Glücksbringer auf leisen Pfoten

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Warum sind Menschen nur so kompliziert? Die Katzen Luna und Colette schlagen die Pfoten über dem Kopf zusammen. Da wohnen ihre Frauchen Sonja und Marie-Claire schon in Paris, der Stadt der Liebe, und dennoch stellen sie sich in Herzensdingen mehr als ungeschickt an. Merkt Sonja denn nicht, dass der attraktive Restaurator Nicolas viel besser zu ihr passt als Jonas - der ohnehin nur Augen für Bistrobesitzerin Marie-Claire hat? Für die Samtpfoten ist klar, dass sie ihren Menschen auf die Sprünge helfen müssen, damit es zum Happy End unterm Eiffelturm kommt.

»Vier Herzen, Liebeschaos und zwei kluge und findige Samtpfoten, die nichts unversucht lassen, um ihren geliebten und doch manchmal so begriffsstutzigen Menschen zu ihrem Glück zu verhelfen. Eine turbulente und romantische Geschichte vor der Kulisse der romantischsten Stadt der Welt.«
Petra Schier

»Eine tolle Liebesgeschichte mit Niedlichkeitseffekt.«
Leserstimme auf LovelyBooks über »Die Liebe kommt auf Samtpfoten«


  • Erscheinungstag 01.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783955768591
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Wow. Paris. Und Jonas, aber inmitten des Ankunftstrubels auf der Gare de l’Est (was eine Million Mal charmanter klang als »Ostbahnhof«) überwog die Vorfreude auf die Stadt sogar die Aussicht, Jonas wiederzusehen. Außerdem, dachte Sonja, während sie sich mit Sack und Pack sowie Katzenreisetasche vorsichtig durch die Menschenmenge zum nächstgelegenen Ausgang mit einem Taxisymbol schob, befand sie sich in der wunderbaren Situation, zehn Monate lang sowohl Paris als auch Jonas ausgiebig genießen zu können. Glück im Doppelpack sozusagen. Allerdings wusste Jonas noch nichts davon, wie fest sie dieses Glück bereits in ihr Leben eingeplant hatte. Und das könnte unter Umständen problematisch werden.

Sonja seufzte. Noch keine fünf Minuten in der Stadt ihrer Träume, und schon hatte sie es geschafft, ihre fröhliche Stimmung durch schlecht getimte Grübelei auszubremsen. Typisches Eigentor einer amtlich beglaubigten Bedenkenträgerin, würde ihre chronisch optimistische Freundin Marie-Claire ihr jetzt unter die Nase reiben. Völlig zu Recht übrigens. Denn wer angesichts der Perspektive, den Frühling und den Sommer in Paris zu verbringen, auch nur einen Hauch Trübsal blies, dem war wirklich nicht mehr zu helfen. Aus der geräumigen Transporttasche in ihrer rechten Hand erklang ein bestätigendes Maunzen.

Sonja grinste. »Es gehört sich nicht, unaufgefordert anderer Leute Gedanken zu kommentieren, Luna«, wies sie ihre Katze zurecht. Obwohl sie ziemlich laut gesprochen hatte, erntete sie keine komischen Blicke. Noch vor zehn Jahren wäre man einer offenbar mit sich selbst sprechenden Person vermutlich weiträumig ausgewichen. Aber heutzutage nahmen die paar Menschen, die ohne Knopf im Ohr unterwegs waren, wohl einfach an, dass sie mit irgendwem telefonierte.

Die meisten Menschen, die mit ihr aus dem Bahnhof strömten, schienen die Métro anzusteuern, daher war die Schlange am Taxistand überschaubar. Als sie an der Reihe war, drückte Sonja dem Fahrer den Griff ihres Koffers in die Hand und ließ sich erleichtert auf den Rücksitz des Wagens sinken. Vorsichtig stellte sie die Tasche mit Luna neben sich. Die Zugfahrt hatte nicht mal vier Stunden gedauert, dennoch hatte sie das Gefühl, eine Riesenstrecke hinter sich gebracht zu haben. Kein Wunder, schließlich war das hier so etwas wie ein Mini-Neubeginn, sowohl karrieretechnisch wie auch privat. Streng genommen wäre es privat eher die Fortsetzung eines Mini-Neubeginns, der sich vor drei Monaten in Heidelberg so verheißungsvoll angelassen hatte. Natürlich wusste sie nicht hundertprozentig, ob Jonas das genauso empfand. Der leidenschaftliche Kuss zum Abschied hatte zwar definitiv Potenzial gehabt, andererseits war es weder zu Treueschwüren noch zu irgendwelchen Versprechungen gekommen. Womöglich fühlte er sich sogar von ihr verfolgt, ausgerechnet jetzt, wo er doch alle Hände voll zu tun hatte, um seine erste große Ausstellung vorzubereiten.

Aus Lunas Tasche ertönte ein aufforderndes Schnurren. Sonja merkte, dass sie schon seit mindestens einer Minute stirnrunzelnd auf ihre im Schoß gefalteten Hände gestarrt hatte, und hob den Blick. Der Taxifahrer sah sie erwartungsvoll an.

»Oh, ähm, Rue Barbette, s’il vous plaît«, sagte sie hastig. Marie-Claire hatte mit der Szene-Bar im Künstlerviertel Marais, die sie vor einigen Jahren von der alteingesessenen Wirtin übernommen hatte, alles richtig gemacht. Ihre Wohnung, die direkt über dem bei der örtlichen Bohème äußerst populären Eck-Bistro lag, war groß genug für eine temporäre Mitbewohnerin, und Sonja war, naturellement, herzlich willkommen, so lange zu bleiben, wie sie wollte. Das hatte es ihr erspart, nach einer Unterkunft zu suchen, als sie das Stipendium für die École du Louvre erhalten hatte. Es bot sich ihr die einmalige Chance, auf ihren Heidelberger Bachelor in Kunstgeschichte noch einen internationalen Master in Kunstgeschichte und Museologie draufzusatteln: die perfekte Voraussetzung, um später einen Job als Kuratorin zu ergattern. Und irgendwann einmal, wer weiß, eine spektakuläre Schau des berühmten Malers Jonas Gellner zu organisieren.

Der Taxifahrer war augenscheinlich zu dem Schluss gelangt, dass sie eine Touristin war, die sicher nichts gegen einen kleinen lukrativen Umweg einzuwenden hätte. Jedenfalls fuhr er nicht direkt ins 4. Arrondissement, sondern steuerte zügig – oder so zügig es eben möglich war – den Boulevard Saint-Denis an. Sonja war zwar nicht zum ersten Mal in Paris, aber eine kleine Auffrischungstour konnte sicher nicht schaden. Aufgeregt blickte sie durchs Fenster nach draußen in den sonnigen Vorfrühlingstag. Die Luft war noch kühl, doch an den Bäumen bildeten sich bereits zarte Knospen und ein Hauch von Grün. Bunte Krokusse reckten ihre Köpfchen durchs Gras der Verkehrsinseln. Der Boulevard Montmartre sah unter dem zartblauen, leicht bewölkten Himmel beinahe so aus wie auf Camille Pissarros berühmtem Bild Matinée de Printemps. Ein (Vor-)Frühlingstag, in der Tat … Vor jedem Café standen Tische auf dem Bürgersteig, fast alle waren besetzt von schicken Männern und Frauen, die oversized Mäntel trugen und lässig ihre nackten Knöchel zeigten. Socken oder Strümpfe waren wohl selbst bei zehn Grad Lufttemperatur nur was für stillose Ignoranten … Kurz hinter dem Musée Grévin, das mit farbenfroher Fassade für seine legendären Wachsfiguren warb, bog der Fahrer auf die Rue de Richelieu ab. Der Verkehr war so dicht, dass es nur langsam voranging, doch Sonja hatte es nicht besonders eilig.

