Entführt mit Schwert und Küssen

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Man schreibt das Jahr 1145. Nur wenige Stunden vor ihrer Hochzeit verschleppt Richard of Dunstan die wunderschöne Isabella of Warehaven, die Braut seines Todfeinds. Auf Dunstan Island will er abwarten, bis ihr Verlobter kommt, um sie zu befreien. Dann wird Richard sich für ein blutiges Verbrechen an ihm rächen! Doch schon während der stürmischen Überfahrt weckt die ebenso kämpferische wie verführerische Isabella in Richard ein gefährlich sündiges Verlangen. Als ein jäher Wintereinbruch auf der Insel sie beide zu Gefangenen macht, treibt Richard seinen Racheplan noch weiter: Er beschließt, die entführte Braut selbst zu heiraten …


  • Erscheinungstag 13.10.2020
  • Bandnummer 363
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748340
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Burg Warehaven – Herbst 1145

Männer sind nicht besser als Kröten. Sie hüpfen ohne Sinn und Verstand in eine Richtung und im nächsten Moment, ganz ohne Vorwarnung, in die andere. Bis jetzt hatte Isabella sich immer nur gefragt, ob es so sein könnte, doch jetzt hatte sie Gewissheit.

Auch die kalte Nachtluft konnte ihren Zorn kaum lindern. Isabella of Warehaven schob sich durch die Menschenmenge, die sich im Hof der väterlichen Burg versammelt hatte. Sie brauchte etwas Zeit für sich, bevor sie zu den Feierlichkeiten zurückkehrte, die im Inneren des Wohnturmes stattfanden.

Ihr Verlöbnis und die Vermählung mit Wade of Glenforde waren monatelang sorgfältig geplant worden. Keine Einzelheit hatte man ausgelassen, jede Zeile des Ehevertrages war immer wieder kritisch geprüft worden, um für alle Unwägbarkeiten der Zukunft gewappnet zu sein – ihre Zukunft.

Und in wenigen Augenblicken würde sie alles, was ihr Vater geplant hatte, über den Haufen werfen. Ihre Eltern würden so wütend auf sie sein! Isabella hasste die Vorstellung, sie zu enttäuschen, aber sie konnte einfach nicht anders. Sie würde Glenforde nicht heiraten. Er konnte die Dirne heiraten, die er geküsst hatte, bevor er mit der kichernden Närrin in einer abgeschiedenen Nische verschwunden war.

Gott sei Dank hatten ihre Eltern ihr und ihrer jüngeren Schwester Beatrice die Wahl gelassen, was ausgesprochen selten vorkam. Isabella selbst hatte es gar nicht so eilig gehabt mit dem Heiraten, doch ihr Vater war ungeduldig gewesen und hatte sich nach einem Ehemann für sie umgetan. Trotzdem war Isabella sicher, dass er sie nicht zwingen würde, in diese Ehe einzuwilligen. Besonders, wenn sie ihm von Glenfordes unschicklichem Verhalten berichtete.

Als die Erinnerung ihrem Zorn neue Nahrung gab, beschleunigte Isabella ihre Schritte. Es war eine Sache, wenn er sich eine Dirne nahm, doch dass er sich ganz offen mit diesem Weib im väterlichen Wohnturm vergnügte, war eine Unverschämtheit. Und dann noch am Abend vor der Verlobung! Das ging zu weit.

Als würde diese Indiskretion nicht genügen, hatte er Isabella am Nachmittag auch noch grob zu Boden gestoßen, während sie mit ihrer Schwester gesprochen hatte. Alles zusammen war das mehr, als Isabella zu akzeptieren bereit war.

Wenn er sich jetzt schon so unmöglich verhielt, wie sollte das erst werden, wenn sie verheiratet waren?

Sie hatte nicht vor, es herauszufinden. Sie war sicher, dass ihre Eltern ihre Bedenken verstehen würden, sobald sie ihnen alles erklärte. Nein, um die Reaktion des Lords und der Lady of Warehaven brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Wahrscheinlich würden sie verärgert sein, weil Isabellas Tante ihnen weisgemacht hatte, dieser Mann wäre eine angemessene Partie für Isabella. Die Halbschwester ihres Vaters, Kaiserin Matilda, hatte darauf bestanden, dass Wade of Glenforde nicht nur angemessen, sondern in jedem Punkt die perfekte Wahl wäre. Er war jung, wohlhabend, unverheiratet, und, was am wichtigsten war, er unterstützte sie in ihrem Anspruch auf den englischen Thron gegenüber König Stephen. Um ihnen die Sache schmackhaft zu machen, hatte die Kaiserin versprochen, Wade mit einer Burg, Landgütern und einem Titel auszustatten, der Isabellas würdig war. Wie hätten ihre Eltern solch ein Angebot ausschlagen können?

Isabella ballte die Hände zu Fäusten und schritt energisch aus, um endlich all die Menschen hinter sich zu lassen, die auf dem Weg zum Wohnturm waren. Sie unterdrückte den Wunsch, laut zu schreien.

Ein klatschendes Geräusch und eiskaltes Wasser, das ihre bestickten Schuhe durchnässte, und sie konnte einen Aufschrei nicht länger unterdrücken. „Bei Gott, was für kranke Gemeinheiten wird dieser unselige Tag noch für mich bereithalten?“

Sie schlug sich die Hand vor den Mund, hob den Saum ihres langen Gewandes mit der anderen und lief wenig damenhaft auf die Stallungen am anderen Ende des Burghofs zu. Dort würde niemand sie fluchen hören.

Sie zog sich in den hintersten Winkel des Stalls zurück. Ihre Brust hob und senkte sich hektisch nach ihrer hastigen Flucht, und sie nahm die Hand vom Mund. So weit entfernt vom Wohnturm würde niemand Zeuge des schlimmsten Wutanfalls in ihrem Erwachsenenleben werden.

Isabella schloss die Augen und holte tief Luft. Gerade, als sie den Mund öffnen wollte, legte sich ihr eine raue Hand fest über die Lippen.

Entsetzt riss sie die Augen auf, während sie den Schrei unterdrückte, der sich ihrer Kehle entringen wollte.

„Ja sieh mal an, wen haben wir denn hier?“, fragte der Mann hinter ihr leise.

Er ignorierte ihre Versuche, freizukommen. „Was hat wohl Warehavens Augapfel so weit weg vom sicheren Wohnturm in der Dunkelheit zu suchen?“

Er beugte sich vor und drückte seine Brust gegen ihren Rücken. Sein warmer Atem streifte Isabellas Ohr. „Unbegleitet und schutzlos.“

Die tiefe Stimme wirkte wie ein Eimer eiskalten Wassers, der über ihr ausgekippt wurde. Plötzlich begriff sie, in was für eine Gefahr sie sich selbst gebracht hatte, und begann zu zittern.

Sie war eine Närrin, dass sie so unbedacht aus dem Wohnturm gestürmt war. Allein und ohne Schutz riskierte sie ganz ohne Not ihr Leben. Ihre Familie hatte sie schon oft wegen ihres Temperaments gerügt. Immer wieder hatte man ihr furchterregende Geschichten erzählt, was mit eigensinnigen jungen Frauen geschah, die so unbesonnen und gedankenlos handelten.

Würde man sie jetzt töten – oder ihr noch Schlimmeres antun? War das die Strafe dafür, dass sie niemals auf diese Warnungen gehört hatte?

