Ein Millionär entdeckt die Liebe

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J.T. hat es ernsthaft erwischt: Die zauberhafte Amy hat sein Herz im Sturm erobert. Dabei stand er kurz davor, eine Zweckehe einzugehen. Aber nach einer Nacht mit Amy ist er sicher: Sie ist die Richtige! Doch bevor sie heiratet, muss er ihr ein Geständnis machen …


  • Erscheinungstag 20.07.2020
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717803
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

J.T. Hunt saß in einem großen bequemen Polstersessel in der geräumigen Bibliothek seines Vaters und lehnte den Kopf an das glatte Leder. Um sich wach zu halten, balancierte er sein Whiskyglas mit einem hundert Jahre alten Bourbon auf dem Oberschenkel.

Seine Halbbrüder Justin, mit vierunddreißig um vier Jahre jünger, und Gray, vier Jahre älter als J.T., vertrieben sich die Zeit mit einer Partie Poolbillard. Alex, der sechsunddreißigjährige Vierte im Bunde, verfolgte das Spiel aus einiger Entfernung von einem Sessel aus.

Das letzte Treffen der Brüder in der „Hütte“, wie sie das Multi-Millionen-Dollar-Anwesen am Ufer des Lake Washington in Seattle nannten, lag einen Monat zurück. Damals hatte ihr Vater Harrison Hunt, der geniale Gründer des Softwarekonzerns HuntCom, einen Herzinfarkt erlitten.

J.T. konnte sich nicht erinnern, wann er ihm das letzte Mal aus persönlichen Gründen einen Besuch abgestattet hatte. Er war das sprichwörtliche schwarze Schaf der Familie. Obwohl er inzwischen nach außen hin umgänglicher wirkte als in seiner Jugend, fühlte er sich doch wie ein Außenseiter. Er kam nur in das Haus, in dem er aufgewachsen war, wenn es unbedingt sein musste.

Vermutlich lag es daran, dass er mit seinen Halbbrüdern genau wie mit seinem Vater sehr wenig gemeinsam hatte. Die einzige Verbindung war die Arbeit im Familienbetrieb. Als Leiter der Immobilienverwaltung und führender Architekt ging J.T. völlig darin auf, die Werkanlagen zu designen, in denen die HuntCom-Produkte von Tausenden von Angestellten gefertigt und weltweit versandt wurden. Ebenso wichtig wie sein Beruf war ihm nur Hurricane Island. Die abgelegene Insel, die zu den San Juan Islands nordwestlich vom Staate Washington zählte, gehörte Harry seit vielen Jahren. Sie war der einzige Ort auf dem ganzen Planeten, an dem er so etwas wie Seelenfrieden verspürte.

Justin lochte gekonnt eine Kugel ein und fragte: „Weiß eigentlich jemand, warum uns der alte Herr herbestellt hat?“

Gray zuckte die Achseln. „Er hat nichts dazu sagen wollen.“

Alex beugte sich vor. „Harry hat dich höchstpersönlich zu sich zitiert? Mich auch.“ Er deutete mit seiner Bierflasche zu J.T. „Und was ist mit dir, J.T.? Hat dich Harry auch mit einem persönlichen Anruf beehrt?“

„Allerdings.“ J.T. rieb sich die Augen mit Zeigefinger und Daumen und gähnte. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und hielt das Glas Bourbon zwischen den Knien. „Ich habe ihm erklärt, dass ich in Neu-Delhi für den Rest der Woche alle Termine absagen und für den Hin- und Rückflug jeweils einen Tag im Flugzeug verbringen muss. Aber er hat darauf bestanden, dass ich trotzdem komme. Und bei dir, Justin?“

„Dasselbe. Ich war auf der Ranch. Er wollte unbedingt, dass ich sofort komme, hat aber nicht gesagt, warum es so eilig ist.“

Er konnte sich beim besten Willen keinen Grund für diese Zusammenkunft vorstellen. Nachdem Harry sich wieder bester Gesundheit erfreute, hätte er sein mysteriöses Anliegen per Telefon, Fax oder E-Mail vorbringen können. Schließlich hatte er diese Technologien perfektioniert und sollte sie daher auch benutzen.

