Happy End für einen Prinzen?

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Vom ersten Moment an prickelt es erregend, als Lev die hinreißende Imogen bei einem Ärztekongress in Toronto trifft. Spontan entführt er sie auf die Dachterrasse seines Luxushotels und verführt sie zu Champagnerküssen unterm Sternenhimmel. Aber kaum hat er eine Liebesnacht mit ihr verbracht, muss er sie verlassen. Niemand - auch sie nicht - darf wissen, dass er ein Prinz ist! Doch als er wegen Unruhen in seiner Heimat untertauchen muss, trifft er Imogen überraschend wieder. Größer als die Furcht vor Entdeckung ist nur sein Verlangen nach ihrer Nähe …


  • Erscheinungstag 09.03.2021
  • Bandnummer 052021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718602
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Toronto, Ontario

Sie kam zu spät.

Imogen hasste es, sich zu verspäten, noch dazu am ersten Tag des Ärztekongresses, ausgerechnet zum ersten Workshop. Für den war sie extra angereist, der war der Hauptgrund für ihre Teilnahme an der Tagung. Ohne die Aussicht auf diesen Workshop wäre sie in Yellowknife geblieben, ihrem sicheren Hafen, wo sie alle Abläufe kannte, ihre Patienten, ihre Arbeit.

Leise schlüpfte sie durch die Tür und hoffte, dass niemand ihr verspätetes Erscheinen bemerkte. Verlegen suchte sie nach einem freien Platz in einer der hinteren Reihen.

„Dr. Hayes?“

Sie zuckte zusammen.

„Ja, tut mir leid“, murmelte sie betroffen.

Der Leiter des Workshops schien nicht beeindruckt. „Kommen Sie hierher zu Gruppe fünf. Die anderen haben bereits ohne Sie angefangen.“

Rot angelaufen vor Verlegenheit schlich Imogen zu Gruppe fünf und setzte sich. Ihre beiden Ärztekollegen erklärten ihr kurz, was sie bisher gemacht hatten, und ließen sie deutlich spüren, dass sie über ihre Unpünktlichkeit verärgert waren. Die Situation war ihr schrecklich peinlich. Sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und ihr verspäteter Auftritt hatte genau das bewirkt.

Allen, ihr Ex-Freund, hatte das Scheinwerferlicht genossen. Sie nicht. Sie kümmerte sich lieber um ihre Patienten, und sie liebte das Leben im kleinen Yellowknife. Allen aber hatte nach Höherem gestrebt und das Kaff, wie er es nannte, hinter sich gelassen.

Und mich …

Mit gesenktem Kopf saß sie neben den beiden Kollegen, als erneut die Stimme des Leiters erklang. „Noch ein Nachzügler! Ich hoffe, das wird hier nicht zur Gewohnheit. Sie auch bitte in Gruppe fünf.“

Erleichtert blickte sie auf, um zu sehen, wer der andere Störenfried war. Fast wäre ihr der Mund offen stehen geblieben bei dem Anblick, der sich ihr bot.

Der Neuankömmling war fast einsneunzig groß, breitschultrig, blauäugig und vollbärtig. Er erinnerte sie an die Wikinger auf den Titelseiten der Liebesromane im Haus ihrer Tante. Der Mann sah aus, als käme er geradewegs aus einem dieser Bücher.

Sie war mit ihren fast Einsachzig selbst recht groß und fand nicht oft jemanden, bei dem sie ihre High Heels tragen konnte. Allen, der eine gute Handbreit kleiner war als sie, hatte es gehasst, wenn sie hohe Absätze trug.

Der Neue ließ sich freundlich lächelnd neben ihr nieder. Als er sie ansah, hatte sie das Gefühl, er könne jeden ihrer Gedanken lesen.

Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht errötete. Das wäre ihr noch peinlicher gewesen. Trotz der voll aufgedrehten Klimaanlage des Tagungshotels fand sie es auf einmal schrecklich heiß im Raum.

„Ich bin Dr. Hayes“, wisperte sie, „und ich bin auch zu spät gekommen.“

Er lächelte. „Dr. Vanin.“

Er sprach mit einem leichten Akzent, den sie nicht recht einordnen konnte, aber zum Reden war ohnehin keine Zeit. Sie mussten beide ihren Arbeitsrückstand aufholen.

