Auf dem Weg ins Glück

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Michael und Julia - Jeffrey und Grace. Zwei verschiedene Generationen auf der gleichen Suche nach dem vollkommenen Glück. Wird Michael für Julia seine Freiheit opfern? Ist Julia bereit, sich seinen Wünschen zu unterwerfen? Gelingt es Jeffrey endlich, Grace um Entschuldigung zu bitten? Wird ihm Grace verzeihen und mit ihm eine zweite Ehe wagen? Alle diese Fragen erhalten eine Antwort, und alle Wünsche werden sich erfüllen - wenn die Liebe stark genug ist!


  • Erscheinungstag 12.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774356
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Untergeschoß von DeWilde’s London lag ruhig da, der ständige Strom von Kunden war verschwunden, die Lichter waren gedämpft, die Glasvitrinen mit dem schimmernden Schmuck abgedeckt. Jeffrey DeWilde wanderte zwischen den verwaisten Displays umher, betrachtete die Neuerungen der letzten Wochen und fragte sich dabei, ob sie wirklich eine Verbesserung gegenüber vorher bedeuteten. Er bewunderte ein elegantes Arrangement mit spanischen Lederhandtaschen und italienischen Seidenschals, besah sich mit hochgezogener Augenbraue eine schwere silberne Haarbürste auf einem Bett aus purpurfarbenen Dessous, und blieb dann vor der auffälligen Registrierkasse stehen. War es wirklich eine so gute Idee gewesen, die Kasse von ihrem traditionellen Platz im gedrängt vollen vierten Stock an einen solch exponierten Platz hier bei den Fahrstühlen zu stellen? Jeffrey wusste es nicht, aber Gabe schien es für eine gute Idee zu halten, und während der letzten Monate hatte Jeffrey gelernt, sich auf die Einschätzungen seines Sohnes zu verlassen, was das Geschäft anging.

Bis zu ihrer Trennung vor ungefähr einem Jahr hatten Jeffrey und seine Frau Grace diesen Gang am Freitagabend immer zusammen unternommen. Jeffrey hatte diese Stunde genossen, während der Grace an seiner Seite ihm die praktischen Vorteile einer Neuerung erklärte. Für sie beide war dieser gemächliche Rundgang durchs Geschäft immer die Einleitung des Wochenendes gewesen. Eine Möglichkeit für Grace und ihn, sich nach der betriebsamen Hektik der Woche langsam zu entspannen.

Manchmal konnte er sogar etwas Nützliches beitragen, indem er irgendetwas, das Grace sagte, in Zusammenhang mit finanziellen Gegebenheiten des DeWilde-Konzerns brachte, der Filialen in Paris, New York und Monte Carlo unterhielt. Verkaufszahlen, Großhandelspreise, Zinsen und Gewinnmargen standen jederzeit glasklar in seinem Kopf zur Verfügung. Aber ohne Graces Fähigkeit, diese Zahlen ins konkrete Tagesgeschäft umzusetzen, hatte er nicht mehr viel zu bieten, was Entscheidungen über Einkäufe und Produktpräsentation betraf.

Während der letzten fünfzehn Monate war dieser Freitagabend-Rundgang ein Akt des Widerstandes gewesen – er wollte sich selbst beweisen, dass sich in seinem Leben nicht alles zum Schlimmsten gewendet hatte, nur weil Grace ihn verlassen hatte und sie jetzt geschieden waren.

Geschieden. Was Jeffrey betraf, so hatte dieses Wort immer noch einen unwirklichen Klang, wenn es auf Grace und ihn angewendet wurde. Er hatte die Scheidung von Grace gewollt. Vor fünf Monaten, als sie in Nevada wohnte, um die Auflagen für eine dortige Scheidung zu erfüllen, hatte er das Ende ihrer Ehe förmlich herbeigesehnt, damit die verbalen Verletzungen ein Ende hatten, die sie sich ständig zufügten.

Seit April war er theoretisch gesehen ein freier Mann, und nun war es schon fast August. Fünfzehn wundervolle Wochen Freiheit von den Fesseln der Ehe. Jeffrey lachte rau. Ach ja, er erlebte nun all die Freuden der Freiheit von seiner kläglich gescheiterten Ehe. Er hoffte – er hoffte es wirklich –, dass in einem weiteren Jahr allein die Worte Scheidung und Junggeselle nicht mehr die Macht besitzen würden, ihn augenblicklich in tiefe Depression zu stürzen.

„Ist alles in Ordnung, Sir?“ Einer der uniformierten Sicherheitsbeamten trat aus dem Schatten in Jeffreys Blickfeld.

„Ja, alles ist in bester Ordnung, vielen Dank.“ Wenn er nicht das beständige Bedürfnis beachtete, die nächste Wand mit den Fäusten bearbeiten zu wollen, war wirklich alles wunderbar. Jeffrey wandte sich ab, das kaum verhohlene Interesse des Wachmanns war ihm zuwider. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass seine privatesten Dinge Gegenstand des Klatsches seiner Angestellten waren.

Da er dicht neben der achteckigen Vitrine stand, die die Tiara der Kaiserin Eugenie enthielt, fiel sein Blick auf die Krone aus blitzenden Diamanten und Perlen, die auf einem kunstvoll drapierten Bett aus scharlachrotem Samt lag. Die scheinbar zufälligen Falten des schweren Stoffes bildeten einen krassen Gegensatz zu der Strenge der Tiara, seine warme Farbe kontrastierte mit der eisigen Brillanz der Diamanten. Lianne Beecham, Jeffreys Schwiegertochter, hatte die Vitrine erst vor kurzem neu gestaltet, und ihr exotischer Touch trug eindeutig ihre talentierte Handschrift.

Die Tiara war ein unschätzbar kostbares historisches Stück, ein Geschenk des französischen Kaisers Louis Napoleon, auch bekannt als Napoleon III., an seine geliebte Gattin Eugenie. Jedes Mal, wenn Jeffrey an dem Glaskasten vorbeikam und das Blitzen der Diamanten und den warmen Glanz der unbezahlbaren Perlen sah, regten sich widersprüchliche Gefühle in ihm. Die einzigartige Tiara, fast fünfzig Jahre spurlos verschwunden, war endlich wieder an ihren angestammten Platz zurückgekehrt, ungefähr zwei Wochen nachdem Grace England verlassen hatte und nach San Francisco geflogen war. Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dachte er immer wieder dabei. Er hatte eins der verschwundenen Familienschmuckstücke wiederbekommen, aber zugleich seine Frau verloren. Ein verdammt hoher Preis!

