Entführt von einem Earl

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Tobias Spenlow, Earl of Worsley, kann seinen Irrtum nicht fassen. Als er sich die junge Dame in der Herberge über die Schulter geworfen und sie in seine Kutsche verfrachtet hat, war er ganz sicher, diejenige erwischt zu haben, mit der sein Mündel durchbrennen wollte. Doch nun steht eine unbekannte Schönheit vor ihm, die unschuldige Gouvernante Dorothy! Dummerweise hat Tobias durch sein ungestümes Eingreifen ihren Ruf ruiniert. Als Gentleman muss er ihr anbieten, sie zu heiraten, um seinen Fehler wiedergutzumachen. Und noch während der Antrag über seine Lippen kommt, spürt der Earl, dass er sich mehr wünscht als nur eine Ehe aus Pflichtgefühl …


  • Erscheinungstag 21.11.2023
  • Bandnummer 634
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520232
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dorothy Phillips reckte das Kinn, als sie die Hand auf die Klinke zum Kaffeesalon des Gasthofs „Blue Boar“ legte. Wenn sie Gouvernante werden wollte, würde sie sich daran gewöhnen müssen, wie jetzt allein zu reisen. Und wer immer sonst noch in diesem Gasthof über Nacht bleiben mochte, um am nächsten Morgen die Anschlusspostkutsche zu erreichen, mit dem würde sie einfach fertigwerden müssen.

Und sollte sich jemand als auch nur ein wenig unangenehm entpuppen, konnte sie immer noch jenen vernichtenden Blick anwenden, den sie im Umgang mit Gerry Benson – ihr ungebärdigster Schüler in der Dorfschule, in der sie bis vor ein paar Wochen zu unterrichten pflegte – zur Genüge hatte perfektionieren können. Unzweifelhaft hatte früher am Tag dieser Blick hervorragend bei einem jungen Stutzer gewirkt, der den Kutscher hatte überreden wollen, ihm eine Weile die Zügel zu überlassen.

Ja, rief sie sich ins Gedächtnis, wenn sie mit solchen wie Gerry Benson und unternehmungslustigen jungen Herren mit mehr Geld als Verstand fertigwurde, konnte sie gewiss auch mit eventuellen Gästen des Kaffeesalons fertigwerden.

Und so kam es, dass sie mit ziemlich entschiedener, wenn nicht gar strenger Miene die Tür öffnete und eintrat.

Das junge Pärchen, das, die Köpfe eng zusammengesteckt, auf der Bank neben dem geöffneten Fenster saß, sprang jäh auf die Füße. Das Mädchen kreischte auf, wurde totenbleich und fiel in Ohnmacht.

Der junge Mann hatte entweder ein fantastisches Reaktionsvermögen, oder es war für ihn eine alltägliche Erfahrung, dass seiner Gefährtin bei der geringsten Aufregung die Sinne schwanden, denn er fing sie geschickt auf, ehe sie auf dem Boden aufschlug.

Dorothy war seit Langem daran gewöhnt, als beeindruckend wahrgenommen zu werden, doch nie zuvor hatte einem Fremden ihr bloßer Anblick genügt, um bewusstlos zu werden.

Ganz kurz überkam sie der überwältigende Drang, sich zu entschuldigen, weil sie das zarte, bleiche Mädchen erschreckt hatte, bevor sich ihr gesunder Verstand zurückmeldete. Sie hatte nichts getan, als den Raum zu betreten, in dem, wie der Wirt ihr gesagt hatte, ihr und den anderen Reisenden bald das Nachtmahl serviert werden würde. Weder hatte sie ein Messer oder eine Pistole geschwungen noch sonst irgendwie drohende Gebärden gemacht.

Der Jüngling, der auf das hübsche Geschöpf in seinen Armen niederblickte, hob schließlich den Kopf, wobei ihm eine glänzende braune Locke kunstvoll über Stirn und Augen fiel. Augen mit einem Ausdruck, der Dorothy nur allzu vertraut war. Der Ausdruck eines männlichen Wesens, das keine Ahnung hatte, was zu tun war, und von ihr erwartete, eine Lösung zu finden.

Sofort fühlte Dorothy sich besser. Sie mochte unbeabsichtigt der Grund für die Ohnmacht des Mädchens sein, doch nun konnte sie tun, was sie am besten beherrschte. Nämlich sich der Lage annehmen.

„Legen Sie sie flach auf den Boden“, befahl sie und eilte hinzu.

Der junge Mann tat wie ihm geheißen und legte das Mädchen sanft nieder. Dorothy kniete sich neben es, löste zuerst einmal die Bänder seines Hutes und fächelte es dann, da es kein Lebenszeichen von sich gab, mit der Kopfbedeckung.

„Ich würde ihr gern das Jäckchen ausziehen“, sagte Dorothy, die sich auch wohler gefühlt hätte, wenn sie sich hätte waschen und die staubige Reisekleidung hätte wechseln können. „Es ist immer hilfreich, im Falle einer Ohnmacht die Kleidung zu lockern“, erklärte sie, wobei sie sich fragte, warum das Mädchen an einem so heißen Tag so unpassend gekleidet war.

Der Jüngling errötete und wich ein wenig zurück. „Sie können nicht ... ich meine, nein, nicht hier in aller Öffentlichkeit! Jeden Moment könnte jemand hereinkommen, und ich schwor doch, ich würde sie beschützen ...“

Ich kann ihn wohl verstehen, dachte Dorothy, letztendlich, wenn ich zu Ohnmachten neigte, würde es mir auch nicht gefallen, teils entkleidet und in solch schutzbedürftigem Zustand gesehen zu werden.

„Ich habe hier ein Zimmer“, sagte sie, während sie dem Mädchen eine Hand rieb. „Glauben Sie, Sie könnten sie die Treppe hinauftragen?“ Dort, nicht mehr fremden Blicken ausgesetzt, wäre sie in der Lage, es dem Mädchen bequemer zu machen, ohne dessen Würde zu verletzen.

Der junge Mann straffte sich und streckte die Brust heraus. „Aber natürlich! Zeigen Sie mir nur, wo ich hinmuss.“

Bis er ihr hinauf in den kleinen Raum unterm Dach – etwas Besseres konnte Dorothy sich nicht leisten – gefolgt war, gab es Anzeichen, dass die jugendliche Dame zu sich kommen werde. Und gerade, als er sie auf die schmale Bettstatt legte, schlug sie die Augen auf.

„Gregory! Was ist ...“ Aufgeregt sah sie umher. „Wohin hast du mich gebracht?“

„Diese Dame“, erklärte der junge Mann, der anscheinend Gregory hieß, „hat sich freundlicherweise erboten, ihr Zimmer zur Verfügung zu stellen, als du ohnmächtig wurdest.“

„Miss Phillips“, warf Dorothy zuvorkommend ein, da sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich vorzustellen.

„Ohnmächtig? Wie beschämend“, sagte das Mädchen angewidert. „Ich werde nie ohnmächtig. Das tun nur ganz hasenherzige Frauenzimmer.“

Ob dieser geäußerten Empfindung mochte Dorothy sie schon viel besser leiden, denn die ähnelte genau dem, was sie selbst unter solchen Umständen gesagt hätte.

