Für immer die Ihre, mein Captain!

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Wie tapfer ist doch ihr Ehemann! Lily Wiscombes Herz schwillt vor Stolz, als sie die Lobeshymnen über Geralds Kampf gegen Napoleon bei Waterloo in der Zeitung liest. Trotzdem überkommt sie heftige Angst. Denn der Krieg ist vorbei, Geralds Rückkehr steht unmittelbar bevor. Wie aber wird er reagieren, wenn er ihren Sohn Stewart sieht? Sieben lange Jahre war Gerald weg, und Stewart ist sechs. Kann ihr entfremdeter Gatte ihr verzeihen, was doch niemals ihre Schuld war - oder wird er sie hartherzig von Wiscombe Chase verstoßen?


  • Erscheinungstag 07.04.2020
  • Bandnummer 602
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748203
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Miss North, würden Sie mir die Ehre erweisen und mir Ihre Hand zum heiligen Bund der Ehe reichen?“

Lillian North bemühte sich nach Kräften, ein Lächeln aufzusetzen, als der unglückliche Jüngling vor ihr auf dem Teppich des Salons kniete, und bereitete sich auf die einzige Antwort vor, die zu geben ihr gestattet war.

Einst hatte sie sich Illusionen über Romanzen und Liebe hingegeben. Die meisten jungen Mädchen taten das. Aber diese Illusionen waren im Kinderzimmer zurückgeblieben, zusammen mit anderen Fantasien über Märchenprinzessinnen und tapfere Ritter, die zu ihrer Rettung eilten. Bei ihrem Debüt hatten ihr Vater und Ronald ihr erklärt, wie die Welt tatsächlich funktionierte.

Ihre Aufgabe war es, hübsch auszusehen, angenehm und fügsam zu sein, und so viele Anträge wie möglich von den Gentlemen des ton zu bekommen. Am Ende würde sie heiraten, und das möglichst vorteilhaft. Aber es würde ein Mann sein, den ihr Vater auswählte, und sie würde bei dieser Wahl nicht gefragt werden.

Viele Monate hatte sie in London verbracht, sowohl im vergangenen Jahr als auch in diesem. Sie hatte auf Bällen getanzt, bis die Sohlen ihrer Schuhe beinahe durchlöchert waren. Sie hatte gelächelt, bis ihre Wangen davon schmerzten, und war so höflich gewesen, dass die Leute sie für leicht beschränkt halten mussten. Sie hatte das Gefühl, jedem infrage kommenden Mann in ganz Großbritannien vorgestellt worden zu sein. Zwar gab es welche, die sie bevorzugte, aber sie hatte sich nicht gestattet, Zuneigung zu einem von ihnen zu fassen. Niemals durfte sie vergessen, dass nicht sie es sein würde, die die endgültige Entscheidung traf.

Sie hatte getan, was man ihr gesagt hatte, und ihr Netz so weit ausgeworfen wie möglich. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würden ihr Vater und ihr Bruder dieses Netz einholen und den Fang darin begutachten. Die Wertlosen würden sie zurückwerfen und nicht mehr als zwei oder drei der Besten behalten. Dann würden die ernsthaften Verhandlungen beginnen. Am Ende würde sie blumengeschmückt den Mittelgang in St. George entlangschreiten und sich am Altar neben einen Abkömmling der Aristokratie stellen. Ihr Vater hatte ihr versichert, dass er sich nur mit einem Bräutigam zufriedengeben würde, bei dem andere Mädchen grün vor Neid über ihren Erfolg werden würden.

Aber jetzt waren alle Pläne und Manöver der letzten anderthalb Saisons umsonst gewesen. Ohne Vorwarnung war sie aus der Stadt gebracht und darüber informiert worden, dass die Entscheidung gefallen war. Sie würde Gerald Wiscombe heiraten.

Und wer war das? Sie hatte das Gefühl, ihr Netz ausgeworfen und ein Schaf darin gefangen zu haben. Ihre Metaphern waren genauso verworren wie ihre Gedanken, aber diese Verwirrung war ihr kaum vorzuwerfen. Sie konnte sich kaum an Mr. Wiscombe erinnern. Und nun machte er ihr einen Antrag.

Jede Nacht hatte sie gebetet, dass ihr zukünftiger Gemahl noch über andere angenehme Qualitäten verfügte außer Reichtum und Rang. Eine Liebesheirat mochte vielleicht unrealistisch sein. Aber ihre Zukunft würde glücklicher verlaufen, wenn die Verbindung zumindest auf gegenseitigem Respekt basierte. Wenn sie sich die Zeit genommen hatte, danach zu suchen, hatte sie bei jedem der Männer, die sie zu gesellschaftlichen Veranstaltungen begleiteten, gute Eigenschaften entdeckt. Warum konnte sie dann nichts entdecken, das die endgültige Wahl ihres Vaters empfahl?

Zunächst einmal war Mr. Wiscombe zu jung, um ernstgenommen zu werden. Er war bestimmt noch keine zwanzig und höchstens ein Jahr älter als sie. Er hatte noch nicht einmal die Universität beendet und interessierte sich weit mehr für seine bevorstehenden Prüfungen als dafür, sie zu heiraten. Er hatte sich sogar geweigert, nach London zu kommen und ihr den Hof zu machen. Es war von ihr erwartet worden, nach Cambridge zu reisen, um ihn zu treffen, sodass der lästige Antrag sein Mathematik-Studium nicht unterbrechen würde.

Es gereichte Mr. Wiscombe nicht zum Vorteil, dass er seine Jugend und sein fehlendes Interesse noch mit einem mangelnden Sinn für Mode und mit ungeschicktem Verhalten ergänzte. Er erweckte auch nicht den Eindruck, ein Gelehrter zu sein. In seinem weichen, runden Gesicht deutete nichts auf Intelligenz oder Scharfsinn hin. Wenn er lächelte, sah er mit der Lücke zwischen den Schneidezähnen so töricht aus, wie sie sich fühlte.

Sie sagte sich, dass Aussehen nicht wichtig war. Nachdem sie mit Männern getanzt hatte, die alt genug waren, um ihr Vater zu sein, hatte sie sich darauf eingestellt, nicht auf Äußerlichkeiten zu achten. Wenn man einen Titel und Geld besaß, war gutes Aussehen nicht notwendig.

Aber warum war die Wahl auf Gerald Wiscombe gefallen? Vor wenigen Wochen noch hatte ihr Vater die Nase gerümpft über einen Baronet, der an ihr interessiert war und dessen Rang er für zu niedrig erachtete, um als Schwiegersohn infrage zu kommen. Und nun kauerte ein schlichter „Mister“ etwas schwankend auf einem Knie vor ihr, im Salon eines Gasthauses, und wartete auf ihre Antwort.

