Erst Nanny, dann neue Liebe?

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Jake Travers liebt seine Unabhängigkeit über alles. Als frischgebackener Single Dad muss er allerdings über seinen Schatten springen und Millie als Nanny engagieren. Natürlich nur seiner kleinen Tochter zuliebe. Nicht weil er sich spontan zu Millie hingezogen fühlt – oder doch?


  • Erscheinungstag 21.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507202
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Millie Spencer holte tief Luft, wischte einige Chipskrümel von ihrem leichten Sommerkleid und klopfte an die Tür.

Während sie wartete, betrachtete sie die breite Veranda aus Holz, die um das gesamte Haus verlief. Bis auf ein zartes Spinnennetz in der Ecke war sie vollkommen leer. Dabei rief dieser Platz förmlich nach einer hübschen, altmodischen Hollywoodschaukel, auf der man laue Sommerabende genießen und Limonade trinken konnte, während die Welt da draußen ihrem eigenen Rhythmus folgte.

Als kleines Mädchen hatte Millie von einem Ort wie diesem geträumt. Aber in der winzigen Wohnung, die sie mit ihrer Mutter teilte, war selbst für ihre Träume kaum Platz genug gewesen.

Als noch immer niemand antwortete, trommelte Millie energisch mit den Fingerknöcheln an die Tür. Das Haus befand sich am Rande der kleinen Stadt Crimson, einem idyllischen Fleckchen Erde in Colorado auf knapp zweieinhalbtausend Höhenmetern inmitten der majestätischen Rocky Mountains.

Es lag gar nicht einmal so weit entfernt von dem hübschen, frisch renovierten viktorianischen Haus in der Nähe des Stadtzentrums, das ihre Halbschwester Olivia bewohnte.

Millie hatte es Olivia zu verdanken, jetzt hier zu sein. Oder tat sie ihr umgekehrt einen Gefallen damit?

Vor wenigen Tagen hatte Millie vor Olivias Tür gestanden – sowohl nervlich als auch finanziell ziemlich am Ende. Glücklicherweise hatten weder Olivia noch ihr Mann Logan viele Fragen gestellt, sondern Millie ohne Weiteres das Gästezimmer angeboten. Und das, obwohl sich Millie und Olivia im Grunde kaum kannten. Sie hatten denselben Vater, waren jedoch völlig unterschiedlich aufgewachsen. Ein Umstand, der anfangs für Schwierigkeiten gesorgt hatte, da beide Frauen das Gefühl gehabt hatten, mit der Liebe ihres Vaters zu kurz gekommen zu sein.

Und zu ihrer Scham musste Millie gestehen, dass sie seitdem nicht viel mehr getan hatte, als auf Olivias Couch zu sitzen, Junkfood zu essen und schlechte TV-Serien anzusehen.

Bis Olivia ihr vorgeschlagen hatte, sich bei Logans Bruder um den Job als Nanny zu bewerben. Sie hatte Millie erzählt, dass Jake vor Kurzem bei einem Unfall verletzt worden war und seitdem nicht mehr Auto fahren konnte, sodass er auf Hilfe angewiesen war.

Demnach musste Jake zu Hause sein. Oder er hatte das schöne Wetter an diesem Augusttag genutzt und war in den Park gegangen, den Millie auf dem Weg hierher bemerkt hatte.

In dem Augenblick, in dem Millie sich zum Gehen wenden wollte, wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Das goldene Nachmittagslicht fiel auf das Gesicht eines Mannes mit strahlend blauen Augen. Die gleichen blauen Augen wie Logans.

Allerdings musterte er Millie ziemlich kritisch. „Wir möchten nichts“, sagte er von oben herab. Er war viel größer als Millie, doch von seinem Körper war nichts zu sehen, weil er die Tür unnachgiebig geschlossen hielt.

„Was möchten Sie nicht?“ Millie stellte sich unwillkürlich auf die Zehenspitzen, um einen Blick über seine Schulter zu werfen. Am Ende siegte immer ihre Neugier.

„Kein Popcorn, keine Kekse oder was auch immer ihr verkaufen wollt“, sagte er schnell. Sein Blick streifte über Millies Schulter. „Wo sind deine Eltern?“

Millie blieb buchstäblich der Mund offen stehen. Entschlossen richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf. Stolze hundertachtundfünfzig Zentimeter. Hundertsechzig sogar, wenn sie hohe Schuhe trug. „Ich bin kein …“, begann sie empört, doch es war umsonst. Der Mann fluchte leise, drehte sich um und verschwand im Haus.