J.T. strich sich mit einer Hand durch das dunkle Haar und blickte auf seine Rolex. Wegen des Zeitunterschieds von dreizehn Stunden zwischen Seattle und Neu-Delhi war seine innere Uhr durcheinandergeraten, und er musste überlegen, auf welche Tageszeit sein Körper gerade eingestimmt war.

In diesem Moment flog die Tür auf. Fast zwei Meter groß, das schwarze Haar kaum ergraut, betrat Harrison Hunt den riesigen Raum mit der kostbaren Sammlung in Leder gebundener Bücher. Eine schwarze Hornbrille umrahmte seine blauen Augen. In seinem Blick lag die Intelligenz, die HuntCom durch bahnbrechende Erfindungen zu einem Alltagsbegriff gemacht hatte.

„Ah, da seid ihr ja alle. Hervorragend.“ Mit erstaunlicher Energie angesichts des kürzlich erlittenen Herzanfalls eilte er zu seinem massiven Schreibtisch aus Mahagoniholz. Vier Stühle standen davor. „Kommt her, Jungs.“

Während Harry sich in seinen Chefsessel setzte, lehnten Justin und Alex sich an die Wand. Gray trat hinter einen der Stühle und stützte sich auf die Rückenlehne. J.T. erhob sich aus dem Sessel, blieb aber an einem langen Sideboard stehen, das als Raumteiler diente.

Harry blickte mit gerunzelter Stirn zu Justin auf. „Warum setzt du dich nicht?“

„Danke, ich stehe lieber.“

Mit einem ungehaltenen Achselzucken murmelte Harry: „Wie ihr wollt. Ob ihr sitzt oder steht, macht keinen Unterschied.“ Er hielt inne und räusperte sich. „Seit meinem Zusammenbruch habe ich eine Menge über diese Familie nachgedacht. Bisher hat es mich nicht weiter gestört, dass ihr keine Anstalten macht, die Zukunft unseres Familiennamens zu sichern. Aber ich hätte an dem Herzinfarkt sterben können“, sagte er tonlos. „Ich kann jeden Augenblick sterben.“

Er stand auf, beugte sich vor und legte die Hände auf den Schreibtisch. „Und mir ist klar geworden, dass ihr vier nie freiwillig heiraten werdet – was bedeutet, dass ich keine Enkelkinder bekomme. Doch der Name Hunt darf mit euch nicht aussterben. Ich werde die Zukunft unserer Familie nicht länger dem Zufall überlassen. Ich gebe euch ein Jahr. Am Ende dieses Jahres wird nicht nur jeder von euch verheiratet sein, sondern auch ein Kind haben oder zumindest mit seiner Frau eins erwarten.“

Absolutes Schweigen breitete sich nach diesen Worten aus.

„Klar“, murmelte J.T. schließlich.

Justin unterdrückte ein Grinsen, und auch Gray wirkte belustigt. Alex hob seine Bierflasche an die Lippen.

Harry ließ sich nicht beirren und fuhr ruhig fort: „Wenn nur einer von euch sich weigert, werden alle von euch ihre Positionen bei HuntCom verlieren. Und damit auch die Sonderrechte, die euch so viel bedeuten.“

Justin erstarrte.

Alex ließ die Flasche sinken.

Gray wirkte schlagartig ernüchtert. „Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Das ist mein voller Ernst.“

J.T. regte sich nicht auf. Er nahm die Drohung auf die leichte Schulter. „Bei allem Respekt, Harry: Wie willst du denn die Firma ohne uns führen?“ Eiswürfel klirrten, als er mit seinem Glas zu seinen Halbbrüdern deutete. „Ich bin gerade mit dem Ausbau von drei Niederlassungen gleichzeitig beschäftigt: hier in Seattle, in Jansen und in Neu-Delhi. Wenn ein anderer Architekt die Bauleitung übernimmt, wird es Monate dauern, bis er auf dem Laufenden ist. Die Verzögerung würde HuntCom ein Vermögen kosten.“