Schweigend studierten sie die Arbeitsanweisungen, nach denen sie einen Gallenstein mit Hilfe eines Roboters entfernen sollten. Glücklicherweise fühlte sie sich auf diesem Gebiet zu Hause. Sie galt als eine der besten Chirurginnen in den Northwest Territories.

„Haben Sie diese Technologie schon einmal benutzt?“, fragte Dr. Vanin.

„Mit einem Roboter habe ich noch nicht gearbeitet. Gewöhnlich mache ich solche Operationen minimalinvasiv mit einem Endoskop.“

Er nickte sichtlich beeindruckt. „Mit solchen Verfahren bin ich nicht besonders vertraut. Meine Spezialität ist Unfallchirurgie. Ich bin hier, um mich weiterzubilden.“

„Kein Problem.“ Imogen trat neben ihn. Ihr Herz klopfte wie das eines jungen Mädchens beim ersten Date. Es war verrückt, aber dieser Mann hatte etwas an sich, das ihre Selbstkontrolle in Gefahr brachte.

Die Kontrolle zu verlieren, mochte sie überhaupt nicht. Kontrolle beschützte sie und hatte sie zu dem gemacht, was sie heute war.

Schon jetzt bereute sie, dass sie ihm ihre Hilfe angeboten hatte. Sie stellte nicht gern ihre Fähigkeiten in den Vordergrund. Allen, ihr Ex, war jedes Mal wütend geworden, wenn sie mehr Anerkennung bekam als er.

Allen ist nicht hier, er ist Geschichte, rief sie sich stumm zur Ordnung.

„Wenn ich zu aufdringlich …“, begann sie verlegen.

„Aber nein! Ich lerne gern von Kolleginnen mit mehr Erfahrung.“

Sie errötete. „Also gut.“

Die Joysticks des Roboterarms, mit dem sie an der Simulationspuppe den Gallenstein entfernen sollten, schienen ihm keine Schwierigkeiten zu bereiten. Er lernte schnell.

„Was für eine Naht benutzen Sie in einem solchen Fall?“, fragte er schließlich.

„Ich mache gewöhnlich einen Laufstich mit absorbierbarem Nahtmaterial. Das wird gut halten. Das Letzte, was ein Patient braucht, ist ein Leck, das zu einer Sepsis führen würde.“

„Zeigen Sie mir, wie Sie das machen?“, bat er. Er stand auf, und sie übernahm seinen Platz. Diese Art von Naht konnte sie mit verbundenen Augen machen.

„Sie machen das so routiniert“, stellte er fest.

„Vielen Dank.“

„Kein Grund, mir zu danken. Es ist die Wahrheit“, beharrte er.

Sie errötete erneut. „Dennoch vielen Dank.“

Imogen konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal von jemandem gelobt worden war. Außer von ihrem Vater, aber der zählte nicht. Der war voreingenommen.

Allen hatte sie nie gelobt. Allerdings hatten sie auch nicht oft zusammengearbeitet. Sie hatten als Konkurrenten begonnen und sich dann auf eine flammende Romanze eingelassen. Als er das Leben im Norden und ihre wachsende Popularität bei den Patienten nicht länger ertragen konnte, war er verschwunden.

Imogen hatte sich geschworen, sich nie wieder auf ein Date mit einem anderen Arzt einzulassen.

Allerdings hatte sie bei ihrem Arbeitspensum in Yellowknife auch gar keine Zeit für Verabredungen. Sie dachte nicht einmal darüber nach, und das war auch gut. So konnte sie nicht wieder verletzt werden.

Warum denkst du jetzt an so etwas, du dumme Kuh?, schimpfte sie innerlich mit sich selbst. Sie war nicht zu diesem Kongress gekommen, um Männer kennenzulernen, sondern um zu arbeiten. Auch wenn Jeanette, ihre Freundin und zugleich Chefin, sie aufgefordert hatte, sie solle sich in der großen Stadt ein wenig amüsieren. Das Äußerste, was vielleicht infrage kam, war ein Kaffee mit Dr. Vanin in der Pause.

Doch als sie aufblickte, hatte er bereits den Raum verlassen. Ein wenig war sie enttäuscht, aber vielleicht war es so am besten.

