Eine Braut für Daddy

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Schön wie eine Prinzessin wirkt Tessa Montefioro in dem Hochzeitskleid, das sie für einen Wettbewerb von DeWilde's in London entworfen hat. Weil Natalie und Nicky in Tessa die ideale Frau für ihren Daddy sehen, schreiben sie eine Story und gewinnen tatsächlich eine Traumhochzeit! Steven Sanders enttäuscht seine Kinder nicht und macht das "Hochzeitsspiel" mit. Ausgeschlossen, dass er sich dabei in Tessa verliebt?


  • Erscheinungstag 24.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775247
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich verstehe einfach nicht, warum es ausgerechnet Battersea sein muss, wenn du dir überall in London etwas hättest aussuchen können.“ Gabriel DeWilde schüttelte verständnislos den Kopf, während er seinen nebelfeuchten Trenchcoat auszog. „Tessa, dies ist wirklich der Gipfel der Exzentrik, selbst für dich!“

Tessa Montefiori betrachtete ihren Cousin mit liebevoller Nachsicht, als sie seinen Mantel nahm und an den Garderobenhaken hängte. Zwei Monate fast hatte sie seinen Besuch bei sich hinausgezögert, weil sie wusste, wie er auf ihre schlichten Wohnumstände reagieren würde. Aber an diesem Samstagabend hatte er einfach angerufen und erklärt, er würde vorbeikommen. Noch ehe sie protestieren konnte, hatte er aufgelegt.

„Ach, Gabe, ich wünschte, ich hätte all die Jahre jedes Mal ein paar Dollar bekommen, wenn du mich exzentrisch genannt hast!“

„Aber diese Scharade grenzt an Irrsinn“, beharrte er und folgte ihr in das kleine Wohnzimmer. „Spielst eine um ihren Platz an der Sonne kämpfende junge Designerin namens Jones, wo du doch zur Familie gehörst. Wenn du wolltest, würdest du sofort eine höhere Position bei DeWilde’s einnehmen können. Zum Beispiel als Werbechefin von DeWilde’s – ich würde es nur zu gern arrangieren.“

„Das hast du bereits vor sechs Wochen gesagt, als all dies begann. Aber seitdem habe ich meine Meinung nicht geändert. Wenn ich meine Modelle an pingelige Kritiker und kritische Kunden verkaufen kann, ohne dass meine Beziehung zur Familie bekannt ist, dann beweise ich, dass ich wirklich gut bin. Dann kann niemand mir hinter meinem Rücken vorwerfen, ich sei nur durch Familienprotektion auf einen solchen Posten gelangt.“

„Ja“, lenkte er ein. Tessa hatte sich nach ihrem Abschluss drei Jahre lang in der Welt herumgetrieben, zuerst bei einem Modenhaus an der Westküste der USA, dann hatte sie es geschafft, eine Ausbildung bei einem Pariser Top-Designer zu ergattern. Gabe hatte sie an beiden Orten besucht, immer in der Hoffnung, sie dazu zu gewinnen, mit ihm zusammen zu arbeiten. Sie hatte sich schließlich auch dazu bereit erklärt, allerdings zu ihren eigenen Bedingungen.

„Um ehrlich zu sein, als du zusagtest, hatte ich angenommen, du hättest deine Experimentierphase überwunden und wärst bereit, deinen Platz bei DeWilde’s einzunehmen – als Familienmitglied, meine ich.“

„Es ist keine Phase!“ rief sie empört. „Ich habe vor, mich mein Leben lang neuen Herausforderungen zu stellen, neuen Situationen. Das hält den Menschen frisch und flexibel.“

„Ein mickriges Gehalt und in diesem ‚luxuriösen‘ Apartment zu hausen, ist wohl der Preis dafür, oder? Das hast du doch nicht nötig, Tessa.“ Gabe schaute sich um. Die untapezierten Wände waren voller Risse, der Holzfußboden abgetreten, und die Sessel neben dem Kamin entstammten mit Sicherheit einem anderen Jahrhundert.

„Dies ist genau die richtige Wohnung für eine kleine Angestellte“, meinte sie mit zufriedenem Trotz. „Und außerdem, es gefällt mir hier. Warum also machst du einen solchen Aufstand, noch bevor mein Wettbewerb begonnen hat?“

Er zögerte. „An den Wettbewerb denke ich eben. Noch ist Zeit, bekanntzugeben, wer du in Wirklichkeit bist, bevor morgen die Presse erscheint, um über die Gratis-Hochzeitsaustattung der Experimental Boutique zu berichten.“

„Das ist der Augenblick, auf den ich hingearbeitet habe, Gabe, die Chance, mein eigenes Brautkleidmodell zu entwerfen und mein Talent zu zeigen.“

„Denk daran, wie peinlich es werden kann, wenn jemand dich als eine Montefiori erkennt, bevor du dich selbst zu erkennen gegeben hast.“

Tessa zuckte mit den Schultern. „Ich rechne nicht damit, erwischt zu werden. Seit Jahren lebe ich nicht mehr in London – seit ich in der Schweiz ins Internat kam. Und damals war ich ein ganz anderer Mensch, mit fünfzehn Pfund Babyspeck und streichholzkurzen Haaren. Dieses Wildfang-Image ist längst passé.“

Dagegen konnte Gabe nichts sagen. Tessa mit ihrer schlanken, femininen Figur und der üppigen blonden Mähne war die sprichwörtliche Verkörperung von Weiblichkeit.

„Die Scharade dauert nur noch ein paar Tage“, sagte sie und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. „Die Publicity für den Wettbewerb sollte eigentlich eine entsprechende Resonanz auf mein Talent bringen. Wenn ich erst einmal weiß, wo ich stehe, gebe ich meine wahre Identität bekannt, okay?“

„Selbst wenn die Resonanz negativ sein sollte?“

Tessa war von Natur aus optimistisch. „Ja, ich denke schon. Und falls doch nicht, gehe ich vielleicht an die Filiale in New York und nenne mich dort Smith“, schlug sie ihm spaßeshalber vor.

