Endlich im Schloss des Glücks

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Sein Antrag reißt sie in einen Strudel der Gefühle: Prinzessin Regina liebt Sergio, seit sie denken kann, aber bisher hat der engagierte Tierarzt sie immer zurückgewiesen: Zu groß erschien ihm der Standesunterschied. Als er sie überraschend um ihre Hand bittet, sollte sie überglücklich sein. Doch Sergio will sie nicht aus Liebe zum Traualtar führen - ihre Hochzeit soll nur einen Skandal abwenden, der das Fürstentum erschüttern würde. Eine Zweckehe aus Loyalität zum Herrscher! Das ist es nicht, was sich Regina von einem Leben an Sergios Seite erträumt


  • Erscheinungstag 22.11.2009
  • Bandnummer 1819
  • ISBN / Artikelnummer 9783862951048
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Guido?“

Unwillig wandte der Gärtnermeister des Fürstenhauses von Castelmare sich um. Wer störte ihn denn jetzt schon wieder bei der Arbeit? Die jungen Bäumchen hinter dem Gewächshaus mussten dringend versorgt werden. Doch als er sah, wer nach ihm rief, verneigte er sich respektvoll.

Buona sera, principessa. Ich habe vom Tod Ihres Vaters gehört. Mein herzliches Beileid.“

Obwohl er sie ausgesprochen höflich behandelte, spürte Regina, dass der Gärtner etwas gegen sie hatte. Nein, das bildete sie sich nicht nur ein! Wieso sprach er sie sonst immer noch mit „Prinzessin“ an, wo sie ihn doch schon hundertmal gebeten hatte, sie einfach bei ihrem Vornamen zu nennen? Aber für ihn war dies anscheinend ein unerhörter Verstoß gegen die Hofetikette. Der alte Gärtnermeister wachte scharf darüber, dass auch seine drei Söhne sich zu keinerlei freundschaftlicher Intimität mit ihr hinreißen ließen.

„Danke“, murmelte sie seufzend und blickte zu Boden. Wie um alles in der Welt sollte sie jemals über den Verlust ihres geliebten Vaters hinwegkommen? Rodolfo Vittorio IV., Herrscher über das winzige, aber wunderschöne Fürstentum Castelmare, war einfach viel zu früh verstorben.

Wie schaffte ihre Mutter es nur, so außerordentlich gut die Fassung zu bewahren? Vielleicht empfand sie es als Trost, dass ihr Mann die lange, qualvolle Krebskrankheit endlich hinter sich hatte? Sicher half ihr auch das neugeborene Enkelchen über den größten Schmerz hinweg. Ihr Bruder Lucca, der neue Fürst von Castelmare, hatte seine Frau Alexandra und sein süßes Töchterchen Catarina. Jeder in ihrer Familie hatte irgendjemanden, der ihn tröstete. Und sie selbst brauchte jetzt den Mann, den sie seit ihren Kindertagen liebte. Ihren besten Freund und engsten Vertrauten.

„Wo ist Sergio?“, fragte sie angespannt. „Ist er noch im Schlosspark, Guido?“ „Leider nein, Prinzessin.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte der Gärtnermeister sich wieder seiner Arbeit zu.

Guidos gewohnt schroffe Art grenzte schon fast an Feindseligkeit. Stirnrunzelnd blickte Gina auf die Uhr. Kurz nach sechs. Eigentlich hatte sie gehofft, Sergio, den sie stets Gio nannte, nach seiner Arbeit in den Schlossgärten abzufangen, bevor er für die Nachtschicht in die Tierklinik der Universität fuhr. Dass sie ihn ausgerechnet heute verpassen musste!

„Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass ich ihn gern wegen der Neuanpflanzungen sprechen möchte? Er weiß, was ich meine.“

Langsam drehte der alte Gärtner sich wieder zu ihr um. „Das würde ich ja gern, Prinzessin“, begann er zögernd, „aber mein Sohn ist in Italien. Auf Sardinien, um genau zu sein.“

Sardinien?

Anscheinend fühlte Guido sich zu keiner weiteren Erklärung verpflichtet, denn er fuhr ungerührt mit seiner Arbeit fort.