Während der ganzen Woche sah Imogen diesen Dr. Vanin, und sosehr sie auch versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, schien er wie zufällig immer in ihrer Nähe zu sitzen. Aber sobald die Veranstaltung endete, verschwand er. Auch wenn sie ihn außerhalb der Workshops beim Kongress sah, schien er immer für sich allein zu sein. Er war wahrlich nicht sehr gesellig, dafür klug und kenntnisreich und verdammt sexy.

Als sie am Ende der Konferenz die Hotelbar für ein letztes geselliges Beisammensein betrat, fand sie ihn trübsinnig grübelnd am Tresen vor. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und trat zu ihm. Es war eigentlich nicht ihre Art, von sich aus auf andere zuzugehen, aber in diesem Fall konnte sie es als Networking bezeichnen. Er war schließlich ein Berufskollege, und sie war nicht auf ein Date aus. Vermutlich würde sie ihn auch nie wiedersehen. Sie wollte nur mit jemandem reden, der interessant aussah … und verdammt sexy.

Sie fühlte sich ein wenig flau, als sie ihn ansprach. „Dr. Vanin … Lev, nicht wahr?“

Er drehte sich auf seinem Barhocker herum und lächelte sie an. „Ja. Und Sie sind Dr. Hayes, wenn ich mich recht erinnere.“

„Ja, aber Sie können mich Imogen nennen. Darf ich mich setzen?“

Er nickte und deutete auf den leeren Barhocker neben sich. Plötzlich fühlte sie sich sehr unbehaglich.

Sag etwas!

„Wir scheinen dieselben Workshops besucht zu haben. Was für ein Zufall, nicht wahr?“ Sie krümmte sich innerlich bei dieser platten Eröffnung.

„Ja, so ist es“, erwiderte er. In seinen Augen leuchtete es auf, und sie hoffte, dass er ihre Unbeholfenheit nicht albern fand.

„Woher kommen Sie?“, fragte sie.

„Ich komme aus Chenar.“

„Wo genau ist das nochmal?“ Es klang irgendwie europäisch, aber sie war sich nicht sicher.

Er nickte lächelnd, als würde ihm diese Frage häufig gestellt. „Es ist ein kleines Land in Nordosteuropa. Es wurde einst von Wikingern gegründet, die den Zugang zur chinesischen Seidenstraße nicht auf dem Seeweg, sondern auf dem Landweg suchten. Deshalb wirken die Menschen in Chenar eher nordisch als russisch.“

„Jetzt erinnere ich mich. Ich war schon einmal dort, aber das ist lange her.“

Sein Lächeln wurde intensiver. „Sie waren schon einmal dort? Wie ungewöhnlich.“

„Mein Vater ist in meiner Jugend viel mit mir gereist.“

„Reist Ihr Vater noch immer?“

„Nein. Er ist vor ein paar Jahren gestorben.“

Als Imogen an ihren Vater dachte, musste sie schlucken. Ein Schlaganfall hatte ihn plötzlich und unerwartet aus dem Leben gerissen. Sie selbst war gerade weiter nördlich in Nanavut gewesen. Es schmerzte sie heute noch, dass sie nicht bei ihm gewesen war, als er starb. Er war alles, was sie an Familie hatte. Fast ihr ganzes Leben lang hatte es nur sie beide gegeben. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu.

„Es tut mir leid, das zu hören“, sagte Lev sanft.

„Ich danke Ihnen.“ Sie räusperte sich und versuchte nicht zu weinen.

„Und worüber wollen wir jetzt reden?“, versuchte er zu scherzen. „Nachdem ich Sie gründlich deprimiert habe …“

Damit brachte er sie tatsächlich zum Lachen. „Das haben Sie doch gar nicht. Mir geht es gut, wirklich.“

Er hob eine Augenbraue. „Sind Sie sicher?“ Er nahm noch einen Schluck aus seinem Glas. „Diese sogenannte Abschiedsrunde …“ Er deutete mit einer ausholenden Geste auf die wenigen verbliebenen Tagungsteilnehmer. „Also, ich muss sagen, das ist eine ganz schön traurige Veranstaltung. Und ich möchte Sie nicht in meine schlechte Stimmung hineinziehen.“

Imogen sah sich um. Er hatte recht. Es war Sommer, und sie verschwendeten ihre Zeit in einem langweiligen Hotel mit teuren Getränken und fadem Essen. Draußen erwachte Toronto gerade zum Leben.

