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A. B. - seine Initialen! Mehr weiß Sarah nicht von dem äußerst charmanten und gut aussehenden Fremden, dem sie in einer Buchhandlung über den Weg lief. Eins weiß sie allerdings genau: Sie hat sich auf den ersten Blick in ihn verliebt und muss ihn wiederfinden ...


  • Erscheinungstag 22.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788056
  • Seitenanzahl 119
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war einer dieser Tage, an denen man besser im Bett geblieben wäre. So erging es zumindest Sarah, als sie auf den Wecker starrte und sich ungläubig die Augen rieb. Mist, schon 8.30 Uhr. Sie hatte verschlafen! Wieder einmal. Ihre Chefin würde ihr bestimmt den Hals umdrehen, wenn sie mit einer Stunde Verspätung in das X-tra-Atelier kommen würde.

„Mist, Mist, Mist“, murmelte sie, während sie ihre langen Beine aus dem breiten Doppelbett schwang und Richtung Badezimmer ging.

In der Wohnung war es leise und dunkel. Ihr Freund Markus war also schon weg.

„Erst mal einen Kaffee“, sagte Sarah zu Kitty, ihrer schwarzen Katze, die hungrig um ihre Beine strich, während Sarah sich an der Espressomaschine zu schaffen machte. Normalerweise hätte sie sich über den Anblick der gemütlichen Wohnküche in der geräumigen Altbauwohnung in Hamburg-Eppendorf gefreut. Heute jedoch war sie nur genervt, weil sie keine Lust auf eine erneute Diskussion mit ihrer Chefin Karen Jansen hatte.

Nachdem sie die Kaffeemaschine angestellt hatte, betrat Sarah gähnend das Badezimmer und betrachtete ihr Spiegelbild. Der Anblick war keineswegs unerfreulich: Mit ihren 1,75 Metern und der schlanken Figur war sie mehr als zufrieden. Auch mit ihren karamellfarbenen, halblangen Haaren, die sie locker hochsteckte, damit sie beim Duschen nicht nass würden. Sarahs eigentlicher Stolz waren neben ihrer Figur jedoch die warmen, tiefbraunen Augen, mit denen sie „wie Bambi“ schauen konnte, wie Markus immer sagte.

Der Bambi-Blick wird mir heute bei Karen Jansen vermutlich nichts nützen, dachte Sarah und drehte den Wasserhahn auf. „Der müsste auch mal wieder entkalkt werden“, stellte sie später genervt fest, als nur ein dünner Strahl aus dem Duschkopf tröpfelte. „Okay, nichts wie raus hier“, sprach Sarah sich selbst Mut zu, schlüpfte in ihren Bademantel und ging in die Küche, um den Espresso zu trinken. Doch anstelle des ersehnten Kaffees erwartete Sarah eine Maschine, die verbrannt roch. Sie hatte vergessen, Wasser einzufüllen, und so war lediglich das Espressopulver erhitzt worden. „Welch ein grauenvoller Morgen“, kommentierte sie ihren Start in den Tag, zog sich in Windeseile an und verließ das Haus, um an ihren Arbeitsplatz zu gehen.

„Frau Mommsen, nett, dass Sie auch mal vorbeischauen“, begrüßte die Jansen sie, und Sarah musste sich schwer zusammenreißen, um nicht schnippisch zu reagieren.

„Guten Morgen, Frau Jansen. Es tut mir leid, ich habe verschlafen.“

„Das sehe ich“, lautete die unfreundliche Antwort. „Wenn das noch einmal passiert, sehe ich mich gezwungen, mir eine andere Mitarbeiterin zu suchen“, sagte ihre Chefin noch drohend, bevor sie zu Sarahs großer Freude das Atelier verließ.

„Mann, was machst du nur?“, fragte Molly, Sarahs beste Freundin und persönliche Assistentin von Karen Jansen. „Das ist schon das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen, dass du zu spät kommst“.