„Richtig.“ Er zupfte an ihrem langen französischen Zopf und stellte sich dann ans Erkerfenster, das einen Ausblick auf White’s Row bot. „Wem gehört eigentlich dieses Haus, Tessa?“

„Einer charmanten alten Dame, Mrs. Mortimer. Sie hat das Haus vor einigen Jahren in vier Apartments umbauen lassen, aus finanziellen Gründen – und, um Gesellschaft zu haben, wie ich vermute. Ich mag sie wirklich“, fuhr sie mit warmer Stimme fort. „Sie kümmert sich um ihre Mieter, als wären sie Verwandte.“

Er drehte sich halb zu ihr herum. „Genau das brauchst du auch“, neckte er sie. „Mehr Verwandte.“

Zugegeben, es gab viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Montefioris und den DeWildes. Aber Tessas Mutter war bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen, und Mrs. Mortimer stellte ihr tiefes Bedürfnis nach mütterlicher Fürsorge zufrieden.

„Ich wünschte, du würdest dich einfach nur freuen, dass ich wieder zurück bin, Gabe. Unterstütze meinen Plan, auch wenn du ihn nicht völlig billigst.“

Er lächelte sie offen an. „Du kannst auf mich zählen. Und ich bin auch nicht nur hergekommen, um mich zu beschweren. Ich wollte das Brautkleid sehen, das du so unter Verschluss hältst.“

„Ich dachte schon, du würdest niemals fragen!“ Sie ging hinüber in ihre Arbeitsecke und schob einen dreiteiligen japanischen Paravent beiseite und enthüllte eine Schneiderpuppe. Die kopflose Puppe trug ein wundervolles schulterfreies weißes Kleid mit einem spitzenbesetzten Mieder und einem vollen, duftigen Rock aus Crêpe de Chine.

Gabe war begeistert. Tessas Lebensfreude und ihre Bereitschaft zum Risiko spiegelten sich in dieser Arbeit wider. „Toll – sehr innovativ. Es ist genau das, was unser Geschäft braucht.“

„Siehst du diese kleinen Falten in der Taille? Lassen sie es nicht so aussehen, als hätte der Rock viele Lagen?“ fragte sie lebhaft. „Und was hältst du von diesem delikaten Kreuzstich an der Schulter?“

„Du bist eine Meisterin des Details. Dieses erste Modell wird dir einen Namen verschaffen, da bin ich sicher.“ Er warf einen Blick in die kleine Küche. „Sag mal, ist das vielleicht Eintopf, was ich rieche?“

Tessa hob den Kopf und schnüffelte. „Ja, das ist es.“

„Sag mir nicht, dass du mit dem Kochen angefangen hast?“ Er ging einfach in die Küche hinein und öffnete die Töpfe auf dem Herd. „Da ist ja gar nichts drin!“

„Natürlich nicht. Es ist Mrs. Mortimers Stew. Ihre Wohnung liegt direkt unter meiner.“

Er kam zurück. „Es riecht so, als würde sie in deiner Küche kochen.“

„Dies ist ein altes Haus. Gerüche und Geräusche dringen überall durch.“

„Nun, auf jeden Fall duftet es köstlich. Sie muss eine gute Köchin sein.“

„Oh, das ist sie – und sehr großzügig dazu. Ein Ruf die Treppe hinunter, und sie kommt mit einem Kessel Heißwasser angerannt. Wir haben ein gegenseitiges Abkommen getroffen – ich nähe ihr ihre Röcke um, reinige die Treppe, und ähnliche Dinge. Als Gegenleistung kocht sie ab und an für mich.“ Sie schnippte mit den Fingern, als ihr etwas einfiel. „Weißt du was? Wenn du einverstanden bist, Gabe Jones zu sein, der arme Cousin der schlichten Tessa Jones, dann rufe ich hinunter, damit wir etwas zu essen bekommen.“

„Lianne erwartet mich zu Hause.“

„Dann ruf sie an, sie soll auch kommen. Sie wird dann eben Mrs. Jones sein.“

Gabe runzelte die Stirn. „Du bist wirklich die irritierendste Frau der Welt!“

„Es hat mir immer Vergnügen bereitet, dich zu quälen“, sagte sie zuckersüß. „Es fällt mir schwer, im Geschäft kühl und distanziert zu dir zu sein. Es ist der einzige Haken in meinem Plan.“

Gabe sah zu, wie Tessa um ihre Kreation herumging, nachmaß, übersehene Nadeln herauszog. Wie schön und anmutig sie ist, dachte er bei sich. Es erschien ihm unglaublich, dass sich noch kein Mann ernsthaft in sie verliebt hatte. Aber natürlich würde es ein besonderer Mann sein müssen, wollte er Tessas Ansprüchen genügen. Sie war ein Mensch, der sich kopfüber ins Leben stürzte, fordernd und leidenschaftlich, und ihr Drang nach dem Unkonventionellen würde jeden normalen Mann einschüchtern. Gabe wusste, wie sehr sie ihn mochte, und sie waren sich auch sehr nahe, aber er spürte, mit jedem Jahr entglitt sie seinem Einfluss mehr. Tessa war eine Frau, die ihren eigenen Kopf hatte.