„Wollen wir von hier verschwinden?“, flüsterte sie verschwörerisch.

Er richtete sich auf. „Sollen wir wirklich?“

„Ich habe in Toronto studiert und könnte Sie auf eine kurze Tour mitnehmen, wenn Sie möchten.“

In Levs tiefblauen Augen funkelte es auf. „Das hört sich großartig an.“

„Also gut.“ Sie setzte ihren Drink ab. „Dann lassen Sie uns gehen, ehe uns noch jemand anders mit Beschlag belegt.“

Lev trank seinen Scotch aus, und Minuten später standen sie vor dem Hotel auf der Front Street. Es war noch nicht spät, aber die Sonne begann gerade unterzugehen. In Yellowknife, wo Imogen lebte, würde die Sommersonne noch stundenlang am Himmel stehen. Sie genoss das Leben so weit im Norden, aber der Sonnenuntergang in einer geschäftigen Stadt wie Toronto hatte auch etwas Magisches. Sie hatte schon fast vergessen, wie wundervoll es aussah, wenn die Lichter der Stadt angingen und sich im Wasser des Ontariosees spiegelten.

„Es gibt etwas, das ich immer schon tun wollte, seit ich in Toronto bin“, gestand Lev, als sie die Front Street entlanggingen.

„Und was ist das?“, fragte Imogen neugierig.

„Dort möchte ich hinauf!“ Dabei deutete er auf den CN Tower.

„Das lässt sich machen. Wir müssen nur sehen, ob er noch geöffnet ist.“ Ohne nachzudenken griff Imogen nach seiner Hand. Innerlich erstarrte sie für einen Moment, als ihr klar wurde, was sie getan hatte, doch er schien nichts dagegen zu haben. Also rannten sie Hand in Hand über die Straße und schlängelten sich durch die Autos im abendlichen Stau vor dem Bahnhof.

Sie hatten Glück und konnten noch zwei Eintrittskarten ergattern. Lev bestand darauf, sie zu bezahlen.

In rasender Fahrt ging es im Aufzug nach oben, und Imogen musste heftig schlucken, als sie den Druck in den Ohren spürte. Bald waren sie auf der Aussichtsplattform des einst höchsten frei stehenden Bauwerks der Welt.

Seite an Seite blickten sie über die Stadt, während die Sonne im Westen unterging. Imogen fühlte, wie ihr Puls sich beschleunigte. So etwas hatte sie schon lange nicht mehr gespürt.

„Gewaltig!“, flüsterte Lev beeindruckt. „Diese Stadt ist ungefähr so groß wie mein ganzes Land.“

„Ja, sie ist ziemlich riesig“, stimmte Imogen zu. „In all den Jahren, die ich hier gelebt habe, habe ich es nie auf diese Aussichtsplattform geschafft.“

Er runzelte die Stirn. „Wieso nicht?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe sehr konzentriert studiert und mir nicht die Zeit dafür genommen.“

Für vieles hatte sie keine Zeit gefunden. Das bedauerte sie jetzt.

Sie wanderten auf der Plattform herum, bis sie nach Süden auf den Ontariosee blicken konnten. Einen Moment schloss sie die Augen und stellte sich vor, zu Hause in Yellowknife auf ihrem Hausboot zu sein. Dorthin war sie früher von jeder Reise mit ihrem Vater zurückgekehrt.

Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie stand neben einem Mann, auf den ihr Körper reagierte, wie sie es mit Allen nie erlebt hatte. Sie mochte dieses lebendige Gefühl. Es war neu für sie. Den heutigen Abend wollte sie auskosten. Es würde ihr helfen, das Chaos hinter sich zu lassen, das Allen angerichtet hatte.

„Ich habe noch nie einen so großen See gesehen.“

Imogen schreckte aus ihren Gedanken auf. „Er ist der siebtgrößte in Kanada“, erklärte sie. Ihr Vater hatte sie immer seine lebende Enzyklopädie genannt.