„Nun schimpf du nicht auch noch mit mir“, erwiderte Sarah und sah ihre Freundin bittend an.

„Soll ich dir einen Kaffee holen?“, fragte Molly hilfsbereit, und Sarah nickte dankbar. „Ja, das wäre super. Ich habe nämlich noch nicht gefrühstückt. Und wenn du mir noch einen Bagel …“

„… mit Rucola und Mozarella mitbringen könntest, wäre das wundervoll“, vervollständigte Molly den Satz und war im nächsten Moment schon über die Straße gegangen, um im Coffeeshop das Frühstück für ihre Freundin zu besorgen. Wie nahezu jeden Morgen, seit Sarah „ein kleines Formtief“ hatte, wie sie es selbst nannte. Dieses Formtief hatte hauptsächlich mit ihrem Freund Markus zu tun, mit dem es seit einiger Zeit nicht mehr so gut lief, aber auch mit Karen Jansen. Die Spannungen zwischen den beiden waren mittlerweile unübersehbar.

Sarahs Freundin Molly – die eigentlich Mona-Lisa hieß – machte ihrem Namen alle Ehre, brachte sie es doch bei der winzigen Größe von 1,60 Metern auf ein kleines bisschen zu viel Gewicht, was ihr jedoch bestens stand, wie Sarah ihr immer wieder versicherte. Ihre roten Locken bildeten einen reizvollen Kontrast zu ihrem milchweißen Teint, den ein paar Sommersprossen zierten. Insbesondere auf der Nase, was Sarah besonders gefiel.

„Ein Bagel und zwei Latte macchiato mit Sojamilch zum Mitnehmen“, sagte die Mitarbeiterin des Coffeeshops und reichte eine Tüte über den Tresen. Am liebsten hätte Molly sich einen von den lecker duftenden Muffins mitgenommen, doch sie war gerade dabei, für einen Badeurlaub auf Lanzarote in Form zu kommen, also widerstand sie der köstlichen Verführung tapfer. Innerlich seufzend verließ sie den Coffeeshop, um wieder in das Atelier zurückzukehren.

„Tausend Dank, du bist eine echte Freundin!“, bedankte sich Sarah eine Minute später und schnappte sich ihr Frühstück. „Beim nächsten Mal bin ich dran.“ Während die beiden Freundinnen Kaffee tranken, piepste Mollys Handy und kündigte den Eingang einer SMS an. „Guten Morgen, meine Süße. Freust du dich auch schon so auf unseren Urlaub? Ich liebe dich!“, hatte ihr Mann Philipp gesimst.

„Du hast es gut“, kommentierte Sarah den Wortlaut der SMS, als sie ihrer Freundin zusah, wie diese eine Antwort tippte. „Ich würde mich freuen, wenn Markus mir auch mal wieder so was Nettes schriebe.“

Molly, seit einem Jahr glücklich mit Philipp verheiratet, lächelte ihre Freundin aufmunternd an. „Das wird schon wieder, mach dir keine Sorgen“, sprach sie Sarah Mut zu. „In jeder Beziehung gibt es mal Phasen, in denen es ein wenig kriselt. Schließlich seid ihr im verflixten siebten Jahr, da ist man vielleicht nicht mehr frisch verliebt. Aber das wird schon wieder. Markus und du, ihr seid doch wie füreinander geschaffen!“

Während sie dies sagte, musste sie lächeln, weil sie daran dachte, wie Philipp heute morgen erst ihre Füße massiert und ihr dann das Frühstück ans Bett gebracht hatte. Auf dem Tablett stand ein Glas mit heißem Wasser und einem Stück Ingwer, angeblich das neueste Schlankheitswunder, und ein Teller mit Knäckebroten und Obst. Als Molly die Scheiben auseinanderklappte, fand sie in der Mitte anstelle des erwarteten Frischkäses einen Gutschein für einen Sonntagsbrunch im „Café Engel“ an der Elbe, ihrem Lieblingsort zum Frühstücken.