Unzweifelhaft hätte nur ein sehr charakterstarker, selbstbewusster Mann eine Chance, romantische Gefühle in ihr zu wecken. Natürlich würde es anders aussehen, wenn sie jemanden fand, der ihr gefiel. Der arme Kerl hätte keine Chance! Je mehr Gabe darüber nachdachte, dass Tessa sich verlieben sollte, desto mehr gefiel ihm die Idee. Sie brauchte einen Mann, einen soliden, verlässlichen Ehemann, der ihr ein wenig die Flügel stutzte und sie ein wenig auf den Boden der Realität zurückbrachte. Er selbst war seit seiner Hochzeit mit Lianne im vergangenen Sommer so glücklich und wünschte, dass alle auf der Welt das gleiche Glück teilen könnten …

„Einen Penny für deine Gedanken, Gabriel.“

Gabe schreckte auf und sah, dass sie ihn misstrauisch anblickte. „Ich dachte nur daran, dass du mich jedes Jahr weniger brauchst“, erwiderte er.

„Ach, du armer Liebling. Aber wie es so kommt, gerade jetzt kann ich deine Hilfe gebrauchen.“ Sie winkte ihn heran. „Pass aber auf den Saum auf.“

„Soll ich die Schneiderpuppe irgendwohin tragen?“

„Nein, ich möchte nur, dass du das Ende des Metermaßes genau hier anhältst.“ Sie führte seine Hand zur Taille des Kleids, wo der Rock ans Spitzenmieder angenäht worden war.

Sie wollte wirklich nicht mehr Hilfe von ihm als seine Daumenspitze! Zögernd ließ er sich neben ihr auf die Knie nieder und dachte daran, dass ihr ein Dutzend Angestellte helfen würden, wenn sie eine höhere Position innehätte. „Ich hoffe, diese ganze Farce ist es auch wert.“

„Die meiste Arbeit ist bereits getan. Für meinen Wettbewerb und die Gratis-Hochzeitsausstattung der Experimental Boutique steht alles bereit.“

„Dein Wettbewerb? So nennst du es immer noch?“

Sie runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“

„Ich dachte, du wüsstest es. Shirley Briggs beansprucht die gesamte Werbekampagne für sich …“

„Bitte?“

„Oh, es ist die gewohnte Praxis in der Boutique. Shirley benutzt ihre Stellung als Abteilungsleiterin, um die Ideen von unerfahrenen jungen Designerinnen zu präsentieren. Vor ein paar Wochen trug sie mir mit ehrlichem Gesicht deine Idee vor, zusammen mit einem vom Geschäft gesponserten Wettbewerb eine neue Designerin vorzustellen. Sie sagte, du seist ausgewählt worden, weil du so ein attraktives Modell seist und gerade ein passendes Kleid in Arbeit hättest.“

„Ich wurde ausgewählt, weil die gesamte Sache allein meine Idee ist!“

„Das wusste ich damals nicht genau“, verteidigte er sich. „Du hattest mir davon kein Wort gesagt, deswegen wagte ich es nicht, sie offen eine Lügnerin zu nennen.“

Tessa presste die Augen zusammen, weil sie innerlich kochte. „Das passiert mir, weil ich brav den normalen Weg gegangen bin. Wie kann sie immer wieder damit davonkommen?“

„Ich nehme an, weil die jungen Designerinnen es nicht wagen, ihre Ausbildung aufs Spiel zu setzen. Leider kann ich nichts unternehmen, solange ich keine Beweise habe. Es ist eine sehr ernste Beschuldigung. Ich weiß wirklich nicht, wieso diese Frau überhaupt eingestellt wurde. Sie ist völlig fehl am Platz bei uns – steht so völlig im Gegensatz zu dem, was DeWilde’s bedeutet, und sobald wir einen legitimen Grund haben, sie zu entlassen, ist sie draußen. Bis dahin …“

Tessa hob beide Hände. „Oh, Gabe, es ist wirklich schlimm!“

„Du weißt, die Abteilung braucht jemanden mit der richtigen Persönlichkeit und dem richtigen Marketingverständnis, um gewisse Dinge grundlegend zu ändern, sie ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen.“

Tessa zwinkerte ihm zu. Ihre grünen Augen blitzten. „Du appellierst an meine Ambitionen, Gabe, und du machst es nicht sehr diskret.“

„Dann nimm mich beim Wort. Gib der Presse morgen ein paar echte Neuigkeiten.“

Entschlossen schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich möchte zuerst unbeeinflusste Kritiken hören.“

„Also gut.“ Gabe erhob sich seufzend. „Du musst wissen, was du tust. Das Kleid ist wirklich super.“ Er schob eine Hand in die Seitentasche seines Tweedjacketts. „Nur, dass es so viel nackte Haut zeigt …“

„Jetzt hörst du dich schon an wie ein langverheirateter Mann, der sein Eigentum beschützen will!“

„Mmm, es würde mir nichts ausmachen, Lianne bis zum Kragen einzupacken, um sie vor gierigen männlichen Blicken zu beschützen“, gab er fröhlich zu. „Aber ich meine etwas anderes.“

„Du führst etwas im Schilde“, wurde ihr klar. „Was ist es?“

„Ach, ich habe mich nur gefragt, wie sich dieser Flitter wohl an deinem Dekolleté machen würde.“ Er zog eine blaue Lederschachtel aus seinem Jackett und öffnete sie. Darin lag ein antikes Perlenhalsband, wundervoll gestaltet, mit einer riesigen Perle in der Mitte und ineinander verschlungenen Bändern mit filigran gefassten Perlen und Diamanten.

Tessa hielt vor Freude unwillkürlich den Atem an. Ihr Vater, George Montefiori, hatte ihr und ihren drei Geschwistern ein paar Familienerbstücke hinterlassen, und sie hatte dieses besondere Halsband erhalten. Bevor sie auf Reisen ging, hatte sie es Gabriel gegeben, damit er es sicher für sie aufbewahrte. „Wie lieb von dir, dass du daran gedacht hast, es mitzubringen!“ Sie nahm das Halsband und eilte hinüber zu dem runden Spiegel, der in einem Messingrahmen an der nackten Wand hing.