Das leise Lachen des Mannes verstärkte ihr Zittern nur noch. „Riecht Ihr das?“ Er atmete tief ein. „Das ist der Geruch von Angst.“ Er zog sie näher an sich und strich ihr mit der glatten Klinge seines Messers über die Wange. „Habt Ihr Angst, Isabella of Warehaven?“

Natürlich hatte sie Angst. Es war eine Zeit der Gewalt und Aufstände, in der niemand wirklich sicher sein konnte. Mit den vielen Gästen, die wegen der Verlobungsfeier nach Warehaven gekommen waren, waren ohne Zweifel auch unzählige Männer ohne Ehrgefühl und Anstand auf die Burg gekommen. Halsabschneider und Taschendiebe strömten nach Warehaven und nutzten die Gelegenheit, sich die Bündel mit Gold und Juwelen zu füllen, die ihnen einen guten Sommer bescheren würden.

Ihr stockte der Atem. Würde die Tochter des Lords solch einem Mann nicht jede Menge Wohlstand einbringen?

Der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken. Verzweifelt versuchte sie, Luft zu holen, doch mit der Hand über ihrem Mund und der Nase konnte sie nicht richtig atmen. Sein starker Arm, den er fest um ihren Oberkörper geschlungen hatte, schien ihr die Luft aus den Lungen zu pressen.

Isabella trat nach hinten aus, in dem verzweifelten Versuch, sich aus seinem Griff zu befreien und nicht ohnmächtig zu werden. Sie musste fliehen. Wer wusste schon, was dieser unritterliche Schurke vorhatte?

Richard of Dunstan gab sein Bestes, um sein störendes schlechtes Gewissen zu ignorieren, weil er Glenfordes Verlobte so unsanft festhielt. Unnütze Dinge wie Moral und Schuldgefühle sollte man am besten denen überlassen, die sich immer noch um solche Nettigkeiten scherten.

Schuldgefühle würden ihn nur daran hindern, die Dinge zu tun, die getan werden mussten. Und Moral würde ihn davon abhalten, Wiedergutmachung einzufordern für das, was seiner Familie angetan worden war.

Das Einzige, was für Richard jetzt noch zählte, war die Befriedigung seiner eigenen Rachegelüste. Dafür hatte Wade of Glenforde mit seinen mörderischen Taten auf Dunstan Island gesorgt.

Als Richard sich mit einem seiner Männer unter die geladenen Gäste im Burghof von Warehaven gemischt hatte, hatte er nur dieses eine Ziel vor Augen gehabt. Wie konnte er Glenfordes Braut nach der Verlobungszeremonie entführen?

Er hatte sich mit Matthew einen Platz an der Mauer gesucht, von wo aus sie den Burghof gut überblicken konnten. Wenig später hatte Richard zwei der Wachen auf dem Wehrgang aus Holz über ihnen belauscht, die just über die betreffende Dame sprachen. Wie es aussah, war die Braut gerade allein auf dem Burghof, und die beiden Wachen überlegten, ob sie sich Sorgen um ihre Sicherheit machen sollten.

Zu Richards Erleichterung hatte der Ältere der beiden die Bedenken des anderen zerstreut. Was sollte denn schon passieren, mit so vielen Bewaffneten auf den Wehrgängen und Wachtürmen? Wer, hatte der Mann gefragt, wäre töricht genug, bei solch einer Übermacht Lady Isabella ein Leid zuzufügen?

Ja, wer wäre so töricht?

Richard hatte Warehavens Töchter nie gesehen, also lauschte er aufmerksam der Unterhaltung der Wachen, in der Hoffnung, von ihnen alle nötigen Informationen zu bekommen. Er musste unbedingt die richtige Tochter erwischen. Gott sei Dank dauerte es nicht lange, bis die Männer den entscheidenden Hinweis lieferten. Die prächtig gekleidete junge Dame, die auf die Ställe zueilte, war die Frau, nach der er suchte.

Diese Gelegenheit durfte er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Noch bevor die Wachen ihren Rundgang fortsetzten, hatte er hastig einen Plan entwickelt. Seine Beute war zum Greifen nah, warum also sollte er bis nach der Zeremonie warten, um sie sich zu schnappen? Es kam ihm vor wie eine göttliche Fügung. Der Herr persönlich schien Richards Verlangen nach Rache gutzuheißen, indem er ihm die Frau geradezu in die Hände legte.

Am Ende würde Glenforde den Tod bekommen, den er verdient hatte, aber vorher würde er büßen müssen. Er würde außer sich vor Wut sein, weil seine zukünftige Braut verschwunden war. Wenn er auch nur das Geringste für diese Frau empfand, würde er Qualen leiden, sobald er an die Schrecken dachte, die seine geliebte Braut möglicherweise erdulden musste.

Und wenn Glenforde nichts für sie empfand? Dann würde er trotzdem leiden, angesichts der Reichtümer, die Warehavens Tochter mit in die Ehe gebracht hätte und um die er nun fürchten musste. Lord Warehaven besaß Land und Gold im Überfluss. In dem niemals endenden Krieg um den Thron war er mit beiden Seiten verwandt. Es bestand kaum ein Zweifel daran, dass seine Tochter nicht nur Reichtum, sondern auch politischen Einfluss mit in die Ehe brachte – und diese Kombination war zu verlockend, als dass Glenforde ohne Weiteres darauf verzichten würde.

Jawohl, Glenfordes Stolz und seine Gier würden ihn nach Dunstan Island locken. Er würde kommen, um die Frau zu retten und seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Aber er würde keinen Erfolg haben. Er würde Dunstan Island erreichen, nur um festzustellen, dass seine Liebste bereits verheiratet war. Stattdessen würde ihn die scharfe Klinge von Richards Schwert in Empfang nehmen.

Er würde Glenforde zurück an den Schauplatz seines abscheulichen Verbrechens locken, und die Geister seiner unschuldigen Opfer würden die Gelegenheit erhalten, die nutzlose Seele dieses Schurken zum Höllenschlund zu begleiten.

Die Frau in seinem Arm zappelte erneut und lenkte Richards Aufmerksamkeit wieder auf seine Gefangene. Ihre Jugend weckte fast sein Mitleid. Was für eine armselige Zukunft doch auf sie wartete! Aber dann wob sich eine flüchtige Erinnerung in seine Gedanken. Das Bild einer perfekten blonden Locke, die auf einer leblosen, blutverschmierten Wange ruhte, vertrieb jedes Gefühl von Reue oder Bedauern.

Warehavens Tochter würde das Schicksal akzeptieren, das für sie bestimmt war – oder sie würde sterben. Die Wahl lag ganz bei ihr.

Er war dieses Risiko nicht eingegangen, um jetzt schwach zu werden. Seit Monaten hatte er seine Pflichten vernachlässigt, Vergeltung war seine einzige Existenzberechtigung gewesen. Jetzt, da er den Schlüssel für seine Rache sicher in den Armen hielt, würde er ihn nicht wieder loslassen. In diesem Moment sah sie in ihm vermutlich nur einen Schurken, der die günstige Gelegenheit ausnutzen wollte. Was wusste sie schon davon, welchen Nutzen sie wirklich für ihn hatte!

Warnend flüsterte er ihr ins Ohr: „Wir verlassen jetzt die Burg. Wenn Ihr schreit, um die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, werde ich Euch die Kehle durchschneiden.“ Er schwieg kurz, damit die Drohung ihre Wirkung entfalten konnte. „Habt Ihr das begriffen?“

Richard wartete, bis sie nickte, ehe er sie langsam in den Schatten hinter den Ställen zog, wo Matthew auf ihn wartete.