Beide Freundinnen waren in Gedanken versunken, die eine glücklich und zufrieden, die andere schlecht gelaunt und mit sich hadernd, und so begannen sie mit ihrer Arbeit. Heute war eine Lieferung mit neuen Dekostoffen aus Mailand gekommen, die es zu sortieren und mit Preisen auszuzeichnen galt. Das X-tra war ein renommiertes Atelier für Innenausstattung und Textildesign. Sarah war froh, nach ihrem Studium einen der begehrten Jobs in dieser Branche ergattert zu haben, und so nahm sie sich wieder einmal vor, ihre Chefin mit besonderem Engagement in den nächsten Tagen versöhnlich zu stimmen.

In diesem Moment betrat Karen Jansen das Atelier und musterte die beiden Freundinnen eindringlich. „Besonders weit sind Sie ja noch nicht gekommen“, stellte sie in zickigem Ton fest und sah besonders Sarah streng an.

„Würden Sie bitte das Fenster neu dekorieren? Ich finde, dass wir die neuen Stoffe und die Accessoires, die wir gestern von der Möbelmesse bekommen haben, unbedingt schnellstmöglich präsentieren sollten“, befahl sie schnippisch. „Ich muss noch mal los, komme aber um 17 Uhr wieder. Bis dahin erwarte ich eine niegelnagelneue Fensterdeko, ist das klar?“

„Ist klar“, antwortete Sarah und betete innerlich, dass Karen Jansen sich umgehend in Luft auflösen möge. Trotz aller Vorsätze würde das zwischen ihnen beiden vermutlich nicht mehr lange gut gehen. Seufzend rieb sie sich den schmerzenden Nacken, der immer dann verrückt spielte, wenn Sarah im Stress war.

„Okay, dann wollen wir mal“, murmelte sie, während sie einen Korbstuhl aus dem Schaufenster wuchtete, um dort Platz für die neue Dekoration zu schaffen. Kaum hatte sich die Tür hinter der Jansen geschlossen, streckte Molly ihr die Zunge raus.

„Blöde Zimtzicke“, sagte sie mit einem mitleidigen Blick auf Sarah. „Auf dich hat sie es ja neuerdings besonders abgesehen.“

Ihre Freundin antwortete nicht, weil sie gerade dabei war, nun auch eine Truhe im Kolonialstil aus dem Fenster zu holen. Sie zog und zerrte, und in der Sekunde, als Molly ihr zu Hilfe eilen wollte, stieß sie das Tischchen um, das vor dem Schaufenster stand. Und dann fiel alles, was darauf gestanden hatte, mit lautem Scheppern zu Boden.

„Oh nein“, rief Molly mit schreckgeweiteten Augen, als sie das Chaos sah. Ein Tablett mit Espressotassen, eine Zuckerdose, ein Milchkännchen, ein Strauß Amaryllis, aber vor allem die sündhaft teure antike Vase aus Meissner Porzellan waren mit einem Schlag zu Bruch gegangen. Sarah konnte nur „Mist“ sagen und auf die Scherben starren. Heute war wirklich nicht ihr Tag. Dann kamen ihr die Tränen …

„Was hältst du davon, wenn ich das hier in Ordnung bringe und du währenddessen einmal um den Block gehst?“, fragte Molly mitfühlend. „Und wenn du dich einigermaßen beruhigt hast, kommst du wieder und wir dekorieren gemeinsam das Fenster.“

„Würdest du das wirklich tun?“, fragte Sarah tränenüberströmt und umarmte ihre Freundin. „Ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist. Vielleicht brauche ich wirklich etwas Sauerstoff oder Urlaub.“