Er hätte ziemlich reich sein müssen, um das Fehlen eines Titels auszugleichen. Aber Mr. Wiscombe hatte nicht einmal eine Flasche Wein gekauft, um diesen Tag zu feiern, und er hatte auch keinen Schneider aufgesucht, um sie mit modischer Garderobe zu beeindrucken. Die Manschetten seines Hemds waren abgewetzt, und einer der matten Messingknöpfe seines Gehrocks hing nur noch an einem Faden.

„Ich besitze nicht viel“, sagte er und bestätigte damit ihre schlimmsten Befürchtungen. „Meine Herkunft ist nicht erwähnenswert, genau genommen habe ich keine Familie. Ich bin der Letzte der Wiscombes. Und deren Vermögen ging schon in der letzten Generation verloren.“

„Es tut mir leid, das zu hören“, sagte sie und empfand weniger Bedauern als vielmehr vollständige Verwirrung.

„Natürlich ist Wiscombe Chase ganz reizend.“

Ein Landhaus? Sie lächelte ermutigend.

„Es war ganz reizend“, verbesserte er sich mit einem Achselzucken und runzelte dabei die Stirn. Hatte er im letzten Moment beschlossen, sie nicht anzulügen? „Es muss einiges an Arbeit hineingesteckt werden, und es benötigt die liebende Hand einer Frau.“

Was vermutlich bedeutete, dass es eine Ruine war und er eine reiche Frau suchte, die es für ihn herrichtete. Dieser Mann war das komplette Gegenteil dessen, wonach sie hatte suchen sollen.

An irgendeiner Stelle hatte der Plan ihres Vaters sich geändert, und sie war darüber nicht informiert worden. Aber wann heckte ihr Vater nicht irgendeinen Plan aus? All seine Vorhaben endeten damit, dass er finanziell wesentlich besser dastand als zuvor, während die, die sich mit ihm eingelassen hatten, stets zu ihrer Überraschung feststellten, hinterher ärmer und weniger erfolgreich zu sein. Trotzdem hätte kaum jemand ihn einen Schwindler genannt. Alle, die gegen ihn verloren hatten, zogen es vor, ihn als den schneidigen Glückspilz Mr. North zu bezeichnen.

Sie hatte sich stets innerhalb der unsichtbaren Grenzen bewegt, die ihre Familie vom Rest der Welt trennte. Wie schwierig eine Situation auch immer ausgesehen hatte, am Ende war alles gut für sie ausgegangen. Denn sie war eine North.

Zumindest bis zu diesem Tag.

Verstand ihr Vater denn nicht, dass der Ruf einer jungen Dame sehr zerbrechlich war? Eine Ehe war eine dauerhafte und unauflösliche Verbindung. Er konnte sie nicht weggeben und sie dann durch irgendeinen juristischen Schachzug wieder zurückholen, wie die Smaragdmine in Südamerika, die er schon dreimal mit Gewinn verkauft hatte.

Was noch schlimmer war: Sie war allein in ihrer Unwissenheit. Ronald, ihr Bruder, hatte sich gesträubt, als er sie auf der Jagd nach einem passenden Ehemann durch London begleiten sollte. Aber er war es, der sie mit Mr. Wiscombe bekannt gemacht hatte, und er schien ebenso begierig wie ihr Vater darauf zu sein, sie verheiratet zu sehen.

„Miss North?“, drängte Mr. Wiscombe, der das lange, zweifelnde Schweigen bemerkte, das auf seinen Antrag gefolgt war.

Sie blickte hinunter auf den Mann, der vermutlich ihr zukünftiger Ehemann war. Er starrte zu ihr hinauf, den Mund leicht geöffnet, und erinnerte sie dabei an ein Küken, das darauf wartete, gefüttert zu werden. Sie befürchtete, dass der Jungvogel Wiscombe vorzeitig aus dem Nest geworfen würde, damit ihn die Raubvögel North verschlingen konnten, die nur auf ihn gewartet hatten.

Seine nächste Erklärung versetzte sie noch mehr in Besorgnis.

„Ich würde Sie nicht belästigen, wenn es das ist, wovor Sie sich fürchten.“ Jetzt errötete er. „Wir brauchen Zeit, um einander kennenzulernen, ehe wir das tun. Ihr Vater hat versprochen, mir ein Offizierspatent zu kaufen, sodass ich vielleicht ein Vermögen machen kann. Ich werde einige Jahre lang fort sein. Wenn ich zurückkehre, wird es genügend Geld für uns beide geben, sodass wir recht gut leben können. Und dann …“

Es wurde immer geheimnisvoller. Das Wort „belästigen“ hatte er mit einer solchen Betonung ausgesprochen, dass sie vermutete, er habe etwas Bestimmtes gemeint. Und er wiederum ging davon aus, dass sie das verstand. Vermutlich meinte er das, was zwischen einem Mann und einer Frau in einer Ehe geschah. Sie hatte keine Mutter mehr, die ihr die Einzelheiten erklären konnte, und sie hatte zu viel Angst und war zu verlegen, um ihren Vater zu fragen. Wenn es lästig war, dann war sie nicht sicher, ob sie mehr darüber wissen wollte.

Aber hatte er wirklich vor, zur Armee zu gehen und für mehrere Jahre fort zu sein? Das wäre einfach lächerlich. Sie bezweifelte, dass Gerald Wiscombe auch nur mehrere Minuten vor den Franzosen bestehen könnte, geschweige denn mehrere Jahre. Hatte ihr Vater die Absicht, diesen armen Jungen in sein Verderben zu schicken?

Das wollte sie nicht glauben. Zwar war ihr Vater nicht immer ehrlich, aber sie hatte ihn niemals als grausam erlebt. Doch je mehr sie sich bemühte, diesen Gedanken von sich zu weisen, desto mehr formte sich in ihrem Kopf die bittere Gewissheit, dass es genau das war, was Phineas North beabsichtigte. Wenn er bereit war, seine einzige Tochter wie eine Schachfigur zu opfern, welche Hoffnung gab es dann für diesen armen jungen Mann auf ein Überleben?

Wenn dies das Spiel war, dann weigerte sie sich, dabei mitzuspielen. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass sie Zuneigung für den Mann empfand, der vor ihr kniete. Aber sie wünschte ihm auch nichts Schlechtes. Selbst wenn sie überhaupt nichts empfand, wie konnte sie weiterleben mit dem Wissen, dass diese Ehe kaum mehr als ein Todesurteil für ihren Ehemann bedeutete? Den Antrag abzulehnen war ihr nicht erlaubt. Aber wenn sie Mr. Wiscombe dazu bringen konnte, ihn zurückzuziehen, dann würde sich die Angelegenheit von selbst erledigen.

Lily holte tief Luft. „Sind Sie sicher, dass das klug ist?“

Er blinzelte, als hätte er keine Ahnung, wovon sie sprach. Vielleicht war er nicht ganz richtig im Kopf.