Sie atmete tief durch und genoss das erwartungsvolle Kribbeln im Bauch. »Du hast dir definitiv die schönste Zeit im Jahr für dein Stipendium ausgesucht«, hatte Marie-Claire fröhlich erklärt – als hätte Sonja auch nur den geringsten Einfluss auf die Festsetzung des Zeitraums gehabt. Es war schlicht Glück gewesen; es hätte leicht passieren können, dass sie erst im Herbstsemester zum Zuge gekommen wäre. Viel zu lange hin für ein Wiedersehen mit Jonas. Noch glücklicher traf es sich, dass Marie-Claire, die seit ihrem Au-pair-Jahr in Heidelberg Sonjas beste Freundin war, sie sofort eingeladen hatte, bei ihr zu wohnen. Zwar hegte Sonja (leichte!!) Bedenken, ob sie wirklich so lange das Apartment der viel beschäftigten Wirtin belagern konnte, aber Paris war ein sündhaft teures Pflaster. Außerdem würde sie auch regelmäßig im Bistro aushelfen, um sich für das großzügige Angebot zu revanchieren. Und Luna hätte es nicht besser treffen können. Marie-Claire liebte Katzen, schließlich hieß ihr Laden nicht ohne Grund Le Tigre de Salon, also Stubentiger. Logisch, dass sie nicht nur Sonja, sondern auch deren heiß geliebte Siamkatze mit offenen Armen empfangen würde. Luna in Heidelberg zurückzulassen war nie eine Option gewesen, auch wenn sich dort nette Leute um sie gekümmert hätten. Schließlich wurde schon jeder Kurzurlaub für Sonja zur Gewissensprüfung, sobald sie in die wunderschönen blauen und zum Abschied tieftraurigen Augen ihrer süßen Samtpfote schaute.

Was besagte Samtpfote natürlich ganz genau wusste und schamlos ausnutzte. Zumindest würde sie sich im Tigre nicht einsam fühlen; die dreifarbige Glückskatze Colette, eigentliche Herrin der Bar und Marie-Claires absoluter Augenstern, würde den vierbeinigen Gast bestimmt gern mit der neuen Umgebung vertraut machen, da war Sonja sich ganz sicher.

Der Taxifahrer deutete nach links. »Le Palais Royale, Mademoiselle.« Oh ja, daran würde sie sich wohl gewöhnen müssen. Zwar hatte Frankreich die Anrede für junge, unverheiratete Frauen vor mehr als sechs Jahren offiziell abgeschafft, doch das war den meisten Franzosen – und Französinnen – herzlich egal. Viele Frauen fanden es sogar schmeichelhaft, mit Mademoiselle angesprochen zu werden. »Pass auf«, hatte Marie ihr prophezeit. »Am Ende bist du sogar beleidigt, wenn jemand Madame zu dir sagt.«

Sie näherten sich der Place du Carrousel und damit Sonjas künftigem Wirkungsort. »Le Louvre«, verkündete ihr Fahrer unnötigerweise. Die gläserne Pyramide im Innenhof war kaum zu übersehen. Sonja war schon sehr gespannt auf ihr Studium, zu dem nicht nur Seminare, Führungen und Vorlesungen gehörten, sondern auch ganz praktische »Exkursionen« ins reale Leben von Kuratoren und Museumsmanagern. Genauso freute sie sich darauf, in den Pausen die Umgebung zu erkunden: das Seine-Ufer, die Parkanlagen, die Restaurants und Cafés. Und falls es mal regnen sollte, dann würde sie einfach im eleganten Carrousel du Louvre shoppen und in den zahlreichen Läden dort stöbern.

Als sie den Pont du Carrousel überquerten, glitzerte unter ihnen die Seine in der Nachmittagssonne. Nun befanden sie sich auf der Rive Gauche, dem linken Ufer, und fuhren entlang des Quai Anatole France. Der Mann deutete auf die andere Flussseite. »Les Jardin des Tuileries.« In dem einstigen Barock-Schlosspark, der gleich hinter dem Louvre begann – oder endete, je nachdem –, würde Sonja sicher viel Zeit verbringen. Sie mochte kunstvolle Grünanlangen, und die dort drüben gehörte zu den schönsten Gärten Europas. Sonja stellte sich das sommerliche Treiben dort ein wenig so vor wie auf Édouard Manets Gemälde »Musik im Tuileriengarten«. Okay, vermutlich mit etwas weniger Stoff am Leib, aber ähnlich heiter und ausgelassen.

Sie kamen am Musée d’Orsay vorbei, das ebenfalls ganz oben auf Sonjas To-do-Liste stand. Der Taxifahrer, der sich offenbar immer mehr für seine Rolle als Stadtführer erwärmte und mittlerweile begriffen zu haben schien, dass seine Kundin des Französischen mächtig war, zeigte nach vorn. »Le Palais Bourbon. Der Sitz unserer Nationalversammlung«, erläuterte er. »Und wenn Sie nach rechts schauen, Mademoiselle, ans andere Ufer, sehen Sie die Place de la Concorde, den größten Platz von Paris, mit dem weithin sichtbaren Obelisk von Luxor, einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.«

Allerdings längst nicht so bekannt wie das Bauwerk, das sich jetzt vor ihnen aus dem noch recht winterkargen, aber an diesem heiteren Februarnachmittag ziemlich bevölkerten Champ de Mars erhob. Egal wie oft Sonja den Eiffelturm schon gesehen hatte, in echt, im Kino oder auf Fotos, sie war jedes Mal aufs Neue beeindruckt von der geschwungenen Konstruktion, die so gewaltig war und doch beinahe zierlich wirkte. Aus der Nähe raubten die zahllosen Touristengruppen, die robusten Eisengitter und die hohe kugelsichere Glasmauer, die gerade aus Sicherheitsgründen um den unteren Teil hochgezogen worden war, ein wenig vom urbanen Charme des wohl berühmtesten Wahrzeichens der Welt. Aber aus einiger Entfernung kam ihr der mehr als dreihundert Meter hohe Eisenturm so zauberhaft und romantisch vor wie eh und je.

Sie kehrten über den Pont d l’Alma ans rechte Ufer zurück. Die vielspurige Straßenbrücke war architektonisch wenig reizvoll, bot jedoch einen ungetrübten Blick auf die Jardins du Trocadéro, zwei wunderbar symmetrisch angelegte Gärten am Chaillot-Hügel. Der Fahrer setzte den rechten Blinker, und sie folgten dem Lauf der Seine Richtung Marais. In der Ferne erkannte Sonja die unverkennbaren Zwillingstürme von Notre-Dame. Tief atmete sie durch. Unglaublich, schoss es ihr durch den Kopf, und sie unterdrückte den Wunsch, sich zu kneifen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. Ich bin definitiv in Paris.

2. Kapitel

Luna gähnte. Auf der endlosen Rumpelreise in dieser weichen, ziemlich engen – aber dafür dennoch recht bequemen – Tuchhöhle, in die ihre Sonja sie immer dann steckte, wenn sie ihr ein neues Revier zeigen wollte, war sie kaum zum Schlafen gekommen. Was vor allem daran lag, dass ihr Mensch nervös war. Nicht ängstlich nervös, sonst wäre Luna sehr beunruhigt gewesen, denn das bedeutete meist: weniger Leckerlis und Liebkosungen als normal. Gut, normal gab es zugegebenermaßen enorm viele Leckerlis und Liebkosungen, ein bisschen weniger war also im Grunde gar nicht so schlimm. Doch wenn Sonja sich wegen irgendwelcher menschlichen Belanglosigkeiten verrückt machte, was öfter vorkam, als Luna lieb war, dann flatterten ihre Nerven so heftig, dass Luna sich oft anstecken ließ und dann ebenfalls ängstlich, nervös und besorgt wurde. Was eigentlich gar nicht ihre Art war. Momentan war Sonja aber zum Glück begeistert nervös. Das war natürlich viel besser, für Lunas sensibles Seelenleben allerdings nicht minder anstrengend. Jedenfalls hatte es ihr auf der endlosen Rumpelreise den Schlaf geraubt, und schließlich musste sie sich auch noch in eine dieser stinkenden Rollkisten verfrachten lassen. Auto, rief sie sich in Erinnerung, so nannte Sonja diese Dinger, in denen Luna manchmal so übel wurde, dass sie am liebsten Gras gefressen hätte. Das es aber natürlich nicht gab, wie auch, wenn man endlos durch die Gegend rumpelte und rollte, um völlig ohne Not ein neues Revier zu beziehen. Was Luna allerdings immer noch lieber war als diese anderen Gelegenheiten, bei denen sie allein in ihrem alten Terrain zurückgelassen und von Aushilfs-Büchsenöffnern mit Essen und ein paar notdürftigen Streicheleinheiten versorgt worden war, bis ihre Sonja schließlich aus wer weiß wie gefährlichen Gebieten wieder zurückkehrte. Und sie endlich wieder damit aufhören konnte, sich Sorgen um ihren Menschen zu machen.

