Helena und der heißblütige Venezianer

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Dem Zauber Venedigs kann sich niemand entziehen. Fasziniert bewundert die junge Amerikanerin Helena die historischen Bauten der Lagunenstadt. An diesen Orten scheint die Zeit stehen geblieben zu sein - leider auch in der Denkweise von Salvatore Veretti: Unerträglich, mit welcher Überheblichkeit der gut aussehende Manager Frauen jeden Geschäftssinn abspricht. Eine echte Herausforderung für die schöne Helena. Aus dem Streit um eine Glashütte auf Murano wird ein hitziger Kampf. Dabei geht es längst nicht mehr ums Geschäft, sondern nur noch um Liebe und Leidenschaft …


  • Erscheinungstag 16.02.2010
  • Bandnummer 1831
  • ISBN / Artikelnummer 9783862951154
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Salvatore Veretti warf einen letzten verächtlichen Blick auf das Foto in seiner Hand, ehe er aufstand und sich an das Fenster stellte. An diesem Morgen glitzerte das Wasser der Lagune von Venedig im strahlenden Sonnenschein, und die leichten Wellen ließen die vielen Boote dümpeln. Die Schönheit der Stadt faszinierte ihn immer wieder von Neuem.

Schließlich glitt sein Blick zurück zu der Frau auf dem Bild, die nicht nur wunderschön war, sondern in jeder Hinsicht perfekt aussah mit der großen, schlanken Gestalt und den verführerischen Rundungen. Sie war die absolute Traumfrau, nach der sich jeder Mann sehnte. Sie legte es allerdings auch darauf an, dem anderen Geschlecht zu gefallen, dessen war er sich sicher, denn er kannte sich bestens aus mit dem weiblichen Geschlecht.

Außer dem schwarzen Minibikini, der kaum etwas verhüllte, war sie nackt. Während er mit finsterer Miene ihre langen Beine und die üppigen Brüste betrachtete, nickte er langsam, als hätte er nichts anderes erwartet.

Das ist pure Berechnung, dachte er. Diese Person überließ nichts dem Zufall. Sie stellte ihren herrlichen Körper zur Schau, um die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen, ganz besonders der reichen und berühmten. Und sie hatte damit Erfolg gehabt.

Nur konnte sie nicht ahnen, dass er ihr Spiel durchschaute. Dass sie ihn mit ihren raffinierten Tricks nicht zu beeindrucken vermochte, wäre sicher eine ganz neue Erfahrung für sie. Er war auf ihre Reaktion gespannt.

Plötzlich verkündete seine Sekretärin über die Gegensprechanlage: „Signor Raffano ist da.“

„Er soll hereinkommen.“

Raffano war sein Finanzberater und ein alter Freund, der die Familie schon durch stürmischere Zeiten begleitet hatte. Salvatore hatte ihn in sein Büro im Palazzo Veretti bestellt, um die Sache mit ihm zu besprechen.

Er drehte sich um, als der Freund hereinkam. „Setz dich. Es gibt noch mehr Neuigkeiten“, erklärte er ohne Einleitung und wies auf einen Sessel.

Der ältere Mann mit dem weißen Haar und dem freundlichen Gesicht nahm Platz. „Du meinst, außer dem Tod deines Cousins?“, fragte er vorsichtig.

„Antonio war der Cousin meines Vaters, nicht meiner“, korrigierte Salvatore ihn. „Er war für seine Eskapaden bekannt.“

„Ja, er war ein Playboy und liebte das luxuriöse Leben“, stimmte Raffano ihm zu. „Also ein echter Venezianer.“

„Das würde ein schlechtes Licht auf die Leute von hier werfen. Es gibt nicht viele Menschen, die so rücksichtslos dem eigenen Vergnügen nachjagen und ihr Geld mit vollen Händen ausgeben, wie er es getan hat.“

„Ich gebe zu, er hätte sich mehr um seine Firma kümmern müssen.“

„Stattdessen hat er die ganze Verantwortung seinem Manager übertragen und ist auf der Suche nach Spaß und Abwechslung durch die Welt gereist“, stellte Salvatore mit finsterer Miene fest.