Harry zeigte sich unbeeindruckt. „Das spielt dann keine Rolle mehr: Wenn ihr vier euch weigert, werde ich HuntCom nämlich verkaufen. In Stücken, wenn es sein muss. Dann gibt es keinen Neubau in Neu-Delhi. Und Hurricane Island ist auch Geschichte.“ Er heftete den Blick auf Justin. „Natürlich würde ich auch die HuntCom-Anteile an der Ranch in Idaho verkaufen.“ Er wandte sich an Alex. „Außerdem würde ich die Stiftung schließen.“ Schließlich betrachtete er Gray. „Und wenn es keine Firma mehr gibt, braucht sie auch keinen Vorsitzenden mehr.“

Alex trat einen Schritt vor. „Das ist doch verrückt! Was willst du damit denn erreichen?“

„Dass ihr alle eine Familie gegründet habt, bevor ich sterbe. Und zwar mit einer Frau, die eine gute Ehefrau und Mutter ist. Cornelia wird sich eure Auserwählten vorher ansehen.“

„Tante Cornelia weiß Bescheid?“, fragte Justin.

Die Antwort darauf interessierte auch J.T. Als Erwachsener hatte er mit der Witwe von Harrys Geschäftspartner nicht mehr viel zu tun. Während seine Brüder eine Art Tante in ihr sahen, war sie für ihn nur die Frau, die ihn in seiner Kindheit und Jugend gebremst und ihm Grenzen aufgezeigt hatte. Sie forderte von jedem nur das beste Betragen. Laut Gray war sie außerdem die einzige Person, auf die Harry wirklich hörte.

„Noch nicht.“

Justin wirkte ein wenig erleichtert. „Also noch mal zum Mitschreiben, nur um sicher zu sein, dass ich das richtig verstanden habe. Jeder von uns muss sich bereit erklären, innerhalb eines Jahres zu heiraten und ein Kind zu bekommen …“

„Ihr müsst euch alle dazu bereit erklären“, warf Harry ein. „Alle vier. Wenn einer sich weigert, verlieren alle. In dem Fall könnt ihr euch von eurem bisherigen Leben mit den Jobs bei HuntCom verabschieden.“

„… und die Frauen müssen alle Tante Cornelias Zustimmung finden“, fügte Justin hinzu.

Harry nickte. „Sie ist eine kluge Frau. Sie wird erkennen, ob eure Kandidatinnen sich für die Ehe eignen. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen“, fuhr er unvermittelt fort. „Ihr dürft ihnen nicht verraten, dass ihr reich seid. Oder dass ihr meine Söhne seid. Ich will keine Schwiegertochter, die nur aufs Geld aus ist. Auf solche Frauen bin ich schließlich selbst immer reingefallen. Meine Fehler braucht ihr nun wirklich nicht nachzumachen.“

Er holte tief Luft. „Ihr habt jetzt Zeit, darüber nachzudenken, und zwar genau bis in drei Tagen um Punkt acht Uhr abends – keine Minute später. Wenn ich bis dahin nichts von euch gehört habe, werde ich meine Anwälte anweisen, nach Käufern für die HuntCom-Unternehmen zu suchen.“

Und damit verließ er den Raum.

Als sich die Tür hinter ihrem Vater schloss, starrten die vier Brüder noch immer sprachlos in dieselbe Richtung.

„So ein Mistkerl“, sagte Justin nach einer Weile leise. „Ich glaube, er meint es wirklich ernst.“

Dann versicherte J.T.: „Es wird bestimmt nicht so weit kommen. Er wird HuntCom nicht verkaufen. Was den Rest angeht …“

Alex verzog das Gesicht. „Und wenn er es nun tatsächlich tut?“

J.T. hielt sich weiterhin ein wenig abseits und lauschte der Diskussion seiner Halbbrüder über das Ultimatum. Keiner von ihnen wollte verlieren, was ihm wichtig war – doch genauso wenig war auch nur einer dazu bereit, die Forderungen zu erfüllen.

