Geliebter Sklave

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Getrieben von ihrer brennenden Leidenschaft für den schönen Sklaven Wulf, ist Rowena blind für die Gefahr! Sie will nicht hören, dass der Mann, der ihre Sinne so erregt, des Mordes bezichtigt wird! Seine Furchtlosigkeit soll ihr dienen, einen betrügerischen Steuereintreiber zu überführen - sein männlicher Körper ihr die Freuden der Lust schenken! An nichts Anderes kann Rowena mehr denken. Und als sie Wulf in ihrem Gemach die Fesseln löst, wagt sie sogar ihr Leben, um in seinen starken Armen ihr Verlangen zu stillen ...


  • Erscheinungstag 16.11.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769277
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Man wird ihn töten.“

„Was?“ Ein kalter Schock riss Rowena aus ihren Gedanken.

„Warum auch nicht?“, fragte des Königs Steuereintreiber. „Ist er doch nur ein Sklave und unbezähmbar dazu, wie es heißt. Können sie ihn nicht verkaufen – wozu sollten sie sich die Mühe machen, ihn weiter durchzufüttern?“

„Aber …“ Sie durfte sich ihre Betroffenheit nicht anmerken lassen. Anteilnahme am Schicksal irgendeines niederen Unfreien wäre ihr als Zeichen der Schwäche ausgelegt worden, und das hätte Eadward sich sogleich zunutze gemacht.

Von der wohlgefälligen Eleganz ihres Begleiters schweifte Rowenas Blick hinüber zu der Reihe Sklaven, die in dieser Ecke des Marktes feilgeboten wurden, an den Hälsen zusammengekettet, damit sie nicht fliehen konnten – Verarmte, Kriegsgefangene, Schuldner, Verbrecher, in die Leibeigenschaft Geborene. Dennoch, es konnte nicht rechtens sein, dass … Es darf dich nicht bekümmern!

„Du meinst den ganz außen, oder?“ Sonnenlicht schimmerte auf glatter, eingeölter Haut über todbringenden Muskeln. Dies ließ nichts Gutes erahnen. Genauso sah Unheil aus!

Und man würde ihn umbringen.

Des Gefangenen Haar war ungebührlich lang und hatte die Farbe von … sie wusste es nicht genau. Von Mondlicht. Von Träumen.

„Bei Berins Gebeinen, Rowena! Könntet Ihr nur Euer Gesicht sehen! Weichherzig wie ein Kind seid Ihr! Recht einnehmend anzuschauen, fürwahr!“

In unbändigem Zorn, der in seiner unterschwelligen Kraft geradezu beängstigend war, spannte sich jede Faser ihres Körpers. Du bist niemandes Kind! Jedenfalls jetzt nicht mehr, denn ein Herz lässt sich kein zweites Mal brechen. Sie war nicht mehr die gutgläubige Närrin, die man nach Gutdünken gängeln durfte. Eigentlich hätte Eadward, des Königs Reeve und Steuereintreiber, dies wissen müssen.

„Ihr irrt“, entgegnete ihm Rowena, nunmehr ganz Lady und Herrin. „Was einem Sklaven widerfährt, ficht mich nicht an. Wir werden schon jemanden für Euch erstehen, einen Geeigneteren.“ Den Blick von dem breitschultrigen Todgeweihten abgewandt, schaute sie an sich herab und raffte ihr edles dunkelblaues Gewand, damit der bestickte Saum nicht den staubigen Boden berühre.

Doch dabei wurde sie hinterrücks angestoßen, da offenbar jemand versuchte, sich an ihr vorbei zum Honigstand durchzudrängen. Irgendein Bauerntölpel wohl …

Aus dem Gleichgewicht geraten, taumelte sie nach vorn, den wehenden Schleier vor dem Gesicht. Wie blind griff sie nach Eadwards Arm. Klammerte sich daran fest. Vermied den Sturz mit knapper Not. Der Saum ihres Kleides wurde mit Schmutz besudelt.

„Ihr könntet mir helfen!“ Offenbar war er verstimmt über ihren kühlen Tonfall. Und – er trug keine Tunika mehr!

Ihre Hand traf auf nackter Haut. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und als die Falten des Schleiers die Sicht freigaben, starrte sie auf einen fremden, unbekleideten Körper, umfangen von ihren Fingern.

„Welch Auge die Lady besitzt! Das ist das Beste, was ich zu bieten habe!“ Eine einladende Stimme mit einem Akzent. Schmeichlerisch. Und doch angespannt und schneidend.

Der Sklavenhändler!

Das Beste im Angebot … Sie riskierte einen verstohlenen Blick. Ein nackter Arm im gleißenden Sonnenlicht, kräftig, fest, führte zu einer ölglänzenden Schulter. Ein atemberaubend breiter Rücken. Ein Hals, umschlossen von einem flachen Eisenreif, daran schwere Ketten. Grausam.

Jäh bemerkte sie, an wen sie sich klammerte: an den Sklaven in der Reihe ganz außen. Den Unbezähmbaren, den man töten wollte.

„Ach, sie kann gar nicht davon lassen! Ich sehe die schöne Dame … und den Lord“, fuhr der Sklavenhändler fort und musterte über ihren Kopf hinweg abschätzend die wohlgekleidete Gestalt, die müßig neben Rowena stand. „Beide wissen wohl zu feilschen!“

„Des sei gewiss! Falls ich denn kaufe!“, erwiderte Eadward, der Thane, der Lehnsmann des Königs, verächtlich und übel gelaunt dem Händler. Rowena bemerkte, wie sich dessen Züge verhärteten. Mit kaltem, verschlagenem Blick bewachte er seine menschliche Ware, als handele es sich um seelenloses Gut. Obgleich hochgewachsen und kräftig wie die meisten Friesen, wirkte er doch nicht so hünenhaft wie der unbeugsame Sklave.

Mit einem Male ward sie sich der Wärme des menschlichen Körpers unter ihrer Hand bewusst. So warm dürfte er sich nicht anfühlen! Es ist ein toter Körper! Zumindest wird er’s bald sein! Bei dem Gedanken überlief sie ein Frösteln. Sie biss die Zähne zusammen. Bloß keine Schwäche angesichts solcher Dinge! Das schert dich nicht mehr!

„Sieh nur die Muskeln von diesem dort!“, begann der Händler, den Blick argwöhnisch auf den kriegerisch wirkenden Thane gerichtet. „Mit dem kann man an einem Tage zwei Tagwerke Land umpflügen. Ach was, drei! Das bringt die Steuer auf Grund und Boden im Handumdrehen zusammen!“ Der Händler taxierte Eadward offenbar nach jeder Unze Silber, jedem Quäntchen Gold, die seine imposante Gestalt schmückten. Auch Rowena, so ihr Eindruck, wurde taxiert, von ihren Armreifen über die verschlungene Goldfibel, die ihren Schleier hielt, bis hin zu den Seidenstickereien am nunmehr verschmutzten Saum ihres weichen blauen Gewandes.