„Wenn man vielleicht nicht ausreichend gegessen und getrunken hat, kann gewiss jeder nach einem anstrengenden Tag schon einmal von Hitze und Erschöpfung überwältigt werden“, meinte sie. „Was auch völlig verständlich ist, denn vom Reisen in der Kutsche wird manchen Leuten übel, selbst wenn sie eine kräftige Konstitution haben.“

„Das stimmt, Pansy, Liebes“, meldete Gregory sich zu Wort. „Du hast den ganzen Tag nichts gegessen.“

„Nun, dem lässt sich leicht abhelfen“, erklärte Dorothy. „Junger Mann, Sie können sich nützlich machen. Gehen Sie hinunter, und bestellen Sie erst einmal Tee und Butterbrote, während ich es ... Pansy, nicht wahr?“ Das Mädchen nickte. „... etwas behaglicher mache.“

„Oh, aber ...“ Pansy machte Anstalten, sich aufzusetzen.

„Nein!“, wehrte Dorothy entschieden ab „Hier oben werden Sie sich viel wohler fühlen. Bleiben Sie eine Weile liegen, und essen Sie ein wenig. Hier ist es viel kühler als in dem stickigen Kaffeesalon. Sobald ich vorhin heraufkam, öffnete ich nämlich Fenster und Tür, um Durchzug zu machen.“

„Ja, diese Brise ist angenehm“, gab Pansy zu, „aber ...“

„Liebling, hier oben ist es für dich viel besser.“ Gregory sprach ziemlich nachdrücklich. „Nicht unter fremden Augen wie unten in den Gasträumen.“

Sofort sank Pansy zurück in die Kissen, wobei sie Gregory anbetend anschaute. Er erwiderte ihren Blick mit solcher Hingebung, dass im Raum eine Spannung vibrierte, die Dorothy als recht peinlich empfand.

„Ich ... ich hätte nicht gedacht, dass es heute so heiß sein würde“, äußerte Pansy verlegen, nachdem Gregory gegangen war und Dorothy ihr half, aus diversen Lagen Kleidung zu schlüpfen. „Oder dass so viel schiefgehen würde. Wir wollten heute viel weiter als bis hierher kommen, doch zuerst schien etwas mit einem der Pferde zu sein, dann gab es dafür keinen Ersatz, und obendrein stimmte etwas mit dem Zaum nicht oder ... oder mit den Rädern ...“, ergänzte sie vage. „Und dann bekam ich solch schreckliches Kopfweh, dass Gregory sich weigerte, auch nur eine Meile weiter zu fahren, obwohl wir noch nicht gänzlich aus der Reichweite von ...“ Sie brach mit solch schuldbewusster Miene ab, dass Dorothys Verdacht bestätigt wurde, den sie beim Anblick des jungen Paars vom ersten Augenblick an gehegt hatte. Wenn die beiden nicht durchgebrannt waren, wollte sie ihren Hut verspeisen.

Sie verschluckte die scharfe Bemerkung, die sie gern gemacht hätte, denn es war klar, dass das Mädchen schon genug litt. „Sie haben Kopfweh? Dagegen habe ich ein Mittel in meinem Gepäck“, sagte sie, war mit einem Schritt bei ihrem großen Reisekorb, der in dem engen Raum zwischen Bett und Fenster stand. Dann fischte sie den Schlüssel aus ihrem Retikül und öffnete das Schloss.

„Sehen Sie, ich bin auf dem Weg, eine Stellung als Gouvernante anzutreten“, erklärte sie, während sie den Deckel hob. „Und nach meiner Erfahrung werden Kinder dauernd krank oder holen sich Schrammen. Also versorgte ich mich mit jedem medizinischen Hilfsmittel, das ich bekommen konnte.“ Auch hatte sie nicht gewusst, ob sie selbst bei einem Unwohlsein einen Doktor würde herbeirufen können. Fanden Dienstherren es der Sache wert, für eine schlichte Gouvernante einen Arzt einzubestellen? Vermutlich nicht.

Das Mädchen ließ sich von Dorothy willig Hände und Gesicht mit kaltem Wasser abtupfen, trank den Kräutertee, den Dorothy mit dem vom Hausmädchen heraufgebrachten heißen Wasser aufgebrüht hatte, und vertilgte dann alle Butterbrote.

„Versuchen Sie, ein wenig zu schlummern“, riet Dorothy, während sie das gebrauchte Geschirr wieder aufs Tablett setzte. „Ich gehe hinunter und lasse Sie ganz in Frieden.“ Und will endlich mein eigenes Abendbrot zu mir nehmen, das doch gewiss gleich serviert werden wird? Sollte es jedenfalls, fand zumindest ihr knurrender Magen.

„Oh, aber Gregory ...“

„Ich würde behaupten, er wird mit Erleichterung vernehmen, dass es Ihnen nun, da Sie gegessen und getrunken haben und Ihnen nicht mehr so heiß ist, schon viel besser geht“, entgegnete sie fest.

„Das stimmt“, pflichtete Pansy ihr bei und sank in die Kissen.

Dorothy wandte sich mit einem Lächeln zur Tür, das jedoch verblasste, während sie die Treppe hinunterstieg. Wenn die beiden wirklich durchbrannten, würde sie Gregory recht deutlich ihre Meinung dazu sagen. Nur ein ausgemachter Schuft würde ein zartes, nervöses Pflänzchen wie Pansy derart auf der Flucht durch die Gegend zerren, wenn er gewusst haben musste, dass es für sie zu viel sein würde. Und wenn ihre Eltern die Verbindung untersagt hatten, musste es dafür gute Gründe geben. Vielleicht war das Mädchen sehr reich? Ihre Kleider entsprachen der neuesten Mode und waren von guter Qualität, wenn auch für die Jahreszeit viel zu warm. Ja, so musste es sein. Vermutlich war Gregory ein Glücksritter. Das Aussehen danach hatte er gewisslich, und dazu das zärtlich-schmeichelnde Betragen, das ein solcher einer Erbin erweisen würde, sofern denn Pansy eine war.

Als sie im Kaffeesalon ankam, wo Gregory, Nägeln kauend, besorgt auf und ab lief, war sie schließlich so zornig, dass sie ihm auf seine ängstliche Erkundigung nach Pansy in deutlichen Worten mitteilte, wie sie über sein Verhalten dachte.

Gregory hörte sie mit hängendem Kopf an, dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und stimmte ihr zu, dass er sich sehr schäbig aufgeführt habe, was sie vollkommen entwaffnete.

„Aber ich liebe sie so sehr, dass ich es nicht ertragen kann, sie zu verlieren“, erklärte er. „Als sie weinend zu mir kam und mich bat, sie zu retten – sie sollte die Ehe mit einem Mann eingehen, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte –, was konnte ich tun, als ihr zu versprechen, dass ich sie heiraten würde? Obwohl das bedeutete, zu Mitteln zu greifen, die ich bei jedem anderen Burschen als absolut schändlich bezeichnen würde.“

Jetzt nahm Dorothy die Situation ganz anders wahr. Anstatt um Panys willen entrüstet zu sein, tat ihr Gregory nun ehrlich leid, denn es war klar, dass Pansy trotz ihres zerbrechlichen Anscheins eines jener Frauenzimmer war, die mit ihren Schlichen nicht ganz so helle Mannsbilder um den kleinen Finger wickeln konnten.