Dass J.T. sich nicht die Mühe machte auszusprechen, wie beleidigend er diese Erpressung fand, bewies ihm, wie übermüdet er war. „Also sind wir uns alle einig?“, fragte er. „Keiner von uns lässt sich auf diesen verrückten Plan ein?“

Justin nickte. „Keine Frage. Selbst wenn ich heiraten wollte, was ich nicht will, würde ich es nicht tun, nur weil Harry beschlossen hat, dass wir uns jetzt niederlassen sollen.“

„Niederlassen.“ J.T. schüttelte den Kopf und strich sich mit den Fingern durch das Haar. „Das geht ja gar nicht: Ich bin nicht mal lange genug zu Hause, um mir einen Hund zu halten. Was soll ich da mit einer Ehefrau anfangen?“ Mit einem Knall stellte er sein geleertes Glas auf das Sideboard. „Seid mir nicht böse, aber ich habe seit gestern nicht geschlafen.“ Selbst während des langen Fluges hatte er kein Auge zugemacht, sondern sich mit dem Design seines derzeitigen Projekts beschäftigt. „Ich gehe nach Hause und hau mich aufs Ohr.“

„Sehen wir uns dann morgen im Büro?“, fragte Gray. „Wenn wir das Werk in Singapur tatsächlich übernehmen, sollten wir vorher die Zahlen durchgehen.“

„Mein Kopf ist noch in Indien“, murrte J.T. „Lass uns nächste Woche über Singapur reden, wenn ich wieder zurück bin.“

„Einverstanden.“

„Nimmst du mich bitte mit in die Stadt? Ich bin mit einem Taxi direkt vom Flughafen gekommen.“

„Na klar.“ Grays holte sein Handy hervor, als es klingelte. „Das ist Loretta, meine Sekretärin. Sie arbeitet gerade an den Dokumenten für die Betriebsübernahme. Wenn du nichts dagegen hast, rede ich unterwegs mit ihr.“

J.T. hatte absolut nichts einzuwenden: Auch er war rund um die Uhr für seine Mitarbeiter erreichbar. Die zwanzigminütige Fahrt in die Innenstadt nutzte er, um seine Mailbox zu checken, einige Nachrichten zu beantworten und sich zu überlegen, was er essen wollte.

Er hatte Appetit auf Pfannkuchen: Ein klares Zeichen, dass seine innere Uhr sich noch nicht angepasst hatte und sein Körper auf Frühstück eingestellt war. Da es in Seattle jedoch Abend war, beschloss er, im Rico’s zu speisen. Das italienische Restaurant befand sich im Erdgeschoss des Gebäudes, in dem ihm das Penthouse gehörte – mitsamt luxuriöser Ausstattung und unbezahlbarem Blick auf die Bucht, den Puget Sound. Dank seines Privatvermögens konnte er es sich leisten, so zu leben: Er war Millionär.

Bereits am nächsten Morgen kehrte J.T. im Privatjet von HuntCom nach Neu-Delhi zurück. Vorläufig verschwendete er keinen weiteren Gedanken an Harrys unmögliche Erpressung.

Es war tiefste Nacht in Neu-Delhi, aber Mittag in Seattle, als sein Telefon klingelte. Und dieses Konferenzgespräch mit seinen Halbbrüdern veranlasste ihn, seine Haltung zu überdenken.

Sie waren sich einig, dass sie alle die Forderungen ihres Vaters abgelehnt hätten, wäre es nur ums Geld gegangen. Aber es standen auch die Dinge und Orte auf dem Spiel, die ihnen am meisten am Herzen lagen, wie Harry sehr wohl wusste.

Deshalb wollten sie versuchen, die Bedingungen zu erfüllen. Allerdings bezweifelten sie ernsthaft, dass sich heiratsfähige Frauen finden ließen, die nichts von den Hunt-Brüdern wussten.