„Es war wahrscheinlich das Beste, was er tun konnte. Emilio ist ein hervorragender Geschäftsführer, und ich bezweifle, dass Antonio die Fabrik so gut hätte führen können wie er. Doch reden wir lieber von seinen guten Seiten. Er war sehr beliebt, und wir werden ihn vermissen. Wird er hier seine letzte Ruhe finden?“, fragte Raffano.

„Nein, die Beerdigung hat schon in Miami stattgefunden, wo er die zwei letzten Jahre gelebt hat. Seine Witwe hat ihr Kommen angekündigt“, antwortete Salvatore.

„Seine Witwe?“, wiederholte Raffano verblüfft. „War er etwa verheiratet?“

„Offenbar. Sie ist zwar sehr schön, doch bestimmt nicht viel anders als all die anderen Frauen in seinem Leben. Aber sie hat ihn dazu gebracht, sie zu heiraten. Sie ist offenbar sehr raffiniert, wahrscheinlich ging es ihr um sein Vermögen, und das hat sie ja jetzt geerbt.“

„Du hast schon immer sehr hart geurteilt, Salvatore.“

„Bisher hatte ich immer recht.“

„Du kennst sie doch gar nicht.“

„Man sieht auf den ersten Blick, wie sie ist.“ Er schob das Foto über den Schreibtisch.

Raffano nahm es in die Hand und pfiff leise. „Bist du sicher, dass sie Antonios Frau war? Leider kann man ihr Gesicht unter dem Strohhut mit dem breiten Rand nicht erkennen.“

„Das ist unwichtig. Sieh dir ihren Körper an.“

„Mit dieser Figur macht sie natürlich alle Männer verrückt“, meinte Raffano. „Woher hast du es?“

„Ein gemeinsamer Bekannter hat die beiden vor einiger Zeit zufällig getroffen und mir die Aufnahme mit der Bemerkung geschickt, es handle sich um Antonios neueste Errungenschaft.“

„Es sieht aus, als wäre es am Strand gemacht worden“, stellte Raffano fest.

„Das ist wahrscheinlich der ideale Ort für sie, sich in Szene zu setzen“, erklärte Salvatore spöttisch. „Ich vermute, sie hat ihn nach Miami gelockt und ihn dort vor den Altar geschleppt.“

„Wann ist es geschehen?“, erkundigte sich Raffano.

„Keine Ahnung. Ich denke, sie ist dafür verantwortlich, dass es geheim gehalten wurde. Ihr muss klar gewesen ein, dass seine Familie die Hochzeit sonst verhindert hätte.“

„Wie denn? Antonio war euch keine Rechenschaft schuldig, immerhin war er Anfang sechzig“, wandte Raffano sein.

„Mir wäre schon etwas eingefallen, wie ich es hätte unterlaufen können.“

„Ja, ich weiß, du bist sehr hartnäckig und lässt nicht locker, bis du dein Ziel erreicht hast.“

„Wie gut du mich doch kennst.“ Salvatore lächelte belustigt. „Die Hochzeit hat bestimmt in letzter Minute stattgefunden. Als sie gemerkt hat, dass es mit ihm zu Ende ging, hat sie sich noch das Erbe gesichert.“

„Gibt es einen Beweis, dass sie Eheleute waren?“

„Ja, ich habe es von dem Rechtsanwalt dieser Frau erfahren. Signora Helena Veretti, wie sie sich nennt, wird in Kürze hier eintreffen und ihr Erbe antreten.“

„Ich kann verstehen, dass du wütend bist“, antwortete Raffano. Er war überrascht über die Kälte und den Zynismus, die in Salvatores Stimme mitschwangen. „Eigentlich hätte dein Vater die Firma damals bekommen müssen und nicht Antonio. Das hat alle überrascht.“

„Ja, aber mein Vater hatte sich hoch verschuldet. Deshalb entschloss sich meine Großtante, Antonio zum Nachfolger einzusetzen“, erinnerte Salvatore ihn. „Es war auch völlig in Ordnung, er gehörte ja zur Familie. Diese Frau hat jedoch mit uns nichts zu tun, und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie das Vermögen der Verettis in die Hände einer so habgierigen Fremden übergeht.“