„Mylord, es ist alles bereit.“

Als er Matthews Stimme hörte, entspannte er sich ein wenig. Doch die Frau in seinem Arm machte sich ganz steif. Richard verstärkte den Griff über ihrem Mund und hielt ihr die Spitze seines Dolchs an die Kehle. „Euer Verlobter hat sich nichts dabei gedacht, als er ein unschuldiges sechsjähriges Mädchen getötet hat. Seid versichert, ich kann sehr schnell für Ausgleich sorgen, sobald Ihr auch nur einmal hustet.“

Vorsichtig lockerte er den Griff über ihrem Mund. Sie schwieg. „Solange Ihr still seid, werdet Ihr am Leben bleiben.“ Sie rührte sich nicht. „Nickt, wenn Ihr mich verstanden habt.“

Sie nickte. Doch etwas an ihrer Haltung warnte ihn, dass sie nicht so gefügig sein würde, wie er gehofft hatte. Darum würde er sich später kümmern – im Moment zählte nur, dass sie nicht schrie.

Matthew reichte ihm einen Umhang mit Kapuze. „Für die Dame.“

Als Warehavens Tochter würde man sie leicht erkennen. Der lange, dunkle Wollumhang würde ihre Gestalt und ihr Gesicht verhüllen. Richard legte ihr den Umhang um die Schultern, schloss die Schnalle vor der Brust und schob ihr die Kapuze über den Kopf und halb ins Gesicht. Er stopfte ihr Haar unter den Stoff und überprüfte, ob wirklich nichts verriet, dass sie die Tochter des Burgherrn war.

Richard zielte mit der Spitze seines Dolchs auf ihr Gesicht. „Ihr fühlt Euch unwohl, und als Eure treu sorgenden Brüder begleiten wir Euch nach Hause. Wenn Ihr versucht, irgendjemanden zu warnen, werdet Ihr Euer Leben aushauchen, ehe die Wachen mich töten können.“

Sie nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Mit einem Arm auf ihrer Schulter winkte er Matthew an ihre andere Seite. Richard drückte ihre Schultern nach unten. „Beugt Euch vor, als wäre Euch schlecht.“

Er konnte nur hoffen, dass sie genug Angst vor ihm hatte, um seinen Anweisungen zu gehorchen. Doch als sie die ersten Schritte machten, stolperte sie über einen herunterhängenden Stoffzipfel ihres Umhangs.

Mit einem leisen Fluch schob er seinen Dolch in den Stiefel und hob sie mit einem Schwung hoch.

Sie schrie leise auf und wand sich, um von ihm fortzukommen.

Er presste sie sich fest an die Brust. „Ich warne Euch nicht noch einmal. Legt Euren Kopf an meine Brust und seid still!“ Er nickte Matthew zu. „Geh du voran.“

Isabella war nicht sicher, wer ihre Verwünschungen mehr verdient hatte. Sie wusste zwar, dass Wade of Glenforde alles andere als ein edler Ritter war, aber war er wirklich so tief gesunken, dass er unschuldigen Kindern etwas antun würde? Sie konnte es sich nicht vorstellen, aber dieser Mann schien es aus irgendwelchen Gründen zu glauben. Also verdiente Glenforde ebenfalls einen Anteil an ihren Verwünschungen.

Am meisten davon allerdings verdiente sie selbst. Ihre eigene Unüberlegtheit hatte sie erst in diese Lage gebracht. Oder verdiente dieser ungepflegte Rüpel, der sie festhielt, ihren Zorn am meisten?

Sein Komplize hatte ihn Mylord genannt. Er war also nicht nur ein einfacher Strauchdieb, wie sie anfangs gefürchtet hatte. Offenbar verfügte er über einen gewissen Status, und er war bewaffnet.

Als sie sich dem Burgtor näherten, packte er sie fester. Sie erkannte die stumme Warnung und hoffte, dass man sie nicht aufhalten würde. Sie zweifelte nicht daran, dass der Mann seine Drohung wahrmachen und sie töten würde.

Isabella holte tief Luft, um ihre Angst im Zaum zu halten. Sie wusste, dass dieser Krieger – dieser Schurke – jedes Zittern von ihr als Schwäche deuten würde, die er zu seinem Vorteil nutzen konnte.

Zu ihrer Erleichterung schenkte ihnen niemand auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Trotzdem ließ der Mann sie nicht los, auch als sie die Tore hinter sich gelassen hatten und über das offene Feld zwischen den Zelten hindurchliefen. Er ging immer weiter und schien sie noch fester an sich zu drücken – unfassbar nah. Sein Herz schlug kräftig unter ihrer Wange. Sie spürte, wie sich die Brust mit jedem Atemzug regelmäßig hob und senkte.

Sie spürte seine Finger beinahe schmerzhaft seitlich an ihrer Brust, und als sie sich dieser unschicklichen Berührung bewusst wurde, schnappte sie erschrocken nach Luft. Trotz der vielen Stoffschichten von ihrer Kleidung und dem Umhang schien die Hitze seiner Berührung ihre Haut zu versengen. Ihr Wunsch, auf der Stelle zu fliehen, wuchs ins Unermessliche.

Sie drehte sich von ihm fort und boxte ihn gegen die Schulter, im Versuch, seinem festen Griff zu entkommen. „Wo bringt Ihr mich hin? Lasst mich herunter!“

An der Einmündung des Pfades, der zum Strand hinunterführte, blieb Richard stehen. Wenn Isabella of Warehaven jetzt schrie, würde man sie auf der Burg zwar hören, aber sie würden auf seinem Schiff sein, ehe jemand zu ihrer Rettung herbeieilen könnte.

Und darum ging es schließlich bei dieser Entführung. Warehaven und vor allem Glenforde sollten erfahren, wer die junge Dame in seiner Gewalt hatte. Andernfalls, wenn sie nicht wüssten, wo sie nach ihr suchen sollten, wäre diese ganze Sache nichts als Zeitverschwendung.

Richard lockerte seinen Griff und ließ sie zu Boden gleiten, bis sie auf ihren eigenen Füßen stand. Doch er hatte nicht die Absicht, sie loszulassen. „Wohin ich Euch bringe? Ihr werdet eine Zeitlang mein Gast sein.“

Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Euer Gast?“

Sie mussten zusehen, dass sie hier wegkamen. Also ignorierte er sie und winkte Matthew, damit er mit der Fackel voranging. Dann drehte er die Frau um, sodass ihr Rücken an seiner Brust lehnte, und schlang ihr die Arme um den Oberkörper. Auf diese Weise zerrte er sie den Pfad hinunter zum Strand.

Erst jetzt bequemte er sich, zu antworten. „Ja. Ihr werdet mich nach Dunstan Island begleiten.“

Er war nicht überrascht, als sie entsetzt aufschrie und die Fersen in den Boden rammte, in dem sinnlosen Versuch, die Abfahrt zu verzögern. Richard hatte damit gerechnet, dass sie sich wehren würde, sobald er ihr den ersten Teil seines Plans offenbarte.