Millie starrte die Tür an. Er hatte sie nicht hinter sich verschlossen; daher stieß sie mit der Schuhspitze dagegen. Das Licht fiel in einen hellen Flur. „Hallo?“, rief sie, und ihre Stimme hallte leise von den kahlen Wänden.

Von Olivia wusste Millie, dass Logans Bruder erst kürzlich nach Crimson zurückgekehrt war. Bestimmt hatte er schon neue Möbelstücke bestellt. Insgeheim hoffte sie, dass vielleicht eine Hollywoodschaukel darunter war.

Plötzlich drang Lärm aus dem hinteren Teil des Hauses. Ein Poltern war zu hören, dann noch mehr Fluchen und das Weinen eines Kindes. Zunächst zögerte sie. Unwillkürlich suchte sie in ihrer Tasche nach dem Handy, um Olivia anzurufen. Doch dann wurde das Weinen lauter, gefolgt von einem erstickten Nein!

Millie konnte sich nicht länger zurückhalten. Mit schnellen Schritten durchquerte sie den Flur und betrat den Raum am Ende des Ganges.

Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um eine geräumige, helle Küche.

Eine Küche, in die ganz offensichtlich der Blitz eingeschlagen hatte.

Bei dem Anblick blieb Millie im Türrahmen stehen.

Der Raum ging in ein Wohnzimmer über, das mit seinen großen Fenstern und dem Blick in den Garten durchaus einladend aussah.

Bis auf die Tatsache, dass Millie nicht wusste, wohin sie die Füße setzen sollte. Auf dem Fußboden waren Puppen, Plüschtiere und ein Allerlei aus pinkfarbenem Plastikspielzeug verstreut. Es sah aus, als sei ein Spielzeugladen explodiert.

Hatte Jake Travers wirklich nur ein Kind? Oder einen ganzen Stall voll?

Millies Blick wanderte zur offenen Wohnküche zurück. Zwei hohe Barhocker standen ordentlich neben der Anrichte. Allerdings waren sie das einzig Ordentliche an der Küche. Über die Anrichte waren aufgerissene Cornflakes-Packungen, angebrochene Milch- und Safttüten und zwei umgekippte Frühstücksschälchen verteilt, deren Inhalt auch schon auf dem Fußboden verteilt war.

Die durchweichten Weizenflocken schwammen in einer hellbraunen Lache, die wie eine Mischung aus Schokomilch und Traubensaft aussah.

Und rechts neben der Anrichte stand Jake Travers. Er hatte Millie den Rücken zugekehrt, sodass sie seine breiten Schultern und die schmalen Hüften sehen konnte.

Er trug ein graues T-Shirt, das seinem muskulösen Körper schmeichelte, und dazu dunkle Basketballshorts, die knapp über dem Knie endeten und den Blick auf die Schiene freigaben, die er am rechten Bein trug.

Darüber trug er ein violettes Tutu.

Millie grinste. Deswegen hatte er die Tür nur einen Spalt geöffnet.

Dann bemerkte sie das plüschige Ding, das er in der ausgestreckten Hand hielt. Bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich als Hase, aus dessen nassem Fell noch mehr Traubensaftschokomischung tropfte.

Zu Jakes Füßen hüpfte ein weinendes kleines Mädchen auf und ab und versuchte verzweifelt, nach dem Plüschtier zu greifen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Millie vermutete, dass Jake mindestens eins achtzig maß.

Er war jedenfalls nicht das, was sie erwartet hatte. Nach Olivias Schilderung hatte sie mit einem invaliden Rollstuhlfahrer gerechnet – nicht mit einem durchtrainierten, hünenhaften Athleten.

Millie wich einen Schritt zurück. Doch bevor sie sich davonschleichen konnte, sah das Mädchen sie an. Sie hatte die strahlend blauen Augen ihres Vaters, so groß und leuchtend, dass sie in ihrem kleinen herzförmigen Gesicht beinahe unwirklich aussahen. Ihr Haar war dicht und glänzend und eine Nuance dunkler als Jakes, allerdings musste es mal kräftig gebürstet werden. Sie trug ein pinkfarbenes Trikot mit dazu passendem Tutu. Das perfekte Outfit für eine kleine Ballerina, das nun allerdings mit Traubensaftflecken verschmutzt war.