„Du kannst nichts dagegen tun, wenn Antonio sie wirklich geheiratet hat.“

Salvatore verzog die Lippen zu einem geradezu furchterregenden Lächeln. „Keine Sorge, du hast doch selbst gesagt, dass ich nicht lockerlasse.“

„Aus deinem Mund hört es sich fast wie eine Tugend an. Aber sei vorsichtig, Salvatore. Ich weiß, dass du schon sehr früh lernen musstest, dich durchzusetzen, um euer Unternehmen vor dem Bankrott zu retten. Doch manchmal befürchte ich, du bist rücksichtsloser und skrupelloser, als es für dich gut ist.“

„Als es für mich gut ist?“, wiederholte Salvatore. „Es kann doch nicht schaden, entschlossen und konsequent zu handeln.“

„Pass auf, dass eines Tages nicht alle vor dir Angst haben und sich von dir abwenden. Das rate ich dir als Freund.“

Salvatores Miene wurde weich. „Einen besseren Freund als dich könnte ich gar nicht haben. Doch sei unbesorgt, ich weiß mich zu schützen. Mir kann niemand etwas anhaben.“

„Gerade das macht mir am meisten Sorge.“

Alles war geregelt, die Beerdigung war vorbei. Ehe Helena zum Flughafen von Miami fuhr, ging sie noch einmal zum Friedhof, um ein Bukett aus weißen Rosen auf das Grab ihres Mannes zu legen.

„Ich möchte mich verabschieden“, flüsterte sie. „Natürlich komme ich zurück, um dich zu besuchen. Ich weiß aber noch nicht, wann. Das hängt davon ab, was mich in Venedig erwartet.“

Als sie Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich um. Die Leute gingen bei ihrem Anblick langsamer und musterten sie interessiert.

„Es passiert schon wieder“, wandte sie sich lächelnd an ihren verstorbenen Mann. „Weißt du noch, wie wir gelacht haben, wenn die Menschen mich so ungeniert betrachteten?“

Mit ihren ein Meter fünfundsiebzig, der langen goldblonden Mähne, der perfekten Figur, den feinen Gesichtszügen und den großen ausdrucksvollen Augen war sie eine auffallend schöne und attraktive Frau. Obwohl sie ihren Beruf als Model aufgegeben hatte, erregte sie immer noch Aufsehen.

Sie war jedoch nicht stolz auf ihr Äußeres und nahm die vielen Komplimente nicht so ernst, was einen Teil ihres Charmes ausmachte. Für die Fotografen war sie allerdings der Inbegriff von Schönheit. Sie verkörperte das, was man sich allgemein unter einer erotischen, verführerischen Frau vorstellte. In Insiderkreisen nannte man sie die schöne Helena in Anlehnung an die griechische Sagengestalt, die als die hübscheste Frau ihrer Zeit galt. Darüber hatte sie jedoch immer wieder herzlich gelacht – und Antonio mit ihr.

„Die Leute beneiden mich bestimmt um dich und halten mich für einen Glückspilz, weil ich dein Herz gewonnen habe“, hatte er gemutmaßt. „Wahrscheinlich glauben sie, wir hätten großartigen Sex“, hatte er hinzugefügt und geseufzt, denn dieser großartige Sex hatte nie stattgefunden.

Dazu war sein Herz zu schwach gewesen, und in den zwei gemeinsamen Jahren hatten sie sich kein einziges Mal körperlich geliebt. Doch es hatte ihm gefallen, dass alle etwas anderes annahmen.

„Du wirst mir schrecklich fehlen“, flüsterte sie jetzt. „Du warst ein wunderbarer Partner, immer freundlich und liebevoll. Du hast mir unendlich viel gegeben und nichts dafür erwartet. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich geliebt und beschützt gefühlt. Es ist schlimm, ohne dich zu sein.“ Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie den Grabstein aus Marmor sanft berührte. „Warum musstest du jetzt schon sterben? Natürlich wussten wir, dass es eines Tages so weit sein würde, aber da wir ein ruhiges und stressfreies Leben geführt haben, waren wir überzeugt, wir hätten noch mehr Zeit. Dein Gesundheitszustand schien uns recht zu geben, doch plötzlich war alles aus.“

Sie sah ihn noch vor sich, wie sich seine Gesichtszüge mitten im Lachen verzerrt hatten und er angefangen hatte zu keuchen. Es war sein letzter Herzanfall gewesen.