Oh, Gott! Sie hatte so sehr darauf gezählt, dass Gio für sie da sein würde, dass sie mit ihm über alles reden könnte. Wie immer, seit sie ihn kannte, wenn sie vor Verzweiflung und Mutlosigkeit nicht mehr weiterwusste. So wie damals an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, als ihre Eltern von ihr verlangt hatten, dass sie sich mit Kronprinz Nicolas von Pedrosa verlobte. Jetzt fühlte sie sich irgendwie von Gio im Stich gelassen.

„W…wann ist er denn abgereist?“, fragte Gina, als sie ihre Stimme wieder halbwegs unter Kontrolle hatte.

„Heute früh, Prinzessin.“

Also noch vor der Beerdigung ihres Vaters! Während der Gärtnermeister außerordentlich zufrieden schien, spürte Gina, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. Wieso war Gio nicht zur Beisetzung gekommen? Wieso hatte er nur so plötzlich und vor allem völlig ohne Abschied das Land verlassen?

„Ich verstehe“, sagte sie tonlos und meinte das genaue Gegenteil. „Wann erwarten Sie ihn denn zurück?“ Auf keinen Fall sollte Guido merken, was für ein Gefühlschaos in ihr tobte. Ganz Castelmare trauerte um seinen verstorbenen Fürsten, ihr Verlobter Nicolas, der vor Kurzem in seinem Land den Thron bestiegen hatte, wollte die Hochzeit nicht länger aufschieben. Und auf Gioio konnte sie sich auch nicht mehr verlassen. Schlimmer konnte es wirklich nicht mehr werden!

„Ich erwarte ihn überhaupt nicht zurück, Prinzessin.“

Und ob es schlimmer werden konnte! „Ist … ist irgendjemand in der Familie krank geworden?“ Sie wusste, dass die Forneses ursprünglich aus Sardinien stammten. Auch Gioio war in Sassari, der Hauptstadt der gleichnamigen sardischen Provinz, zur Welt gekommen. Und Guidos Bruder lebte dort noch immer mit seiner Familie.

So oft wie möglich besuchte Gioio seine Verwandten auf der Insel. Doch zwischen dem Medizinstudium an der Universität von Castelmare und der Arbeit in den Schlossgärten blieb ihm meist nicht viel Zeit dafür.

Was nur gut war! Gina hasste es, wenn er verreisen musste. Selbst wenn es lediglich für ein oder zwei Tage war. Jede Sekunde ohne ihn schien ihr endlos.

„Nein, Prinzessin. Niemand ist krank. Sergio wird demnächst heiraten.“

Lüge! Nein, das konnte nicht wahr sein! Und wenn Guido zehnmal wünschte, dass sich sein ältester Sohn endlich dazu entschließen würde, eine Familie zu gründen – Wunschdenken allein schuf noch lange keine Tatsachen. Wenn das stimmte, hätte Gio doch längst mit ihr darüber gesprochen! Oder nicht?

„Kämpfe nur, wenn du sicher bist, dass du den Kampf gewinnen kannst“, hatte ihr Vater immer gesagt. Und auf einmal erschien es Gina klüger, einen strategischen Rückzug anzutreten. Jedenfalls für den Moment.

„Das wusste ich ja gar nicht“, sagte sie betont gleichgültig. „Danke für die Information, Guido.“

Prego, principessa.“ Damit machte der alte Mann kehrt und marschierte zu seinem Lieferwagen hinüber, um einen Sack Komposterde zu holen. Für ihn war das Gespräch ganz eindeutig beendet.

Wie lange sie schon wie in Trance durch den Schlosspark geirrt war, wusste sie nicht. Nur ein Gedanke beschäftigte sie: Gio wird heiraten! Erst als ihr ein wohlbekannter alter Jeep entgegenkam, wurde sie wieder lebendig. Heftig winkte sie mit beiden Armen und signalisierte Guidos zwei jüngeren Söhnen, anzuhalten.

Verwundert steckte Fonsi den Kopf aus dem Autofenster. „Prinzessin, ist alles in Ordnung?“

In Ordnung? Nichts ist in Ordnung! „Ich wollte gerade mit Sergio besprechen, welche Blumen ich auf dem Grab meines Vaters anpflanzen möchte, aber er war nicht da. Wie ich höre, ist er nach Sardinien geflogen?“

Fonsi nickte stumm.

„Euer Vater meinte, er würde bald heiraten.“ Jetzt mussten sie mit der Wahrheit herausrücken und zugeben, dass das nicht stimmte.