Er riss sich zusammen. Es hatte keinen Sinn, sich weiter auf dem ausgetretenen Pfad sinnlosen Bedauerns entlangzuquälen.

„Sie wissen, dass ich heute Abend einen Kurier erwarte, der etwas Wichtiges anliefern wird?“, fragte er den Wachmann, dessen Namensschild ihn als Bill Babb auswies.

Bill nickte. „Ja, Sir, es ist alles entsprechend geregelt. Keith befindet sich am Eingang, und er klingelt durch, sobald der Kurier eintrifft. Ich bringe den Besucher dann nach oben in Ihr Büro, oder wo immer Sie ihn treffen wollen.“

„In mein Büro, bitte.“ Jeffrey warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich erwarte den Kurier vor sieben Uhr, was bedeutet, er wird irgendwann in den nächsten fünfzehn Minuten kommen. Sagen Sie bitte Keith, ich fahre jetzt hinauf ins sechste Stockwerk.“

„Ja, Sir. Ich werde es sofort erledigen. Gute Nacht, Sir.“

„Gute Nacht.“

Zurück in seinem Büro, begann Jeffrey den Stapel Papiere durchzusehen, die auf ihn warteten, aber schon nach kurzer Zeit gab er es auf. Er konnte sich nicht konzentrieren. Er ging hinüber zu der Bar, die sich hinter der Mahagonivertäfelung der Wand befand, und goss sich einen Whisky ein. Einen Moment lang ließ er den weichen Scotch auf der Zunge rollen, ehe er ihn hinunterschluckte. Das Glas behielt er in den Händen, widerstand aber der Versuchung, weiterzutrinken. Nachdem Grace ihn verlassen hatte, hatte er eine ganze Menge getrunken, es jedoch bald wieder in den Griff bekommen. Aber er wusste, oft genug noch versuchte er seine Einsamkeit durch Alkohol erträglicher zu gestalten. Langsam, schmerzhaft, war es ihm klargeworden, dass es besser war, zu seinen Gefühlen zu stehen, auch wenn es unangenehme Gefühle waren. Wenn man sie zu sehr unterdrückte, dann bestand die Gefahr, dass sie irgendwann explodierten. In seinem Fall war seine Ehe explodiert.

Die Folgen spürte er noch immer. Er merkte es daran, dass er kaum Freude über die Rückkehr der berühmten DeWilde-Juwelen empfand. Im letzten Jahr hatte er sich fast wie besessen darauf konzentriert, das Geheimnis um die verschwundenen Stücke und das Schicksal seines Onkels Dirk zu lüften, die beide zur selben Zeit verschwunden waren. Mit Hilfe von Nick Santos, eines Privatdetektivs, waren alle Geheimnisse gelöst und die Juwelen wiedergefunden worden. Santos hatte dabei zwei bislang unbekannte Zweige der Familie DeWilde in Australien und Neuseeland entdeckt, eine jahrzehntelange Feindschaft mit der Familie de Villeneuve war endlich beigelegt worden, und die Gründe für Dirks Verschwinden waren nun bekannt. Heute Abend, als Krönung, würden die letzten der verschwundenen Juwelen hierher zurückgebracht. Ein Grund für eine große Feier – nur, dass Jeffrey sich kaum mehr erinnerte, warum es fast lebenswichtig für ihn gewesen war.

Das Telefon klingelte, eine willkommene Unterbrechung seiner düsteren Gedanken. Er nahm den Hörer ab. „Ja?“

„Mr. DeWilde, hier ist Keith Jones vom Eingang.“

„Ja?“

„Der Kurier aus San Francisco ist da.“

„Gut. Schicken Sie ihn bitte sofort hinauf zu mir.“

„Ich … ja, Sir. Bill wird … den Kurier hinaufbegleiten.“

Jeffrey war das leichte Zögern in der Stimme des Wachmanns nicht entgangen. „Keith, gibt es ein Problem?“

„Ich … nein. Kein Problem, Sir. Die Papiere des … Kuriers sind alle in Ordnung. Unterzeichnet von Nick Santos, wie Sie sagten.“ Der Mann gab ein seltsames Geräusch von sich, als würde er ein Husten unterdrücken. „Bill und der Kurier sind bereits auf dem Weg nach oben, Sir. Es wird nicht mehr als ein paar Minuten dauern, bis sie im sechsten Stock sind. Ich bin sicher, Sie werden alles in Ordnung finden, Sir.“

„Ausgezeichnet. Danke.“ Jeffrey legte auf, stellte sein ungeleertes Glas auf den Schreibtisch und durchquerte sein Büro, um die Tür zu öffnen. Das seltsame Zögern in der Stimme des Wachmanns ließ ihn dabei nicht los.

Verdammt, irgendetwas stimmt doch nicht, dachte er. Der Wachmann hatte zwar ganz normale Dinge gesagt, aber sein Ton hatte verraten, dass es ein Problem gab.

Nick Santos hätte diese wichtige Lieferung selbst vornehmen sollen, dachte Jeffrey verärgert. Er hatte ein ungutes Gefühl dabei gehabt, als ihn der Privatdetektiv informierte, dass er die Juwelen nicht persönlich abliefern würde. Und nun roch er förmlich, mit dem Kurier stimmte etwas nicht.

Da es sich um Millionenwerte handelte, wollte Jeffrey kein Risiko eingehen. Es konnte durchaus sein, dass Keith mit einer Pistole am Kopf gezwungen worden war, den Spezialfahrstuhl zum sechsten Stockwerk freizuschalten. Der einzige Weg, es herauszufinden, würde sein, selbst hinunterzufahren und dort nachzusehen. Aber da er weder bewaffnet noch trainiert war, konnte es zu einer Tragödie führen, wenn er versuchte, den Helden zu spielen. Oder zu einer demütigenden Farce.

Er brauchte professionelle Hilfe.

Er ging zurück zum Schreibtisch und aktivierte den stummen Alarm, der direkt mit dem Büro der Sicherheitsfirma verbunden war, die über die heutige Lieferung natürlich informiert war. Bewaffnete Männer würden innerhalb kurzer Zeit hier sein, um nach dem Grund für den Alarm zu sehen, und das gab ihm ein beruhigendes Gefühl. Es mochte ja sein, dass er übertrieben vorsichtig handelte, aber sonst konnte es bereits zu spät sein, wenn sich seine Ahnung bewahrheiten würde.