„In der Armee wird es sehr gefährlich sein.“ Sie sprach langsam, damit er sie verstand. Als ihre Worte keinen Eindruck auf ihn zu machen schienen, fügte sie mit besonderer Betonung hinzu: „Es gibt keine Garantie darauf, dass Sie in einigen Jahren mit einem Vermögen zurückkehren. Genau genommen gibt es keine Garantie, dass Sie überhaupt zurückkehren.“

Statt einer Antwort sah er sie aus seinen grauen Augen an, blinzelte und schenkte ihr ein weiteres albernes Lächeln.

„Sie werden vielleicht getötet“, sagte sie. Jetzt klang ihre Stimme leicht gereizt. Sie wollte nicht mit ihm streiten, aber er musste sich auch nicht so einfältig verhalten. Sie sollte nicht aussprechen müssen, in welche Falle er vielleicht tappen würde.

Endlich legte er seine weiche Hand auf ihre. „Deswegen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Natürlich ist das eine Möglichkeit. Aber es gibt noch andere, die ähnlich finster anmuten. Ich könnte vom Pferd fallen und mir den Hals brechen, ehe wir überhaupt das Ehegelübde ablegen. Oder vom Blitz getroffen werden, während ich im Garten Blumen pflücke. Oder ich kehre unversehrt aus dem Krieg zurück und lebe bis ins hohe Alter.“ Er blinzelte wieder. „Davor haben Sie doch keine Angst, oder?“

Angst? Warum sollte sie vor einer so unwahrscheinlichen Möglichkeit Angst haben?

Jetzt sah er sie an, als wäre sie diejenige, die die Ernsthaftigkeit der Lage nicht begriff. Ganz plötzlich war sie fest davon überzeugt, dass er sie die ganze Zeit über abgeschätzt hatte, genau wie sie ihn. „Sie verstehen doch, dass unsere Ehe, wenn Sie mich heiraten, Bestand haben wird, bis der Tod uns scheidet“, sagte er und wartete ab, bis seine Worte bei ihr angekommen waren. „Auch wenn Sie offensichtlich etwas anderes vermuten, kann es noch eine lange Zeit dauern bis zu meinem Tod.“

Hielt er sie für so dumm, nicht die Bedeutung des Gelübdes zu begreifen, das sie ablegen sollte? Oder hatte er sie gerade beleidigt, indem er andeutete, dass sie ihn in der Hoffnung auf seinen baldigen Tod heiratete? Das wäre eine Unverschämtheit, wenn nicht ein Körnchen Wahrheit darin liegen würde.

Noch immer blinzelte er sie mit diesen unschuldigen Augen an. Ganz tief in diesem Blick lag etwas verborgen, und das war nicht der Eifer zu heiraten: ein leichter Glanz, als würde das Sonnenlicht von kaltem Eisen reflektiert. Wenn er sie ansah, empfand er keine Leidenschaft und auch keine Zuneigung. Es war finstere Entschlossenheit.

Seine Worte waren ein letzter Versuch gewesen, sie zu prüfen. Sie konnte ihm sagen, dass sie nicht den Wunsch verspürte, ihn zu heiraten. Wenn sie seinen Antrag annahm, würde er davon ausgehen, dass sie ebenso gierig und berechnend war wie der Rest ihrer Familie, und ihn in eine Ehe locken wollte in der Hoffnung auf eine baldige Witwenschaft.

Lily richtete sich auf. Jede andere hätte ihre Hand zurückgezogen und seine Bewerbung ohne nachzudenken abgelehnt. Sie hätte ihn wie Luft behandelt, falls sie einander jemals wiedergesehen hätten, was nicht der Fall sein würde. Wenn er seine Mathematikbücher so sehr liebte, dann sollte er die doch heiraten. Sie würde zurückkehren zu den gut aussehenden adligen Männern, die sie auf festlichen Abendveranstaltungen traf, und ihn vollkommen vergessen. Er konnte zu der Ruine zurückkehren, die sein Zuhause war. Dort konnte er seine Wunden lecken und auf diesen Tag mit dem Schamgefühl zurückblicken, das er verdiente.

Aber sie war nicht irgendein Mädchen. Sie war die Tochter von Phineas North. Wenn sie Mr. Wiscombe zurückwies und danach diesen Raum verlassen wollte, würde ihr Vater sie an der Türschwelle kehrt machen lassen, damit sie ihn noch einmal anhörte. Sollte es ihr dennoch gelingen, in ihr Zimmer zu fliehen, würde sie dort eingeschlossen werden, bis sie das tat, was man ihr sagte. Wenn der gegenwärtige Plan ihres Vaters scheiterte, indem es ihr gelang, Gerald Wiscombe loszuwerden, dann war damit keineswegs gesagt, dass der nächste Kandidat, der ihr angeboten würde, besser wäre. Tatsächlich konnte es sehr viel schlimmer werden.

Sie war genauso gefangen wie der Bursche, der vor ihr kniete. Also sah sie ihn an mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er distanziert, aber gleichzeitig wohlwollend wirkte. „Mir sind die Worte des Ehegelübdes durchaus bekannt, Mr. Wiscombe, und ich besitze genügend Verstand, um ihre Bedeutung zu verstehen. Wenn wir heiraten, dann ist das ein lebenslanges Bündnis. Wie lang …“, jetzt bedachte sie ihn mit einem vielsagenden Blick, „… oder kurz das auch sein mag. Mir ist ebenfalls bewusst, dass Ihnen dieses Bündnis das Recht gibt, mich – wie sie es ausdrückten – zu belästigen, wann immer Sie wollen. Aber wenn Sie nicht über genügend gesunden Menschenverstand verfügen, um Napoleon zu fürchten, warum sollte ich mich dann vor einer Heirat mit Ihnen fürchten?“

Einen Moment lang veränderte sich alles, und das nicht zum Besseren. Er bedachte sie mit einem dümmlichen Grinsen. Dann stand er auf. Anstatt zu versuchen, sie zu küssen, schüttelte er ihr mit festem männlichen Druck die Hand. „Also gut. Dann ist das abgemacht. Wir werden heiraten, sobald Ihr Vater die Ehelizenz beschafft hat. Wenn ich aus Spanien zurückkehre, wird unsere gemeinsame Zukunft beginnen.“

Der arme Dummkopf. Was blieb ihr anderes übrig, als zustimmend zu nicken? Vielleicht könnte sie Ronald dazu bringen, ihr zu sagen, was hier tatsächlich los war, sobald dieser Junge fort war. Aber eines wusste sie bereits. Sollte Gerald Wiscombe sich entschieden haben, mit ihrem Vater eine Abmachung auszuhandeln, dann war über seine Zukunft und sein Vermögen bereits entschieden, und das Schicksal lachte ihn aus.

