Falschgespielt und echt verführt

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Acht Jahre ist es her, dass ihre große Liebe zerbrach. Tana weiß, dass es ihre Schuld war, und noch immer tut es der schönen Schauspielerin leid. Nie wird Chase ihr vergeben! Doch überraschend taucht er eines Abends in ihrem Theater auf – so breitschultrig und sexy wie damals! Er verlangt, dass Tana mit ihm nach Nevada fliegt und dort für kurze Zeit seine Verlobte spielt. Sie lässt sich darauf ein, aber Chases heiße Küsse wecken in ihr einen schrecklichen Verdacht: Besteht er nur auf diesem falschen Spiel, um sich an ihr zu rächen?


  • Erscheinungstag 15.03.2022
  • Bandnummer 2228
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508933
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Während die letzte Szene aus „Endstation Sehnsucht“ ihrem Ende entgegeneilte, hielt das Publikum im Brooklyn Bridge Park den Atem an. Die Rolle als Blanche DuBois passte zwar nicht zu den üblichen Rollen, die Tana Blackstone spielte – auch nicht in dieser modernen Neuinszenierung des beliebten Kultfilms. Trotzdem traf sie mit ihrem letzten Satz als tragische Femme fatale den Nagel auf den Kopf.

Ich habe mich immer auf die Liebenswürdigkeit Unbekannter verlassen.“ Mit den Wimpern klimpernd blickte Tana zu dem Schauspieler auf, der den Arzt spielte, der Blanche in eine psychiatrische Klinik brachte.

Sie legte eine Hand auf seinen Arm und ging mit ihm nach rechts ab, während das restliche Ensemble die Szene beendete. Seit Monaten probten sie für diese Aufführung, während sie darauf warteten, dass die Situation mit der Pandemie es wieder zuließ, dass sich ein größeres Publikum für die Aufführungen versammelte.

Glücklicherweise hatte Tana die Rolle trotz ihrer geringen Erfahrung bekommen. Während des Lockdowns am Broadway hatten einfach zu viele talentierte Schauspielerinnen auf der Suche nach einem anderen Job die Stadt verlassen. Sie selbst war kurz davor gewesen, sich etwas anderes suchen zu müssen, als sie die Rolle angeboten bekam.

Einen Augenblick später brach das Publikum in frenetischen Applaus aus. „Bravo“, flüsterte Tanas Kollege, ein älterer Herr mit einem grauen Bart. „Gut gemacht, Tana.“

„Danke.“ Sie zog den kurzen Rock ihres Kostüms zurecht. Diese modernere Blanche war ein ausgebranntes Partygirl mit einer ungesunden Vorliebe für Schmerzmittel. „Die Aufführung hat Spaß gemacht.“

Sie machten kehrt, um sich vor dem kleinen, aber dankbaren Publikum zu verbeugen. Natürlich war es keine aufwendige Broadway-Produktion, aber doch eine schöne Inszenierung, und die Fans hatten das Theater ebenso vermisst wie die Schauspieler selbst.

Während sie darauf wartete, dass sie an der Reihe war, nach vorne zu treten, jubelte Tana den anderen Schauspielern zu. Sie war noch nicht lange genug in der Stadt, als dass sie eine Chance gehabt hätte, sich für eine Rolle am Broadway zu bewerben, also konnte sie nicht behaupten, dass sie den regulären Betrieb vermisste. Trotzdem hätte sie gern gewusst, wie sie bei so einem Vorspiel wohl abschneiden würde.