„Dunstan ist kein Verbündeter von Warehaven. Warum liefert Ihr mich an ihn aus?“ Mit jedem Wort wurde ihre Stimme schriller. Er hörte sie scharf einatmen, ehe sie fragte: „Wer seid Ihr?“

Er hob sie hoch, sodass ihre Füße den Boden nicht mehr berührten, und lief weiter in Richtung Strand. Ihre Stimme klang gepresst, und er war sicher, dass sie die Antwort bereits erraten hatte. Er senkte den Kopf, um ihr ins Ohr zu flüstern: „Wer ich bin?“ Seine Lippen streiften die zarte Rundung ihrer Ohrmuschel. „Nun, holde Maid aus Warehaven, ich bin Richard of Dunstan.“

Sie zitterte. „Warum tut Ihr das?“

„Weil Glenforde für seine Verbrechen bezahlen muss.“ Richards Stimme wurde hart. „Und Ihr, als seine Braut, werdet dafür sorgen, dass er bezahlt.“

Sie warf den Kopf zurück, vermutlich in der Hoffnung, ihm die Nase zu brechen. Doch er war schneller und wich dem Angriff geschickt aus. „Kommt schon, das könnt Ihr doch besser!“

Sie trat ihm mit den Absätzen gegen die Schienbeine und die Kniescheiben. Das lenkte ihn einen Moment ab, und er fürchtete, sie beide könnten auf dem steilen Pfad zu Boden gehen. Er wollte nicht riskieren, dass einer von ihnen verletzt wurde, also setzte er sie ab. Er wollte ihre Hand nehmen, um sie zum Strand zu führen.

Doch als sie laut und durchdringend schrie, änderte er seine Meinung. Als er ihren rebellischen Blick sah, begriff er, dass sie sich nirgendwohin führen lassen würde. Richard warf sich die Frau kurzerhand über die Schulter und eilte den schmalen Pfad hinunter. Matthew war nur wenige Meter vor ihnen. „Schneller! Ehe Warehavens Männer uns einholen!“

Er schätzte, dass sie noch nah genug bei der Burg waren, dass man Isabellas Schreie gehört hatte, aber schon so weit entfernt, dass die Rettung erst eintreffen würde, wenn er bereits auf seinem Schiff war. Doch er wollte kein unnötiges Risiko eingehen.

„Mylord, hier entlang!“ Bruces Stimme ertönte aus der Dunkelheit vor ihnen. Ein jüngerer Mann trat aus seinem Versteck hinter einem dichten Busch. Er hielt eine Fackel in die Höhe und leuchtete damit den schmalen, gewundenen Pfad entlang der zerklüfteten Klippen aus.

„Er ist steiler als der Pfad, den wir hochgestiegen sind.“ Er schaute auf die Last, die über Richards Schulter lag und wild um sich schlug, und fügte hinzu: „Aber auch schneller, falls …“

Mit einer Handbewegung wischte Richard die unausgesprochenen Bedenken des Mannes beiseite. „Weiter!“

Kurz bevor sie den Strand erreichten, hörte Richard ein Geräusch hinter sich und blieb stehen. Offensichtlich hatte man die verzweifelten Schreie der Frau tatsächlich gehört. Und Warehavens Männer waren näher, als ihm lieb war.

Er unterdrückte einen Fluch und brüllte seinen Männern zu: „Bewegt euch! Schneller!“

„Da sind sie!“

Als sie die Rufe ihrer Verfolger hörten, schleuderten Matthew und Bruce ihre Fackeln fort und kletterten hastig über die Felsbrocken. Richard schleppte die Frau, die sich immer noch wehrte, über den letzten Felsen.

Als er stolperte, flog sie unsanft in den nassen Sand, und er landete neben ihr. Er wollte sie packen, um sie sich wieder über die Schulter zu werfen, doch sie rollte zur Seite und schrie: „Nein! Hilfe!“

Doch Richard war wild entschlossen, unbeschadet zu entkommen, ohne seine Gefangene zu verlieren, und versuchte erneut, ihrer habhaft zu werden.

Sie schlug nach ihm und schrie laut: „Hier bin ich! Hierher, zu mir!“

Jetzt konnte Richard das Klirren der Schwerter und Kettenhemden hören, als die Männer ihrer Herrin zur Hilfe eilten.

Er sprang auf und stellte sich auf den Umhang der Frau, damit sie lange genug stillhielt, bis er sie sich schnappen konnte.

Die schreiende Isabella hatte immer noch genug Verstand, die Hand zur Faust zu ballen und damit auf seine Nase zu zielen. Richard drehte den Kopf weg, um dem Hieb auszuweichen, trotzdem erwischte sie ihn noch am Auge.

Er fluchte verärgert, weil diese Frau es geschafft hatte, ihm so einen heftigen Schlag zu versetzen. Diese Dame war wie ein Stück Seife. Ohne innezuhalten, um sich die Tränen aus dem Auge zu wischen, riss er sie hoch.

Sobald seine Gefangene halbwegs gesichert war, watete Richard zu dem kleinen Ruderboot, das sie hinaus zu seinem Schiff bringen würde. „Los, weg hier!“, rief er seinen Männern zu.

Bruce und Matthew stürzten sich in das Boot, das auf den Wellen tanzte. Bruce nahm ein Paar Riemen, während Matthew seinen Bogen spannte und einen Pfeil abschoss. Richard stapfte durch das knietiefe Wasser und warf die Frau ohne viel Federlesens in das Boot, bevor er selbst hineinkletterte und befahl: „Legt euch in die Riemen, Männer!“

Als die Frau versuchte, sich aufzusetzen, stieß er sie wieder nach unten. „Bleibt unten, es sei denn, Ihr wollt, dass einer von Warehavens Pfeilen Eurem Leben aus Versehen ein Ende bereitet.“

Er selbst nahm sich ebenfalls ein Paar Riemen und wandte sich zum Strand um. Ein weiterer Fluch kam ihm über die Lippen, als er Isabellas Vater sah, der den Männern Befehle zubrüllte.

Ein Pfeil flog an seinem Ohr vorbei. Richard duckte sich. Sein eigenes Leben und das seiner Männer stand auf dem Spiel. Er spannte seinen Bogen und schickte einen Pfeil in Richtung Strand, gefolgt von weiteren Pfeilen von seinen Männern.

„Nein! Lieber Gott, nein!“, rief Isabella vom Boden des winzigen Bootes, als einer der Pfeile die Brust ihres Vaters durchbohrte und der Mann in den nassen Sand stürzte.

Sie schrie erneut auf und umklammerte Richards Bein. Ehe er sie abschütteln konnte, traf ihn ein Pfeil von einem von Warehavens Schützen an der Schulter. Richard zuckte vor Schmerz zusammen und stürzte dabei über die Frau, die offenbar nicht bereit war, sein Bein loszulassen.

2. KAPITEL

Haltet ihn fest!“

Wie durch einen dichten Nebel starrte Isabella Dunstans wild aussehenden Krieger an. Matthew. Sie erinnerte sich, dass Dunstan den Mann Matthew genannt hatte. Er und seine Kumpane hatten ihren Vater getötet. Das Engegefühl in ihrer Kehle wurde stärker.

„Helft ihm!“

Ihm helfen?

Matthew wollte, dass sie seinem Herrn half? Isabella schüttelte den Kopf und flüsterte tonlos: „Nein.“

Sie konnte es nicht. Sie konnte keinem von diesen Männern helfen. Sie hatten sie aus Warehaven entführt, hatten ihren Vater vor ihren Augen getötet und sie wie einen Sack Getreide aus dem Ruderboot auf das Schiff gezerrt, das vor der Küste ankerte.

Und als sie versucht hatte, über die Reling zu klettern, um zum Strand und zu ihrem Vater zurückzuschwimmen, hatten diese Männer, diese schmutzigen, verlausten, narbengesichtigen Kerle, sie in Dunstans kleine Kajüte im Achterdeck getragen.