Eine Minute später stand sie vor dem X-tra-Atelier und atmete tief die kalte Winterluft ein. Dann ging sie Richtung Park, um dort die eine oder andere Runde zu drehen. Auf dem Weg dahin kam sie an den Schaufenstern der Buchhandlung „Bucheck“ vorbei und warf einen Blick hinein. In der Auslage lagen Golfbücher. Siedendheiß fiel ihr ein, dass sie immer noch nichts Richtiges für Markus zu Weihnachten hatte. Dabei war bereits in drei Tagen Weihnachten! Kurz entschlossen betrat sie die Buchhandlung.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte ein junges Mädchen, das angesichts der Wärme und des Trubels im Laden bereits hektische Flecken im Gesicht hatte. „Ja gern“, antwortete Sarah dankbar, „ich suche die Golfbücher aus Ihrem Schaufenster.“

Minuten später fand sie sich im ersten Stock wieder, wo es ein wenig ruhiger zuging als im Eingangsbereich. Gedankenverloren nahm sie das Regal mit den Golfbüchern in Augenschein und überlegte angestrengt.

Welches sollte sie um Himmels willen nehmen? Zum Thema Golf hatte sie ein ähnlich inniges Verhältnis wie zu Fußball – nämlich gar keins! „Wollen wir mal schauen“, redete Sarah sich selbst gut zu und fixierte mit zusammengekniffenen Augen die Auslage. „Jetzt nur nicht locker lassen, du schaffst das!“ Also, was sollte sie nehmen?

Eines über die schönsten Golfplätze der Welt? Wunderbar, könnte aber kostspielige Konsequenzen nach sich ziehen. Eines über Golfregeln? So eins hatte Markus sicher schon. Eine DVD mit den Highlights der wichtigsten Turniere? Oder doch den Bildband über die schönsten Golfplätze Deutschlands? Dort könnte Markus mit seinem Porsche hinfahren …

Nach einer Weile hatte sie ein paar Bücher in die engere Auswahl gezogen und ging damit Richtung Lesesofa, das einladend im Raum stand, jedoch voll besetzt war. Genervt sah Sarah sich um und entdeckte dann zu ihrer großen Freude, dass bei der kleinen Kaffeebar im hinteren Bereich des Raums noch ein Platz frei war.

„Ein Latte macchiato ist genau das, was ich jetzt brauche“, dachte Sarah und steuerte mitsamt den Büchern auf den Tresen zu.

„Darf ich?“, fragte sie den Mann, der neben dem freien Stuhl saß und eine Zeitung las. „Aber gern“, antwortete dieser höflich und lächelte Sarah aus strahlendblauen Augen an. Irritiert von der Wirkung dieses Blicks nahm sie Platz und stapelte die Bücher vor sich auf den Tisch.

„Einen Latte macchiato ohne Koffein“, bestellte sie bei der Tresenkraft und nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie ihr Sitznachbar sie aufmerksam musterte.

„Sind Sie nervös?“, fragte er lächelnd und faltetet seine Zeitung zusammen. Oh nein, bitte nicht weggehen, dachte Sarah und schalt sich gleichzeitig bei diesem Gedanken. Schließlich hatte sie einen Freund und war glücklich mit ihm. Oder zumindest einigermaßen. Dennoch las sie etwas in dem Blick dieses Fremden, das sie seltsam berührte. Vielleicht waren es aber gar nicht die Augen selbst, sondern die kleinen, feinen Fältchen drumherum, die von viel Wärme und Humor zeugten.

„Ehrlich gesagt, ja“, antwortete Sarah wahrheitsgemäß und deutete auf den Stapel mit den Golfbüchern. „Erstens habe ich heute Morgen verschlafen, zweitens habe ich an meinem Arbeitsplatz Chaos produziert und drittens kämpfe ich gerade mit massiven Entscheidungsschwierigkeiten.“

„Sie haben Glück, ich bin Experte in Sachen Entscheidungsfindung. Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?“, erkundigte der Fremde sich lächelnd und sah Sarah auffordernd an. Dieser Mann ist wirklich unglaublich attraktiv!, schoss es Sarah durch den Kopf, als sie die ebenmäßigen Gesichtszüge, den leichten Dreitagebart und die vollen Lippen ihres Gegenübers musterte. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn …?