„Lass mich dir helfen“, sagte Gabe, als sie sich mit dem Verschluss abmühte, und schloss ihn mit geübter Hand. „Du kannst es ebenso gut tragen wie Celeste.“

Sie rückte das Halsband über dem halbrunden Muttermal an der Halsgrube zurecht, ein Muttermal, das auch ihre Großmutter besessen hatte, die Mann und Sohn – Tessas Vater – vor langer Zeit einfach verlassen hatte. Tessa konnte sich ein solches Verhalten für sich nicht vorstellen, aber sie hatte den Drang nach Unabhängigkeit von Celeste geerbt. „Es ist einfach die ideale Ergänzung für mein Hochzeitskleid. Mein Modell“, ergänzte sie hastig, als Gabe sie angrinste.

„Genau das dachte ich mir auch. Du kannst den Leuten ja erzählen, es gehört DeWilde’s, und wir hätten es dir für eine Woche geliehen.“

„Ja, gut.“

„Vielleicht trägst du es eines Tages zu deiner Hochzeit“, meinte er hoffnungsvoll.

„Oh, Gabe!“ Sie lachte. „Seit Lianne und du euch aneinander gebunden habt, erträgst du es nicht, einen anderen Menschen allein glücklich zu sehen!“

„Ich bekenne mich schuldig.“

„Also, ich lebe absolut gern allein“, stellte sie klar. „Ich liebe es, morgens aufzuwachen und nicht zu wissen, was der Tag mir bringt.“

„Lianne zu lieben, hat mein Leben eindeutig schöner gemacht. Und ich würde es so gern sehen, dass du irgendwann, irgendwo jemanden findest, der dir entspricht.“

Tessa wirbelte herum, stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihm den Zeigefinger auf den Mund. „Vertreibe solche Gedanken sofort aus deinem Hirn. Nichts liegt mir im Moment ferner als der Gedanke an eine Ehe. Ich bin durch und durch auf eine Karriere eingestellt!“

2. KAPITEL

„Oh, sieh nur, Grandma Milly!“ rief die kleine Natalie Sanders aufgeregt. „Dort drüben!“

Millicent Sanders erhob sich von der Bank aus Walnussholz am Eingang von DeWilde’s und schaute in die Richtung, die ihre Enkelin ihr wies. Hinter dem Kosmetiktresen umringten Kunden ein Model im Brautkleid, das auf einem langsam rotierenden Piedestal stand.

Natalie seufzte träumerisch. „Sie muss eine Prinzessin sein.“

Nicky stieß seine Schwester mit dem Ellbogen an. „Eine Cinderella-Mommy.“

Millicent war nicht überrascht über ihre Worte. Die beiden Kinder liebten Märchen, und für sie war England das weit entfernte Land, wo ihre Lieblingsmärchengestalten lebten. Und verständlicherweise erschien ihnen dieses weltbekannte Fachgeschäft für Brautmoden, mit seinem eleganten Dekor und den schimmernden Juwelen in den antiken Vitrinen, wie ein Königreich. Hinzu kam noch das hübsche Modell in dem schulterfreien Brautkleid, die blonden Haare zu einer leuchtenden Krone hochgesteckt unter einem Perlenkopfschmuck. Die junge Frau bot das Ebenbild einer Märchenfigur.

Und die Sorte Traummutter, nach der sich die beiden Geschwister so verzweifelt sehnten.

Die Kinder zerrten ungeduldig an Millicents schmalem Handgelenk. „Aber wir sind doch nur hier hereingegangen, damit ich mich ein wenig setzen und wieder zu Atem kommen kann!“ protestierte sie.

Die Kinder stöhnten. „Ach, Grandma, bitte!“

„Also gut.“ Millicent folgte ihnen gutmütig, trotz ihrer Abgespanntheit. In ihrem türkisfarbenen Chanelkostüm und dem modisch geschnittenen silbernen Haaren wirkte sie um einiges jünger als siebzig, aber sie spürte diese sieben Lebensjahrzehnte manchmal leider doch. Zunehmend wurde es anstrengender für sie, mit dem Tempo ihrer beiden Enkelkinder Schritt zu halten. Aber im Augenblick war sie die einzige Mutterfigur, die sie hatten, und sie würde diese Rolle weiterspielen, bis ihr verwitweter Sohn Steven endlich zur Vernunft kam und wieder heiratete.

„Was ist denn hier los?“ wollte Nicky wissen und hüpfte auf und ab, um besser sehen zu können.

Eine Frau in mittleren Jahren in einem grauen Mantel drehte sich zu ihnen herum. „DeWilde’s sponsert eine Hochzeitsausstattung.“

„Sie sprechen so anders“, bemerkte Natalie interessiert. „Genauso wie der Mann in dem komischen schwarzen Taxi. Er ist die ganze Zeit mit uns auf der falschen Straßenseite gefahren.“

„Es ist ihr erster Auslandsaufenthalt“, entschuldigte sich Millicent. „Sie kommen aus New York und begleiten ihren Vater auf einer Geschäftsreise.“

Die Engländerin lächelte verständnisvoll, während sie die beiden Kinder anschaute. Natalie, zierlich und mit dünnen, langen Beinen, trug ein pinkfarbenes Kleid, weiße Socken, dazu schwarze Lackschuhe, und ihr langes braunes Haar wurde mit einem Band zusammengehalten. Der stämmige kleine Nicky sah aus wie der typische amerikanische Junge: kurze blonde Haare, rundes, sommersprossiges Gesicht, rotbrauner Pullover und dunkle Hose.

Trotz der zwei Jahre Unterschied, war er bereits fast so groß und schwer wie seine Schwester.