„Auf Wiedersehen“, wisperte sie. „Du lebst für immer in meinem Herzen weiter.“

Sie hatten sich auf seelischer und geistiger Ebene sehr nahegestanden.

Auf der Fahrt im Taxi zum Flughafen wenig später und auch während des langen Fluges über den Atlantik hatte Helena das Gefühl, er sei immer noch bei ihr. Nie würde sie vergessen, wie sie sich kennengelernt hatten.

Auf dem Gipfel ihrer Karriere hatte sie ihre Tätigkeit als Model beendet. Sie war das rastlose Leben leid und entschied sich, Geschäftsfrau zu werden. Geld hatte sie mehr als genug verdient und suchte nun nach Möglichkeiten, ihre Ersparnisse zu investieren.

Obwohl sie sich für gut informiert hielt, wäre sie beinah auf einen Betrüger hereingefallen, der sie überzeugen wollte, sich an einer Scheinfirma zu beteiligen. In der Situation begegnete sie Antonio, der sie vor einem verhängnisvollen Fehler bewahrte. Er warnte sie und erzählte, ein guter Bekannter sei auf dieselbe Art hereingelegt worden.

Danach hatten sie sich wieder verabredet und wurden schließlich die besten Freunde. Er war Anfang sechzig und wusste, dass er nicht mehr lange leben würde. Als er Helena bat, bei ihm zu bleiben, willigte sie, ohne zu zögern, ein. Es war ihr egal, wie viel Zeit ihnen blieb. Wichtig war nur, dass sie sich gut verstanden und miteinander klarkamen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hatten sie geheiratet, waren glücklich gewesen, bis Antonio in ihren Armen gestorben war.

Über sein bevorstehendes Ende hatte er offen mit ihr geredet, und er hatte sie finanziell abgesichert, was ihrer Meinung nach nicht nötig gewesen wäre.

„Nach meinem Tod geht Larezzo, meine Glasmanufaktur auf der Insel Murano, in deinen Besitz über“, erklärte er. „Du musst dann nach Venedig fliegen und dein Erbe antreten.“

„Was soll ich mit einem solchen Betrieb?“, fragte sie.

„Du kannst ihn Salvatore, dem Sohn meines Cousins, verkaufen. Er wird dir bestimmt ein gutes Angebot unterbreiten.“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich weiß, wie gern er die Firma übernehmen würde und wie enttäuscht er war, als ich sie überschrieben bekommen habe.“

„Du hast mir doch erzählt, dass er selbst eine besitzt.“

„Ja, die Perroni-Glasmanufaktur. Er würde jedoch gern den Markt beherrschen, dann könnte ihm keiner Konkurrenz machen, und dazu braucht er Larezzo. Du kannst einen hohen Preis verlangen. Wenn du den Bankkredit, den ich aufgenommen habe, getilgt hast, bleibt dir immer noch genug für ein sorgenfreies Leben. Tu mir den Gefallen und nimm es an, Liebes. Ich möchte mit dem beruhigenden Gefühl gehen, so gut für dich gesorgt zu haben wie du für mich.“

„Ich brauche doch kein Geld, ich habe selbst genug“, erinnerte sie ihn. „Dank deiner Hilfe habe ich es nicht verloren.“

„Dann betrachte es als Dank für deine Zuneigung und die schöne Zeit mit dir“, hatte er sie gebeten.

Für mich war die Zeit mit ihm die schönste meines Lebens, dachte sie jetzt. Er hatte ihr gezeigt, dass nicht alle Männer nur mit ihr schlafen wollten, und sie wusste nicht, wie sie nun ohne ihn zurechtkommen sollte.