„Wenn Sie sich mit dem Thema Golf auskennen, nur zu“, ermunterte sie ihn, sich weiter mit ihr zu beschäftigen.

„Nein, eigentlich kann ich nicht behaupten, dass das mein Spezialgebiet ist“, antwortete der Unbekannte, während er aufmerksam die Rückseitentexte der Titel studierte. „Aber ich glaube, ich würde mich für den Bildband mit den schönsten Golfplätzen Deutschlands entscheiden. Das ist wenigstens etwas Praktisches, das nicht nur dazu verdammt ist, im Regal vor sich hin zu stauben.“

„Okay, das klingt logisch“, antwortete Sarah und lächelte. Zum ersten Mal an diesem grauenvollen Tag. „Und womit beschäftigen Sie sich den ganzen Tag, wenn Sie nicht gerade in Buchhandlungen Cappuccino trinken, wenn ich so neugierig fragen darf? Sind Sie Psychologe, mit Spezialisierung auf Patienten mit Entscheidungsschwierigkeiten?“, erkundigte sie sich und sah ihn unverwandt an.

„Tja, was soll ich darauf antworten?“, fragte er und bestellte einen weiteren Cappuccino. Juhu, das bedeutet, dass er sich noch länger mit mir unterhalten möchte, dachte Sarah beglückt und fühlte ihr Herz klopfen. „Meine Spezialgebiete sind Bauwerke, ferne Länder und Menschen. Genügt das?“

„Oh“, antwortete Sarah, weil sie versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. „Dann sind Sie also in der Reisebranche tätig und helfen Menschen, die nicht wissen, ob sie lieber baden oder etwas besichtigen sollen, die richtige Urlaubsform für sich zu finden?“, mutmaßte sie und hoffte gleichzeitig, dass sie jetzt nicht allzu viel Unsinn redete.

„Nicht ganz“, antwortete der Fremde und lachte. „Ich bin Architekt und verhelfe vermögenden Menschen dazu, das richtige Haus oder die richtige Wohnung für sich zu finden und ihre Wünsche zu realisieren. Meistens Ferienhäuser, deshalb die fernen Länder. Und Sie? Was ist das für ein Arbeitsplatz, den Sie heute Morgen in Schutt und Asche gelegt haben?“

Einen Moment lang war Sarah überwältigt davon, wie sehr die beiden Berufe einander ähnelten und beschloss, nun auch ihn raten zu lassen. „Ich bin spezialisiert auf Menschen, die häufig keinen Geschmack, keine Visionen, viel Geld und keine Zeit haben.“

„Hmm, das nenne ich eine echte Herausforderung“, lächelte der Fremde und fuhr sich scheinbar verzweifelt über den Dreitagebart. „Sie sind Hundesitterin und müssen diese kleinen Chihuahas, die aussehen wie Gremlins, den ganzen Tag herumtragen, weil das Frauchen beim Shoppen ist und Angst hat, dass sich ihr kleiner Liebling mit dem Fell in der Rolltreppe verfängt. Und der Ort, den Sie demoliert haben, ist entweder die Wohnung der Arbeitgeberin oder aber eine Boutique?“

Wie lustig er lächeln kann, dachte Sarah, während sie überlegte, ob sie ihn noch einmal raten lassen sollte oder ihm besser gleich die Wahrheit sagte.