„Nun, ich werde nichts mehr dazu äußern“, sagte sie, ging zu ihm und tätschelte ihm die Schulter, so wie sie jeden ihrer Brüder getröstet hätte, wenn er ihr gestanden hätte, in eine dumme Klemme geraten zu sein. „Ihnen ist ja schon klar, wie falsch Sie handeln, und es tut Ihnen leid.“ Genau das hätte sie in ähnlichen Umständen auch einem ihrer Brüder gesagt. Nicht dass auch nur einer von denen alt genug wäre, um ein Mädchen zu entführen, und auch nicht ansehnlich oder reich genug, als dass ein intrigantes weibliches Wesen ihn dazu würde verleiten wollen.

„Das Einzige, was mir leidtut“, sagte Gregory aufsässig, „ist, dass Pansy krank wurde, bevor ich sie in sichere Gefilde bringen konnte.“

„Sie ist nicht richtig krank. Nur ein bisschen übererregt, und sie leidet unter den Nachwirkungen der Hitze. Als ich sie verließ, ging es ihr schon viel besser. Ich glaube, wenn sie eine Zeitlang geruht und ein anständiges Mahl eingenommen hat, wird sie wieder in der Lage sein, die Reise fortzusetzen.“

„Ehrlich?“ Gregory umfing ihre Hand mit der seinen, die unangenehm verschwitzt war.

„Ehrlich.“ Sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, die er jedoch anscheinend nicht loszulassen gewillt war. „Ich werde wieder hinaufgehen und über ihren Schlaf wachen ...“, erklärte sie, da von dem Abendessen, das der Wirt versprochen hatte, immer noch nichts zu sehen war, „... damit Sie wegen der Reparatur Ihrer Kutsche nachfragen können, die, wie ich hörte, wohl einiger Handgriffe bedarf.“ Abermals suchte sie – vergeblich –, ihre Hand aus dem erstaunlich festen Griff des Jünglings zu ziehen.

„Sie sind ein Engel“, flötete er in schmelzenden Tönen, hob ihre Hand an seine Lippen und drückte einen Kuss darauf. „Wenn in Zukunft jemand von Engeln spricht, werde ich immer Ihr Bild vor Augen haben, erhoben über uns mindere Sterbliche, mit vor gerechter Empörung flammenden braunen Augen, oder voller Mitgefühl für unser Elend. Darf ich Ihren Namen erfahren? Ihren Taufnamen?“

„Dora“, antwortete sie. Dann fragte sie sich, warum sie nicht Dorothy gesagt hatte. Vermutlich, weil sie ihn irgendwie mit ihren Brüdern gleichgesetzt hatte, die ihren Namen stets liebevoll zu Dora verkürzten. Und weil Gregory durchaus ein Charmeur war, und dazu einer der impulsiven, albernen Jungen, die natürlich mit einem Mädchen durchzubrennen versuchten, das sich als Maid in Nöten darstellte. Gerade begann sich auf ihrem Gesicht ein leicht gedankenverlorenes Lächeln auszubreiten, als die Tür des Kaffeesalons so heftig aufgestoßen wurde, dass das Türblatt gegen die Wand schlug und zurückschwang. Nicht dass es weit zurückschwingen konnte, denn auf der Schwelle stand, den Rahmen gänzlich ausfüllend, der größte Mann, den Dorothy je gesehen hatte. Diese Wirkung entstand vielleicht teils wegen des Fahrmantels, den er trug, weit geschnitten und mit mehreren Schultercapes versehen. Das sandfarbene Kleidungsstück reichte dem Mann bis zu den Füßen und hatte Perlmuttknöpfe von der Größe eines Kronenstücks, was Dorothy zu der Vermutung brachte, er müsse ein Kutscher sein, der, bezecht, versehentlich durch die falsche Tür gestolpert war. Doch die Vermutung hielt nur so lange vor, bis Gregory ihre Hand fallen ließ und ein einziges Wort hervorstieß.

„Worsley!“

Der Riese von Mann musste den Kopf einziehen, um den Raum betreten zu können, was er tat, wobei er die Tür hinter sich schloss. Dabei blähte sich der Mantel, der nicht zugeknöpft war, hinter ihm und enthüllte die Art zweckdienlicher Weste, wie sie durchaus ein Kutscher tragen mochte, sowie dicke, wildlederne Reithosen und kniehohe, zerknautschte braune Stiefel, die eindeutig schon bessere Tage gesehen hatten. Von ihrem pferdeverrückten Bruder Paul hatte sie gehört, dass manche Männer die Kleidung der Kutscher nachäfften, obwohl sie ihrem Stand entsprechend klüger sein sollten. Und zu denen musste dieser hier gehören, da ihn Gregory – mit einer Miene schuldbewussten Trotzes – mit Namen angesprochen hatte.

„Ich muss wohl nicht fragen, was du hier tust“, äußerte der Mann abfällig.

„Es ist nicht das, was du denkst!“, rief Gregory.

„Es ist genau das, was ich denke“, grollte der Mann und nahm seinen Hut ab, unter dem ein üppiger Schopf völlig zerzauster strohblonder Haare hervorkam. Dann richtete er die Augen auf Dorothy. Augen, die von lebhaftem, durchdringendem Blau waren. „Obwohl ich jetzt, da ich die Kokotte endlich treffe, vermutlich genau verstehe, wie es ihr gelang, dir den Verstand zu rauben und dich zum Durchbrennen zu verführen.“

Du liebe Güte, dieser Mann schien zu denken, sie sei das Mädchen, mit dem Gregory geflohen war. Wie bloß kam er auf den Gedanken, dass sie, in ihrem tristen Aufzug als Gouvernante und in einem Alter, in dem jedermann sie als Restposten betrachtete, diesen Jungen irgendwie betört haben könnte, mit ihr durchzubrennen? Allein die Vorstellung war so albern, dass sie unwillkürlich kurz auflachte.

„Sie finden das lustig?“ Worsley trat einen Schritt auf sie zu und funkelte sie wütend an. „Dass Sie mit dieser misslichen Verbindung nicht nur das Leben meines Mündels ruinieren, sondern noch dazu auf solch heimlichtuerische Weise? Indem Sie ihn zu einem Schritt veranlassen, der ihn ganz und gar ruinieren wird!“

„Ich tue nichts dergleichen“, setzte sie an und wollte eigentlich erklären, dass sie Gregory vor nicht einmal einer Stunde erst begegnet war und dessen Vorhaben ebenso missbilligte wie der Fremde.

Doch Worsley gab ihr nicht die Gelegenheit dazu.

„Ich bin nicht von gestern“, fauchte er. „Und ich bin auch keiner, der sich von Ihrem Typ Frauenzimmer herumkriegen lässt. Ich kann es mit Ihnen aufnehmen, auch wenn mein Mündel dazu nicht imstande ist.“

Mit seiner Bemerkung richtete er ihr Augenmerk erneut auf seine Statur. Hochgewachsen wie sie selbst war, reichten ihr die meisten Männer kaum bis zum Kinn. Dieser Mann jedoch überragte sie nicht nur um mindestens eine Spanne, sondern hatte auch Schultern, breit wie ein Kaminsims.