Ihre Ausbildung war eher unkonventionell – als Tochter eines Pärchens von Trickbetrügern war sie ihr Leben lang in verschiedene Rollen geschlüpft. Im Alter von fünf Jahren war sie mit einer Meute Straßenhunde, die ihr Vater herausgeputzt hatte, durch die Straßen der wohlhabenden Gegenden spaziert und hatte die Tiere als Rassehunde verkauft. Jedes Mal, wenn sie eines ihrer Haustiere für einen Betrug hergeben musste, hatte Tana sich die Augen ausgeweint, aber sie hatte schnell gelernt, zu erkennen, welche Familien freundlich waren und den Hunden ein gutes Zuhause bieten würden. Dieser Gedanke hatte sie getröstet. Im Alter von zehn hätte sie für ihre Rolle als kleines Mädchen, das seine Mutter verloren hatte, schon einen Oscar bekommen können. Während freundliche Passanten davon abgelenkt waren, ihr zu helfen, nutzte Tanas Mutter die Gelegenheit für einen Taschendiebstahl. Dieser Teil hatte ihr nie gefallen, aber ihre Eltern hatten gedroht, sie zur Adoption freizugeben, wenn sie nicht mitmachte. Davor hatte sie so große Angst gehabt, dass sie weiter durchgehalten hatte.

Sobald sie achtzehn wurde, hatte Tana ihrem Dad gesagt, dass jetzt Schluss damit war. Sie wollte ihre Schauspielkünste nicht mehr dafür einsetzen, sich auf illegale Weise zu bereichern. Wenn sie doch nur ein bisschen früher damit aufgehört hätte als in jenem Sommer, kurz bevor sie aufs College gegangen war! Stattdessen hatte sie nicht bemerkt, wie sie sich in den größten Coup ihres Vaters verstrickte. Dabei hatte sie nichts weiter getan, als einfach bei ihm zu wohnen. Am Ende war es darauf hinausgelaufen, dass ihr Vater eine Witwe um ihr Farmland betrog, während der Sohn ebenjener Frau Tanas Herz gestohlen hatte.

Aber heutzutage führte sie ihre Darstellungen nur noch auf der Theaterbühne auf. Sie trat nach vorn, um sich für ihre Rolle als Blanche ihren Applaus abzuholen. Tana war endlich da, wo sie hingehörte. Die Leute am Theater waren ihre neue Familie. Das Publikum – junge Leute auf Picknickdecken, manche hatten ihre Kinderwagen dabei – bezahlte sie für ihre Aufführung, weil sie sie sehen wollten, und niemand zog ihnen dabei unbemerkt das Geld aus der Tasche. Endlich konnte sie etwas zurückgeben, statt immer nur zu nehmen. Ein paar Zuschauer pfiffen durch die Finger, einige riefen laut „Bravo!“, und Tana ging das Herz auf.

Gerade legte sie die Hand an die Lippen und warf dem Publikum Küsse zu, da fiel ihr Blick auf einen Mann, der allein auf dem Rasenstreifen vor der Bühne stand.

Er war groß und sportlich, trug dunkle Jeans, ein verwaschenes T-Shirt, eine schwarze Jacke und einen breitkrempigen Hut. Nach seinem dunkelbraunen Haar und dem braungebrannten Teint drehten sich einige Frauen um. Oder vielleicht lag es auch an seinen hellgrauen Augen und dem Bartschatten auf seinem markanten Kinn.

Bei seinem Anblick wurden ihre Knie weich – und das lag nicht daran, dass er so gut aussah.

Nein, sie fühlte sich plötzlich so schwach, weil Chase Serrano der Geist einer Vergangenheit war, die sie nie wieder durchleben wollte.

„Tana!“, flüsterte einer ihrer Schauspielkollegen ihr zu und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie beanspruchte ja den ganzen Applaus für sich!

Mit wild klopfendem Herzen eilte Tana von der Bühne. Ihre Gedanken rasten. Was war da gerade passiert? Die ausgelassene Stimmung um sie herum nahm Tana gar nicht mehr wahr. Sie bahnte sich einen Weg durch die Gruppe der anderen Schauspieler und wollte zu den Wohnwagen, die hinter der Bühne standen. Sie musste hier raus, weg von dieser Erscheinung, die da im Publikum stand.