„Ja, Ende August“, erwiderte Pasquale aus dem Inneren des Wagens. „Außerdem hat er auf der Insel schon einen Job gefunden.“

Was? Wie konnte das möglich sein? Nicht ein Sterbenswort hatte Gio ihr davon gesagt! Außerdem lag seine Abschlussprüfung doch gerade mal ein paar Tage zurück. Und natürlich hatte sie immer geglaubt, dass er sich hier in Capriccio als Tierarzt niederlassen würde, um in der Nähe seiner Familie zu sein. Darauf hatte sie ganz fest gebaut. Ohne Gio konnte sie einfach nicht leben!

Und das musste sie auch nicht! Guido steckte hinter all dem. Er hatte seinen Söhnen eingeschärft, seine Lüge zu decken. Anders konnte es nicht sein!

„Papa wird sicher gern die Bepflanzung des fürstlichen Grabes übernehmen“, sagte Fonsi tröstend.

„Ja, natürlich“, erwiderte sie tonlos. „Euer Bruder meinte nur, er hätte bereits ein paar Ideen, deshalb wollte ich mich zuerst mit ihm beraten.“

„Wir alle sind sehr traurig über den Tod des Fürsten, Prinzessin. Und Papa hat ihn ganz besonders geschätzt. Es wird ihm eine Ehre sein, sich um sein Grab zu kümmern“, erklärte Pasquale eifrig.

Ein bisschen zu eifrig. Irrte sie sich, oder versuchten die beiden krampfhaft, das Gespräch von Gio abzulenken? Das konnte nur eins bedeuten: Guido hatte ihnen ganz genau eingetrichtert, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollten. Gott, wie musste der alte Gärtner sie hassen!

Fonsi und Pasquale waren beide längst verheiratet und selbst Väter, dennoch würden sie Guidos Autorität niemals infrage stellen. Was Signor Fornese festlegte, war seinen Söhnen Gesetz. Als er damals darauf bestanden hatte, dass sich ein Universitätsstudium für seine Jungen nicht lohnte, weil sie ja bereits einen tadellosen Job in der Schlossgärtnerei hatten, beugten sie sich bedingungslos seinem Urteil.

Ganz anders Gio. Zwar respektierte er seinen Vater nicht weniger, und er half ihm auch sooft er irgend konnte in der Gärtnerei, doch er hatte andere Pläne im Leben. Und er verfolgte sie mit bewundernswerter Zielstrebigkeit, obwohl er wusste, dass sie dem alten Mann missfielen. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern wollte er selbst entscheiden, was gut für ihn war.

Was auch immer ihn also dazu bewogen hatte, so plötzlich das Land zu verlassen, eines war sicher: Er selbst hatte die Entscheidung getroffen. Und genau das machte Gina Angst.

„Ende der Woche werde ich mit eurem Vater sprechen“, erwiderte sie schließlich. „Wenn er nicht so viel zu tun hat. Ich danke euch.“

Die Brüder nickten freundlich zum Abschied und fuhren langsam davon.

Aus dem Augenwinkel beobachte Regina den Wagen. Solange sie ihn noch sehen konnte, lief sie ganz normal weiter. Dann begann sie, wie gehetzt durch den Schlosspark zu rennen. Weinen konnte sie nicht. Dafür saß der Schmerz viel zu tief. Eilig lief sie zur Rückseite des Palastes, betrat das stilvolle Bauwerk aus dem achtzehnten Jahrhundert durch einen halb versteckten privaten Eingang und raste die Treppen zu ihren Zimmern hinauf. Sie lagen im zweiten Stock des Ostflügels und boten einen atemberaubenden Ausblick über das Mittelmeer. Im Wohnzimmer nahm sie ihr Handy und wählte die Nummer ihres Lieblingsbodyguards.

„Rico, ich suche mir nur schnell ein paar Dinge zusammen, dann fahre ich mit der Limousine nach Nizza. Meine Familie ahnt nichts von diesem Vorhaben“, raunte sie nervös und fügte in Gedanken hinzu: Deshalb kann ich ja auch nicht den Hubschrauber nehmen. Das würde viel zu viel Lärm machen und Luccas neugierige Fragen heraufbeschwören. „Wenn dir etwas an deinem Job liegt, solltest du diese Information für dich behalten.“

„Compreso, principessa.“

Nachdem sie das Gespräch beendet hatte hatte, rief sie den Piloten der fürstlichen Familie an.