„Mit dem tut man keinen Fehlgriff. Das Beste, was dieses Jahr aufzutreiben ist. Zehn Silbermancusi.“

„Zehn Silberdinare?“, knurrte Eadward verächtlich. „Nicht mal ein Pfund ist der wert! Ich würde dir sechs bieten …“

Sie feilschten. In Geldangelegenheiten bewies Eadward außergewöhnliches Geschick. Kein Wunder: Als Reeve, als Vogt für Steuerwesen von König Ine, zählte es zu seinen Pflichten, den Tribut einzutreiben.

Rowena gab sich alle Mühe, nicht daran zu denken, wie unwiderstehlich Eadward von Reichtümern angezogen wurde, auch nicht an den dunklen Pfad, auf welchen ihn seine Gier geführt hatte. Wenn die Albträume, die sie in so manchen Nächten heimsuchten, der Wahrheit entsprachen, war Eadward ein Mörder.

Sie nahm sich vor, dies herauszufinden.

„… kräftig wie ein Ochs. Ein ausgezeichnetes Geschäft …“

Sie musterte den Arm, auf den sie sich immer noch stützte.

Welch makellose Haut! Vom Sommer, der sich nunmehr dem Ende zuneigte, nahezu bronzefarben gebräunt und dennoch so hell und … Er war sogar sauber, offenbar wirklich des Händlers Prunkstück. Das Öl auf der sonnengebräunten Haut glättete die Körperbehaarung und hob die Muskeln hervor. Versuchsweise kniff Rowena in den Arm, worauf sich die Sehnen unter der wunderbaren Haut gleich Seilen spannten.

Bei des heiligen Berins Gebeinen! Damit ist mehr anzufangen, als nur drei Tagewerke Land zu beackern! Alles kann man damit tun! Alles …

Der Schatten der verwegensten, unglaublichsten Idee, die ihr jemals in den Sinn gekommen war, gewann allmählich in Rowenas Hinterkopf Gestalt, eine Vorstellung, bei der ihr Körper sich verkrampfte. Nach wie vor stützte sie sich auf den Arm des Sklaven. Hätte er sich ihr entziehen wollen, sie hätte es nicht verhindern können. Doch er tat es nicht. Dieser Gedanke ließ sie erschauern.

Sie betrachtete seinen Arm, einen Arm, so kräftig, als wäre er einzig um seiner Stärke willen erschaffen worden. Die vollkommen modellierten Muskeln waren reine Kraft, eine Kraft bar jeder Schranken. Der Körper, den Rowena mit der Hand berührte, schien ganz ruhig, dennoch wusste sie: Er war gefährlich.

Gefährlich … und faszinierend zugleich.

Unheil! Nicht zu bezwingen! Die Worte hallten in ihren Gedanken wider.

Ihre Hände wären machtlos gegen ihn gewesen. Doch er blieb ruhig, wiewohl stärker als alles andere. Stärker als Eadward? Über eines Mannes Stärke verfügte Rowena nicht. Doch sie bedurfte ihrer, und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, spürte die junge Lady diese Kraft im Arm des Sklaven, den sie berührte: als sei jener Sagenheld in der Stunde der Not aus dem Nichts aufgetaucht, der furchtlose Retter, welcher dem Recht zum Siege verhilft und das verwüstete Land wieder aufbaut.

„Schau dir das an!“ Die dröhnende Stimme des Sklavenhändlers schreckte sie auf. „Die schöne Lady versteht sich auf Qualität. Sie wird’s dir bestätigen.“

Wie gebannt von der Idee des Möglichen, vermochte Rowena nicht einmal den Kopf zu wenden, außerstande, sich vom Anblick ihrer schlanken Finger auf diesem mächtigen Arm loszureißen.

„Einen Besseren findet du nicht. Drei Tagewerke an einem Tag! Was sagst du dazu? Reicht dir mein Wort nicht, so fass ihn an! Greif zu! Prüfe nur eigenhändig die Kraft, die in ihm steckt!“

Rowena spürte, wie sich bei den Worten des Sklavenhändlers die Muskeln des Sklaven unter ihren Fingern anspannten. Lebendig. Nein, mehr als lebendig! Ihr war, als brenne sich die Kraft, welche der Händler da pries, gleich einem Funken sprühenden Feuer durch die gespannte Haut, so mächtig, dass nichts sie zu halten vermochte. Eine unwiderstehliche Gewalt, die auch Rowena entzündete und sie erbeben ließ. Leben! Aber wie lange? Schier undenkbar, dass eine solche Kraft einfach verlöschen sollte!

Sie drückte seinen Arm fester, ihr Atem ging schneller. Vielleicht kannst du’s verhindern! Vielleicht … Ihr wurde übel. Sie lockerte ihren Griff und folgte mit der Hand den glatten Wölbungen und Mulden jenes fremden Körpers, als prüfe sie seine Kraft. Sie spürte seine Wärme, die lebendig und verheißungsvoll ihre Finger durchströmte und von dort gleich einer erregenden Woge tief in sie hineinflutete. Wirre Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf, beängstigende Hirngespinste.

Sie feuchtete ihre Lippen an.

„Die Lady ist eine scharfsichtige Käuferin. Sie hat einen Blick fürs Wertvolle. Wie also steht’s mit dem Scharfblick bei diesem hier?“ Der Händler zerrte an dem Arm, den ihre Hand umfasste. Drehte den dazugehörigen Körper ins rechte Licht. Rowena war, als schnüre ihr etwas die Kehle zu.

Er war halb nackt. Die Sklaven waren ausnahmslos bis zu den Hüften entkleidet, damit man begutachten konnte, was sie zu bieten hatten. Rowena indes sah nichts weiter als einen Toten, der in der Reihe ganz außen im Sonnenlicht stand – denjenigen, dessen Arm sie umfasst hielt.

Sie sah den ebenmäßigen Umriss der kräftigen nackten Brust, die tiefgoldenen Härchen, die flach auf der Haut klebten, die mächtig ausgebildeten Muskeln, die faszinierende Männergestalt, und eine sonderbare Erregung überwältigte sie derart, dass ihr schwindlig wurde. Sie konnte sich nicht bewegen und vermochte auch ihren Griff um seinen bronzefarbenen Arm nicht zu lockern.

„Nun?“, drängte der Friese hartnäckig.

Sie bewegte ihre angefeuchteten Lippen, aber kein Laut entrang sich ihrer Kehle.

„Wir sind doch nicht etwa schüchtern, Rowena?“ Eadward spöttelte bloß, doch in seiner belustigten Stimme schwang ein sarkastischer Unterton mit. Neugierde etwa? Lüsternheit? Immerhin waren ihr gewisse Gerüchte über Eadward zu Ohren gekommen.

Durchschaute er mit seinem durchtriebenen Verstand inzwischen, dass sich in ihr gar sonderbare und unbehagliche Gefühle regten? Ein kurzer Blick in seine Augen verriet ihr: Sie täuschte sich nicht. Und als sie ihn abermals ansah, begriff sie: Er legte es darauf an, dass sie fortfuhr mit diesem Spiel, weil er wohl annahm, sie sei zu feige dazu.