„Verdammt, Frau, helft ihm!“

„Nein. Bittet doch einen Eurer Männer um Hilfe.“ Dunstans Gesundheit sollte besser in den Händen seiner Leute liegen, nicht in ihren.

„Sie werden alle an Deck gebraucht.“

Als ob sie das nicht gewusst hätte. Alle Mann waren an den Riemen, um das Schiff schnell genug vom Strand fortzubewegen, ehe die Männer ihres Vaters brennende Pfeile einsetzten.

Hoffentlich trafen wenigstens ein paar dieser Pfeile ihr Ziel und setzten die Eichenplanken des Schiffes in Brand! Das einzige, fast quadratische Segel reichte nicht, um diese Kogge rasch von hier fortzubringen.

Wenn sie Glück hatte und Gott ihr gnädig war, würde sie sich schon bald zusammen mit diesen Männern am Strand von Warehaven wiederfinden.

„Kommt her und helft mir, oder ich schicke Euch zu Eurem Schöpfer.“

„Dann tut es und bereitet diesem Elend ein Ende!“ Lieber würde sie sterben, als einen Fuß auf Dunstan Island zu setzen.

Der Dolch in der Hand des wilden Kriegers schwankte kurz, bevor er die Waffe fester griff. Schnell wie eine vorschießende Schlange packte er mit der freien Hand ihren Arm. „Das hättet Ihr wohl gerne. Aber ich werde nicht zulassen, dass Ihr Euch dem entzieht, was Lord Dunstan für Euch geplant hat.“

„Er hat meinen Vater ermordet!“ Sie riss sich los. „Macht mit mir, was Ihr wollt!“

„Ermordet? Wir haben uns nur verteidigt. Außerdem wisst Ihr gar nicht, ob Euer Vater tot ist. Er kann einfach nur verletzt sein, so wie Lord Dunstan.“ Mit dem Dolch deutete er auf den Mann auf der Pritsche. „Aber wenn Seine Lordschaft stirbt, werdet Ihr stattdessen mir gehören.“ Seine Augen wurden zu zwei schmalen Schlitzen. „Und seid versichert, dass ich Euch jeden Moment, der Euch im Leben noch bleibt, zur Hölle machen werde.“

Könnte ihr Vater noch am Leben sein? Ein winziger Funken Hoffnung glühte auf, den sie jedoch rasch wieder erstickte. Nein. Sie hatte gesehen, wie der Pfeil seine Brust durchbohrt hatte und ihr Vater leblos am Strand zusammengebrochen war. Er konnte unmöglich überlebt haben. Isabella unterdrückte ein Schluchzen.

„Wollt Ihr das?“ Matthew beugte sich näher zu ihr und drängte sie in der ohnehin kleinen Kajüte in die Ecke. „Schätzt Ihr Euer eigenes Leben so wenig?“

Als sie nicht antwortete, sagte er warnend: „Wenn der Gedanke, mir zu gehören, Euch keine Angst macht, dann vergesst nicht, dass hier auf diesem Schiff noch ein Dutzend weitere Männer sind. Falls Lord Dunstan stirbt, würden sie Euch mit größter Freude leiden lassen.“

Sein ernster Tonfall machte ihr klar, dass das keine leere Drohung war. Doch es waren die Jubelschreie der Männer an Deck und das Geräusch der Riemen, die ins Schiff gezogen wurden, die ihre Hoffnung auf Freiheit zunichtemachten. Sie hörte, wie das Segel gesetzt wurde. Die Leinwand blähte sich, als der Wind sie füllte und das Schiff immer weiter von zu Hause fortbrachte. All das verlieh dieser Drohung nur noch mehr Nachdruck.

Ihr Wunsch, unversehrt und am Leben zu bleiben, war stärker als die Sehnsucht, sich ungehindert ihren Tränen und dem Kummer hinzugeben. Also gehorchte sie schließlich und trat zu dem Mann auf der Pritsche.

Matthew hatte seinem Herrn mit dem Dolch die Kleider vom Leib geschnitten. Isabella starrte auf das Blut, das Dunstans Brust und die Decke bedeckte. Wie ihr Vater hatte auch er kein Kettenhemd getragen, sodass sein Körper ein leichtes Ziel für jeden Pfeil gewesen war. Wenn sie nichts unternahmen, würde er vermutlich verbluten.

Der Gedanke, dass dieser Mann sterben könnte, beunruhigte sie nicht im Geringsten. Er hatte nichts Besseres verdient. Aber wenn er starb, solange sie hier auf dem Schiff waren … was würde dann mit ihr passieren?

Nein. Darüber durfte sie jetzt nicht nachdenken. Sie würde Matthew helfen, seinen Herrn zu versorgen. Dieser Schurke musste am Leben bleiben. Isabella würde dafür sorgen, dass er schon bald wieder gesund und munter war. Wie sollte sie sich sonst an ihm rächen können?

Entschlossen richtete sie sich auf. „Was soll ich tun?“

„Ich habe ihm bereits einen Schlaftrunk verabreicht.“ Matthew legte die Hand an den Pfeilschaft, der immer noch in Dunstans Schulter steckte. „Jetzt müsst Ihr mir helfen, ihn aufzurichten und festzuhalten.“

Isabella erschauerte. Sie hatte schon oft zugesehen, wie ihre Mutter mit einer Löffelsonde Pfeilspitzen aus Wunden geholt hatte, den Pfeil ganz durchgeschoben oder den Schaft abgebrochen und die Spitze im Körper gelassen hatte. Trotzdem wurde ihr allein beim Gedanken daran schlecht.

Einfach herausziehen konnten sie den Pfeil nicht, dazu war er zu tief in Dunstans Körper eingedrungen. Ohne ein Werkzeug, mit dem sie die Spitze herausholen konnten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Schaft von der Spitze zu lösen und diese im Körper zu lassen. Oder sie trieben den Pfeil weiter durch den Körper und mussten hoffen, dass er dabei heil blieb und keinen weiteren Schaden anrichtete. Zum Schluss würden sie den Schaft absägen und die Pfeilspitze entfernen.

Egal, was sie unternahmen – einer von ihnen musste Dunstan festhalten und verhindern, dass er vor Schmerzen um sich schlug, während der andere die Pfeilspitze freilegte.

Isabella bezweifelte, dass sie kräftig genug wäre, um ihn bändigen zu können, trotzdem war ihr diese Aufgabe lieber. Die andere war ihr zu grausig. Außerdem gab es niemanden, der sie beschützen würde, falls sie die Behandlung verpfuschte und Dunstan starb. Gott allein wusste, was die Mannschaft dann mit ihr anstellen würde.

Zitternd schob Isabella die düsteren Bilder beiseite. Sie atmete tief ein und kniete sich auf das Bett, um Dunstans Oberkörper abzustützen. Zusammen drehten sie den Verletzten auf die Seite, sodass sein Bauch und sein Brustkorb gegen ihre gebeugten Knie gedrückt wurden.

Matthew träufelte Dunstan noch mehr Elixier aus einer kleinen Flasche in den Mund. Falls er den Saft des Schlafmohns verwendete, könnte er seinen Herrn in den ewigen Schlaf schicken. Trotzdem würde man ihr die Schuld an seinem Tod geben.

„Seid Ihr bereit?“

Sie nickte, dann beugte sie sich über Dunstan, um ihn mit ihrem Körper zu fixieren, und sagte: „Beeilt Euch.“

Zu ihrer Erleichterung zuckte Dunstan nur einmal zusammen, als der Mann den Pfeilschaft packte. Er entspannte sich sofort wieder, als wüsste er, dass Matthew es dadurch leichter hatte.