Millie spürte sofort eine Verbindung zu dem Mädchen.

Die Kleine hörte auf zu weinen und verfiel in einen erschöpften Schluckauf. Dann zeigte sie mit dem Finger auf Millie. „Da! Eine Fee!“

Jake Travers seufzte. Es war ihm vollkommen gleich, ob eine wahrhaftige Fee oder ein Geist ins Haus geschwebt war, solange Brooke nur aufhörte zu weinen.

Sein Blick fiel auf die Küchentür. Doch da stand keine Fee, sondern das Mädchen, das er eben noch von der Veranda verscheucht hatte.

Nur dass es sich dabei nicht um ein Mädchen handelte. Sie war eine Frau. Eine kleine, zierliche Frau mit der Statur einer Elfe, aber immerhin eine Frau. Das Licht, das auf ihr geblümtes Sommerkleid fiel und ihre sanften Kurven betonte, ließ daran keinen Zweifel.

„Ich bin Millie“, erklärte sie rasch. „Millie Spencer. Olivias Schwester. Sie und Logan haben mich geschickt.“ Sie strich sich eine Strähne ihres kinnlangen, karamellfarbenen Haars hinter das Ohr. Bei dieser Geste klingelten fröhlich die unzähligen Armreifen, die sie um das schmale Handgelenk trug.

Brooke entfuhr ein ersticktes kleines Geräusch. „Daddy! Sie glitzert!“

Jake ließ den tropfenden Hasen sinken und kniff die Augen zusammen. Millies Haut schien in diesem Licht wirklich zu schimmern.

Sie sah auf ihre blanken Arme und begann zu lachen. Es war ein fröhliches, glockenhelles Geräusch, genau wie ihre Armbänder. „Das ist meine Lotion“, sagte sie freundlich. „Sieht so aus, als hätte ich die mit Glitzer erwischt.“

Brookes Gesicht hellte sich auf. „Ich will auch Glitzer.“ Ihre Stimme hatte einen verträumten Klang angenommen.

„Logan hat dich geschickt?“ Jake verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte die Schiene am rechten Handgelenk zu verbergen. Glitzer war nun wirklich das Letzte, das er in diesem Chaos noch brauchte.

Er bemerkte, wie Millie ihre kecke kleine Nase kraus zog. „Ich dachte, Logan hätte mit dir darüber gesprochen. Er sagte, dass du Hilfe brauchst, wegen …“ Sie bewegte die Hand auf und ab, als wolle sie mit der Geste seinen Körper beschreiben. Wieder dieses fröhliche Klingeln.

Jake straffte sich. Er hasste es, dass seine Verletzungen sein gewohntes Leben beeinträchtigten. Jetzt erinnerte er sich vage daran, wie Logan gestern Abend angerufen hatte, um ihm einen Vorschlag zu machen. Er hatte davon geredet, einen Babysitter für Brooke zu finden und jemanden, der Jake zu seinen Therapiestunden chauffieren würde.

Allerdings hatte Jake nur mit halbem Ohr zugehört, weil die Tiefkühlpizza im Ofen verdächtig verbrannt roch und Brooke einen Stapel Teller gefährlich schräg balancierte.

Sein Bruder hatte es sicher gut gemeint, aber Jake wollte keine Hilfe. Zumindest wollte er auf niemanden angewiesen sein. Und schon gar nicht auf jemanden, der wie Tinker Bell aussah. „Wir schaffen das schon“, entgegnete er knapp.

Ihr Blick streifte durch den Raum, bevor er an dem Tutu um seine Hüfte hängen blieb. „Ganz sicher?“

„Wir haben getanzt“, murmelte er ärgerlich und streifte das Röckchen ab. Dann deutete er mit dem Kinn in Richtung Tür.

Natürlich brauchte er niemanden. Er war sein ganzes Leben lang auf keine Hilfe angewiesen gewesen. Und so sollte es auch bleiben.

„Ich will Glitzer“, beharrte Brooke.

Jake legte die Hand auf Brookes Kopf. „Heute nicht, Schätzchen.“ Da blieben seine Finger an etwas haften. Es fühlte sich an wie ein Klumpen Kaugummi. „Auch das noch.“ Der Gedanke, sich mit langen, verklebten Mädchenhaaren zu befassen, machte ihm Angst.

Na schön. Vielleicht musste er am Ende doch nachgeben.