Da hatte er sich getäuscht. Sie war mutig und hatte darüber hinaus den festen Willen, vor nichts und niemandem klein beizugeben.

Sie bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln und einem unwiderstehlichen Augenaufschlag, wobei sie mit den Wimpern klimperte. Sie konnte lächeln, dass den Männern das Gemächte schwoll. Sie war sehr schön, und ein jeder wusste das. Was indes niemand ahnte, war die Tatsache, dass ihr Erscheinungsbild und ihr Wesen nicht zueinanderpassten. Nie wieder wirst du dich jemandem auf Gedeih und Verderb ausliefern! Eadward wird merken, dass du ihn nicht fürchtest!

Sie wandte sich wieder dem Hörigen zu. Wie war es möglich, dass ein Unfreier solch schöne Haut besaß? Sie fühlte sich wunderbar an. Samtig. Bewusst langsam strich Rowena mit den Fingern über die glatte Innenseite des Unterarms, über das geäderte Rund des angewinkelten Ellenbogens, um sodann über die pralle Wölbung des Oberarmes zu gleiten. Wunderbar männliche Haut – sinnlich und faszinierend, zugleich aber auch überraschend und beunruhigend. Das ging weit über die Lektion hinaus, welche Rowena Eadward zu erteilen gedachte: Sie wollte ihm zeigen, dass sie sich ihr Dasein nicht von ihm diktieren ließ. Sie selbst bestimmte über ihr Leben. Nichts durfte diese Selbstbestimmung bedrohen!

Sie konzentrierte ihre Gedanken auf Eadward, auf das, was auf dem Spiel stand, auf die Verluste, die sie erlitten hatte. Auf ihre Entschlossenheit, sich nie wieder Derartiges zufügen zu lassen.

Sie hütete sich, auch nur kurz in seine Richtung zu schauen, viel mehr senkte sie den Blick in einer Geste der Sittsamkeit, welche indes nur vorgetäuscht war. Mit all ihrem Trachten und Fühlen, mit allen Sinnen widmete sie sich der goldbraunen Haut jenes unbekannten Sklaven. Und Eadward, so ihre Vermutung, musste es merken.

Sie wartete ab und ließ ihn warten, bis ihr der Schweiß ausbrach. Sie spürte das leichte Prickeln auf ihrer Oberlippe, hoffte zunächst, er werde sehen, wie sie schwitzte, schließlich war’s ihr einerlei. Sie nahm nur noch die Haut des Sklaven wahr. Es gab nichts anderes mehr auf der Welt als diese Wärme und Glätte und das verbotene süße Hochgefühl, das sich in ihr ausbreitete.

Jede Einzelheit sog ihr Blick dabei auf: die winzige Schramme am Oberarm, die Strähne, die nach vorne über des Hünen Schulter gefallen war, anstößig langes Haar, schimmernd von einem Licht, das offenbar nicht allein von der Sonne herrührte. Die verirrte Strähne klebte an der geölten Haut, genau in der Mulde zwischen Oberarm und Torso.

Und unter der weich geschwungenen Locke die Kette.

Rowenas Finger stahlen sich unter die Fessel, das starre Eisen scheuerte an ihrer Haut. Die Kettenglieder, feuergeschmiedet und gehärtet, klirrten. Einen Wimpernschlag lang war ihr, als spüre sie jene kalte, eiserne Last am eigenen Leibe, unnachgiebig und würgend.

Sie riss sich von dieser Vorstellung los und ließ ihre Hand weiterwandern, abwärts, dann seitwärts, bis sie auf dem muskulösen nackten Oberkörper ruhte. Sie nahm das Aroma des Körperöls wahr. Es duftete unergründlich und schwer, nach der fremdartigen Süße eines fernen, südlichen Landes.

Entspannt glitt Rowena mit der Hand über die leicht eingeölte Oberfläche, den betörenden Duft dabei aufrührend, und ertastete die Festigkeit der darunter verborgenen Muskeln. Ihre Hand schmiegte sich an die Wölbung der Brust und hielt dort inne.

Dann fühlte sie die Rippen des Sklaven, sie spürte seinen Atem und gleichzeitig etwas Merkwürdiges in ihrer Herzgegend. Sie hatte die Macht über sich verloren, war im Bann ihres sinnlichen Erlebens, verfangen in ihrem Sehnen.

Es gab nichts anderes mehr, nichts als den Gefesselten, den sie berührte.

Sie drehte den Kopf, sodass der hauchzarte Stoff ihres Schleiers und das kunstvoll gewundene blonde Haar, welches an seinen Rändern hervorlugte, die goldbraune Haut leicht streifte, die harte, dunkle Brustknospe. Ihr Atem strich über seine Haut.

Sie spürte das plötzliche Zucken in seinem Brustkorb, vernahm das halb unterdrückte Keuchen. Vor ihr konnte der Hörige nichts verbergen, nicht, wenn sie so nahe vor ihm stand, nicht, wenn sie ihn auf diese Weise berührte.

Noch aber wollte er sich nicht fügen, der Unbezähmbare, noch widersetzte er sich. Rowena spürte das stumme Ringen um Haltung in dem athletischen Körper. Er erlaubte sich keine Schwäche, und noch behielt er die Oberhand. Aber irgendwann musste der Unfreie atmen. Gewiss, man konnte sich darin üben, möglichst lange den Atem anzuhalten, aber dieser Selbstbeherrschung waren Grenzen gesetzt.

Sie ließ ihre schmale Hand auf seinem Oberkörper ruhen. Er musste Atem holen. Der schwache, widerwillige Druck des kräftigen Brustkorbes gegen ihre Hand kam zu flach und zu schnell. Allein diese Bewegung zu fühlen, wahrzunehmen, schuf eine unbeschreibliche Vertrautheit. Rowena lenkte ihre ganze Aufmerksamkeit auf diese kleine, unaufhaltsame Lebensregung, gegen deren Druck sich ihre Hand auf einmal schwerer anfühlte.

Sie presste ihre Hand fester gegen seinen Brustkorb, spürte die instinktive Abwehr, das lauernde Schweigen dieses fremden Wesens, dieses Mannes. Der Augenblick schien sich auszudehnen, er gehörte ihnen allein. Er hielt nochmals den Atem an, und dann vernahm sie wieder das kurze Aufkeuchen, mit dem sein Körper sich seinem Willen entzog. Sie ließ ihre Hand höher gleiten, bis sie den schnellen, kräftigen Herzschlag spürte.

„Meine Teuerste, wenn Ihr die Ware weiter so knetet, werde ich sie wohl oder übel kaufen müssen!“

Gleich einem Kälteschock entriss es sie dem Zauber der Sinne. Rowena hätte nicht zu sagen vermocht, ob sie selbst oder der Sklave jäh zurückzuckte. Sie blinzelte verstört, als wäre sie aus einem Fiebertraum erwacht.