Es konnte einfach nicht Chase Serrano sein, der Rancher, der damals ihr Herz gestohlen hatte. Der Mann, dessen Mutter ihren ganzen Erbteil als Witwe auf Joe Blackstone überschrieben hatte – Tanas Dad.

Sie rannte die Stufen hinunter, die von der Bühne wegführten, und dann hinüber zu dem engen Wohnwagen, der als Umkleide für die Schauspielerinnen diente. Die Türsteherin, eine ehemalige Rollerderby-Fahrerin, nickte Tana zu und ließ sie hinein.

„Hoffentlich willst du nicht schon abhauen. Wir wollen noch zusammen etwas trinken gehen“, sagte Lorraine, die in den halbdunklen Wohnwagen spähte. Tana durchwühlte einen Stapel Jacken und Pullover auf der Suche nach ihrer Umhängetasche.

„Heute Abend kann ich nicht“. Sie zog sich die schwarze Perücke vom Kopf und löste ihr eigenes, braunes Haar. Normalerweise färbte sie die Spitzen pink, aber die Farbe war zu einem Rosaton verblasst, wie Zuckerwatte. „Tut mir leid, Lorraine. Nächstes Mal vielleicht.“

Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, doch das hatte nichts damit zu tun, dass sie gut aussehen wollte. Viel eher hoffte sie, dass sie ihr Aussehen genug veränderte hatte, damit man sie nicht wiedererkennen konnte – falls das wirklich Chase gewesen war, der da im Publikum stand. Als Nächstes nahm sie ein Feuchttuch aus der Packung in ihrer Handtasche und wischte ihr Bühnen-Make-up weg. Wie hatte Chase sie nur gefunden?

Noch wichtiger war allerdings: Was um alles in der Welt wollte er von ihr? Als Chases Mom ihren Dad geheiratet hatte und das ganze Chaos losgebrochen war, hatte Tana Nevada bereits verlassen und in New York ihr Studium angefangen. Sie hatte angenommen, dass Chase zu dieser Zeit bereits am College in Idaho war. Aber seine letzte, grausame Nachricht, in der er ihr vorwarf, dass sie an dem Betrug beteiligt gewesen war und nur mit ihm geschlafen hatte, um seine Bedenken zu zerstreuen, hätte von überallher kommen können.

„Das muss dir nicht leidtun, Süße“, sagte Lorraine. „Ich werde trotzdem meinen Spaß haben.“ Sie warf einen Blick auf ihre rot lackierten Fingernägel. „Heute Abend schnappe ich mir endlich Megan.“

„Wirklich?“ Während sie ihren Rock auszog, warf Tana einen Blick aus dem Fenster des Wohnwagens. Aber einen Cowboyhut entdeckte sie nirgends. „Viel Glück. Wenn Megan weiß, was gut ist, dann wird sie einsehen, dass du tausendmal besser bist als diese Mistkerle, mit denen sie sonst ausgeht.“

Sie ließ das Rollo wieder zurückschnappen und zog ihre Jeansshorts an, ohne sich die Mühe zu machen, die Leggings überzustreifen, die sie normalerweise darunter trug.

Die Zeit drängte.

Als sie zur Tür ging, warf Lorraine ihr einen ernsten Blick zu. „Ist alles okay bei dir? Du siehst aus, als wäre Ärger im Verzug.“

„Ich will nur vermeiden, jemandem aus dem Publikum zu begegnen“, gab Tana zu. Ihr war es wichtiger, schnell zu verschwinden, als ihr Geheimnis für sich zu behalten. „Wenn jemand nach mir fragt – selbst wenn es Martin Scorsese persönlich ist –, dann sag bitte, dass du keine Ahnung hast, wo ich bin, okay?“

Stirnrunzelnd machte Lorraine ihr Platz. „Geht klar, Süße. Wenn du willst, kann ich jemanden holen, der dich zur U-Bahn begleitet …“

Doch Tana war bereits an ihr vorbei und blickte sich nach allen Richtungen um. Waren hier irgendwo eine dunkle Jacke und ein Cowboyhut zu sehen? „Danke, ich komm schon klar. Bis Mittwoch dann.“