Isabella dagegen konnte sich nicht entspannen. Sie verkrampfte sich und rechnete jeden Moment damit, dass Dunstan wild um sich schlagen würde, um dem Schmerz zu entkommen, den er ohne Zweifel empfinden musste.

Sie hoffte, dass der Schmerz unerträglich wäre und dass er ebenso sehr leiden musste wie sie. Etwas Besseres hatte er nicht verdient. Doch irgendwie schaffte er es, den Schmerz zu ertragen, während Matthew ihm den Pfeil durch die Schulter trieb, bis die Spitze am Rücken wieder austrat, den Schaft abbrach und dann beide Teile der Waffe aus Dunstans Körper zog. Isabella spürte, wie Dunstan sich erst anspannte und dann unter ihrem Körper erschlaffte. Sein Atem ging stockend und unregelmäßig, doch er leistete keinen Widerstand. Sie hätte nicht sagen können, ob er schlief, ob die Medizin so schnell wirkte oder ob seine Selbstbeherrschung stärker war als bei den meisten Menschen.

Die Prozedur war rasch vorbei, doch als Isabella von der Pritsche aufstehen wollte, hielt Matthew sie auf. „Wartet. Ich muss die Wunden noch nähen.“

Sie riss ihm die Nadel aus der Hand. „Wollt Ihr ihn umbringen?“

„Sonst verblutet er.“

Isabella musterte Dunstan. Sie hatte anfangs dasselbe gedacht, doch der Pfeil hatte ihn ziemlich weit oben, direkt unterhalb der Schulter getroffen. Mit dem Rock ihres Unterkleides wischte sie das Blut weg, dann schüttelte sie den Kopf. „Die Blutung hat bereits nachgelassen, und ich glaube nicht, dass er verbluten wird.“ Sie musterte Matthew scharf. „Aber wenn Ihr die Wunde jetzt verschließt, könnte sie eitern, und das wäre sein Tod“, erklärte sie.

„Und was schlagt Ihr vor?“

„Habt Ihr Wachs?“

Als er den Kopf schüttelte, sagte sie: „Aber Ihr habt doch gewiss etwas Wein und Schafgarbe oder Spitzwegerich zur Hand. Und etwas Stoff.“

Dies hier waren Krieger, und die hatten oft heilende Kräuter bei sich. Schafgarbe und Spitzwegerich waren dafür bekannt, Blutungen zu stillen und die Heilung zu beschleunigen.

Matthew drehte sich um und wühlte in einem Bündel in der Ecke der Kajüte, bis er sich mit einem Weinschlauch und einem sauberen Stück Stoff wieder an sie wandte.

Isabella zögerte. „Keine Kräuter?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Geht und fragt die anderen.“

Ihr Befehl hatte nur eine hochgezogene Braue zur Folge. Isabella runzelte die Stirn, bis ihr dämmerte, warum der Mann zögerte.

„So gerne ich es auch täte …“, mit einem Nicken deutete sie auf Dunstan, „… ich werde ihm nichts antun.“

Als er sich immer noch nicht rührte, fügte sie hinzu: „Ich will, dass er gesund und vollkommen bei klarem Verstand ist, wenn ich ihm sein schwarzes Herz mit einem alten, rostigen Löffel herausreiße.“

Es war ein Versuch, die Stimmung ein wenig aufzulockern. Dabei entsprachen ihre Worte der Wahrheit – fast. Sie würde sein eigenes Schwert benutzen, keinen Löffel.

Doch ihr Versuch schlug fehl. Matthews Lippen bogen sich ein wenig nach oben, doch er schüttelte den Kopf.

Und jetzt?

Ihre Mutter würde die Wunde mit dem Wein auswaschen und sie dann mit Wachs offen halten, damit weiteres Blut ungehindert abfließen konnte. Sobald keine Flüssigkeit mehr austrat, würde sie das Wachs entfernen und die Wunde vernähen oder ausbrennen, um sie zu verschließen.

Doch der Talggestank der Lampe hatte ihr schon längst verraten, dass es hier auf dem Schiff kein Wachs gab. Und sie wusste nicht, was sie sonst benutzen sollte.

„Was habt Ihr vor?“, fragte Matthew.

„Ich kann die Wunden nur säubern und verbinden. Dafür brauche ich etwas Wasser, bitte.“ Als der Mann nach einem Krug auf dem kleinen Tisch griff, berichtigte sie ihre Anweisung. „Frisches Meerwasser.“

Sie wusste nicht, wie man diese Dinge auf Dunstan Island handhabte, aber ihre Mutter hatte immer Meerwasser genommen, um Wunden zu säubern. Sie behauptete, damit würden sie schneller heilen.

Matthew musterte sie aufmerksam, dann verließ er die Kajüte.

Während er fort war, goss Isabella Wein über Dunstans Schulter und wischte das restliche Blut mit dem sauberen Tuch ab.

„Hier.“ Ein Eimer landete scheppernd neben ihr auf dem Boden. Eiskaltes Wasser spritzte über den Rand und durchnässte ihre bereits durchgeweichten Schuhe. Sie begann zu zittern.

Sobald sie die Haut um Dunstans Wunden, so gut es ging, gereinigt hatte, blies sie gegen ihre eiskalten Finger und fragte: „Gibt es hier noch ein Hemd oder so etwas?“

„Nein.“

Sie schaute auf die Waffe, die Matthew an seinem Gürtel trug. „Dann brauche ich Euren Dolch.“

Er machte kurz große Augen, ehe sie erneut zu schmalen Schlitzen wurden. „Wofür?“

Sie hatte ihm doch bereits erklärt, dass sie Dunstan erst töten würde, wenn er wieder gesund war. Glaubte er ihr etwa nicht? Isabella seufzte. „Ich muss seine Wunden verbinden. Dafür brauche ich Stoffstreifen.“ Sie umfasste den Saum ihres Unterkleids. „Hiervon.“

Matthew zögerte, doch schließlich zog er seine Waffe aus der Scheide und reichte sie ihr widerstrebend.

Isabella stand auf und hob ihre Röcke an, nur um sie wieder fallen zu lassen, als der Mann nach Luft schnappte. Sie starrte ihn verärgert an.

„Dreht Euch um!“, befahl sie.

Zufrieden, weil er tat, wie ihm geheißen, hielt sie kurz inne. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, und es wäre ein Leichtes gewesen, ihn zu erdolchen. Isabella seufzte abermals. Sie wusste genau, dass die anderen Männer den Tumult hören und ihm zur Hilfe eilen würden.

Sie gab ihren kurzen Tagtraum auf, zog den Saum hoch und zerschnitt den feinen Stoff. Sie musste schlucken, als sie daran dachte, dass dies ihr feinstes Unterkleid war. Dann holte sie tief Luft und riss ein großes Stück vom Rock ab.

„Jetzt müsst Ihr ihn für mich festhalten.“

Sobald Dunstan aufrecht saß, wickelte Isabella den Verband um seine Brust und den Rücken. „Fertig. Jetzt können wir nur noch warten.“

„Vielleicht solltet Ihr für ihn beten“, schlug Matthew vor, nachdem sie Dunstan wieder auf die Pritsche gelegt hatten.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte zwar, dass er wieder gesund wurde, aber für diesen Mann zu beten, kam ihr vor wie Gotteslästerung.