„Da Sie nicht antworten, gehe ich davon aus, dass ich mit meiner Vermutung nicht richtig liege. Okay, was also könnte es noch sein? Sie sind in der Modebranche. Sie sind Designerin oder Schneiderin und haben es mit Kundinnen zu tun, die partout Kleider in Größe 36 anziehen wollen, in Wirklichkeit aber Größe 40 und mehr benötigen. Und mit denen diskutieren Sie dann herum. Heute Morgen haben Sie die Nerven verloren und die Umkleidekabine, in der sich ein besonders unfreundliches Exemplar dieser Spezies befunden hat, aus Versehen in Brand gesteckt. Und zwar mit der Zigarette der Kundin, die Sie ihr reichen sollten als kleine Beruhigung für die strapazierten Nerven beim Anblick ihres Spiegelbildes.“

Sarah musste lachen und gewann immer mehr Spaß an diesem Ratespiel. Schade, dass der Fremde ihr seinen Beruf gleich nach dem ersten Versuch verraten hatte. Doch mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass sie schon seit über einer Stunde weg war und Molly allein im X-tra-Atelier stand. Ganz zu schweigen davon, dass Karen Jansen in genau zwei Stunden ein fertig dekoriertes Schaufenster von ihr erwartete.

„Tut mir leid, dieses heitere Beruferaten so abrupt unterbrechen zu müssen. Aber ich muss dringend los, meine Kollegin macht sich sicher schon Sorgen. War nett, Sie kennengelernt zu haben“, sagte sie und wühlte hektisch nach ihrem Portemonnaie, um zu zahlen.

„Warten Sie, ich komme mit nach unten“, rief der Fremde, nahm einen Bildband, der unter seiner Zeitung gelegen hatte, und ging, nachdem er ebenfalls gezahlt hatte, Seite an Seite mit Sarah die Treppe hinunter zur Hauptkasse.

An der Kasse herrschte heilloses Chaos. Buchhändlerinnen und Aushilfskräfte hatten alle Hände voll zu tun, um Bücher und Kalender zu kassieren oder als Geschenk zu verpacken. Drei Damen tippten wie am Fließband entsprechende Beträge in die Kassen, und drei weitere wickelten alles wunschgemäß in Weihnachtspapier ein. Binnen Minuten hielten Sarah und der Fremde ihre verpackten Bücher in den Händen und verließen gemeinsam den Laden.

„Also dann“, sagte Sarah und trat verlegen von einem Bein auf das andere. „Vielen Dank für Ihre Entscheidungshilfe.“

„Vielen Dank für diese netten zwanzig Minuten mit Ihnen“, antwortete der Unbekannte und strahlte Sarah an. Soll ich ihn nach seiner Handynummer fragen?, überlegte sie eine Sekunde, entschied sich jedoch mit Gedanken an Markus dagegen. „Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag und fröhliche Weihnachten.“

„Und ich wünsche Ihnen, dass der Tag besser endet, als er begonnen hat und dass Ihre Chefin nicht allzu streng mit Ihnen ist“, antwortete er, lächelte sie nochmals an und entschwand dann in den Winternachmittag.

Du hast meinen Tag schon gerettet, ohne es zu wissen, dachte Sarah und sah ihm mit einem Hauch von Bedauern nach.

„Tut mir leid wegen der Verspätung, Süße, da bin ich wieder“, rief Sarah fünf Minuten später atemlos, als sie ins Atelier stürzte. „Hier, das ist für dich, weil du so lange die Stellung gehalten hast.“

„Wie lieb von dir, dass du mal wieder meine Diätabsichten torpedierst“, knurrte Molly, als sie die Tüte mit den gebrannten Mandeln öffnete und daran schnupperte. Himmlisch! Eine echte Alternative zu Orangen und Knäckebrot!

„Ich finde, dass der Winter definitiv die falsche Jahreszeit ist, um sich zu kasteien“, kommentierte Sarah Mollys Gesichtsausdruck, als ihre Freundin sich mit Genuss über die winterliche Süßigkeit hermachte. „Außerdem bist du, genau so, wie du bist, die hübscheste und netteste Molly, die ich kenne“, sagte sie und gab Molly einen Kuss auf die Nasenspitze.