Da kam sie doch lieber gleich mit, damit sie auf Sonja aufpassen konnte. Das war auch besser so, denn plötzlich spürte Luna durch ihre Rumpel-Roll-Revierwechsel-Stoffhöhle hindurch ganz deutlich, dass ihr allerliebster Mensch wieder mal anfing zu graben. So nannte Luna das für sich, wenn sie mitkriegte – und sie bekam es immer mit –, dass Sonja sich in ihre eigenen Gedanken verstrickte wie ein ungeschicktes Kätzchen in einen dieser Bälle, die aus lauter weichen Fäden bestanden. Zwischen Sonjas Augen bildete sich dann stets so eine kleine Furche, und sie atmete viel lauter als sonst. Seufzen hieß das bei den Menschen, warum auch immer. Wenn Luna in diesen Fällen nicht ganz schnell reagierte und energisch schnurrend protestierte, konnte das ewig so weitergehen, was nicht nur furchtbar langweilig für Luna war, sondern sie auch traurig werden ließ. Denn sie wollte nicht, dass ihr Mensch seufzte und sich in sich hineingrub. Oder grübelte, wie Sonja das bezeichnete. Glücklicherweise half meist ein kleines aufmunterndes Maunzen, um Sonja wieder zum Spielen oder Schmusen oder wenigstens zum Lachen zu bringen. So wie gerade eben, als das begeistert nervöse Flattern kurz zu einem ängstlich nervösen Flattern zu werden drohte. Gefahr gebannt, stellte Luna zufrieden fest und rollte sich in ihrer Höhle zusammen. Irgendwann musste diese endlose Rumpelei doch vorbei sein …

Plötzlich, ohne Vorwarnung bewegten sie sich nicht mehr vorwärts. Das leise Brummen erstarb. Luna hörte Sonjas Stimme, außerdem die tiefere von dem männlichen Menschen, der mit ihnen in diesem Auto war, und dann einen heiteren Menschen, der einen fröhlichen Schwall von Wörtern ausstieß. Sonja redete auch sehr viel, schneller als sonst, und sie lachte oft, das hieß, dass sie glücklich war. Lunas Höhle wurde ein Stück weit getragen, von der Straße in einen etwas dunkleren Raum. Sowie die vordere Seite, durch die sie nach draußen schauen konnte, aufklappte, steckte Luna neugierig den Kopf hinaus. Sie war bereit, ihr neues Revier in Augenschein zu nehmen.

Sonja fing sie ab, bevor sie auch nur einen ersten Eindruck von der höchst interessant riechenden Umgebung bekommen konnte, drückte sie an ihre Brust und gab ihr einen kleinen Nasenstüber. »Mein armer kleiner Schatz«, sagte sie. »Jetzt hast du es endlich geschafft. Weil du so tapfer und brav warst, hast du dir ganz viele Belohnungen verdient.«

Nun gut, meine Erkundungstour kann warten, dachte Luna großzügig. Schließlich würden nur sehr dumme Katzen auf eine Extra-Runde Kuscheln und Leckerlis verzichten. Sie schnurrte zustimmend und war gerade dabei, sich in Sonjas Armen häuslich einzurichten, als zwei fremde, aber sanfte Hände nach ihr griffen. »Darf ich?«, fragte die heitere weibliche Stimme von eben, und ehe Luna sichs versah, fand sie sich an einer anderen Brust wieder, die zwar nicht ganz so gemütlich war wie Sonjas, jedoch ebenso anheimelnd roch.

»Du bist ja eine echte Schönheit, ma petite. Und so zierlich.« Die sanften Hände hoben Luna auf Augenhöhe mit einem weiblichen Menschen, den sie noch nie gesehen hatte, aber sofort sympathisch fand. »Sonja, sie ist so zart. Sie wiegt ja kaum mehr als ein Baguette. Dagegen ist meine Colette ein echter Brocken.« Um ihre Augen – dunkler als Sonjas – bildeten sich diese winzigen Furchen, an denen man erkennen konnte, dass ein Mensch lächelte und einem wohlgesonnen war. »Ich bin übrigens Marie-Claire, eine Freundin von Sonja und bis auf weiteres deine Gastgeberin.«

Obwohl Luna keine Ahnung hatte, was eine Gastgeberin war, klang Freundin gut, denn genau das brauchte Sonja in diesem fremden Revier. Außerdem fühlte sie sich auf dem Arm dieses unbekannten weiblichen Menschen sofort wohl, das kam nicht oft vor. Normalerweise war Luna eher vorsichtig mit neuen menschlichen Bekanntschaften, doch die Hände, die sie hielten, wussten, was sie taten. Der neue Mensch – Marie – setzte sie behutsam auf dem Boden ab. Kurz darauf stellte sie ihr einen kleinen Napf vor die Nase, mit drei kleinen unwiderstehlich duftenden Teilchen, die sie noch nie gesehen (oder gerochen) hatte. War das etwa die versprochene Belohnung? Zaghaft beschnupperte Luna die fremdartigen Leckerlis, schließlich siegte die Neugier. Und die Gier. Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis zwei der kleinen Köstlichkeiten verschwunden waren.

»Sie macht die Dinger selbst«, erklang es von irgendwo über ihr. Überrascht hob Luna den Kopf. Sie war so vertieft in ihren Snack gewesen, dass die Bemerkung sie völlig überrumpelt hatte. Eine geschmeidige Gestalt landete erst lautlos auf einer Tischplatte, dann neben ihr auf der Erde.

»Bonjour«, schnurrte die stattlichste und schönste Bunte, die Luna je untergekommen war. »Glaub aber nicht, dass du hier immer so verwöhnt wirst.« Sie grinste auf Katzenart – die Furchen bildeten sich um die Nase, nicht um die Augen, wie bei Menschen. »Ich bin übrigens Colette. Das hier ist mein Revier, und Marie ist mein Mensch. Deinen Namen hab’ ich schon mitgekriegt. Willkommen im Tigre de Salon. Das ist der Teil meines Terrains, in dem wir uns gerade aufhalten. Die Menschen bezeichnen ihn als Bistro oder Bar und lassen sich hier füttern.« Sie beäugte Luna kritisch. »Ein bisschen was auf den Rippen könntest du auch gebrauchen, Kleine, bevor ich dich mit auf eine Tour über die Dächer nehme. Sonst glauben die anderen womöglich, ich lasse dich verhungern.« Sie stupste den Napf ein Stück näher zu Luna. »Hier, nimm das dritte Leckerli auch noch. Sie stellt die Teile wirklich mit viel Liebe her. Da sind lauter gesunde Sachen drin, damit ich in Form bleibe.«

Anmutig reckte sich Colette, wie um zu zeigen, dass das nun wirklich kein Problem sein sollte. Sie war tatsächlich um einiges größer und schwerer als Luna, schien jedoch vor allem aus Muskeln zu bestehen und zog mit ihrem flauschigen schwarz-rot-weißen Fell sicher alle Blicke auf sich. Verglichen mit dem farbenfrohen Kraftpaket kam Luna sich mit ihrem silberweiß schimmernden Pelz und den braunen Ohren beinahe unscheinbar vor. Aber nur beinahe, schließlich waren besagte Ohren groß und spitz genug, um all die schmeichelhaften Wörter aufzufangen, die Sonja über ihre bildhübsche elegante Katze zu hören kriegte.