„Ich muss noch heute nach Alghero auf Sardinien“, informierte sie ihn. „In fünfundvierzig Minuten bin ich am Flughafen in Nizza. Wann ich zurückfliege, weiß ich noch nicht.“ Aber dass sie bis nach Alghero gerade einmal eine Stunde brauchen würden, das wusste sie.

Nachdem sie ihre Privatsekretärin telefonisch gebeten hatte, am Flughafen auf Sardinien einen Mietwagen bereitstellen zu lassen, warf sie wahllos ein paar Kleidungsstücke in einen Koffer. Dann verließ sie das Schloss ebenso unauffällig, wie sie es betreten hatte.

Bis zum Bauernhof der Forneses, der am Rand der Stadt Sassari lag, waren es vom Flughafen aus gerade einmal 40 Kilometer. Schon immer hatte sie mit Gio dort hinfahren wollen. Nie war es ihr erlaubt worden. Jetzt würde sie einfach nicht mehr länger um Erlaubnis bitten …

Ich bin vielleicht einem anderen versprochen, aber ich brauche diese eine Nacht der Freiheit. Eine Nacht, um G zu lieben. Und niemand, absolut niemand wird mich aufhalten!

Sergio Romali Fornese lehnte an der Bar, die Ellbogen aufgestützt, ein Glas Whisky in der Hand. Unvernünftig oder nicht, heute würde er sich ein paar Drinks genehmigen. Nur so war der stechende Schmerz, der ihn fast um den Verstand brachte, einigermaßen erträglich. Dennoch erinnerte er sich dunkel daran, dass Prinzessin Gina sehr bald einen anderen heiraten würde. Nein, nüchtern könnte er diese Nacht auf keinen Fall überstehen! Also noch einen Drink zur Sicherheit.

Schließlich verließ er die zweihundert Jahre alte Taverne. Die Nachtluft war lau und angenehm, doch ihr fehlte der Duft der Myriaden von Blumen, die im Schlossgarten von Castelmare blühten. Nein! An Castelmare wollte er nun wirklich nicht erinnert werden. Mechanisch kletterte er in die Fahrerkabine des alten Kleinlasters, den er von seinem Onkel geliehen hatte, und fuhr langsam über die geisterhaft leeren Straßen zur Stadt hinaus. Zum Bauernhof seiner Familie, wo er aufgewachsen war.

Den Weg zum Haus seines Onkels fand er sogar im Schlaf, und nachts traf man hier keine Menschenseele. Während all seiner bisherigen Besuche auf Sardinien hatte er immer in dem kleinen Gästezimmer des malerischen, aus Naturstein gebauten Bauernhauses geschlafen. Aber dieses Mal kam er nicht nur zu Besuch …

Als er langsam in den Kiesweg, der zum Hintereingang des Hauses führte, einbog, hörte er plötzlich, wie jemand nach ihm rief.

„Gio?“

Nein, bitte nicht schon wieder dieser Traum! Nicht heute Nacht!

„Gio, caro …“

Diese Stimme! Niemand nannte ihn Gio, außer … „Lass mich bitte in Frieden, Gina“, murmelte er, brachte das Auto zum Stehen und stieg aus.

„Du weißt doch selbst, dass du das nicht ernst meinst!“

Plötzlich spürte er, wie sie ihre weichen Arme um seine Taille schlang. Ihr zarter femininer Körper schien mit seinem harten maskulinen in der Dunkelheit zu verschmelzen. Und als sie ihn mit ihren sinnlichen Lippen zu küssen begann, konnte er ihr einfach nicht mehr widerstehen.

Dio mio! Du hast recht!“, stieß er heftig hervor. „Ich will dich so sehr!“

„Ich werde dich nicht aufhalten, tesoro.“

Ihre samtige Haut, ihr seidenweiches schwarzes Haar, ihr verführerischer Duft, der ein wenig an Orangenblüten erinnerte … Überwältigt zog er sie mit sich ins Gras und presste seine Lippen leidenschaftlich auf ihre, so wie er es schon so oft in seinen Träumen getan hatte.

Aber dieser Traum war irgendwie anders.

Anstatt sich wie sonst urplötzlich in Luft aufzulösen, blieb sie ganz nah bei ihm und küsste ihn ebenso begierig zurück. Nach all den Jahren der unerfüllten Sehnsucht wurde sein Traum endlich wahr. Wenn er doch nur nie zu Ende ginge!