Warum hatte sie ausgerechnet heute keine Mütze mitgenommen? Tana schob ihre Tasche über der Schulter zurecht und mischte sich in einem hoffentlich nicht zu auffälligen Tempo unter die Fußgänger. In ihrem Leben hatte es eine Zeit gegeben, zu der sie ohne einen breitkrempigen Hut, der ihr Gesicht verdeckte, niemals das Haus verlassen hätte. Doch schon lange hatte sie es nicht mehr nötig gehabt, mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Trotzdem konnte sie jetzt aus ihren alten Tricks einen Nutzen ziehen: Bleib in der Mitte einer Gruppe. Beweg dich nicht zu schnell. Schau zu Boden.

Gerade überlegte sie, ob sie einfach die Treppe zur nächstbesten U-Bahnstation hinuntergehen sollte, da hörte sie eine bekannte Stimme dicht an ihrem Ohr.

„Hallo, Betrügerin.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Sie hätte einfach weitergehen sollen – doch stattdessen blieb sie so abrupt stehen, als hätte er sie mit dem Lasso eingefangen. Dabei stolperte sie beinahe über ihre eigenen Füße, und der Mann neben ihr griff nach ihrem Arm, um sie aufzufangen.

Jetzt war es zu spät, noch die Flucht zu ergreifen. Tana blieb keine Wahl – da musste sie durch. Sie nahm all ihren Mut zusammen und blickte in die hellgrauen Augen des einzigen Mannes, dem sie jemals ihr Innerstes offenbart hatte.

Nur, um es bitterlich zu bereuen.

„Hallo, Chase.“

Chase Serrano zwang sich, seinen Griff um Tana Thorpes Arm zu lockern. Nein, Moment – sie hieß Tana Blackstone. Damals hatte sie einen falschen Namen benutzt.

Alles, was sie ihm erzählt hatte, war eine Lüge gewesen.

Sie hatte seine Fantasien perfekt verkörpert, von ihrem ehrlichen Interesse am Leben auf der Ranch bis hin zu ihrem gehauchten Geständnis, dass sie noch Jungfrau war. Das hatte zwar gestimmt, wie er in der Nacht ihres achtzehnten Geburtstages herausgefunden hatte. Aber Chase ging davon aus, dass ihre Unschuld, wie alles andere, auch kühl berechnet dann eingesetzt worden war, als es der Familie und ihren Plänen am meisten genutzt hatte.

Sobald er erfahren hatte, wer „Joe Thorpe“ wirklich war, hatte Chase gründliche Nachforschungen über die Familie Blackstone angestellt. Joe Blackstone hatte Chases Mutter geheiratet und dann sofort ihre Ranch verkauft. Der Patriarch der Blackstones war kreativ, das musste man ihm lassen, und in seinen Plänen spielten seine Tochter Tana und seine damalige Frau Alicia oft eine Rolle. Mittlerweile waren er und Alicia allerdings geschieden. Unter falschem Namen hatte Joe mindestens drei weitere Male geheiratet.

Führte Tana vielleicht das Familiengeschäft weiter?

Chase ließ ihren schlanken Arm los. Allerdings konnte er nicht aufhören, sie böse anzustarren. Anders konnte er die Frau nicht ansehen, die mitgeholfen hatte, ihn um sein Geburtsrecht und sein Erbe zu erleichtern. Um sie herum strömten die Menschen Richtung U-Bahn, denn es wurde langsam dunkel. Einige Fahrradfahrer und Jogger rasten vorbei, unter ihnen auch Spaziergänger mit ihren Hunden.