Obwohl ihr Colette auf Anhieb gefiel, fühlte Luna sich bei der Aussicht auf eine Tour über die Dächer dieser neuen, unbekannten, möglicherweise gefährlichen Umgebung etwas beklommen. Sie war keine besonders gesellige Katze. Eigentlich brauchte sie nur Sonja und, falls die mal nicht da war, ein paar freundliche Behelfs-Büchsenöffner. Ab und zu verirrte sich eine Artgenossin in ihr heimisches Revier, und in solchen Fällen war Luna stets höflich und auch dem ein oder anderen Schwätzchen nicht abgeneigt. Doch von sich aus ging sie eher selten auf andere Katzen zu. Schließlich hatte sie ja ihre Sonja, um die sie sich kümmern musste, das war das Wichtigste … Allerdings schien ihre Schutzbefohlene sich gerade absolut auf Colettes Marie zu konzentrieren und im Moment keine weitere Betreuung zu benötigen. Vielleicht könnte sie sich einmal ganz vorsichtig nach diesen Dächern erkundigen.

Colette putzte sich und behielt dabei ihre neue Bekannte scheinbar beiläufig im Blick. Die süße Kleine wirkte noch etwas überwältigt, aber das würde sich bald ändern. Als ältere, erfahrenere Großstadtkatze (mit eigenem Bistro!) fühlte sie sich geradezu verpflichtet, Luna beschützend unter die Pfoten zu greifen. Sie würde ihr schon alles zeigen und erklären und war sogar bereit, ihr Revier mit ihr und ihrem Menschen zu teilen. Schließlich konnten Colette, Marie und der Rest des Tigre-Clans durchaus ein bisschen Unterstützung vertragen. Es war nicht immer einfach, so viele Menschen, die hier Gäste genannt wurden, gleichzeitig zu füttern und zu tränken. Noch war es ziemlich ruhig, allerdings konnte sich das erfahrungsgemäß zum Abend hin ändern. Hinter dem langen Tisch mit den vielen Flaschen wirbelte bereits Pascal, der ebenfalls zu Colettes Clan gehörte. Er kam regelmäßig ins Bistro, um Marie beim Füttern der Gäste zu helfen, ließ sich aber auch immer gern von Colette abwerben und zum Spielen oder Kuscheln verführen. Noch lieber mochte sie allerdings Mimi, die offenbar in der Küche lebte, wo sie ständig irgendwelches Menschenfutter zubereitete, wunderbar weich war und stets unwiderstehlich köstlich roch. Natürlich hatte sie auch nichts gegen die vielen bekannten Gäste, die regelmäßig und in wechselnden Kombinationen herkamen, um sich mit Mimis Leckerlis verwöhnen zu lassen. Diese Leute waren in Ordnung, sie wussten, dass sie sich in Colettes Revier befanden und sich mit ihr gut stellen mussten. Es gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, ihre Verhaltensweisen zu studieren. Und natürlich tolerierte sie Marie zuliebe ebenfalls die eher flüchtigen Menschen, die nur einmal vorbeischauten, um sich abfüttern zu lassen, und dann wieder verschwanden, ohne irgendwelche Duftspuren oder bleibenden Eindrücke zu hinterlassen. Wenn ihr danach war, ließ sie sich schon mal von fremden Händen streicheln, doch meist ignorierte sie derlei Annäherungsversuche und widmete sich ihren eigenen Angelegenheiten, indem sie sich beispielsweise auf ihrem Stammplatz zwischen den Blumenkästen zusammenrollte und ein wenig über das Leben nachdachte.

Wie die kleine Luna wohl auf das ständige Kommen und Gehen hier reagieren würde? Colette kannte viele Katzen, die größere Menschenrudel nach Möglichkeit mieden und sich lieber mit ihresgleichen umgaben. Aber sie glaubte nicht, dass Luna so drauf war; sie schien sehr an ihrem Menschen zu hängen und hatte augenscheinlich keine Scheu vor unbekannten Revieren.

Zufrieden grinsend beobachtete Colette, wie Luna ihrer Aufforderung folgte und das letzte Leckerli verputzte. Ja, sie hatte ein gutes Gefühl und konnte es kaum erwarten, ihre neue Freundin mit den Feinheiten des Pariser Lebens vertraut zu machen.

3. Kapitel

Sonjas Französisch war gut – und würde in den nächsten Monaten hoffentlich noch viel besser werden. Doch da sie Marie während deren Au-pair-Jahr in Heidelberg kennengelernt hatte, sprachen die beiden wie selbstverständlich deutsch miteinander – die Macht der Gewohnheit und für Marie eine super Gelegenheit, »ihr Vokabular aufzupolieren«, wie sie kokett anmerkte. »Mit Jonas unterhalte ich mich auch meist auf Deutsch, wenn niemand sonst dabei ist«, fügte sie hinzu. Sonja wusste natürlich längst aus Telefonaten und Textnachrichten, dass der junge Maler und seine Künstler-Clique zu den Stammgästen des Tigre gehörten, schließlich lag die Galerie, die demnächst seine Bilder zeigen würde, nur ein paar Straßen entfernt.

»Er wollte heute Abend herkommen«, sagte Sonja. Ich freue mich, hatte Jonas ihr getextet. Das war gut, oder? Okay, es hätte für ihren Geschmack noch etwas enthusiastischer sein können, so in die Richtung: Ich kann es kaum erwarten. Aber schließlich hatten sie sich seit Monaten nicht mehr gesehen, nur ab und zu geschrieben und bloß drei oder vier Mal telefoniert. Und es war ja nicht etwa so, dass sie ein Paar waren. Nicht offiziell. Höchstens potenziell. Immerhin war da dieser Kuss gewesen … Nein, ich freue mich war fürs Erste in Ordnung, beschloss Sonja. Genau genommen konnte sie es wirklich kaum erwarten, ihn zu treffen. Schon beim Gedanken an das Wiedersehen kribbelte es wie verrückt in ihrem Bauch.

»Na klar, das wird er sich bestimmt nicht nehmen lassen.« Marie stieß sie aufmunternd mit dem Ellbogen an. »Dann zeig ich dir mal besser deine neue Bleibe.« Sie grinste vielsagend. »Mit eingebauter Privatsphäre. Könnte ja sein, dass du demnächst öfter mal Besuch da oben kriegst …«

Sonja ließ ihren Blick suchend durch den Gastraum streifen. Wo steckte denn bloß ihr verdächtig stilles Kätzchen? »Hast du Luna gesehen?« Sie drehte sich einmal um sich selbst, schaute sogar in die Reisetasche, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass Luna dort nach der langen Fahrt freiwillig wieder reingekrochen wäre. Keine Katze weit und breit. Das fing ja gut an.

»Kann es sein, dass sie auf die Straße gelaufen ist?«, fragte sie besorgt. Normalerweise war das nicht Lunas Art, doch vielleicht fühlte sie sich unwohl in der neuen Umgebung oder war einfach neugierig.

Marie teilte ihre Bedenken (wie üblich) nicht. »Colette hat sie bestimmt in die Küche entführt, da gehe ich jede Wette ein.« Sie bedeutete Sonja, ihr durch die Tür rechts neben dem Tresen zu folgen. »Komm mit, dann fangen wir den Rundgang durch dein temporäres neues Zuhause eben bei Mimi an.«

Sie führte Sonja in eine nicht besonders große, aber blitzsaubere Küche, die auf den ersten Blick perfekt durchorganisiert wirkte. Auf dem Herd stand ein riesiger Topf und verbreitete ein köstliches Aroma; daneben lagen zahlreiche Baguettes fein säuberlich aufgereiht. Auf einer geräumigen Arbeitsfläche entdeckte Sonja diverse Schüsseln mit klein geschnittenem Gemüse und gehackten Kräutern. Ein Brett, auf dem sich eine halbe Salatgurke, zwei Tomaten und ein scharfes Messer befanden, deutete auf eine jäh unterbrochene Schnippel-Session hin. Durch die angelehnte Hintertür drang eine freundliche weibliche Stimme.