„Also halten Sie den Mund, und sehen Sie ein, dass ich Ihre Pläne vereitelt habe.“

Größer als die meisten Männer mag er sein, doch nicht intelligenter, entschied sie prompt. Und mehr noch, er war der Typ, der meinte, er wisse alles besser, nur weil er ein Mann war, und sogar dann noch, wenn er schlicht im Irrtum war.

Na, sollte er sich zum Narren machen. Sie hatte nichts damit zu tun.

Sie hob das Kinn, warf ihm den vernichtenden Blick zu, den sie heute schon einmal sehr wirkungsvoll angewandt hatte, und gab den Versuch auf, ihm zu erklären, was hier wirklich vorging. Ihre Sache war es schließlich nicht. Es ging nur Worsley und Gregory an.

Und als komme er zu dem gleichen Schluss, wandte Worsley sich an den jungen Mann.

„Und was dich betrifft“, fuhr er ihn an, „solltest du es besser wissen! Warnte ich dich nicht vor Frauen wie dieser?“ Er machte eine Geste zu Dorothy hin. „Frauen, die einfach alles tun würden, um an einen Titel zu kommen? Um sich in die Gesellschaft einzuschleichen?“

„Also, nun schau mal“, sagte Gregory, der recht bleich geworden war und auch den Anschein, sich quasi die Lenden zu gürten, aufgegeben hatte, so als hätte er noch nie zuvor versucht, dem größeren, älteren Mann die Stirn zu bieten. Was wahrscheinlich den Tatsachen entsprach, da Worsley sich als sein Vormund zu erkennen gegeben hatte. „Du machst da einen Fehler ...“

„Nein, ich sorge nur dafür, dass du keinen machst“, entgegnete Worsley. „Noch ist es nicht zu spät, rückgängig zu machen, zu was dieses Geschöpf dich verleiten wollte. Du wirst mit mir nach London zurückkehren, jetzt, und ich werde ...“

„Nein!“ Gregory schüttelte heftig den Kopf. „Ich kann unmöglich eine wohlerzogene junge Frau allein und schutzlos in einem Gasthof zurücklassen. Meilen entfernt von jedem, den sie kennt. Und wenn du nur halb der Gentleman wärst, der sein zu sollen du mir fortwährend predigst, würdest du es auch nicht vorschlagen.“

Worsley riss die Augen auf. Schien Gregorys Argumente zu erwägen. Und nickte knapp.

„Du hast Recht. Viel besser, wenn ich selbst das freche Ding seinen Eltern zurückbringe.“

Kaum gesagt, packte er Dorothy, und ehe sie richtig wusste, was er vorhatte, hatte er sie sich wie einen Sack Kohlen über die Schulter geworfen. Eine Schulter, die, wie sie entdeckte, nicht nur breit wie ein Kaminsims war, sondern ebenso marmorhart. Und ihr die Luft aus den Lungen quetschte.

Er hatte sie hinaus in den Gang geschleppt, ehe sie noch ihre Sprache wiederfand. Oder die Geistesgegenwart, ihn mit ihren Fäusten zu traktieren.

„Was tun Sie denn bloß?“

Also, wie dumm war diese Frage? Was er tat, war offensichtlich. Und was sie tun sollte, war, zu verlangen, dass er sie absetzte.

„Lassen Sie mich sofort herunter!“, rief sie also. Vergeblich. Der Flegel schritt einfach weiter, den Gang entlang und Richtung Ausgang. Bis der Wirt sich ihm in den Weg stellte. „He!“, protestierte er. „Was machen Sie da?“

Hurra! Wenn schon Gregory nicht das Rückgrat hatte, sich Worsley zu widersetzen, fürchtete sich doch anscheinend wenigstens der Wirt nicht vor ihm.

„Ich habe nichts dafür übrig, dass so was in meinem Gasthof passiert.“

„Aus dem Weg!“, grollte der wandelnde Kaminsims. „Außer Sie wollen, dass ich Sie anschwärze und Ihren Ruf ruiniere, indem ich bekannt werden lasse, dass Sie einem Minderjährigen bei einer Entführung Beihilfe leisteten.“

„Ich bin nicht minderjährig!“, protestierte Dorothy empört, leider in Höhe der Knie des Wirts, denn mehr konnte sie in dieser Position nicht von ihm sehen, wenn sie den Kopf hob. „Herr Wirt, das wissen Sie! Das ist alles ein schrecklicher Irrtum!“ Doch die Knie des Wirts und damit der Mann selbst entfernten sich aus ihrem Blickfeld, da Worsley unbeirrt weitermarschierte.

Bis er die Tür erreichte, war Dorothy ziemlich über ihre anfängliche Verblüffung, so rücksichtslos verschleppt zu werden, hinweggekommen, doch wurde ihr ein wenig bang zumute, sodass sie endlich ernstlich zu zappeln begann, um sich aus dem Griff des Mannes zu befreien. Doch er hielt sie nur umso fester, seine Arme waren wie stählerne Klammern, und ihr wurde klar, dass er bisher nur einen Bruchteil seiner Kraft eingesetzt hatte.

„Hören Sie auf, sich zu sträuben“, knurrte er, „sonst fessele und knebele ich Sie! Denn heim nach Coventry werde ich Sie so oder so schaffen. Und davon wird mich nichts, was Sie sagen oder tun, abhalten!“

„Sie können mich nicht nach Coventry bringen“, protestierte sie, „weil ich nämlich noch nie im Leben dort gewesen bin! Ach, halten Sie doch ein, und hören Sie mir zu, Sie ... Sie dummer Klotz!“

„Ha!“, grollte er, während er den Hof des Gasthauses überquerte. „Auf Lügen von einer wie Ihnen soll ich hören? Für was halten Sie mich?“

„Für einen der ... größten Dummköpfe ... die mir zu meinem Unglück ... je über ... den Weg gelaufen sind“, stieß sie keuchend hervor, da kopfüber zu hängen zusammen mit der eisernen Umklammerung eines Kaminsimses ihr den Atem raubte.

„Ich kann ... unmöglich ... nach Coventry gehen“, wandte sie ein. Sie hatte für den nächsten Morgen einen Platz in der Postkutsche nach Edinburgh gebucht. Und was wäre, wenn sie nicht rechtzeitig einträfe, um ihre neue Stelle anzutreten? Und wie um alles in der Welt würde sie ihren Reisekorb zurückbekommen, in dem all ihre weltlichen Güter verstaut waren? Wenn auch vielleicht nicht mehr lange, da sie sie leichtsinnigerweise nicht wieder verschlossen hatte, als sie hinunterging, um mit Gregory zu sprechen, was nicht lange hätte dauern sollen, wie sie zu dem Zeitpunkt noch glaubte.

„Sie ... dummer ... Mensch!“, keuchte sie. „Sie werden ... mir alles ... verderben!“

Dann wurde ihr ein wenig schwindelig, denn Worsley wandte sich mehrmals hin und her, während er den Schlag eines Wagens öffnete. Und dann wurde ihr gänzlich benommen, als er sie jäh aufrichtete und ins Innere stieß.