Die Frau hockte sich neben ihnen nieder. „Wo ist denn eure Mum?“ fragte sie freundlich.

„Sie ist im Himmel“, flüsterte Natalie, während sie gleichzeitig ihre Hände auf Nickys Ohren presste. „Nicky versteht das alles noch nicht so ganz“, erläuterte sie und gab ihrem erstaunten Bruder einen Kuss auf die Wange, bevor er sich freimachen konnte.

Millicent bemerkte, dass der Frau ihre Frage peinlich war und berührte sie am Arm. „Man kann ruhig über meine verstorbene Schwiegertochter sprechen. Renee ist seit drei Jahren tot.“

Das Gesicht der Frau hellte sich wieder auf.

„Können wir nicht dichter herangehen, Grandma?“ bat Natalie.

Millicent ergriff fest ihre Hände und bahnte sich ihren Weg durch die Zuschauer.

Nicky Riss die Augen weit auf. „Ist sie richtig lebendig?“ flüsterte er.

Natalie zuckte mit den Schultern. „Sie muss irgendjemand Berühmtes sein. Aber wer? Cinderella? Schneeweißchen? Alice im Wunderland? Weißt du es, Grandma?“

„Es könnte …“ Millicents Stimme verlor sich, als sie das zierliche Model mit dem extravaganten Perlenhalsband näher in Augenschein nahm. Beides kam ihr seltsam bekannt vor, von einem anderen Ort, aus einer anderen Zeit.

„Komm mit, Nicky“, drängte Natalie und packte die Hand ihres Bruders.

„Seid höflich“, ermahnte sie Millicent gedankenverloren, als die beiden sich weiter nach vorn zu dem Samtband schoben, mit dem das Piedestal abgeschirmt war. Diese verdammten Augen! Sie lassen in der letzten Zeit so nach, dachte sie zornig, öffnete ihre Handtasche, holte ihre Bifocalbrille heraus und betrachtete zuerst die junge Frau, dann das Perlenhalsband eingehend.

Ganz eindeutig stellte sie eine unmissverständliche Ähnlichkeit des Models mit ihrer alten Freundin Celeste Montefiori fest, die von der Familie DeWilde abstammte. Und hatte sie diese Perlen nicht ständig getragen, um ihr Muttermal in der Halsgrube zu verdecken? Millicent persönlich hatte dieses Halsband einige Male ausgeführt, zum Beispiel in den siebziger Jahren auf den Filmfestspielen in Cannes. Sie und Celeste hatten so viele gute Stunden miteinander verlebt! Aber wie bei all ihren alten Freundinnen und Freunden, war der Kontakt auch zu Celeste in der letzten Zeit eher unregelmäßig geworden. Millicents Familienverpflichtungen hatten sie in New York festgehalten und ihr kaum Zeit gelassen für ausgedehnte Reisen oder gesellschaftliche Kontakte.

Und Millicent glaubte keine Minute, dass Celeste das Halsband jemandem anvertrauen würde, der nicht von ihrem Fleisch und Blut war. Sie, Millicent, war der einzige Mensch gewesen, dem sie es überlassen hatte, und auch das nur, weil Millicent sie mehr oder weniger dazu gedrängt hatte.

Vielleicht war das Model ein Enkelkind von ihr, die Tochter von Celestes Sohn George. Er hatte drei Mädchen und einen Jungen, wenn sie sich recht erinnerte. Und DeWilde’s war ein Familienunternehmen, mit vielen Familienmitgliedern, die in den verschiedenen Firmenfilialen arbeiteten.

Millicent hatte Celeste vor über zwanzig Jahren in Südfrankreich kennengelernt. Dort hatte sie sich von einer gescheiterten Liebesaffäre mit einem italienischen Filmregisseur erholt – mittels eines hübschen kleinen Abschiedsgeschenks von ihm.

Anders als Millicent, deren Lebensmittelpunkt immer die Familie war und sein würde, hatte Celeste ihre Familienbande mehr oder weniger aufgelöst. Sie behauptete, zu keiner wirklichen Verpflichtung in der Lage zu sein. Sie vertat ihre Zeit und Energie damit, riskante Beziehungen einzugehen und einen aufwendigen Lebensstil zu pflegen, mit Hilfe extravaganter Geschenke und anderer Formen der Unterstützung, die sie sich dabei verschaffen konnte.

Zu ihrem gegenseitigen Erstaunen hatten sich die beiden Frauen auf Anhieb gemocht. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensauffassungen und – umstände wurden sie schnell Freundinnen, trafen sich in den folgenden Jahren immer wieder zu unterhaltsamen Essen oder bei gesellschaftlichen Anlässen.

Für Millicent war diese Zeit wohl die schönste ihres Lebens gewesen – wenn sie und Robert so viele gesellschafte Kontakte hatten. Ihre Firma, Sanders Novelties, war seit den vierziger Jahren einer der bekanntesten amerikanischen Hersteller von Familienspielen gewesen. Gegründet von ihrem Schwiegervater Gerald, ging die Firma an Robert und schließlich an Steven über. So sehr sie Steven und seine Sprösslinge liebte, so löste doch die Erinnerung an Celeste und der Auslandsaufenthalt ein wenig die Sehnsucht nach dem Leben aus, das sie früher geführt hatte.

„Darf ich Ihnen behilflich sein, Madam?“ Eine plumpe Frau in mittleren Jahren in einem goldenen Hemdblusenkleid blieb vor Millicent stehen. Sie hatte ein schmales Gesicht, eine gebogene Nase und dunkle, intelligente Augen. Das glatte braune Haar trug sie zu einem Knoten geschlungen.

„Arbeiten Sie in dieser Abteilung?“ fragte Millicent höflich.