Leise stöhnte Marie auf. »Eigentlich hat Colette hier drinnen nichts verloren, das weiß sie auch ganz genau. Andererseits hält sie sich für die Chefin hier im Laden und glaubt nicht an Verbote. Die meisten Köchinnen hätten vermutlich schon Eintopf aus ihr gemacht, aber Mimi hat eine Engelsgeduld und lockt sie immer möglichst schnell nach hinten in den Hof. Besser, wenn ich nicht erfahre, womit – zum Glück ist Colette ein solches Energiebündel, dass sie trotz Mimis Bestechungs-Leckerlis nicht aus dem Leim geht.«

Sie öffnete die Hintertür einen Spalt weiter und winkte Sonja hindurch. Draußen im von allerlei Krimskrams zugestellten Hof kauerte eine rundliche Madame mittleren Alters zwischen zwei schnurrenden Fellbündeln und verteilte kleine Häppchen. Eins der Fellbündel war Luna, die sich ohne jede Scheu von der ihr wildfremden Frau verwöhnen ließ. Das andere Fellbündel war größer, wuscheliger und definitiv dreifarbig.

Marie lachte. »Siehst du, alles im grünen Bereich.« Dann wechselte sie ins Französische. »Darf ich dir meine großartige Köchin Mimi und mein kleines Sozialmonster Colette vorstellen? Ohne die beiden wären ich und das Bistro aufgeschmissen. Mimi, das hier ist meine Freundin Sonja, von der ich dir erzählt habe. Colette, das ist Sonja, Lunas Mensch. Sie gehört ab sofort zum Tigre-Clan.«

Mimi lächelte Sonja warmherzig an. »Bienvenue. Schön, dass du da bist. Ich freue mich über jeden neuen Mund, den ich füttern kann.«

»Sei gewarnt, Mimis Liebe geht buchstäblich durch den Magen«, neckte Marie. »Wehe, du lässt eine Mahlzeit aus. Das betrachtet sie als persönliche Beleidigung. Man muss allerdings auch von allen guten Geistern verlassen sein, um eine ihrer Mahlzeiten auszuschlagen.«

Marie hatte gut reden. Sie war praktisch die Verkörperung der lässig-schicken Pariserin: naturschlank trotz täglichem Drei-Gänge-Menü, die dunkelbraunen halblangen Haare betont ungestylt und trotzdem glatt und glänzend, kaum Make-up bis auf den perfekt sitzenden Lidstrich, und alles, was sie anzog, wirkte wie von Designerhand zusammengestellt, selbst wenn sie, wie jetzt, nur eine locker sitzende Jeans und ein langärmliges schwarzes T-Shirt trug.

Bei Sonjas eher kurviger Figur würde sich vermutlich jede Tarte Tatin auf direktem Weg in Hüftgold verwandeln. Am besten fing sie schon mal damit an, sich ein paar glaubwürdige Ausreden für Mimi zurechtzulegen – und das nächstgelegene Fitnessstudio ausfindig zu machen. Ein Fahrrad wäre auch nicht schlecht.

Sie spürte etwas Weiches am Knöchel und schaute nach unten, direkt in den bernsteingelben prüfenden Blick einer stattlichen schwarz-rot-weißen Samtpfote. »Hallo, Colette.« Sie bückte sich und streckte einladend die rechte Hand aus. Die Katze beschnupperte sie, schmiegte dann den Kopf an Sonjas Finger, ließ sich unterm Kinn kraulen und bekundete durch ein leises Schnurren, dass sie mit dem menschlichen Neuzugang in ihrem Revier einverstanden war.

»Deine Glückskatze scheint auf meiner Seite zu sein«, bemerkte Sonja. »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.«

»Was sollte denn auch schiefgehen während deines ersten Frühlings in Paris.« Marie lächelte ihre Freundin strahlend an. »Trotzdem kann ich es mir nicht verkneifen, besserwisserisch darauf hinzuweisen, dass dreifarbige Katzen seit dem Mittelalter vor allem deshalb als Glücksbringer gelten, weil sie im Haus das Feuer fernhalten und auf See für eine sichere Schiffsreise sorgen.«

»Unsere Colette kann aber mehr, als Brände und Schiffbruch zu verhindern«, behauptete Mimi und zwinkerte den beiden jüngeren Frauen bedeutungsvoll zu. »Sie hat ein untrügliches Gespür für romantische Gefühle. Sie bringt Glück in der Liebe.«

Marie prustete laut los. »Wie kommst du denn darauf? Ich habe sie jetzt schon fast fünf Jahre, aber in Sachen Romantik hat sich bei mir in dieser Zeit nicht viel getan.«

Die mollige Köchin zuckte mit den Schultern. »Erstens bist du nicht der Nabel der Welt, meine Liebe. Und zweitens muss man schon dran glauben …« Sie lächelte verträumt. »Ich bin jedenfalls ganz sicher, dass sie letzten Sommer bei meinem Neffen Jean und seiner Sandrine nachgeholfen hat.«

»Ich hatte nicht den Eindruck, dass da viel Nachhilfe nötig war«, murmelte Marie. »Na schön«, sagte sie lauter. »Dann ist meine Glückskatze also nicht nur ein lebendiger Feuerlöscher und eine Art Anti-Klabautermann, sondern nebenbei auch noch als Liebesbotin für Anfänger und Fortgeschrittene unterwegs.« Sie sah Sonja an und grinste. »Das sind doch beste Voraussetzungen für dein Wiedersehen mit Jonas, oder?«

Nachdem Mimi sämtliche Menschen und Katzen aus ihrem Hinterhof und ihrer Küche verscheucht hatte, nahm Sonja ihr neues Reich in Beschlag, was sich nicht sonderlich aufwendig gestaltete: Sie stellte die kleine Kiste mit Lunas Spielzeug neben das Bett, legte ihren Laptop auf den Schreibtisch und verteilte den Inhalt ihres Kulturbeutels in dem kleinen Badezimmer gegenüber. Anschließend verstaute sie die paar Klamotten, die sie mitgebracht hatte, in einem deckenhohen Kleiderschrank, der noch reichlich Raum für Neuanschaffungen ließ. Sonja hatte bewusst überschaubar gepackt, immerhin war sie in der Welthauptstadt der Mode und wollte sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten unbedingt den ein oder anderen Shopping-Rausch gönnen.

Auf dem Flur stand eine Katzentoilette bereit, im Zimmer hatte Marie einen hübschen, nicht allzu großen Kratzbaum aufgestellt. »Damit Luna das Gefühl hat, hier ebenfalls ihr eigenes Revier zu haben«, hatte Marie erklärt. Sonja hatte die gesamte Mansarde für sich. Bad und Flur waren eher winzig, der offene Wohn-Schlaf-Bereich aber war relativ geräumig. Fast die Hälfte der Dachschräge wurde von einem großen Fenster eingenommen, dadurch wirkte der Raum hell und gemütlich. Der Arbeitsplatz befand sich direkt unter dem Fenster, das Bett (breit genug für zwei!) war an der gegenüberliegenden Wand aufgebaut. Zwei kleine Sessel, ein Couchtisch, ein schmales Bücherregal und der eingebaute Kleiderschrank vervollständigten die Einrichtung. Alles war hübsch, komfortabel und in hellen Holz- und Pastellfarben gehalten. Auch wenn Sonja hier sehr viel weniger Platz hatte als in ihrer Heidelberger Wohnung, fühlte sie sich auf Anhieb wohl. Kein Wunder. Sie hatte immerhin eine schicke Studentenbude mit angeschlossenem Bistro, und das direkt im Herzen des Marais. Bis zum Pont Notre-Dame waren es nur ein paar Minuten zu Fuß, im unmittelbaren Umkreis lagen jede Menge spannende Museen, von den Theatern, Clubs und Szenebars ganz zu schweigen, und sie würde fast jeden Wochentag im berühmtesten Museum der Welt verbringen. Besser hätte sie es gar nicht treffen können. Und dann war auch noch Jonas’ Galerie ganz in der Nähe. Nur noch zwei Stunden, dann würde sie ihn endlich wiedersehen. Und er freute sich auf sie …

Ab einundzwanzig Uhr war im Tigre kaum mehr ein Platz frei, und auch vor dem Bistro herrschte reger Betrieb. Da es sich um ein Eckhaus handelte, war an jeder Seite reichlich Platz für Tische und Stühle. Eine Wand bestand fast nur aus deckenhohen Fenstern, die bei Bedarf aufgeschoben werden konnten, sodass an laueren Abenden der Übergang von drinnen nach draußen fließend war. Heute blieb die Glasfront geschlossen, denn sobald die Sonne weg war, wurde es doch noch ziemlich frisch.