Sich aufrichtend, knurrte er: „Und es geht nach Coventry!“, und trat ein Stück zurück. „Also versuchen Sie nicht länger, mir Sand in die Augen zu streuen. Ich bin nicht so ein grüner Junge wie Gregory, der sich von einer älteren, erfahreneren Frau einwickeln lässt.“

Sie wollte widersprechen, dass sie noch nie jemandem Sand in die Augen gestreut hatte, doch aus ihrem Mund kam nur ein röchelnder Laut, und dann, als sie sich aufsetzte, verschwamm alles in ihrem Kopf, und vor ihren Augen tanzten schwarze Flecke. Während der Sekunden, bis sie wieder atmen konnte und sich ihr nicht mehr alles drehte, hatte Worsley die Tür zugeschlagen und sich vermutlich nach dem zu urteilen, wie das gesamte Gefährt schwankte, auf den Kutschbock geschwungen.

Hastig rückte sie zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Und dann stellte sie sich die Szene draußen im Hof vor, wenn sie erklären würde, dass sie keine Circe war, sondern nur eine Gouvernante, die rein zufällig über die zwei Ausreißer gestolpert war, denen der Mann nachjagte.

Während die Fahrgäste wer weiß wie vieler Postkutschen interessiert gafften und lauschten! Was würde sie für ein Schauspiel bieten! Ohne Mantel oder Hut und mit wirr herabhängenden Haaren, da sich bei seiner Methode, sie in seinen Wagen zu schaffen, so ziemlich all ihre Haarnadeln gelöst hatten.

Und dann überlegte sie, was geschehen würde, wenn sie ihn schließlich von seinem Irrtum überzeugt hatte. Und wie er geradewegs zurück in den Gasthof marschieren würde, die Stiegen hinauf, und dem armen dummen Mädchen die gleiche Tortur angedeihen lassen würde wie zuvor ihr selbst.

Und was es einem solch zarten Geschöpf antun würde, das schon aus Furcht vor ihm in einen so zerrütteten Zustand geraten war – auch ohne seine tatsächliche Gegenwart. Denn deshalb fiel Pansy doch vor Schreck in Ohnmacht, als ich ins Zimmer trat, oder? Weil Worsley ihnen auf den Fersen war, argwöhnte Dorothy.

Doch dann rief sie sich in den Sinn, dass es ihre Pflicht war, die Flucht nach Möglichkeit zu unterbinden, dass sie ihre eigene Würde vergessen sollte, und dass, wenn sie auch Worsleys Methode nicht billigte, dennoch irgendjemand das Mädchen zurück zu den Eltern bringen sollte.

Und als ihr endlich all diese widersprüchlichen Gedanken durch den Kopf gegangen waren, rollte der Wagen schon.

Sie konnte immer noch hinausspringen und zurück zu dem Wirt laufen, seine Hilfe einfordern und vielleicht für irgendeine Art Gegenwehr sorgen, ehe Worsley diese Pansy richtig in Schrecken versetze ...

Doch noch während sie überlegte, hörte sie eine Peitsche knallen – offensichtlich trieb der Mann die Pferde zum Galopp an.

Und dann war ihre Chance zu entkommen dahin.

Als die Wahrheit sie mit voller Wucht in ihren schon ziemlich angeschlagenen Magen traf, presste sie entsetzt die Hände vor den Mund. Sie wurde entführt!

Entführt.

Aber ... so etwas geschah Mädchen wie ihr nicht. So etwas geschah nur Erbinnen oder regelrechten Schönheiten. Und auch das nur in Büchern.

Aber es war geschehen. Worsley hatte eine unscheinbare, altjüngferliche Gouvernante mit einem hübschen, koketten jungen Mädchen verwechselt, mit dem dieser Gregory versucht hatte durchzubrennen. Das war absurd! So absurd, dass sie unversehens nicht anders konnte, als die spaßige Seite zu sehen. Was ganz gut war, sonst wäre sie vielleicht der Versuchung erlegen, in Tränen auszubrechen. Allein der Gedanke ans Weinen wollte ihr eine Träne entlocken. Wie es ja immer war, nicht wahr? Wenn man angesichts von Schwierigkeiten erst einmal ans Weinen dachte, endete es genau mit einer Tränenflut. Und wozu war das gut? Was erreichte man damit? Nichts!

Sie schniefte kurz auf und erinnerte sich daran, dass sie schon Schlimmeres durchgemacht hatte, ohne sich in eine Gießkanne zu verwandeln. Außerdem würde sie diesem riesigen, einschüchternden Burschen gewiss nicht die Befriedigung geben zu denken, er hätte sie zum Weinen gebracht. Sie war keine schwache, zittrige Person, der nichts Besseres einfiel, als zu jammern und zu weinen, weil ein idiotischer Mann nach einem Blick auf sie einfach entschieden hatte, sie mache Jagd auf einen grünen Jungen – und wie bloß konnte er denken, dass Gregory ihr Sklave war, wenn der nicht einmal versucht hatte, sie zu verteidigen? Also, selbst der Wirt hatte heftiger protestiert, als er sah, wie Worsley sie davonschleppte.

Rasch wischte sie die einzelne Träne fort, die ihr über die Wange rann, und hielt sich eine energische Standpauke. Und verzieh sich, ihren Gefühlen ein wenig nachgegeben zu haben. Schließlich wurde ein Mädchen nicht jeden Tag herumgeschleppt wie ein Sack Kartoffeln und in Kutschen gestoßen. Da war es ganz verzeihlich, etwas erschrocken und fassungslos zu sein, vorausgesetzt, man ergab sich dem nicht gleich so weit, dass man in Trübsinn verfiel.

Sowieso gehörte sie, Dorothy Phillips, nicht zu jenen weiblichen Wesen, die je der Schwermut verfallen würden. Sie war aus härterem Holz geschnitzt.

Und das würde sie dem Burschen nur zu gern beweisen.

Sobald er sie aus diesem Gefährt herausließ.

2. KAPITEL

„Du brauchst mich nicht so vorwurfsvoll anzuschauen, Pawson“, sagte Lord Worsley, kaum dass sie aus dem Hof der Poststation hinaus waren, zu seinem Groom, der mit steinernem Gesicht neben ihm saß. „Ich habe die Pferde nur so heftig angetrieben, um unsere Fracht davon abzuhalten, dass sie abspringt, ehe wir noch vom ‚Blue Boar‘ weit genug entfernt sind. Sonst würde sie noch auf die Idee kommen zurückzurennen; und dann ginge dieses Unternehmen, sie von Gregory loszueisen, von vorn los.“

„Hmmpf“, war die wortgewaltige Antwort.

Worsley knirschte mit den Zähnen. Pawson sollte wirklich wissen, dass ich meine Tiere nie zu hart antreibe, dachte er. Nun, da er sein angestrebtes Ziel erreicht hatte, nämlich sein Mündel vom Durchbrennen abzuhalten, konnte er das Mädchen in gemächlicherem Tempo zu dessen Familie zurückbringen.

Bevor er jedoch die Pferde ein wenig zügelte, musste er erst den „Blue Boar“ so weit hinter sich lassen, dass sie es sich zweimal überlegen würde zu flüchten.

Zum Glück allerdings hatte sich der Wind, wie es im englischen Sommer öfter geschah, gedreht. Aufgefrischt hatte er schon, als sie vor dem Gasthof Gregorys entschieden modische Karriole erspähten, und nun kam er von Ost, sodass es stark abkühlte und dräuende Wolken aufzogen.