„Glaubt Ihr noch immer, dass der hier sich voll und ganz für Eure Zwecke eignet?“

Die Doppeldeutigkeit dieser Worte war beabsichtigt, und Eadwards gepflegt amüsierte Stimme hatte einen scharfen Unterton, als sei er verärgert über ein Verhalten, das er zuvor selbst herausgefordert hatte.

Schnell zog Rowena ihre Hand zurück und erwiderte mit beherrschter Stimme: „Ich bin nicht sicher.“

Sollte er daraus entnehmen, was ihm beliebte! Rowena schüttelte den Kopf, als müsse sie sich von jener seltsamen Benommenheit befreien, die ihre Sinne verwirrte und ihrem Urteilsvermögen so verheerend mitspielte. Es war alles nur Täuschung gewesen, um Eadward in seine Schranken zu weisen. Mehr nicht!

„Nicht sicher, Lady?“

Sie erstarrte. Hüte dich vor des Königs Steuervogt! Noch hast du ihn nicht in deiner Gewalt! Sie schenkte ihm ein herzerweichendes Lächeln, in dem eine Bitte um Nachsicht lag, und trat einen Schritt zurück. Als sie sich umwandte, sah sie in das Antlitz des Sklaven.

Seine Augen waren grau, schiefergrau, ohne jedes sanfte Blau. Der erbarmungslose Blick dieser Augen konnte töten.

Sie wich einen weiteren Schritt zurück. Der Ausdruck dieser Augen … Sie hatten schon zu viel gesehen, erfassten alles, nichts entging ihnen: nicht die Kaltblütigkeit des Händlers, nicht Eadwards Stolz, sein unterdrückter Zorn, nicht der wahre Beweggrund für ihr eigenes Verhalten. Und keinerlei Furcht lag in diesem Blick.

Plötzlich erkannte Rowena, was sich hinter jener gewaltigen Kraft verbarg, die so mächtig in ihm wirkte, dass er sie nicht verbergen konnte: Es war Wut.

Sie hatte das Gefühl, als fahre ihr dieser Grimm mit der Wucht eines Messerstichs in den Leib. Ihr war, als wäre ihr Inneres ein verworrenes Gespinst. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie konnte kaum atmen. Sie ermahnte sich, dass dieser Mann, was immer auch in ihm brennen mochte, nur ein Sklave in Ketten war. Mit Mühe wandte sie den Blick ab und sah nur noch Eadwards Gestalt. Der breite, gewundene Silberreif an seinem Handgelenk und der juwelengeschmückte Knauf seines Sax, jenes scharf geschliffene, einschneidige Kurzschwert, das er um die Hüfte gegürtet trug, funkelten in der Sonne. Er machte seiner Stellung als Lord und Thane alle Ehre: ein wahrer Mann und ein würdiger Gefährte für einen König.

Ganz gegen ihren Willen kehrte ihr Blick zu dem Sklaven zurück.

„Ich hoffe, du versuchst nicht, mir einen abgeurteilten Verbrecher anzudrehen“, hörte sie hinter sich den Edelmann, „Ärger will ich mir tunlichst ersparen!“

Darüber hatte sie gar nicht nachgedacht … Gehörten das wunderbare Ebenmaß und die ungeheure Kraft dieses Körpers etwa einem schändlichen Gesetzesbrecher?

„Niemals!“, erwiderte der Händler kriecherisch, doch im Brustton der Überzeugung. „Der da wurde bereits in Unfreiheit geboren.“

Rowena sah dem Sklaven in die Augen. Der Friese log! Sie wusste nicht, woher diese Gewissheit kam, denn der Unfreie selbst verzog keine Miene. Aber sie war sich sicher.

„Eadward …“, hob sie an, wurde jedoch jäh unterbrochen, als sein seidenverbrämter Ärmelsaum vor ihren Augen aufleuchtete und seine Hand direkt auf des Gefesselten Kopf zufuhr. Diesmal stockte ihr wirklich der Atem. Er fasste indes nicht die Kette, wie Rowena erwartet hatte, sondern packte das lange Haar und drehte mit Gewalt den Kopf des Sklaven zur Seite, sodass die Striemen von Peitschenhieben quer über die kräftigen nackten Schultern deutlich sichtbar wurden.

Ihr wurde übel.

„Überrascht?“, erkundigte Eadward sich in triumphierendem, gehässigem Ton, ein klares Zeichen, dass er sie verhöhnte. Dann wandte er sich zornig an den Händler: „Was fällt dir ein? Was wolltest du mir da aufschwatzen?“ Noch immer hielt er mit seiner juwelengeschmückten Hand des Sklaven Haar fest.

Dass Eadward, wähnte er seine Ehre verletzt, überaus empfindlich reagierte, war am Hofe bekannt. Aus Erfahrung wusste Rowena, dass schon das geringste Widerwort alles nur schlimmer machen würde. So verharrte sie schweigend und mit ausdrucksloser Miene.

Der Sklaventreiber indes, betroffen über diesen in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Zwist, mochte nicht schwiegen: „Herr, doch nicht hier, ich bitte Euch! Wenn Ihr …“

„Wenn ich was? Ist dir klar, wen du vor dir hast? Des Königs Vogt zu Lindherst! Ich könnte dieses dein Stück Abschaum da töten, so mir danach wäre!“

„Herr …“

Eadward zog mit seiner freien Hand das Schwert aus der vergoldeten Scheide an seinem Gurt. Der Friese stand reglos da, wie vom Donner gerührt, den Mund hatte er weit aufgerissen, brachte jedoch keinen Laut hervor. Auch Rowena war wie erstarrt. Aber der Unfreie machte eine derart geschickte und überraschende Bewegung, dass sie ihren Augen nicht traute. Es war ihr ein Rätsel, wie es ihm gelang, sich dem Griff des Kriegers zu entziehen und dem Schwerthieb auszuweichen.

Ein mörderischer Ausdruck lag in den schiefergrauen Augen.

Eadward zögerte, ließ das Schwert sinken. Aus seinem Gesicht, soeben noch hochrot vor Empörung, wich alle Farbe. Er hatte Angst! Nach einem kurzen Augenblick wurde er sich wieder bewusst, dass er des Königs Steuereintreiber und zudem bewaffnet war, sein Gegner indessen in Fesseln lag.

Doch dieser Moment der Angst hatte genügt! Alle starrten ihn an – einfache Leute, Händler, Bauern, die erregten Bewohner des Ortes.

Rowena schaute nochmals heimlich zu dem Gefesselten hinüber. Dieser hatte keinen Laut von sich gegeben und würdigte den königlichen Reeve of Lindherst, der da vor ihm stand, das nutzlose Kurzschwert noch in der Hand, keines Blickes. Vielmehr schaute er Rowena an, und in dem verwegenen Blick lag eine ungebrochene Kraft, die Rowena erschauern ließ. Unverwundbar schien er, ähnlich den Todgeweihten in ihrer wilden Entschlossenheit, um ihr Leben zu kämpfen – oder wie jene, die wissen, was Verzweiflung bedeutet.