„Kunststück! Du kennst ja auch nur diese eine. Woher kommt denn auf einmal deine gute Laune? Hast du zu viel Glühwein erwischt? Oder was hast du in der Zeit angestellt, als du mich hier schmählich im Stich gelassen hast?“

Sarah unterrichtete ihre Freundin in wenigen Worten von der Begegnung mit dem charmanten Unbekannten und ging, während sie erzählte, hektisch im Atelier auf und ab. Sie hätte doch gern die Telefonnummer des Fremden gehabt, das war ihr mittlerweile klar geworden. So ein Mist! Warum reagierte sie nur immer so blöd, wenn es wirklich darauf ankam?

Auch Molly war einigermaßen erstaunt, als sie erfuhr, dass ihre Freundin mit Rücksicht auf Markus so vernünftig gewesen war. Oder vielmehr unvernünftig – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man die Sache betrachtete.

Wenn sie daran dachte, was Sarah in letzter Zeit über ihre Beziehung mit deren Freund erzählt hatte, tendierte sie eher dazu, ihrer Freundin mal wieder ein wenig Spaß zu gönnen, denn den hatte sie offensichtlich bitter nötig. Markus war zwar nett – Molly und Philipp mochten ihn gern, und deshalb waren sie auch häufig zu viert unterwegs – allerdings hatte er sich in den letzten Monaten verändert. Aus dem fröhlichen, unbeschwerten BWL-Studenten, den Sarah vor sieben Jahren in einem Café kennengelernt hatte, war ein hart arbeitender und gut verdienender Unternehmensberater geworden, für den materielle Dinge einen immer höheren Stellenwert einnahmen. Molly hatte manchmal den Eindruck, dass Markus seinen Porsche wesentlich liebevoller ansah als Sarah. Anstatt mit ihr zusammen zu kochen, ins Kino zu gehen oder auf dem Sofa zu kuscheln, verbrachte er lange Abende und mittlerweile sogar Nächte im Büro, war auf Geschäftsreisen oder ging mit seinen Kunden golfen. Sarah versuchte meist vergeblich, ihn zu gemeinsamen Unternehmungen zu überreden, tanzen zu gehen oder das Robbie-Williams-Konzert zu besuchen, für das sie die letzten Tickets ergattert hatte. Im Urlaub richtete sich mittlerweile auch alles nach den Bedürfnissen von Markus, der – wie er Sarah immer wieder unter die Nase rieb – schließlich auch mehr verdiente. Anstatt mit ihr endlich in die Provence zu fahren, ein Urlaubsziel, von dem Sarah seit Ewigkeiten träumte, schleppte er sie entweder nach Sylt oder Mallorca, weil seine Geschäftspartner dort Apartments oder Fincas hatten.

Andererseits glaubte Molly auch an Treue und die ewige Liebe. Sie und Philipp waren schließlich immer noch so verliebt wie am ersten Tag. Vielleicht war das mit Markus und Sarah ja wirklich nur eine Phase und würde sich legen, sobald Markus sein Versprechen wahr machte, weniger zu arbeiten. Und da wäre es sicher nicht besonders hilfreich, wenn Sarah mit einem anderen Mann anbändeln würde.

Oder vielleicht doch?

Wäre ein wenig Eifersucht nicht vielleicht genau das, was Markus die Augen öffnen würde?

„Und du weißt noch nicht einmal seinen Namen?“, fragte sie und sah Sarah forschend an. „Du weißt nichts, außer, wie er aussieht und dass er Architekt ist? Hm, das ist ja nicht besonders viel …“

„Aber ich weiß, in welcher Richtung sein Büro liegt“, meinte Sarah und erinnerte sich an die Rückenansicht des Fremden, wie er von Meter zu Meter zu einer kleinen Silhouette in der Ferne geworden war. Sie hatte ihm noch eine Weile hinterhergeschaut und mit sich selbst die Verabredung getroffen, dass sie ihn nach seiner Nummer fragen würde, für den Fall, dass er sich noch einmal umdrehte. Doch das Schicksal hatte es offenbar anders gewollt.