Der Flug nach Paris schien endlos lange zu dauern, und dann musste Helena auch noch drei Stunden auf die Anschlussmaschine nach Venedig warten. Als sie endlich am Ziel ankam, war sie zum Umfallen müde. Glücklicherweise wurde sie von einem Mitarbeiter des Hotels abgeholt, der alles für sie erledigte.

Nach der Fahrt im Motorboot durch die Lagune von Venedig legten sie vor dem Hotel Illyria an, wo ihr ein anderer Angestellter beim Aussteigen half. Die Herberge direkt am Canal Grande war eine der besten der Stadt. Von hier aus konnte man viele der Sehenswürdigkeiten zu Fuß erforschen. Doch vor lauter Erschöpfung nahm Helena von der Umgebung kaum etwas wahr, und auch von dem köstlichen Essen, das sie sich auf das Zimmer bestellte, bekam sie nur wenig hinunter. Schließlich duschte sie, legte sich hin und fiel innerhalb weniger Sekunden in tiefen Schlaf.

Gegen Morgen träumte sie von Antonio, wie er mit ihr lachte und scherzte. Obwohl er wusste, dass er nicht mehr lange leben würde, war er immer heiter und fröhlich gewesen.

In dem warmen Klima Miamis blühte er geradezu auf. Um ihm einen Gefallen zu tun, fing Helena an, Italienisch zu lernen und dann auch noch den venezianischen Dialekt, weil Antonio behauptet hatte, das würde sie nicht schaffen. Allerdings hatte sie es sich viel leichter vorgestellt und gedacht, es handele sich dabei nur um eine andere Aussprache und Betonung der Wörter. Doch sie musste feststellen, dass es eine ganz andere Sprache war, was Antonio ihr natürlich vorher nicht verraten hatte.

Dennoch gab sie nicht auf und beherrschte zu seiner und ihrer eigenen Überraschung beide Sprachen relativ schnell.

Er zeigte ihr Fotos von seiner Familie, auch von Salvatore, dem Sohn seines Cousins, dem er am liebsten aus dem Weg ging, auch wenn er ihn irgendwie bewunderte.

„Es ist schwierig, mit ihm auszukommen. Er ist sehr hart und streng“, erzählte er. „Ich war das schwarze Schaf der Familie. Salvatore hat meine Lebensweise nie gebilligt. Deshalb braucht er auch nicht zu erfahren, dass wir geheiratet haben.“

„Du bist doch viel älter als er“, wandte sie ein. „Du hättest dir jede Einmischung und Kritik verbitten können.“

„Das mag sein. Ich habe es jedoch vorgezogen, die Leitung der Firma meinem Manager zu übertragen, das Leben zu genießen und Spaß zu haben“, antwortete er reumütig.

„Genießt Salvatore das Leben etwa nicht?“

„Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Schon als ganz junger Mann konnte er jede Frau haben, die er haben wollte, aber seine Arbeit war ihm wichtiger. Für einen Venezianer ist er zu steif und verkrampft, finde ich. Wir nehmen das Leben eher etwas leichter und denken nicht so oft an die Zukunft. Salvatore ist da ganz anders.

Vielleicht liegt es daran, dass sein Vater, mein Cousin Giorgio, ein vergnügungssüchtiger Mann war. Er hat es sicher übertrieben und zu viele Affären gehabt. Natürlich lebt Salvatore auch nicht wie ein Mönch. Er geht jedoch sehr diskret vor und lässt keine Frau zu nah an sich heran.

Die meisten Menschen, die ihn kennen, fürchten sich vor ihm.

Sogar ich habe mich in seiner Nähe nicht gerade wohlgefühlt. Venedig war für uns beide nicht groß genug, deshalb bin ich gegangen und durch die Welt gereist. Es war das Beste, was ich tun konnte, denn sonst hätte ich dich damals in England nicht kennengelernt und wäre jetzt nicht so glücklich.“

Helena betrachtete den attraktiven Mann auf dem Foto mit den strengen Gesichtszügen, der irgendwie geheimnisvoll wirkte.