2. KAPITEL

Wenn Sie wirklich vorhaben, Ihr Offizierspatent zu verkaufen, Wiscombe, dann sehen wir Sie mit Bedauern gehen. Es war ein glücklicher Tag für die britische Armee, als Sie beschlossen zu den Waffen zu greifen.“

„Vielen Dank, Colonel Kincaid.“ Gerry neigte bescheiden den Kopf vor dem Mann, der dort am Schreibtisch saß. Wann immer er solche Komplimente hörte, war er ein wenig erleichtert, dass seine kommandierenden Offiziere nicht dabei gewesen waren an jenem Tag vor sieben Jahren, an dem er diese Entscheidung gefällt hatte. Es war schlicht und einfach ein Akt der Verzweiflung gewesen. Nicht das kleinste bisschen Heldentum hatte dabei eine Rolle gespielt.

„Es ist eine Schande, dass Sie nicht weiter im Dienst der Krone stehen wollen. Zweifellos würden wir für einen Offizier mit Ihrer rühmlichen Vergangenheit einen Platz finden.“

Der Gedanke war ihm durch den Kopf gegangen. Noch als er durch den Torbogen des House of Guards geritten war, hatte er erwogen, nach einem anderen Posten zu fragen. Ein paar Jahre in Indien würden nicht schaden. Aber nachdem er so lange fort gewesen war, erschien es ihm eher feige als mutig, weiterhin sein Zuhause zu meiden.

Gerry sah Kincaid direkt in die Augen, um zu zeigen, dass er sich von seinem Entschluss nicht abbringen lassen würde. „Es wäre mir eine Ehre, weiterhin der Krone zu dienen. Aber nach sieben Jahren ist es an der Zeit, den einen Krieg gegen einen anderen einzutauschen.“

Der Colonel bedachte ihn mit dem gleichen leicht verwirrten Blick, mit dem ihn auch die anderen angesehen hatten, wenn er sich so ausgedrückt hatte. Es war ihm egal. Verständnis war nicht notwendig. Er erwiderte das Lächeln seines Vorgesetzten, um zu zeigen, dass das alles nur ein Scherz war. „Sieben Jahre sind eine lange Zeit, wenn man von zu Hause weg ist. Als ich fortging, war ich gerade frisch verheiratet.“ Er öffnete das Medaillon, das Lillians Miniatur enthielt.

Kincaid erwiderte das Lächeln und zwinkerte ihm mit wissendem Blick zu. „Ich verstehe. Die Armee kann nur wenig bieten, das mit den offenen Armen einer schönen Frau konkurrieren kann, die auf Ihre Rückkehr wartet.“

Gerry nickte wieder. Schön war sie. Vermutlich war sie das immer noch. Wie weit ihre Arme geöffnet waren und wie sehr sie auf ihn wartete, das musste er demnächst herausfinden. Er lächelte noch, während die Papiere unterzeichnet wurden, die ihn aus der Armee entließen.

Vom Kriegsministerium aus begab er sich zur Bond Street, um einen Schneider aufzusuchen. Bei dem Gedanken an die Kleidungsstücke, die sich noch in den Schränken seines alten Zimmers befanden, erschauerte er. Als er zum Militär gegangen war, war er noch ein halber Junge gewesen. Selbst wenn die Gehröcke noch passen sollten, so waren sie doch noch altmodischer, als sie es damals gewesen waren, ehe er fortging. Nach dem Tod seines Vaters hatte er keinen Penny übrig gehabt, um ihn für Kleidung auszugeben. Aber es war nicht nötig, den Rest seines Lebens in Uniform zu verbringen, jetzt, da er genug verdient hatte, um sich ordentliche Kleidung zu kaufen.

Seine Dragoneruniform war so beeindruckend, dass sich die Leute nach ihm umdrehten. Als er die Straße hinunterging, hörte er ihr Geflüster.

„Ist das Wiscombe?“

„Er ist es.“

„Captain Wiscombe, der Held von Salamanca, der Held von Waterloo.“

Hatte die Nachricht von seiner Rückkehr Wiscombe Chase erreicht? Das war sehr wahrscheinlich, denn in den Zeitungen war über ihn berichtet worden. Wie wird North reagieren, wenn ich nach all der Zeit auftauche und mein Heim zurückhaben will?

Und wie würde sie darüber denken?

Er lenkte seine Gedanken von dieser Frage ab und betrat den Laden des Schneiders. Nachdem Maß genommen worden war, wies er den Mann an, die fertigen Kleidungsstücke nach Wiscombe Chase zu schicken. Dann begab er sich zu den Stallungen, in denen sein Hengst untergebracht war, und begann den weiten Ritt nach Norden.

Als Gerry die Stadt hinter sich gelassen hatte, ließ er Satan in einen leichten Trab fallen und dachte nicht mehr an die vielen Meilen, die vor ihm lagen. So sollte es sein, ein Mann und ein Pferd unterwegs mit leichtem Gepäck. Als das Tier müde wurde, legte er eine Rast ein, und sie schliefen unter freiem Himmel. Die Mühe, ein Gasthaus aufzusuchen, machte er sich nicht. Als es zu regnen begann, breitete Gerry ein Öltuch über sich aus. Später kehrte die Sonne zurück und trocknete ihn und Satan, füllte seine Nase mit dem Geruch von feuchter Wolle und nassem Fell. Nachdem sie sich ausgeruht hatten, schwang er sich in den Sattel und ritt weiter in Richtung Norden.

Kincaid hatte recht gehabt. Das einfache Leben eines Soldaten würde er vermissen. Aber als er das Offizierspatent gekauft hatte, war es nur darum gegangen, genügend Geld zu verdienen, um den Landsitz zu retten und seine Zukunft zu sichern. Das hatte er schon vor einigen Jahren geschafft. Nach der Schlacht von Vitoria hatte er genügend Mittel gehabt, um seine Schulden zu begleichen, das Dach reparieren zu lassen, und dann war noch genug Geld übrig, das er investieren konnte.

Damals hätte er zurückkehren können. Aber er hatte es nicht getan. Selbst nachdem Bonaparte nach Elba verbannt worden war, hatte er noch gezögert. Die Flucht des kleinen Franzosen war eine Erleichterung für ihn gewesen, denn das hatte ihm ein paar Monate mehr verschafft, in denen er das Unvermeidliche hinausschieben konnte.

Jetzt war der letzte Schuss gefallen, Napoleon war auf St. Helena, und er selbst hatte keine weiteren Ausreden mehr. Es war Zeit, wieder seine eigentliche Verantwortung zu übernehmen.

Endlich kam der große Felsbrocken in Sicht, der markierte, wo der Familienbesitz der Wiscombes begann. Sein Land. Als er zur Armee ging, hatte es keine lebenden Familienangehörigen mehr gegeben. Hätte es jemanden gegeben, so hätte der feige Jüngling, der er damals gewesen war, ihn um Hilfe angefleht. Was dann wohl aus ihm geworden wäre?

Bei diesem müßigen Gedanken zuckte Gerry mit den Achseln. Sein Hengst spürte sein Unbehagen und erschauerte selbst ein wenig.