Jeffrey hörte, wie sich die Fahrstuhltüren öffneten, und ein Adrenalinstoß durchzuckte ihn. Der dicke Teppichboden verschluckte die Schritte, und weder der Kurier noch der Wachmann sagten ein Wort. Ein schlechtes Zeichen. Bill Babb war ihm ziemlich redselig vorgekommen.

Die Bürotür stand leicht angelehnt, aber Bill klopfte dennoch, wobei er zugleich den Kopf hereinsteckte. „Ihr … Kurier aus San Francisco ist hier, Mr. DeWilde.“

Der Mann befand sich offensichtlich in Schwierigkeiten. Jeffrey packte die Schreibtischkanten. „Schicken Sie ihn herein, Bill.“

„Ja, Sir.“ Bill seufzte sichtlich erleichtert, trat zur Seite und öffnete die Tür.

Jeffrey runzelte die Stirn, als niemand erschien. Er war das Spiel leid. „Kommen Sie herein!“, rief er. „Ich weiß zwar nicht, was Sie vorhaben, aber unsere Sicherheitsvorkehrungen sind …“ Seine Stimme verlor sich, als eine Frau eintrat. Er merkte, dass ihm der Mund offenstand, und schloss ihn hastig.

„Hallo, Jeffrey.“

Er musste zweimal schlucken, ehe er antworten konnte. „Grace“, sagte er benommen. „Grace, was machst du denn hier?“

„Nick hat mir gestattet, als Kurier die DeWilde-Juwelen zurückzubringen“, sagte sie. Sie legte einen schmalen Aluminiumkoffer auf den Schreibtisch vor ihn hin, und sie stand jetzt so dicht vor ihm, dass ihm ihr zartes Parfüm in die Nase stieg. Sie deutete auf den Koffer. „Ich habe alle vier Stücke hier. Überzeuge dich davon, dass es die noch fehlenden sind.“

„Du hast dein Haar abgeschnitten.“ Er hatte nicht so etwas Irrelevantes sagen wollen, etwas so Persönliches, aber er war wie hypnotisiert von ihrem veränderten Äußeren. Erst vor wenigen Wochen hatte er sie zuletzt gesehen, bei der Hochzeit seiner Tochter Kate in San Francisco, aber heute Abend wirkte sie wie ein völlig anderer Mensch auf ihn. Solange er sie kannte, hatte sie ihr langes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen getragen, und nun war es kurz, und eine dicke blonde Strähne fiel ihr über Stirn und Wange. Dieses Zeichen eines neuen Lebensabschnittes verunsicherte ihn, gab ihm das Gefühl, sich immer noch in den alten Bahnen zu bewegen.

„Kate war der Meinung, ich sollte etwas für mein Aussehen tun.“ Sie lächelte schwach. „Wenn Kate so etwas auffällt, heißt das, eine neue Frisur ist mindestens seit zehn Jahren überfällig.“ Sie strich sich die Strähne hinters Ohr zurück und spielte einen Moment lang mit ihren Saphirohrringen. „Gefällt es dir?“

Er starrte wie hypnotisiert auf ihre Finger, die sanft ihr Ohrläppchen massierten. Vorher war ihm noch nie bewusst gewesen, dass Ohrläppchen an einem weiblichen Körper etwas so Erotisches sein konnten. „Es sieht … nett aus.“ Er räusperte sich und versuchte es nochmals. „Es steht dir. Sehr schmeichelhaft und modern.“

Ihre Stimme war heiserer, tiefer als sonst. „Ich freue mich, dass du es magst.“

Was soll ich darauf antworten? dachte Jeffrey. Er schaute zur Seite und ballte hilflos die Fäuste. In Konferenzen hatte er spielend ein Auditorium von hundert Menschen im Griff, wehrte locker feindselige Fragen ab, machte geistreiche Zwischenbemerkungen und brachte Hitzköpfe mit ruhiger Sachlichkeit und guten Argumenten zum Einlenken. Aber bei den Menschen, die ihm wirklich etwas bedeuteten, drückte er sich ungeschickt aus, und wenn es um Gefühle ging, brachte er nur Allgemeinplätze heraus …

Dies war das erste Mal, dass Grace wieder hier im Büro stand, seit sie ihn verlassen hatte. Es war auch an einem Freitag gewesen. Ein Freitag Anfang Mai, vor über einem Jahr. Es irritierte ihn, sie hier in dieser vertrauten Umgebung zu sehen – im Aussehen so deutlich verändert. Wie seltsam, dass er in diesem Augenblick, nach einer jahrzehntelangen Ehe und mehr als einem Jahr Trennung, nicht Wehmut oder Bedauern verspürte – nicht einmal Ärger. Verlangen war es, was er empfand, ein so direktes und wildes Verlangen, wie er es zuletzt gefühlt hatte, als sie Mitte Zwanzig gewesen waren. Ein primitives Verlangen, seine Exfrau auf die Couch zu werfen und sie leidenschaftlich zu lieben.

Wie immer, wenn Jeffrey die richtigen Worte fehlten, flüchtete er sich in praktische und unverbindliche Äußerungen.

„Nick hätte dich nicht mit solchen Millionenwerten den Atlantik überqueren lassen sollen“, sagte er. „Das ist kein Job für …“ Er hatte „eine Frau“, sagen wollen, konnte sich aber gerade noch rechtzeitig abfangen. Megan, Kate und Lianne hatten mit gemeinsamen Anstrengungen immerhin erreicht, dass er seine Vorurteile zumindest nicht mehr aussprach. „Das ist ein Job für jemanden, der eine entsprechende fachliche Ausbildung hat“, fuhr er fort. „Ich hoffe, du hattest am Zoll keine Probleme?“

„Nein, es gab keine. Nick kümmerte sich um alle erforderlichen Papiere, schleuste mich durch den Zoll und fuhr mich heute Abend hierher. Aber ich wollte die Freude haben, dir die wiedergefundenen DeWilde-Juwelen persönlich zu überbringen.“

Er wunderte sich, warum es ihr so wichtig war, wagte aber nicht zu fragen. Seit dem schicksalsträchtigen Tag vor neunzehn Monaten, als Grace bekannte, dass sie ihn geheiratet hatte, ohne ihn zu lieben, war Jeffrey bewusst, wie gefährlich es war, persönliche Fragen zu stellen, außer man wusste hundertprozentig die Antwort darauf. Dennoch hob es seine Stimmung, dass es Grace wichtig war zu wissen, wie er dachte. Das ganze letzte Jahr über hatte sie ständig darauf beharrt, Raum für sich zu haben, was bedeutete, so weit wie möglich von ihrem Exmann entfernt zu sein.