„Es ist noch niemandem gelungen, ihn in einen umgänglicheren Zeitgenossen zu verwandeln. Ich würde gern mit dir nach Venedig fliegen und dich ihm vorstellen, doch das wäre ein Fehler.“ Antonio zwinkerte belustigt. „Du bist viel zu schön. Er würde bestimmt versuchen, dich mir auszuspannen.“

„Das wäre reine Zeitverschwendung“, hatte Helena lachend erwidert. „Lass uns hinfliegen, Venedig muss faszinierend sein, außerdem ist es deine Heimatstadt.“

Als Helena aufwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Dann erblickte sie die hohe Decke, die mit Putten geschmückt war, und die antiken Möbel, die aus dem achtzehnten Jahrhundert zu stammen schienen, und erinnerte sich. Sie stand auf, schlüpfte in das Seidennegligé, durchquerte den Raum und öffnete das Fenster, um die Sonnenstrahlen hineinzulassen.

Sie hatte das Gefühl, in eine ganz neue Welt einzutauchen, und stand wie verzaubert da, während sie den regen Schiffsverkehr auf dem Kanal betrachtete. An den Anlegestellen warteten unzählige Menschen, und überall, wohin sie schaute, herrschte lebhaftes Treiben.

Schließlich weckte eine heiße Dusche vollends ihre Lebensgeister, und sie freute sich darauf, diese wunderschöne Stadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten zu erforschen. Sie zog eine elegante schwarze Leinenhose und eine weiße Bluse an, dazu Ballerinas, denn sie hatte Antonios Worte noch im Ohr.

„Die Pflastersteine der Gassen Venedigs sind die härtesten der Welt. Wenn du zu Fuß gehen willst, und das musst du, denn es gibt dort keine Autos, darfst du keine hochhackigen Schuhe tragen“, hatte er sie gewarnt.

Das lange, volle Haar band sie im Nacken zusammen und ließ es über den Rücken fallen. Dann betrachtete sie sich prüfend im Spiegel. Etwas streng, aber unauffällig, dachte sie zufrieden.

Zum Frühstück ging sie hinunter in den Speisesaal und genoss das reichhaltige Büfett. Sie freute sich immer wieder von Neuem darüber, dass sie so viel essen konnte, wie sie wollte, ohne jemals zuzunehmen.

Als sie sich später in der Eingangshalle Prospekte über die Sehenswürdigkeiten und Rundfahrten holte, fragte der junge Mann an der Rezeption höflich, ob sie sich für etwas Bestimmtes interessiere.

„Venedig ist doch auch für die Glaskunst berühmt“, erwiderte sie betont beiläufig. „Gibt es irgendwo Demonstrationen der Glasbläser?“

„Ja. Auf der Insel Murano finden Sie die feinsten Kreationen der Welt.“

„Ich habe gehört, Larezzo sei dafür die beste Manufaktur weit und breit.“

„Das wird von einigen behauptet. Andere sind der Meinung, es sei Perroni. Ich glaube, sie sind beide gleich gut. In einer Stunde findet übrigens ein geführter Ausflug nach Murano zur Besichtigung der Glasmanufaktur Larezzo statt. Sie können teilnehmen, wenn Sie möchten.“

„Oh ja, gern. Vielen Dank.“

Wenig später fuhr sie mit fünf weiteren Touristen, die auch an der Anlegestelle vor dem Hotel einstiegen, mit dem Vaporetto zu der Insel. Die Vaporetti, wie die Linienboote genannt wurden, erschlossen die Stadt von einem Ende zum anderen und garantierten gute Verbindungen zu allen Inseln in der Lagune. Und sie waren erstaunlich pünktlich, die Fahrpläne hingen an jeder Anlegestelle aus.

„Früher befanden sich die Manufakturen in der Stadt selbst“, hatte Antonio ihr erzählt. „Doch die Stadtväter hielten die Brandgefahr durch die Schmelzöfen für zu groß und befürchteten, große Teile Venedigs könnten eines Tages durch ein verheerendes Feuer vernichtet werden. Deshalb wurden die Betriebe im dreizehnten Jahrhundert auf die Insel Murano verlegt.“

Und dort befanden sie sich auch heute noch und waren dank der Kunstfertigkeit der Glasbläser und der unvergleichlichen Schönheit der edlen Stücke weltberühmt.