Er klopfte Satan auf den Nacken, und sie folgten der Straße, die sich durch den dichten Wald schlängelte, von dem das Haus umgeben war. Die wilde, ungezähmte Natur war schöner als jeder gepflegte Garten. Schön, aber nutzlos. Das Anwesen wurde auf der einen Seite von Bächen und Wasserläufen begrenzt, die zu klein waren, um sie mit einem Schiff zu befahren, und auf der anderen Seite von Granitfelsen und unwegsamen Sümpfen.

Sein Leben wäre vielleicht einfacher verlaufen, hätten seine Vorfahren sich entschieden, sich an einem Ort niederzulassen, an dem Ackerbau und Viehzucht betrieben werden konnten oder wo man Industrie ansiedeln konnte. Das Land, das Wiscombe Chase umgab, war zu nichts zu gebrauchen außer für die Jagd. Da er nicht vorhatte, jemals wieder einem anderen Geschöpf das Leben zu nehmen, sei es nun Mensch oder Tier, wäre er vermutlich besser beraten, das Gelände an einen Jäger zu verkaufen, der es zu schätzen wusste.

Aber nachdem er in den Krieg gezogen war, um Wiscombe Chase behalten zu können, konnte er sich mit dieser Vorstellung nicht anfreunden. Einige Männer hatten an seiner Seite für König und Vaterland gekämpft. Einige Franzosen hatten den korsischen Tyrannen so sehr gehasst, dass sie gegen ihn in den Kampf zogen. Wieder andere strebten nach Geld oder Ruhm.

Er hatte für sein Geburtsrecht gekämpft. Diese zehn Quadratmeilen aus Wald und Moor waren sein Land, das er verteidigen und über das er herrschen sollte. Es warf keinen Penny Gewinn ab. Wenn er ehrlich war, mochte er das zugige und unpraktische Haus nicht einmal, das das Vermögen der Wiscombes verschlungen hatte. Aber, bei Gott, es gehörte ihm, bis zum letzten Stein.

Gerry bemerkte, dass sich auf der linken Seite des Weges einige kleine Äste bewegten. Er zügelte Satan und ermahnte ihn, leise zu sein. Ein Zweig knackte, und Gerry wartete mit angehaltenem Atem. Der alte Hirsch trat auf die Straße hinaus und beobachtete ihn so aufmerksam, wie er das Tier beobachtete. Das Geweih war deutlich größer, als er es in Erinnerung hatte, und das Fell war grauer. Aber auf der linken Schulter war noch die Spur zu erkennen, die die Kugel seines Vaters dort vor so langer Zeit hinterlassen hatte.

„Hallo, alter Freund“, flüsterte er.

Der Hirsch schnaubte einmal, dann warf er den Kopf zurück und verschwand zwischen den Bäumen.

Gerry jubelte innerlich aus Freude darüber, wieder zu Hause zu sein. Obwohl er dagegen angekämpft hatte, seit er von hier fortgegangen war, gehörte er doch hierher. Er trieb Satan an, um das letzte Stück Wald schnell hinter sich zu lassen, und bald kam das Haus in Sichtweite.

Als er fortgegangen war, war es kaum mehr als eine Ruine gewesen. Aber jetzt machte es einen gepflegten Eindruck, sogar das Dach war neu gedeckt. Hinter jedem der Fenster brannte Licht.

Dass sie Freunde eingeladen hatten, um ihn willkommen zu heißen, konnte nicht sein, denn er hatte seine Ankunft nicht angekündigt. Freunde … Bei diesem Gedanken konnte er sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen. Als er England verließ, hatte er hier keine Freunde gehabt. Und das konnte sich während seiner Abwesenheit natürlich nicht geändert haben.

Wahrscheinlich bedeutete die Festbeleuchtung, dass er in die Party eines anderen platzte. Er verspürte dieselbe Aufregung, die ihn manchmal überkam, wenn er in die Schlacht gezogen war. Es war nie das Blutvergießen gewesen, das ihn angezogen hatte. Es war die Klarheit, die einen überkam bei dem Wissen, dass das eigene Leben jeden Moment enden könnte. Im Vergleich dazu verblassten alle anderen Ängste, vor allem die, selbst Fehler zu begehen. Er hatte gelernt zu handeln, ehe andere für ihn entschieden. Nach Jahren, in denen sein Leben oftmals auf der Kippe stand, war er derjenige geworden, der die Fäden in der Hand hielt.

Gerry lächelte sarkastisch. Wenn es jemals eine gegnerische Truppe gegeben hatte, die es verdient hatte, aufgemischt zu werden, dann war es die Familie North.

Er hatte das Haus erreicht und hielt an der Vordertür an. Der Diener, der öffnete und herauskam, um ihm das Pferd abzunehmen, kannte ihn nicht. Aber 1808 hatte er sich keinen Diener an der Tür leisten können, noch viel weniger die Livree, die dieser Bursche trug.

Sein Butler hatte keine Probleme, ihn wiederzuerkennen, als er die Halle betrat. Das gewöhnlich ausdruckslose Gesicht des Mannes zeigte Überraschung. „Master Gerald?“ Dann, nach einem Räuspern, korrigierte er sich: „Verzeihung, Captain Wiscombe.“ Aber hinter der Förmlichkeit grinste er beinahe und war offensichtlich stolz auf seinen Herrn, der ein berühmter Kriegsheld geworden war.

Gerry hatte keinen Grund, dem Mann gegenüber distanziert zu sein, der ihn in der Nacht, als sein Vater starb, getröstet hatte. „Aston.“ Er streckte die Arme aus und umarmte ihn kurz und männlich, umfasste seine Schultern und klopfte ihm einmal auf den Rücken. „Es ist gut, wieder zu Hause zu sein.“

„Und es ist gut, dass Sie wieder hier sind, Captain. Wir haben in den Zeitungen von Ihren militärischen Erfolgen gelesen.“

Also hatten sie sogar hier, weit entfernt von London, von ihm gehört. Natürlich hatten sie das. Wer hatte das nicht? Er war froh, dass er seine Uniform trug, die seinen Ruf als heimgekehrter Kriegsheld unterstützte. Selbst nach Tagen im Sattel war sie noch beeindruckend genug. Und der Säbel an seiner Seite bewies, dass er durch und durch Soldat war.

Aston sah an ihm vorbei. „Sind Sie ohne Begleitung? Wo ist Ihr Gepäck?“

„Das kommt später. Es wird direkt von London hierher geschickt.“ Er lächelte den alten Diener an. „Ich wollte nicht darauf warten, bis meine neue Garderobe fertig ist.“

Der Mann nickte und beeilte sich zu versichern: „Wir sind alle froh, dass Sie das nicht getan haben.“

Galt das für die Herrschaften in der oberen Etage ebenso wie für die Dienerschaft in der unteren? Das bezweifelte er ernsthaft. „Wo ist sie?“, fragte er leise und sah an dem Butler vorbei.