„Bleib bei mir, meine geliebte Giannina“, flüsterte er eindringlich.

„Ich liebe dich, Gio. Und ich werde dich immer lieben. Nichts könnte daran etwas ändern!“

„Verlass mich nicht wieder, amore!“

„Nein, niemals. Versprochen!“

„Ich möchte dich so nah bei mir spüren, bis ich aufwache.“

„Lass uns doch einfach gar nicht erst einschlafen. Ich will bei dir sein. Für alle Ewigkeit“, wisperte sie glücklich.

„Für alle Ewigkeit?“, wiederholte er mit rauer Stimme. „Das ist nicht lang genug! Wenn du wüsstest, wie viele endlose Jahre ich auf dich gewartet habe!“

Stürmisch presste er seine Lippen auf ihre, fuhr mit den Fingern durch ihre weichen Locken – und trotzdem erwachte er nicht. Was für ein Traum!

„Hey, Sergio!“ Eine laute Männerstimme draußen vor seiner Tür riss ihn unsanft aus dem Schlaf. „Ich möchte endlich mit dir sprechen. Hast du eine Vorstellung, wie spät es ist? Ich glaube langsam, du willst heute gar nicht mehr aufstehen.“

Stöhnend griff Gio sich an die Stirn. Anstatt ihm beim Vergessen zu helfen, hatte der Alkohol ihm einen täuschend realistischen Traum beschert. Aber jetzt war es wohl Zeit einzusehen, dass selbst der schönste Traum einmal enden musste.

Seufzend richtete er sich auf. Doch gerade als er die Beine über die Bettkante schwingen wollte, bemerkte er, dass er nicht allein im Bett lag. Verwirrt betrachtete er die dunkle Lockenflut, die ihm erschreckend bekannt vorkam, auch wenn er das Gesicht der friedlich schlummernden jungen Frau nicht sehen konnte.

Verdutzt folgte sein Blick dem Pfad verstreuter Kleidungsstücke, der von der Tür bis zum Bett führte. Jacke, Schuhe, Hose – seine und ihre! Zwar hatte die Frau, die er gestern Abend in der Bar getroffen haben musste, die Decke bis an den Hals hochgezogen, dennoch konnte er sehen, dass sie wenigstens noch ein blassgelbes Spaghettiträger-Top trug. Vorsichtig, beinahe zögerlich drehte er sie auf den Rücken.

Madre de Dio! Giannina!

Vor Überraschung blieb ihm fast die Luft weg.

Langsam öffnete sie die Lider und blickte ihn mit ihren großen braunen Augen verschlafen an.

„Gio“, wisperte sie und streckte sich. Dann schlang sie ihm wie selbstverständlich die Arme um den Nacken, zog ihn an sich und küsste ihn sanft auf die Lippen.

Und da war er wieder, sein Traum, aus dem er am liebsten niemals mehr aufwachen wollte.

Doch ein lautes Klopfen an der Tür zwang ihn, zu sich zu kommen. „Sergio! Ich mache mir langsam Sorgen um dich. Ich zähle jetzt bis drei, und wenn du dann nicht auf bist, komme ich rein!“

Diavolo! Das hatte gerade noch gefehlt!

Hastig drückte er Gina in die Kissen zurück. Kaum hatte er die Decke über sie gezogen, flog die Tür auf, und sein Onkel kam hereinmarschiert.

„Dein Vater hat schon zwei Mal angerufen. Er hat dir eine Nach…“

Plötzlich hielt der ältere Mann inne, betrachtete das Chaos auf dem Fußboden und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Ein Blick auf die demonstrative Unschuldsmiene seines Neffen, und ihm war alles klar.

„Ich sag deinem Vater, dass du ihn später zurückrufst.“ Damit verschwand er aus dem Zimmer.

Fluchend sprang Gio aus dem Bett. Wie durch ein Wunder trug er noch immer seine Boxershorts. Während er versuchte, sich einen Reim auf das Ganze zu machen, streckte Gina vorsichtig den Kopf unter der Bettdecke hervor. Gott, sie war so wunderschön! Ein wirklicher, echter, wahr gewordener Traum!