Isabella wollte sich gerade abwenden, doch in diesem Moment packte Dunstan ihr Handgelenk und zog sie neben sich. Sein Griff war unerwartet kräftig, und sie rang überrascht nach Luft. Sie starrte in die blaue Iris seiner geöffneten Augen. Seine Pupillen waren riesig, und der Blick war glasig vom Trank, den er bekommen hatte.

Wusste er überhaupt, was er tat? Wohl kaum, doch als sie versuchte, sich zu befreien, verstärkte er seinen Griff nur noch und drückte sich ihre Hand fest an die Brust.

Hinter ihr sammelte Matthew die dreckigen Tücher und den Eimer auf. „Ich komme bald wieder und sehe mir die Wunde an.“

„Wartet! Ihr könnt mich doch nicht so mit ihm hier allein lassen!“

„Er kann Euch doch nichts tun. Aber falls ihm irgendetwas zustößt, werdet Ihr die Folgen zu tragen haben.“ Ehe er die Tür öffnete, löschte er das Licht, dann ließ er sie auf Dunstans Pritsche in der Dunkelheit zurück.

Selbst in der völligen Dunkelheit spürte sie, dass er sie anstarrte. Ihre Gesichter waren nur eine Handbreit voneinander entfernt.

„Ich kann Euch nichts anhaben.“ Seine tiefe Stimme war leise, die Worte leicht verwaschen.

Sein Herz schlug regelmäßig unter ihrer Hand. Die Wärme seines Körpers so dicht an ihrem ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Sie konnte nicht mit ihm auf dieser Pritsche liegen bleiben. „Bitte, lasst mich gehen!“

„Zu spät.“ Dunstan lehnte seine Stirn an ihre. „Hoffentlich seid Ihr das alles wert.“

Was meinte er damit? Seine Verwundung? Isabella wollte gerade fragen, doch sein regelmäßiger Atem verriet ihr, dass ihre Frage vermutlich unbeantwortet bleiben würde.

So gut es ging, drehte sie sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit der Kajüte. Sie gab sich alle Mühe, den Mann neben sich zu ignorieren. Ehe sie es verhindern konnte, rollte ihr eine Träne über die Wange, gefolgt von einer weiteren und dann noch einer. Am liebsten hätte sie hemmungslos geweint. Die Trauer über den Verlust ihres Vaters und die Verzweiflung, weil man sie gewaltsam aus ihrem Zuhause verschleppt hatte, drohten sie zu überwältigen.

Wer würde ihrer Mutter bei ihrer einsamen, traurigen Aufgabe beistehen, ihren Vater zur letzten Ruhe zu betten? Wer würde beim Gottesdienst an ihrer Seite stehen oder ihr bei der Totenwache Gesellschaft leisten? Wer würde mitten in der Nacht für sie da sein, um die Tränen zu trocknen und die Angst vor einer ungewissen Zukunft zu lindern?

Ihre Schwester? Nein. Mittlerweile hatte Beatrice sich vermutlich in ihrer Kammer eingeschlossen, um sich ihrer eigenen Trauer hinzugeben. Es würde Tage dauern, ehe sie auch nur an ihre Mutter denken würde.

Jared? Nein. Ihr Bruder würde zu beschäftigt damit sein, Männer zusammenzutrommeln, um ihr zu folgen – und dem Mann, der ihre Familie auseinandergerissen hatte.

Jareds Frau, Lea, würde gewiss ihr Bestes geben, aber Lady Warehaven könnte es leicht missverstehen, wenn Lea ihr zu viel Arbeiten abnahm, in dem Glauben, es ihr damit leichter zu machen. Doch damit würde sie Isabellas Mutter nur verärgern. Warehaven war ihre Burg, ihr Zuhause, ihre Domäne, und sie duldete keine Einmischung, nicht einmal, wenn sie nur aus den besten Beweggründen geschah.

Was würde jetzt aus ihr werden?

Isabella hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, ihre Eltern über ihre Entscheidung in Kenntnis zu setzen, Glenforde nicht zu heiraten. Würde ihr Bruder, der neue Lord of Warehaven, die Dokumente unterzeichnen und sie in eine Ehe zwingen, die sie nicht wollte?

Unter normalen Umständen wäre die Antwort ein klares Nein gewesen. Ihr Bruder würde sie niemals zu irgendetwas zwingen. Doch dies waren keine normalen Umstände, und Isabella konnte unmöglich vorhersagen, was er tun würde.

Ihre Eltern hatten ihr das seltene Geschenk gemacht, selbst entscheiden zu dürfen, ob sie den von ihnen ausgewählten Mann heiraten wollte oder nicht. Sie kannten Isabella und wussten genau, dass das einfacher war, als sie zu einer Verlobung zu zwingen, gegen die sie rebellieren würde, egal, wie perfekt der Mann aus Sicht der Eltern für sie war.

Ein merkwürdiges Arrangement, fürwahr. Aber ihr Vater hatte aus eigener Erfahrung so gehandelt. Er war einer der unehelichen Söhne des alten Königs, und man hatte ihn gezwungen, die Tochter eines Fürsten zu heiraten, dessen Burg er erobert hatte. Gewiss, ihre Eltern hatten mit der Zeit gelernt, einander aus tiefstem Herzen zu schätzen und füreinander zu sorgen, doch Lord Warehaven wollte für seine Kinder ein anderes Schicksal. Obwohl jedermann dieses Vorgehen für vollkommen töricht hielt, ließ er seinen Kindern die Wahl. Isabella wusste, dass sie nur mit ihm über Glenforde hätte reden müssen, und die Verlobung wäre gelöst worden. Stattdessen hatte sie sich vom Zorn überwältigen lassen, als sie Glenforde mit dieser Dirne erwischt hatte, und war einfach aus der Burg gestürmt.

Und jetzt …

Jetzt war ihr Vater tot und ihre Mutter allein.

Brust und Kehle brannten ihr von dem unterdrückten Bedürfnis zu weinen, aber sie würde dem mörderischen Schurken neben sich nicht zeigen, wie viel Leid und Schmerz er ihr bereitet hatte.

Eher würde sie von diesem Schiff ins Meer springen und in den Tiefen des schwarzen, eiskalten Wassers ertrinken, als ihm die Befriedigung zu verschaffen, Zeuge ihres Kummers zu werden.

Wenn hier irgendjemand leiden würde, dann er. Richard of Dunstan glaubte, er könnte sie aus ihrem Haus rauben, ihren Vater töten und mit alldem davonkommen?

Oh nein. Nicht, solange sie noch einen Funken Leben im Leib hatte.

Sie würde dafür sorgen, dass er sich wieder vollständig erholte – und dann würde er erfahren, was echter Schmerz war.

3. KAPITEL

Das Knarren von Holz, der schwankende Boden unter ihr und das Geräusch von plätschernden Wellen ganz in der Nähe rissen Isabella mit einem Ruck aus ihren Träumen. Wo bin ich? Wieso bewegt sich mein Bett? Was ist das für ein Geräusch?

Die Erinnerung kam über sie wie ein rasender Sturm, bis sie mit klopfendem Herzen hellwach lag. Sie befand sich immer noch auf Dunstans Schiff und segelte auf seine Inselfestung zu. Eine Burg, die ihr zukünftiges Gefängnis sein würde.

Seit drei Tagen waren sie bereits auf See – es waren die längsten drei Tage ihres Lebens. Sie hatte Bußübungen geleistet, die ihr weniger mühsam erschienen waren als diese erzwungene Reise.