Nicht mehr lange, und es würde Worsleys Erfahrung nach heftig regnen, und dann würde sich das Mädchen gewiss nicht mehr aus der Kutsche hervorwagen. Besonders ohne schützenden Mantel und Hut. Normalerweise fand er es nicht sonderlich vergnüglich, im Regen zu fahren, doch heute Abend breitete sich ob des zu erwartenden Gusses ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Selbst wenn er es so geplant hätte, hätte es nicht besser kommen können. Da nun Miss Watling kaum noch ausreißen würde, bedeutete das, er konnte anhalten, um die Pferde zu wechseln, die er wirklich nicht weiter als bis zum „Blue Boar“ hätte scheuchen dürfen.

Nicht lange danach tauchte ein recht ordentlich wirkender Gasthof auf.

„Du kannst genauso gut die Lampen entzünden, Pawson“, sagte er, das Gespann zügelnd, bis es stillstand. Zwar blieb es normalerweise um diese Jahreszeit an einem schönen Tag bis gut neun Uhr hell, doch am heutigen Abend konnte von „schön“ nicht die Rede sein. Nach einem Blick zum Himmel nickte der Groom zustimmend. Dann aber ließ der schweigsame alte Knabe den Blick zum Wagenschlag gleiten.

„Ja, ich weiß, ich sollte auch auf sie einen Blick werfen, wenn wir schon stehen.“ Sie hatte sich sehr ruhig verhalten. Und obwohl es alles einfacher gemacht hatte, war es doch, bei näherer Überlegung, nun ein wenig irritierend. Er hatte erwartet, sie werde mehr Theater machen. Um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, hatte sie jedoch weder gekreischt und gegen die Türen getreten, ja, nicht einmal laut geweint und geschluchzt, um vielleicht sein Mitleid zu erregen. Genau so nämlich hätten sich seine Schwestern verhalten, wenn er versucht hätte, ihre Pläne so gnadenlos zu vereiteln. Nicht dass je irgendjemand bei ihm damit durchkommen würde, seine Schwestern derart zu behandeln. Oder es jemand auch nur versuchen würde. Die meisten Leute würden sich hüten, ihm – oder einem seiner Angehörigen – querzukommen.

Vielleicht hatte sie sich deshalb endlich bemüht, sich zusammenzunehmen. Gregory musste ihr das eine oder andere über ihn erzählt haben, sonst wäre sie nicht so sicher gewesen, dass er ihnen nie zu heiraten erlauben würde. Selbst hier jedoch, im Hof eines Gasthauses, unternahm sie nicht das Mindeste, wenn sie doch vielleicht, indem sie eine gewaltige Szene machte, jemanden würde überzeugen können, ihr zu Hilfe zu kommen.

Sie hatte keinen Versuch unternommen, den Wagenschlag zu öffnen und fortzulaufen. Hatte nicht einmal das Fenster heruntergelassen und den Kopf hinausgestreckt, um ihre Lage zu beurteilen.

Ganz plötzlich überkam ihn grässliche Angst. War er zu weit gegangen, als er ihr drohte, sie zu fesseln und zu knebeln? War sie ob seiner Drohung ganz von Sinnen? Lieber Gott, hoffentlich ist sie nicht ohnmächtig geworden! Was um Himmels willen würde er mit einer bewusstlosen Frau anfangen? Wie zum Teufel konnte er sie in einem solchen Zustand ihren Eltern übergeben?

Er hatte entschieden das Gefühl, ihm werde übel mitgespielt. Gewiss musste sie doch wissen, dass er diese Drohung nie wahr gemacht hätte? Nie würde er einer Frau gegenüber gewalttätig werden. Er hatte es nur gesagt, damit sie gar nicht erst auf den Gedanken kam, sich ihm zu widersetzen. Allein seine Größe hätte sie davon abhalten müssen. Die genügte, um die meisten Gegner in die Flucht zu schlagen, ohne dass er auch nur einen Finger krümmen musste.

Aber diese Situation war anders, oder? Stürmische Gefühle waren im Spiel. Sie war wütend gewesen, weil er sie eingeholt und ihre Pläne durchkreuzt hatte. Er war wütend gewesen, weil sie Gregory so weit gebracht hatte, all die Prinzipien aufzugeben, die ihm kostbar sein sollten. Und als ein Geschöpf, das sich als völlig skrupellos erwiesen hatte, konnte sie durchaus annehmen, dass anderen – wie ihm selbst zum Beispiel – ebenfalls jedes Mittel recht wäre, um ein Ziel zu erreichen.

Aber er war nicht ...

Er hatte nicht ... Er würde nicht ...

Nein, er hatte nicht mehr getan, als zu demonstrieren, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Und ja, vielleicht hätte er diese Drohungen nicht ausstoßen sollen, besonders, da er sie nie ausgeführt hätte, aber in der Hitze des Gefechts hatte er einen Moment das Gefühl gehabt, er werde so ziemlich alles tun, um dieser schmutzigen Episode ein Ende zu bereiten. Er hätte einfach nicht untätig zusehen können, wie Gregory sich sein Leben mit einem Mädchen ruinierte, das nun wirklich in jeder Hinsicht unpassend war.

Ich habe das Richtige getan. Ich tue das Richtige. Auch wenn meine Methode ein bisschen ...

Er befahl seinem Gewissen, sich zurückzuhalten, biss die Zähne zusammen, riss den Wagenschlag auf und beugte sich hinein, wobei er halb erwartete, eine leblose Gestalt am Boden hingestreckt zu sehen.

Doch weit davon entfernt! Das Watling-Gör saß kerzengerade, sein Retikül auf dem Schoß, die Arme um die Taille geschlungen.

„Versuchen Sie nicht einmal, zu flüchten“, warnte er.

Giftig blitzte sie ihn an. „Ich bin nicht blöde. Ohne Mantel oder Hut, ohne Gepäck und mit einer Frisur wie ein struppiges Vogelnest würde mir niemand auch nur Guten Tag wünschen. Außerdem waren Sie es, der fand, er wisse, was mit mir zu tun sei. Also sind Sie für mein Wohlergehen verantwortlich. Und da wir schon dabei sind – denken Sie, Sie könnten eine Wolldecke für mich besorgen? Es wird ziemlich kühl.“

Von leichter Scham erfasst umkrampfte er unwillkürlich den Türgriff. Er hatte dem Befinden des Frauenzimmers keinen Gedanken geschenkt. Nur an eins hatte er gedacht: Gregory zu retten. Wenn er überhaupt an die Frau gedacht hatte, dann nur als ein Hindernis, das aus dem Weg des Jungen geräumt werden musste.

Aber sie war schließlich auch nur ein Mädchen. Und sie zitterte. Und obwohl sie sich nichts anmerken ließ, konnte er doch an der Tränenspur sehen, die über einer nicht ganz sauberen Wange verlief, dass sie wohl irgendwann geweint hatte. In Selbstmitleid hatte sie sich allerdings nicht ergangen. Herrgott, in diesem Augenblick verstand er genau, warum Gregory sich so heftig in sie verliebt hatte. Sie war doch wirklich großartig. Das hatte er schon gedacht, als er sie zum ersten Mal erblickte, während Gregory sich in einer Haltung großer Verehrung über ihre Hand beugte. Und genau da hatte er verstanden, wie es ihr gelungen war, ihn einzufangen. Als junger Bursche waren ihm viele solch ältere, erfahrene Frauen begegnet. Frauen, denen es Vergnügen bereitete, einen Jüngling in die Finger zu bekommen, bildlich wie im wahrsten Sinn des Wortes, und ihn sich zum willigen Sklaven zu machen. Sie spielten mit ihm, bis sie ihn gelehrt hatten, was sie konnten, an welchem Punkt er sie zu langweilen begann und sie sich aufmachten, um einen anderen grünen Jungen in ihr Bett zu locken.