Wieso Harry glaubte, dass seine Söhne zustande bringen konnten, was ihm selbst nie gelungen war, erschien J.T. unbegreiflich. Dennoch wollte er sich bemühen: Schließlich wollte er weder die Insel aufgeben noch dafür verantwortlich sein, dass seine Brüder verloren, was ihnen wichtig war. Er hatte eingewilligt. Was auch immer geschehen mochte: Damit hatte J.T. sich endgültig von dem Leben, das er bisher kannte, verabschiedet.

1. KAPITEL

J.T. rieb sich den verspannten Nacken und beobachtete, wie die Nummern der Stockwerke auf der Anzeige im Fahrstuhl nacheinander aufleuchteten. Eine Runde Jogging wäre dringend nötig. Fitnesstraining war die beste Entspannungsübung – abgesehen von Sex. Allerdings kannte er keine Frauen in Portland, Oregon, und er hielt nichts von One-Night-Stands. Sport schien ihm also das nahe liegende Patentrezept gegen die Rastlosigkeit zu sein, die er nie ganz abschütteln konnte.

Er seufzte. Er wollte nicht an Frauen denken. Das lag einerseits daran, dass er schon seit einer ganzen Weile auf weibliche Gesellschaft verzichtete und deshalb unzufrieden war. Andererseits erinnerte es ihn daran, dass er sich eine Braut suchen sollte.

Selbst nach zwei Monaten konnte er immer noch nicht fassen, was sein Vater forderte. Zweieinhalb, korrigierte J.T. sich mit zusammengebissenen Zähnen und machte sich bewusst, dass die Uhr unaufhaltsam tickte.

Justin hatte inzwischen herausgefunden, dass er bereits Vater war, hatte aber nicht verraten, ob er mit der Mutter seiner Tochter Fortschritte machte. Doch soweit J.T. informiert war, wollte sein jüngster Bruder eigentlich nicht heiraten.

Dass er selbst nicht in den heiligen Stand der Ehe treten wollte, war eine unumstößliche Tatsache. Vater, Mutter, Kind – das war einfach nicht sein Ding. Er wusste aus Erfahrung, wie selten das funktionierte. An seine eigene Mutter, Harrys zweite Ehefrau, konnte er sich nicht einmal erinnern. Als er kaum zwei Jahre alt gewesen war, hatte sie sich aus dem Staub gemacht und ihn einer Serie von Kindermädchen überlassen. Von den beiden dicht aufeinanderfolgenden Stiefmüttern war er überwiegend ignoriert und nach kurzer Zeit mit deren Söhnen wieder im Stich gelassen worden. Sie hatten gehörig bei Harry abkassiert und die Beine in die Hand genommen.

So hatte J.T. bereits zu Schulzeiten wertvolle Einsichten gesammelt. Zum Beispiel, dass Frauen käuflich waren. Und dass man am meisten Aufmerksamkeit bekam, wenn man Schwierigkeiten machte. Dauerhaft die Schule zu schwänzen hatte ihm eine zehnminütige Unterredung mit seinem Vater eingebracht – so viel Zuwendung hatte er normalerweise in einer ganzen Woche nicht erhalten.

Der Lift wurde langsamer. Ein Klingeln übertönte die dezente Hintergrundmusik und bedeutete das Ende der Fahrt.

Inzwischen provozierte J.T. keine Probleme mehr. Zumindest nicht solche, die Bestrafungen nach sich zogen. Mittlerweile umging er Hindernisse, die ihm nicht in den Kram passten, indem er die Vorschriften in vertretbarem Maße beugte. Seine Einstellung zu Frauen war jedoch im Wesentlichen unverändert geblieben.

Er hatte es nicht eilig, sich eine Frau zu suchen. Falls er sich jedoch auf Brautschau begeben sollte, stellte er ganz bestimmte Ansprüche. Sie musste groß, langbeinig und blond sein. Sie durfte keine emotionalen oder familiären Verwicklungen mitbringen. Und sie sollte karriereorientiert sein, denn so müsste er sich nicht großartig um sie kümmern.

Allerdings glaubte er nicht, dass Harrys Forderungen erfüllbar waren. Deswegen hatte er einen Plan B entworfen und stand nun im Begriff, ihn in die Tat umzusetzen.