Jeffrey schaffte es, mit falscher Herzlichkeit zu lächeln. „Also, jetzt sollte ich wohl besser den Koffer öffnen und einen Blick auf die Juwelen werfen … um mich zu überzeugen, dass sie die Reise gut überstanden haben.“

Grace hob ihre Hand, und nun sah er, dass der Koffer mit einer schmalen Stahlkette und einer Handschelle an ihrem Gelenk befestigt war. Die Handschelle war mit Samt ummantelt und sah aus wie eins der Spielzeuge aus einem Sexshop in San Francisco. Diese Assoziation minderte sein schwelendes Verlangen nicht gerade.

„Hier ist der Schlüssel zu der Handschelle“, sagte Grace, griff in den Ausschnitt ihres marineblauen Leinenkostüms und holte eine zierliche Goldkette hervor. Sie zog sich die Kette über den Kopf und reichte Jeffrey den kleinen Schlüssel, der daran hing. „Hiermit kannst du die Handschelle und das Vorhängeschloss öffnen. Nick sagte mir, du wüsstest bereits die Nummern des Kombinationsschlosses.“

„Ja, das stimmt.“ Jeffrey nahm den Schlüssel, der noch immer die Wärme ihrer Brüste abstrahlte. „Könntest du … deine Hand ausstrecken? Damit ich die Handschelle aufschließen kann?“

„Sicher.“ Sie hielt ihm die Hand entgegen, die Innenfläche nach oben gedreht, und er schloss auf. Das Armband fiel auf den Schreibtisch, und das laute Aufschlagen auf dem Holz hallte in der angespannten Ruhe des Büros wider.

Jeffrey fuhr sich mit den Fingern zwischen Hals und Kragen, zerrte an seiner Krawatte, weil ihm plötzlich der Atem knapp wurde. Grace massierte sich die Innenseite des Handgelenks, und er wandte sich abrupt ab, gab die Zahlenkombination ein, die den Koffer öffnen würde. Aber zwischen seinen Fingern und seinem Gehirn mussten irgendwelche Fehlverbindungen bestehen, denn er benötigte vier Versuche, ehe endlich die Schlösser aufsprangen. Vorsichtig öffnete er nun den Kofferdeckel, und einen Augenblick lang vergaß er Graces Nähe, als er die vier exquisiten Schmuckstücke in den Spezialfächern liegen sah.

Grace beugte sich vor. „Gott sei Dank scheinen sie sich während der Reise nicht bewegt zu haben“, sagte sie. „Einige der Fassungen sind so empfindlich, dass ich Angst hatte, sie könnten beschädigt werden.“

„Nein, sie waren sehr gut geschützt. Wer auch immer den Transport vorbereitet hat, hat gute Arbeit geleistet.“

„Nick und ich haben es zusammen getan.“

Jeffrey nahm ein Paar Ohrringe heraus und hielt sie gegen das Licht. Sie waren besetzt mit unschätzbar kostbaren burmesischen Rubinen und Diamanten und fast zu schwer für zierliche Frauenohren. Die Brosche bestand aus einer Mischung von Rubinen, Diamanten und Smaragden auf einem ungewöhnlichen Untergrund aus schlichtem schwarzen Onyx. Noch atemberaubender war das Dancing Waters – Kollier, eine Kaskade von Diamanten, mit Saphiren versetzt, das aussah wie das klare blaue Wasser eines rauschenden Bergbachs. Und dann gab es noch die Tiara, die einst die Zarin Katharina die Große von Russland geschmückt hatte – ein exquisiter Kranz von Diamanten, Rubinen und Smaragden.

Jeffrey nahm das schimmernde Halsband und drehte es langsam, sodass die Diamanten das Licht in ihrem Facettenschliff einfingen und in allen Farben des Regenbogens funkelnd wiedergaben.

„Ist es nicht wunderschön!“, rief Grace spontan.

Aus einem Impuls heraus legte Jeffrey es ihr um ihren schlanken Hals. „Juwelen sehen immer besser aus, wenn sie getragen werden“, sagte er.

Sie lachte sanft und atemlos, als sie sich herabbeugte, um sich in dem schmalen Spiegel hinter der Bar zu betrachten. „Das stimmt, aber blaues Leinen wird diesem Kollier nicht gerecht. Solche spektakulären Schmuckstücke brauchen zumindest schimmernden Satin und kostbare Spitze.“

„Nein“, sagte Jeffrey rau. „Sie brauchen einzig nur die nackten Schultern einer schönen Frau, wie du es bist.“

Ihre Blicke verfingen sich für einen Moment. „Manchmal machst du die erstaunlichsten Komplimente, Jeffrey.“

Er lächelte trocken. „Nein, das war es nicht. Ich habe nur die Wahrheit ausgesprochen …“

„Vielleicht sollten wir deine Theorie testen“, sage sie und griff nach der Reihe winziger Knöpfe an ihrer Kostümjacke. „Ich sagte, Satin und Spitze, du sagst nackte Haut. Lass uns sehen, wer recht behält.“

Sie würde ihre Jacke ausziehen. Jeffrey merkte, dass er den Atem angehalten hatte. Sie war seine Frau … seine Exfrau … und ihr Körper war ihm bis in die kleinste Einzelheit vertraut. Unzählige Male hatte er sie nackt in den Armen gehalten.

Aber diese schlichte Tatsache schien sich nicht auf seinen beschleunigten Puls und das rasende Herz auszuwirken. Weil er Angst hatte, nur noch zu stammeln, wenn er etwas sagte, sah er einfach zu, wie sie einen der Knöpfe nach dem anderen öffnete. Langsam streifte sie die Jacke ab und ließ sie auf den Schreibtisch fallen. Unter der Jacke trug sie ein fast durchsichtiges Etwas. Ein Kamisol, dachte Jeffrey benommen.