Trotz des Gewusels um sie herum existierte für Chase nichts anderes als die Diebin, die jetzt vor ihm stand. Sie war klein und schlank, ihre Gesichtszüge so fein wie die einer Märchenprinzessin: hohe Wangenknochen, volle, rosige Lippen und schokoladenbraune Augen. Mit den rosa Spitzen sahen ihre braunen Locken jedoch anders aus als vor acht Jahren. Außerdem schmückten neue Tattoos ihre Handgelenke, und in ihrem Nasenflügel glitzerte ein kleiner Brillant. Selbst ihr Outfit war weit entfernt von dem einfachen T-Shirt und den Jeans, die sie damals getragen hatte. Jetzt trug sie abgeschnittene Shorts mit einem breiten, nietenbesetzten Gürtel um die schmalen Hüften, dazu abgetragene schwarze Stiefel. Auf ihrem weißen T-Shirt prangte der Druck einer großen Spinne. Offensichtlich hatte sie sich nach der Aufführung umgezogen – Chase hatte sich das ganze Theaterstück angesehen.

Es hatte ihn nicht überrascht, dass sie eine talentierte Schauspielerin war. Schließlich hatte sie in jeder Sekunde, die sie miteinander verbracht hatten, ihre Rolle überzeugend gespielt.

Zu dumm, dass seine Wut darüber kein Hindernis darstellte, wenn es darum ging, diese unbestreitbar attraktive Frau zu bewundern.

Verdammt!

„Wir müssen reden. Mein Hotel ist da drüben.“

Sie hob die Augenbrauen. „Beim ersten Date gehe ich bestimmt nicht mit dir ins Hotel. Wie hast du mich gefunden?“

„Spielt das eine Rolle?“ Er würde nicht zulassen, dass sie das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenkte. Er hatte lange genug gebraucht, um sie aufzuspüren, und er würde nicht aufgeben, bis sie bei seinem Plan mitmachte. „Wenn du nichts dagegen hast, mitten in einem belebten Park über deine kriminelle Vergangenheit zu sprechen, soll mir das auch recht sein. Aber in einer stillen Ecke in der Lounge auf dem Hoteldach hätten wir mehr Privatsphäre.“

Ihre Wangen wurden rot, doch ihr Lächeln blieb angespannt.

„Nichts von dem, was du mir zu sagen hast, könntest du mir nicht auch auf einer Parkbank erzählen.“ Sie deutete auf einen freien Platz unter den Bäumen rechts von ihnen. „Du hast fünf Minuten, dann muss ich zu meinem nächsten Termin.“

Ohne seine Antwort abzuwarten marschierte sie hinüber zur Bank. Mittlerweile waren die Lampen im Park angegangen und beleuchteten die Wege, doch auf der Bank blieb es schummrig. Tana ließ ihre Umhängetasche zu Boden fallen, setzte sich auf die Bank und schlug die Beine übereinander. Erwartungsvoll blickte sie ihn an.

So hatte er sich dieses Gespräch nicht gerade vorgestellt, aber daran konnte er jetzt auch nichts mehr ändern. Wenn sie in einem Park alles mit ihm besprechen wollte, dann würde er ihr eben hier alles erklären.

„Du wirst mir helfen.“ Er ließ sich neben ihr auf die Bank sinken.

„Das ist aber nett von mir.“ Scheinbar gedankenverloren blickte sie hinauf in die Baumkrone.

Kurz fragte er sich, ob sie es aus einem anderen Grund vermied, ihn anzusehen. War ihr die Vergangenheit unangenehm? Oder bereute sie vielleicht sogar, was sie ihm angetan hatte?

„Wir wissen beide, dass du mir mehr schuldig bist, als du jemals wiedergutmachen könntest. Also lass mich eins klarstellen: Ich bitte dich nicht um deine Hilfe – ich erwarte, dass du mir hilfst.“

Jetzt hatte er ihre Aufmerksamkeit.