In einer Minute würde er der Sache auf den Grund gehen und Antworten verlangen. Aber für den Augenblick wollte er sich nur an ihr sattsehen und versuchen, die Tatsache zu verdauen, dass Prinzessin Regina Schiaparelli Vittorio di Castelmare ganz offensichtlich die Nacht mit ihm in seinem Bett verbracht hatte.

Verdammt noch mal! Plötzlich wünschte er, dass er gestern weniger getrunken hätte. Dann hätte er wenigstens Traum und Realität unterscheiden können.

Mit einer anmutigen Bewegung schwang sie ihre wohlgeformten Beine aus dem Bett und stand auf. Der leichte gelbe Rock, der perfekt zum Top passte, reichte ihr bis zu den Knien. Egal welche Farbe sie trug, sie sah immer fantastisch aus. Nur Gina schaffte es, gleichzeitig sommerlich elegant und mädchenhaft zu wirken. Mit Mühe gelang es ihm, den Blick von ihr abzuwenden.

Schnell nahm er ein T-Shirt aus der Kommode und zog es über seinen nackten Oberkörper, dann räusperte er sich und sagte: „Erklärungen können warten. Als Erstes muss ich Sie hier rausschaffen. Bevor mein Onkel dahinterkommt, wer Sie sind.“

„Es würde mir nichts ausmachen.“

„Das glaube ich kaum“, rief er ärgerlich. Immerhin sollte sie demnächst den Herrscher von Pedrosa heiraten! Um sie zu berühren, musste man von königlichem Blut sein. Mindestens adelig. Diese Frau war für ihn absolut unerreichbar. Tabu. Das hatte ihm sein Vater schon vor Jahren eingebläut. Damals, als er mit seiner Familie nach Castelmare gekommen war.

Vor ihrer Verlobung war sie von einer Menge junger Prinzen umworben worden. Von jedem einzelnen hatten ihm seine Brüder mit grausamer Liebe zum Detail berichtetet. Gerüchten zufolge hatte Ginas Mutter allerdings von Anfang an Prinz Nicolas als Heiratskandidaten für ihre Tochter favorisiert.

Wie oft hatte er ihn mit seiner Prinzessin im Schlossgarten gesehen? Manchmal waren sie zusammen ausgeritten. Kerzengerade und arrogant saß der zukünftige Herrscher von Pedrosa auf dem Rücken seines edlen Hengstes. Leider hat sich mein geheimer Wunsch nie erfüllt, dachte Gio. Nicht ein einziges Mal warf das Pferd seinen Rivalen aus dem Sattel.

„Du glaubst mir nicht?“, riss sie ihn aus den Gedanken. „Ich habe eher den Eindruck, du willst mir nicht glauben! Vielleicht weil du Ende August heiraten wirst?“ Um den heißen Brei herumzureden war einfach nicht ihre Art.

Gepresst fragte er: „Wer hat Ihnen das gesagt?“

„Dein Vater. Wer denn sonst? Ist es die Wahrheit?“

„Darüber reden wir später.“

„Dann stimmt es also?“

„Gina … Wir wissen beide, dass es zwischen uns immer geknistert hat. Aber mehr durfte und darf daraus nicht werden. Unsere Welten sind einfach zu verschieden. Und jetzt müssen wir uns wirklich beeilen.“

Trotz der Tränen in ihren dunklen Augen lächelte sie ihn herausfordernd an. „Und wie soll ich bitte schön aus diesem Zimmer kommen, ohne dass dein Onkel mich sieht?“

Schnell hob er ihre Sandaletten vom Fußboden auf und drückte sie ihr in die Hand. „Hier, Prinzessin. Ziehen Sie Ihre Schuhe an, dann helfe ich Ihnen, aus dem Fenster zu klettern. Ungefähr hundert Meter von hier ist eine Scheune, wo wir Obst einlagern. Um diese Uhrzeit sollte da niemand sein. Dort verstecken Sie sich und warten, bis ich mit dem Kleinlaster komme und Sie abhole.“

Wenn irgendjemand herausfand, dass sie hier gewesen war, in seinem Bett, wäre ihr guter Ruf für immer angeschlagen, wenn nicht gar ruiniert. Die Reaktion ihres Verlobten wollte er sich gar nicht erst ausmalen. Und Ginas Bruder Lucca hätte allen Anlass, jeden einzelnen Fornese, der auf seinem Grund und Boden arbeitete, zu feuern und zurück nach Sardinien zu schicken. Das Ansehen, das sein Vater am Fürstenhof genoss und das er sich über Jahre hart erarbeitet hatte, wäre unweigerlich zerstört. Das durfte er einfach nicht zulassen!