Grace drehte sich langsam unter der Deckenlampe, sodass sich das Licht in den Steinen auf ihrer cremeweißen Haut brach und funkelte. Sie lächelte ihn an. „Nun, wer hat recht?“

Nur unter Mühen konnte sich Jeffrey erinnern, worüber sie geredet hatten. „Ich“, sagte er dann, erleichtert, dass er das Sprechen doch nicht ganz vergessen hatte. „Satin und Spitze wäre bei solch perfekten Schultern zu viel gewesen.“

Sie lachte und errötete ein wenig. „Danke. Mit der Spitze will ich dir recht geben, aber bei einem mitternachtsblauen Satin bin ich mir sicher. Ein tief ausgeschnittenes Kleid, absolut schlicht, mit einem langen, geraden Rock, an der einen Seite bis zum Oberschenkel geschlitzt.“

Er konnte sich nicht nur das Kleid vorstellen, sondern ebenso, wie Grace darin aussehen würde. Verlangen überfiel ihn so heftig, dass es fast schmerzte. Zur Hölle mit so kleinen Problemen wie die Tatsache, dass sie geschieden waren und er eigentlich ein Leben ohne sie aufbauen sollte. Mit einem einzigen langen Schritt war er bei ihr und riss sie in die Arme.

„Grace, ich habe dich so sehr vermisst. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, dass wir zusammen waren.“

„Wir waren erst vor wenigen Wochen zusammen“, sagte sie dumpf an seiner Brust. „In San Francisco, bei Kates Hochzeit.“

Er schüttelte den Kopf. „Wir waren nicht zusammen. Wir waren nur zur selben Zeit am selben Ort. Das ist etwas anderes.“

Sie antwortete nicht, blieb aber in seinen Armen.

„Gracie …“, murmelte er und gab es dann auf, die richtigen Worte zu finden, um den Aufruhr seiner Gefühle angemessen zu beschreiben. Er senkte den Kopf und küsste sie leidenschaftlich, all seine aufgestauten Frustrationen der letzten Wochen und Monate liefen zusammen in der Erkenntnis, wie froh er war, sie wieder hier zu sehen. In seinen Armen, wo sie hingehörte.

Ihr Kuss war warm und vertraut, und doch zugleich frisch und aufregend. Sie war weich und anschmiegsam in seinen Armen, ihre Wärme floss in seine Adern, gab ihm Auftrieb und Kraft.

Für ein paar wundervolle Momente erwiderte sie seinen Kuss mit einer solchen Leidenschaft, dass ihm der Kopf schwirrte, aber dann griff sie nach ihrer Jacke.

„Jeffrey“, murmelte sie. „Dreh dich um. Es stehen zwei Männer an der Tür. Sie haben Waffen.“

Waffen? Er fuhr herum, stellte sich vor Grace, um sie zu beschützen. „Es befindet sich Wachpersonal im Haus, dazu Überwachungskameras“, sagte er mit kalter Stimme. „Sie haben nicht die geringste Chance, mit den Juwelen hier herauszukommen, geschweige denn, der Polizei zu entkommen.“

Die beiden Männer wechselten Blicke, und einer von ihnen trat einen Schritt vor, seine Waffe immer noch beunruhigend auf Jeffreys Mitte gerichtet. „Wir sind keine Einbrecher. Es scheint hier ein Missverständnis vorzuliegen. Ich bin Ron Bradley, vom Securicorps Quick Response Team. Dies ist mein Partner Alan Hicks. Identifizieren Sie sich bitte.“

Jeffrey funkelte die beiden Männer an. Was fiel ihnen eigentlich ein, so einfach in sein Büro zu platzen? Er hatte sie nie gesehen und kannte auch ihre Namen nicht, aber sie trugen die Securicorps-Uniformen – und dann erinnerte er sich. Guter Gott, der stumme Alarm! Graces unerwartetes Auftauchen hatte ihn so durcheinandergebracht, dass er es völlig vergessen hatte! Wie um alles in der Welt hatte er etwas so Wichtiges vergessen können?

„Ich bin Jeffrey DeWilde“, sagte er und versuchte nicht so idiotisch zu klingen, wie er sich fühlte. Hinter sich hörte er Grace hastig an ihren Knöpfen nesteln und ihr unterdrücktes Lachen. Plötzlich sah er selbst das Komische an der Situation. Er unterdrückte ein Grinsen und überlegte, wann er das letzte Mal beim Knutschen ertappt worden war. Er wandte sich wieder den Wachmännern zu und achtete darauf, dass sein Körper Grace immer noch verdeckte. „Wenn Sie meinen Ausweis sehen wollen, dann muss ich meine Brieftasche herausholen, die sich in der Innenseite meines Jacketts befindet.“

„Sie behaupten, Mr. DeWilde zu sein?“ Der Mann sah ihn verwirrt an. „Greifen Sie bitte ganz langsam in Ihr Jackett, Sir, und halten Sie dann Ihre Brieftasche auf Armeslänge von sich.“

Jeffrey tat wie befohlen. „Wie Sie sehen können, bin ich tatsächlich Jeffrey DeWilde“, sagte er. „Ich hatte hier auf die Auslieferung einer wertvollen Sendung gewartet und Grund anzunehmen, dass es Schwierigkeiten gab. Wie auch immer, kurz nachdem ich den stummen Alarm ausgelöst hatte, erkannte ich, dass es ein Irrtum gewesen war. Es gab kein Problem.“

„Aber Sie haben den Alarm nicht deaktiviert? Oder in der Firma angerufen?“

„Nein.“ Jeffrey entschied sich, dem Mann keine plausible Erklärung zu geben, warum er es nicht getan hatte.

Der Mann besah sich rasch den Inhalt von Jeffreys Brieftasche. „Alles scheint in Ordnung zu sein. Aber um zu bestätigen, dass es kein Fehler in unserem Sicherheitssystem war, würden Sie bitte durch die Eingabe der Codenummer den Alarm deaktivieren? Niemand außer Mr. DeWilde kennt diese Nummer.“

Jeffrey tippte die sechsstellige Nummer, der Mann schaute auf einen kleinen handyähnlichen Apparat. Das blinkende rote Licht darauf erlosch und wechselte zu Grün. „Danke, Sir. Das ist der korrekte Code. Der Alarm ist nun deaktiviert.“

„Dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten“, sagte Jeffrey. „Bitte geben Sie Ihren Kollegen unten in der Halle noch Bescheid. Sagen Sie Ihnen, dass meine Frau und ich in ungefähr zwanzig Minuten ebenfalls gehen werden.“

Der Wachmann sah ihn mit neuerwachtem Misstrauen an. „Ihre Frau?“, wollte er wissen.

„Er meint mich, nehme ich an.“ Grace trat vor und lächelte die beiden Männer warm an. „Wir waren so lange miteinander verheiratet, dass wir manchmal vergessen, dass wir jetzt geschieden sind.“

Jeffrey war wütend auf sich, dass er den Fehler begangen hatte, Grace seine Frau zu nennen, und noch wütender, mit welcher Leichtigkeit sie seinen Fehler vertuschte. Die Wachmänner schien ihre Freundlichkeit zu beruhigen. Grace erklärte ihnen, dass sie gerade aus San Francisco zu einem kurzen Besuch in London angekommen wäre, und einer der beiden Männer begann sofort mit einer detaillierten Schilderung seiner vorjährigen Urlaubsreise.