„Ich weiß nicht, wo mein Vater steckt. Wenn es das ist, was du wissen willst, muss ich dich leider enttäuschen. Nicht mal meine Mutter konnte ihn finden, um ihm zu sagen, dass die Scheidung durch ist.“

„Deswegen bin ich nicht hier.“ Auch wenn es interessant war, dass sie das annahm. Wusste sie, dass er die Cloverfield Ranch wiederbekommen hatte? Dass er mittlerweile ein doppelt so großes Vermögen angehäuft hatte wie sein Vater damals? „Wenn er jemals wieder auftaucht, wird die Polizei sich um ihn kümmern.“

„Wie geht es deiner Mom?“, fragte sie plötzlich und biss sich augenblicklich auf die Lippe, als bereute sie die Frage.

„Besser, jetzt wo sie nichts mehr mit deinem Vater zu tun hat“, entgegnete er kühl. „Sobald ihr falscher Ehemann verschwunden war, habe ich dafür gesorgt, dass sie aus Nevada weg kann, damit sie nicht ständig von Erinnerungen an eine vorgetäuschte Familie geplagt wird.“

Bei dieser Spitze wandte Tana den Blick ab. Natürlich ging Chase nicht davon aus, dass sie so etwas wie Reue empfand. Aber er hatte auch nicht vorgehabt, bei diesem Treffen alte Wunden wieder aufzureißen. Hier ging es nicht darum, Rache an Tana Blackstone zu üben. Für den Betrug, der Chase sein Erbe gekostet hatte, war sie nicht angeklagt worden, weil sie diejenige gewesen war, die die Polizei darüber informiert hatte, dass ihr Dad unter einem falschen Namen in Nevada gemeldet war. Rechtlich gesehen hatte sie bei dem Betrug nicht mitgewirkt.

Aber das hieß noch lange nicht, dass sie keine Schuld daran trug.

„Das ist gut.“ Ihre Antwort war leise, zusätzlich rief neben ihnen ein Spaziergänger laut nach seinem Hund, sodass sie kaum zu verstehen war. Der Hund jagte an ihnen vorbei, dicht gefolgt von seinem Besitzer.

Das Gefühl, ständig hinter etwas herzujagen, kannte Chase nur zu gut. Zum Glück würden diese Zeiten jedoch bald vorbei sein. Dass er das Vermögen seines Vaters zurück hatte, hatte sehr dabei geholfen, seinen Zorn auf die Blackstones zu mildern.

Jetzt fehlte nur noch ein letztes Puzzleteil, damit er sein ganzes Erbe wieder für sich beanspruchen konnte.

„Ich weiß, dass du nicht viel Zeit hast, also komme ich gleich zum Punkt.“

Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn direkt an. Aufmerksam. Neugierig.

Plötzlich war Chase froh, dass er einen Grund dafür hatte, sich so knapp wie möglich zu fassen. Je schneller sie seinen Bedingungen zustimmte, desto besser. Er fuhr fort: „Den größten Teil der letzten acht Jahre habe ich damit verbracht, mir zurückzuholen, was dein Vater meiner Familie gestohlen hat. Das Geld, natürlich – aber vor allem ging es mir um das Land.“

„Du konntest die Cloverfield Ranch zurückkaufen?“ Tanas braune Augen wurden größer. Nervös spielte sie mit einem ihrer silbernen Armreifen.

Genauso hatte sie auch auf der Bühne die nervöse Blanche DuBois verkörpert, die so schutzbedürftig war. Glaubte Tana etwa, sie könnte ihm vorspielen, dass sie irgendetwas anderes war als eine kaltherzige Betrügerin?

„Dass ich einen viel zu hohen Preis geboten habe, hat dabei geholfen“, bemerkte er trocken. Es fiel ihm schwer, sich seine Verbitterung nicht anmerken zu lassen. „Ich dachte eigentlich, die alte Rechnung wäre beglichen, sobald ich die Ranch zurückhabe.“

„Aber das reicht dir nicht.“ Sie lehnte sich zurück, ließ ihn aber nicht aus den Augen.

Hinter ihr auf der anderen Seite des East River funkelten die Lichter von Manhattan.