Er wusste, welche leidenschaftliche Gefühlsstürme einen Jüngling in einer solch glühenden Beziehung durchrüttelten. Nur heiratete man solche Frauen nicht. Und Gregory würde Verantwortung zu tragen haben, wenn er den Titel erbte. Er würde eine Gattin an seiner Seite brauchen, die von Geburt an dazu erzogen worden war, sich in diesen Sphären zu bewegen. Eine Pansy Watling war dieser Aufgabe schlicht gesagt nicht gewachsen. Sie kam aus völlig anderen Verhältnissen. Die Damen der Gesellschaft würden sie schneiden, und Gregory würde zu seiner Frau halten müssen, was bedeutete, dass er all die nichtigen, doch prächtigen Geselligkeiten nicht mehr besuchen konnte, die er so sehr genoss.

Pansy. Der Name passte nicht zu ihr und hatte ihn, als Gregory in den Brechreiz erregenden Tönen von ihr gesprochen hatte, zu der Vorstellung verleitet, sie sei ein scheues, bescheidenes Veilchen.

Er hatte sich eins dieser zierlichen, nervösen weiblichen Wesen vorgestellt, das zu einem Mann aufschaute, als brauchte es seinen Schutz. Doch in Wirklichkeit brauchte sie niemanden, der sie beschützte. Diese Amazone würde jedem Mann, der das auch nur vorzuschlagen wagte, eher fest, und wahrscheinlich mit Verachtung, ins Auge schauen, als eine Schwäche zu zeigen. Er hätte wirklich wissen müssen, dass sie willensstärker war, als ihr Name nahelegte, sonst hätte sie niemals Gregorys Ehrgefühl untergraben und ihn überreden können, mit ihr durchzubrennen.

Himmel, es war nur gut, dass er ihre Pläne vereitelt hatte. Sie hätte Gregory ein elendes Leben verschafft. Während Worsley zu den Männern gehörte, die lieber offen und ohne Umschweife mit einer Frau umgingen, selbst mit einer hartgesottenen Hexe wie dieser, und nichts mehr hasste als Heulsusen, bevorzugte Gregory Frauen, die schwach und anhänglich waren und ihm das Gefühl gaben, selbst stark und mächtig zu sein.

Diese Frau hier schien stolz darauf zu sein, nichts dergleichen zu tun. Im Gegenteil. Mit einer verächtlichen Bemerkung hatte sie bewirkt, dass er, was ihm nur selten geschah, in sich zu forschen begann, und ihm wurde bewusst, dass er sich nicht gut aufführte, wie auch, dass keine seiner Schwestern je einen Fuß in eine Kutsche gesetzt hätte, einerlei für wie kurz oder lange, ohne zu erwarten, dass alles Mögliche an Bequemlichkeiten für sie bereitgehalten worden wäre.

Aber letztlich hatte er ja nicht geplant, sie in seinen Wagen aufzunehmen! Kaum war die widerlich sentimentale Nachricht gelesen, die ihm der Junge dagelassen hatte, war er zu einer wilden Verfolgungsjagd aufgebrochen, entschlossen, die Flucht aufzuhalten, komme, was wolle. Und diese Formulierung bedeutete, er konnte sich nicht leisten, Skrupeln nachzugeben, nur weil er sah, dass die Frau geweint hatte und mitgenommen schien, dennoch aber trotzig wirkte, auf eine Weise, die einem weicheren Mann zweifellos ans Herz gehen würde.

„Ich schaue, was ich tun kann“, knurrte er, dann schloss er die Tür wieder, ging zum Gepäckkasten und kramte eine Pferdedecke heraus, die er dort verwahrte, falls er einmal eins seiner Tiere im Stall eines nicht sonderlich vertrauenswürdigen Gasthofs unterbringen musste. Nicht eine seiner Schwestern würde das Ding annehmbar finden, überlegte er, während er einiges an Stroh von dem groben Stoff zupfte. Aber schließlich war es besser, wenn die Watling-Göre ein bisschen Ungemach erlitt, als wenn Gregory mit ihr ein elendes Leben aushalten musste.

Ohne ein Wort nahm sie die Decke entgegen. Worte waren auch nicht nötig. Ihr verachtungsvoller Blick sprach Bände.

Weil er mit der Route nach Coventry nicht sonderlich vertraut war und weil es nun unbestreitbar dunkelte, musste er ein Tempo anschlagen, das die Pferde wie auch sein Geschick als Kutscher nicht zu sehr forderte. Deswegen vielleicht verfiel er in die Stimmung der Selbstprüfung. Aufs Neue.

Was hatte er mit Gregory falsch gemacht, dass der es vorzog durchzubrennen, anstatt ... anstatt nach einer anderen Lösung zu suchen? Er hatte stets, so gut ihm möglich war, sein Bestes getan, um ihn richtig zu lenken, vom ersten Augenblick an, da der verwaiste Knabe in seine alleinige Obhut gegeben worden war. Vielleicht hätte er ihn auf Brinkley Court erziehen lassen sollen, mit Privatlehrern, anstatt ihn auf Internatsschulen zu schicken. Oder als seine Schwestern nach und nach heirateten, hätte er den Jungen bei der einen oder anderen mit deren eigenen Kindern aufwachsen lassen sollen.

Doch sein Gefühl hatte ihm gesagt, es sei seine ureigene Aufgabe, den Jungen zu behüten und anzuleiten, da er in nächster Linie sein Nachfolger für die Grafenwürde war. Daher hatte er Gregory in den Ferien stets zu sich nach Brinkley Court geholt, damit er sich nach und nach mit dem Land und den Menschen vertraut machen konnte, deren Geschicke er vielleicht einmal lenken sollte. Er hatte ihn die Grundzüge der Verwaltung gelehrt, ihm die komplexen politischen Gegebenheiten der Grafschaft erklärt und dafür gesorgt, dass er ein guter Reiter und Schütze wurde.

Schließlich, als er alt genug war, um die Saisons in London mitzumachen, hatte Worsley ihn den wichtigsten Leuten vorgestellt, ihn vor den schlimmsten Spielhöllen gewarnt und ihm ein paar Ratschläge bezüglich der Weiblichkeit gegeben. Sichtlich nicht genug, sonst wäre der Junge nicht einem gierigen, intriganten Frauenzimmer zum Opfer gefallen, wie dem, das nun hinter ihm in der Kutsche saß und, nach dem giftigen Blick zu gehen, den sie ihm zugeworfen hatte, als er sie wieder einschloss, wer weiß was für Rachepläne schmiedete,

Wenn er die Frauen nur besser verstünde! Oder die Menschen allgemein. Als einziger überlebender männlicher Spross und Erbe aller Güter seines Vaters war er in solch strenger Abgeschiedenheit aufgewachsen und erzogen worden, dass er sich als Knabe nur in den Ställen wohlgefühlt hatte, wo die Stallknechte ihn aufgrund seiner ausgezeichneten Reitkünste akzeptierten. Die enttäuschte er nicht, nur weil er keinen Hang zu Gelehrsamkeit hatte. Denen war es auch einerlei, dass er nicht den Wunsch hegte, wie sein Vater als Staatsmann zu fungieren, wenn das hieß, sich so schäbig aufzuführen wie die meisten Politiker, die solch niederträchtiges Gebaren anscheinend als ganz normale Methode betrachteten, um die Spitze des schlüpfrigen Masts zu erklimmen.