„Ich bin Shirley Briggs, Leiterin von DeWilde’s Experimental Boutique“, erwiderte die Frau mit sichtlichem Stolz. „Wollen Sie für eine Hochzeit einkaufen?“

„Ich hoffe es in kurzer Zeit tun zu können“, meinte Millicent. „Für einen Verwandten.“ Ein arbeitswütiger Sohn, der nichts als Arbeit im Kopf hatte.

„Da kommen Sie genau zum richtigen Zeitpunkt zu uns. Wir veranstalten gerade einen Wettbewerb, bei dem der Hauptgewinn eine komplette Hochzeitsausstattung ist.“

„Ist sie eine wirkliche Märchenprinzessin?“ meldete sich Natalie mit hoffnungsvollem Blick.

Shirley Briggs fand dies höchst lustig, ihr Busen wogte vor unterdrücktem Lachen. „Nein, gewiss nicht. Sie ist eine junge Designerin hier in der Boutique, die eins ihrer eigenen Modelle vorführt. Dieses Modell ist der Hauptpreis unseres Wettbewerbs, wissen Sie“, erklärte sie nun Millicent. „Wir versuchen das Interesse unserer Kunden und der Medien auf vielversprechende neue Talente unseres Hauses zu lenken. Der Gewinner dieses Wettbewerbs wird ein Brautkleid gewinnen, das diesem in allen Einzelheiten entspricht, und dazu noch alles andere, damit es eine richtige Traumhochzeit wird, angefangen vom Hochzeitsempfang bis zur Hochzeitsreise.“

Nicky drehte sich herum und schaute Miss Briggs misstrauisch an. „Aber sie lebt doch in einem Schloss.“

Shirley Biggs Lächeln zeigte die ersten Anzeichen von Ungeduld. „Kaum. Sie ist eine ganz normale Angestellte.“

„Dann ist sie bestimmt Cinderella“, meinte Natalie zu Nicky. „Zuerst war sie arm, weißt du. Dann kam der Prinz daher und gab ihr ihren Schuh zurück und dann haben sie eine tolle Hochzeit gefeiert.“

Nicky beugte sich über die Absperrung und versuchte einen Blick auf die Füße unter den bauschigen Rock zu erhaschen. „Ich kann ihre Schuhe nicht sehen, Natty.“

Natalie wandte sich an Shirley Briggs. „Könnte Sie sie nicht bitten, ein winziges Stück ihren Rock anzuheben, nur ein kleines Stückchen?“

Die Leiterin der Boutique sah sie missbilligend an. „Sie stellt eine Schaufensterpuppe dar und darf sich weder bewegen noch sprechen!“ Dann fügte sie für Millicent hinzu, um nicht zu abweisend zu wirken. „Welche Phantasie Kinder haben …“

Aber Millicent hörte gar nicht zu. Das Model hatte sich gerade doch bewegt, nur kurz zwar, aber so, dass ein vertrautes Muttermal sichtbar wurde. Es hatte genau die Form und saß an der gleichen Stelle wie bei Celeste. Dies reichte, um Millicents Vermutung Gewissheit werden zu lassen. Das Mädchen war eine Montefiori!

Aber wieso nannte diese Frau sie dann eine schlichte Angestellte? Neugier erwachte in ihr. „Wie heißt die junge Dame?“ fragte sie.

„Tessa Jones“, erwiderte die Abteilungsleiterin, sichtlich irritiert über diese Frage.

Tessa … Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, dann hatte Celeste drei Enkelinnen: Vanessa, Catherine und … Tessa! Das war es! „Entschuldigen Sie meinen Wissensdurst, aber ist Jones ihr Ehename?“

„Sie ist noch immer unverheiratet. In diesem Alter sind die meisten der Designerinnen mit ihrer Arbeit verheiratet.“

Natalie blickte ihren Bruder beziehungsvoll an und lächelte dabei. „Ob sie wohl Kinder gern hat …?“

„Klar …“, lautete Nickys entschiedene Antwort.

Millicent erkannte, die beiden gingen davon aus, dass die Braut selbst Teil des Preises war. Wenn es doch nur wahr wäre! Nur zu gern würde sie Steven hierher ins Geschäft bringen, ihn absichtlich mit Tessa bekannt machen. Aber sie hatte längst alle Versuche in dieser Richtung aufgegeben. Wenn er einfach nur darauf gewartet hätte, dass ihm irgendwann einmal die richtige Frau über den Weg lief, hätte sie es akzeptiert. Aber er trieb sich die Nächte herum, ohne irgendeine Richtung. Er beharrte darauf, dass alles nur harmloser Spaß sei. Millicent wusste jedoch, es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendein weiblicher Glücksritter ihn sich krallte und dann alles zu spät war. Für Millicent war es die wichtigste Aufgabe ihres Lebens geworden, ihn aus dem Verkehr zu ziehen und den Händen einer Frau zu überantworten, die ebenso wertvoll war wie die verstorbene Renee.

Da riss sie Natalies entschlossene Stimme aus ihren Gedanken. „Grandma, ich glaube, das könnte wirklich etwas für uns sein.“

Millicent strich ihr sanft übers lange braune Haar. „Da stimme ich dir zu.“ Sie wandte sich Shirley zu, die sie neugierig anblickte. Aber als Millicent nichts sagte, begann sie die Regeln des Wettbewerbs zu erklären.

„Es geht darum, in allerhöchstens einhundert Wörtern zu erläutern, warum man der Meinung ist, diese DeWilde’s – Hochzeit zu verdienen. Die endgültige Entscheidung wird von Gabriel DeWilde persönlich getroffen.“ Sie griff in einen Korb, holte eine Broschüre heraus und reichte sie Millicent. „Es soll eine wahre Geschichte sein“, hob sie hervor. „Sehen Sie, hier ist der Platz dafür.“

Millicent las die feine Schrift und fragte dann: „Ich fülle dies aus und gebe es Ihnen zurück?“

„Exakt.“

„Haben Sie noch irgendwelche Tipps?“ Millicent war ein wenig unsicher.