J.T. trat aus dem Fahrstuhl in eine große Halle. Aus einem der unteren Stockwerke drang Baulärm herauf, und er folgte der Beschilderung an der Wand zu der gesuchten Firma.

Plan B sah vor, ein eigenes Architekturbüro zu eröffnen. Dadurch wäre er für den Fall abgesichert, dass sein Vater nach Ablauf des Ultimatums in neuneinhalb Monaten den Konzern tatsächlich verkaufte.

Sobald er die Tür mit der Aufschrift Kelton & Associates geöffnet hatte, war er voll und ganz damit beschäftigt, wie dieses Unternehmen zu bewerkstelligen war.

Er betrat ein weitläufiges Foyer mit weißen Wänden und grauem Teppichboden. Unter einem langsam kreisenden Mobile, das an Bumerangs aus rostfreiem Stahl erinnerte, stand ein rasant geschwungener Schreibtisch. Darauf thronten ein Designercomputer und eine klingelnde Telefonanlage.

Er hatte diese Marketingfirma ausgewählt, weil sie für ihre innovativen Ideen bekannt und trotzdem relativ klein war. Dadurch war das Risiko für ihn gering, von jemandem erkannt zu werden. Außerdem lag sie eine gute halbe Flugstunde und knapp drei Autostunden von Seattle entfernt und somit außerhalb des unmittelbaren Wirkungskreises von HuntCom. Das war ein weiteres entscheidendes Kriterium: Er legte großen Wert darauf, die Öffentlichkeit zu meiden und seine Pläne geheim zu halten – so lange, bis alles in trockenen Tüchern war.

Zunächst kam ihm in den Sinn, wie sehr das ultramoderne Dekor den kreativen Ruf der Firma widerspiegelte. Erst danach fiel ihm auf, dass der Empfangsbereich unbesetzt war. Keine Menschenseele war in Sicht.

Das änderte sich allerdings schlagartig. Plötzlich tauchte aus einem Gang eine junge Frau in Grau auf. Sie hatte den Kopf gesenkt und den Arm voller Akten. Ihrer Richtung und Geschwindigkeit nach zu urteilen, hatte sie es auf das klingelnde Telefon auf dem Schreibtisch abgesehen.

Bevor J.T. die glorreiche Idee, ihr aus dem Weg zu gehen, in die Tat umsetzen konnte, stieß sie bereits mit ihm zusammen.

Ihr erschrockener Aufschrei wurde von dem Rascheln von Papier begleitet. Darauf folgte sogleich ein dumpfer Knall, mit dem die Hälfte der dicken Ordner auf dem Boden landete.

Die Frau errötete bis in die Wurzeln ihrer kinnlangen braunen Haare.„Oh, mein Gott! Es tut mir so leid.“ Sie ging in die Hocke, um die Akten einzusammeln. „Unsere Rezeptionistin ist heute nicht da. Deshalb will ich hier draußen arbeiten, damit ich das Telefon …“ Verlegen schüttelte sie den Kopf, als er sich neben sie kniete, um ihr zu helfen. „Bitte nicht, ich mache das schon.“

Er ignorierte ihren Protest und griff an ihr vorbei nach einem Ordner. Dabei kam er ihr so nahe, dass er ihren frischen, sinnlichen Duft wahrnahm. Wie stark er sich gleich zu ihr hingezogen fühlte, überraschte ihn selbst. Er konzentrierte sich auf die zarten Linien ihres Profils.

Jung und hübsch. Ein bisschen verwirrt wirkte sie auf ihn. Und unglaublich unschuldig. Er schätzte sie auf etwa halb so alt, wie er selbst war. Dadurch fühlte er sich noch älter, verlebter und rastloser.