Sonja schob sich an die Theke, hinter der Marie und Pascal Drinks ausschenkten und, Küsschen rechts und links verteilend, Stammgäste begrüßten. Beide flirteten, was das Zeug hält; Pascal nonchalant geschlechterübergreifend und mit beeindruckender Kondition. Marie war da etwas festgelegter, doch auch sie lief verlässlich zu großer Form auf, wenn ein Gast ihr schöne Augen machte. »Mein Charme und meine Katze sind mein halbes Kapital«, pflegte sie zu sagen. »Bistros mit aparten Barkeeperinnen gibt’s schließlich wie Sand am Meer, aber nur ein Tigre. Und nur eine Colette.«

Die Kombination aus Charme und Colette funktionierte offenbar bestens. Die Atmosphäre war locker, keiner schien sich an einer Samtpfote in der Gaststube zu stören, fiel Sonja auf. Daheim in Deutschland gab es zwar mittlerweile in vielen Städten »Katzencafés«, aber die meisten Restaurant- und Barbetreiber verzichteten aus hygienischen Gründen – und um Beschwerden zu vermeiden – lieber komplett auf tierisches »Personal«, auch wenn es keine offiziellen Vorschriften gegen Hunde oder Katzen im Gästebereich gab. Die Franzosen sahen das offenbar lockerer. Es wurde viel gelacht, viel geredet, viel konsumiert. Die Katze des Hauses räkelte sich am Ende des Tresens und nahm gnädig Streicheleinheiten entgegen. Allerdings nicht von jedem. Sonja beobachtete mehrfach, wie der dreifarbige Schwanz nervös zuckte und die goldgelben Augen sich verengten, sobald ein Unwürdiger die Hand nach Colette ausstreckte. Mehr war gar nicht nötig; die wortlose Botschaft des stattlichen Stubentigers erreichte stets ihren Empfänger.

Ihre eigene Samtpfote hatte Sonja oben schlafend zurückgelassen, sie wollte ihr nicht zu viel Aufregung auf einmal zumuten, aber die Zimmertür blieb angelehnt – für den Fall, dass Luna später doch noch auf Erkundungstour gehen wollte.

Sonja nippte an ihrem Rosé und ließ sich von Marie immer wieder ins Gespräch mit neuen Leuten ziehen. An gemeinsamen Themen herrschte kein Mangel; das Tigre war beliebt bei Studenten und aufstrebenden Künstlern, da war die hübsche Louvre-Stipendiatin aus Heidelberg eine interessante Bereicherung im Kreis der üblichen Verdächtigen. Nach anfänglichem Fremdeln wurde Sonja lockerer und ließ sich auf die unverbindliche Plauderei mit ihren neuen Leuten ein, selbst erstaunt darüber, wie viel Spaß sie an diesem Austausch hatte. Sie kam gar nicht dazu, nervös auf die Uhr zu schauen, und war tatsächlich ein bisschen überrascht, als sich plötzlich von hinten zwei kräftige Arme um sie schlossen.

»Salut, Sonja. Willkommen in Paris.« Sie wirbelte herum und starrte direkt in Jonas’ lachendes Gesicht. Seine braunen Augen funkelten fröhlich, und er hatte sich tatsächlich einen Vollbart stehen lassen, wahrscheinlich, um seinem Künstler-Image gerecht zu werden. Es sah gut aus, keine Frage, très bohémien. Jonas mit Bart, gar kein Problem. Außer dass Sonja ihn sich diese ganzen Monate über ohne Bart vorgestellt hatte, und die zwei, drei Male, die sie kurz nach seiner Abreise noch miteinander geskypt hatten, waren auch von seiner Seite aus definitiv bartlos gewesen … Danach hatte sich die Kommunikation, aus welchen Gründen auch immer, auf E-Mails und Textnachrichten beschränkt – und, was Sonja betraf, auf Tagträume vom Wiedersehen. Mit einem bartlosen Jonas.

Es sollte mir wirklich nicht so viel ausmachen, dachte sie, als sie seine stopplige Wange an ihrem Gesicht spürte (natürlich begrüßte Jonas sie, typisch französisch, mit einer formvollendeten Bise, dem rituellen Wangenkuss). Wie es sich wohl jetzt anfühlen würde, ihn so leidenschaftlich zu küssen wie damals beim Abschied? Käme es ihr irgendwie komisch oder fremd vor? Vielleicht sogar aufregend? Und was trieben eigentlich die Schmetterlinge in ihrem Bauch, die während der gesamten Bahnfahrt versucht hatten, ihr den Atem zu rauben? Wo waren die Viecher jetzt? Hatten sie sich etwa schlafen gelegt?

Da das erwartete Prickeln mehr oder weniger ausblieb, konnte Sonja ihrer von klein auf berüchtigten Beobachtungsgabe ungehemmt freien Lauf lassen. Daher entging ihr nicht, dass auch bei Jonas in Sachen Wiedervereinigungs-Enthusiasmus durchaus noch Luft nach oben blieb. Immerhin streifte sein Künstlerblick anerkennend über ihr hoffentlich einigermaßen Paris-würdiges Ensemble aus enger schwarzer Jeans (mit strategisch designten Rissen), schwarz-weiß gestreifter Bluse, schwarzen spitzen Pumps (ohne Strümpfe!) und knallrotem Lippenstift. Ihre honigblonden halblangen Locken, die nie im Leben so fantastisch aussehen würden wie Maries brünette Seidenmähne, hatte sie mit einem roten Retro-Scrunchie zum hohen Pferdeschwanz gebunden. So störten sie nicht weiter und wirkten wie ein sexy arrangiertes Chaos.

Wahrscheinlich lag die leise Ernüchterung, die sie spürte, einfach an ihren übersteigerten Erwartungen, entschied Sonja. Sie drückte Jonas lachend einen zarten Kuss auf die Lippen. »Ich bin auch total froh, hier zu sein«, sagte sie dann und stupste ihn mit dem Ellbogen an. »Los, erzähl doch mal, bring mich auf den neusten Stand. Was macht die Ausstellung? Bist du schon richtig in deinem neuen Leben angekommen?« Hast du auf mich gewartet? fügte sie in Gedanken hinzu.

Grinsend schlang Jonas ihr einen Arm um die Schultern, gab Pascal ein Zeichen und zeigte anschließend auf Sonja. Kurz darauf stellte der Barkeeper zwei Gläser Rosé vor ihnen ab. Jonas nahm seinen Drink und deutete mit dem Kopf nach hinten. »Los, komm, wir verziehen uns in eine etwas ruhigere Ecke.«

4. Kapitel

Zwei Augenpaare verfolgten, wie Sonja und Jonas zu dem kleinen Tisch im hinteren Bereich des Bistros gingen. Da die meisten Gäste entweder am Fenster saßen oder sich an der Bar drängten, waren die beiden dort einigermaßen ungestört und schienen auch sofort in ein angeregtes Gespräch vertieft.

»Da ist ja dein Mensch«, bemerkte Colette.

»Hmm. Und das ist er«, erwiderte Luna, die es nicht lange im Dachgeschoss gehalten hatte. Sie war Sonja – und ihrer Neugier – nach unten ins Bistro gefolgt und hatte sich auf einem schmalen Sims über dem Teil der Theke, den Colette für sich beanspruchte, gemütlich ausgestreckt. »Sie glaubt, dass er der Mensch ihres Lebens ist«, fuhr sie fort und rümpfte skeptisch die Nase.