„Es hätte gereicht – wenn es dasselbe Stück Land wäre, von dem mein Vater wollte, dass ich es an meinem einundzwanzigsten Geburtstag bekomme.“

Sie runzelte die Stirn und zog dabei die Nase kraus. Der kleine Brillant in ihrem Nasenflügel funkelte im schwindenden Licht. „Das verstehe ich nicht. Ich dachte, mein Dad hat den gesamten Besitz an einen Pferdezüchter aus Tennessee verkauft?“

„Das dachte ich auch. Ich war mir da so sicher, dass ich den Kauf von einem Immobilienmakler habe abwickeln lassen.“ Chase war aus geschäftlichen Gründen nicht im Land gewesen und zog es sowieso vor, seine alte Heimatstadt nicht zu oft zu besuchen. Die Erinnerungen daran waren zu schmerzhaft. Außerdem lag er mit einem Nachbarn im Streit, der sich die Schwierigkeiten der Familie Serrano zunutze machen wollte. Eine weitere Rechnung, die er noch begleichen musste. „Erst letzten Winter habe ich die Ranch selbst besucht und festgestellt, dass ein kleiner Teil der ursprünglichen Parzelle nicht im Kauf mit eingeschlossen war.“

„Das verstehe ich nicht. Wer würde denn seine ganze Ranch verkaufen bis auf einen kleinen Teil? Wem gehört der Rest?“

Aufmerksam betrachtete er sie und ließ sich nichts entgehen, von ihrem Tonfall bis zum Ausdruck in ihren Augen. Gab es ein verräterisches Anzeichen dafür, dass sie ihn belog? Er hatte viel gelesen und sich darüber schlau gemacht, wie die Betrüger ihre Masche abzogen. Trotzdem konnte er nichts finden, was darauf hindeutete, dass er ihr nichts Neues erzählte.

„Das ist ja das Witzige daran“, fuhr Chase fort. „Es hat sich rausgestellt, dass das Land treuhänderisch verwaltet wird – für dich.“

Auf diese Neuigkeit folgte Stille.

„Das ist unmöglich.“ Zitternd schlang Tana die Arme um ihren Oberkörper. „Ich versichere dir, ich besitze kein Land. Nicht in Nevada und auch nirgendwo anders. Du kannst dir gerne meine Steuerunterlagen ansehen.“

„Die letzten acht Jahre hat ein Treuhänder den Besitz verwaltet. Sie haben jedes Jahr die Grundsteuern gezahlt.“ Es hatte Monate gedauert, bis er das alles herausgefunden hatte, denn besagter Treuhänder war nichts weiter als eine Briefkastenfirma. Eigentlich war selbst eine solche Firma zur Wahrung der Privatsphäre ihrer Kunden verpflichtet, aber Chase hatte keine Kosten und Mühen gescheut.

Tana schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Glaubst du wirklich, ich würde in der teuersten Stadt der Welt wohnen und mich nur von Fertiggerichten ernähren, wenn ich stattdessen ein Stück Land verkaufen und von dem Geld leben könnte? Ich stottere immer noch meine Studiengebühren ab, Chase.“

Durch seine Recherchen wusste er, dass das stimmte. Allerdings war er nicht so naiv, zu glauben, dass die Tochter eines erfolgreichen Betrügers nicht wusste, wie sie Dinge vor anderen verbergen konnte.

„Ich kann dir versichern, dass das Land dir gehört. Ich weiß nicht, warum du bis jetzt nichts von den Verwaltern gehört hast, aber du kannst es jederzeit einfordern.“

„Super. Wenn du mir sagst, wie ich die Leute erreichen kann, dann verkaufe ich das Land. Eigentlich gehört es ja sowieso dir, also werde ich es dir überschreiben.“ Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und reichte sie ihm. „Jetzt muss ich aber wirklich los …“

Schnell steckte er ihre Karte ein und legte eine Hand auf ihr Knie. Eigentlich wollte er nur ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken, damit sie sitzen blieb, aber die leichte Berührung war ausreichend, damit plötzlich Flammen in seinem Inneren aufzüngelten.