Er hatte Eadward in Angst versetzt, kannte selbst hingegen keine Furcht. In Rowenas Kopf nahmen die bislang verschwommenen Ideen Gestalt an, ordneten sich allmählich zu einem Plan, der der Kühnheit des Sklaven in nichts nachstand, ebenso mutig und aller Wahrscheinlichkeit nach genauso verhängnisvoll war.

„An der Ware, die du da feilbietest, sind wir nicht interessiert! Kommt, Rowena!“ Der königliche Tributeintreiber umfasste Rowenas Arm. Um seine Fingerringe kräuselten sich verirrte, eingeklemmte Härchen von silbrig-brauner Farbe. Sie tat einen Schritt vorwärts, doch die Idee, die sich in ihrem Kopf festgesetzt hatte, erlaubte ihr nicht, ihm zu folgen. Der Mann mit dem erbarmungslosen Blick, der in Ketten gelegte Fremde, war vollkommen furchtlos! Und käuflich!

Sie hielt inne.

„Rowena!“

Noch immer war des Gefangenen Blick auf sie gerichtet. Die verwegensten Ideen gingen ihr durch den Kopf, begleitet von abertausend Gründen, warum sie nicht zu verwirklichen waren.

Verärgert und enttäuscht zerrte der Sklavenhändler an den losen Kettenenden, um seine Ware aufs Neue in Reih und Glied zu zwingen. Die Fesseln strafften sich klirrend. Rowena sah, wie der harte Eisenreif sich tief in die Haut des Sklaven drückte. Neben sich vernahm sie Eadwards zufriedenes Brummen.

Der Unfreie aber stand bewegungslos, mit todesverachtendem Ausdruck da. Er blickte ihr noch einmal in die Augen, dann wandte er sich ab.

„Ein toter Körper!“, zischte Eadward. Sein Gelächter hallte ihr in den Ohren, bis sie alle Vernunft und jegliche Vorsicht fahren ließ.

„Doch! Wir sind interessiert. Wir nehmen ihn. Ich kaufe ihn. Den da!“

Eadward blieb das Lachen im Halse stecken. „Rowena! Das ist nicht Euer Ernst!“ Sein Griff um ihren Arm wurde so fest, dass es schmerzte. Rowena biss die Zähne zusammen. Ich lasse mich von niemandem mehr bevormunden! Auch nicht von einem Vasallen des Königs! Nie wieder sollte jemand über sie bestimmen können!

„Doch, durchaus!“

Derweil wurden sie von einer Menge Neugieriger eingekreist, die den königlichen Steuereintreiber feindselig anstarrten.

„Rowena …“

„Mich dünkt, es könnte recht lustig werden. Meinst du nicht auch?“ Lächelnd musterte sie ihren Begleiter. Eadward hingegen musterte die Gaffer ringsum. Gewöhnlich trieb er um diese Zeit die Steuer ein.

„Zwölf Silbermancusi“, bot sie dem Händler und unterbrach damit Eadwards plötzliches Schweigen.

Der hochgewachsene Friese schnellte herum. „Zwölf?“

Freilich, der übliche Preis betrug acht, doch Rowena wollte das Schachern beenden und den Kauf abschließen, ehe Eadward aus seinem Schockzustand erwachte.

„Zwölf. Ich werde meinen Verwalter schicken – Eadward?“

„Zwölf?“, wiederholte dieser, offenbar noch mehr außer sich über ihre Geldverschwendung als über ihre Unbotmäßigkeit.

„Komm, Eadward. Heute Abend seid Ihr in meinem Hause zu Gast. Da bleibt reichlich Zeit, uns in dieser Angelegenheit noch einmal zu besprechen.“

Der Blick, mit dem Eadward die Menge bedachte, war hasserfüllt, verriet aber auch Unsicherheit. Rowena machte sich die Situation zunutze, indem sie vortrat und ihren Begleiter mit sich zog. Dabei legte sie die Hand auf seinen Arm und beugte den Oberkörper leicht vor, sodass sie mit ihrem Busen seinen Oberarm streifte.

Nie zuvor hatte sie sich eine solche körperliche Vertraulichkeit ihm gegenüber erlaubt. Derart ermutigt hätte ein Mann wie Eadward sich nicht zurückgehalten, war er doch, so Rowenas Überzeugung, ohnehin darauf aus, sie zu besitzen – nach seiner Einschätzung nur eine Frage der Zeit. Sosehr er das Spiel an sich auch genoss, allmählich verlor er die Geduld. Rowenas Verhalten war somit ein Wagnis. Andererseits hatte sie sich bereits wider alle Vernunft in das gefährlichste Abenteuer ihres Lebens gestürzt.

Einen Augenblick lang war ihr, als sei Eadwards üble Laune stärker als seine Begierde, als wolle er um jeden Preis seine Macht beweisen. Letztlich jedoch obsiegte die körperliche Versuchung, das ungekannte Gefühl, Rowena zu berühren. Überdies hatte sie durch ihre Art, mit dem Sklaven zu verfahren, die Wollust des Steuervogts bereits auf höchst leichtfertige Weise angestachelt.

Sie spürte den festen Griff seiner Hand um ihren Arm, der immer noch etwas schmerzte. Das war wohl auch Eadwards Absicht gewesen. Dennoch, er würde sich ihren Wünschen fügen. In dem Lächeln auf seinem wohlgeschnittenen Gesicht spiegelte sich Triumph sowie die Gewissheit, dass seine Begierde befriedigt werden würde.

Sie hatte ihm Gunst genug gewährt. Das sollte ihn entschädigen für ihre Schwäche für einen männlichen Sklaven von zweifelhafter Herkunft, den sie letztendlich zu einem überteuerten Preis gekauft hatte.

Der Kies knirschte unter ihren Schritten. Sie verbot sich, einen Blick hinter sich zu werfen, und tat es dann doch.

Man nahm dem Sklaven soeben die Ketten ab. Offenbar bemerkte er es kaum. Er beobachtete sie. Seine Miene drückte weder Erleichterung noch Angst aus, sondern allein grimmige Anspannung und eine unbändige Willensstärke, der nichts zu widerstehen vermochte.

„Rowena! Ich rede mit Euch!“

„Natürlich! Verzeiht!“, lenkte sie ein und wandte sich von jener unheimlichen Kraft ab, die sie soeben erkannt hatte. Erst da bemerkte sie, dass Eadward immer noch nach Genugtuung für ihr unbotmäßiges Handeln verlangte. Den geforderten Preis hatte sie noch lange nicht gezahlt.

In ihrem Rücken spürte sie wie eine Klinge den Blick des Unfreien.

Aufs Neue zwang sie sich zu lächeln. Bei allen Göttern, was hatte sie getan?

2. KAPITEL

Geh, hol meinen Einkauf her!“

„Falls Ihr das Seidengarn meint, Herrin – das liegt auf Eurem Tisch. Meint Ihr aber das Weinfass oder die neuen Sensenblätter oder das Ferkel, so befinden sich diese …“

Rowena nahm den missbilligenden Blick ihres Verwalters wahr. Der Druck in ihrer Magengrube verstärkte sich. „Ich meine, was ich außerdem erstanden habe. Den …“

„Den Mann, Herrin?“, fragte Ludda.