Der Schlaf war ihre einzige Möglichkeit, den Ängsten zu entkommen, die sie ständig plagten. Die Sorgen drohten ihr den Verstand zu rauben, bis sie vor Elend und Zorn nur noch schreien wollte. Sooft sie konnte, suchte sie Trost im Schlaf.

Isabella wusste, was ihr Herzrasen ausgelöst hatte, warum sie Mühe hatte, zu atmen, und warum ihre Hände feucht wurden. Sie wusste ganz genau, was an dieser Dunkelheit sie vor allem quälte.

Es lag nicht allein daran, dass sie jetzt eine Gefangene war und gesehen hatte, wie ihr Vater starb. Und es war auch nicht nur dieser warme Körper neben ihr auf der Pritsche.

Sie starrte in die tiefschwarze Dunkelheit der Kajüte. Obwohl sie nichts sehen konnte, spürte sie die Wände, die sie umgaben. Die Enge drohte sie zu ersticken, nahm ihr die Fähigkeit, zu denken, und die Möglichkeit, ihren gesunden Menschenverstand zu bewahren. Diese winzige, luftleere Kajüte glich eher einer Zelle als einer Kammer. Isabella wurde ständig daran erinnert, was sie auf Dunstan Island erwartete. Sie schloss die Augen und beschwor das Bild ihrer luftigen, großzügigen Schlafkammer auf Warehaven herauf. Sie konzentrierte sich, bis sie das Bild ganz klar vor sich sah. Als die Erinnerung an die frisch gepflückten Kräuter ihr in die Nase stiegen und sie die Weichheit des Kissens unter ihrem Kopf spürte, zusammen mit der Wärme der Decke, die sie umhüllte, beruhigte sich ihr Puls allmählich. Als sie sicher war, sich halbwegs im Griff zu haben, setzte sie sich auf.

Die Tür zur Kajüte wurde geöffnet, und herein strömte frische Luft – eiskalte, feuchte Böen, die sie erschauern ließen. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf den grauen Himmel kurz vor der Abenddämmerung. Matthew stand vor ihr, oder besser Sir Matthew, wie sie gestern herausgefunden hatte, als sie ein paar Männer auf dem Schiff belauscht hatte, die sich vor ihrer Kajüte unterhalten hatten.

„Habt Ihr Hunger?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, reichte er ihr einen Kanten trockenen Brotes und einen Trinkschlauch. Sie wusste, dass der Wein darin so sauer war wie der Saft von unreifen Trauben.

Sie begann zu zittern. Unter der Decke war es so warm gewesen, dass dieser kalte, beißende Wind einen harten Kontrast bildete.

Nein! Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Sie stellte das angebotene Mahl auf den Boden, drehte sich zu Dunstan um und riss ihm die Decke von der Brust.

„Was ist los?“ Sir Matthew war sofort neben ihr, drängte sie beiseite und stellte sich schützend vor Dunstan wie eine Mutter vor ihr krankes Kind.

„Ich bin mir nicht sicher.“ Sie legte Dunstan die Hand auf die Stirn und dann auf die Wange. Sie unterdrückte einen Fluch, als sie die unnatürliche Hitze seiner Haut spürte. „Bringt die Lampe her!“, befahl sie.

Zu ihrer Überraschung tat Sir Matthew, was sie verlangte, und hielt die Lampe über die Pritsche. Das Licht fiel auf den geröteten, schweißnassen Dunstan.

Sir Matthew fluchte ebenfalls. „Wie lange geht das schon so?“

„Als ich das letzte Mal nach ihm gesehen habe, ging es ihm noch gut.“

„Und was wollt Ihr jetzt machen?“ Echte Sorge sprach aus seiner Frage.

Isabella hob den Kopf. „Gebt mir einen Moment zum Nachdenken.“

„Seine Wunde hat sich wahrscheinlich entzündet.“

Das war offensichtlich, doch diese Feststellung allein brachte sie nicht weiter. „Holt mir ein Messer und lasst heißes Wasser zubereiten. Findet etwas Stoff, den ich für einen frischen Verband verwenden kann. Und wenn niemand an Bord irgendwelche Heilkräuter hat, dann müssen wir sofort den nächsten Hafen anlaufen.“

„In zwei oder drei Tagen erreichen wir Dunstan Island.“

Sie drehte sich um und starrte ihn an. „Bis dahin könnte er tot sein.“

Matthew warf ihr seinen Dolch zu, stellte die Lampe auf einen Schemel neben der Pritsche und verließ die Kammer ohne ein weiteres Wort.

Isabella wandte sich ihrer Aufgabe zu – Dunstan am Leben zu erhalten, damit er durch ihre Hand sterben konnte. Zu einem Zeitpunkt, den sie wählte, und auf eine Weise, die ihr gefiel. Sie kniete sich über ihn, schob den Dolch unter den Verband, bereit, den Stoff zu durchschneiden. Dann zögerte sie. Was für ein Anblick würde sich ihr bieten?

„Könnt Ihr Euch nicht entscheiden?“

Sie erschrak, denn es war das erste Mal seit drei Tagen, dass sie ihn sprechen hörte. Sie sprang auf und streifte dabei seine Brust mit der Dolchspitze.

Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. „Ich ziehe es vor, am Wundbrand zu sterben, vielen Dank.“

Isabella sah Dunstan an. „Ihr seid wach.“

Aus blutunterlaufenen Augen starrte er sie an, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Und für einen Moment, einen sehr kurzen Moment, wünschte Isabella, sie hätten sich unter anderen Umständen kennengelernt.

Mit dem festen Kinn, der leicht schiefen Nase, den geraden Zähnen und einer vollen Unterlippe brauchte dieser Mann nur ein Bad, frische Kleidung und einen Barbier, um das zu sein, was ihre Schwester Beatrice ein schönes Mannsbild nennen würde. Eine Beschreibung, die ein leises zustimmendes Lachen bei Isabella hervorgerufen hätte. Weder das verblassende Veilchen am Auge, das sie ihm verpasst hatte, noch die kleine Scharte an seiner Wange von seinem Sturz minderten die mehr als ansehnliche Erscheinung.

Und seine Stimme … Oh, wie diese tiefe, heisere Stimme ihre Ohren liebkoste, ehe sie noch tiefer drang und ihre Seele berührte. Selbst die frömmste Frau würde jeden Gedanken an Moral und Keuschheit verwerfen, sobald sie nur ein Wort aus seinem Mund hörte.

Dunstans Brauen hoben sich, als wüsste er, in welche Richtung ihre Gedanken sich bewegten, und Isabella spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss – aus Verlegenheit, Scham und einer gehörigen Portion Selbstverachtung.

Herr im Himmel, was dachte sie sich nur dabei?

Der Mann war nichts anderes als ein wilder Barbar. Er hatte sie entführt, und er war für den Tod ihres Vaters verantwortlich. Und jetzt saß sie hier wie ein betörtes Mädchen und vertat ihre Zeit damit, sein Mördergesicht zu betrachten und seiner Stimme zu lauschen?

„Ihr seid immer noch hier.“

Isabella blinzelte verwirrt. „Wo sollte ich sonst sein, wenn Sir Matthew mich daran hindert, von Bord zu springen?“

Autor

Denise Lynn
<p>Als große Verfechterin ihrer Träume und dem Glauben an ein Happy End, lebt Lynn Denise mit ihrem Ehemann und einem Streichelzoo, bestehend aus einem Hund und sechs Katzen im Nordwesten Ohios. Denise las Bücher bevor sie Fahrrad fahren konnte. Sie lernte deswegen sehr früh, wenn ein Buch nicht leicht zu...
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