Wie die Geier würden die Medien sich auf Gina stürzen, die sich sehr zum Bedauern der Paparazzi niemals auch nur einen einzigen Fehltritt erlaubt hatte. Schon lange lauerte die Regenbogenpresse auf eine saftige Titelstory mit der hübschen jungen Prinzessin von Castelmare in der Hauptrolle.

Nachdem sie in ihre Sandaletten geschlüpft war, half er ihr in die Jacke. Seine ganze Willenskraft musste er aufbringen, um sie nicht wieder in seine Arme zu ziehen und das fortzusetzen, was er zu träumen geglaubt hatte.

Die unantastbare Prinzessin Regina schien plötzlich nicht mehr ganz so unerreichbar. Vielleicht lag es an ihren tiefroten, vom Küssen geschwollenen Lippen? Oder den vom Schlaf geröteten Wangen? Noch immer spürte er ihre Berührungen, und ihr atemberaubender Duft betörte seine Sinne. Wie, zur Hölle, sollte er nur jemals wieder zur Normalität zurückfinden?

Abermals lächelte sie ihn an. „Dein Onkel wird sich bestimmt wundern, wo ich auf einmal hin verschwunden bin.“

„Wäre nicht das erste Mal“, erwiderte er knapp und stieß die Fensterläden auf. „Aber er war schließlich auch einmal jung und ist verständnisvoll genug, nicht darüber zu sprechen. Besonders jetzt, seitdem nonna im Haus ist.“ Darüber, was seine Großmutter von all dem halten würde, wollte er lieber gar nicht erst nachdenken.

Aber nun durften sie wirklich keine Zeit mehr verlieren! Gina musste Sardinien schleunigst verlassen. Sanft, aber entschlossen packte er sie um die Taille, hob sie auf das Fensterbrett und half ihr, aus dem Fenster zu steigen. Als ihre Füße den Boden berührten, ließ er ihre Hände los, doch sie hielt ihn weiterhin fest.

„Letzte Nacht hast du gesagt, dass du mich willst, dass du mich begehrst. Immer und immer wieder“, wisperte sie und blickte ihm fest in die Augen. „Wenn du wirklich in wenigen Monaten heiratest, solltest du deine zukünftige Frau besser über deine Gefühle für mich aufklären!“

Während er noch darüber nachdachte, ob in der Nacht womöglich mehr geschehen war, als seine bruchstückhafte Erinnerung ihm verriet, verschwand sie um die Hausecke.

Nachdenklich presste er die Lippen zusammen und schloss das Fenster. Dann zog er hastig seine Schuhe an und stürzte zur Tür hinaus – direkt in die Arme seines Onkels, der gerade aus dem Schlafzimmer der Großmutter kam.

„Ich glaube, ich schulde dir eine Erklärung“, begann Gio leise.

Zu seiner Überraschung schüttelte der ältere Mann nur grinsend den Kopf. „Ach was, keine Erklärungen nötig!“ Dann klopfte er ihm wie anerkennend auf die Schulter und fügte hinzu: „Dein Vater hatte sich schon Sorgen gemacht, weil du seit Monaten jede Frau ignoriert hast, die dir nahekam. Ich habe ihn gleich angerufen und ihm die gute Nachricht überbracht, dass mit seinem Sohn alles in Ordnung ist.“

Dio mio! Das hatte ihm gerade noch gefehlt!

„Dann wirst du wohl auch verstehen, dass ich mir kurz deinen Laster ausleihen muss?“

Si, si. Ich erkläre nonna, dass du geschäftlich in die Stadt musstest und bald zurückkommst.“

„Ich verspreche, es wird nicht lange dauern. Grazie, zio!“

Eilig rannte Gio zur Hintertür hinaus und sprang in den alten Kleinlaster. Der Schlüssel steckte noch immer im Zündschloss. Wahrscheinlich hatte Gina gestern Abend beobachtet, wie er den Hof verließ, und dann auf seine Rückkehr gewartet. Und er, vom Whisky benebelt, hatte sich nicht gewehrt, als sie ihn ins Haus brachte … und ins Bett. Eine sinnvollere Erklärung fiel ihm auf die Schnelle einfach nicht ein.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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