Shirley freute es offensichtlich, Ratschläge geben zu können. „Zuerst würde ich einen fesselnden Titel vorschlagen, etwas, mit dem das Publikum sich identifizieren kann. Und eine dramatische Geschichte wird bestimmt sehr hilfreich sein.“ Sie beugte sich vertraulich vor. „DeWilde’s möchte etwas mit diesem Wettbewerb erreichen, das Leben eines Menschen verändern, ihm eine neue Richtung geben.“

Millicent und Natalie wechselten einen verschmitzten Blick. Dramen waren eine Spezialität der Sanders.

„Leider werden Sie sich beeilen müssen“, fuhr Shirley fort. „Heute Nachmittag ist Abgabeschluss. Morgen Mittag wird der Gewinner bekanntgegeben, und alle Beiträge müssen bis dahin noch durchgelesen werden. Hoffentlich finden Sie nicht, dass es für Sie schon zu spät ist.“

Millicents Lächeln verstärkte sich. „Im Gegenteil, Miss Briggs. Ich bin Optimistin und denke, ich komme gerade zur richtigen Zeit.“

Shirley Briggs entschuldigte sich nun und ging davon. Millicent spielte mit der Broschüre. Eigentlich sollte sie den Kindern hier und jetzt sagen, dass die Braut nicht in den Gewinn eingeschlossen war. Aber sehr wahrscheinlich würde es ihnen die Lust nehmen, sich eine Geschichte auszudenken und dazu jede Chance verderben, Steven und Tessa irgendwie zusammenzubringen. Außerdem täte ihnen allen ein Abenteuer gut. Steven ganz besonders. In der letzten Zeit hatte er hart gearbeitet, um in Europa eine geeignete Firma zu finden, die seine Galaxy Rangers-Figuren vertrieb.

„Was machen wir jetzt, Grandma?“ wollte Nicky wissen.

„Wir essen eine Kleinigkeit und dann überlegen wir uns eine Geschichte. Ihr könnt euch auf dem Weg zum Restaurant schon einen Titel überlegen, der ankommt.“

Natalie schaute in die Ferne. „Eine Braut für Daddy – wie klingt das?“

„Also, du bist wirklich spitze!“ rief Millicent begeistert. „Aber es soll eine Überraschung werden. Ihr dürft es auf keinen Fall eurem Vater verraten.“

„Überraschung?“ protestierte Natalie sogleich. „Aber wir möchten Daddy alles erzählen!“

„Ich weiß, dass ihr es möchtet. Aber wir wollen doch keine falschen Hoffnungen in ihm wecken, bis wir gewonnen haben. Wenn alles gutgeht, haben wir noch genügend Zeit, alles zu feiern.“

Steven Sanders kehrte an diesem Donnerstagnachmittag gegen vier Uhr in seine Suite im Londoner Hilton Hotel an der Park Lane zurück. Er hatte kaum den Schlüssel aus dem Schloss gezogen und die Tür geöffnet, da stürmten Natalie und Nicky aus dem Schlafzimmer quer durch den Wohnraum auf ihn zu.

„Daddy!“ schrien sie im Chor und schlangen ihm die Arme um die Hüfte.

„Also, wie war euer erster Tag im guten alten England?“ fragte er mit einem Lächeln und gab jedem Kind einen herzhaften Kuss auf den Kopf.

„Toll!“ rief Natalie mit ihrer hellen Stimme, nahm ihrem Vater wie zu Hause in der Fifth Avenue in New York die Aktenkoffer ab, reichte sie Nicky und begann am Ärmel seines grauen Kaschmirjacketts zu zupfen, um es ihm auszuziehen. „Und wie war dein erster Tag im guten alten England?“

„Gut, danke.“ Steven ließ sich von den Kindern zu dem hellblauen Sofa führen. Sie sanken zusammen auf die Polster, und erst jetzt bemerkt er, dass die beiden schon ihre Pyjamas anhatten. „Ist es nicht ein wenig früh für Pyjamas?“ Er warf seiner Mutter einen Blick zu, die auf der anderen Seite des Raumes an einem Kirschholzschreibtisch saß. Sie trug ihren purpurfarbenen Satinhausanzug.

Millicent zuckte mit den Schultern. „Sie haben sie zu ihrem Nachmittagschläfchen getragen, und ich dachte, da könnten sie sie gleich anbehalten.“

„Eigentlich hatte ich vor, euch alle heute Abend zum Essen einzuladen.“

Millicent stieß einen übertrieben tiefen Seufzer aus. „Sie sind völlig fertig.“

Steven unterdrückte ein schiefes Lächeln. Es war nicht das erste Mal in den letzten Wochen, dass seine Mutter eine solche Schau abzog, nur weil sie selbst ein wenig Ruhe brauchte. Wenn sie doch nur ihre eigenen Grenzen endlich akzeptieren würde! Aber sie weigerte sich, mehr denn je. Sie spielte unentwegt und beharrlich die perfekte Mutter, damit er sein Versprechen nicht einlöste, endlich ein Kindermädchen einzustellen. Aber er war entschlossen, hier in London jemanden zu finden und sie, wenn möglich, nächste Woche im Flugzeug nach Haus mitzunehmen.

„Wir haben eine große Überraschung für dich, Daddy“, verkündete Nicky strahlend. „Eine wirklich dicke Überraschung.“

Steven warf einen Blick auf Nickys rundes, offenes Gesicht, dann sah er die unschuldig dreinschauende Natalie an. „Erzählt mir davon.“

„Wenn wir es dir erzählen, dann ist es ja keine Überraschung mehr“, erklärte Natalie entrüstet.