Helena blieb an der Reling stehen und lies sich den Wind ins Gesicht wehen. Aufgeregt und neugierig überlegte sie, was sie wohl erwartete. Es konnte nicht verkehrt sein, die Firma, die jetzt ihr gehörte, sozusagen inkognito zu besichtigen, ehe sie sich als die neue Besitzerin zu erkennen gab. Außerdem machte es ihr Spaß, noch eine Zeit lang unerkannt zu bleiben.

Keine halbe Stunde später waren sie am Ziel. Sie stiegen aus und wurden von Rico, einem Mitarbeiter der Firma Larezzo, in Empfang genommen, der die Führung übernahm.

Die hauchzarten und eleganten Glaskreationen waren schöner als alles, was Helena bisher gesehen hatte, und gezeigt zu bekommen, wie diese Kunstwerke entstanden, war ein einmaliges Erlebnis. Die Schmelzöfen, die Designer, die Glasbläser, das alles war absolut faszinierend.

Schließlich trennte sie sich von der Gruppe und lief allein umher. Während sie die Gläser, Spiegel, Lampen, Figuren und den Schmuck in den Vitrinen bestaunte, fühlte sie sich in eine andere Welt versetzt. Auf einmal kam sie an einer halb offenen Tür vorbei. Als sie einen flüchtigen Blick in das Büro warf, sah sie einen Mann, der mit dem Rücken zu ihr stand, ein Handy ans Ohr hielt und mit jemandem telefonierte. Seine Stimme klang ärgerlich und gereizt, ja sogar feindselig. Sie wollte unbemerkt weitergehen, hörte ihn jedoch in dem Moment sagen: „Wir müssen sie wahrscheinlich Signora Helena Veretti nennen, obwohl es mir gegen den Strich geht.“

Plötzlich drehte er sich um, und sie konnte sein Gesicht erkennen. Das ist Salvatore Veretti, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war sich allerdings nicht ganz sicher. Doch seine nächsten Worte bestätigten ihre Vermutung.

„Warum sie noch nicht in Venedig ist, ist mir rätselhaft. Ich wollte mich erkundigen, ob jemand bei Larezzo mehr weiß als ich. Sie hat sich aber offenbar noch nicht gemeldet.“

Helena war froh, dass sie den venezianischen Dialekt beherrschte, sonst hätte sie jetzt kein Wort verstanden.

„Wer weiß, was passiert ist. Es ist eigentlich auch völlig unwichtig. Es passt mir jedoch nicht, dass sie mich warten lässt. Jedenfalls ist sie ein raffiniertes Weib, das sich Antonios Vermögen unter den Nagel reißen wollte und ihn deshalb kurz vor seinem Tod geheiratet hat. Er hat sich von ihrer Schönheit blenden lassen, mich kann sie jedoch nicht täuschen. Sie irrt sich, wenn sie glaubt, sie könne nach Belieben über die Firma verfügen. Ich weiß, was für eine Frau sie ist, und hoffe für sie, dass sie mich nicht unterschätzt, sonst erlebt sie eine böse Überraschung.“

Nach einer Pause, in der er seinem Gesprächspartner zuhörte, fuhr er fort: „Das ist kein Problem. Sie hat doch keine Ahnung, was Larezzo wert ist, und wird jedes Angebot allzu gern akzeptieren. Ich werde leichtes Spiel mit ihr haben und kaufe ihr die Firma für einen Apfel und ein Ei ab. Es ist natürlich unfair, aber manchmal muss man zu solchen Mitteln greifen, wenn man etwas erreichen will. Okay, wir reden später weiter. Bis dann.“

Hastig zog Helena sich zurück und eilte die Treppe hinunter, um sich der Reisegruppe wieder anzuschließen. Sie kochte vor Wut. Er würde noch sein blaues Wunder erleben. Auf die Auseinandersetzung mit ihm freute sie sich schon jetzt.

2. KAPITEL

Unbemerkt gesellte Helena sich wieder zu den anderen, als Rico gerade das Ende der Führung verkündete.