„Wir könnten uns das Branchenbuch schnappen und nach Architekturbüros suchen, die in einem Umkreis von zehn Minuten Fußweg von der Buchhandlung entfernt liegen“, schlug Molly vor und fand sich dabei unheimlich kreativ.

„Wir könnten die Sache aber auch auf sich beruhen lassen und endlich das Fenster dekorieren“, antwortete ihre Freundin und griff nach einem der Stoffballen mit asiatischem Dekor. Das Muster würde dem Fenster eine exotische Note geben und alles in warme Rottöne tauchen, passend zur Jahreszeit.

„Okay, du hast vermutlich recht.“ Mit einem Seufzer ging Molly zurück zu ihrem Computer. Sie musste noch den Text für ein Mailing erstellen und war damit mindestens ebenso in Verzug wie ihre Freundin mit dem Fenster. „Gib Bescheid, wenn ich dir helfen kann“, forderte sie Sarah auf, die gerade den Stoff mit Nadeln an der linken Fensterwand befestigte und mit Goldlack herumhantierte.

Die Tage bis Weihnachten vergingen wie im Flug. Beide Freundinnen hatten alle Hände voll zu tun, da Karen Jansen in letzter Sekunde eingefallen war, dass sie das Atelier auch an Heiligabend bis 16 Uhr geöffnet haben wollte.

„Die hat kein Privatleben und will uns deswegen auch keins gönnen“, knurrte Molly. Sie war froh, dass Philipps Büro Betriebsferien machte und er somit Zeit hatte, sich um die Einkäufe und das Essen zu kümmern. Immerhin würden sie am Weihnachtstag zehn Personen sein. Mollys und Philipps Eltern, Philipps Schwester Laura mit ihrem Mann Peter und die Kinder der beiden, auf die Molly sich besonders freute.

Während Molly ihrer Vorfreude frönte, ärgerte sich in einer anderen Wohnung Sarah darüber, dass Markus sogar an diesem 23. Dezember unterwegs war und sie mit den Vorbereitungen allein ließ. „Weihnachtsfeier“ hatte Markus lapidar als Begründung genannt, und Sarah konnte nicht umhin, sich über diese Erklärung zu wundern. Hatten alle betrieblichen Weihnachtsfeiern nicht bereits Anfang Dezember stattgefunden? Mittlerweile hatte sie deutlich das Gefühl, dass ihr Freund ihr gezielt aus dem Weg ging.

Seufzend dachte Sarah an den Unbekannten aus der Buchhandlung, während sie im Küchenschrank nach Puderzucker für die Vanillekipferl fahndete, die sie im Backofen hatte. Um sich in weihnachtliche Stimmung zu bringen, legte sie einen Sampler in den CD-Player und summte zusammen mit Bing Crosby „White Christmas“. Sie traute sich nicht zu singen, denn Markus hatte ihr immer wieder versichert, dass ihre Stimme wie eine rostige Gießkanne klang. „Aber wie eine sehr süße rostige Gießkanne“, hatte er schmunzelnd gesagt und sie in den Arm genommen, nachdem sie sich anlässlich eines Karaokeabends mit Molly und Philipp lächerlich gemacht hatte.

Ob der Fremde ihre Sangeskünste auch so kommentieren würde? Irgendetwas sagte ihr, dass das bestimmt nicht so wäre. Halt, stopp, du darfst nicht so viel von diesem Mann träumen, ermahnte sich Sarah innerlich. Erstens kennst du ihn kaum, und zweitens siehst du ihn sowieso nie wieder. Schlag dir also den Gedanken an ihn endgültig aus dem Kopf und konzentrier dich lieber auf deine Weihnachtsplätzchen!

Autor

Mia Jacobs
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