„Kommen Sie in den Salon, Captain.“ Der Butler freute sich anscheinend noch immer über den militärischen Rang seines Herrn. „Während Sie eine Erfrischung zu sich nehmen, hole ich Mrs. Wiscombe.“

„Aston? Wer war das eben an der Tür?“

Offenbar war es nicht nötig, sie zu holen. Lillian stand am Fuß der Treppe. Sie war so schön, wie er sie in Erinnerung hatte, und ebenso rätselhaft. Er fühlte denselben Kloß in der Kehle wie an dem Tag, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Dieses Mal kämpfte er dagegen an. Es mochte vielleicht gerade in Mode sein, die Ehefrau eines anderen Mannes anzuschmachten, dies aber bei der eigenen Frau zu tun, war unangebracht.

Er nahm eine militärische Haltung an und sah sie an. „Niemand Spezielles. Nur Ihr Ehemann, Madam.“

Ruckartig hob sie den Kopf. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein halbes Dutzend verschiedener Gefühle ab, während sie versuchte, die passende Miene aufzusetzen, um ihn willkommen zu heißen. Er war ziemlich sicher, dass weder Dankbarkeit noch Freude dabei waren. Aber ehe es dazu kam, verdrehte sie die Augen, und ihre Knie gaben nach.

„Verdammt.“ Er sprang vor und fing sie auf, bevor sie zu Boden fiel. Die Frau, die er in seinen Armen hielt, war nicht so schlank wie sie vor dem Altar gewirkt hatte. Das war kaum überraschend. Auch er hatte sich verändert. Aber sie war nicht zu üppig. Hätte er sie in Portugal getroffen, hätte er sie seinen Kameraden gegenüber als „netten Armvoll“ beschrieben.

„Die Bank, Captain.“ Der Butler deutete auf ein unbequem aussehendes Sitzmöbel.

„Das Wohnzimmer“, korrigierte ihn Gerry.

„Ich werde nach Madams Zofe und dem Riechsalz schicken.“

„Unsinn“, erklärte Gerry, trug seine Frau durch die offene Tür ins Wohnzimmer und zu dem Diwan vor dem Kamin. „Das Blut muss nur wieder zurück in ihren Kopf strömen.“ Er legte Lillian nieder, setzte sich ans andere Ende, nahm ihre Füße und legte sie sich auf den Schoß, um sie zu erhöhen.

Ihre zierlichen Schuhe an seinen Schenkeln regte seinen Blutfluss mehr an als ihren. Er zog ein Kissen hinter seinem Rücken hervor und schob es unter ihre Füße. Nun berührten sie ihn nicht mehr, und er bekam wieder einen klaren Kopf.

Sie hob die Lider. Umgeben von langen Wimpern sah er Augen, so sanft und braun wie die eines Rehs. Gott musste sich einen Scherz erlaubt haben, als er einer Frau wie Lillian North ein so unschuldiges Gesicht gegeben hatte.

Er lächelte, um seinen Gedanken zu verbergen. „Na also. Sehen Sie? Es funktioniert schon. Holen Sie ihr einen Sherry, Aston, oder etwas anderes Stärkendes.“ Verdammt, er könnte selbst einen starken Brandy gebrauchen. Aber um gegen die Norths bestehen zu können, brauchte er einen klaren Kopf, daher ließ er sich nichts bringen.

Seine Frau war jetzt vollkommen wach. Als sie bemerkte, in welcher Situation sie sich befand, zog sie hastig die Füße zurück und richtete sich auf. Dabei schwankte sie leicht neben ihm, während sie sich bemühte, wieder Haltung zu gewinnen.

„Langsam“, mahnte er sie. „Überstürzen Sie nichts, sonst wird Ihnen wieder schwindelig.“

„Sie haben mich erschreckt“, sagte sie und rieb sich die Schläfen, als hätte sie Kopfschmerzen. Wahrscheinlicher war es, dass sie versuchte, ihr Gesicht zu verbergen, damit sie ihm nicht in die Augen sehen musste.

Sein Anblick hatte sie also erschreckt. Wie unglücklich. Auch wenn sie wohl nicht erwartet hatte, ihn nach dem Hochzeitsessen jemals wiederzusehen, musste sie doch in den vergangenen Jahren von ihm gehört haben. Vermutlich hatte es sie und ihre Familie geärgert, dass er sich so standhaft geweigert hatte, sich umbringen zu lassen.

Der Butler hatte dem Diener ein Zeichen gegeben, und der trat jetzt mit dem Glas vor. Gerry drückte es ihr in die Hand.

Sie trank gierig, als würde sie verzweifelt nach allem greifen, das ihr die Möglichkeit bot, nicht sprechen zu müssen.

„Das Wiedersehen mit mir hat Sie also so erschreckt, dass Sie das Bewusstsein verloren“, drängte er und genoss ihr Unbehagen.

„Ich hatte gehört, dass Sie nach England zurückgekehrt waren. Aber wenn Sie uns über Ihre bevorstehende Rückkehr informiert hätten, wäre das Haus vorbereitet gewesen.“ Sie war dreist genug, ihm Vorwürfe zu machen.

„Im Krieg habe ich gelernt, das Überraschungsmoment zu schätzen.“

„Ich muss den Dienstboten sagen, dass sie Ihr Zimmer lüften sollen.“ Sie stellte ihr Glas beiseite und machte Anstalten aufzustehen.

„Nicht nötig.“ Er grinste sie an und nahm ihre Hand, zog sie nicht allzu sanft auf den Platz neben ihm zurück. „Die Dienerschaft hat meine Ankunft beobachtet und erledigt das vermutlich gerade auch ohne Ihre Anweisung. Ich bin sicher, sie rechnen nicht damit, dass Sie so bald nach unserer Wiedervereinigung von meiner Seite weichen. Wir sind eine Ewigkeit lang voneinander getrennt gewesen. Wir haben viel zu bereden.“

Bei dem Hinweis auf das bevorstehende Gespräch sah sie so elend aus, dass er sie beinahe bemitleidete. Dann erinnerte er sich daran, dass sie hundertmal mehr Elend verdiente für die Art und Weise, wie sie ihn behandelt hatte.

Ehe sie eine Unterhaltung anfangen konnten, wurden sie von Stimmen in der Halle unterbrochen. Ein Mann und ein Junge kamen auf die geöffnete Tür des Wohnzimmers zu, die in ein lebhaftes Gespräch über die Forellen vertieft waren, die sie gefangen hatten.

Tatsächlich war es der Jüngere, der den größten Teil des Gesprächs bestimmte. Der Mann, der bei ihm war, antwortete schlecht gelaunt und einsilbig, ehe er rief: „Aston! Was muss ein Mann tun, um vor dem Dinner einen Drink zu bekommen? Und was soll das ganze Theater hier? Die übrige Jagdgesellschaft ist noch nicht zurück, aber die Dienstboten laufen umher, als stünde das Haus in Flammen.“

Lillian wirkte erschrocken und sah aus, als würde sie gleich einen Warnruf ausstoßen.