Doch als er zu der Stelle sah, wo Millie eben noch gestanden hatte, war sie verschwunden.

Verdammt. Mit dem gesunden Arm hob er Brooke hoch und drückte sie an seine Brust. Mittlerweile spielte es ohnehin keine Rolle mehr, dass auch sein Shirt fleckig wurde. „Na los. Suchen wir unsere gute Fee.“

Dafür wurde er mit Brookes strahlendem Lächeln belohnt.

Millie blieb nicht stehen, als sie Jake rufen hörte.

Auch wenn Olivia der Meinung war, dass dieser Mann sie brauchte, hatte Millie nicht vor, sich aufzudrängen. Sie spürte sehr genau, wann sie nicht erwünscht war.

Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht und die frische Bergluft, die ihr schon bei ihrem ersten Besuch in Crimson so gut gefallen hatte.

Doch dann hörte sie die Stimme des kleinen Mädchens und machte den Fehler, sich umzudrehen. Sie sah Jake, der die Kleine auf dem Arm trug und versuchte, so schnell wie möglich die Verandatreppe hinabzusteigen, indem er das gesamte Gewicht auf das gesunde Bein verlagerte.

„Willst du wirklich, dass ich dir in diesem Zustand hinterherrenne?“, fragte er atemlos, als er ihren Blick auffing.

„Ich dachte, ihr schafft das schon“, bemerkte sie spitz. Trotzdem ging sie ihm entgegen.

Jake betrat die Rasenfläche. „Ich bin es gewohnt, mich um mich selbst zu kümmern. Es fällt mir nicht leicht, Hilfe anzunehmen.“

„Jeder Mensch braucht von Zeit zu Zeit Hilfe.“

Er presste die Lippen zusammen. „Ich nicht.“

In diesem Augenblick hatte Millie Mitgefühl. Sie ahnte, wie sich sein Leben gerade anfühlte. Jetzt hätte sie die üblichen Phrasen über Menschlichkeit und Hilfebedürfnis anwenden können, aber die verkniff sie sich. Immerhin hatte sie sich lange genug allein durchgeschlagen, um zu wissen, wie schwer es war, sich auf jemanden zu verlassen.

Da begann Brooke zu zappeln. Jake ließ sie herunter, und ihr Ellenbogen traf sein verletztes Handgelenk. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, ließ sich aber nichts weiter anmerken.

Brooke schlang die Arme um sein Bein und betrachtete Millie aus dieser sicheren Position heraus.

Es war ein seltsames Bild. Jake stand auf dem Rasen und blickte etwas hilflos auf das Kind, als würde er sich wundern, wie er so plötzlich zu einer Tochter gekommen war.

Millie räusperte sich.

Er sah auf. „Entschuldigung. Vater zu sein … Ist für mich noch ziemlich neu.“

Millie kniete sich auf den Rasen, um mit Brooke auf Augenhöhe zu sein. „Wie alt bist du, Brooke?“

Auf einmal war das Mädchen schüchtern. Anstatt eine Antwort zu geben, betrachtete sie ihren Plüschhasen und hielt vier Finger in die Höhe.

Jake seufzte. „Was haben Logan und Olivia über mich gesagt?“

„Nicht viel“, gab Millie zu. „Nur, dass du als Chirurg arbeitest und um die ganze Welt geflogen bist, bis du bei einem Erdbeben verletzt wurdest. Wenn ich mich richtig erinnere, war es auf einer Insel bei Haiti. Und dass du ein Kindermädchen brauchst, bis du wieder gesund bist.“

Seine Mundwinkel hoben sich im Anflug eines Lächelns. „Das ist die Kurzversion der Geschichte.“

„Hab’ ich mir gedacht.“ Millie richtete sich auf. „Hey Kleines, sollen wir deinen Hasen baden? So kann er doch nicht herumlaufen.“

Brooke hob den Blick. „Mit Seifenblasen?“

„Natürlich! Und dann darfst du zusehen, wie er trocken gewirbelt wird.“

Sie streckte die Hand aus. Zu ihrem großen Erstaunen schob Brooke ihre kleinen Finger in Millies Hand. „Na gut.“

„Fein. Zeigst du mir das Badezimmer?“ Millie kam Jake so nahe, dass sie die Mischung aus Traubensaft und Waschmittel riechen konnte, die von seinem T-Shirt ausging. „Ich würde gern die lange Version hören“, sagte sie leise.