Lev sah sie zweifelnd an. „Nur der siebtgrößte? Welches ist denn der größte?“

Imogen musste nachdenken. „Äh, ich glaube, das ist der Lake Superior. Er liegt etwas weiter nördlich.“

Lev beugte sich über die Brüstung. „Ich mag Kanada. Ich bin erst seit Kurzem hier, aber ich wünschte, ich könnte bleiben. Man kann sich hier verlieren.“

Er sagte es fast wehmütig, als wolle er genau das. Imogen konnte ihn gut verstehen. Deshalb lebte und arbeitete sie so gerne im Norden. Yellowknife war ein kleiner Ort, aber nur wenige Meilen außerhalb der Stadt gab es nur noch Wildnis, Bäume und Felsen.

Es war leicht, dort oben verloren zu gehen. Aber für sie war es der Ort, an dem sie sich wiedergefunden hatte, nachdem Allen ihr Herz gebrochen hatte und ihr Vater gestorben war.

„Was ist dort auf den Inseln?“, fragte Lev und deutete auf eine Fähre, die gerade vom Queens Quay abgelegt hatte.

„Einige Häuser, Naturparks und ein FKK-Strand“, erklärte sie.

Lev lachte auf. „Wäre das nicht zu kalt?“

„Nicht im Sommer.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich meinte jetzt. Es ist bald Nacht, und das Wasser sieht kalt aus.“

„Ja, das ist es wahrscheinlich auch, aber ich bezweifle, dass jetzt Leute am Strand sind.“

Sein Lächeln wurde noch breiter. „Warum nicht? Die Dunkelheit verbirgt sicher vieles.“

Imogens Herz klopfte wie wild, und sie fühlte die Röte in ihren Wangen aufsteigen. Es wäre besser, sich nicht vorzustellen, mit Lev allein im Mondschein am FKK-Strand zu sein.

„Wo könnten wir noch einen Drink bekommen?“, fragte er und löste damit die Spannung.

„Ich kenne einen schönen Platz unten am Wasser.“

„Gut. Zeigen Sie den Weg.“ Nun griff er nach ihrer Hand. Die Berührung fühlte sich an wie ein Stromstoß, der durch ihren Körper fuhr. Dieses Gefühl ließ sie alle Regeln vergessen, die sie aufgestellt hatte, um ihr Herz zu schützen. Lev schien etwas in ihr auszulösen, das sie noch nie erlebt hatte.

Langsam spazierten sie am Wasser entlang, und es kam Imogen so vertraut vor, als hätten sie das schon tausendmal gemacht. Sie sprachen nicht viel, aber das hatten sie auch in der ganzen Woche während der Konferenz nicht getan. Obwohl sie sich noch nie zuvor begegnet waren, schienen sie sich bereits gut zu kennen.

Sie glaubte nicht an übersinnliche Kräfte, aber es fühlte sich an, als würde sie von einer unbekannten Kraft zu ihm hingezogen.

Du bist verrückt, schimpfte sie mit sich selbst. Sich für diesen Dr. Vanin zu interessieren, war lächerlich. Er lebte am anderen Ende der Welt, und für sie kam es nicht infrage, Yellowknife zu verlassen.

Aber was soll’s?, sagte sie im stummen Zwiegespräch zu sich selbst. Alle Freunde in Yellowknife haben gesagt, dass du dich in Toronto amüsieren sollst. Also hör auf, darüber nachzudenken!

Sie genoss es, Hand in Hand mit Lev am Ufer entlangzugehen und ihm die Stadt zu erklären. Auf keinen Fall wollte sie ins Hotel zurück und dort anderen Kollegen begegnen. Im Moment kam es ihr vor, als befänden sie sich gemeinsam von der Welt abgeschottet in einem Kokon. Andere Menschen würden nur stören.

Gewiss, morgen würde die Blase von allein platzen, wenn sie, jeder für sich, nach Hause fahren mussten. Aber für den Augenblick war es schön, mit ihm allein zu sein.

Sie blieben stehen, und Lev beugte sich über das Geländer, um die Lichter der Stadt zu betrachten, die sich im See spiegelten.

„Was für eine wundervolle Nacht! Es ist so ruhig hier.“

„Ja, es ist ein schöner Abend, aber als ruhig würde ich Toronto nicht gerade beschreiben. Ich bin lieber draußen auf dem Land“, sagte sie.

„Ach wirklich?“ Er schien überrascht.

„Schockiert Sie das?“

„Ich dachte, Sie wären ein Stadtkind.“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte sie amüsiert.