„Den Sklaven!“

Der Erwerb eines Fronknechts war nichts Ungewöhnliches. Gewiss, auf ihrem Grund und Boden hatte es keinen gegeben, seit sie denken konnte. Ihr Vater missbilligte das … Sie verdrängte eine Erinnerung, die ihr zu schmerzlich und unerträglich war. Sie war jetzt die Herrin!

„Hol ihn! Wo ist er?“

„Lord Eadward …“

„Eadward?“

„… hat die Unterbringung des Mannes übernommen.“

Sie erstarrte. Eadward war nur ein Gast unter vielen, die zum Festmahl am heutigen Abend geladen waren. Der Anlass zu dieser Einladung war der Erwerb ihres Hauses in Hamwic, einer florierenden Hafenstadt. Sie wollte den neuen Wohnsitz ihren Gästen vorführen, darunter auch einige angeheiratete Vettern sowie eine Verwandte des Ealdorman, des königlichen Bevollmächtigten. Von diesem nämlich erhoffte Rowena sich einen Gefallen, bekleidete er doch einen höheren Rang als Eadward. Eadward, der Steuereintreiber des Königs, überschätzte sich.

„Nun aber her mit dem Sklaven! Geschwind!“

Doch Ludda, zum Henker, ließ sich Zeit, zweifellos nur, um ihr zu zeigen, dass er sich gekränkt fühlte. Rowena lief in ihrer engen Kammer rastlos hin und her, während der lästige Druck in ihrer Magengegend immer stärker wurde.

Durchs offene Fenster schaute sie hinaus in den sonnigen Hof. Es war noch warm, doch die Schatten wurden schon länger. Allmählich rückte die Stunde des Festmahls näher. Die Gäste, die Rowena beeindrucken wollte, würden bald eintreffen.

Endlich!

Hastig setzte sie sich auf den gepolsterten Sitz am Fenster, glättete dort den langen blauen Rock ihres Gewandes aus feiner Wolle, bauschte flüchtig den hauchdünnen Schleier und zupfte den bestickten Ärmelsaum zurecht. Der Türriegel schepperte. Bewusst unbeteiligt hob sie den Kopf und zog die fein gezeichneten Brauen hoch. Ludda stieß ihn durch die Tür.

Knarrend schloss sich die Tür wieder.

Rowena war allein mit ihrem Unfreien.

Sie hatte vergessen, wie groß er war, wie hünenhaft von Gestalt, wie seine Augen aussahen. Sie dachte an das, was sie tun musste, und das unangenehme Gefühl in ihrem Innern verwandelte sich in ein Brennen. Sie war hin- und hergerissen zwischen Erregung und Furcht.

Der Unbekannte, der furchtlose Wilde, dem nicht einmal Eadwards Schwert Angst einzuflößen vermochte, stand unbeweglich im Schatten. Ein Sonnenstrahl erfasste eine Strähne seines Haares und ließ es golden schimmern. Nein, nicht wie Gold – wie Silber! Das Licht in dem hellbraunen Haar schimmerte silbern in der Sonne. Im Übrigen war sein Haar ganz und gar nicht hellbraun, sondern von jenem wunderbar seltenen Farbton, den man aschfarben nennt, faszinierend und … Rowena atmete tief ein. Du bist nicht hier, um dich von einer schimmernden Locke blenden zu lassen!

Jenes Wesen dort war ein Sklave, Gebrauchsgut also, Werkzeug für ihre Rache, für die Pflicht und Schuldigkeit, die sie zu tun hatte, denn sie war am Leben geblieben.

„Komm her!“

„Herrin!“

Die Stimme klang tief und fest, und Rowena erkannte bereits beim ersten Wort einen fremdländischen Akzent. Der Sklave bewegte sich ohne jedes Zaudern und mit einer Selbstsicherheit, welche ihm eigentlich nicht zustand. Vielleicht rührte sie daher, dass er nicht immer unfrei gewesen war, allen gegenteiligen Behauptungen des friesischen Menschenhändlers zum Trotz. Vielleicht glaubte er sich aber auch nur körperlich überlegen. Wie dem auch sei: Ungeachtet all seiner Stärke und Willenskraft würde er tun, was sie von ihm verlangte.

„Stell dich dorthin ins Licht! Ich wünsche zu sehen, was ich erstanden habe!“

Man hatte ihm die Ketten abgenommen, doch war er an den Händen gefesselt. Das hatte Rowena nicht erwartet. Ob der straff gebundenen Arme wurden die Schultern nach hinten gedrückt, was die üppigen Muskelpolster auf seiner Brust umso stärker hervortreten ließ. Es sah aus, als husche die heiße Sonne über die glänzende nackte Haut. Rowena sah …

„Bei Berins Gebeinen! Was ist dir zugestoßen?“

„Ich bin gestürzt.“

Je mehr er sprach, desto fremdartiger und geheimnisvoller wurde die tiefe Stimme. Rowenas Blick wanderte von der Schramme auf seiner linken Wange zu den blutunterlaufenen Malen am rechten Rippenbogen.

„Gefallen? Zwei Mal gleich?“

„Sklaven stürzen häufig. Das ist so Brauch.“

Die Stimme klang unbeteiligt, doch die schiefergrauen Augen blickten wissend und hasserfüllt über Rowena hinweg, sodass ihr schauderte. Wissen! Genau dieses Wissen verbarg sich in ihr, tief in ihrem Innern.

Eadward! Eadward, der sich in seinem Stolz verletzt fühlte. Natürlich musste er sich am Gegenstand seines Unmutes auslassen! Sie hätte, so sagte sie sich, voraussehen können, dass er die Sache nicht auf sich beruhen lassen würde. Du hättest es wissen müssen! Unfreie waren recht- und wehrlos – bis auf das, was ihre Herren ihnen an Rechten und Schutz gewährten. Du hättest es verhindern müssen! Es wäre deine Pflicht gewesen!

Verhindern? Geradezu herausgefordert hast du es! Es ist deine Schuld!

Der Hörige sah sie einfach nur an, so wie er auf dem Marktplatz Eadwards Blick standgehalten hatte.

Und er setzte sich durch.

Sie merkte, wie sie die frischen Strohmatten auf dem Fußboden musterte. Ohne zu wissen, wie ihr geschah, rührte sich in einem längst vergessenen Winkel ihres Gemütes jenes früher so empfindsame Gewissen, jenes Mitgefühl, welches sie einstmals so rasch, so leicht und so reichlich einem Nächsten zuteilwerden ließ. Schwäche! Die Schwachen aber wurden zertreten, sie wurden getötet! Und sie brachten den Tod, wo sie eigentlich hätten schützen müssen. Auf diesen Pfad wollte Rowena sich nie mehr begeben.

Ein unglücklicher Zufall, dass er sich verletzt hatte. Es war nicht ihre Absicht gewesen, doch nun gab es kein Zurück mehr. Es ging nur noch vorwärts, und der Sklave war das Werkzeug zu ihrem Vorhaben. Das spürte Rowena deutlich.