„Vor Ihrer Rückfahrt nach Venedig möchten wir Ihnen noch kleine Erfrischungen anbieten“, erklärte er. „Kommen Sie bitte mit.“

Er führte sie in einen größeren Raum, wo ein langer Tisch, auf dem Teller mit Gebäck, Wein-und Mineralwasserflaschen standen, und fing an, jedem ein Glas einzuschenken.

„Entschuldige, Rico, dass ich dich störe. Weißt du, wo Emilio ist?“, fragte plötzlich jemand auf Venezianisch von der Tür her.

Helena erinnerte sich an den Namen, Antonio hatte ihn einmal erwähnt. Emilio Ganzi war der Manager, dem er die Führung der Firma anvertraut hatte.

„Er ist kurz weggefahren, muss aber jeden Augenblick zurückkommen“, antwortete Rico.

„Gut, dann warte ich.“

Es war der Mann, den Helena in dem Büro gesehen hatte. Kein Zweifel, es war Salvatore. Sie hielt sich diskret im Hintergrund, um ihn unauffällig zu beobachten.

Er schien ein würdiger Gegner zu sein, wie sie sich eingestand. Wie Antonio ihn beschrieben hatte, wagte es niemand, Salvatore zu widersprechen oder sich ihm entgegenzustellen, und so trat er auch auf. Er strahlte Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und eine subtile Erotik aus und wirkte sehr arrogant.

Salvatore war mindestens einen Meter fünfundachtzig groß. Er hatte schwarzes Haar und dunkelbraune Augen, und unter seinem eleganten, perfekt sitzenden Anzug schien sich ein durchtrainierter und muskulöser Körper zu verbergen.

Seine strengen Gesichtszüge verrieten eiserne Disziplin und Selbstbeherrschung. Er war offenbar ein unerbittlicher Mensch, der nur seinen eigenen Gesetzen gehorchte. Von dem Ärger, der vorhin in seiner Stimme geschwungen hatte, war nichts mehr zu vernehmen. Im Gegenteil, er sprach locker und entspannt mit dem jüngeren Mann, woraus sie schloss, dass er sich perfekt unter Kontrolle hatte. Und er schien vor Energie zu sprühen.

Er mischte sich unter die Touristengruppe und wechselte mühelos ins Englische, als er merkte, dass er es mit Leuten aus Großbritannien zu tun hatte. Mit seinem herzlichen Lächeln und der charmanten Art hätte Helena ihn unter anderen Umständen sogar sympathisch gefunden, wie sie sich eingestand.

Plötzlich entdeckte er sie und betrachtete sie sekundenlang schweigend und bewundernd. Das war für sie nichts Neues. So reagierten die Männer immer bei ihrem Anblick. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn an der Nase herumzuführen, und schenkte ihm ein verführerisches Lächeln.

„Möchten Sie vielleicht etwas Wein trinken?“, fragte er schließlich und kam näher.

„Ja, gern.“

Er schenkte zwei Gläser ein und reichte ihr eins. „Hat es Ihnen gefallen?“

Dass sie die Gegnerin war, mit der er leichtes Spiel zu haben glaubte, brauchte er noch nicht zu wissen. Ihr schauspielerisches Talent hatte ihr oft genug geholfen, und es erwies sich auch jetzt als nützlich.

„Oh ja, sehr sogar. Ich finde es faszinierend, mehr über die Kunst der Glasbläser zu erfahren“, erwiderte sie betont begeistert und blickte ihn mit ihren großen blauen Augen gekonnt unschuldig an.

Sein leicht spöttisches Lächeln bewies, dass er sie durchschaute. Aber er hatte nichts dagegen, mitzuspielen, solange sie die Sache nicht übertrieb.

Der Mann hat Nerven, er mustert mich so abschätzend, als wäre ich eine mögliche Kapitalanlage und als wollte er herausfinden, ob sich die Investition überhaupt lohnt, überlegte sie. Sein Verhalten empfand sie als Beleidigung und Kampfansage. Sie war jedoch bereit zu kämpfen, was er natürlich nicht wissen konnte.

Autor

Lucy Gordon
<p>Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman „Das Kind des Bruders“, der in Rom spielt. Mit dem Schreiben erfüllte sich...
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