„Sie haben sich so sicher in den Menschenmassen vor dem Hotel bewegt, und auch der Verkehr schien sie nicht zu stören.“

„Ich habe viele Jahre in Toronto studiert und mich an den Trubel gewöhnt, aber ich ziehe eine ruhigere Umgebung vor.“

„Erzählen Sie mir davon.“

„Was möchten Sie wissen?“, fragte sie.

„Sie arbeiten zu Hause als Chirurgin?“

„Ja. Eine Zeit lang war ich bei den Flying Doctors, aber jetzt bin ich in einem Krankenhaus angestellt.“

„Die Flying Doctors?“, fragte er interessiert nach. „Von denen habe ich gehört, aber ich wüsste gern mehr darüber.“

„Es gibt hoch im Norden viele kleine Ansiedlungen ohne Verbindung mit der Außenwelt. Einigen müssen sogar Lebensmittel durch die Luft gebracht werden … oder eben manchmal auch medizinische Hilfe.“

„Und wenn Fliegen unmöglich ist, zum Beispiel bei schlechtem Wetter?“, fragte er.

„Dann können auch Menschen sterben.“ Wieder musste sie an ihren Vater denken. Wenn er in einer Stadt gewesen wäre …

Sie schüttelte diesen Gedanken ab. Sein Schlaganfall war so heftig gewesen, dass er wohl auch in einem Krankenhaus gestorben wäre.

„Es muss hart sein, dort draußen zu leben.“

Sie nickte. „Fliegender Arzt zu sein, das ist … nicht jedermanns Sache.“

„Aber Sie haben es auf sich genommen.“ Dabei berührte er zart ihre Wange. „Wenn Sie erröten, sehen Sie so … wunderschön aus.“

Imogens Herz raste. Jede Nervenzelle in ihrem Körper schien zu erwachen. Es war lange her, dass jemand sie so intim berührt hatte. Es war, als hätte sie jahrelang geschlafen und würde nun wie Dornröschen geweckt.

„Ihr Job als fliegende Ärztin ist bewundernswert“, stellte er fest und zerbrach damit die Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.

„Was ist daran bewundernswert?“

„Es ist sicher nicht ganz risikolos. Ich nehme an, dass nicht viele Ärzte dazu bereit sind.“

„Nein, da haben Sie wohl recht.“ Es war ein andauerndes Problem, dass es dem Norden schwerfiel, gut qualifizierte Menschen zu halten. „Ich mache es ja selbst auch nicht mehr. Mir gefällt es im Krankenhaus besser.“

„Trotzdem erstaunen Sie mich.“

„Ich weiß nicht warum. Ich lebe mein Leben. Vielleicht bin ich ein wenig egoistisch“, wehrte sie verlegen ab.

„Nein, nicht egoistisch. Ich beneide Sie. In Chenar arbeite ich in der Hauptstadt und habe es mit der Elite meines Landes zu tun. Das ist nicht gerade meine Wunschtätigkeit. Überhaupt nicht.“ Er klang verbittert. „Meine Arbeit beim Militär war mir lieber. Aber das ging zu Ende.“

„Sie klingen nicht sehr glücklich darüber.“

„Nein, das bin ich auch nicht. Es hat mir gefallen, aber … meine Zeit war um.“

„Sie könnten doch jederzeit woanders hingehen“, gab sie zu bedenken.

„Wenn ich es könnte, würde ich es tun.“ Er nahm wieder ihre Hand. „Ich wünschte, ich könnte so frei sein wie Sie, Imogen.“

„Nach allem, was ich weiß, ist Chenar ein freies Land. Gewiss, es wird von einem König regiert, aber ich habe nichts davon gehört, dass er ein grausamer Despot ist.“

Ein seltsames Lächeln huschte über sein Gesicht. „Nein, überhaupt nicht. Aber lassen Sie uns nicht mehr darüber reden! Sie haben mir einen Drink versprochen.“

„Das stimmt. Gleich hier drüben.“

Es waren nur ein paar Schritte zu der kleinen Bar, an die sie sich erinnerte, aber als sie dort ankamen, war an ihrer Stelle ein kleines Boutiquehotel entstanden. Das hatte zwar keine öffentliche Bar, verfügte aber über eine Dachterrasse für Gäste.

