gott“, rief Kat, während sie scharf bremste. Sie riss die Tür auf und sprang hinaus. „Sam!“, schrie sie auf. „Was ist passiert?“

„Mum … es tut mir leid“, sagte der kleine Junge weinerlich und warf sich in ihre Arme.

„Oh, Sam!“ Sie war erleichtert, weil er offensichtlich nicht verletzt war. Trotzdem fühlten sich ihre Knie weich an wie Gummi, und sie wäre fast zusammengebrochen.

„Ich habe vergessen, dass ich nicht von hinten, sondern immer nur von vorne zu dem Auto gehen soll, damit du mich siehst“, schluchzte er. „Es war mein Fehler.“

„Das nächste Mal denkst du bestimmt daran“, meinte Kat tröstend. Sie schauderte innerlich, als sie daran dachte, dass der Vorfall auch sehr viel schlimmere Folgen hätte haben können. „Zum Glück ist dir nichts passiert.“

„Aber er hat sich verletzt“, heulte Sam. „Und das ist auch mein Fehler.“

„Er?“ Kat schaute ihren Sohn scharf an. „Wen meinst du?“

„Ich nehme an, er meint mich“, sagte eine Stimme hinter dem Wagen.

„Ben?“ Sie hielt sich an dem Wagen fest, als sie nach hinten ging. Da sah sie ihn liegen, die Beine unter dem Wagen, der Oberkörper mit ausgestreckten Armen auf dem Pflaster. „Oh, mein Gott! Sind Sie verletzt?“ Sie kniete nieder. „Was für eine dumme Frage. Sie würden dort nicht so liegen, wenn Sie nicht verletzt wären. Ist es schlimm?“

Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie seinen Kopf in beide Hände und fuhr mit den Fingern durch sein dichtes dunkles Haar. Sie war froh, dass sie keine Verletzung ertasten konnte und er nicht blutete.

„Wo haben Sie Schmerzen?“, wollte sie wissen und ließ ihre Finger an seinem muskulösen Hals hinabgleiten.

„Mein Bein“, stieß er mit zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich wollte noch im letzten Moment ausweichen, aber … wenigstens habe ich es geschafft, nicht mit dem Kopf auf dem Boden aufzuschlagen.“

„Ist das Bein gebrochen?“

„Entweder das – oder böse verrenkt. Ah …“, stöhnte er auf, als er das Bein zu bewegen versuchte.

Sam hatte sich neben Kat niedergekauert. „Ich bin schuld“, sagte er mit schriller, hysterischer Stimme. „Ich war direkt hinter dem Wagen, und er wollte mich zurückziehen. Muss er sterben?“ Kat begriff, wie traumatisch dieses Erlebnis für einen Jungen war, der erst vor einem Jahr seinen Vater verloren hatte.

„Ich bin ziemlich zäh, so leicht sterbe ich nicht“, meinte Ben. „Aber es ist nicht sehr bequem, hier noch länger auf dem harten Boden zu liegen.“

Inzwischen war Rose herbeigeeilt. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?“, fragte sie aufgeregt.

„Nein“, sagte Ben entschieden. „Keinen Krankenwagen.“

„Aber wieso nicht?“, wunderte sich Kat. Es war offensichtlich, dass er Hilfe brauchte.

Er antwortete nicht, sondern begann vorsichtig, seine Beine unter dem Wagen hervorzuziehen. Er stützte sich auf die Ellbogen und schob sich Zentimeter für Zentimeter zurück.

„Es ist nicht so schlimm, als dass ich einen Krankenwagen brauchte. Fahren Sie Ihren Wagen ein Stück vor, Kat, dann können Sie meine Beine zusammenbinden, um das verletzte Bein zu stabilisieren. Könnte Rose ein paar elastische Binden holen?“

Kat sah besorgt, dass sein Gesicht ganz bleich geworden war. Und wenn er sich bewegte, biss er die Zähne so fest aufeinander, dass seine Wangenknochen kantig hervortraten.

„Sie könnten mich doch in Ihrem Wagen zum Krankenhaus bringen“, schlug er vor.

Natürlich konnte sie das. Aber warum hatte er abgelehnt, einen Krankenwagen zu rufen?

„Selbstverständlich fahre ich Sie dorthin“, versicherte sie. „Bleiben Sie jetzt ruhig liegen, bis ich den Wagen vorgefahren habe.“

Als sie sich hinter das Steuer setzte, warf sie einen Blick auf ihre Söhne, die Ben mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken betrachteten.

Sams Reaktion war leicht zu verstehen. Er war schockiert, er hatte geglaubt, Ben würde sterben, wie damals sein Vater. Und er fühlte sich schuldig, weil seine Gedankenlosigkeit den Unfall verursacht hatte.

Josh verbarg seine Gefühle auch jetzt hinter der Maske von Passivität und Resignation, die er seit dem Tod des Vaters trug. Aber Kat war sich sicher, dass sie bei ihm so etwas wie Respekt vor Bens Tapferkeit spüren konnte.