„Warte. Das ist noch nicht alles.“ Er nahm seine Hand weg. Ihm entging nicht, dass sie ihre Hand augenblicklich an dieselbe Stelle auf ihrem Bein legte. „Du musst mit mir nach Nevada kommen, um den Papierkram zu erledigen.“

„Warum?“ Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf. „Du hast mir gerade erst erzählt, dass ein Makler für dich die Ranch gekauft hat. Warum soll ich jetzt persönlich mitkommen?“

„Das ist komplizierter.“ Das stimmte auch. Aber es gab noch weitere Gründe, warum er wollte, dass sie mit ihm in seine Heimatstadt zurückkehrte. Er hatte große Pläne, die er ihr heute noch nicht enthüllen wollte.

„Ich kann nicht aus New York weg. Ich habe ein Leben hier. Das Theaterstück …“

„Erstens habe ich die Aufführungstermine schon überprüft. In der Zeit, in der ich deine Hilfe brauche, hast du keine Auftritte. Und zweitens bist du mir was schuldig.“ Er hielt kurz inne, um seine Worte wirken zu lassen. „Du und dein Vater, ihr habt meine Mutter ausgeraubt, Tana. Anders kann man es nicht sagen.“

„Das ist nicht wahr.“ Nervös kaute sie auf einem Fingernagel. „Ich habe niemanden bestohlen. Ich hatte nur das Pech, dass ich in diesem Sommer immer noch bei meinem Vater gewohnt habe.“

„Das war dann wohl Pech für uns beide“, erinnerte er sie leise. So leicht würde er sie nicht davonkommen lassen. „Schließlich musstest du als Ablenkung herhalten, während dein Vater meiner Mutter ihren gesamten Besitz abgeknöpft hat.“

Mit geschürzten Lippen dachte sie einen Moment nach, bevor sie antwortete. Ihre Blicke durchbohrten ihn regelrecht.

„Nur um das klarzustellen, es war nie meine Aufgabe, dich abzulenken. Nehmen wir mal an, ich könnte mir für diesen Trip freinehmen. Wann wäre das?“ Sie warf ihre Tasche über die Schulter und stand auf.

Chase erhob sich ebenfalls. Er bemühte sich, unbeschwert und sorglos zu klingen.

Schließlich musste er sie auf den größeren Teil des Plans vorbereiten.

„Dieses Wochenende. Wir müssen am Freitagabend fliegen.“

„In drei Tagen schon?“

Er nickte. „Ich weiß, dass du an dem Wochenende keine Aufführungen hast, weil dieses Literaturfestival im Park stattfindet.“

„Ich verstehe nicht …“

„Ich habe auch nicht verstanden, warum du damals für immer aus meinem Leben verschwunden bist. Aber das hat an den Tatsachen nichts geändert.“

Zögernd wandte sie den Blick von ihm ab, als könnte sie am Horizont eine passende Antwort finden. Dann nickte sie.

„Schön. Ich kümmere mich darum, dass alles klappt.“ Sie strich sich eine braunrosa Haarsträhne hinters Ohr und trat von einem Bein aufs andere, als könnte sie es kaum erwarten, endlich die Flucht zu ergreifen. „Schick mir eine Nachricht mit den Details. Wir treffen uns dann am Flughafen.“

In Chases Brust löste sich einer der vielen Knoten, und Erleichterung durchströmte ihn. Er brauchte Tanas Hilfe, und ihm war klar gewesen, dass sie genauso gut hätte Nein sagen können.

„Ich weiß, wo du wohnst. Ich schicke dir einen Wagen. Aber, Tana?“

Bei dem Gedanken daran, dass er so kurz davorstand, den Besitz seiner Familie endlich zurückzubekommen, schlug sein Herz schneller.

Er stand außerdem kurz davor, Rache an den Blackstones zu nehmen.

„Ja?“ Nicht nur ihre Stimme klang ungeduldig, ihre ganze Körpersprache war angespannt.

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