Typisch, dachte Jeffrey verärgert. Ich muss den Wachleuten meine Brieftasche aushändigen, damit sie mir glauben, dass ich derjenige bin, der ich behaupte zu sein. Bei Grace reicht ein einziges Lächeln, und sie sind sofort ihre Freunde.

„Sie können Ihrem Vorgesetzten berichten, dass ich enttäuscht bin, dass es fünfzehn Minuten dauerte, ehe Securicorps auf mein Alarmsignal reagierte“, sagte er knapp. „Ich gehe davon aus, Securicorps wird in dieser Hinsicht etwas verbessern. Wenn dies tatsächlich ein Überfall gewesen wäre, würden die Verbrecher längst über alle Berge sein.“

„Ja, Sir.“ Die Männer lächelten nicht mehr und setzten wieder ein dienstliches Gesicht auf. „Wir hatten Probleme wegen des dichten Verkehrs, Sir.“

„Wir unterhalten uns am Montag darüber“, sagte Jeffrey und bedauerte es bereits, die Männer angefahren zu haben, weil er auf Grace sauer war. Nein, berichtigte er sich dann. Ich war auf mich selbst sauer. Er wartete, bis die Männer gegangen waren, dann wandte er sich an Grace.

„Ich entnehme deiner Unterhaltung, dass du vorhast, zumindest ein paar Tage in London zu verbringen, oder?“, fragte er und wand sich innerlich, wie steif alles herauskam und wie kühl es klang.

Früher hätte Grace gelächelt, die Augen verdreht und seine Frage beantwortet, als hätte er sie nicht wie ein überheblicher Idiot gestellt. Aber weil sie sich ihrer neuen Beziehung unsicher war, zauderte sie einen Moment lang, dann erwiderte sie in sorgfältig neutralem Ton: „Ich habe vor, ein paar Tage in England zu bleiben und anschließend nach Paris zu fliegen, um Megan und Phillippe zu besuchen.“

„Würdest du …“ Er räusperte sich. „Ich meine, hättest du heute vielleicht Zeit, mit mir zu Abend zu essen?“

Grace schien nicht in der Stimmung zu sein, es ihm leichter zu machen. „Warum willst du mit mir zu Abend essen, Jeffrey?“

Verdammt, er wusste es selbst nicht einmal! Hatte er die Scheidung nicht so haben wollen, dass keine Dinge mehr offenblieben, nichts mehr zu bereden war, es keine Probleme mehr zwischen ihnen gab? Kein Grund, sich Schmerz zuzufügen, indem er ihr am Tisch gegenübersaß, ihre Liebe mit jeder Sekunde schwinden sah, Herzschlag um Herzschlag. „Wir waren über dreißig Jahre Mann und Frau“, sagte er steif. „Wir haben gemeinsam drei Kinder, alle haben im letzten Jahr geheiratet. Sicherlich werden wir doch einen gemeinsamen Gesprächsstoff finden?“

„Sicher finden wir etwas“, stimmte ihm Grace sanft zu. „Aber warum sollten wir es tun? Wie sind nicht länger miteinander verheiratet, und unseren Kindern scheint es prächtig zu gehen.“

Sie hatte recht. Es gab keinen Grund, sich über drei erwachsene, glücklich verheiratete Kinder zu unterhalten. Hilflos hob Jeffrey beide Hände. Wenn alles nichts hilft, sagte er sich, dann versuch es mit der Wahrheit.

„Ich weiß nicht, warum ich mit dir zu Abend essen möchte, Gracie, aber ich möchte es. Sogar sehr.“

Eine Weile sagte sie nichts. Dann griff sie an den Nacken, öffnete den Verschluss des Kolliers und reichte es ihm. „Wenn dir eingefallen ist, warum du meine Gesellschaft möchtest, dann ruf mich an, Jeffrey. Ich bin in dem neuen Hotel in Knightsbridge abgestiegen, dem Goreham. Gute Nacht.“

Sie verließ den Raum so schnell, dass er keine Zeit hatte, etwas darauf zu erwidern. Jeffrey blieb allein in seinem Büro zurück, als Gesellschaft nur Schmuck im Wert von mehreren Millionen Pfund und den Duft von Graces Parfüm.

2. KAPITEL

Innerhalb des letzten Jahres hatte Julia Dutton entdeckt, dass es eine ziemlich gute Methode war, ihr gebrochenes Herz vor anderen zu verbergen, indem sie bis zur Erschöpfung arbeitete. Leider bekam dies aber ihrem Aussehen nicht sonderlich. Sie richtete die Lampe über ihrem Badezimmerspiegel aus und besah sich mit gerunzelter Stirn. Kein hübscher Anblick, dachte sie düster. Sie sah aus, als wäre sie einem Gespensterfilm entsprungen: tiefliegende, glanzlose Augen, dürre Arme und leichenblasse Haut.

So wie sie aussah, konnte sie Lianne und Gabe auf keinen Fall gegenübertreten. Besonders ihnen gegenüber musste sie die Illusion von Miss Vitalität aufrechterhalten. Ihr fehlte im Augenblick eine gütige Fee, die bereit war, ihren Zauberstab zu schwingen und ihr auf der Stelle ein tolles Aussehen zu verschaffen.

Da die gütigen Feen durch Abwesenheit glänzten, durchstöberte Julia ihr Badezimmer und fand eine schon ein Jahr alte Packung einer verjüngenden Gesichtsmaske. Nicht gerade der erwünschte Zauber, aber ihrem Leben fehlte er sowieso schon seit ein paar Monaten.

Sie drückte den Tubeninhalt auf ihre Handflächen und verteilte die schlammige, körnige Masse gleichmäßig auf ihrem Gesicht, von der die Packung versprach, dass sie der Haut eine leuchtende Schönheit verleihen würde. Zehn Minuten erschien Julia eine ziemlich kurze Zeit, um einen solchen Zustand zu erreichen, aber sie war bereit, es zu glauben. Während sie wartete, steckte sie ihren Lockenstab in die Steckdose und überlegte ihre Frisurmöglichkeiten. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das letzte Mal die Notwendigkeit bestanden hatte, sich richtig schick zu machen.