Millicent richtete sich auf ihrem Stuhl auf. „Gegen diese Logik kommst du nicht an, Steven.“

„Wohl nicht“, gab er sich geschlagen und kniff Natalie liebevoll in die Nase. „Also, wie lange muss ich darauf warten, bis die Bombe platzt – ich meine, bis ich die angenehme, aber unerwartete Neuigkeit zu hören bekomme?“

„Du brauchst dich nicht zu sorgen“, versicherte ihm Millicent fröhlich. „Nur ein Spiel der Kinder. Wie war dein heutiger Tag?“

„Für den Anfang nicht schlecht, denke ich.“ Steven streckte sich und lehnte sich zurück. Im nächsten Augenblick fühlte er die Finger seines Sohnes durch sein frischgekämmtes Haar fahren. Nickys beliebtes Spiel war es, graue Haare zwischen braunen zu suchen. Er fand zunehmend mehr. „Ich glaube, Butler Toys ist an meinem Vorschlag interessiert“, spekulierte er. „Allerdings ist es noch zu früh, Endgültiges zu sagen. Franklin Butlers sehr britische zurückhaltende Art macht es schwer, ihn richtig einzuschätzen. Aber immerhin ist der Ball am Rollen. Ich habe ein paar Muster der Galaxy Rangers mitgebracht …“

„Du hast Puppen hier, Daddy?“ Natalie hatte sich schon auf die Knie niedergelassen und dabei die Aktenkoffer mit auf den Boden gezogen. Sie öffnete den goldfarbenen Verschluss.

„He, lass doch, Natalie!“ murrte Steven. „Die Galaxy Rangers sind Actionfiguren!“

Natalie holte dennoch die dreißig Zentimeter großen Figuren in Weltraumkadetten-Uniformen aus der Mappe. „Ich spiele nur mit Puppen“, meinte sie.

„Ich mag Monster.“ Nick schnappte sich eine der männlichen Figuren und gab drohende Geräusche von sich.

Steven lachte leise vor sich hin. Immer beschämten ihn seine Kinder mit ihren unschuldigen Bemerkungen. Ihre Reaktionen auf seine hochgelobten Kreationen würden die Angestellten bei Sanders Novelties erstaunen, die in ihm einen Wundertäter sahen, der die Firma seines Vaters vor dem Bankrott bewahrt und damit ihre Jobs gerettet hatte. Die von ihm geschaffene Superhelden-Serie war in den USA groß eingeschlagen, und nun wurde der Markt weiter mit entsprechenden Cartoons, Comicbooks und ähnlichem abgerundet.

„Was ist so lustig, Daddy?“ fragte Nicky. „Ich mach dir jetzt Angst. Rrrr….“

Steven lachte lauter. „Du bist sehr wahrscheinlich der einzige Junge auf der Welt, der Captain Lance Starbuck wie einen Werwolf grollen lässt!“

Nicky hob den Arm der Figur und startete einen Angriff auf Natalie, die ein leichteres Opfer war, wie er wusste. „Das haarige Monster frisst dich gleich auf!“

„Hör auf!“ rief Natalie empört und flüchtete sich auf den Schoß ihres Vaters. „Sag ihm, er soll aufhören, Daddy! Es ist nicht witzig. Er ist wohl nicht ganz bei Trost!“

Steven brachte die beiden Kinder dazu, sich getrennt neben ihn zu setzen. „Als ich zustimmte, euch für diese Reise aus der Schule zu nehmen, habt ihr beide mir versprochen, euch zu benehmen. Erinnert ihr euch?“

„Also, was sagtest du über deine Geschäftsbesprechung?“ meldete sich nun wieder Millicent zu Wort. „Ist diese Firma Butler Toys in der Lage, die Galaxy Rangers hier zu produzieren und zu vertreiben?“

Steven streckte die Beine lang unter dem kleinen Couchtisch aus. Die Kinder taten es ihm mit einem tiefen Stöhnen nach. „Die Werbeabteilung scheint grünes Licht geben zu wollen. Der einzige Haken sind jetzt noch der konservative Aufsichtsrat und der Besitzer Franklin Butler. Nachdem wir monatelang per Fax alle Informationen ausgetauscht haben, ist er sich immer noch nicht sicher, ob das Produkt für den europäischen Markt wirklich geeignet ist.“

Millicent sah ihn schockiert an. „Warum nicht?“

Steven hob in einer hilflosen Geste die Hand. „Bislang hat er mir keine klare Antwort gegeben.“

„Aber sicherlich wird doch deine Reise hierher die Dinge beschleunigen, oder?“

„Mutter, nicht jedermann sieht in mir den beredten Charmeur, wie du es tust.“

„Unsinn!“ Sie schwenkte ihren Bleistift und widmete sich mit hochgezogenen Brauen wieder ihrem Kreuzworträtsel.

Steven betrachtete sie aufmerksam. Heute Abend benahm sie sich seltsam, auch wenn er nicht sagen konnte, was genau es war. Verbarg sie etwas hinter ihrer Stirn oder war es nur das Kreuzworträtsel?

Als würde sie seinen Verdacht spüren, kniff sie die Augen noch mehr zusammen. „Steven, nenn mir doch bitte ein Wort für ein Malzgetränk mit vier Buchstaben.“

Autor

Leandra Logan
Schon in ihrer Kindheit hat Leandra geschrieben. Sie war überrascht, 1986 ihren ersten Jugendroman zu verkaufen. Seitdem hat sie viele Bücher veröffentlicht. Sowohl für Teenager als auch für Erwachsene. Ihre Bücher stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten von B.Dalton oder Waldenbooks und sie sind für mehrere Awards nominiert gewesen. Leandra Logan...
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