Gerry legte ihr eine Hand auf den Arm, damit sie schwieg. Dann sagte er so laut, dass es mühelos bis hinaus in die Halle zu hören war: „Sie müssen nur den Herrn des Hauses fragen, Ronald North. Oder haben Sie diese Rolle während meiner Abwesenheit selbst gespielt?“ Das hatte wie ein Scherz klingen sollen, aber es klang wie ein Vorwurf. Gerry milderte die Worte ab mit einem unschuldigen Lächeln, als der Bruder seiner Frau plötzlich auf der Schwelle stand und sich mit einer Hand am Türrahmen festhielt, als müsste er sich stützen.

„Wiscombe.“ Obwohl seine Stimme eben noch klar und jovial geklungen hatte, wirkte Ronald jetzt angespannt. Er sah noch erschrockener aus als seine Schwester.

Gerry achtete darauf die Schadenfreude, die er empfand, hinter einer unschuldigen Miene zu verbergen. „Welch Überraschung, nach Hause zu kommen und festzustellen, dass Sie immer noch hier sind.“

„Über…raschung?“ Der Mann stotterte, als er das Wort wiederholte, und schien zu überlegen, wie er reagieren sollte.

„Nun, nicht wirklich“, fügte Gerry hinzu und grinste noch breiter. „Natürlich habe ich erwartet, Sie hier vorzufinden. Ich habe Ihnen die Erlaubnis erteilt, während meiner Abwesenheit hier zu leben. Aber es scheint eine Hausparty stattzufinden. Zu Ehren meiner Rückkehr? Sie müssen von meiner Heimkehr gehört und Gäste hier versammelt haben, um mich willkommen zu heißen.“

„Natürlich.“ Ronald griff nach dem Rettungsanker, der ihm zugeworfen wurde, und klammerte sich daran fest, als hinge sein Leben davon ab. „Als wir hörten, dass Sie Waterloo überlebt haben …“ Er machte eine Handbewegung, die andeutete, wie dieser Erfolg gefeiert wurde. Von jemandem, der kein Recht hatte, über das zu bestimmen, was in diesem Haus vorging, war das mehr als nur ein wenig übergriffig.

„Ich habe großes Glück gehabt, dass ich überhaupt hier bin“, antwortete Gerry. „Ich war während der letzten Jahre so oft nahe daran, in einem Sarg nach Hause zu kommen, dass ich aufgehört habe zu zählen.“

„Wie ist es Ihnen gelungen zu überleben?“ Seinem Tonfall nach schien Ronald North verärgert darüber zu sein, dass es dazu gekommen war.

Gerry zuckte mit den Achseln. „Ich nehme an, dass das die Gebete meiner reizenden Frau bewirkt haben. Es schien immer einen Engel zu geben, der mich am Kragen packte und vom Abgrund zurückzog.“ Er machte eine Handbewegung und stieß dabei an das Glas, das Lillian in der Hand hielt, sodass ein Teil ihres Getränks auf den Teppich schwappte.

„Vermutlich.“ Ronald starrte ihn abschätzend an und schien zu überlegen, ob sein Schwager noch immer der Einfaltspinsel war, als den er ihn sich wünschte. Gerry erwiderte das Lächeln und bemühte sich nach Kräften, harmlos auszusehen. Sollte Ronald denken, was er wollte. Oder noch besser, soll er denken, was ich will.

„Aber seit ich England verlassen habe, ist viel Wasser die Themse hinuntergeflossen“, fuhr Gerry fort. „Sagen Sie nicht, Sie hätten die Zeit ohne mich nicht genossen. Ihrer roten Nase nach zu urteilen haben Sie Wein und Brandy reichlich zugesprochen.“ Die Jahre, die ihn selbst abgehärtet hatten, hatten den Bruder seiner Frau verweichlicht. Das haselnussbraune Haar, das die gleiche Farbe hatte wie das seiner Schwester, hatte jeden Glanz verloren. Um die Taille war er dicker geworden, und sein Gesicht wirkte aufgedunsen. Am College war Ronald ein lockerer, gut aussehender Bursche gewesen mit genügend Geld in den Taschen, um beliebt zu sein. Aber jetzt war es schwer, in seinem Schwager etwas anderes zu sehen als den Tunichtgut, der er immer gewesen war.

„Sie müssen nicht befürchten, auf dem Trockenen zu sitzen“, sagte Ronald selbstsicher. „Ihr Weinkeller ist ausgezeichnet, Wiscombe. Ich weiß es, denn ich habe ihn selbst aufgestockt. Und die Gäste, die hier sind, um Ihre Ankunft zu feiern?“ Wieder machte er eine Handbewegung. „Die Crème der Londoner Gesellschaft, mein lieber Junge. Die Spitze.“

„Die Spitze? Dann sind es für mich vermutlich Fremde.“ Er war ein junger Niemand gewesen, als er nach Portugal aufbrach, unbekannt in den gehobenen Kreisen der Hauptstadt. Es hatte ihm geschmeichelt, dass Ronald North ihn als eine passende Partie für seine schöne Schwester angesehen hatte. Ein Narr war er gewesen. Wieder lächelte er Ronald North mit dümmlicher Miene an, um ihm zu zeigen, dass er sich nicht geändert hatte. „Aber ich bin sicher, wir werden uns gut verstehen. Die Burschen in meinem Regiment sagen, solange ich für den Wein zahle, hält man es gut mit mir aus.“

Er spürte, wie seine Frau neben ihm sich anspannte, als sie den Sarkasmus bemerkte, der ihrem Bruder entgangen war. Schon bei ihrer ersten Begegnung war sie besser darin gewesen, ihn zu durchschauen, als jeder der anderen Norths. Es war schade, dass ihr Charakter nicht ihrer Intelligenz entsprach.

„Sie werden die Gäste beim Dinner treffen“, sagte Ronald und erwiderte das Lächeln. Offensichtlich war ihm auch nicht bewusst, dass es ihm nicht zustand, solche Bemerkungen gegenüber dem Hausherrn zu äußern.

„Ich muss die Sitzordnung bei Tisch ändern“, fügte Lily hinzu und versuchte erneut, ihm zu entkommen.

Gerry zog sie wieder zurück. „Aston wird es inzwischen der Haushälterin gesagt haben. Mrs. Fitz ist durchaus in der Lage, ein paar Stühle umzustellen.“ Er lächelte sie in einer Weise an, die sie erschreckt hätte, würde sie ihn besser kennen.

Vielleicht kannte sie ihn, denn er merkte, wie sie leicht erbebte. In einer unverhältnismäßig vertraulichen Geste legte er eine Hand auf ihr Knie, und das Zittern hörte auf. Aber das war kein Zeichen für Entspannung, sondern ähnelte mehr der Schreckenslähmung, die ein Kaninchen unter dem Blick eines Falken überkam.