Man bat einen Sklaven nicht um Verzeihung, allein … vielleicht machte sie ihn damit willig zu tun, was sie verlangte. Er muss deinem Wunsche Folge leisten!

Sie erhob sich, damit sie ihn in Augenschein nehmen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken. Sie war stolz auf ihre schlanke Figur und ihren hohen Wuchs. Aber er überragte sie deutlich. Bewusst verächtlich verzog sie die Lippen. „Wie lautet dein Name?“

„Wulf.“

„Das ist alles? Wulf? Weiter nichts?“

„Wie sollte ich weiter heißen, Herrin?“, fügte er nach einer Pause noch hinzu. Unverschämter Kerl! Dieser Name war nicht alles, das sagte ihr ein sicherer Instinkt, auch ohne dass seine maskenhaft ausdruckslose Miene etwas verriet.

Maske, fürwahr! Hinter der weit mehr steckte, als sie sich vorzustellen vermochte. Du solltest ihn auffordern, seinen wahren Namen zu nennen! Du solltest nicht lockerlassen!

Sie schaute ihm in die steingrauen Augen, und sein Blick versenkte sich in den ihren. Sie wollte es gar nicht wissen. Es war viel zu gefährlich. Lieber nicht erfahren, was hinter diesem Blick lag, hinter dem fremden Akzent! Außerdem galt im Umgang mit solch geheimnisvollen Fremdlingen eine Regel: Man fragte sie nie nach dem wirklichen Namen, und tat man es doch, dann gingen sie fort, zurück in jene Märchen- und Fabelwelt, aus der sie gekommen waren.

Dass die Sache sich aber so schwierig gestalten würde, hatte Rowena nicht erwartet, jedenfalls nicht, als man ihn mit gebundenen Händen in ihre Kammer stieß. Sie hätte ihn kurzerhand aufhängen lassen können, ohne auch nur die geringsten Folgen befürchten zu müssen, sah man vom Missfallen der Kirche ab. Ob dieser Bursche sich darüber im Klaren war? Vielleicht hilfst du ihm etwas nach!

Sie musterte ihn, vom Gesicht angefangen über den ganzen Körper, sehr darauf bedacht, dass er auch bemerkte, wie genau sie jede Einzelheit prüfte: die Schrunden und Kratzer, die verdrehten gefesselten Arme, jeden Zoll seines entblößten Körpers. Die Hosen aus grobem, dunklem Leinen und die Beine, die unterhalb der Knie mit Schenkelbändern umwickelt waren. Die kräftigen Waden wurden dadurch hervorgehoben. Schließlich das billige, klobige Schuhwerk. Ihre Beurteilung zeigte sie unverblümt in ihrem Gesichtsausdruck. Du musst ihm von Anfang an zeigen, wer hier den Ton angibt!

Mit nach wie vor verächtlichem Ausdruck trat sie auf ihn zu, wobei sich der dumpfe, krampfartige Druck in ihrem Innern mit jedem Schritt verstärkte. „Also, Sklave“, sprach sie und umkreiste ihn dabei festen Blickes, „was hab ich mir eingehandelt für zwölf Mancusi?“ Bewusst vermied sie den Namen, den er ihr genannt hatte, mochte er noch so trefflich zu den schiefergrauen Raubtieraugen passen.

„Was Ihr vor Euch seht.“ Nicht nur die Art und Weise, wie er die Worte formte, war fremdartig, sondern die Melodie seiner Stimme, ein einziger schwingender Gesang – der eigentümlichste und zugleich wundersamste Klang, den sie je vernommen hatte. Lauschte man ihm länger, so betörte er schier die Sinne. Allein, diese Stimme hatte trotzdem einen scharfen, verächtlichen Unterton, Hass, der unvollständig unterdrückt wurde, den Rowena jedoch unbedingt wahrnehmen sollte. Ja, dieser Sklave maßte sich da ein respektloses Mundwerk an. Das musst du ihm abgewöhnen!

„Was ich vor mir sehe? Was sehe ich denn?“ Sie blieb vor ihm stehen, ein wenig zu dicht und mit angehaltenem Atem, im Magen den dumpfen Druck. Zeig ihm, dass du die Herrin bist! Auf deine Weise! Denn so wie bisher konnte ihr Leben unmöglich weitergehen. Es musste einen Ausweg geben!

Sie hob die Hand, legte ihren grazilen Finger dem Unfreien mitten auf die Brust, ließ ihn dort einen Moment verweilen und führte ihn dann nach unten, ganz langsam, quer über die festen Rippen und die empfindliche Haut auf dem flachen Bauch. Obgleich durchaus nicht grob, war die Berührung diesmal doch keine Geste hingebungsvoller Sinnlichkeit, sondern eine Gebärde der Macht, ein besonderer Wink.

Und er hatte verstanden.

Sie spürte, wie seine Bauchmuskeln sich spannten, vernahm den gedämpften, zischenden Laut, als er die Luft anhielt und dann ausatmete.

„Du bist mein Eigentum“, beschied sie dem vor ihr stehenden menschlichen Bündel voll Verachtung und unterdrückter Wut, „mit Haut und Haar, und ich will wissen, ob du ein gutes Geschäft bist.“ Damit ließ sie die Hand abrupt sinken, in bewusstem Gegensatz zu ihren bedächtig gedehnten Worten. Ihr Finger glitt über den Unterleib, vorbei am Ansatz seines kräftigen Oberschenkels bis hin zu der Wölbung seines Geschlechtes. Beinahe hätte sich ihre Hand von jener üppigen, schweren Wölbung aufhalten lassen. Sie zog sie zurück, denn sie hatte erreicht, was sie wollte: Der Schock, das Begreifen, dass er ihr bedingungslos gehörte, hatte ihn wie ein Brandmal gezeichnet. Doch jene kurze Berührung, das flüchtige Gleiten der Hand über sein verhülltes Geschlecht, hatte genügt, ihr schier den Atem zu verschlagen.

Die Lippen krampfhaft zusammengepresst, versagte sie sich das in der Kehle aufsteigende Keuchen. Jene dunkle, von Furcht überlagerte Spannung, die Erkenntnis, vorsätzlich etwas Falsches, Verbotenes zu tun, durchbohrte sie wie ein Pfeil. Sie hob den Blick zu seinem Gesicht. Doch sie konnte es nicht sehen.

Er bewegte sich.

Einen Schritt zurück, noch einen halben und eine leichte Körperdrehung. Das war die einzige Reaktion, die er ihr gönnte.

Vor Erleichterung war ihr, als löse der Druck im Innern ihres Kopfes sich auf in ein wirbelndes Chaos aus Triumph, Euphorie und den dunklen Fäden des schlechten Gewissens. Sie hatte ihr Ziel erreicht; er konnte ihr nichts entgegensetzen. Seine Kraft war ohne Bedeutung, solange er an den Händen gefesselt war, ein Sklave nur, ein bloßer Besitz. Ihr Eigentum!