Sie fing seinen Blick auf, erstarrte und holte tief Luft. „Bitte sagen Sie mir, dass Sie nicht Jared Taylor sind.“

Einen Moment lang konnte er mit dem Namen nichts anfangen. Dann fiel ihm ein, dass er seinen vollen Vornamen mit dem Mädchennamen seiner Mutter kombiniert hatte, als er den Termin vereinbart hatte. So würden seine Pläne geheim bleiben. Das durfte er nicht vergessen. „Tut mir leid, aber das bin ich. Sie sind nicht zufällig Candace Chapman, oder?“

Ihm fiel auf, wie reizvoll ihre Lippen waren. Voll. Ungeschminkt. Küssenswert. Mit einem Stirnrunzeln rief er sich in Erinnerung, dass sie nicht einen Tag älter als zweiundzwanzig aussah. Somit war sie zwar nicht minderjährig, aber auch kein Freiwild für einen Mann wie ihn. Denn er bevorzugte Frauen, die sich über das andere Geschlecht ebenso wenig Illusionen machten wie er selbst.

„Nein, ich bin … Nein. Aber ich weiß, dass Sie einen Termin mit ihr um ein Uhr haben. Ich schaffe es schon allein, wirklich.“ Hastig sammelte sie verstreute Folien und CDs ein, als sie mit dem Arm an sein Knie stieß. „Entschuldigung. Setzen Sie sich doch bitte. Ich sage ihr Bescheid, dass Sie hier sind.“

Er reichte ihr eine Akte, erhob sich und half ihr mit einer Hand unter dem Ellbogen auf die Füße.

„Danke“, murmelte sie mit einem kleinen Lächeln. Sie legte die Unterlagen auf den Schreibtisch, drückte eine Taste auf dem klingelnden Telefon und sagte sachlich: „Kelton & Associates, guten Tag.“

J.T. ließ den Blick über die sanfte Rundung ihrer Hüften bis hinunter zu ihren Kniekehlen wandern, in denen ihr schmaler Rock züchtig endete. Dunkelgraue Strümpfe verhüllten ihre schlanken Beine. Die schwarzen flachen Ballerinas wirkten bequem und praktisch. Nichts an ihrem Outfit konnte auch nur im Entferntesten als provokant bezeichnet werden. Und trotzdem schoss ihm durch den Kopf, wie reizvoll ihr Körper wirkte. Wie seidig sich ihre Haut anfühlte …

In diesem Moment stolzierte eine große langbeinige Blondine in mörderischen High Heels und ziegelrotem Kostüm ins Vorzimmer. „Ich brauche auch zehn Kopien von diesem Bericht, Amy. Und sobald du dazu kommst …“ Sie brach abrupt ab, als sie den Kopf hob und J.T. erblickte.

Die Brünette hinter dem Schreibtisch beendete das Telefonat und verkündete: „Das ist Mr. Taylor.“ Gleich darauf nahm sie den nächsten Anruf entgegen.

Die Frau in dem roten Kostüm, die wie Anfang dreißig aussah, reichte J.T. ihre perfekt manikürte Hand. Blitzschnell musterte sie ihn, von den italienischen Lederschuhen über das maßgeschneiderte Sportsakko bis zu den perfekt gestylten dunklen Haaren mit den grau melierten Schläfen.

„Ich bin Candace Chapman.“ Augen so blau wie ein Sommerhimmel strahlten ihn an. Geschicktes Make-up machte ihre auffallend attraktiven Züge makellos. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Es ist immer aufregend, an der Geburt einer neuen Firma teilzuhaben.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. Kokett strich sie das schulterlange glänzende Haar mit einer auffällig unberingten Hand zurück. „Möchten Sie Kaffee?“

„Gern. Schwarz bitte.“

„Amy, bringst du uns bitte zwei Kaffee, ja?“, bat sie die andere junge Frau, die gerade mit einem Dokument davoneilte. „Und stell vorläufig keine Anrufe zu mir durch!“, rief sie ihr nach. „Also, Jared, erzählen Sie mir … Ich darf doch Jared sagen, oder?“

Da er seit seiner Kindheit nur J.T. genannt wurde, musste er sich erst daran gewöhnen. „Nur, wenn ich Sie Candace nennen darf.“

„Natürlich.“ Sie lächelte charmant und führte ihn in ein Eckbüro am Ende des Korridors.