Er nickte. Sein durchdringender Blick sandte einen Schauer über ihren Rücken. „Ich ziehe mich um, und anschließend können wir reden. Aber nicht vor Brooke.“

Er bedeutete Millie, ins Haus zu gehen, doch dann hielt er sie noch einmal auf. „Ich wollte noch sagen … danke.“

„Wofür? Ich habe noch nichts getan.“

Er beugte sich vor und flüsterte: „Meine Tochter hat in den vergangenen fünf Minuten nicht geweint. Du hast keine Ahnung, was das für mich bedeutet.“

Vielleicht wusste Millie das wirklich noch nicht, aber plötzlich war sie glücklich, diesem Fremden helfen zu können. Und auf einmal war dieser Fremde sehr … präsent.

Es war wohl besser, sich auf Brooke zu konzentrieren.

Immerhin war es lange her, seit sie das Gefühl gehabt hatte, etwas in ihrem Leben erreicht zu haben. Sie würde sich erst einmal kleine Etappen zum Ziel setzen.

„Alles wird gut, Jake“, behauptete sie.

Sie hoffte, dass es am Ende für sie beide zutraf.

2. KAPITEL

Mit seiner Verletzung brauchte Jake ungewöhnlich lange, um sich umzuziehen und frisch zu machen.

Ein Umstand, der ihn maßlos ärgerte. Vor allem, weil er auf Schnelligkeit getrimmt war. Im Lauf seiner Karriere hatte er sich Effizienz zur Hauptaufgabe gemacht. Das war sehr nützlich, wenn man als Chirurg für Miles of Medicine arbeitete, einer internationalen humanitären Hilfsorganisation, die Ärzte in die entlegensten Winkel der Erde schickten.

Er war es gewohnt, sich blitzschnell auf neue Aufträge einzulassen, seinen Koffer innerhalb weniger Minuten zu packen und alles hinter sich zu lassen, um dahin zu fliegen, wo er am meisten gebraucht wurde.

Allerdings war der Mensch, der ihn jetzt am meisten brauchte, ein kleines Mädchen. Seine Tochter.

Und es gelang ihm kaum noch, sich umzuziehen.

Ärgerlich zerrte er das Shirt über seinen Kopf und streifte ein frisches über. Auf dem Weg zur Küche hörte er Brookes zwitschernde Stimme aus dem Badezimmer. Er war froh, dass seine Schwägerin dieses Haus gefunden hatte. Dank Olivia wohnte er nun zur Miete in diesem hübsch gelegenen, geräumigen Haus – und das Beste war, dass es zwei Badezimmer gab. Eines für Brooke und eines für ihn.

In der Küche begann er mit dem Aufräumen. Als er sich bückte, um den Saft vom Boden aufzuwischen, fuhr ein scharfer Schmerz in seinen Knöchel. Manchmal reichte schon die kleinste falsche Bewegung aus.

Er schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. Als er sie wieder öffnete, stand Brooke direkt vor ihm. „Hier, riech mal, Daddy.“ Sie hielt ihm den nassen Stoffhasen unter die Nase. „Er ist wieder ganz sauber.“

Jake zwang sich zu einem Lächeln. „Wie schön.“

„Und jetzt muss er in den Trockner“, verkündete Brooke. „Und ich darf zusehen, wie er im Kreis herumtanzt.“

Millie legte die Hände auf Brookes Schultern. Sie grinste. „Ganz genau. Und inzwischen können wir uns unterhalten.“

Jake war mehr als erstaunt, dass Brooke sich darauf einließ, denn für gewöhnlich wich sie nicht von seiner Seite. Seit er sie nach Crimson gebracht hatte, hing sie an ihm wie ein Klammeräffchen und ließ ihn nur aus den Augen, wenn sie schlief.

Vielleicht war Millie Spencer eine Art Kinderflüsterer. Und so jemanden konnte er gerade verdammt gut gebrauchen.

„Du bist also Olivias Schwester“, begann er das Gespräch, als Millie zwei Minuten später in die Küche zurückkehrte. „Ihr seht euch gar nicht ähnlich.“

„Sie ist meine Halbschwester. Wir haben denselben Vater.“

„Seid ihr zusammen aufgewachsen?“

Ihr Lächeln wurde einen Hauch kühler. „Ich fürchte, wir haben nur wenige Minuten, bevor deine Tochter vom Trockner-Anschauen gelangweilt wird. Vielleicht sollten wir gleich zum Wesentlichen kommen.“ Sie beugte sich vor, um nach einem Wischlappen zu greifen. Dann begann sie mit schnellen Bewegungen aufzuwischen.