Sie nahm die Spange aus ihrem Haar, mit der sie es während des Badens oben auf dem Kopf festgehalten hatte, und schüttelte es locker. Mochte alles andere an ihr auch nicht sonderlich aufregend sein, ihre Haare aber machten immerhin einiges wett. Lang und voll, strotzte es vor Gesundheit und besaß einen Schimmer wie poliertes Rosenholz, auch wenn der Rest von ihr immer schlapp und völlig ausgelaugt war.

Aber zu ihrer Überraschung stellte sie auf einmal fest, dass dem heute Abend nicht so war, trotz einer anstrengenden Woche, in der sie einen Intensivkurs in Französisch gegeben hatte, und langen Abenden, an denen sie für den dritten Geburtstag ihrer Nichte einen Quilt nach einer Fotografie aus den zwanziger Jahren genäht hatte. Plötzlich von seltsamem Optimismus erfüllt, machte sie sich noch ein paar Extralocken.

Skeptisch betrachtete sie das Resultat und hoffte, sie machte sich nicht nur vor, dass sie ein wenig verrucht aussah. Denn so auszusehen, war heute ihr erklärtes Ziel. Seit fast vier Monaten würde sie Gabe heute Abend zum ersten Mal wiedersehen, und sie wollte wirken wie eine Frau, die das Leben in vollen Zügen genoss. Ein interessantes Leben, voller aufregender Erlebnisse und ebenso aufregender, sexy Männer. Sie hatte die Nase voll von seinem stummen Mitleid für sie. Es würde ihr für mehrere Leben reichen!

Allein schon der Gedanke an Gabriel DeWilde färbte ihre Wangen unter der Tonmaske rot, und schnell vertrieb sie die Erinnerungen, die leider viel zu lebendig und viel zu schmerzhaft waren. Gabe und Lianne waren glücklich miteinander verheiratet und erwarteten im nächsten Monat ihr erstes Kind, und es war an der Zeit, dass sie, Julia, endlich ihre dummen Gefühle für Gabe in den Griff bekam.

Sie zog den Lockenstab aus der Steckdose und fragte sich dabei, warum die Menschen in der viktorianischen Zeit unerfüllte Liebe als etwas so Romantisches angesehen hatten. Sie persönlich fand eine Frau lächerlich, deren Liebesleben so mitleiderregend war, dass sie die Gefühle für einen Mann nicht aus sich vertreiben konnte, der ihr vor mehr als einem Jahr den Laufpass gegeben hatte.

Von der Liebe des Lebens wegen einer anderen Frau sitzengelassen zu werden, empfand Julia nicht gerade als Bereicherung. Und sitzengelassen zu werden wegen der besten Freundin wünschte sie nicht einmal ihrer ärgsten Feindin. Es war ein Beweis für ihre enge Beziehung in der Vergangenheit, dass sie und Lianne immer noch gute Freundinnen waren, trotz Gabe. Sie sahen sich, wann immer ihre engen Termine es zuließen, und telefonierten mindestens einmal die Woche miteinander. Um ihre Freundschaft nicht zu gefährden, hatten sie ein System entwickelt. Trafen sie sich, wurde ab und an eine nebensächliche Bemerkung über Gabe gemacht, und sie taten beide so, als wäre dies kein delikates Thema, sondern etwas ganz Alltägliches.

Während der letzten Wochen allerdings hatte Julia sich nicht zu verstellen brauchen, da sie Lianne kaum einmal und Gabe überhaupt nicht gesehen hatte. Da Liannes und Gabes Baby Ende August auf die Welt kommen würde, hatten die beiden fast jedes Wochenende auf dem Land verbracht, um die Arbeiten an ihrem Cottage aus dem achtzehnten Jahrhundert voranzutreiben, das sie bald nach ihrer Hochzeit gekauft hatten. Es hatte vorher zwei alten Schwestern gehört und musste völlig renoviert werden.

Als Lianne mit ihr eine Führung durch das wunderschöne, stilvolle Haus gemacht hatte, hatte es sie in den Fingern gejuckt, sich an der Innengestaltung zu versuchen. Inneneinrichtung hatte sie schon immer fasziniert, selbst als Kind schon, auch wenn ihr schnell klargeworden war, dass die Konkurrenz auf diesem Gebiet immens war. Ihre Eltern hatten sie in ihren Zweifeln noch bestärkt, dass sie sich damit ihren Lebensunterhalt nicht verdienen könnte.

Nach dem Debakel mit Gabe hatte sie ihre leeren Wochenenden damit verbracht, die der Öffentlichkeit offenstehenden schönen alten Häuser des National Trust zu besichtigen, ihre Kenntnisse antiker Möbel zu vertiefen und eine Expertin für Stoffe englischer Landhäuser der letzten drei Jahrhunderte zu werden. Ihre Ausflüge hatten begonnen, damit sie nicht zu Haus herumsaß und vor sich hinbrütete, aber irgendwann entwickelte sie eine echte Begeisterung für antike Möbel, ihren Erhalt und Restaurierungsmethoden.

Während der Renovierung des Cottages hatte Lianne Julia ständig um Rat gefragt, da sie und Gabe einen möglichen Kompromiss zwischen Komfort und einem authentischen Aussehen des Hauses erzielen wollten. Letzte Woche dann hatte Lianne Julia angerufen und erzählt, die Handwerker wären fertig.

„Sie sind endlich fort!“, jubelte sie. „Ich kann es kaum fassen! Nun haben wir ein Haus, in dem jeder Raum feste, solide Wände und eine trockene Decke hat.“

Julia lachte. „Das ist nicht nur wundervoll, sondern geradezu erstaunlich! Aber wie viele der Wände haben denn bereits einen Anstrich?“

„Alle. Jede einzelne. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie toll das Haus aussieht, Julia. Und diese wundervolle Ruhe. Man kann sie förmlich hören. Über all dem Lärm und bei dem ständigen Radiogedudele der Handwerker habe ich beinahe vergessen, wie es ist.“

„Sicher bist du halb verrückt vor Freude, endlich das Haus für euch zu haben. Sind die Gardinen schon geliefert worden? Ich sterbe vor Neugier, sie aufgehängt zu sehen.“