„Das ist schade, aber wir finden sicher einen anderen Ort“, schlug sie vor.

„Haben Sie nicht gesagt, dass es hier nett sei?“, fragte er.

„Das habe ich, aber die Bar ist nur für Hotelgäste.“

In seinen Augen blitzte es auf. „Dann lassen Sie uns ein Zimmer nehmen.“

Ihr Puls begann zu rasen. „Wie bitte?“

„Nehmen wir uns ein Zimmer, damit wir etwas trinken können.“

„Sie sind verrückt!“

Es war eine verrückte Idee, aber auch furchtbar aufregend.

„Finden Sie? Wir nehmen uns ein Zimmer, trinken etwas und gehen dann wieder.“

Amüsier dich ein wenig!

„Also gut“, lenkte sie ein. „So machen wir es.“

Das war das Verrückteste, was sie je getan hatte, aber schon der ganze Abend war so ungewöhnlich gewesen. Aber was war schon dabei? Morgen würde sie nach Yellowknife zurückkehren und wieder in ihre normale Routine eintauchen.

Lev fragte an der Rezeption nach einem Zimmer, aber es war nur noch eine Penthouse Suite zur Verfügung. Er zögerte keine Sekunde.

Bald saßen sie auf der Dachterrasse mit Blick auf den See und tranken Champagner, als sei das die natürlichste Sache der Welt.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir das getan haben“, stellte sie ein wenig atemlos fest.

„Haben Sie so etwas noch nie gemacht?“

„Nein.“ Sie musste lachen.

Er schmunzelte vergnügt und stieß mit ihr an. „Tja, es gibt für alles ein erstes Mal.“

„Oh?“, fragte sie neugierig. „Machen Sie so etwas oft?“

Er trank einen Schluck und schüttelte den Kopf. „Nein, auch für mich ist es etwas Neues.“

Ihr Herz raste, und ihr Körper zitterte leicht. Während der rationale Teil ihres Gehirns sich zu erinnern versuchte, warum sie hier war, kam aus der emotionalen Abteilung die aufmunternde Mitteilung, dass sie am richtigen Ort war, ungebunden und schon seit geraumer Zeit allein.

Ein Glas Champagner führte zum nächsten. Es war ein wunderschöner Sommerabend, und von irgendwoher war gedämpfte Musik zu hören.

„Ich würde gern tanzen“, verkündete Lev, setzte sein Glas ab und stand auf. „Tanzen Sie mit mir!“

„Befolgen immer alle Menschen Ihre Befehle?“, neckte sie, obwohl sie nur zu gern mit ihm tanzen wollte.

„Ja. Wo ich arbeite, bin ich der Chef.“ Er schmunzelte. „Tanzen Sie mit mir, Imogen, und dann nehmen wir ein Taxi zurück zum Tagungshotel.“

Sie erhob sich und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. Es fühlte sich so gut an! Langsam wiegten sie sich zum Takt der fernen Musik. Imogens Körper summte vor Verlangen. Es war magisch, und sie wünschte, dass die Nacht nie vorüberginge. Schon gar nicht wollte sie zurück ins Konferenzhotel.

Er lächelte sie an. „Sie sehen so schön aus, dass ich fast nicht mehr von hier fortgehen möchte.“

„Das will ich auch nicht.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Sie tat das, was sie sich geschworen hatte, nie wieder zu tun … sich mit einem Arzt einzulassen.

Aber du arbeitest nicht mit ihm. Es wird schon nichts passieren!

Was als zarter Schmetterlingskuss begonnen hatte, wurde tiefer und leidenschaftlicher. Es war lange her, dass ein Mann das Bedürfnis in ihr geweckt hatte, die Kontrolle aufzugeben.

Er beendete den Kuss abrupt. „Es tut mir leid, Imogen. Das wollte ich nicht“, flüsterte er ihr heiser ins Ohr.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, flüsterte sie und küsste ihn erneut. Sie wollte mehr von ihm, auch wenn es nur für eine Nacht war.

Sie schmiegte sich an ihn, und als sie seine Hände auf dem dünnen Stoff ihres Sommerkleides fühlte, fragte sie sich, wie sie sich wohl auf ihrer Haut anfühlen würden.

Autor

Amy Ruttan

Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...

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