„Du musst das nicht tun.“

Ohne ihn anzusehen und ohne mit der Arbeit aufzuhören, forderte sie ihn stattdessen auf: „Erzähl mir von dir und Brooke.“

Ihr kinnlanges Haar fiel in ihr Gesicht, doch sie machte sich nicht die Mühe, es zurückzustreichen. Jake ertappte sich bei dem Wunsch, die Hand auszustrecken, um zu sehen, ob es sich genauso weich anfühlte, wie es aussah. Auch ihre Arme sahen unglaublich weich und zart aus, und die Haut war von der Sonne leicht gebräunt.

„Ich habe erst vor zwei Monaten erfahren, dass ich eine Tochter habe.“ Jetzt war es heraus. Er konzentrierte sich darauf, die Küche aufzuräumen, und war froh, dass Millie dasselbe tat. Irgendwie machte es das einfacher, darüber zu sprechen.

„Brookes Mutter war ebenfalls Ärztin. Ich lernte sie auf einer Dienstreise kennen, und dann kreuzten sich hin und wieder unsere Wege in verschiedenen Ländern. Dann verschwand Stacey.“ Mit mehr Wucht als nötig schmetterte er die Tassen in die Spülmaschine. „Vor einigen Monaten trafen wir uns schließlich wieder. Sie war mir gefolgt, auf eine Insel in der Nähe von Haiti, um mir zu sagen, dass ich eine vier Jahre alte Tochter habe. Die beiden lebten in Atlanta und Brooke wollte wissen, wer ich bin. Stacy wollte mir die Gelegenheit geben, meine Tochter kennenzulernen.“

„Das muss ein echter Schock für dich gewesen sein.“ Millie erhob sich und warf die nassen Papiertücher in den Abfalleimer. „Bitte erzähl weiter.“

Jake hasste diesen Teil der Geschichte. Alles, was er damit verband, waren Schuldgefühle. Und das schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit.

Er hatte den Großteil seiner Kindheit damit verbracht, sich hilflos und schuldig zu fühlen. Seinem Vater und dessen Alkohol-Eskapaden konnte er nichts entgegensetzen, und seinen Geschwistern war er keine Hilfe gewesen. Irgendwann war es ihm gelungen, aus seiner Heimat auszubrechen – aber er hatte seine Geschwister einfach zurückgelassen. Und das nagte seither noch immer an ihm.

Er hätte nie geglaubt, einmal nach Colorado zurückzukehren. Trotzdem war es das einzige Zuhause, das er kannte. Beide Brüder waren nach Crimson zurückgekehrt, hatten sich ein neues Leben aufgebaut und schienen hier glücklich zu sein. Trotz all der bedrückenden Erinnerungen an die Vergangenheit.

Wohin hätte er Brooke sonst bringen sollen? Insgeheim hatte er vielleicht gehofft, dass diesem Ort ein bestimmter Zauber innewohnte. Davon hatte er allerdings noch nicht viel bemerkt. Im Gegenteil. Jake fühlte sich beinahe gefangen, wenn ihn an bestimmten Straßenecken oder Häusern die Erinnerungen überkamen.

Immerhin hatten seine Brüder Verständnis für seine Situation und stellten keine Fragen, auf die er ohnehin keine Antwort gehabt hätte.

„Ich war mehr als schockiert. Kinder kamen in meiner Lebensplanung überhaupt nicht vor. Meine Arbeit ist mein Leben. Aber ich hatte gar keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Stacy und ich gerieten in Streit, und sie verließ spät am Abend mein Hotel. Wegen des Erdbebens war ich seit Tagen auf den Beinen, um Verletzten zu helfen. Ich lebte praktisch von Kaffee und hatte kaum geschlafen. Trotzdem ging ich ihr nach. Ich konnte kaum glauben, was sie mir erzählt hatte.“

Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. „Kaum war ich in ihrem Hotel, wurde die Insel von einem schweren Nachbeben erschüttert. Das Gebäude stürzte einfach ein, und Stacy wurde verschüttet.“

Millie straffte sich. „Brookes Mutter wurde getötet?“, fragte sie fassungslos.

Autor

Michelle Major

Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.

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