Er hatte gewollt, dass Gregory sich dem eigenen Wesen gemäß entwickeln konnte, anstatt dass er ihn in die Form mit dem Etikett „Earl of Worsley“ presste, denn er sollte im Umgang mit Menschen nicht so unbeholfen werden wie er selbst. Und das war nun das Ergebnis.

Was eigentlich nur Beweis für genau den Punkt war: Er verstand die Menschen einfach nicht! Nicht dass ihn das gemeinhin störte. Aufgrund seines Reichtums und seiner Position brauchte er sich nie wegen seiner Grobheiten zu entschuldigen.

Ja, er war völlig zufrieden.

Außer ...

Als ob der Himmel die Richtung seiner Überlegungen spiegelte, verdunkelte er sich stetig. Ohne einen weiteren Pferdewechsel würden sie es wohl nicht bis nach Coventry schaffen.

„Kennst du an dieser Strecke einen anständigen Gasthof, Pawson?“, fragte er daher.

Pawson grunzte. Zupfte sich am Ohrläppchen. „War nie auf dieser Strecke unterwegs, Mylord. Sie werden's drauf ankommen lassen müssen, schätze ich.“

Absichtlich reagierte Worsley nicht auf den rügenden Ton, in dem Pawson diese Feststellung zu Gehör brachte. Der Mann mochte es zu Gelegenheiten als sein Recht empfinden, seinen Ansichten Luft zu machen, doch zumindest tat er das nie hinter Worsleys Rücken. Er war absolut loyal. Weswegen er der Einzige war, den ich ins Vertrauen zog, als ich Gregorys Flucht entdeckte. Pawson würde nie irgendjemandem auch nur ein Wort über Worsleys alltägliches Tun flüstern.

Erst weit nach Mitternacht fanden sie eine Poststation mit Grooms in den Stallungen, die aussahen, als verstünden sie etwas von ihrem Handwerk. Und als sie endlich die Randbezirke Coventrys erreichten, brach schon der Tag an.

An einer Ausweichbucht an der Straße brachte Worsley den Wagen zum Stehen, sprang ab und öffnete den Schlag.

Ohne Vorrede sagte er: „Von hier an brauche ich Anweisungen, wie man zum Haus Ihrer Eltern kommt.“

„Wie interessant“, antwortete das Mädchen scharf. „Ich hoffe, Sie können jemanden finden.“

„Es wäre für Sie viel besser, wenn Sie selbst es mir sagten.“

„Glauben Sie?“ Sie schüttelte den Kopf.

„Ja. Denn sonst werde ich jemanden fragen müssen, was zu Gerede führen wird, und das, denke ich, wäre wohl das Letzte, das Sie wollen.“

Wütend sah sie ihn an. „Nicht über mich wird man reden, warum also sollte es mich kümmern? Hören Sie, Mr. Worsley ...“

„Lord Worsley“, verbesserte er, gereizt von ihrer unverdrossen trotzigen Haltung.

„Oh, ich bitte sehr um Verzeihung, Mylord. Wünschen Sie, dass ich aussteige und knickse?“

Er kam mit ihr nicht weiter. „Dann schreiben Sie sich die Folgen selbst zu“, grollte er und schlug die Tür zu.

Da schon einige Leute unterwegs waren, fand er nach Kurzem jemanden, der ihm den Weg beschreiben konnte. Trotzdem war es schon hell, als sie endlich ein Haus von beträchtlicher Größe erreichten, das stolz vom Wohlstand des Besitzers kündete. Worsleys Hoffnung, dass er das Mädchen im sicheren Schutz der Dunkelheit zurückbringen könnte, um so dessen Eskapade verborgen zu halten, war zerschlagen. Doch das war allein ihre Schuld.

Er übergab Pawson die Zügel, der sie mit einem abfälligen Laut nahm. Das kümmerte Worsley nicht. Gleich würde er dieses lästige Ding endgültig los sein. Er hatte die Flucht verhindert, Gregory vor einem schweren Fehler bewahrt und ein törichtes Frauenzimmer in den sicheren Schoß seiner Familie zurückgebracht, bevor dessen Tugend ernstlich Schaden genommen hatte. Was ihren Ruf anging ... nun, seinen Bemühungen, den zu schützen, hatte sie ständig nur getrotzt; wenn sie also wegen dieser Nacht irgendwie zu leiden hatte, dann war das kaum seine Schuld, nicht wahr? Die einzigen Menschen, die von ihrer Eskapade wussten, würden nichts sagen. Pawson konnte er vollkommen vertrauen, der würde keine Familienangelegenheiten ausplaudern. Und wenn Gregory für das Mädchen wirklich etwas übrighatte, würde er nichts verbreiten, das dessen Namen ins Gerede bringen könnte.

Daher öffnete er den Wagenschlag mit einem Gefühl, das schon Triumph nahekam, da er wusste, in wenigen Augenblicken würde er die ganze schmuddelige Episode hinter sich haben. Und was besser war – er konnte dann zurück zu dem Gasthof fahren, an dem er das letzte Gespann getauscht hatte, denn der hatte einen recht ordentlichen Eindruck gemacht, wenn auch nicht daran gewöhnt, adelige Gäste zu bewirten. Da würde er ein Zimmer mieten, ein kräftiges Frühstück zu sich nehmen und eine wohlverdiente Rast einlegen. Durchgebrannten jugendlichen Paare hinterherzuhetzen und aufrührerische Frauenzimmer zu bändigen, war anstrengend und machte hungrig.

„Hinaus mit Ihnen“, sagte er heiter, in Vorfreude auf Gasthaus, Frühstück und Schlaf.

Sie stieg aus, verharrte einen Augenblick auf dem Pflaster und betrachtete ihn mit bekümmerter Miene.

„Schauen Sie, bevor Sie sich noch lächerlicher machen als sowieso schon, sollte ich Sie warnen ...“

„Sparen Sie sich Ihre Warnungen für jemanden auf, der sie braucht“, unterbrach er sie mit sinkender Laune.

Sie schenkte ihm einen, wie sie vermutlich meinte, vernichtenden Blick, dessen Wirkung allerdings durch den Umstand verdorben wurde, dass sie eine Decke um ihre Schultern geschlungen trug, die zuvor eindeutig einem Pferd gedient hatte, und ihr das Haar wirr und zerzaust über den Rücken hinabfiel.

Autor

Annie Burrows
Annie Burrows wurde in Suffolk, England, geboren als Tochter von Eltern, die viel lasen und das Haus voller Bücher hatten. Schon als Mädchen dachte sie sich auf ihrem langen Schulweg oder wenn sie krank im Bett lag, Geschichten aus. Ihre Liebe zu Historischem entdeckte sie in den Herrenhäusern, die sie...
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