„Sam, du setzt dich besser in den Wagen“, sagte Kat energisch. „Hier, auf den Vordersitz. Und schnall dich gut an. Josh, bleibst du bitte bei Ben? Ich brauche deine Hilfe, um ihn in den Wagen zu setzen. Du kannst dich auf der Fahrt ins Krankenhaus um ihn kümmern. Tust du das für mich?“

Zum ersten Mal seit einem Jahr schien Josh aus seiner Lethargie aufzuwachen. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Stolz, dass seine Mutter ihn um Hilfe bat. „In Ordnung“, sagte er lässig. „Wenn du ein paar Holzlatten brauchst, um sein Bein zu schienen, kann Sam welche von drüben holen. Bei der Reparatur des Zaunes sind einige übrig geblieben.“

„Gute Idee“, nickte Kat. Während sie den Wagen ein Stück vorfuhr, kam ihr der Gedanke, ob sie die beiden Jungen vielleicht zu sehr in Watte gepackt und ihnen zu lange Gelegenheit gegeben hatte, über ihrem Schmerz zu brüten. Praktische Anforderungen schienen ein heilsames Mittel gegen Depressionen zu sein.

Kat stieg wieder aus und ging rasch zu Ben hinüber. Sie fühlte sich schrecklich. Wie hatte ihr das nur passieren können?

Es war kein Blut zu sehen. Bens Hosenbein war weder zerrissen noch zerknittert. Aber der unnatürliche Winkel, in dem das Bein abstand, ließ nichts Gutes vermuten. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass sein Unterschenkel gebrochen war.

„Hier sind die Bandagen, Kat“, sagte Rose. Sie legte mehrere Rollen, ein paar Handtücher, die Sauerstoffflasche und die Maske eines Beatmungsgerätes auf den Boden.

„Lachgas?“, wollte Ben wissen.

„Leider nicht, nur Sauerstoff“, erwiderte Kat. „Lachgas hätten Sie im Krankenwagen bekommen. Es tut bestimmt weniger weh, wenn wir das Bein geschient haben.“

Ben nickte.

„Also“, sagte sie, „jetzt übernehme ich das Kommando. Josh, schiebe Ben meine Jacke unter den Kopf, damit er es bequemer hat. Halte ihn fest, damit er sich möglichst wenig bewegt. Wenn es sein muss, setzt du dich auf ihn, okay?“

Während sie alles zurechtlegte, um mit den Latten, die Sam herbeigebracht hatte, Bens Bein zu schienen und dann zur Stabilisierung an dem gesunden Bein festzubinden, zeigte sich auf Joshs Gesicht ein Ausdruck von Aufmerksamkeit und Interesse, den sie lange nicht bei ihm gesehen hatte.

„Hier“, sagte Ben und deutete auf ein kleines Taschenmesser an seinem Schlüsselbund. „Schneiden Sie damit das Hosenbein auf.“

Bedauernd blickte Kat ihn an. „Es ist schade, dass ich die Hose zerschneiden muss“, meinte sie, setzte dann aber entschlossen das Messer an.

Als sie das aufgeschlitzte Hosenbein über das Knie hinaufschob, war der Bruch deutlich zu erkennen. Sie testete die Muskelreflexe und stellte beruhigt fest, dass sie noch funktionierten.

„Können Sie die Zehen bewegen?“

„Kein Problem. Und die Wadenmuskeln scheinen auch in Ordnung zu sein“, erwiderte Ben. „Erst war das Bein stärker abgewinkelt. Aber dadurch, dass ich mich rückwärts unter dem Wagen hervorgezogen habe, hat es sich wieder gestreckt. Gut für die Blutzirkulation.“

„Das ist eine Methode, die ich als Ärztin nicht empfehlen würde“, meinte Kat, während sie begann, die Holzschienen mit den Bandagen fest zu umwickeln. Bevor sie das gesunde Bein mit einer weiteren Bandage an dem verletzten Bein festband, legte sie Handtücher zur Polsterung dazwischen.

Als sie fertig war, winkte sie Sam. „Kannst du die hintere Wagentür weit öffnen?“ Sie fragte sich, wie sie es schaffen könnte, Ben aufzurichten und ihn auf den Rücksitz zu befördern. Er war erheblich größer als sie. Und wenn er auch sehr schlank war, würde sie sein Gewicht nicht tragen können.

Sie holte tief Luft und stellte sich hinter ihn. „Wenn ich Ihre Schultern halte, können Sie sich dann zum Sitzen aufrichten?“

Sein unterdrücktes Stöhnen zeigte ihr, dass er Schmerzen hatte, aber er tat alles, um sie zu unterstützen. Als er schließlich saß, überlegte sie verzweifelt, wie sie ihn zum Wagen bringen könnte. Erstaunt riss sie die Augen auf, als sie sah, dass er sich mit beiden Armen auf den Boden stemmte und ruckartig rückwärts auf den Wagen zu bewegte.

„Was machen Sie da?“

Autor

Josie Metcalfe
Als älteste Tochter einer großen Familie war Josie nie einsam, doch da ihr Vater bei der Armee war und häufig versetzt wurde, hatte sie selten Gelegenheiten, Freundschaften zu schließen. So wurden Bücher ihre Freunde und Fluchtmöglichkeit vor ihren lebhaften Geschwistern zugleich.
Nach dem Schulabschluss wurde sie zur Lehrerin ausgebildet, mit dem...
Mehr erfahren