Diese Frau und ihre Agentur wissen genau, wie man jemanden beeindruckt, dachte er bei sich, während er sich umblickte. Große Fenster boten einen atemberaubenden Blick über die Stadt und den Fluss mit den zahlreichen Brücken. Auf einer schwarz lackierten Kommode waren unzählige Auszeichnungen von Industrie und Stadtverwaltung ausgestellt. An der gegenüberliegenden Wand hingen gerahmte Fotos. Die Bilder zeigten Candace und eine ältere Frau, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, zusammen mit vermutlich wichtigen Persönlichkeiten.

Anstatt sich in den Chefsessel hinter dem Schreibtisch zu setzen, eilte Candace ans andere Ende des Raumes. Um einen niedrigen würfelförmigen Tisch waren dort einige Rundsessel gruppiert. „Sie haben erwähnt, dass Sie sich auf dem hiesigen Markt neu etablieren wollen. Planen Sie, Ihre Dienste als Architekt nur in Oregon oder im gesamten Nordwesten anzubieten?“

„Ich möchte mich gar nicht beschränken“, erwiderte er, während sie Platz nahmen. „Ich arbeite überall dort, wo sich Klienten finden.“

Sie schlug die langen Beine übereinander, zupfte sorgfältig den Rock zurecht und balancierte einen gelben Schreibblock auf dem Schoß. „Und Ihre Spezialität sind Geschäftsgebäude?“

„Und Werkanlagen. Ich biete alles von einstöckigen Hallen bis hin zu Hochhausanlagen mit unterirdischem Zugang.“

„Also werden wir unsere Kampagne vor allem auf Handels- und Finanzmagazine ausrichten“, entschied sie. „Darf ich fragen, welche Art von Werbung Sie derzeit betreiben?“

„Ich persönlich gar keine“, erwiderte er. „Ich bin bei einer Firma beschäftigt, die Industriegebiete in Europa und Asien baut.“ Damit sagte er kein einziges unwahres Wort – er ließ nur die Details aus. „Bisher wissen meine Geschäftspartner nicht, dass ich aussteigen werde. Deswegen ist Diskretion unbedingt nötig.“

Er verstummte, als die Frau namens Amy mit einem kleinen Tablett eintrat. Lautlos stellte sie zwei Tassen Kaffee auf den Würfeltisch und huschte wieder hinaus. Mit ihrer jungenhaften Erscheinung und der unauffälligen Aufmachung wirkte sie wie ein graues Mäuschen.

Das genaue Gegenteil stellte die clevere Geschäftsführerin dar, die sich ausgesprochen mondän und sinnlich gab. Betont langsam schlug sie die Beine andersherum übereinander und lenkte damit seinen Blick auf ihre schlanken Fesseln. Ein Mann musste schon jenseits von Gut und Böse sein, wenn solche Beine nicht seine Fantasie anregten.

„Niemand außerhalb dieser Räumlichkeiten wird von Ihren Plänen erfahren, bis die Zeit der Enthüllung gekommen ist“, versicherte Candace ihm. „Von unserer Assistentin Amy bis zum Grafiker weiß bei uns jeder, dass es nicht von Vorteil für uns wäre, die Wirkung einer Werbekampagne zu ruinieren oder einen Klienten zu vergraulen.“

„Dann verstehen wir uns ja.“

Sie tippte mit dem Kugelschreiber an ihre leuchtend roten Lippen. „Ganz gewiss. Also, erzählen Sie mir von Ihren Vorstellungen. Vertreten Sie eine bestimmte Firmenphilosophie?“

In den nächsten zehn Minuten stellte Candace intelligente Fragen und machte sich Notizen. Danach legte sie ihm einige brillante Arbeiten vor, die sie für andere Klienten erstellt hatte. Schließlich führte sie ihn durch die Büro- und Zeichenräume und machte ihn mit ein paar Mitarbeitern des kreativen Teams bekannt.

Alles in allem bestätigte sich, was seine Recherchen ergeben hatten: Kelton & Associates wartete mit innovativen Ideen auf und war damit genau die richtige Agentur für die Markteinführung seines neuen Unternehmens.

Autor

Christine Flynn

Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...

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