Sie starrte auf seinen zur Seite gewandten Kopf, auf das volle Haar, das einem Schleier gleich sein Antlitz verbarg. Aufs Neue verharrte er reglos und wagte keine Bewegung. So war es eben, das Leben eines Sklaven!

Außer Atem stand Rowena da, berührt von der Art und Weise, wie das Sonnenlicht auf jeder einzelnen straffen Wölbung der Muskeln schimmerte, berückt von der vollkommenen Linienführung der nackten Schulter zu dem geneigten Haupt. Hinter dem nach vorn gefallenen Haar nahm sie flüchtig seinen zu Boden gesenkten Blick wahr, die Augen mit ihren dichten, goldbraunen Wimpern.

Das alles ist mein! Sie atmete tief ein. Er würde, dessen war sie gewiss, all ihren Weisungen folgen. Endlich befand sie sich auf dem Siegespfad, auf dem Weg zu Sühne und Heil.

Da schaute er auf.

Ihr Herz hämmerte in der Brust.

Nicht Ergebenheit lag in den grauen Augen, sondern Herausforderung, eine grundsätzliche Kampfansage, ohne Rücksicht auf die unüberbrückbare Kluft zwischen ihm und ihr.

Und es war echt, kein Imponiergehabe!

Rowena merkte, wie sie plötzlich in Schweiß ausbrach. Die Angst machte ihren trügerischen Triumph zunichte. Sie spürte nur noch die Bedrohung, die provozierende Spannung. Sie konnte nicht anders: Sie berührte ihn.

Leicht wie eine Feder strich sie mit der Hand über die Rundung seiner Schulter, über die seidenglatte Haut. Mehr tat sie eigentlich nicht. Doch kaum hatte sie ihn berührt, war sie verloren. Die unwiderstehliche Anziehung, bislang schon verborgen schwelend im Ringen um Macht und Unterwerfung, loderte gleich einer Flamme auf, glühend heiß und alles verschlingend. Rowena fühlte sich im Sog dieses Feuers, sie vermochte dieser Macht nicht zu trotzen, und hätte es auch den sicheren Tod bedeutet.

Wie von selbst suchte ihr Körper nach seinem, kam dort zur Ruhe, wurde seiner Kraft unterworfen. Er spreizte leicht die Beine, geschmeidige Muskeln spannten sich instinktiv, um sie zu empfangen, als habe er dieses alles erwartet, als habe er schon vorausgesehen, dass es so kommen würde.

Überwältigt von seiner Nähe war ihr, als wäre nunmehr sie selbst die Unfreie. Ihr gesamtes Denken und Fühlen, ihr ganzes Bewusstsein wurde bestimmt von seiner Männlichkeit und seiner verborgenen Kraft, die im größtmöglichen Widerspruch zu seiner Unfreiheit stand.

Ihr Begehren war so stark, dass sie den Kopf verlor. Die in ihr widerstreitenden Gefühle – Furcht, Verlangen, reine primitive Erregung – verbanden sich zu einem wilden Schmerz, einem nackten, verzweifelten, kaum stillbaren Lechzen.

Nur er konnte ihr Verlangen stillen.

Sie wollte, dass er es ebenfalls fühlte, wollte erfahren, dass das Echo ihrer eigenen, furchterregenden Begierde auch in ihm widerhallte. Sie wollte spüren, wie sich der kräftige Sklavenkörper bewegte, wie er sich anspannte, dass auch er verzweifelt unter jenen Gefühlen litt, die sie marterten. Sie wollte, dass er, nur er, sie genauso heftig begehrte.

Wenn er dich will, wenn er … Die Erinnerung daran, wie ihre Hand über seine Männlichkeit geglitten war, hatte sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt und flammte wieder auf. Falls er sich wirklich nach ihr verzehrte – wie würde das sein? Wie war es wohl, wenn ein Mann eine Frau begehrte mit all der grimmigen Inbrunst, die sie in seinem Blick gesehen, mit echtem Verlangen, nicht mit verbittertem Blendwerk?

Rowena schloss die Augen. Sie stellte sich vor, wie sich das schwellende, pralle Geschlecht, von ihr berührt, verhärtete, getrieben von der gleichen verzweifelten Sehnsucht, die auch Rowena gefangen hielt. Sie wollte, dass dieser Mann, dieser Fremdling, ihr derart verfiel, dass er sich rückhaltlos gehen ließ.

Noch nie hatte sie erlebt, dass jemand sie so begehrte.

Bisher war sie stets eine Enttäuschung gewesen. Das war die Wahrheit, eine Wahrheit, vor der sie die Augen verschloss.

Dieser Mann würde sie niemals begehren, weniger noch als alle anderen. Er war ein Fronknecht, gekauft auf dem Sklavenmarkt, ein Sklave, der sie verachtete.

Du musst damit aufhören! Und zwar sofort, solange du noch einen Funken von Anstand in dir hast! Sie versuchte, ihre Hand zurückzuziehen, und nur weil sie so ungeschickt vorging, so kopflos, dass sie sich schämte, bemerkte sie etwas, was sie sonst bestimmt übersehen hätte.

Des Gefesselten Schultern, sie waren derart angespannt unter Rowenas Berührung, dass diese schamhafte Geste, diese lächerlich kleine Bewegung ihrer Hand, seine Haut erbeben ließ.

Du, du hast das hervorgerufen! Diesen hochmütigen Sklaven mit seinem verstiegenen Stolz ließen ihre Berührungen also keineswegs kalt! Sie berührte ihn abermals, diesmal mit zitternder Hand und voller Staunen. Ihre Finger glitten über die glatte Haut … zärtlich beinahe, und die schwellenden Muskelstränge bewegten sich im Einklang mit ihren Fingerspitzen. Ihr war, als bringe das Verlangen ihr Herz zum Bersten, doch sie wusste, sie würde niemals Erfüllung finden. Denn ihr Verlangen war gepaart mit der Sehnsucht nach Vertrauen. Nie würde sie sich mit weniger begnügen.

Ihre Hand ruhte unter des Fremdlings schwerem Haar. Rowena schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals, obgleich sie wusste, wie unsinnig ihr Tun war. Sie konnte nicht anders. Sie spürte, wie er ganz sachte den Kopf bewegte, nicht von ihr fort, sondern in ihre Richtung.

Sie schloss die Augen. Was sie tat, war falsch, so wie alles, was sie in ihrem bisherigen Leben getan hatte. Nur Schwache und Träumer handelten wie sie. Sie hatte naiv dem Zauber vertraut, den dieses Handeln versprach. Eadward hatte recht, sie mit einem Kind zu vergleichen. Nie wieder!

Nimm dich in Acht und betrachte die Dinge so, wie sie sind! Sie holte tief Luft, dabei atmete sie den Duft ein, den das Öl auf der warmen Haut des Sklaven verströmte, geheimnisvolles, betörendes Aroma fremdländischer Gewürze, unterlegt mit dem ihm eigenen männlichen Duft. Die Hitze, die Verheißung seiner Kraft ließen die Sinne schwinden wie schon zuvor auf dem Marktplatz.

Autor

Helen Kirkman
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