Träge drehte Colette den Kopf und sah zu ihr hoch. »Das klingt nicht so, als ob du ihr da zustimmst.« Sie putzte sich und wippte unentschlossen mit der Schwanzspitze. »Warum hast du Bedenken? Sicher, die Menschen sind emotional nicht so entwickelt wie wir und können Gefühle anderer nicht unmittelbar wittern, aber gemeinhin sind sie doch ganz gut darin zu erraten, ob sie etwas für jemanden empfinden. Und ob dieser Jemand interessiert ist. Und dann probieren sie es eine Weile miteinander aus. Oft klappt das nicht, jedenfalls nach meiner Beobachtung hier im Revier, weil sie eben doch zu wenig feinfühlig sind. Wenn sie allerdings lang genug üben, funktioniert es meist dennoch irgendwann.« Sie reckte sich und starrte unverhohlen zu den beiden Menschen hin, um die ihre kleine Freundin sich so offensichtlich sorgte. »Oh«, schnurrte sie dann, und ihre Augen funkelten golden auf. »Oh, oh. Ich sehe, was du siehst. Und ich weiß sogar noch mehr.«

Luna dehnte sich, bis sie fast kopfunter über Colette hing. Ihre Barthaare zuckten aufgeregt. »Ich meine, es ist nicht so, dass ich ihn nicht leiden kann. Er hat weiche Hände und eine angenehme Stimme, und er bringt sie zum Lachen. Als er noch öfter in mein Revier kam, um mit ihr zu reden, war sie viel seltener ängstlich als davor oder danach. Sie hat auch kaum noch in ihren Gedanken herumgegraben, dazu neigt sie nämlich. Wenn sie das tut, macht sie sich Sorgen, und dann mache ich mir Sorgen … Er ist schon in Ordnung. Und er lässt sie auf die gute Art nervös werden, und sie ihn auch, zumindest ist das meine Erfahrung mit den beiden.« Sie sprang zu Colette auf den Tresen und schaute ihre neue Freundin eindringlich an. »Aber irgendwas hat nicht richtig gestimmt. Sie waren nicht nervös genug oder nicht gleichzeitig nervös oder nicht richtig sicher, ob sie wirklich nervös waren oder nur das Gefühl mochten, einander nervös zu machen. Wenn du verstehst, was ich meine.«

Colette wollte gerade antworten, da sah sie, wie eine fremde Hand sich nach Luna ausstreckte. Zweifellos in freundlicher Absicht, zumal sie von dem üblichen »Ach, wie süß bist du denn«-Singsang begleitet wurde, aber als Hausherrin durfte sie derlei Aufdringlichkeiten ihrem Gast gegenüber natürlich nicht zulassen. Ein erzürntes Fauchen und ein bedrohlicher Buckel sorgten dafür, dass die Grenzen der Höflichkeit eingehalten wurden. Die Hand zog sich erschrocken zurück, der ungehobelte Klotz entschuldigte sich hastig. »Ups, nichts für Ungut, Colette, ich wollte deiner kleinen Freundin nicht zu nahe treten.« Colette schnurrte gnädig und wandte sich wieder wichtigeren Angelegenheiten zu. »Ich weiß genau, was du meinst. Erlebe ich hier dauernd. Zwei Menschen, die Anschluss suchen – was sie oft nicht mal selbst ahnen, doch unsereins deutlich spüren lassen –, glauben, dass es zwischen ihnen, wie es so schön heißt, ›gefunkt‹ hat. Und dann war es nur eine Fehlzündung.« Als Luna, die in Sachen Verkehrstauglichkeit offenbar ziemlichen Nachholbedarf hatte, sie nur ratlos anstarrte, fügte sie erklärend hinzu: »Wenn ein Auto einen Riesenknall macht, aber trotzdem nicht vom Fleck kommt. Du weißt doch, was ein Auto ist, oder?«, unterbrach sie sich. Luna nickte, und Colette fuhr befriedigt fort: »Dann nennen die Menschen das Fehlzündung. Und genauso ist es mit dem menschlichen Paarungsverhalten: Oft fühlen zwei Menschen sich heftig zueinander hingezogen, aber dann verpufft der große Knall, und es kommt nicht zur Vereinigung. Das geht ja sogar uns Katzen manchmal so, und wir sind da schon viel weiter und natürlich grundsätzlich viel klarsichtiger und klüger.« Sie wippte resigniert mit der Schwanzspitze. »Sie sind so reizende, anschmiegsame Wesen, ihr Instinkt allerdings ist so beklagenswert unterentwickelt, dass sie auf sich allein gestellt immer wieder in Schwierigkeiten geraten.« Sie grinste verwegen und wackelte unternehmungslustig mit den Schnurrhaaren. »Aber zum Glück haben sie ja uns.«

Auch Marie verfolgte unauffällig, wie das Wiedersehen von Sonja und Jonas sich gestaltete. Sie hatte sich gleich nach der Ankunft des jungen Malers ans andere Ende des Tresens zurückgezogen und Pascal die Bestellung aufnehmen lassen. Sie wollte sich nicht einmischen, wollte den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen. Natürlich wusste sie um Sonjas Hoffnungen, ihre Freundin hatte kein Geheimnis aus ihren Gefühlen für Jonas gemacht. Immer wieder war sein Name in ihren Telefonaten und E-Mails aufgetaucht, vor allem seit Marie ihr erzählt hatte, dass Jonas mittlerweile fest zum Kreis ihrer Stammgäste gehörte. Und Sonja war mit ihren beiläufigen Bemerkungen und Erkundigungen (»sind da auch viele Frauen dabei?«) nicht ganz so dezent gewesen, wie sie sich das wohl vorstellte. Marie war bereitwillig auf das Thema eingegangen, denn sie mochte Jonas, seine ernsthafte Art und seine Hingabe zu seiner Kunst. Außerdem sah er gut aus, vor allem, seit er diesen dunklen Vollbart hatte – mit seiner hochgewachsenen, drahtigen Figur, dem schmalen Gesicht und den braunen Augen hinter der nerdig-trendigen Hornbrille war er für sie die Verkörperung des jungen Bohémien. Sie konnte Sonjas Wahl also definitiv gutheißen. Absolut. Dennoch war da dieses vage nagende Gefühl in ihrer Magengegend, während sie beobachtete, wie die beiden an ihrem Ecktisch einander wieder näherzukommen schienen. Sonja lachte über irgendwas, was Jonas gerade gesagt hatte. Dann nahm er ihre rechte Hand und spielte gedankenverloren mit ihren Fingern. Schließlich beugten sich beide ein Stück vor, redeten gleichzeitig los, lachten und versanken in einem zweifellos angeregten Gespräch.

Marie seufzte, ohne ersichtlichen Grund, jedoch abgrundtief, und rieb noch einmal über den Rand des Glases, das sie gerade polierte.

»Wenn du so weitermachst, löst sich das Ding gleich in Luft auf«, bemerkte Pascal und entriss ihr das Geschirrtuch. »Was beschäftigt dich denn gerade so, Boss? Die beiden Pseudo-Turteltauben da hinten in der Ecke, die du mit kaum verhohlener Skepsis anstarrst?«

Schuldbewusst zuckte Marie zusammen. War sie wirklich so offensichtlich gewesen? »Ich habe nur gerade über etwas nachgedacht«, wich sie aus.

Pascal hob nur vielsagend die Brauen. Ihr Freund und Kollege war ein erschreckend guter Beobachter, dessen scharfer bernsteinfarbener Blick sie mitunter an Colette erinnerte. Zum Glück schob sich gerade ein neuer Gast an den Tresen, Typ Adonis made in Hollywood, mit kantigem Kinn, breiten Schultern und bewusst nachlässig gestyltem blonden Wuschelschopf. Die perfekte Ablenkung für ihren flirtsüchtigen Barkeeper, der sich nur zu gern von den potenziellen Befindlichkeiten seiner Chefin ablenken ließ. Wobei Marie sich nichts vormachte – die Angelegenheit war definitiv nicht erledigt, sondern auf Wiedervorlage abgespeichert.

Der blonde Schönling, ein Holländer namens Vincent, wie sich herausstellte, rang sich ein paar französische Sätze ab, schaltete dann aber verlegen grinsend auf Englisch um. Pascal, der immer in Plauderlaune war, zog Vincent, während er ihm das gewünschte Craftbier zapfte, erfolgreich in ein Gespräch über erste Paris-Eindrücke, Highlights des hiesigen Nachtlebens und die Pros und Kontras der Legalisierung weicher Drogen (Vincent war dagegen).