Dann beachtete er sie und ihren Bruder nicht weiter, sondern blickte zur Tür. „Es gibt nur einen Menschen, den ich wirklich kennenlernen will.“ Er deutete mit einem Finger auf den Knaben, der am Eingang zum Wohnzimmer verharrte. „Tritt vor. Lass mich dich ansehen.“

Der Junge betrat den Raum. Er sah Gerry an, ohne das angespannte Misstrauen der beiden Erwachsenen. Aber welchen Grund sollte er auch haben, diesen Fremden zu fürchten? Vor allem, da er dem Gespräch zugehört hatte und wissen musste, wen er jetzt kennenlernte.

Gerry bemerkte den raschen Blick, den die Geschwister tauschten, als der Junge vortrat. Anscheinend suchten sie mit diesem einen Blick nach dem richtigen Verhalten in dieser Situation.

Wieder einmal war das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Er nutzte den Vorteil und ging zum Angriff über, ehe die anderen etwas sagen konnten. „Als würde ich nicht mit eigenen Augen erkennen, wer du bist. Tritt vor, Junge, und lerne deinen Vater kennen, der aus dem Krieg heimgekehrt ist.“

3. KAPITEL

Gleich würde sie wieder in Ohnmacht fallen. Lily sah die schwarzen Punkte vor ihren Augen tanzen, als Stewart auf Captain Wiscombes ausgestreckte Hand zuging. Gerade jetzt durfte sie nicht das Bewusstsein verlieren. Ihr war schwindelig, weil sie den Atem angehalten hatte. Das war eine schlechte Angewohnheit, und sie musste lernen, damit aufzuhören, wenn sie nicht neben ihrem heldenhaften Ehemann schwach und hilflos wirken wollte. Sie zwang sich dazu, Luft zu holen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ihr Atemzug war so laut, dass er im ganzen Zimmer zu hören war.

Erneut begann sie zu zittern, aber Captain Wiscombe achtete nicht darauf, obwohl er es gespürt haben musste.

Sie hatte bei dieser Begegnung nichts zu befürchten, jedenfalls sagte sie sich das seit sieben Jahren. Ehe er fortging, war Mr. Wiscombe die Sanftmut in Person gewesen. Er war freundlich zu ihr gewesen, hatte ihre Gefühle berücksichtigt und hatte sich vor der Vorstellung, mit ihr verheiratet zu sein, beinahe so sehr gefürchtet wie sie vor seinem Überleben bei der Armee. Der Gerald Wiscombe, an den sie sich erinnerte, wäre eher selbst verletzt worden, als dass er andere verletzt hätte. Sie würde Gerald erklären, was passiert war. Er würde es verstehen und für eine diskrete Trennung sorgen.

Aber es war dumm sich vorzustellen, dass der Mann neben ihr derselbe war wie der, der fortgegangen war. Er hatte sich verändert. Ja, er war ein anderer Mensch geworden. Nichts war mehr übrig von dem schüchternen Jüngling, der stotternd um ihre Hand angehalten hatte. Das braune Haar war in der Sonne heller geworden, und im Gegensatz dazu war die Haut seines Gesichts dunkler geworden, und seine Züge waren schärfer, von der Adlernase bis zu dem markanten Kinn. Die grauen Augen unter den dunklen Brauen hatten einen wachsamen, harten Ausdruck.

Noch immer trug er den schneidigen roten Rock der Dragoner mit Goldtressen an Schultern und Ärmeln. Und irgendwo musste auch sein Säbel sein. Dem resoluten Ausdruck seines Gesichts nach zu schließen, musste er ihn viel benutzt haben. Wenn er beschloss, jene zu strafen, die ihm ein Unrecht angetan hatten …

„Du bist Stewart, nicht wahr?“ Bei seinen Worten stockte ihr wieder der Atem. Er kannte den Namen seines Sohnes, ohne dass man ihm den genannt hatte. „So hieß auch mein Vater.“ Er bedachte den Jungen mit demselben harmlosen Lächeln, das er auch Ronald gezeigt hatte. Aber in seiner Bemerkung lag ein ironischer Unterton, so tief versteckt, dass sie nicht sicher sein konnte, ob sie sich das nicht nur eingebildet hatte.

Stewart schluckte mehrmals. Dann erwiderte er das Lächeln und nickte.

Jetzt berührte der Captain ihren Jungen, umfasste seine Schultern und drehte ihn hierhin und dorthin, um ihn genau zu betrachten. Angespannt wartete sie auf seine Reaktion. „Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich.“

War das auch ironisch gemeint? Oder fiel nur ihr auf, wie wenig Ähnlichkeiten der Junge mit Gerald Wiscombe aufwies?

Warum war ausgerechnet er nicht überrascht, das Kind zu sehen? Während es für den Rest der Welt völlig normal sein mochte, dass sie einen Sohn hatte, musste sie jetzt dem einzigen Mann auf der Welt gegenübertreten, der Fragen haben musste.

Und doch stellte er sie nicht. Er tat so, als wäre er der ein wenig dümmliche, nette Gerald Wiscombe und benahm sich, als hätte er dieses Treffen die ganze Zeit über erwartet. Den Namen des Jungen kannte er, weil ihm den jemand genannt hatte. Aber wer? Und wie viel hatte man ihm erzählt? Und wie viel von dem, was er zu wissen glaubte, entsprach tatsächlich der Wahrheit?

Jetzt stellte er dem Jungen Fragen in anderen Sprachen und bekam die Antworten, die man von einem siebenjährigen Kind erwarten konnte, das sich lieber unter freiem Himmel als im Klassenzimmer aufhielt.

Als er versuchte, eine einfache Frage zu beantworten, die ihm auf Latein gestellt wurde, und daran scheiterte, war Stewart mit seiner Geduld am Ende. „In Mathematik bin ich viel besser als in Latein. Mama sagt, auch Sie sind das. Möchten Sie, dass ich Ihnen ein paar Aufgaben vorrechne?“

Zum ersten Mal seit seiner Ankunft schien Captain Wiscombe die Fassung zu verlieren. Er mochte gehört haben, dass Stewart auf der Welt war, aber offensichtlich war er nicht darauf vorbereitet, einem realen Kind gegenüberzutreten, das ihn mit Begeisterung als den Helden empfangen wollte, der er war. Sein übertrieben strahlendes Lächeln verschwand zusammen mit der Bitterkeit, die es verbergen sollte. Ohne diese Fassade erhaschte sie einen Blick auf den unbeholfenen Jungen, der um ihre Hand angehalten hatte, gefangen in einer Situation, auf deren Bewältigung er nicht vorbereitet war.

Autor

Christine Merrill

Christine Merril lebt zusammen mit ihrer High School-Liebe, zwei Söhnen, einem großen Golden Retriever und zwei Katzen im ländlichen Wisconsin. Häufig spricht sie davon, sich ein paar Schafe oder auch ein Lama anzuschaffen. Jeder seufzt vor Erleichterung, wenn sie aufhört davon zu reden. Seit sie sich erinnern kann, wollte sie...

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