„Ja, sie sind da und sehen wundervoll aus. Du hattest absolut recht mit dem roten Chintz, das Moosgrün wäre wirklich schrecklich gewesen. Und das Wedgwood-Blau der Wandpaneele im Esszimmer ist ein perfekter Kontrast zu dem elfenbeinfarbenen Stuck. Ich weiß auch nicht, was in der letzten Zeit mit meinem Farbverständnis los ist. Es muss mit meinen pränatalen Hormonveränderungen zusammenhängen. Gott sei Dank tragen die meisten Bräute immer noch Weiß, sonst hätte mich DeWilde’s schon vor Monaten vor die Tür gesetzt!“

Julia lächelte. „Das bezweifle ich ernsthaft. Es würde ihnen wohl schwerfallen, die Frau zu feuern, die in diesem Jahr vom Brides Magazine zur Designerin des Jahres gekürt wurde!“

„Woher weißt du das denn?“, fragte Lianne und klang verlegen. „Hat Gabe es dir erzählt? Ehrlich, er war unmöglich, als die Redaktion uns die Neuigkeit mitteilte. Ich konnte ihn kaum davon abbringen, auf dem Trafalgar Square eine Reklametafel aufzustellen.“

Julia behielt ihren lockeren Ton bei. „Nein, ich habe in der letzten Zeit nicht mit Gabe gesprochen. Megan hat es mir erzählt. Als ich Ende letzten Monats in Paris war, haben wir zusammen gegessen.“

„Du warst in Paris? Davon hast du gar nichts erzählt.“ Lianne lachte. „Ich hoffe, du hast irgendetwas Skandalöses getan.“

„Leider nichts entfernt Skandalöses.“ Julia unterdrückte ein Seufzen. „Ich habe eine Gruppe von Schülern bei einer Tour zu den touristischen Glanzpunkten der Stadt begleitet. Das, was einem Skandal am nächsten kam, war, dass ich zwei der Mädchen früh am Morgen mit Alkohol an der Hotelbar ertappte.“

„Das ist nicht skandalös, sondern einfach nur ärgerlich, Julia. Verdammt, ich hatte gehofft, du hättest einen tollen Mann kennengelernt, der dich zu einem Wochenende mit heißem Sex nach Paris gelockt hätte.“

„Ich halte mich nicht für eine Frau, die tolle Männer dazu verführt, sie zu heißem Sex am Wochenende nach Paris zu locken“, erwiderte Julia und wünschte im selben Moment, sie hätte sich nicht so selbstmitleidig angehört.

„Du bist eine der schönsten Frauen, die ich kenne“, sagte Lianne. „Und du hast einen großartigen Körper. Herrliche Beine. Du kannst jeden Mann haben, den du willst.“

Nicht Gabe. Und einen anderen wollte sie nicht. „Danke für das Kompliment“, sagte Julia. „Aber hübsch ist nicht dasselbe wie sexy.“

„Ich denke, wie sexy eine Frau ist, hängt in erster Linie davon ab, was sie selbst von sich hält. Deine Familie hat dich zu dem Glauben gebracht, du wärst ein Hausmütterchentyp, und deswegen siehst du die Wahrheit nicht. Meiner Meinung nach bist du eine Stange Dynamit, die nur darauf wartet, von einem glücklichen Mann gezündet zu werden.“

Julia lachte, wenn auch ein wenig wehmütig. „Das Pulver muss feucht oder die Lunte unterbrochen sein. Du bist eine wundervolle Freundin, Lianne, aber die Aufrichtigkeit zwingt mich zuzugeben, dass ich in meinem ganzen Leben keinen einzigen Mann zu leidenschaftlichen Gedanken an sündige Wochenenden in Paris inspiriert habe.“

„Woher weißt du denn, was die Männer um dich herum von dir denken?“, fragte Lianne. „Bist du etwa Hellseherin?“

„Ich glaube nicht, dass eine Frau übersinnliche Kräfte braucht, um zu wissen, wann ein Mann scharf auf ihren Körper ist“, erwiderte Julia mit einem Hauch von Ironie. „Sollte es nicht ein paar deutlichere Zeichen geben?“

„Du willst die Männer mit Lust erfüllen?“, fragte Lianne, und ihre Stimme nahm einen alarmierend nachdenklichen Unterton an. „Ich war bislang immer davon ausgegangen, dass dich Männer interessieren, die bereits gezähmt sind.“

„Sicher“, sagte Julia rasch. Und es stimmte natürlich auch. Sie wollte einen anständigen, ordentlichen und ehrenhaften Mann zum Heiraten finden, mit dem sie Kinder haben und ein friedliches, ruhiges Leben führen konnte. Manche Leute mochten das altmodisch und langweilig finden, aber so hatte sie es immer für sich geplant. Selbst wenn sie plötzlich so sexy wie Sharon Stone wäre – und nicht mehr in Gabe verliebt – hätte sie dennoch keine wilden Affären haben wollen.

Um Lianne von irgendwelchen verrückten Ideen abzuhalten, sagte sie rasch: „Wir sind seit langer Zeit Freundinnen, Lianne, und ich weiß genau, was es bedeutet, wenn du diesen nachdenklichen Ton anschlägst. Dann nämlich gehst du in Gedanken die Liste deiner unverheirateten männlichen Freunde durch und überlegst, mit welchem ich mich wohl in eine Nacht voller Sex und Sünden –“

„Nein, nein, Julia, bestimmt nicht.“ Lianne wechselte das Thema mit verräterischer Hast. „Ich habe dich eigentlich nur angerufen, um dich für dieses Wochenende zu uns ins Cottage einzuladen. Wir haben ein paar Freunde gebeten, mit uns zu feiern, dass wir nun nicht mehr mit Wannen und Eimern schlafen müssen, um den Regen aufzufangen, der durchs Dach tropft. Sag, dass du kommst. Am Montag muss ich wieder zurück in die Stadt, bis das Baby da ist, und wir möchten so gern unser Haus allen zeigen, bevor überall Windeln herumliegen und wir uns die Nächte um die Ohren schlagen müssen. Falls du noch ein Argument brauchst – das ganze Wochenende soll schönes Wetter sein, und im Augenblick ist es hier draußen herrlich.“

„Ich brauche überhaupt nicht überredet zu werden“, sagte Julia. „Ich komme wirklich gern. Mit dem Zug kann ich bis Winchester fahren, und wenn mich dann dort jemand abholen könnte –“

Autor

Jasmine Cresswell

Geboren in England, pendelt Jasmine Cresswell nun zwischen ihrem Winterdomizilen in Sarasota, Florida, und ihrem Sommersitz in Evergreen, Colorado. Sie schreibt seit 1975 und hat seitdem mehr als fünfzig Romane mit einer Gesamtauflage von neun Millionen Exemplaren veröffentlicht.

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