Marie hörte mit einem Ohr hin, und da sie sich bewusst davon abhielt, schon wieder zu Sonja und Jonas hinzuschauen, kriegte sie mit, wie sich eine langbeinige Brünette neben Vincent drängte, ihm etwas ins Ohr flüsterte, kurz den Arm um seine Taille legte und wieder in den hinteren Bereich des Bistros verschwand.

»Und einen Rosé auf Eis, bitte«, ergänzte Vincent seine Bestellung und trollte sich mit zwei Gläsern und einem fröhlichen »merci« zu seiner besseren Hälfte.

Stirnrunzelnd guckte Pascal ihm nach und seufzte übertrieben theatralisch. »Die Besten sind immer hetero.«

Marie grinste mitfühlend. »Ich kenne das eigentlich andersrum.« Sie klopfte ihm begütigend auf den Rücken. »Mach dir nichts draus, chéri, andere Mütter haben auch schöne Söhne.«

Pascal ließ kokett die Lider flattern und zog sich dann lachend an die andere Seite der Theke zurück, um die durstige Meute zu bedienen.

Marie schaute sich nach Colette um. Normalerweise benahm ihre Stubentigerin sich zwar vorbildlich, aber gelegentlich schlug sie doch über die Stränge oder rückte einem besonders interessant duftenden Gast allzu enthusiastisch auf den Pelz. Oder besonders enthusiastische Gäste rückten ihr ungefragt auf den Pelz. Es hatte sich jedenfalls bewährt, das nicht immer subtile Zusammenspiel von Mensch und Katze in dieser Bar unauffällig im Blick zu behalten, vor allem, da Colette nun eine offenbar willige Komplizin gefunden hatte, die es zu beeindrucken galt, und daher zu etwas gröberem Schabernack als sonst aufgelegt sein könnte.

Doch Marie konnte die beiden Samtpfoten weder auf dem Tresen noch an einem anderen von Colettes Lieblingsplätzen entdecken. Erst als sie unwillkürlich und allen guten Vorsätzen zum Trotz dennoch wieder zu Sonja und Jonas hinsah, erspähte sie unter dem Tisch des potenziellen couple d’amoureux zwei anmutige Silhouetten, von denen eine etwas größer und kräftiger war als die andere. Die Katzen hatten die Köpfe zusammengesteckt, als wären sie in eine angeregte Diskussion vertieft, und zwei Schwanzspitzen zuckten einvernehmlich nach einem unhörbaren Takt.

5. Kapitel

Nach vier Wochen hatte Sonja sich so gut eingelebt, dass sie sich schon beinahe wie eine Pariserin fühlte. Sie absolvierte ein paar Vorbesprechungen an der École; die eigentlichen Seminare würden zwar erst Anfang April beginnen, dennoch zog es sie bereits jetzt beinahe täglich zu ihrer neuen Wirkungsstätte – hallo, es war schließlich der Louvre! Sie würde Jahre brauchen, um sich wirklich alles anzuschauen, was sie interessierte. Bislang hatte sie es gerade mal geschafft, sich einen Pfad durch die französische Sammlung zu schlagen – und, okay, einmal hatte sie pflichtschuldig die Mona Lisa angestarrt (beziehungsweise die Hinterköpfe der sich vor dem vermutlich bekanntesten Gemälde der Welt drängenden Touristen). Schließlich gehörten auch solche »Event-Werke« zur Museumskunde, und jeder noch so versnobte Museumsbetreiber sehnte sich heimlich nach einem ähnlich populären Zugpferd. Auch wenn man ehrlicherweise zugeben musste, dass La Gioconda erst nach dem Diebstahl 1911 richtig berühmt wurde. Kein noch so gewiefter Marketingmensch hätte sich eine bessere PR-Maßnahme für das Renaissance-Meisterwerk ausdenken können.

Auf dem Weg zum oder vom Louvre versuchte Sonja, möglichst viel Paris-Flair zu schnuppern, daher wählte sie jedes Mal eine etwas andere Strecke. Sie hatte das unglaubliche Glück, im Herzen von Paris zu wohnen und zu arbeiten; nur einen Katzensprung (für die sportliche Colette, Stubenhockerin Luna würde wohl zwei bis drei Sprünge brauchen) von den beiden Inseln entfernt. Wenn sie es eilig hatte, nahm sie den direkten Heimweg über die Rue de Rivoli, hinter deren prächtigen Arkaden sich jede Menge Shopping-Paradiese verbargen: Boutiquen, Antiquitätengeschäfte, Schuhgeschäfte, in denen man problemlos das Zehnfache ihres Stipendiums verprassen könnte. Doch wenn ihre Zeit es erlaubte, bummelte sie entspannt über die Île de la Cité und die Île Saint-Louis, gönnte sich im Schatten der grandiosen gotischen Silhouette von Notre-Dame eine Portion Stracciatella bei Berthillon, der besten Eisdiele der Stadt, und spazierte dann über den Pont Marie ins quirlige Zentrum des Marais mit seinen engen gewundenen Gassen und idyllischen Hinterhöfen, um die sich winzige Apartments und Ateliers reihten.

Meist spielte das Wetter bei ihren Erkundungstouren mit, und mit deutlich zweistelligen Temperaturen war es für Mitte März geradezu frühlingshaft. Sie nutzte den Sonnenschein, um ausgiebig an den Ständen der Bouquinistes zu stöbern, deren Saison gerade begonnen hatte. Schon bei ihrem ersten Aufenthalt in Paris war sie fasziniert gewesen von den legendären Freiluft-Buchhändlern an der Seine. Die unverkennbaren grünen Klappstände gehörten seit rund 350 Jahren fest zum Bild der Stadt; angefangen hatte es einst mit ein paar kleinen Hausierern auf dem Pont Neuf; mittlerweile reihten sich die berühmten Boxen an beiden Flussufern entlang. 217 Stände, jeder davon exakt zwei Meter lang und fünfundsiebzig Zentimeter tief. Mittlerweile hatten die »Altbuchhändler« neben antiquarischen auch zeitgenössische Werke im Angebot: Biographien, Romane, Krimis, außerdem historische Stiche, alte Kochbücher, Karten, Werbeplakate und Kataloge. Vermutlich die größte Freiluft-Buchhandlung der Welt. Definitiv die längste … Drei Kilometer Lesefutter; geschätzt 300.000 Werke, da würde es Sonja beim Stöbern und Schmökern bestimmt nicht so schnell langweilig werden. Sie hatte auch schon einen Lieblings-Händler gefunden, Monsieur Martin Bartout, ein zierlicher älterer Herr mit Drahtbrille, spärlichen grauen Locken und jeder Menge Lachfältchen um die oft schelmisch zwinkernden Augen. Er begrüßte sie bereits ab dem dritten Tag mit einem fröhlich-charmanten »Bonjour, Mademoiselle Sonja« und überschüttete sie förmlich mit Geheimtipps und Empfehlungen. »Sie sind genau zur richtigen Saison hier«, schwärmte er wieder mal. »Oh, là, là, ein Frühling in Paris ist einfach zum Verlieben!« Er lächelte ihr vielsagend zu. »Und das meine ich ganz wörtlich, Mademoiselle. Es gibt keinen schöneren Ort auf der Welt, um die Liebe zu finden. Denken Sie an meine Worte.«

Sonja brachte es nicht über sich, den reizenden Monsieur Martin mit der geographisch enttäuschenden Wahrheit zu konfrontieren, dass sie ihr Herz genau genommen in Heidelberg verloren hatte und ihm dann – womöglich etwas übereifrig – an die Seine gefolgt war. Statt sich, wie der traditionsbewusste Bouquinist es offenbar ganz selbstverständlich voraussetzte, in der Stadt der Liebe von selbiger aufspüren zu lassen.

Um ihr Gewissen zu beruhigen, erstand sie einen kleinen, hübsch aufgemachten Band Poèmes d’amour und versprach Monsieur Martin, an ihrer romantischen Empfänglichkeit zu arbeiten.

Autor

Ira Panic
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